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Srebrenica schon vergessen ? –





und die UNO schaut wieder tatenlos zu ...



KONGO : "Willkommen im Wahnwitz"

von Thilo Thielke



Ungehemmt geht das Gemetzel im Bezirk Ituri weiter, auch wenn jetzt französische Soldaten eingetroffen sind. Statt die Gewaltorgien zu beenden, fährt die Eingreiftruppe Streife.


Die Vereinten Nationen bieten wieder mal ein Bild des Jammers. Seit Stunden bereits liefern sich durchgeknallte Kindersoldaten mit Kalaschnikows, Mörsern und 82-Millimeter-Kanonen in Bunias Stadtzentrum ein wüstes Gefecht. Und die Uruguayer von der Uno? Sie kriechen blau behelmt und in schusssicheren Westen schildkrötengleich auf dem Fußboden ihres Hauptquartiers herum und beten das Ave-Maria.

Gerade einmal zehn Mann karren sie im Verlauf dieses unheimlichen Vormittags zur Verstärkung heran, obwohl 700 bewaffnete Uno-Soldaten am Flughafen kampieren. Dass der Schießerei schließlich nicht mehr als ein Dutzend Beteiligte zum Opfer fallen, verdankt der von knapp 400 Lendu-Kindern angegriffene Hema-Nachwuchs lediglich seinen besseren Waffen. Die Vertreter der Weltgemeinschaft bleiben praktisch tatenlos.

Oberst Daniel Vollot, französischer Chef der Uno-Mission, doch zu seinem Leidwesen weitgehend ohne Befugnisse, flüchtet sich angesichts der schier unaufhörlichen Gewaltexzesse im Osten des Kongo schon lange nur noch in Zynismus. Wie beim Tennis woge die Schlacht hin und her, erklärt er im Garten des Uno-Hauptquartiers: "Mal von links nach rechts, dann wieder umgekehrt. Wie langweilig!" Und dazu lacht der Fallschirmjäger, während durch die Nachbarstraße Salven von Schnellfeuergewehren peitschen.

Er genieße nun die Sonne, sagt Vollot; das Krachen der einschlagenden Granaten, das Rattern der MG sei für ihn wie Musik. Ändern könne man ohnehin nicht viel: "Wer Krieg will, der bekommt ihn auch." Ungläubig starrt einer vom "Uru-Batt", dem Uno-Bataillon aus Südamerika, herüber, der sich hinter einem Mäuerchen verschanzt hat.
Auch Johannes Wedenig vom Kinderhilfswerk Unicef kann die Ungeheuerlichkeiten des Kriegsalltags nur noch schwer ertragen. "Willkommen im Wahnwitz", stöhnt er. Wedenig hat sich Jugendarbeit zum Ziel gesetzt, aber der Mann kann froh sein, dass ihn noch keines der kongolesischen Kinder ermordet hat, die von afrikanischen Kriegsherren gewissenlos instrumentalisiert werden. Denn das Gemetzel geht unvermindert weiter - allen gut gemeinten Resolutionen und allen zusätzlichen europäischen Soldaten zum Trotz, die unter französischem Kommando jetzt in Bunia einrücken.



Ihre Mission ist zwar nach der griechischen Jagdgöttin Artemis benannt, und die vermag der Mythologie zufolge außer Pest und Tod auch Eintracht und ein langes Leben zu bringen. Doch das EU-Mandat ist an Harmlosigkeit kaum zu überbieten. Den Flugplatz und die Stadt, einschließlich ihrer zwei Flüchtlingslager, sollen die Franzosen sichern. Mehr nicht. Dabei ist Bunia längst unter der Kontrolle der Hema, nur wenige Lendu halten sich noch im Ort auf. Unvorstellbare Gräuel ereignen sich unterdessen in den Bergen Ituris - außerhalb des kleinen Radius der Friedenstruppen.

So sind Zehntausende längst nach Süden geflüchtet: 150 Kilometer zu Fuß durch den Urwald bis in die Stadt Beni, die von regierungstreuen Soldaten kontrolliert wird. Sie sind dem Horror ihrer Heimat Ituri entronnen und könnten doch bald wieder in der Falle sitzen. Denn von Süden rücken ruandische Soldaten vor und attackieren Beni. Sie sind Verbündete der Hema-Milizen und beuten für ihre Regierung in Kigali die Bodenschätze des Kongo nach Kräften aus.

"Wenn in den riesigen Flüchtlingslagern die Cholera ausbricht, könnten wir schnell eine Katastrophe erleben", befürchtet Pascal Vignier von Ärzte ohne Grenzen: "Es sind zu viele Menschen auf zu engem Raum, und wir haben zu wenig Wasser." Die Seuchengefahr steige mit jedem Ankömmling. Die ersten sechs Cholera-Verdachtsfälle sind bereits gemeldet worden.

In einem Zelt am Rande des Lagers dokumentieren Vignier und seine Kollegen, was die aus Ituri Vertriebenen berichten. Es sind Protokolle, die an den Genozid in Ruanda 1994 erinnern. Von "systematischem Morden" erzählen die Menschen, von ganzen Familien, die mit Buschmessern ("Pangas" ) zerstückelt wurden, von ritualisiertem Kannibalismus und abgeschnittenen Genitalien. "Sie essen die Herzen ihrer Feinde, um sich deren Kraft anzueignen", sagt der Franzose. Er hat erkennbar Mühe, Worte für diesen Irrsinn zu finden.

Im Lager von Eringeti sind bis Ende vergangener Woche 55 275 Flüchtlinge registriert worden. Michelle Brown von der Hilfsorganisation Merlin schätzt die Gesamtzahl in der Region auf 130 000. Der Helfer Eugène Kasongo von World Vision, seit Jahren in der Gegend aktiv, glaubt: "Die Menschen sind nur vorübergehend in Sicherheit. Das hier ist erst der Anfang."

Der Familienvater Jean-Pierre Lubondo zum Beispiel ist zweimal auf der Flucht von Hema-Milizen überfallen worden. In einem Dorf, 15 Kilometer von Bunia entfernt, hat er ein Massaker überlebt. Er sah die zerstückelten Leichen seiner Nachbarn. Jetzt versucht er, sich und seine Familie im Lager zu ernähren und nebenbei noch zwei Kinder, die ihre Eltern verloren haben und im Wald herumirrten. "Die Hema haben gesagt, dass sie uns alle töten wollen. Niemand geht so schnell zurück."

Doch schon bald könnte Lubondo in den mörderischen Strudel zurückgeworfen werden. Schon werden aus Butembo Kämpfe gemeldet. Das ist nur 40 Kilometer entfernt. Sollten die ruandischen Soldaten und ihre kongolesischen Verbündeten Beni einnehmen, dann würden die Flüchtlingsmassen wieder nach Norden getrieben, direkt vor die Kalaschnikows der Killer von Ituri.

Derartige Sorgen scheinen den Sonderbeauftragten der Europäischen Union für das Gebiet der zentralafrikanischen Großen Seen, den Italiener Aldo Ajello, noch nicht umzutreiben. Er landet zur Stippvisite auf dem Flughafen von Bunia, lässt sich von den Kanonen des 3. französischen Marineinfanterie-Regiments beschützen und droht den kongolesischen Milizionären mit einem internationalen Kriegsverbrechertribunal.

Wie die demnächst 1400 Mann starke EU-Friedenstruppe das Morden beenden kann, wenn sie nur die Straßen und den Flughafen Bunias sichert, will er nicht verraten.

Lieber erzählt Ajello, wie stolz er darauf sei, dass "dieser Einsatz unter der Flagge der Europäischen Union" zu Stande gekommen ist. Europa unterstütze mit dem ersten militärischen Auftritt auf einem anderen Kontinent jetzt einen Friedensprozess, an dem sich auch die Nachbarländer und Kriegstreiber Uganda und Ruanda beteiligen wollten.
Viel mehr ist auch dem einsilbigen Kommandeur der internationalen Eingreiftruppe, General Jean-Paul Thonier, nicht zu entlocken. Sicher sei lediglich, dass man Bunia nicht verlassen werde und nicht daran denke, die Milizen zu entwaffnen. Außerdem sei die Truppe erst in einigen Wochen vollzählig, und in drei Monaten laufe das Mandat schon wieder aus. Blauhelme aus Bangladesch, so ist es geplant, sollen dann die kongolesischen Bürgerkriegsregionen befrieden.

Trübe Aussichten sind das trotz des martialischen Auftriebs auf dem Flughafen von Bunia, über den ostentativ "Mirage"-Kampfflieger donnern. "Die Hema sind dabei, die Lendu auszulöschen, und nichts wird dagegen unternommen", sagt Rüdiger Sterz von der Deutschen Welthungerhilfe. Sollten die Lendu nämlich erneut Versuche unternehmen, die Stadt wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen, würden die Franzosen wohl im Zweifelsfall die Hema-Milizen des Führers Thomas Lubanga unterstützen müssen und so einen schrecklichen Status quo aufrechterhalten.

80 Zivilisten sollen an diesem Tag massakriert worden sein in einem Dorf nur 20 Kilometer von Bunia entfernt. Zur gleichen Zeit haben die Franzosen ihre Unterkünfte errichtet und sind in der Stadt Streife gefahren. Einen Auftrag, gegen das Morden einzuschreiten, hatten sie nicht.


DER SPIEGEL –17.06.2003







Die Killer aus der Okapi-Bar

Von Alwin Schröder

Mit der Operation "Artemis" sollen EU-Soldaten den Völkermord im Kongo stoppen. Doch noch müssen Flüchtlingshelfer dem Grauen in der Stadt Bunia tatenlos zusehen. 200 Kilometer südlich bahnt sich indes schon das nächste Drama an.



Bunia - Bier und Beef werden in der Okapi-Bar überwiegend nur noch für die neue Kundschaft serviert. Denn die Milizen der UPC (Union kongolesischer Patrioten) haben sich auch des einzigen Restaurants bemächtigt, das es in Bunia noch gibt. "Sie trinken sich dort stark und schwingen große Reden", berichtet Rüdiger Sterz, der seit einem Jahr als Projektleiter für die Deutsche Welthungerhilfe (DWHH) in der umkämpften Stadt im Nordosten des Kongo arbeitet.

Die UPC-Milizen haben die Macht in Bunia übernommen. Von den einst 130.000 Einwohnern sind viele in Flüchtlingscamps in den Bergen der Provinz Ituri geflüchtet - aus Angst vor den grauenvollen Kämpfen zwischen den verfeindeten Stämmen der Hema, die von den Killern der UPC unterstützt werden, und der Lendu. Vielleicht kommen die Einwohner von Bunia zurück, wenn jetzt europäische Soldaten in der Stadt präsent sind. Aber Sterz mag noch nicht daran glauben: "Viele bleiben noch in den Camps, weil die Männer Angst um ihre Familie haben. Sie haben Angst davor, dass ihre Töchter vergewaltigt werden."

Grauenhaftes hat Sterz erlebt. "Man sieht viel Elend in den Krankenhäusern", berichtet er gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Männer, denen mit der Machete das Gesicht zerfetzt wurde, Kinder mit abgehackten Armen." Die Brutalität der verfeindeten Stämme sei unvorstellbar: "Der eine will dem anderen nicht mehr vergeben. Als einzige Lösung bleibt in ihren Augen nur das Ausradieren des Gegners."

Mindestens 50.000 Tote hat der Konflikt zwischen Hema und Lendu in der jüngeren Vergangenheit gefordert, ohne dass die überforderten Blauhelm-Soldaten aus Uruguay und Uno-Mitarbeiter eingreifen konnten. Im Gegenteil: Sie waren selbst Opfer von Übergriffen. Beobachter der Vereinten Nationen gerieten kürzlich in die Hände von Milizen, die sie folterten, kastrierten und schließlich zerstückelten. Eine Uno-Mitarbeiterin bezeichnete die verfeindeten Stämme als "außer Kontrolle geratene Irre".


Franzosen sind erst in 50 Tagen einsatzfähig

130.000 Menschen sind in der Region auf der Flucht. Eskaliert war die Situation Anfang Mai, nachdem Uganda seine 6000 Soldaten aus der Ituri-Provinz abgezogen hatte. In Bunia waren bislang 625 Uno-Soldaten stationiert, ihnen stehen schätzungsweise 25.000 bis 28.000 Kämpfer der Lendu und der Hema gegenüber.

Alle Hoffnung der internationalen Helfer in Bunia ruht nun auf die Operation "Artemis" der EU, auf 1400 überwiegend französischen Soldaten, die nach und nach in dem Krisengebiet eintreffen. Der Auftakt verlief jedoch alles andere als viel versprechend für Sterz und seine Kollegen. "Der französische General hat uns berichtet, dass seine Soldaten erst in 50 Tagen voll einsatzfähig sein werden. Das hat uns ziemlich schockiert." Denn erst wenn die EU-Soldaten die Kontrolle in der Stadt übernehmen, könnten die Helfer in Viertel gelangen, zu denen sie jetzt noch keinen Zutritt haben.

Die EU-Eingreiftruppe wird es mit Thomas Lubanga zu tun bekommen, dem selbst ernannten Chef der UPC-Milizen in Bunia. "Er möchte die Stadt zusammen mit den Franzosen kontrollieren, aber das ist ja wohl indiskutabel", meint Sterz. "Eine Entwaffnung dürfte wohl schwierig werden", glaubt er. Denn Lubanga hat schon klargestellt, dass seine Soldaten auf keinen Fall ihre Kalaschnikows abgeben werden. Sonst gebe es Ärger.


"Wir sind nicht das Afrikakorps"

Seinen in den letzten Wochen rücksichtslos mordenden Kindersoldaten hat Lubanga inzwischen offenbar etwas Zurückhaltung befohlen. "Sie fahren zwar nicht mehr in den Pick-ups durch die Stadt, sind aber immer noch präsent", berichtet Sterz. Eine Kontaktaufnahme mit den oft mit Drogen voll gepumpten Acht- oder Neunjährigen zwar möglich, aber nur sehr vorsichtig anzugehen: "Sie kommen sich natürlich sehr stark vor mit ihren Waffen. Es sind halt Kinder."

Doch während in Bunia durch die Ankunft der europäischen Eingreiftruppe Hoffnung aufkommt, wird 200 Kilometer südlich schon das nächste Kapitel des blutigen Stammeskonflikts eröffnet: In Butembo mit seinen 500.000 Einwohnern kommt es bereits zu schweren Kämpfen zwischen Truppen, die von der Zentralregierung in Kinshasa unterstützt werden, und Einheiten der mit der UPC verbündeten RCD, die von Ruanda unterstützt wird und den ganzen Osten vom Rest der Republik abspalten will. Rund 150.000 Flüchtlinge sind dort zwischen den Fronten eingekesselt. "Uns fehlen die Nahrungsmittel, um diesen Menschen zu helfen", berichtet Kai Grulich, der dortige Projektleiter der Deutschen Welthungerhilfe. "Die Lage ist ziemlich prekär." Der politische Druck auf die in den Konflikt verwickelten Länder wie Uganda und Ruanda müsse verstärkt werden.




Denn Hema und Lendu führen auch einen Stellvertreter-Krieg in Ituri. Es geht Uganda und Ruanda um die Bodenschätze, um Gold, Diamanten - und um Coltan, ein seltenes Mineral, das von Handy-Herstellern aus Europa, Asien und den USA benötigt wird.
Alle Helfer sind sich deshalb einig, dass 1400 EU-Soldaten nicht ausreichen, um für Frieden in der Krisenregion zu sorgen. Mindestens 2000 bis 3000 Mann seien notwendig, um die Milizen zu entwaffnen, sagt Marcus Sack, ebenfalls DWHH-Projektleiter im Kongo. Doch davon will EU-Chefdiplomat Javier Solana nichts wissen. Der Einsatz bleibe streng auf Bunia begrenzt: "Wir sind nicht das Afrikakorps."

DER SPIEGEL 13.06.2003


Im Vorhof der Hölle

von Thilo Thielke

Kindersoldaten und marodierende Milizionäre haben in der Region Ituri Tausende Zivilisten massakriert. Hunderttausende sind auf der Flucht. Ein neuer Völkermord droht unter den Augen der Welt - aber die Uno-Blauhelme sehen nahezu tatenlos zu.





Dem Missionar Jan Mol droht langsam der Glaube abhanden zu kommen. Wenn der Geistliche über Schlaglöcher hinweg zu seinem Gemeindehaus in Bunias zerschossenem Zentrum stolpert, muss er einen entwürdigenden Spießrutenlauf über sich ergehen lassen. Schon mittags stöckeln betrunkene Siebenjährige auf hohen Damenabsätzen um den 67-Jährigen herum, schwenken Kalaschnikows, blasen ihm respektlos Zigarettenrauch ins Gesicht und fuchteln vor dem "Mzungu" aus Holland drohend mit Brotmessern und Handgranaten herum.

Diese Minderjährigen sind die neuen Herren der Straße. Sie "morden und plündern und folgen nicht dem Gesetz des Herrn, sondern nur noch dem der Gewalt", hat Mol erkannt und wähnt sich schon im Vorhof der Hölle. "Wenn hier nicht bald Soldaten der Vereinten Nationen dazwischengehen, dann erleben wir eine wahre Katastrophe", sagt der Priester und verfolgt fassungslos, wie sich auf dem Boulevard de la Libération ein Blauhelm aus Uruguay von einem schwer bewaffneten Knirps mit Zöpfchenperücke auf dem Kopf, Bierflasche im Hosenbund und Brotbeutel um den Hals schikanieren lässt. Der Holländer ist überzeugt: "Wir erleben einen Genozid, und die Uno steht tatenlos daneben."

Vor gut zwei Wochen haben Kindermilizen der Union der kongolesischen Patrioten, die dem Stamm der Hema angehören, die Kontrolle in der 300 000-Einwohner-Stadt Bunia übernommen und ihre Widersacher vom Stamm der Lendu vertrieben, mit Macheten erschlagen oder erschossen. Zerhackte Leichen faulten tagelang auf den Straßen von Bunia vor sich hin. Mol, der seit 1971 dort lebt, sieht ein "Desaster wie in Bosnien oder Ruanda" heraufziehen, wo unter den Augen der Welt Hunderttausende erschlagen, erschossen und verscharrt wurden: "Es ist das nackte Grauen."

Als das Schlachten in der Hauptstadt der kongolesischen Region Ituri begann, hatte der Gottesmann immer wieder versucht, die Kommandeure der 625 Blauhelme aus Uruguay, die dort stationiert sind, zum Eingreifen zu bewegen. Doch als sich endlich ein paar bis an die Zähne bewaffnete Uno-Männer auf den Weg machten, lagen Mols Kollegen Aimé Ndjabu und François Mateso bereits in ihrem eigenen Blut. Der eine mit durchgeschnittener Kehle, der andere durchsiebt von Garben aus Schnellfeuergewehren.
Um die Leichen der Geistlichen und zwölf weiterer Opfer tobten feixend ihre jugendlichen Mörder. Sie riefen Mol zu: "Wir werden unsere Feinde alle töten." Die Blauhelme zogen wieder ab, um das Verbrechen lediglich zu notieren. Sie ließen sich zu Zaungästen des Massenmordes machen wie einst im bosnischen Srebrenica, wo Serben-Milizen 1995 mehr als 7500 Muslime abschlachteten.





Nach ein paar Tagen zählen die Uno-Soldaten allein im Zentrum von Bunia bereits rund 300 Leichen. Wie viele es insgesamt sind, weiß niemand, denn die internationalen Friedenssoldaten wagen sich nicht einmal im Panzer aus der Stadt heraus. "In der Provinz Ituri leben 2,4 Millionen Menschen", sagt Marcus Sack von der Deutschen Welthungerhilfe, "eine Million ist auf der Flucht: Was sich in den Bergen abspielt, ist der reinste Horror."

Erst vergangene Woche wurden die Leichen zweier Uno-Beobachter 70 Kilometer von Bunia entfernt gefunden. Sie waren mit Buschmessern in Stücke gehackt worden.
Im Krankenhaus der Stadt hat Sack die Überlebenden des "Infernos" ("The Economist" ) gesehen: Frauen und Kinder mit abgetrennten Gliedmaßen und Opfer mit Schusswunden, um die sich jetzt Mediziner der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" kümmern.
"Wir haben außerdem diverse glaubwürdige Hinweise auf Kannibalismus", räumt Uno-Mann Amos Namanga Ngongi ein und spricht von "einer unglaublichen Barbarei: Im Kongo rennen Menschen mit Amuletten aus menschlichen Knochen herum". Der Kameruner ist der Sonderbeauftragte des Uno-Generalsekretärs für die Demokratische Republik Kongo und nur auf Kurzbesuch in Bunia.

Die skandalöse Untätigkeit seiner Soldaten erklärt er damit, dass man nicht vorbereitet gewesen sei auf "derartige kriegerische Handlungen". Dabei sieht das Mandat der Blauhelme ausdrücklich den Schutz der Zivilbevölkerung vor. Dennoch ist Ngongi guten Mutes: "Killer können zu Nichtkillern werden", gibt er seinen Leuten noch mit auf den Weg. Dann muss er sich sputen, das Flugzeug wartet.

Mit seinem Optimismus steht Ngongi ziemlich allein da. Seit Ausbruch der Kämpfe vor fünf Jahren sind im Kongo nach Schätzungen der Organisation International Rescue Committee zwischen 3 und 4,7 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Niemals seit Ende des Zweiten Weltkriegs war die Sterblichkeitsrate in einem Konflikt derart hoch.
60 000 Tote, schätzt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, sollen allein die Stammeskämpfe zwischen den Vieh züchtenden Hema und den Ackerbau treibenden Lendu im Nordosten des riesigen Landes gefordert haben. Und ein Ende der "Blutorgien" ("Neue Zürcher Zeitung" ) ist in Ituri nicht in Sicht.


Ganz im Gegenteil: Gerade einmal vier Kilometer vor der von Hema-Milizen kontrollierten Stadt überwachen verwegen kostümierte Lendu-Kämpfer die wichtigen Ausfallstraßen und sinnen auf Rache. Nicht nur Entwicklungshelfer Sack ist sich sicher, "dass sie auf Waffen aus dem Ausland warten und dann möglichst bald zurückschlagen".

Maßgeblichen Anteil an den 1999 ausgebrochenen ethnischen Kämpfen haben Kongos Nachbarländer Ruanda und Uganda. Nach einem im April veröffentlichten Amnesty-Bericht haben sie "die Region in einem unermesslichen Umfang systematisch ausgeplündert" und dabei "innerethnische Konflikte und Massenmorde gefördert", um die wichtigen Bodenschätze des Kongo auszubeuten: Gold, Holz und das für die Handy-Produktion wichtige Coltan. Die verwahrlosten Kindermilizionäre verrichteten in "der sich immer noch ausweitenden Tragödie" lediglich die schmutzige Arbeit der Profiteure im ugandischen Kampala und ruandischen Kigali.

Während die ruandische Armee in die Provinz Kivu einmarschierte und über die Kongolesische Sammlungsbewegung für Demokratie die Region bis heute kontrolliert, sicherte sich die ugandische Armee die weiter nördlich gelegene Ituri-Provinz, in der große Mengen Gold gewonnen werden.


In den Uferregionen des Albert-Sees werden zudem bedeutende Ölvorkommen vermutet. Die könnten nach Schätzungen der kanadischen Firma Heritage Oil sogar "mehrere Milliarden Barrel" ausmachen.

Anfangs unterstützte die vergleichsweise gut ausgebildete ugandische Armee Milizen der Hema. Diese fühlen sich jedoch den Tutsi aus Ruanda näher und verbündeten sich mit der Regierung in Kigali. Uganda wandte sich daraufhin den Lendu zu und versorgt sie derzeit mit Waffen.

Die Folge der wechselnden Allianzen waren ständige Front- und Machtverschiebungen und unvorstellbare Grausamkeiten, die beide Bevölkerungsgruppen einander zufügten. Das Geschehen lässt selbst die Uno-Chefanklägerin für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Carla Del Ponte, mittlerweile von einem "drohenden Genozid" sprechen.
Denn in Ituri wird immer hemmungsloser gemordet. Seit die ugandische Armee gemäß eines Abkommens mit der Regierung in Kinshasa am 7. Mai ihre letzten Truppen aus Ituri abzog, herrscht ein Zustand der Rechtlosigkeit. Ihre Waffen übergaben die Ugander in Bunia den Lendu-Kämpfern, die reichlich davon Gebrauch machten. Sie nutzten die Abwesenheit der Ordnungsmacht dazu, massenweise Hema abzuschlachten.

Wenige Tage später übten dann die von Ruanda ausgerüsteten Hema grausige Rache und nahmen die Stadt ein. Seitdem sind die Lendu von Bunia entweder tot oder geflüchtet: Mindestens 50 000 sollen die Grenzen nach Uganda überschritten haben. Dessen Präsident Yoweri Museveni passen das mörderische Chaos und die Unfähigkeit der Vereinten Nationen indes gut ins Konzept.




Verfeindete Milizionäre Kisembo und Ngudjoli


Kaum hatte seine Armee das Nachbarland verlassen und das hemmungslose Morden begann, höhnte der Präsident, die Uno-Soldaten im Kongo seien "gefährliche Touristen". Und der Chef des ugandischen Militärgeheimdienstes, Oberst Noble Mayombo, erzählte einem Reporter der kenianischen Tageszeitung "Daily Nation", man erwäge angesichts der Gewalttaten, wieder in den Kongo einzumarschieren, um "unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten".

"Flüchten, Plündern, Töten", nennt Helfer Marcus Sack die schreckliche Dreifaltigkeit des Kongo, und es hat nicht den Anschein, dass sich daran so schnell etwas ändern wird. "Wir haben Informationen, dass sich kongolesische Regierungstruppen von Süden auf Bunia zubewegen", sagt der französische Chef der Blauhelm-Mission, Daniel Vollot, und ihm schwant Böses. Dabei hätten sie doch gerade erst Fortschritte gemacht bei der Annäherung der Kriegsgegner.

Zwei davon stehen gerade neben Vollot unter einem Mangobaum: ein Führer der Hema-Miliz, Floribert Kisembo, und der "Generalstabschef" der Lendu-Krieger, Mathieu Ngudjolo. Treuherzig versichern die beiden Kommandeure der Kindersoldaten, sie wollten nun dem Uno-Vorschlag folgen und gemeinsame Patrouillen durch die gebeutelte Stadt schicken.

Kisembo trägt grüne Gummistiefel, hat als Symbol seiner Macht einen Schuhanzieher mit Löwenkopf als Knauf mitgebracht und guckt ziemlich grimmig. Ngudjolo muss zu seiner Sicherheit im Panzerwagen durch die Straßen chauffiert werden.

Während in Bunia hilflos versucht wird, so etwas wie Ordnung aufrechtzuerhalten, scheint Uno-Generalsekretär Kofi Annan bereits das Vertrauen in seine eigenen bewaffneten Kräfte verloren zu haben. Nach über einer Woche des Mordens kam der Uno-Sicherheitsrat seinem Vorschlag nach, der Entsendung einer internationalen Friedenstruppe zuzustimmen. Und obwohl im Juli Blauhelme aus Bangladesch in dem Kriegsgebiet erwartet werden, ist Annan an die Europäische Union herangetreten mit der Bitte, Soldaten zur Verfügung zu stellen.

Bislang hat sich nur Frankreich bereit erklärt, 1000 Soldaten für eine solche Mission zur Verfügung zu stellen. Dies auch nur unter der Bedingung, dass sowohl Uganda als auch Ruanda dem Einmarsch französischer Soldaten zustimmen. Daran könnte jedoch der Versuch scheitern, den Genozid zu stoppen.


Während des Völkermordes in Ruanda 1994 hatten französische Soldaten eine unrühmliche Rolle gespielt und Hutu-Milizen unterstützt. Nach 100 Tagen des Mordens hatten rund 800 000 Menschen ihr Leben verloren. Schon jetzt kündigte die Regierung in Kigali Widerstand gegen ein französisches Engagement an.

Und so wird sich wohl nicht allzu viel ändern im Kongo, den der Schriftsteller Joseph Conrad schon 1899 als einen "Todeshain" bezeichnet hat. Seinen Protagonisten Kurtz ließ er entsetzt ausrufen: "Das Grauen! Das Grauen!"


DER SPIEGEL – 26.05.2003
 
aus der Diskussion: Märkte (4. Teil) - und die Zukunft der Weltwirtschaft
Autor (Datum des Eintrages): konradi  (17.06.03 13:08:14)
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