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Schritt für Schritt begann Gerda Weiler sich jetzt in die Matriarchatsforschung einzuarbeiten. Sie fing mit der ägyptischen Kultur an, wendete sich den frühen Kulturen Kleinasiens zu und stieß dann auf die Bibel. Sie wurde zur bedeutendsten Matriarchatsforscherin in Deutschland neben Heide Göttner-Abendroth. In einer Zeit, in der es der Frauenbewegung noch um Gleichberechtigung und Gleichstellung von Männern und Frauen ging, wandte sich Gerda Weiler den Ursprüngen zu und entdeckte die Andersartigkeit von Kulturen, in denen weibliche Lebenszusammenhänge bestimmend und die weibliche Kultmacht im Dienst der großen Göttin prägend war. Ihr erstes Buch, zunächst 1984 in dem Frauenverlag Frauenoffensive erschienen unter dem Titel "Ich verwerfe im Land die Kriege", 1989 in dem Verlag Kohlhammer unter dem Titel "Das Matriarchat im alten Israel" wieder aufgelegt, beschäftigt sich mit dem Alten Testament.
Sie führt die Erzväter- und Familiengeschichten zurück auf altorientalische Ritualtexte und Mythen, die der Göttin als Himmelskönigin gewidmet sind. Der spätere monotheistische Vatergott war zu Zeiten der großen Göttin der Sohnes-Geliebte und im Gegensatz zu der Himmelskönigin sterblich. In ihrem Buch deckt Gerda Weiler mit sehr viel Kenntnissen, aber auch mit einer schöpferischen Phantasie die Spuren der ehemaligen Göttin-Verehrung auf, die durch die Veränderungen und Umschreibungen im Laufe der Entwicklung des Judentums nicht verwischt werden konnten. Dieses Buch brachte Gerda Weiler viel Kritik ein, insbesondere den Vorwurf des Antijudaismus. Dahinter verbarg sich allerdings oft eine Kritik, der die ganze Richtung, nämlich die Demontage des monotheistischen Gottesbilde nicht passte, wobei in der Sache selbst Gerda Weiler nicht widerlegt werden konnte.

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Mit dem "patriarchalen" Freud hatte die Frauenbewegung schon früh begonnen, sich auseinanderzusetzen. Bei C. G. Jung, insbesondere bei seinem Schüler Neumann meinten viele Frauen dagegen, sich wiederzufinden. In ihrem Buch "Der enteignete Mythos", 1991 im Campus Verlag erschienen, setzt sich Gerda Weiler mit den Jungschen Archetypen auseinander und weist nach, dass es sich dabei um männliche Projektionen für das Weibliche handelt.
Gerda Weiler war in ihrem Werk immer innovativ. In ihren beiden letzten Büchern "Eros ist stärker als Gewalt" und "Der aufrechte Gang der Menschenfrau", einer feministischen Anthropologie, erschienen im Ulrike Helmer Verlag, wandte sich Gerda Weiler unter anderem dem Thema Biologie zu. Die Biologie als Ansatz für eine Auseinandersetzung mit dem Männlichen und dem Weiblichen war in der Frauenbewegung bisher verpönt. Sie entkräftete den Mythos von der angeblichen Dominanz des Männlichen, das nach der Zeugung für den Fortbestand des Lebens relativ unwichtig ist und erst da seine Bedeutung bekommt, wo es sich in die Aufzucht des Nachwuchses mit einbindet. Gerda Weiler versuchte nachzuweisen, dass die kulturellen Schöpfungen der Frühgeschichte nicht das Werk des Mannes sind, sonders auf den Beiträgen der Frau zur Menschwerdung fußen. Der aufrechte Gang, die menschliche Sprache sowie die Befreiung ihrer Sexualität von der Brunst sind Kulturleistungen der Frau. Der zweite Band ihrer feministischen Anthropologie erschien übrigens erst nach Gerda Weiler Tod, so dass Gerda Weiler an der Diskussion über ihre neuen Gedanken nicht mehr teilnehmen kann.
Aufgrund ihrer Bücher war Gerda Weiler im deutschsprachigen Raum sehr bekannt. Sie reiste durch die ganze Bundesrepublik und die Schweiz zu Vorträgen, insbesondere an evangelische Akademien und feministische Einrichtungen. An der Universität Berlin hatte sie einen Lehrauftrag. Auch im Hörfunk war sie präsent (z.B. in der Sendung "Aula" und im Schulfunk). Im österreichischen Fernsehen trat sie zusammen mit Luisa Francia auf. Immer wieder erschienen Buchbesprechungen von ihr, insbesondere über Bücher von Frauen in verschiedenen Zeitschriften. Bei aktuellen Anlässen nahm sie Stellung z.B. in Form von Leserbriefen (auch in der Badischen Zeitung). Die Anregung für die Tafel zur Erinnerung an die Hexenverfolgung in Freiburg kam von ihr. Eine andere Anregung war die Gestaltung eines Labyrinths als altem matriarchalem Symbol für den neuen Stadtteil Rieselfeld (in Zürich bereits an zwei Stellen verwirklicht). Mit anderen Frauen veranlasste sie, dass die "Dinnerparty" von Judy Chicago in Frankfurt ausgestellt werden konnte. Zu diesem Fest für die Ausstellung, an dem viele bedeutende sich für die Sache der Frauen engagierende Frauen teilnahmen, wurde auch Gerda Weiler eingeladen. Sie musste eine der 39 Frauen, für die die Gedecke bestimmt waren, darstellen.
Ich habe keine Frau kennen gelernt mit solch einem Wissensdurst und einer derartigen Arbeitsenergie wie Gerda Weiler. So wie andere Frauen Liebesromane verschlingen, las Gerda Weiler wissenschaftliche Werke. Nur so konnte sie sich als Autodidaktin das Wissen aneignen, da sie in ihren Büchern verarbeitete. Noch einige Tage vor ihrem Tod im Krankenhaus las sie trotz aller Schmerzen und diskutierte mit mir über die Frage, ob der Mond männlich oder weiblich sei.



Ein menschliches Vorbild!


Und die Richtung, in die wesentlich mehr geforscht werden muß! :)
 
aus der Diskussion: Für Opti: Schließen von Bildungslücken: Heute: Matriarchat
Autor (Datum des Eintrages): sittin bull inv  (09.05.03 12:30:29)
Beitrag: 24 von 38 (ID:9402884)
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