checkAd

    Der neue Verteilungskampf. Die große Koalition fordert "mehr Ehrfurcht" - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 19.11.05 19:49:12 von
    neuester Beitrag 20.11.05 17:53:43 von
    Beiträge: 6
    ID: 1.021.244
    Aufrufe heute: 0
    Gesamt: 276
    Aktive User: 0


     Durchsuchen

    Begriffe und/oder Benutzer

     

    Top-Postings

     Ja Nein
      Avatar
      schrieb am 19.11.05 19:49:12
      Beitrag Nr. 1 ()
      Die große Koalition fordert "mehr Ehrfurcht" vor der Politik, bürgerliche Spitzenfunktionäre rempeln die Wirtschaft an. In Deutschland verschärft sich der Verteilungskampf zwischen dem Staat und dem privaten Sektor


      "Leviathan" von Thomas Hobbes, 1651

      "Wer allerdings die These bejaht, daß die Bürger eines Landes nur die Vollzugsorgane staatlichen Willens zu sein haben und somit der Staat mehr oder minder allein die Zukunft eines Landes oder Volkes bestimmt, wird für das innerste Wesen einer freien Marktwirtschaft kaum noch Verständnis aufbringen können." Ludwig Erhard, 1969


      Die Tonlage verhärtet sich, merkwürdige Signale sind zu vernehmen in Deutschland. Auf die eher unbegeisterten Kommentare deutscher Unternehmer zum Koalitionsvertrag ("glatter Fehlstart", "Gift für die Konjunktur") meldete sich diese Woche das kritisierte Parteiestablishment mit harschen Reaktionen. Der Finanzminister in spe, Peer Steinbrück, geißelte "eine gewisse Maßlosigkeit" in den Äußerungen der Wirtschaftskapitäne. Man ließe sich, ergänzte der SPD-Mann in Anspielung auf den Ökonomen Hans-Werner Sinn, zu Diskussionsbeiträgen hinreißen, die "an Unsinn nicht zu überbieten" seien. Parteikollege Matthias Platzeck legte im gleichen Tonfall nach, als er sich von Unternehmerseite Kritik verbat, "kaum daß die Tinte trocken ist". Gemeinsam empörten sich die beleidigten Sozialdemokraten über die "Empörungskultur" (Steinbrück) der Manager.


      Doch nicht nur in den linken Koalitionslagern rumorte es. Erstaunlich umweglos griff die Entrüstung auf die bürgerliche Seite über. In Anlehnung an die Münteferingsche "Heuschrecken"-Kritik verlangte die designierte Kanzlerin Angela Merkel von der Wirtschaft "ein bißchen mehr Ehrfurcht vor der Politik", da man sich doch in nächtlichen Überstunden bis an den Rand der Erschöpfung für diesen Vertrag verausgabt habe. Vergessen war die Rhetorik des Wahlkampfs, als noch von Staatsrückbau und der Entfaltung wirtschaftlicher Kräfte gesprochen worden war. Anstatt sich wie in den Sommermonaten ins Zeug zu legen für die Anliegen der unternehmerischen Wertschöpfung, griff auch Bayerns nach München entflohener Ministerpräsident Edmund Stoiber mit einem brachialen Satz in die Debatte ein: "Die entlassen Tausende von Leuten, kippen sie uns vor die Tür und tun dann hinterher so, als hätten sie nichts damit zu tun, und kritisieren uns für das, was wir machen." Das verblüffte liberale Publikum konnte mitanhören, wie die von der großen Koalition gefeierte "Kultur des Miteinanders" neuerdings auch auf dem Gebiet der Unternehmerschelte bestens funktioniert.


      Die Signale fügen sich in ein Gesamtbild, das sich seit der Vorstellung des Koalitionsvertrags in Deutschland verdeutlicht. Es verschärft sich die Auseinandersetzung zwischen dem Staat und dem privaten Sektor. Eine Konfliktlinie wird sichtbar, die die Debatten in den nächsten Jahren beherrschen könnte. Auf der einen Seite stehen die Etatisten, die Staatsangestellten und Staatsabhängigen, die ihre Ansprüche unter dem Druck des internationalen Standortwettbewerbs gefährdet sehen. Ihnen gegenüber finden sich die mit immer neuen Mehrbelastungen drangsalierten Vertreter der Wirtschaft, die Bürger, die Steuerzahler und Unternehmer, die für einen Staat bezahlen müssen, der über seine Verhältnisse lebt. Gegen diesen Trend stemmt sich die neue Koalition noch nicht, im Gegenteil. Rhetorisch wird der bereits im Koalitionsvertrag festgeschriebene Kurs befestigt, die "Handlungsfähigkeit des Staates" zu verbessern, als ob sich der Staat in Deutschland nicht schon längst überfordert, weil er zuviel macht und vieles deshalb nicht richtig. Von einer Auszehrung des deutschen Staates kann keine Rede sein.

      Es gehört zur Rhetorik der Etatisten, immer wieder darauf zu verweisen, daß die Steuereinnahmen in Deutschland kontinuierlich sinken würden. Dieser Befund stimmt nur für ein paar Jahre Mitte der Neunziger und zu Beginn dieses Jahrtausends. Inzwischen sprudeln die Steuerquellen wieder stärker und werden nach Ansicht von Experten spätestens mit der angekündigten Mehrwertsteuererhöhung wieder den 2000er Spitzenwert von rund 500 Milliarden Euro erreichen. Langfristig bleibt der Trend zu höheren Einnahmen ungebrochen: 1995 kassierte der Staat 416 Milliarden Euro, 1990 - damals freilich noch als alte Bundesrepublik - 281 Milliarden. 20 Jahre zuvor betrug das Aufkommen bei Bund, Ländern und Kommunen nur 79 Milliarden. Selbst das war bereits enorm viel, gemessen an den nicht einmal elf Milliarden zu Beginn der fünfziger Jahre. Angesichts des gleichzeitigen Anstiegs der Verschuldung von weniger als 200 Milliarden Euro im Jahr 1980 auf inzwischen mehr als 1,4 Billionen wird deutlich, daß Deutschland heute den finanziell bestausgestatteten öffentlichen Sektor seiner Geschichte aufweist. Um so irritierender wirken die Einlassungen gerade bürgerlicher Politiker wie Merkel oder Stoiber. Es ist nicht so, daß Deutschland an der Präpotenz seiner Unternehmer leidet, wohl eher am Zaudern der Politiker, das Problem eines auswuchernden Staates wirklich ernst zu nehmen.


      Trotzdem droht Deutschland "eine der größten Steuererhöhungen der Nachkriegsgeschichte" (Times). Die zum 1. Januar 2007 geplante Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte auf 19 Prozent bringt 24 Milliarden Euro im Jahr in die Kassen. Zwei Drittel der Einnahmen bekommen Bund und Länder je zur Hälfte für die Sanierung ihres Etats. Ein Drittel wird zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags verwandt. Allerdings wird der Steuerzuschuß zur Rentenversicherung und zur Krankenversicherung im etwa gleichen Umfang reduziert. Unter dem Strich geht somit die gesamte Mehrwertsteuererhöhung in die Haushaltssanierung. Die höhere Mehrwertsteuer trifft den Konsumenten. Sie trifft aber auch die Wirtschaft, da nach Prognose des Sachverständigenrats aufgrund des Preiskampfs rund 40 Prozent der Belastung nicht überwälzt werden können. Dies schwächt vor allem jene vorwiegend mittelständischen Betriebe, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind. Die drohende Zunahme der Schwarzarbeit schädigt die Wirtschaft ebenfalls. Weitere Mehreinnahmen plant Schwarz-Rot durch den Abbau von Steuervergünstigungen wie etwa der Pendlerpauschale, der Eigenheimzulage und dem Sparerfreibetrag. Dies bringt rund zehn Milliarden Euro. Da im Gegenzug die Steuersätze nicht wie versprochen gesenkt werden, haben die Bürger de facto weniger im Portemonnaie.


      Schrittweise ist der Staat gefüttert und gemästet worden. Bis Ende der sechziger Jahre verfolgte die Bundesrepublik eine solide Haushaltspolitik. Die Schuldenquote lag unter 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Erst nach der ersten Ölpreiskrise 1973, die eine Rezession und einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hatte, versuchte die Regierung, mit Ausgabenprogrammen das Wachstum wieder anzukurbeln. Die Renten wurden kräftig erhöht, der Staatsapparat aufgebläht. Die Kohl-Regierung steuerte in den achtziger Jahren zwar zunächst gegen und senkte unter dem damaligen Finanzminister Stoltenberg die Steuern. Doch nach der Wiedervereinigung brachen alle Dämme. Allein zwischen 1997 und 2004 schnellte der Anteil der Sozialausgaben am Bundesetat von 37 Prozent auf rund 50 Prozent. Konrad Adenauer kam noch mit einer Staatsquote von 35 Prozent aus. Heute liegt sie bei rund 47 Prozent. Der Höchststand war 1995 mit 54,8 Prozent erreicht. Der Staat drang in den vergangenen Jahrzehnten in zahlreiche Bereiche vor. So betreibt er Industriepolitik, indem er neue Technologien fördert, etwa im Bereich regenerativer Energien oder in der Biotechnologie

      Vor allem aber leistete er sich immer neue Sozialleistungen.1994 wurde mit der Pflegeversicherung die fünfte Sozialversicherung eingeführt. Damit erhalten auch Menschen, die niemals Beiträge gezahlt haben und vielfach finanziell auch gar nicht darauf angewiesen wären, Leistungen. Mit der Rentenreform von 2001 wurde eine Grundsicherung im Alter eingeführt.


      Seither müssen Kinder nicht mehr für ihre mittellosen Eltern aufkommen, wenn diese das Rentenalter erreicht haben. Allein im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Empfänger dieser Grundsicherung um 20 Prozent. Der Gesetzgeber erweiterte zudem die Schutzrechte für Arbeitnehmer. Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm führte Ende der achtziger Jahre einen dreijährigen Erziehungsurlaub für Eltern ein. Seither muß der Arbeitgeber eine Stelle entsprechend freihalten. Unter Rot-Grün wurde ein Rechtsanspruch auf Teilzeit eingeführt und die Mitbestimmung in den Betrieben noch verstärkt.


      Immerhin, einige Maßnahmen der letzten Jahre setzten Gegenakzente. Vor allem auf Druck der EU sind in den neunziger Jahren große Staatskonzerne wie Telekom, Post und Bahn privatisiert worden. Auch in der Altersversicherung gibt es positive Entwicklungen. Die Ansprüche der künftigen Rentner sind um rund 40 Prozent gesenkt worden. 2002 wurde mit der Einführung der Riester-Rente zudem eine Teilkapitaldeckung eingeführt, also eine Teilprivatisierung. Trotz großer Startschwierigkeiten stellt auch die Hartz-IV-Reform einen großen Schritt in die richtige Richtung dar. Zudem wurden die direkten Finanzhilfen des Bundes wie etwa die Steinkohlesubvention seit 1998 um die Hälfte auf 6,7 Milliarden Euro gekürzt.


      Auch wurden 2003 bereits einmal Steuervergünstigungen wie die Eigenheimzulage, Pendlerpauschale und der Sparerfreibetrag gekürzt. Ausnahmeregelungen für die Unternehmen wurden mit zahlreichen Reformen seit 1998 zusammengestrichen. Überdies wird seit 1998 der Personalbestand beim Bund um jährlich ein Prozent zurückgefahren. Die Arbeitszeit für Beamte wurde verlängert, und die Bezüge wurden sowohl bei den Aktiven als auch bei den Pensionären gekürzt.


      Im Gesundheitswesen gibt es widersprüchliche Tendenzen. So wurde seit Mitte der neunziger Jahre die Eigenbeteiligung der Patienten stark erweitert, etwa durch Zuzahlungen zu Medikamenten und die Einführung einer Praxisgebühr. Auf der anderen Seite scheiterte die Union mehrfach mit dem Versuch, den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der Kassen zu streichen und somit zu privatisieren. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder setzte sich nicht mit seiner in der Agenda 2010 formulierten Idee durch, das Krankengeld künftig privat abzusichern statt über die gesetzliche Krankenversicherung. Auch die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von 100 auf 80 Prozent, die Union und FDP 1997 durchsetzten, wurde bereits ein Jahr später nach dem Wahlsieg von Rot-Grün wieder kassiert.


      Die Aussichten, das "Termitendasein im Kollektiv" (Ludwig Erhard) entschlossen aufzubrechen, sind durch die unternehmerfeindlichen Töne aus dem Unionslager nicht eben befördert worden. Das von Angela Merkel im Wahlkampf immer wieder gepredigte Dienstleistungsideal der Politik scheint auch bei den Bürgerlichen seine Grenzen dort zu finden, wo der Staat seine Interessen bedroht sieht.
      Avatar
      schrieb am 19.11.05 19:51:32
      Beitrag Nr. 2 ()
      mehr Furcht - wäre glaubwürdiger :D
      Avatar
      schrieb am 19.11.05 19:55:41
      Beitrag Nr. 3 ()
      [posting]18.880.219 von StellaLuna am 19.11.05 19:51:32[/posting]Kommt darauf an für wenn!:rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 19.11.05 19:56:32
      Beitrag Nr. 4 ()
      Erhardt ... :eek:

      Das Zitat stammt aus einer Zeit, als Politik in diesem euren Land noch eher harte Arbeit war und nicht reines dümmliches Geschwätz, so wie heute ... :eek:

      Damit hat es sich für die Praxis leider überlebt ... :mad:
      Avatar
      schrieb am 20.11.05 16:16:15
      Beitrag Nr. 5 ()
      [posting]18.880.263 von Guerilla Investor am 19.11.05 19:56:32[/posting]Seh ich auch so.
      Verlogene Dummschwätzer fordern mehr Ehrfurcht :laugh::laugh::laugh::laugh::laugh::laugh:

      Trading Spotlight

      Anzeige
      Nurexone Biologic
      0,3900EUR -1,52 %
      +600% mit dieser Biotech-Aktie?!mehr zur Aktie »
      Avatar
      schrieb am 20.11.05 17:53:43
      Beitrag Nr. 6 ()
      Eines fernen Tages wird sich die Ehrfurcht vor diesen Pupen darin erschöpfen, ob man ihnen eine Augenbinde und Zigarette anbietet. Oder eben nicht...


      Beitrag zu dieser Diskussion schreiben


      Zu dieser Diskussion können keine Beiträge mehr verfasst werden, da der letzte Beitrag vor mehr als zwei Jahren verfasst wurde und die Diskussion daraufhin archiviert wurde.
      Bitte wenden Sie sich an feedback@wallstreet-online.de und erfragen Sie die Reaktivierung der Diskussion oder starten Sie
      hier
      eine neue Diskussion.
      Der neue Verteilungskampf. Die große Koalition fordert "mehr Ehrfurcht"