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Ich bin bekennender Gegener der verbrecherischen Bush-Junta!

Ansonsten kenne ich viele nette Amerikaner(innen), die diese Regierung nicht verdient haben.

Zum Thema:"Ich fürchte um Amerikas Seele"

Der US-Psychiater und Gewaltforscher Robert Jay Lifton über die Gemütsverfassung der Amerikaner, das Supermacht-Syndrom und den apokalyptischen Kampf von Präsident Bush

SPIEGEL: Professor Lifton, wie sehr hat der Irak-Krieg die USA verändert?
Lifton: Unsere Gesellschaft ist mit diesem Feldzug tiefgründig verändert worden - und zwar in Richtung auf einen zerstörerischen Fundamentalismus. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe mein Land. Aber ein Patriot zu sein bedeutet für mich, einen kritischen Blick zu wahren auf diese Regierung und ihren Missbrauch von Macht. Deshalb fürchte ich, dass jetzt die amerikanische Seele selbst in großer Gefahr ist. Wir drohen die Grundsätze zu verlieren, die dieses Land für viele von uns zu einem besonderen gemacht haben, ein Bekenntnis zu wirklicher Demokratie zum Beispiel. Stattdessen werden wir zu Tyrannen. Viele Länder sehen uns als die gefährlichste Macht, die es gibt - verständlicherweise.

Robert Jay Lifton
beschäftigt sich seit über 50 Jahren mit den Auswirkungen von Machtmissbrauch,Gewaltanwendung und Massenmord auf die menschliche Psyche. Das Gründungsmitglied der Organisation "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" hat über Nazi-Ärzte geforscht, über KZ-Überlebende, Vietnam-Veteranen, den nuklearen Schrecken und die Seelenlage von Terroristen. Lifton, 78, jetzt Gastprofessor an der Harvard University, gilt zudem als einer der Begründer der "Psychohistory": Um historische Prozesse besser zu verstehen, nähert er sich ihnen und den handelnden Personen mit dem Handwerk des Psychotherapeuten.



SPIEGEL: Was genau ist geschehen mit der amerikanischen Seele?

Lifton: Viele Amerikaner - Politiker, aber auch einfache Leute - sind gefangen in dem, was ich Supermacht-Syndrom nenne. Wegen Amerikas gewaltiger technischer und militärischer Macht hat unsere Führung ein Gefühl der Allmacht entwickelt, das gleichzeitig gekoppelt ist an einen christlichen Fundamentalismus. Das Syndrom erzeugt eine seltsame Gemütslage - das Gefühl, Anspruch zu haben auf Unverwundbarkeit. Es liefert eine Rechtfertigung, jeden anzugreifen, den wir, warum auch immer, als Bedrohung unserer Unverwundbarkeit empfinden.

SPIEGEL: Ist das Supermacht-Syndrom mehr als schlicht die Arroganz der Macht?

Lifton: Es hat neue Elemente. Unsere militärische Überlegenheit ist extremer, als es je einer historischen Großmacht vergönnt war. Amerika unterscheidet sich vom britischen Empire, weil Amerika nicht in den verschiedenen Ländern bleiben und sie verwalten will. Amerika herrscht aus der Ferne und manchmal mit schnellen militärischen Vorstößen wie dem Irak-Krieg. Amerikas Machtanspruch aber ist unübertroffen. Ich würde sogar sagen: Amerika will die Geschichte selbst beherrschen.

SPIEGEL: Zu welchem Zweck?

Lifton: Kern des Supermacht-Syndroms ist der immer währende Kampf um absolute Sicherheit. Viele unserer Exzesse im Krieg gegen den Terror haben zu tun mit dieser Vision von Sicherheit, die uns auferlegt, jeden Terroristen auf der Welt zu töten. Unsere Regierung muss dabei zwangsläufig scheitern, denn Unverwundbarkeit gibt es nicht - nicht für Körper oder Seelen, auch nicht für Nationen, nicht einmal für die einzige Supermacht. Aber der illusionäre Kampf um Unverwundbarkeit zwingt uns, immer stärkere Kontrolle über die Geschehnisse weltweit auszuüben und die Welt immer engstirniger einzuteilen in Kategorien von Gut und Böse. Wir stecken fest in einem Hamsterrad. Die Supermacht kann niemals ruhen.

SPIEGEL: Wie lange halten die USA das durch?

Lifton: Diese Regierung wird scheitern, national wie international. Die Frage ist nur, wie viel Schaden sie bis dahin in der Welt und bei uns angerichtet hat. Was derzeit im Irak geschieht, macht deutlich, dass sich absolute Kontrolle unmöglich aufrechterhalten lässt über den Moment des militärischen Siegs hinaus. Die Amerikaner haben große Schwierigkeiten, den Irak zu regieren oder dort eine Demokratie aufzubauen. Hier zeigen sich die wahren Probleme des Supermacht-Syndroms: Es führt dazu, dass sich die Supermacht überhebt.

SPIEGEL: Ist das Syndrom therapierbar?

Lifton: Absolut. Nichts ist unveränderlich. Diese Nation ist trotz allem in der Lage, einen Umschwung herbeizuführen. Die Eiferer lassen sich von ihrem Kurs kaum abbringen, aber sie können isoliert werden. Internationaler Druck ist dabei hilfreich. Der Widerstand von Deutschland, Frankreich, Russland und China bei den Vereinten Nationen war äußerst wichtig. Amerika ist jetzt stärker isoliert als jemals in seiner Geschichte. Vielleicht ist der Höhepunkt der amerikanischen Supermacht damit auch schon überschritten.

SPIEGEL: Bedeutet Therapie, dass die USA von ihrem globalen Führungsanspruch abrücken müssen?

Lifton: Nein. Die USA müssen ihre Macht nur zurückhaltender und vernünftiger einsetzen. Ich hielte es für einen Ausdruck von Reife, wenn die USA die Grenzen ihrer Macht erkennen würden. Ich bezweifle allerdings, dass diese Regierung dazu fähig ist.

SPIEGEL: Warum ist es so schwer für Amerikaner, Verwundbarkeit zu akzeptieren?

Lifton: Wir haben unsere Verwundbarkeit als schmerzvollen Schock am 11. September erlebt. Bis dahin lebten Amerikaner im festen Glauben an ihre Unverwundbarkeit. Dieser Glaube rührt zum Teil her von der Geografie und dem Schutz durch die beiden Ozeane. Er hat aber auch mit der Vorstellung von Amerika als einem Ausnahmeland zu tun, einem Ort, wo vieles von dem, was andere Länder quält, gar nicht möglich ist.

SPIEGEL: Ist eine verletzte Supermacht zwangsläufig kriegerisch?

Lifton: Überlebende, die nicht mit ihrer Verwundbarkeit zurechtkommen, sehen die Welt oft als feindlich. Ich habe Überlebende infernalischer Gewalt studiert aus Nazi-Vernichtungslagern, aus Hiroschima und Vietnam, und ich habe einige Gemeinsamkeiten gefunden. Die Todesangst hinterlässt einen Abdruck. Manche verfluchen sich selbst - warum haben wir das Ereignis nicht aufgehalten, warum haben wir den Leuten nicht geholfen? Andere erleben, was ich psychische Verhornung nenne, eine verminderte Fähigkeit oder Bereitschaft, Gefühle zu empfinden. Und es gibt den zutiefst menschlichen Impuls, Sinn zu finden in dem, was geschehen ist. Der Sinn offenbart sich ja nicht im Ereignis selbst. Überlebende und andere konstruieren sich also eine Bedeutung. Und diesen Auftrag verfolgen sie oft mit einer Auf-Leben-und-Tod-Intensität. Bush und seine Berater haben sich dieser Sinnsuche der Amerikaner bemächtigt. Und sie haben eine sehr aggressive Interpretation durchgesetzt - den "Krieg gegen den Terror".

SPIEGEL: Ist Bush ein Überlebender?

Lifton: Alle Amerikaner sind Überlebende des 11. September, selbst wenn wir nicht direkt in Gefahr waren. Bis zu den Attacken auf die USA war George Bush ein glanzloser Präsident, der nicht in seinem Amt aufging und nicht einmal viel Zeit damit verbrachte. Mit dem 11. September hat Bush seine Mission im Leben gefunden, die er auf sture und absolute Weise verfolgt. Der Krieg gegen den Terror ist sein Lebenszweck geworden. Die Welt einzuteilen in Gut und Böse ist Teil dieser Mission. Nehmen Sie dazu seine nahezu fundamentalistische Religiosität als wiedererweckter Christ und sein Supermacht-Syndrom - und schon haben Sie die gefährliche Kombination, der die Welt jetzt gegenübersteht.

SPIEGEL: Sie sehen bei George Bush eine weitere Kraft am Werk: Sie haben bei ihm einen Hang zu "apokalyptischer Gewalt" diagnostiziert. Was soll das sein?

Lifton: Apokalyptische Gewalt bezeichnet die Bereitschaft, enorme Zerstörung anzurichten im Dienst einer spirituellen Säuberung. Eine Welt soll aufhören zu existieren, um Platz zu machen für eine bessere. Ich habe herausgefunden: Man kann nur dann große Mengen von Menschen umbringen, wenn man es im Namen absoluter Rechtschaffenheit tut. Apokalyptische Gewalt ist so gefährlich, weil sich, wer sie anwendet, auf heiliger Mission wähnt.

SPIEGEL: Dann ist apokalyptische Gewalt aber eher die Spezialität von Bin Laden?

Lifton: Bei ihm liegt das auf der Hand. Er will zerstören, um die Welt zu säubern, um Amerika zu schwächen, um Ungläubige loszuwerden. Weniger offensichtlich sind die apokalyptischen Tendenzen bei der Bush-Administration. Unsere Führer präsentieren sich selbst als rational und besorgt um die Demokratie auf der Welt. Aber ihre Handlungen lassen ein apokalyptisches Konzept erkennen.

SPIEGEL: Das müssen Sie uns erläutern.

Lifton: Zum Teil offenbart sich dieser Hang in der Rhetorik. Bush spricht von der "Achse des Bösen" und davon, das Böse in der Welt zu vernichten. Bushs "Krieg gegen den Terror" kennt keine Grenzen in Zeit oder Raum, er ist unendlich. Sein Ziel ist laut Bush die Vernichtung jedes Terroristen auf der Welt. Wenn alle tot sind, dann werde die Welt frei vom Bösen sein. Dies ist natürlich Unsinn: Wer durch die Welt läuft, um Terroristen zu töten und kriegerische Politik betreibt, bringt immerzu mehr Terroristen hervor.

SPIEGEL: Sie halten das für mehr als pathetische Präsidenten-Rhetorik?

Lifton: Allerdings. Apokalyptische Tendenzen offenbaren sich zum Beispiel auch im Strategiedokument zur Nationalen Sicherheit von 2002. Es fordert absolute militärische Hegemonie der USA in allen Regionen der Welt. Kein Land darf uns unsere Stellung streitig machen oder auch nur den Ehrgeiz haben, mit uns gleichzuziehen. Dies ist Teil der Vision, die Welt oder sogar die Geschichte zu kontrollieren. Das Dokument ist sehr direkt. Es heißt ausdrücklich Attacken auf andere Länder gut, notfalls auch im Alleingang. Der Text legt großen Nachdruck darauf, überall in der Welt Demokratien zu errichten. Auf diese Weise stellt er eine säkulare Version der Idee dar, die Welt zu zerstören, um sie zu retten.

SPIEGEL: Gibt es mehr historische Beispiele für apokalyptische Gewalt?

Lifton: Die Geschichte ist voll davon. Die Nationalsozialisten waren ebenfalls eine säkulare apokalyptische Bewegung. Sie versuchten die Welt biologisch zu reinigen, indem sie die Juden töteten und so ihrer Meinung nach schlechte Gene und Rassen loswurden. Die Kommunisten hatten die Idee, die existierende bourgeoise Welt zu zerstören, um auf ihren Trümmern einen idealen Kommunismus zu errichten. Lange davor kamen die Kreuzritter in den Nahen Osten, um in einem heiligen Krieg Heiden, Muslime und Juden zu töten. Apokalyptische Gewalt ist eine weit verbreitete Neigung von Menschen, sie hat nichts mit einer speziellen Religion oder Gruppe zu tun.

SPIEGEL: Was fasziniert Menschen so daran?

Lifton: Apokalyptische Gewalt ist Teil der universellen menschlichen Mythologie von Geburt und Wiedergeburt, von Zerstörung und Erneuerung, vom Tod als Weg in die Unsterblichkeit. All dies geht zurück auf den Beginn der Geschichte. Und es hat damit zu tun, dass wir die Geschöpfe sind, die wissen, dass sie sterben müssen.

SPIEGEL: Und welchen Nutzen ziehen die Täter daraus?

Lifton: Apokalyptische Gewalt befriedigt zwei starke Bedürfnisse: Spirituelle Veredelung und den Wunsch, einem absoluten Prinzip zu dienen. Bei apokalyptischer Gewalt stirbt der Täter nicht. Er oder sie wird vielmehr Teil einer heiligen Mission, er verewigt sich. Menschen sind Geschöpfe, die immerzu nach Sinn suchen. Der Gedanke gefällt uns, unseren Tod als Teil eines geheiligten Plans zu sehen.

SPIEGEL: Gibt es Kulturen, die immun sind gegen solche Ansichten?

Lifton: Nein. Shoko Asahara, der Führer der Aum-Sekte, die den Giftgas-Anschlag auf die Tokioter U-Bahn verübt hat, kam aus dem eigentlich sehr friedliebenden buddhistischen Kulturkreis. Das Attentat war für ihn der Beginn einer spirituellen Erneuerung der Menschheit - und er bezog sich dabei auf die Geschichte von Armageddon, der wohl extremsten apokalyptischen Geschichte vom alles entscheidenden Kampf zwischen Gut und Böse.

SPIEGEL: Sie haben ein Buch geschrieben über Asahara und darin gewarnt vor einer weltweiten Subkultur der apokalyptischen Gewalt. Meinen Sie, Sie haben damit den 11. September vorhergesagt?

Lifton: Das Ereignis konnte ich natürlich nicht vorhersagen. Aber ich habe gesagt, dass wir mehr Kombinationen sehen werden von ultimativen Eiferern mit ultimativen Waffen. Und sie werden erfolgreicher sein als Asahara. Diese Einschätzung gilt nach wie vor.

SPIEGEL: Wenn Sie der Bush-Regierung eine Verhaltenstherapie verschreiben könnten - was würden Sie verordnen?

Lifton: Mit Bin Laden kann man sich nicht an einen Tisch setzen, denn er ist ein Fanatiker. Aber man kann versuchen, ihn zu isolieren, und gute Kontakte herzustellen mit seiner Umgebung. Ob das Personen sind oder Länder: Wir müssen ihre Bedürfnisse respektieren und ihnen Alternativen anbieten, um sie und uns davor zu schützen, dass sie sich einer apokalyptischen Bewegung anschließen. Das ist der beste Weg, Terrorismus zu bekämpfen. Gewalt wird manchmal vonnöten sein, aber sie darf nur zurückhaltend und nur in internationalem Rahmen angewandt werden.

SPIEGEL: In Kürze kommen Hunderttausende Soldaten aus dem Irak zurück nach Hause. Glauben Sie, dass sie eingegliedert werden können?

Lifton: Amerika behandelt seine Veteranen danach, wie populär der Krieg war, den sie kämpften. Wer in Vietnam war, bekam einen lausigen Empfang. Dieser Krieg ist, fürchte ich, sehr populär gewesen. Trotzdem gibt es natürlich auch hier das Problem, dass Zivilisten für den Krieg zu Killern ausgebildet wurden. Sobald sie wieder nach Hause kommen, sollen sie auf einmal niemanden mehr töten.

SPIEGEL: Mindestens vier Afghanistan-Veteranen haben anschließend ihre Frauen umgebracht.

Lifton: Viele schreckliche Dinge widerfahren Menschen, die Kriege kämpfen, die sich bewusst sind, dass sie auch Zivilisten getötet haben, oder die - wie in Afghanistan, aber sicherlich auch im Irak - gar an Gräueltaten teilgenommen haben. Viele Irak-Heimkehrer kommen mit Wunden an der Seele zurück, viele werden an Ängsten leiden, an Alpträumen, manche könnten zu Anfällen von Gewalt neigen, auch gegen Menschen, die ihnen sehr nahe stehen. Aber all dies halte ich für das geringere Problem. Viel schwerer wiegt die emotionale Verhornung, die Brutalisierung der Amerikaner insgesamt, ob Soldaten oder Zivilisten. Die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, geht uns verloren.

SPIEGEL: Ist auch dies ein Symptom des Supermacht-Syndroms?

Lifton: Ja. Bei Soldaten wird dieser Effekt angestrebt: Sie können töten, ohne selbst zu leiden. Sie sind unempfindlich geworden gegenüber dem Schrecken, den sie anderen zufügen. Die Verhornung wird noch verstärkt, wenn man sich auf einer heiligen Mission glaubt - und genau das versucht diese Regierung den Amerikanern einzureden. Das Volk stumpft ab. Es nimmt die Leiden und die Bedürfnisse anderer Völker immer weniger wahr, und es ist leicht bereit zu Gewalt. Deshalb sage ich, dass ich um die Seele meines Landes fürchte.

SPIEGEL: Professor Lifton, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
 
aus der Diskussion: USA- Farbe bekennen
Autor (Datum des Eintrages): Stormwatch  (03.06.03 09:39:57)
Beitrag: 2 von 31 (ID:9633516)
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