Fenster schließen  |  Fenster drucken

DieMänner, die wir brauchen,
gibt es nicht.

Höchste Zeit, den Ritter als Leitbild neu zu entdeckenFrauen sind die besseren Chefs – auch von Männern bevorzugt, berichtete im Januar die Londoner „Times“. Im Februar meldete das Statistische Bundesamt, die Durchschnittsnoten der Abiturientinnen lägen einen Notenpunkt vor denen der Abiturienten. Die Zahl der Mädchen, sagt mein Sohn, sei in dem leistungsstärkeren Mathe-A-Kurs der Orientierungsstufe fast doppelt so hoch wie die der Jungen. Und weiter: 1999 gab es mehr Studentinnen als Studenten. Bei sämtlichen Universitätsabschlüssen steigt die Zahl der weiblichen Prädikatsexamina beständig an.

Dennoch sind Führungspositionen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft immer noch weit überwiegend in Männerfäusten. Aber offenbar nicht mehr lange: Siemens-Vorstand Heinrich von Pierer forderte schon 2001, angesichts des allgemeinen Geburtenrückgangs müssten Frauen endlich auch die Topjobs auf den Führungsetagen besetzen und mehr Physik und Ingenieurwissenschaften studieren. Das „Kapital“ will die Emanzipation der Frauen!

Dem steht das Versagen der Männer gegenüber: schlechte Leistungen, schleichende Erziehungsausfälle, sinkende Motivation, fehlende Leistungsethik und kultureller Verfall. Doch der Abstieg beschränkt sich nicht auf Schule und Beruf. Er greift die Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenlebens an: In empirischen Untersuchungen wird deutlich, dass der Anteil junger Männer mit kriminellen Neigungen immer größer wird, über ein Drittel sei gar zu offenem kriminellen Handeln bereit. Die organisierte Kriminalität – von jeher fast reine Männerdomäne – ist in Europa zu einer machistischen Gegenwelt männlicher Machtstrukturen geworden. Sie unterminiert die Menschenrechtsbasis unserer Zivilisation – nicht zuletzt unter Ausbeutung der weiblichen Sexualität. Amerikanische Soziologen bringen das so auf den Punkt: Ohne moralisch integere, beruflich hoch motivierte, leistungsfähige und sozial engagierte Frauen wäre das ökonomische, soziale und politische System der westlichen Demokratien längst gescheitert.

Ohne die Moral und Motivation der
Frauen wäre die Demokratie in Gefahr
Die schlechten Nachrichten hören damit allerdings nicht auf. Der Charme der von Männern so geliebten Hierarchie, sagen Systemtheoretiker, sei angesichts der Globalisierung und der mit ihr gestiegenen soziokulturellen Komplexität längst dahin. Nicht Ein- und Unterordnung, nicht Befehl und Gehorsam seien die Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart, sondern eine gänzlich andere Ordnung: die der Kommunikation und Vernetzung, paradigmatisch dargestellt am Siegeszug des Internets. Vernetzt handeln, denken und kommunizieren aber ist eine Frauendomäne, sagen Forscher, weil es Frauen weitaus leichter fällt als Männern, miteinander zu reden und gemeinschaftlich zu entscheiden.

Gesellschaften oder Kulturen, die die Vorteile von Frauen zu nutzen wissen, haben – nüchtern gesprochen – allen anderen gegenüber erhebliche Evolutionsvorteile. Umgekehrt dürfte es jenen ergehen, die Frauen missachten, ihre Leistungen verkennen oder sie stumpf unterdrücken: Sie nutzen ihre Ressourcen nicht ausreichend und stürzen in erhebliche Krisen und Konflikte. Doch unsere Welt ist voll von Frauen missbrauchenden, Krieg führenden, Chaos, Gewalt und Unglück verbreitenden Machos und Eiferern, die die Möglichkeiten und Chancen von Frauen allzu leicht mit Gewalt zunichte machen könnten. In mancher Hinsichtt geschieht dies übrigens auch bei uns.


Was tun? Männerversagen ist kein genetisch männliches Problem, sondern ein soziales und kulturelles Versagen. Im Prozess der Modernisierung ist der Aufstieg der Frauen ursächlich mit der Öffnung, Liberalisierung, Emanzipation und mit einem leistungsstarken Frauen(emanzipations)muster verbunden. Derweil hat das kulturelle Muster männlichen Denkens und Verhaltens im 20. Jahrhundert keine vergleichbare Innovation durchlaufen. So konnte es geschehen, dass insbesondere junge Männer zu Opfern der Modernisierung wurden.


Männer, sagen Forscher, brauchen nämlich feste Regeln und Orientierungsmuster. Ist das Regelsystem ethisch, sind offenbar auch seine Anhänger im üblichen Umfang ethisch eingestellt. Feste Regeln verweigert jedoch die Moderne. Statt einer „Leitkultur“ bietet sie eine chaotische Cafeteria von Glaubenssätzen, Ethiken und Regeln aller Art, denen man folgen oder es auch lassen kann.

Im Zweifelsfalle lassen Männer es und konzentrieren ihre Energie auf das, was man eine männliche Trash-Kultur nennen könnte. Für Leistungsmotivation oder ethische Gemeinschaftsleistungen bleibt da wenig Platz. So tritt – soziologisch gesehen – der wohl schlimmste Fall ein: Jene Regellosigkeit (Anomie), die nicht aus dem Zusammenbruch eines Regelsystems herrührt, sondern aus einem Überfluss an Regeln, die alle nebeneinander gelten. Damit kommen Männer nicht klar. Die moderne Gesellschaft versagt als Folge der Modernisierung auf tragische Weise bei der Entwicklung eines modernen Männermodells.

Allerdings kann „Mann“ der Tragödie entgehen, wenn dies auch nicht einfach ist. Denn ein zeitgemäßes Männer(emanzipations)muster muss den soziokulturellen Widerspruch von Regelloyalität und Regelpluralismus lösen. Die Kernfrage lautet: Wie lernen Männer, sich an Regeln zu halten, obwohl sie es nicht müssen? Zugespitzt: Wie kann sich ein neues, gesellschaftlich akzeptiertes, einheitliches Männerbild etablieren, wenn gleichzeitig auf dem privaten Markt der Leitbilder die Regellosigkeit propagiert wird, und zwar in Form der „Quotendiktatur“: Erlaubt ist, was gefällt?

Doch „die Medien“ machen den Trend ja nicht, sondern verstärken nur die bestehenden Marktlücken, sagen die Medienforscher. Mithin entstehen neue gesellschaftliche Muster zumeist „von unten“. Für die Männer bedeutet das in diesem Zusammenhang: Sie müssen einen schwierigen Richtungswechsel von der Regelloyalität zur Selbstmoralisierung vornehmen, also etwas zutiefst Weibliches tun, etwas, was im Leben wie im Film Männern meist erst im Alter gelingt.

Es ist jedoch nicht so, dass unsere Kultur keine Anknüpfungspunkte für einen solchen Kurswechsel böte. Denn wenn es überhaupt ein erfolgreiches Männerleitbild gibt, dann den „christlichen Ritter“. Als Zivilisationsmodell für raubeinige Haudegen hat es bis weit in die Moderne hinein gewirkt. In dem, was wir alles unter Fairness verstehen, wirkt er bis heute weiter. „Fair“ bedeutet: regelgemäß, aber auch moderat, klar, ehrlich, echt, höflich und elegant. Es ist ein ferner Nachhall der Tugenden der Tafelrunde: „mâze“ (Selbstbescheidung), „stæte“ (Beständigkeit), „milte“ (rachelose Mildtätigkeit), „zuht“ (Training, Leistung, Selbstbeherrschung) und zuvörderst „minne“, so klang es mittelhochdeutsch.
Stellt man sich so nicht den emanzipierten Mann vor – ein selbstbewusster, männlicher Typ ohne Machtspielchen und Frauenverachtung? Aber hat das heute noch irgendeine Relevanz, wo doch schon Profisportlern klar ist, dass man nicht „fair“, sondern nur im richtigen Moment „foul“ handeln muss, wenn man was erreichen will? Vom Respekt für Frauen ganz zu schweigen.

Das erfolgreiche Leitbild für Männer gibt
es bereits: den christlichen Ritter
Doch warum eigentlich nicht? Rittertum war immer offene Anleitung zur Selbstmoralisierung für freie, selbstbewusste Männer, für trainierte Profis und Krieger – nicht etwa für Weicheier. Es entstand ganz modern: aus einer intellektuellen Reformbewegung, verbreitet durch Bestseller wie „Nibelungenlied“ und „Artussage“ und fand massenhafte Nachahmung, weil Männer, Machos und Draufgänger aller Nationen geradezu eine religiöse Sehnsucht nach einem Leitbild hatten, das sie in ausweglos scheinender, anomischer Lage (wie seinerzeit im Mittelalter) endlich einen Weg für sich selbst und zum anderen Geschlecht gewinnen ließ.

Die Parallelen zu heute sind augenscheinlich: von der Suche nach Männlichkeit, Zucht und Selbstdisziplin, von der esoterischen Sehnsucht nach Sinn und Orientierung bis hin zum Traum von einer verstehenden Beziehung zwischen den Geschlechtern. Und wird nicht auch verzweifelt nach pädagogischen Leitbildern für die Männersozialisation gesucht? Warum aus außereuropäischen Kulturen importieren, wenn man die eigenen Wurzeln kultivieren kann? Diese Wurzeln benötigen vielleicht nur ein zeitgemäßes und demokratisches Treibhaus. Warum versuchen wir es nicht? Unsere Jungs würden es danken – jeder Besuch auf Mittelaltermärkten belegt, wie sehr sie sich davon faszinieren lassen.

Apropos Leitbilder: In jüngster Zeit erweisen sich türkisch-stämmige junge Männer in Umfragen als ethisch gefestigter als ihre deutschen Geschlechtsgenossen. Sie können zum Beispiel Delikte leichter einordnen. Allerdings halten auch sie bei weitem keinen Vergleich mit jungen Frauen aus!

DIETER OTTEN, 59, ist Professor für Soziologie in Osnabrück. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt den Veränderungen der Männer- und Frauenrollen. Er veröffentlichte das Buch „MännerVersagen“, nun entsteht eines über „die Kunst, ein richtiger Mann zu sein“. Seit Jahren gilt Otten zudem als Fachmann für Wahlen per Internet („i-vote“;)
--------------------------------------------------------------------------------
 
aus der Diskussion: Der manische Mensch - für sittin, Opti und andere Durchblicker
Autor (Datum des Eintrages): Stormwatch  (09.06.03 11:09:31)
Beitrag: 5 von 5 (ID:9695629)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE