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    Telefon-Agent: Die Abenteuer des - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 21.08.06 11:49:11 von
    neuester Beitrag 15.03.07 10:25:02 von
    Beiträge: 352
    ID: 1.078.032
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     Ja Nein
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      schrieb am 21.08.06 11:49:11
      Beitrag Nr. 1 ()
      1.

      Du hast bestimmt ein Telefon und bist schon von völlig fremden Leuten angerufen worden, die dir auf diese Weise etwas verkaufen wollten. Ich weiß, wie das ist. Manchmal wartet man auf eine Jobzusage oder den Anruf seiner neuen Freundin und wenn man dann wirklich zwischendurch zur Toilette muss oder gerade schon darauf sitzt, klingelt das Telefon.
      Und dann ist es überhaupt nichts, worauf man gerade wartet, sondern irgendjemand will dir zum Beispiel nur eine andere Tageszeitung anpreisen. Dann stehst du da mit der Hose in den Kniekehlen und obendrein ist die Leitung für deinen neuen Chef und deine neue Freundin blockiert. Wenn du dann erst arbeitslos und solo bist, hilft es dir auch nicht mehr, dass du dann zwei Tageszeitungen hast. Also, ich lege dann meistens einfach auf.
      Jean Paul hat das nicht getan.
      Ohne Job und ohne Freundin hatte er reichlich Zeit zum Lesen und studierte auch die Stellenanzeigen in seiner neuen Zweitzeitung sehr innig. Schließlich fand er eine kleine Annonce, die ihm den Atem verschlug, weil ihm dort eine einfache, mühelose und gleichzeitig seriöse Tätigkeit angeboten wurde. Eine unglaubliche Kombination! Und obendrein wurden dort dringend Leute gesucht. Er rief sofort an, ohne erst zu überlegen. Das war kein Problem, denn sein Appartment war so klein, dass er von überall sofort den Hörer abnehmen konnte, wenn er nicht gerade ausgerechnet auf dem stillen Örtchen weilte.
      Nach kurzer Zeit meldete sich eine attraktive Frauenstimme.
      Im Hintergrund hörte er noch mehr Stimmen, darunter einige weitere aufregend klingende Damen.
      Jean Pauls eigene Stimme fiel augenblicklich um eine ganze Oktave in den Keller, obwohl er sich ansonsten gerade unwillkürlich in Gänze aufrichtete.
      "Sie haben eine ganz nette Stimme", sagte die Fremde. "Kommen sie doch einfach mal vorbei. Dann machen wir ein Vorstellungsgespräch und ich erkläre ihnen, worum es geht."
      "Alles was sie wollen", röhrte Jean Paul im Beinahe-Delirium.
      Er wurde von der Gewissheit überwältigt, alle Defizite in seinem Leben mit einem Mal ausgleichen zu können.
      "Heute mittag zum Beispiel", sagte sie.
      Er hörte, wie ihm ein gedehntes "Ja" entwich.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Leser erhält Einblicke in die Kunst, Lotterie-Lose zu verkaufen.
      Avatar
      schrieb am 21.08.06 13:32:02
      Beitrag Nr. 2 ()
      Das klingt nach einer mitreissenden Geschichte.
      Bitte mehr davon :lick:
      Avatar
      schrieb am 21.08.06 18:01:49
      Beitrag Nr. 3 ()
      Her damit!!
      Avatar
      schrieb am 21.08.06 18:27:23
      Beitrag Nr. 4 ()
      bitte weiter :eek:
      Avatar
      schrieb am 21.08.06 23:08:13
      Beitrag Nr. 5 ()
      Bitte meehhr! Lechz! Lechz! :)

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      Avatar
      schrieb am 22.08.06 11:22:17
      Beitrag Nr. 6 ()
      2.
      Mittags saß Jean Paul einer sehr sympathischen und hübschen blauen Frau gegenüber. Zwei der Wände des Büros waren aus Glas. Sie trug einen Hosenanzug, der nur an einer sehr schlanken Frau so weit wirken konnte. Ihre Körpergröße war nach Jean Pauls Theorie genau richtig, denn sie konnte sich mühelos und elegant auf Pumps bewegen und dabei trotzdem noch zu ihm aufsehen.
      Bei diesem Gespräch saß sie allerdings höher als er und guckte ihm gerade in die Augen.
      "Haben sie schon Berufserfahrung?", fragte sie.
      Sie hatte tatsächlich blaue Augen. Eigentlich war er gar kein großer Fan von blauen Augen. Aber diese Augen waren irgendwie auf eine andere Art blau als andere blaue Augen und entweder bläulicher oder weniger blau als andere nicht so oder noch blauere Augen.
      "Hallo?", fragte sie mahnend.
      Er erwachte.
      "Entschuldigung", sagte er. "Mir gingen gerade sehr komplizierte Überlegungen durch den Kopf."
      "Haben sie?"
      "Natürlich habe ich schon."
      "Sie haben also schon Berufserfahrung?"
      Eigentlich war es ein etwas grünliches Blau, aber nur mit einem sehr leichten grünlichen Einschlag.
      Jetzt sahen diese blauen Augen ihn fragend an.
      Süß.
      Warum auf einmal dieses Schweigen?
      Wahrscheinlich hatte sie etwas gefragt. Frauen waren immer so neugierig! Klar, sie hatte etwas gesagt und das war wohl eine Frage gewesen.
      Was sollte er sagen?
      Er erinnerte sich nicht mehr an die Frage.
      Er kapierte nur, dass sie eine dieser seltenen, zum Glück seltenen Frauen war, die dir alles verkaufen können. Sie nehmen dich einfach gefangen und reduzieren deine Persönlichkeit auf die bloße Tatsache, dass du ein Mann bist. Dann weisst du, dass du nur dann eine Existenzberechtigung nachweisen kannst, wenn du dich ihr gegenüber auf jeden Fall an die "Zehn Gebote" für Männer hälst:
      1. Du sollst zu einer solchen Frau niemals NEIN sagen.
      2. NIE
      3. NIE
      4. NIE
      5. NIE
      6. NIE
      7. NIE
      8. NIE
      9. NIE
      10. NIE
      Also schluckte er und sagte: "Ja, ich will."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Wir erfahren, ob diese attraktive Frau sich zu Jean Pauls neuer Chefin macht.
      Avatar
      schrieb am 23.08.06 10:09:51
      Beitrag Nr. 7 ()
      3.

      "Okay", sagte sie mit einem brillianten Augenaufschlag, "dass sie wollen, glaube ich ihnen. Aber haben sie schon einmal professionell telefoniert? Können sie das? Auch unter Stress?"
      "Sogar unter Gefechtsbedingungen", sagte er mit einer Klarheit, die ihn selbst überraschte.
      "Wie bitte?", fragte sie und versuchte die flatternden Augenlider mit einem Kopfschütteln zu verbergen.
      "Ich war Truppenfernmelder. Wenn die anderen auf Übung rödeln mussten, sass ich drinnen an der Vermittlung und verband die Offiziere."
      Darum hatte er später auch begeistert seine Ersparnisse mit Aktien von Firmen wie "Iridium" und "Globalstar" verzockt, die es ihren Kunden ermöglichten, über Satelliten überallhin zu telefonieren. Das war eine unwiderstehliche Geschäftsidee für einen alten "Bongo" wie Jean Paul, der wirklich wusste, wie es anstrengte, mit einer Kabeltrommel auf dem Rücken durch die Botanik zu keuchen und Leitungen zu verlegen.
      Sie hüstelte.
      Ihr war wohl kalt.
      Er starrte auf ihre Hände, die nur unwesentlich breiter als ihre schmalen Handgelenke waren. Seine Hände sahen vergleichsweise wie angewachsene Suppenteller aus.
      Er schaute noch einmal auf sie.
      Ein Wunder.
      So feingliedrig.
      Diesen optischen Input konnte er kaum verkraften.
      Er versuchte trotzdem etwas sagen.
      "Huh."
      "Gut, das können wir als Inbound gelten lassen. Wir machen hier Outbound. Wir rufen Leute an und verkaufen ihnen etwas. Momentan sind es nur Lotterie-Lose. Aber ich arbeite daran, dass wir noch ein zweites Produkt dazu bekommen."
      "Klingt scharf."
      "Haben sie schon einmal eher reihenweise fremde Leute angerufen, um Termine zu machen oder etwas zu verkaufen?"
      "Ja, beides, drei Tage lang."
      "Und wofür haben sie Termine gemacht? Was haben sie verkauft?"
      "Mich."
      "Mich?"
      "Nein, mich."
      "Was haben sie denn verkauft?"
      "Ja, mich!"
      "Ich suche eigentlich einen Call-Agent, keinen Callboy."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul wechselt mehrmals die Gesichtsfarbe. Ein Missverständnis wird aufgeklärt. Der Held lernt seine neuen Kollegen kennen.
      Avatar
      schrieb am 23.08.06 11:14:02
      Beitrag Nr. 8 ()
      GeiL!!
      Avatar
      schrieb am 23.08.06 11:36:08
      Beitrag Nr. 9 ()
      weiter, zum Donnerkeil...:laugh:

      kassier-:D
      Avatar
      schrieb am 23.08.06 18:49:18
      Beitrag Nr. 10 ()
      Gefällt mir ausgesprochen gut :)... und 10 Gebote für Männer :cool:
      Avatar
      schrieb am 24.08.06 12:08:18
      Beitrag Nr. 11 ()
      :look:
      Danke für den Zuspruch.
      :)

      Der Ausgangspunkt für diese Geschichte war die Bemerkung eines meiner Dozenten für Literaturwissenschaft in einem Seminar für Erzähltechniken.
      Er bezeichnete den Erzählstil eines seinerzeit sehr berühmten deutschen Schriftstellers für die heutige Zeit als völlig unbrauchbar, weil rettungslos veraltet. Seiner Meinung ist der Maßstab für die Modernität eines Erzählers, wie sehr dieser in den Hintergrund tritt und den Leser die Handlung durch die Augen des Protagonisten sehen und miterleben lässt.
      Als modernsten und darum besten Autor bezeichnete er Franz Kafka. Vor dem Hintergrund seiner oben zitierten Argumentation war das auch sachlich nachhaltig begründet.
      Ich selbst mochte jedoch auch immer die alten Erzähler, die den Leser direkt ansprechen, den Protagonisten vorführen und die Handlung kommentieren. Der Name des Helden dieser Geschichte gibt diesbezüglich einen klaren Hinweis.
      Und jetzt weita imm Täxt... ;)
      Avatar
      schrieb am 24.08.06 12:10:30
      Beitrag Nr. 12 ()
      4.

      Callboy? Jetzt wusste er, an wen sie ihn erinnerte. An Debbie Harry, die Sängerin von "Blondie", die einst "Call me!" gesungen hatte, den Titelsong eines Films über einen Gigolo mit Lauren Hutton in der weiblichen Hauptrolle und mit John Travolta oder ähnlich in der dazugehörigen männlichen Nebenrolle.
      "Call me...", hörte er sich in Gedanken singen.
      "Wie bitte?"
      Wie hatte sie das hören können?
      Er lief schon wieder rot an.
      Allmählich kam er sich wie eine Ampel vor.
      "Mein Magen hat geknurrt", log er zügig.
      "Ja?"
      "Also das war im zweiten Drittel meiner Umschulung zum Industriekaufmann! Ich brauchte einen Praktikumsplatz. Am liebsten hätte ich bei FRESSLUST oder HEAVY FREIGHT angefangen, aber die brauchten mich nicht. Also besorgte ich mir im Internet eine Liste mit den noch übrigen in Frage kommenden Betrieben und telefonierte sie ab. Ich bat darum, meine Bewerbung persönlich abgeben und mich auch gleich vorstellen zu dürfen."
      Sie schlug lässig die Beine übereinander. Es sah ganz leicht aus, obwohl ihr rechter Fuß nun genau nach links zeigte und Jean Paul wieder nicht nachvollziehen konnte, wie das überhaupt möglich war und warum das nicht wehtat. Beim Nachdenken über das Mysterium Weiblichkeit versackte er wieder fast in Trance.
      "Okay, sie wollen ein Praktikum und sie kriegen ein Praktikum. Drei Tage. Danach bezahle ich sie, aber sie müssen gut sein."
      "Ich will kein Praktikum mehr, ich muss Geld verdienen."
      "Geld gibt es erst später."
      "Dann komme ich eben später wieder."
      Sie seufzte.
      "Ich brauche im Moment wirklich ganz dringend Leute..."
      "Warum sehen sie mich so an?"
      Sie blickte ihm in die Augen, ebenso sanft wie bestimmend. Eigentlich ein Widerspruch, aber bei ihr wirkte es wie aus einem Guss.
      "Also, machen sie jetzt die drei Tage Praktikum?"
      Er tauchte in diesen Blick ein. Praktikum war okay. Aber als was hatte er sich eigentlich beworben? Chauffeur? Nacktputzer? Bürobote? Egal. Jederzeit. Er musste nur noch die Antwort formulieren.
      Sie lächelte.
      Okay, sie wusste es schon.
      Auch so.
      "Montag um neun Uhr, pünktlich", sagte sie.
      Er nickte ganz vorsichtig, um den Blickkontakt bloß nicht zu unterbrechen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es wird Montag. Aber erst später.
      Avatar
      schrieb am 25.08.06 11:56:28
      Beitrag Nr. 13 ()
      5.

      Offensichtlich hielt sie das Gespräch für beendet, denn sie wollte aufstehen.
      Jean Paul erkannte es in ihren Augen, noch ehe ihr Körper sich bewegte.
      Er sah es den Leuten fast immer an, was ihr Körper als nächstes tat.
      Bei nüchternen Menschen, die sich in vollem Tageslicht bewegten, war keine Hexerei.
      Das musste man können, wenn man bei seinem ehemaligen Taekwondo-Lehrer in die Klasse der Fortgeschrittenen aufsteigen und dort bei den obligatorischen Freikämpfen nicht ständig getroffen werden wollte. Unmöglich war nur, einem blitzschnellen Sportler gegenüber zu stehen und gleichzeitig sowohl dessen zwei Hände, als auch seine zwei Füße zu beobachten. Dazu hätte man vier Augen gebraucht. Stattdessen konzentrierte man sich auf dessen zwei Augen, die einem sogar doppelten Einblick in seine Absichten boten.
      Aus der Perspektive von Jean Paul war das Gespräch noch lange nicht beendet. Er hatte daran immer noch Spaß. Seine zukünftige Chefin war bei aller Freundlichkeit unübersehbar berechnend. Er mochte seit jeher „böse“ Mädchen. Sie lieferten ihm das ehrlichste Feedback darüber, wo er gerade stand. Solche Frau bemühten sich nicht aus Gutherzigkeit, Mitleid oder aus Solidarität unter Verlierern um ihn. Ganz im Gegenteil! Wenn sie sich mit ihm abgaben, besaß er irgendeinen objektiv meßbaren Nutzwert und das schmeichelte seinem Selbstvertrauen.
      Abgesehen von seiner männlichen Eitelkeit gab es einen weiteren Grund, diesen Dialog auszudehnen. Als Frau Meier gerade ihren Po anspannte und ungefähr zwei Zentimeter über der Sitzfläche ihres Stuhls schweben ließ, sonderte er einen sanften Warnton ab.
      „Öhhh...“
      „Ja?“, fragte sie mit einem unglaublich exakt dosierten Beiklang leichter Gereiztheit, während sie der Schwerkraft nachgab.
      Er formulierte seinen Einwand vage wie möglich, um sich alles offen zu halten und ihr keinen Anlass zum Abbruch der aus seiner Sicht soeben erst beginnenden Verhandlungen zu geben.
      „Ich täte noch gern eine letzte Frage fragen, also nur so vom Verständnis her und sozusagen zur, äh, fachlich vertiefenden Wiederholung...“
      „Was haben sie denn nicht verstanden?“, erkundigte sie sich mit nun deutlich hörbarer Ungeduld.
      Die Tatsache, dass sie sich aufregte und dies weder ganz verbergen konnte noch wollte, wirkte auf seine Motivation nur förderlich, denn Erregbarkeit schätzte er an Frauen noch mehr als nur gutes Aussehen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul bekommt Informationen zu seine Verdienstaussichten. Frau Meier vernebelt den Unterschied zwischen legal arbeitenden Call-Centern und ihrem eigenen Treiben. Warum für Jean Paul Frauen wie Aktien sind.
      Avatar
      schrieb am 25.08.06 20:54:10
      Beitrag Nr. 14 ()
      Hurraahh, die Durststrecke ist vorbei und Du schreibst nicht mehr nur sonntags wie bei den "Leiden eines Kochs". :)
      Avatar
      schrieb am 27.08.06 15:05:58
      Beitrag Nr. 15 ()
      @ unlocker

      Danke für die Wertschätzung und Treue! ;)
      Avatar
      schrieb am 27.08.06 15:15:32
      Beitrag Nr. 16 ()
      Wochenend-Special:

      6.

      Jean Paul ließ sich nicht einschüchtern.
      „Verstanden habe ich so weit alles, aber gehört habe ich noch nicht alles. Mir fehlen noch Fakten, Fakten, Fakten. Vor allem in Bezug auf Geld und damit meine ich nicht, wie viel man bei der Lotterie gewinnen kann, sondern...“
      „Hier“, sagte sie scharf, während sie eine Schublade aufzog, ohne Hingucken ein Blatt Papier herauszog und vor ihm auf den Tisch legte.
      Sie starrte ihm direkt in seine geweiteten Pupillen.
      „Wir bezahlen leistungsgerecht, also erfolgsabhängig. Wenn sie gut sind, kriegen sie einen Stundenlohn von 16 €. Und wenn sie das bringen, schreibe ich ihnen ein Zeugnis, mit dem sie jeden Job kriegen, denn gute Verkäufer werden immer gesucht. Überall.“
      „Sie sind sehr nett“, sagte er.
      Jean Paul kam aus einer Kleinstadt und war es gewohnt, dass es niemandem auffiel, wenn er ironisch wurde, also erlaubte er sich das, wann immer es ihm gefiel.
      „Sie haben ja keine Ahnung, wie nett ich sein kann.“
      Sie beugte sich vor und legte ihre Hand wieder auf das Blatt oder genauer gesagt auf die Hand von Jean Paul, die dort auch noch herumlag .
      „Ich bin lernfähig“, sagte er stockend. „Aber nebenbei- ist das, was wir machen, eigentlich legal?“
      „Aber natürlich“, sagte sie, wobei sie maliziös lächelnd seine Hand tätschelte.
      Während sie sich noch weiter vorbeugte, fiel ihm auf, dass sie unter der weißen Jacke lediglich einen schwarzen BH mit Spitzen trug.
      Sie fügte hinzu: „Unter Erwachsenen schon.“
      Sie schob seine Hand fort und beförderte das Blatt wieder in die Schublade.
      „Und sie bringen mir bei, wie man überzeugt und Abschlüsse macht?“, fragte er
      „ Interesse wecken, Kaufsignale erkennen und den Sack zumachen! Das habe ich ihnen doch gerade vorgeführt. Am eigenen Beispiel!“
      Während er staunte, erhob sie sich und gab ihm die Hand. Diesmal stand sie rascher auf, so dass er es nicht erneut schaffte, vor dem Händeschütteln weitere Fragen zu stellen.
      „Alles klar“, sagte er lächelnd, obwohl er soeben von nur 4€ Grundlohn gelesen hatte.

      Spätestens an dieser Stelle muss Jean Paul auf den kritischen Leser naiv wirken, weil er sich so von dieser Frau vorführen lässt. Tatsächlich war er stattdessen total verrückt. Für ihn waren Frauen nämlich wie Aktien.
      Manche Frauen waren wie die Aktien von renommierten Schweizer Konzernen, gut und ideal für ein lebenslanges Investment. Man(n) wurde ein Leben lang belohnt und ging keinerlei Risiko ein. Wenn man genug einbrachte, konnte man ihre Entwicklung beeinflussen und Mitglieder der gehobenen Gesellschaft kennenlernen.
      Aber dieses Niveau war für Jean Paul reine Theorie.
      Ihm blieben lediglich die Frauen, die von der Mehrzahl der anderen Frauen als „Schl...e“ tituliert wurden und wie „Hot Stocks“ waren. Damit kam er seit langem gut klar, denn an der Börse hatte er sich auf „Hot Stocks“ spezialisiert.
      "Hot Stocks" waren extrem riskant. Aber eine winzige Chance war besser als überhaupt keine. Hier konnte er mitspielen, Glück haben und weiter davon träumen, sich in der Zukunft seriös zu engagieren. Man durfte nie alles auf eine Karte setzen, denn sonst riskierte man den totalen persönlichen Ruin. Richtige Investitionen waren hier nicht möglich. Man(n) konnte nur kurz- oder maximal mittelfristig zocken, denn langfristig lief es stets auf Pleite und Totalverlust hinaus. Das ganze Risiko, auf Blender zu setzen, lohnte sich höchstens, wenn man(n) das perfekte Timing einhielt, indem man(n) rasch zugriff, so lange sie noch unbekannt und am attraktivsten waren. Bei einer solchen Gelegenheit musste man ohne Zögern seiner Begeisterung nachgeben und sich bei der ersten wirksamen guten Nachricht mit noch weniger Zögern wieder trennen. Wenn man später einstieg, erlebte man nur noch ihren Abstieg und als Folge den eigenen Ruin oder wurde sie dann im schlimmsten Fall überhaupt nicht mehr los. Es war lediglich Rein-Raus und dabei vor allem eine Frage der Schnelligkeit.
      Jetzt weißt du, dass Jean Paul verrückt war. Ich wollte es nicht gleich so deutlich sagen, weil ich nicht gehässig wirken möchte, aber nach diesen Erklärungen sollte selbst beim wohlwollendsten Leser jeder Zweifel ausgeräumt sein. Als ich Jean Paul mit dieser Wahrheit konfrontierte, stritt er es auch gar nicht ab, sondern wurde gleich frech: „Ja, ich bin verrückt, aber wenigstens bin ich nicht dumm. Der Unterschied zwischen uns ist also, dass ich wenigstens ab und zu einen hellen Moment habe.“

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Zur Abwechslung eine andere Perspektive. Ein Erfolgssystem für Karrierefrauen. Jean Paul erhält eine unerwartete private Einladung.
      Avatar
      schrieb am 28.08.06 11:34:33
      Beitrag Nr. 17 ()
      7.

      Da die neue Chefin von Jean Paul den Umgang mit Männern offensichtlich gut beherrscht, stellt sich die Frage, warum sie ihre Fähigkeiten in einem viertklassigen Call-Center vergeudet. Frauenzeitschriften, die sich als perfekte Karriereberater begreifen, versichern ihren Leserinnen doch unermüdlich, dass frau nur wissen muss, wie sie Männer ausnutzt, um jede beliebige Karriere umsetzen zu können.
      Das am weitesten verbreitete Vorurteil lautet, dass solche Frauen manchmal von Ehefrauen ausgebremst werden. Aber das war ihr nicht passiert, denn sie hatte sich in Bezug auf Ehefrauen immer strikt an die „Goldenen sieben Regeln“ gehalten:

      1.Denke nett über verheiratete Frauen, denn sie waschen die Unterhosen deiner Liebhaber
      2.Tue ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten, so rührend sie auch sind, als Ergebnis von Langeweile ab
      3.Suggeriere, dass Ehefrauen ihre Kinder nur erziehen, um sie bei der Scheidung als Waffe zu nutzen
      4.Du machst nur Karriere, um den größten Wunsch deiner armen, armen Mutter zu erfüllen (weinen)
      5.Auch wenn du Kinder hasst, ist der Verzicht pauschal ein großes Opfer, das belohnt werden muss
      6.Jeder Kritik an deinen Methoden ist ein Versuch der Unterdrückung aller Frauen (von Afrika reden)
      7.Sei zu deiner Putzfrau immer großzügig. Gib ihr emanzipatorische Tipps und abgetragene Kleider

      Daran hatte nicht gelegen und an der direkten Konkurrenz durch ihresgleichen auch nicht. Andere unverheiratete Karrierefrauen ihres Kalibers hatten beim Anblick ihrer Attraktivität oder einfach ihrer Jugend immer das Feld geräumt und sich eine andere Firma gesucht. Beim Fehlen einer solchen Alternative hatten sie die Notbremse gezogen und sich mit Verweis auf ihre „biologische Uhr“ doch noch ein Kind machen lassen, um es dann konsequent zu dem Irrglauben zu erziehen, Mama hätte aus Liebe zu ihm und Papa ihre Karriere aufgegeben, was natürlich wieder die Wahrheit ins Gegenteil verkehrte und darum zumindest konsequent war.
      Irgendwie haperte es also doch an ihrem Verhalten gegenüber Männern gehapert. Gegen welche Regel hatte sie wohl verstoßen?

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Eine erneute Überprüfung der Behauptung „schlechte Mädchen kommen wohin sie wollen“. Schließlich kehren wir zur Handlung zurück und Jean Paul besucht die Frau mit der süßesten Stimme der Welt.
      Avatar
      schrieb am 29.08.06 11:52:31
      Beitrag Nr. 18 ()
      8.

      Beim Verlassen des Gebäudes holte Jean Paul sein Handy aus der Jackentasche und schaltete es wieder ein. Während er über den Bürgersteig zu seinem Parkplatz schlenderte, sah er auf dem Display, dass ihn vorhin jemand vergeblich angerufen hatte. Er rief umgehend zurück, denn es handelte sich um die Nummer einer Internet-Bekanntschaft, mit der er schon seit langem chattete und Emails austauschte.
      „Hat es geklappt?“, fragte sie ohne Umschweife.
      Wenn er sie so hörte, bezweifelte er jedesmal, ob sie wirklich schon volljährig war, aber schließlich wohnte sie allein und hatte ihm das Foto aus ihrem Pass geschickt, auf dem sie nach mindestens Mitte Zwanzig aussah.
      „Ich glaube schon.“
      „Du bist so ein Schlaffi!“, schimpfte sie in ihrem kindlichen Tonfall. „Sei doch mal etwas energischer, dann kommst du auch weiter!“
      „Du redest wie meine Mutter“, sagte er knurrend.
      „Dann hat deine Mutter auch Recht!“
      Alarmstufe Rot. Die kannten sich noch nicht, aber sie waren schon einer Meinung. Wie im Kindergarten. Mädchen gegen Jungs.
      „Ich soll drei Tage Praktikum machen“, sagte er.
      „Ja! Warum muss ich vierzehn Tage machen und du nur drei?“
      „Deute mein Schweigen.“
      Pause
      „Hast du jetzt Zeit?“, fragte sie. „Ich habe ein paar Tage frei. Wir könnten uns endlich treffen.“
      „Wo?“
      „Bei mir natürlich“, sagte sie. „Heute abend. Kannst hier übernachten.“
      Er stellte fest, dass er an seinem Auto vorbei gelaufen war und blieb stehen.
      „Gleich beim ersten Real-Treffen?“
      Sie schnaubte.
      „Ich habe auch ein Sofa!“
      „Da bin ich aber beruhigt“, sagte er. „Dann brauchst du wenigstens nicht auf dem Boden zu schlafen, falls wir uns nicht einig werden.“
      Da war es wieder, das typische Problem von Jean Paul. Wenn man ihn ermutigte, energischer zu sein, neigte er dabei ansatzweise zu leichten Übertreibungen!
      Seine neue Chefin verließ jetzt ebenfalls das Gebäude. Sie sah ihn auf dem Parkplatz stehen und beim Telefonieren mit der freien Hand rumfuchteln. Seufzend fragte sie sich, was sie falsch gemacht hatte, dass sie jetzt schon einen solchen Blödmann anheuern musste. Aber wahrscheinlich war das schon immer ihr Fehler gewesen: Gutmütigkeit!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es geht weiter, doch es wird nicht besser!
      Avatar
      schrieb am 30.08.06 12:50:49
      Beitrag Nr. 19 ()
      9.

      Manche Frauen sind beängstigend intelligent und gebildet und überdies unzweifelhaft absolut anständig. Warum machen diese Frauen so selten eine ihren Fähigkeiten angemessene Karriere? Genau darum. Weil sie beängstigend wirken, weil sie zu ihrem Nachteil berechenbar sind und weil sie die Chancen zum Aufstieg entweder glatt verachten oder vor lauter Anständigkeit sogar übersehen.
      Um im Management Karriere zu machen, braucht man keine akademischen Kenntnisse in Rhetorik, wie sie zum Beispiel ein Literaturwissenschaftler besitzt. In der Ära des kommerziellen Fernsehen hört sich sowieso niemand mehr aufmerksam lange Reden an, weil jeder gewohnt ist, abends von einem sehr schlechten Programm zum anderen sehr schlechten Programm hin und her zu zappen und womöglich schon nach Sekunden schlagartig den Verstand von irgendeiner knalligen Werbung zerschossen zu kriegen. Da lernt jeder, dass es sehr wehtut, sich zu konzentrieren. Vor diesem Schmerz kann man sich schützen, indem man es erst gar nicht versucht.
      Nur so.
      Die moderne Rhetorik, reduziert sich damit auf einen einfachen Dreisatz, auch wenn „Erfolgstrainer“ aus dem Ganzen eine Wissenschaft namens „Rabulistik“ machen, um dafür lange und entsprechend teure Seminare zu veranstalten.

      1. Wahre Aussagen können und müssen mit „Das ist mir zu allgemein!“ attackiert werden.
      2. Nachfolgende Details werden in jedem Fall mit „Das ist zu weit hergeholt!“ abgestraft
      3. Funktioniert Regel 2 nicht, sagt man einfach möglichst hochnäsig: „Das ist ein Klischee!“

      Mit diesen drei Regeln behält man immer Recht und ist am Ende jeder Besprechung auf der Seite der Gewinner. Man braucht keine eigenen Vorschläge zu erarbeiten zu begründen, was sowieso ein unzumutbares Risiko ist, weil sich die Möglichkeit eines negativen Ausgangs nie völlig ausschließen lässt. Man schießt einfach alle Leute ab, die sich nicht schon gegenseitig abschießen und wartet dann darauf, dass sich alle auf das kleinste Übel einigen. Dann sagt man „Ich habe euch gewarnt!“ und fertig. Wenn die Sache schiefgeht, war man der große Warner und Seher und steht ganz oben, ohne sich auch nur annähernd so viel Arbeit wie die anderen gemacht zu haben. Wenn es doch klappt, reklamiert man den Erfolg für sich, indem man genauso an seine Einwände erinnert und für sich in Anspruch nimmt, den größten Anteil an der realistischen Umsetzung geleistet und somit die Grundlage für den Erfolg geschaffen zu haben.

      Die Frau, mit Jean Paul sich im Anschluss an sein Vorstellungsgespräch traf, gehörte zu den Menschen, die sich in Sachen Erfolg selbst im Weg stehen. Darum mochte er sie.

      Abends war er da. Er parkte an der Straße und sie öffnete ihm die Tür ihrer Wohnung. Sie war größer als er gedacht hatte. Ihr Kleid musste maßgeschneidert sein. Ihre Figur übertraf seine Erwartungen bei weitem. Er konnte den Blick kaum von ihr abwenden, als sie „Hallo“ flötete.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:

      Das Wochenende des Helden geht vorbei. Die Neugier der Leser hoffentlich nicht.
      Avatar
      schrieb am 31.08.06 12:53:57
      Beitrag Nr. 20 ()
      10.

      Das war sie. Niemand sonst konnte so hübsch â??Halloâ?? sagen. Nicht einmal die Synchronsprecher in Kino-Zeichentrickfilmen für Kinder kriegten das so niedlich hin.
      Sie hatte genau das, was er sich am meisten wünschte!
      Schon als Sechsjähriger hatte er davon geträumt, so dicke Arme zu haben. Wie Herkules, richtige dicke Keulen. Und dann dieser Nacken. Dafür hatte er immer wieder stundenlang spezielle �bungen gemacht und doch nie etwas anderes als Kopfschmerzen damit erzielt. Er wollte Deltamuskeln, mit denen es so aussah, als hätte er überhaupt keine Hals. Nichts lie� einen Mann so bullig erscheinen.
      Oder eine Frau.
      â??Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht ganz deinem Schönheitsideal entsprecheâ??, sagte sie in süÃ?em Ton. â??Oder?â??
      Er begriff, wie sie es schaffte, sich so anzuhören. Sie begann immer erst zu sprechen, nachdem sie schon alle Luft aus den Lungen gepresst hatte. Wenn sie etwas sagen wollte, machte sie Hamsterbäckchen und sparte sich da genau so viel Luft auf, dass sie damit einen kurzen Satz fiepen konnte, der dann keinen Hinweis mehr auf ihr tatsächlichen stimmliches und auch sonstiges Volumen gab.
      â??Wieso?â??, fragte er.
      Das konnte man(n) immer fragen. Auch wenn die Denkfunktionen gerade voll damit ausgelastet waren, die ewige Entscheidung â??Kampf oder Fluchtâ?? abzuwägen.
      â??Wie du schon guckst!â??
      Er atmete tief durch. Ein Mann, ein Wort. Er hatte versprochen, sie zu besuchen und dann musste er das auch tun und reingehen.
      â??Das sind nur Indizien. Die trügen, wie immer. Mir tun nur vom Treppensteigen die Knie weh.â??
      â??Mir tun immer die Knie wehâ??, sagte sie. â??Komm rein.â??
      Sie drehte sich um. Einen kurzen Moment sah er sie von der Seite. Im wesentlichen änderte das nichts. Er konnte seinen Blick weiterhin kaum von ihr abwenden. Sie war zu gro�, um an ihr vorbei zu gucken.
      "Kommm schon", sagte sie. "Sonst wird der Kaffee kalt!"
      â??Allons-yâ??, sagte er.


      Fortsetzung folgt

      Vorschau: Der Thread knackt die Marke von 1000 Klicks. Früher oder später.
      Avatar
      schrieb am 01.09.06 10:25:52
      Beitrag Nr. 21 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 23.591.702 von Wolfsbane am 24.08.06 12:08:1811.
      Als sie vor ihm ging, starrte er auf ihre ausgestellten Ellenbogen. Wenn das alles Muskeln gewesen wären, hätte er sie für „Anna Bolika“ persönlich gehalten.
      „Setz dich“, sagte sie schließlich und deutete auf drei kleine Sofas, die um einen kleinen Tisch herum standen. „Wie willst du deinen Kaffee?“
      „Mit etwas, aber wirklich nur etwas Milch.“
      „Kein Zucker?“
      „Nö.“
      „Süßstoff?“
      „Nö, nur Milch.“
      „Entschuldige, dass ich gefragt habe!“, keifte sie ihn an und drehte sich zu ihm um.
      Wenn er sich so erschrak, wie es jetzt der Fall war, nahm er normalerweise unwillkürlich die Arme hoch und ging instinktiv zumindest ansatzweise in Kampfstellung, aber zum Glück passierte ihm das diesmal nicht. Er guckte nur zur Tür und drehte sich mit voll angespannten Beinmuskeln in diese Richtung, ehe es ihm bewusst wurde.
      „Ach ja, wir leben gesund!“, sagte sie verächtlich. „Setz dich!“
      „Am Telefon warst du netter“, stellte er fest.
      „Aber ich habe dir trotzdem gesagt, dass ich nicht ganz deinem Schönheitsideal entspreche!“
      „Richtig.“ Er nickte. „Ich erinnere mich. Du hattest nach meiner letzten Freundin gefragt und ich hatte dir erzählt, dass sie sehr sportlich war...“
      „.. und lange Haare bis fast auf den Hintern hatte...“ sagte sie stöhnend.
      Es klang, als wenn einem Reifen Luft entwich.
      „Und welche Frau ist schon so“, sagte er.
      „Und warum hast du dich dann von ihr getrennt?“
      „Sie war zickig“, erinnerte er.
      „Das bin ich auch!“, sagte sie mit einem breiten Grinsen, das man auch in ihrer Stimme hörte. Da war es wieder, dieses umwerfende Telefonlächeln, das sich so anhörte, als würde ein nettes Mädchen so breit von einem Ohr zum anderen grinsen, wie es eigentlich nur Trickfilm-Figuren konnten.
      „Immerhin, dann bin ich ja doch nicht ganz anders!“, gröhlte sie.
      Er fiel in das Sofa hinter ihm.
      „Als du sagtest, dass du 130 Kilo wiegst, dachte ich, dass du Scherze machst“, sagte er.
      Manche Frauen, die im Internet chatteten, behaupteten sogar plötzlich, sie seien Männer, also „Fakes“, wenn sie einen überflüssig gewordenen Verehrer schnell loswerden wollten.
      „Das war ja auch ein Scherz“, rief sie und ließ ein wieherndes Lachen folgen. „In Wirklichkeit sind es 160 Kilo! Aber ich habe mich lange nicht mehr gewogen und inzwischen könnten es auch 180 sein!“
      Ihre Wohnung gefiel ihm besser als seine eigene. Sie war viel größer. Aber die Gute brauchte schließlich auch mehr Platz.
      „Entzückend“, sagte höflich. „Aber am Telefon klingst du anders...“
      „Blödsinn“, rief sie aus der Küche, wo sie sich zwischen Dachschräge und Kochnische gezwängt hatte. „Alle Frauen, die so klingen, haben Rubens-Figuren! Ich arbeite in einem Call-Center! Die Kolleginnen, die eine schöne Stimme und entsprechenden Erfolg haben, sehen alle wie ich aus! Nur dann hat man den richtigen Klangkörper! Gute Opernsängerinnen sind auch immer dick!“
      „Meine neue Chefin ist sehr schlank“, sagte er.
      Sie kehrte mit zwei großen Tassen, die in ihren Händen aber eigentlich nicht so groß aussahen, aus der Küche zurück.
      „So ein Vorzeige-Püppchen haben wir natürlich auch... um Auftraggeber zu becircen und...“
      Sie reichte ihm den Kaffee.
      „... um Naivlinge wie dich anzulocken!“

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul stellt fest, dass tatsächlich die größten Telefon-Agentinnen die mit Abstand größten Erfolge haben. Aber vorher werden er und die Verführerin aus dem Internet noch dicke Freunde!
      Avatar
      schrieb am 04.09.06 11:09:50
      Beitrag Nr. 22 ()
      12.

      Es machte ihr sichtlich Spaß, Jean Paul zu schockieren. Es war so sichtlich, dass er sogar er selbst es merkte, obwohl er etwas blöd war und seine Intelligenz eigentlich nur zum Vorschein kam, wenn es darum ging, irgendwo ungestört ganz allein ein Buch möglichst schnell durchzulesen oder durch stundenlanges Experimentieren die Schwächen eines PC-Schachprogramms herauszuzufinden.
      „Ich bin nicht naiv“, sagte er tapfer.
      Einen Moment dachte er, dass er ohnmächtig werden würde, weil es um ihn herum dunkler wurde. Das erschreckte ihn umso mehr, da er bisher keinerlei warnende Anzeichen von aufkommender Schwäche verspürt hatte.
      Er nahm vorsichtig den Kaffee entgegen.
      Sie richtete sich wieder auf und ging zum Fenster.
      Die Dunkelheit war weg.
      Die Erkenntnis, dass es ihr großer Schatten gewesen war, der seine Sicht verdunkelt hatte, beruhigte ihn nicht wirklich.
      „Du guckst nicht so, als wenn du Sex mit mir willst!“, sagte sie schmollend mit ihrer unnachahmlich süßen Stimme.
      Einen Moment sah er vor seinem inneren Auge wieder das gewohnte Bild von ihr vor sich. Jenes Bild, das überhaupt nicht der Wirklichkeit entsprach.
      „Ich wusste doch gleich, dass du schwul bist!“
      Sie stellte sich jetzt vor das Fenster. Nun wurde es noch dunkler als vorhin. Er wollte etwas sagen, aber er konnte nur husten. Es kratzte in seiner Kehle. Er schüttete sich Kaffee in den Hals.
      „Der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist der, dass Frauen einen höheren Fettanteil haben. Umso dicker eine Frau ist, umso schöner ist sie. Aber heutzutage sind ja alle Männer schwul! Stehen nur noch auf magere alte Mädchen, die sich über ihre Knabenkörper die gleichen Klamotten und Frisuren stülpen, wie die Tunten in den Hardrock-Bands!“
      Ihre Stimme klang nun schrill.
      Er vermied weiter, sie anzusehen. Er trank weiter, um eine Ausrede zu haben, seinen Mund nicht zum Sprechen benutzen zu müssen.
      „Das kommt alles durch die Umweltverschmutzung und Konservendosen“, erklärte sie. „In der Luft, im Wasser und in dem Blech von Konservendosen sind lauter Stoffe, die wie Östrogene wirken und durch die die Männer alle immer weibischer werden!“
      Die Tasse war leer. Er tat so, als sei noch etwas drin, aber er merkte selbst, dass das nicht überzeugend war. Er taugte nicht zum Schauspieler. Vielleicht konnte er das als Beweis anführen, dass er doch nicht schwul war. Aber vielleicht war es in dieser Situation doch besser, wenn sie ihn dafür hielt.
      Ein erneuter Hustenanfall rettete ihn über die Runden.
      Und nun hatte er plötzlich eine Vision.
      Hübsche, spärlich bekleidete Frauen zogen an ihm vorbei. Sie paradierten vor einem riesigen Fenster und strebten zum Eingang des Büros, in dem er saß.
      Am Montag, also in knapp zwei Tagen, würde er das erleben. Das kann ich dem Leser an dieser Stelle schon versprechen. Ganze Kolonnen von jungen, barfüßigen Frauen.
      Aber erst musste er sich irgendwie von der Verführerin aus dem Internet lösen.
      „Vorhin habe ich etwas übertrieben“, sagte sie.
      „Aha“, stieß er in der Hoffnung hervor, damit nicht zuviel gesagt zu haben.
      „Ich meine, mit dem, was ich über das Call-Center sagte. Im Inbound sind auch dünne Frauen. Da muss man sich schließlich nur anschnauzen lassen und die Magersüchtigen sind Leiden gewohnt. Ich meine, ständig Hunger und deswegen Schuldgefühle zu haben und sich in enge Kleider quetschen, um da irgendwann reinzuschrumpfen und dann immer die beißende Galle im Hals beim Abkotzen auf dem Klo nach jeder Mahlzeit... He, du kannst dir ruhig ein paar Chips nehmen!“
      „Danke...“
      „Ich dachte nur, weil du da so draufstarrst.“
      Er starrte tatsächlich auf den Tisch, aber nur, um nicht aus Versehen auf ihre großen nackten Füße oder ihre massiven Unterschenkel zu glotzen.
      „Ich war gerade in Gedanken. Ich habe morgen noch viel zu erledigen. Ich muss heute früh nach Hause.“
      „Wirklich? Guck mal was ich hier habe. Vielleicht macht das dich scharf!“
      Sie griff unter das Sofa und zog ein langes, schwarzes Teil hervor.
      „Mailorder!“, prustete sie vergnügt. „Noch unbenutzt und jungfräulich!“
      Er hatte noch nie eine zwei Meter lange Reitpeitsche gesehen.
      „Noch!“, kreischte sie euphorisch.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Held entkommt, beinahe unbeschädigt. Der Autor erfüllt sein Versprechen an den Leser.
      Avatar
      schrieb am 04.09.06 11:45:45
      Beitrag Nr. 23 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 23.754.068 von Wolfsbane am 04.09.06 11:09:50Einfach super !
      Schade, dass es pro Tag nur einen teil gibt :(
      Avatar
      schrieb am 04.09.06 21:03:48
      Beitrag Nr. 24 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 23.754.468 von immer_runter am 04.09.06 11:45:45Pssssssssssst! Ganz leise und bitte nicht quengeln.
      Es gab für die Fangemeinde nämlich schon wesentlich längere Phasen des Entzugs. ;)
      Avatar
      schrieb am 05.09.06 10:40:38
      Beitrag Nr. 25 ()
      @ immer_runter

      Heute gibt es ausnahmsweise zwei Kapitel!

      ;)

      @ unlocker

      Zu diesem Thema fällt mir das Schreiben zum Glück leichter!

      :)
      Avatar
      schrieb am 05.09.06 10:41:56
      Beitrag Nr. 26 ()
      13.

      „Was willst du damit?“, fragte er bange.
      Sie grinste nur noch breiter.
      „Sprich!“
      „Damit verhaue ich dich!“
      Er räusperte sich und bekam einen roten Kopf. Seine Muskeln begannen zu zucken und machten sich warm. Der Alarmzustand seines Körpers und die damit verbundene erhöhte Anspannung ließen auf seiner Stirn ein erstes Schweißtröpfchen entstehen.
      Sie lachte schallend.
      „Nein, Quatsch!“ Ihr Lachen verwandelte sich in ein manisches Kichern. „Ich bin noch für alles offen!“
      Er überlegte fieberhaft. Zum Glück hatte er sein altes Handy in der Hosentasche. Da musste man nicht erst ins Menü gehen und die Lautstärke per Software einzustellen, um ein Klingeln zu erzeugen. Wenn er geschwind danach griff und gleichzeitig auf den Regler für die Lautstärkeeinstellung drückte, konnte er einen dringenden Anruf vortäuschen.
      Es bedurfte nur der Schnelligkeit und Kaltblütigkeit eines Revolverhelden.
      „Was ist jetzt?“, fragte sie ungeduldig.
      „Ich habe Migräne“, sagte er und wischte sich zwei Schweißtröpfchen von der Stirn.
      Ihr Kätzchen, von dem sie ihm so oft am Telefon erzählt hatte, kam zu ihr geschlichen und miaute. Sie kraulte es mit ihren Zehen am Kopf. Jean Paul bemerkte, dass das Kätzchen kleiner als der Fuß war und trotzdem keine Angst hatte.
      „Oh nein!“, kreischte sie, als es an der Tür klingelte. Sie sah dem fliehenden Kätzchen nach, versteckte die Gerte wieder unter dem Sofa und ging zur Tür.
      „Was willst du denn hier? Ich dachte, du bist im Krankenhaus!“, hörte er sie schreien.
      „Die Operation ist verschoben worden“, antwortete eine sensibel klingende Männerstimme.
      „Dann komm rein“, sagte sie. „Kriegst einen Kaffee. Ich habe gerade Besuch, aber wahrscheinlich ist das auch egal. Vielleicht ist das eher was für dich.“
      Sie kam aus dem Flur in die Wohnung zurück und marschierte schweigend in die Küche.
      Ein sehr schlanker Mann mit blond gefärbten Stoppelhaaren und angemalten Augenbrauen kam ihr nach und setzte sich in eines der beiden freien Sofas.
      „Weg!“, schrie sie.
      Er zuckte hoch und verließ das Sofa, in dem sie soeben selbst gesessen hatte. Einen Moment guckte er auf das Sofa, in dem Jean Paul saß, aber der rückte zur Mitte und knurrte. Zögernd bezog der andere Mann den dritten Sitzplatz.
      „Howdy“, sagte Jean Paul.
      Gegenüber Männern, bei denen er nicht sicher war, ob sie nicht vielleicht schwul sein konnten, hatte er immer den unwiderstehlichen Drang, sich wie ein Cowboy aufzuführen. Hoffentlich war das normal!
      „Ich will nichts von dir“, sagte der Fremde, „ich gucke nur so, weil ich sehr krank bin.“
      „Ich dachte, das sieht man heutzutage nicht mehr als Krankheit, sondern als alternative Lebensform“, sagte Jean Paul, der in einem Appartment lebte und zwei bekennende Schwule als direkte Nachbarn hatte und von deren krawalligen Diskussionen, Prügeleien und anderen, noch lauteren Zweisamkeiten des öfteren mitten in der Nacht aus den schönsten Träumen und zurück in die Männerwelt gerissen wurde.
      „Ja, aber ich bin wirklich krank.“
      Jean Paul hasste es, wenn Leute ihm gleich bei der ersten Begegnung von allen ihren Krankheiten erzählten. Dann schwor er sich jedesmal, dass er niemals einem Seniorenheim enden würde, was zum Glück für einen deutschen Autofahrer, der regelmäßig deutsche Autobahnen benutzen musste, sowieso sehr unwahrscheinlich war.
      „Ich wünsche dir gute Besserung.“
      Kaum hatte er es ausgesprochen, da fiel ihm auf, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er konnte einen Schwulen nicht einfach duzen. Das konnte man ihm als Diskriminierung von Minderheiten auslegen.
      „Das reicht nicht. Ich habe Darmkrebs. Ich bin zu spät zum Arzt gegangen. Der Tumor ist schon sehr, sehr groß und nach Schätzungen der Ärzte ungefähr drei Pfund schwer.“
      Jean Paul sah zum Fenster.
      Sein Auto stand direkt darunter.
      Wahrscheinlich würde er auf dem Dach landen. Da waren sowieso schon Beulen drin.
      „Drei Pfund! Oder noch mehr! Das muss man sich mal vorstellen!“
      Sie kam mit drei Tassen Kaffe in den Fäusten aus der Küche und verteilte zwei davon an ihre beiden Besucher. Dann setzte sie sich.
      „Drei Pfund? Hattest du nicht vier Pfund gesagt?“
      „Nein, dreieinhalb“, sagte der Fremde.
      „Und?“ fragte sie mit weit geöffneten, neugierigen Augen.
      „Was, und?“
      Jean Paul trank schweigend seinen Kaffee.
      „Hast du schon entbunden?“, fragte sie mit staunendem Blick.
      Jean Paul versprühte den Kaffee quer über den Tisch.
      Das Fenster war verschlossen.
      Er nahm den längeren Weg durch die Tür.
      Avatar
      schrieb am 05.09.06 10:43:47
      Beitrag Nr. 27 ()
      14.

      Als er am Montag zur Arbeit kam, sah seine Chefin ihn zunächst fragend und dann prüfend an. Ihm fiel auf, wie klein sie war. Sie gehörte zu den Frauen, die immer den Arm ganz nach oben austreckten, wenn sie aus einer Menge heraus winkten und gesehen werden wollten.
      „Da drüben ist ihr Arbeitsplatz. Ihr Teamleiter kommt gleich“, sagte sie.
      „Okay.“
      „Hatten sie ein schweres Wochenende?“
      Ihre Stimme klang genauso hübsch wie die von seiner Internet-Bekanntschaft. Bei einem guten Telefon musste das eigentlich auch fernmündlich genauso schön rüberkommen.
      „Na?“
      „Nein. Äh, ja, aber das war nicht der Grund, also das kam erst hinterher und sollte auch nur helfen und...“
      „Wie bitte? Auf Deutsch?“
      „Also, ich stehe sozusagen immer noch gewissermaßen mehr oder weniger im Großen und Ganzen...“
      „Bitte zur Sache?“
      „... unter Schock!“
      „Das merkt man.“
      Diesmal trug sie einen Rock.
      Hübsche Knie.
      Sie hatte da so kleine Grübchen, wenn man genau hinsah. Knie waren genauso individuell und eindeutig unterscheidbar wie Fingerabdrücke, wenn man sich damit einmal näher befasste.
      „Hallo! Nicht träumen!“
      „Also, wie ich wohl schon sagte, ich bin am Wochenende geschockt worden. Ich kannte da eine Frau aus dem Internet...“
      Die Chefin versuchte ein Kichern zu unterdrücken.
      „... und die hatte so eine süße Stimme, aber dann traf ich sie in echt und ich habe ich mich fast zu Tode erschreckt und zuerst wollte ich glatt weglaufen.“
      „Na und?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Warum überrascht sie das?“, fragte sie kopfschüttelnd
      Diese Knie. Niedlich! Selbst wenn sie sie dazu benutzen würde, ihm voll in die...
      „Das ist doch bei ihnen genauso!“, sagte sie im Weggehen.
      Für eine Frau, die oft High Heels trug, hatte sie erstaunlich gut entwickelte, volle Waden. Aber bei einer solchen Frau sprach man(n) wohl eher von schönen „Fesseln“.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Was man alles Telefon-Agent alles zu hören kriegt.
      „Schulmädchen am Telefon“-Report
      Sommer
      "Kontospringer"
      Avatar
      schrieb am 06.09.06 13:10:35
      Beitrag Nr. 28 ()
      15.

      Jean Paul sah sich die Arbeitsplätze an. Der lange Tisch war in acht Kabinen unterteilt. An jedem Platz gab es ein normal aussehendes Telefon und ein fest damit verbundenes Headset. Außerdem lagen überall Listen mit Telefonnummern und Formulare. Manche Kabinen waren von innen mit persönlichen Fotos oder Postkarten beklebt. Er suchte sich einen neutralen Arbeitsplatz. Und er fragte sich, wie seine Internet-Bekanntschaft in eine solche Kabine passte. Wahrscheinlich nur schlecht. Das gab ihm einen Hinweis darauf, warum sie immer extrem gereizt war, wenn sie gerade direkt von der Arbeit kam.
      Er guckte nach seiner Chefin und sah sie durch die Glaswand.
      Sie telefonierte und wirkte hinter dem riesigen Schreibtisch noch zierlicher und -ich zitiere nur die Gedanken von Jean Paul- besonders „knuffig“.
      Er war ihr nicht mehr böse, dass sie ihn lediglich als Praktikanten genommen hatte und ihm auch nur drei Tage gab, sich zu bewähren. Am Vortag hatte er sich telefonisch bei seinen Bekannte umgehört und dabei erfahren, dass sie mit den Lohnzahlungen schon mehrere Monate im Rückstand war, kaum noch Geld hatte und dieses Call-Center womöglich ohnehin nur noch drei Tage existierte. Hier konnte er also höchstens Erfahrung gewinnen, aber das brauchte er tatsächlich am dringendsten.
      In gewisser Weise besaß er schon Erfahrungen bezüglich Telefonverkauf. Während der Umschulung zum Industriekaufmann hatte er ein Praktikum bei einem Hersteller technischer Teile absolviert und war dort ein halbes Jahr der Spezialist für Internetrecherchen gewesen. In dieser Funktion hatte er auch fleißig Telefonnummern potentieller Abnehmer im Inland und Ausland ermittelt, damit die Vertreter sich Termine beschaffen konnten und der sich bereits im Rentenalter befindliche Experte für Auslandsverkauf auch etwas zum Abtelefonieren kriegte.
      Jean Paul wollte nicht auf Dauer in einem Call-Center arbeiten. Er wollte nur eine Bescheinigung, dass man ihn auf Kunden loslassen durfte. Nach seinem Eindruck gab es nämlich bei den Arbeitgebern für Industriekaufleute ein Zwei-Klassen-System. Erstens die reinen „Sachbearbeiter“, die nur innerhalb des Betriebes kommunizieren durften und oft auch nur angelernt waren und zweitens diejenigen, die auch nach draußen kommunizieren, im Namen des Betriebes mit Geschäftspartnern verhandeln und eigene Vor-Ort-Termine vergeben durften. Letztere trugen natürlich viel mehr Verantwortung und konnten sich durch den Aufbau persönlicher Beziehungen unersetzlich machen.
      Er sah sich die Listen genauer an. Sie sahen aus, als wären sie mit Excel erstellt worden. Es war immer die gleiche Telefonnummer, nur jedesmal mit einer ganz anderen Vorwahl.
      Dann kam der Teamleiter herein. Ein Zwei-Meter-Mann. Bei Jean Paul aktivierte sich reflexartig der Teil des Gehirns, der bei Jungs spätestens nach dem zwölften Lebensjahr voll ausgeprägt ist und für das Überleben auf dem Schulhof sorgt. Der Schulhofrechner in seinem Hinterkopf funkte sofort Daten: Größer als Du, zu lange Arme, damit überlegene Reichweite, nicht boxen, sonst Nase platt, nicht packen lassen, sonst aus, zu schwer zum Werfen, immer in Bewegung bleiben und mit Oberkörper pendeln, Beine einsetzen, Lowkicks möglich, geduckt bleiben und Knie angreifen oder Fußfeger oder nach Hilfsmitteln suchen, Überrumpeln und zu-Fall-Bringen durch "Mad Rush" nur möglich, wenn Hindernisse hinter ihm auftauchen, die ihn beim Zurückweichen zum Stolpern bringen...
      Sie gaben sich die Hand.
      Jean Pauls Schulhof-Rechner stellte sich wieder in Standby-Modus.
      Keine Gefahr.
      "Hallo" oder so sagte der Vorgesetzte.
      Jean Paul wurde abgelenkt, weil er aus den Augenwinkeln eine sommerlich leicht bekleidete langhaarige Frau vor dem großen Fenster stehenbleiben sah. Diese Fenster waren wirklich mächtig groß. Wahrscheinlich war diese Gebäude am Außenrand der Fußgängerzone ursprünglich ein Kaufhaus gewesen. Hier bekam man die Passanten wie im Kino-Breiwand-Format präsentiert.
      Die junge Frau studiert das Plakat, das neben dem Eingang prangte.
      Hier stand die Frage, nach der Jean Paul sein Leben lang gesucht hatte.
      Die Frage, bei der KEINE Frau "Nein" sagen konnte... !!!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Verfasser versucht seinen Bus noch zu kriegen!
      Avatar
      schrieb am 07.09.06 10:10:25
      Beitrag Nr. 29 ()
      16.

      „Telefonieren Sie gerne?“ lautete die Frage auf dem Rekrutierungsplakat neben dem Eingang des Call-Centers. Darunter war eine Frau abgebildet, dir einen Hut trug und mit nacktem Zeigefinger in Richtung Leser stocherte.
      Der Teamleiter setzte sich mit Blick nach draußen in die Ecke. Er forderte Jean Paul auf, in der Kabine daneben Platz zu nehmen. Dann gab er ihm ein Blatt mit der Gesprächsvorlage und einen Prospekt.
      „Das habe ich schon am Samstag bekommen“, sagte Jean Paul, der damit erneut seine Unfähigkeit im Umgang mit Vorgesetzten demonstrierte.
      „Gut. Einfach ablesen und bei Fragen im Prospekt nachschlagen oder mich fragen. Aber zuerst nur zuhören, wie ich da arbeite. Ich bin schon seit sieben Monaten hier und vor war ich ein Jahr bei NUMMER EINS.“
      Jean Paul erstarrte vor Ehrfurcht. Bei NUMMER EINS hätte er auch gern gearbeitet. Dort konnte er sich auch vorstellen, sein Leben lang zu telefonieren. Leider hatte er dort irgendwie den Einstellungstest versiebt. Vielleicht hatte er auch einfach beim persönlichen Gespräch zu oft oder zu intensiv auf die tatsächlich enorme Oberweite der Testleiterin gestarrt. Mit sehr vollbusigen Frauen hatte er immer viel Pech, obwohl er dann eigentlich immer extrem aufmerksam und ehrgeizig war. Im Geheimen hoffte er darauf, dass sein schlechtes Ergebnis irgendwann verjährt war und er sich dann noch einmal unter die Bewerber schmuggeln konnte und NUMMER EINS genau dann auch richtig knapp an Leuten war.
      Unser Held bemerkte gleich, dass der Vorgesetzte alles auswendig wusste, denn er guckte selbst bei seinen Telefonaten immer nach draußen, wo alle paar Minuten Frauen in sehr luftiger Kleidung vorbei kamen.
      Schließlich erschienen zwei Telefonistinnen zur Arbeit und wurden von ihm angewiesen, sich ihm gegenüber hinzusetzen.
      „Warum müssen hier eigentlich immer die Frauen mit dem Rücken zum Fenster sitzen und die Männer sitzen alle mit dem Rücken zur Wand und gucken die ganze Zeit nach draußen!“, klagte die ältere der beiden.
      „Das möchte ich auch gern wissen“, sagte die jüngere Frau schmunzelnd und ließ sich gegenüber von Jean Paul nieder.
      Beide waren etwas vollschlank, wogen aber eindeutig weniger als Jean Pauls Internet-Aphrodite. Auch wenn sie gemeinsam auf die Waage stiegen.
      Dann kam die jüngste Mitarbeiterin rein.
      Eine langhaarige, Leggins tragende Abiturientin mit Sport als Leistungsfach, die das Ganze nur als Ferienjob machte.
      Sie setzte sich neben die anderen Frauen.
      „Zum Anfassen zu schön“, dachte Jean Paul.
      Der Stuhl neben ihm bewegte sich, anscheinend von selbst.
      Ihr erstes Telefonat dauerte nur ein oder zwei Minuten. Sie meldete sich im Namen des Lottovertriebs und guckte dann verdutzt auf den Hörer.
      „Was ist passiert?“, fragte der Teamleiter.
      „Der hat gesagt, ich soll ihm einen bxxxn und hat dann gleich wieder aufgelegt.“
      „Den brauchst du nicht noch einmal anzurufen“, sagte der Teamleiter.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Das Phänomen mit dem Stuhl klärt sich auf. Jean Paul wird endgültig Insider. Der Leser auch.
      Avatar
      schrieb am 08.09.06 11:24:18
      Beitrag Nr. 30 ()
      18.

      „Warum rufen wir die Leute überhaupt an?“, fragte Jean Paul. „Wenn ich Lotto spielen will, brauche ich doch einfach nur zu nächsten Annahmestelle in meiner Stadt zu gehen. Davon gibt es selbst in unserem Kaff zwei und beide kenne ich sowieso, weil die auch die beste Auswahl an Zeitschriften besitzen. Dort muss ich doch nur ein Wort zu sagen.“
      „Schön und gut“, sagte der Teamleiter. „Aber nicht jeder hat eine Annahmestelle in der Nähe und kennt obendrein den Inhaber. Manche Leute haben Schwellenangst, wollen nicht erst weit fahren und dann vielleicht auch noch Schlange stehen und dabei öffentlich gesehen werden. Mit uns können sie sich bequem und diskret bei sich zu Hause im Wohnzimmer beraten lassen und beliebig viele Fragen stellen, ohne dass jemand hinter ihnen steht und drängelt.“
      „Hoppla“, sagte die Schülerin. „Da hat mich gerade einer angebrüllt, dass ich mir eine richtige Arbeit suchen soll, anstatt Leute zu betrügen...“
      „Mach einfach weiter“, sagte der Teamleiter.
      „Weiß der nicht, wie schwierig es ist, heutzutage einen Job zu finden? Wo soll ich denn hin?“
      „Telefoniere einfach weiter“, sagte der Teamleiter.
      Das war das einzige, was er zu solchen Geschichten sagen konnte. Entweder denselben Menschen noch einmal anrufen oder auf der Liste weitergehen. Mehr gab es nicht zu entscheiden.
      Jean Paul blätterte in dem Prospekt.
      „Haben die Kunden den auch?“, fragte er.
      „Die kriegen nur ein Anschreiben und eine Zusammenfassung“, antwortete der Teamleiter.
      „Kann ich davon ein Muster haben?“
      Der Teamleiter winkte ab.
      „Das lesen die sowieso nicht. Die meisten schmeißen alles an Werbung gleich ungeöffnet in den Müll. Und wenn es doch einer vorher liest, hat er es schon längst wieder vergessen, wenn wir anrufen.“
      „Aber wenn jemand behauptet, er hat keine vorbereitende Post von uns gekriegt und wir sollen ihm ein schriftliches Angebot schicken?“, fragte Jean Paul weiter.
      „Dann musst du davon ausgehen, dass er die Unwahrheit sagt und dich in Wirklichkeit nur abwimmeln will. Die meisten Leute lügen am Telefon!“, sagte der Teamleiter.
      Jean Paul vergaß, was er weiter fragen wollte, als der Stuhl neben ihm plötzlich nicht mehr nur wackelte, sondern umkippte. Die Schülerin, die ihm schräg gegenüber saß, bekam unter ihrer knackigen Bräune kurzfristig noch etwas mehr Farbe. „Entschuldigung“, sagte sie.
      Er stand auf und stellte den Stuhl wieder unter den Tisch.
      „Moment“, sagte sie. „Kann ich meine Füße da drauf legen? Das versuche ich schon die ganze Zeit!“
      Er war ihr behilflich und sie bedankte sich.
      Alle Telefon-Agenten waren nett. Danach wurden sie ausgesucht. Das war auch darum wichtig, weil ein Telefon-Agent während seiner Schicht manchmal keine einzige freundliche Stimme außer der seiner Kolleginnen oder Kollegen hört.
      „Wieder ein Kontospringer“, seufzte der Teamleiter.
      Die Kollegin, die Jean Paul gegenüber saß, bemerkte seinen fragenden Blick und erklärte: „Das ist einer, der erst ohne Ende Fragen hat und sich ausgiebig beraten lässt und dann auch will, aber sofort wieder einen Rückzieher macht, wenn er seine Kontoverbindung sagen soll.“
      „Seit Hartz IV hat es enorm zugenommen, dass die Leute an dieser Stelle abspringen“, sagte der Teamleiter.
      Jean Paul hörte ihm zu, während er von seiner jungen Kollegin abgelenkt wurde, die neben ihm mit den Zehen wackelte und der er dabei irgendwie immer wieder zumindest aus den Augenwinkeln zusehen musste.
      Jetzt lachte die Frau in der Ecke.
      Der Teamleiter guckte etwas ärgerlich, bis er den Grund erfuhr:
      „Da hat mich gerade eine andere Frau angeschrien, dass ich sie beim Sex gestört hätte!“
      „Und wenn es gut war, warum geht sie dann ans Telefon?“, fragte der Teamleiter.
      Auf manche Fragen wusste selbst ein Teamleiter keine Antworten!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul telefoniert endlich selbst. Aber er stört niemanden beim Sex und hat keine Schuld daran, dass die Deutschen aussterben.
      Avatar
      schrieb am 10.09.06 18:36:54
      Beitrag Nr. 31 ()
      19.

      Wenn mich Leute anrufen, um mir Lotto- oder Lotteriescheine zu verkaufen, sage ich wahrheitsgemäß, dass ich grundsätzlich nicht spiele und lehne alle entsprechenden Angebote ab. Ein guter Telefon-Agent wird die Weltanschauung und Prinzipien des Kunden respektieren und sich dann höflich verabschieden. Ein guter Telefon-Agent ist zum Beispiel jemand, der bei NUMMER EINS ausgebildet und übernommen wurde. Aber natürlich hat NUMMER EINS es überhaupt nicht nötig, für Glücksspiele zu werben. Das tun höchsten ehemalige NUMMER EINS-Mitarbeiter, die einem auf diese Weise auch gleich erklären, warum sie dort nur Eintagsfliegen waren.
      Da ich irgendwann in meiner Jugend so unvorsichtig war, mir beim Verlassen eines Supermarktes ein kostenloses Probeexemplar einer Tageszeitung aufschwatzen zu lassen und dafür meinen Namen auf eine Karte zu schreiben, werde ich allerdings hauptsächlich von Leuten angerufen, die mir ein Abo verkaufen wollen. Ungefähr zweimal pro Woche habe ich jemandem mit diesem Anliegen am Telefon. Wenn ich mehr zu Hause bin, natürlich öfter. Manchmal auch zweimal am Tag, bisweilen von zwei Leuten innerhalb von zehn Minuten. Eines Tages wurde ich beim Abheben regelrecht angeschnauzt: „Ich rufe Sie an, weil Sie IMMER NOCH keine Zeitung von uns abonniert haben!!!“ Seitdem kommt es häufig vor, dass ich sofort auflege, wenn ich gleich höre, dass ich schon wieder eine Zeitung abonnieren soll. Manchmal ziehe ich dann den Stecker vom Telefon raus. Wenn ich mindestens 15 Minuten warte, ehe ich das Telefon wieder anschließe, habe ich gewöhnlich den Rest des Tages vor diesem Agenten Ruhe.
      Noch überflüssiger sind die Anrufe, die mich Sonntag mittag oder in der Woche morgens um ein Uhr erreichen und bei denen ich dann eine Bandansage vorgespielt bekomme, die mir von irgendwelchen dubiosen Gutscheinen erzählt, für die ich die Sterntaste drücken soll, um mich irgendwo einzuwählen und für die Herstellung dieser Verbindung später mit einer dreistelligen Rechnung überrascht zu werden. In solchen Fällen ertappe ich mich regelmäßig dabei, dass meine Ablehnung der Todesstrafe plötzlich ins Wanken gerät.
      Telefoniere ich mit einer Firma, bei der ich bereits Kunde bin, sieht die ganze Sache natürlich ganz anders aus. Dann höre ich mir immer an, was für Fragen oder Angebote kommen.
      Leider gehören nur wenige Werbeanrufe in diese Kategorie.
      Jean Paul sah dieses Thema inzwischen längst aus einer anderen Perspektive. Er wollte jetzt ganz unten anfangen und sich nach und nach hocharbeiten. Wenn man Lotto und Lotterie an verkaufen konnte, dann konnte man alles verkaufen. Mit etwas Glück saß er dann auch irgendwann auf einem Posten, von dem aus er nur noch einen lächerlichen Bruchteil der Anrufe machen musste, die von einem normalen Telefon-Agenten gefordert wurden und schon mit wenigen Anrufen bei einigen reichen Geschäftskunden imposant zum Umsatz einer richtigen Firma beitrug.
      Die Methode „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ funktionierte leider nicht mehr. Inzwischen musste man noch tiefer anfangen. Zum Beispiel als Telefonverkäufer mit einem Grundlohn von vier Euro, was weit unter dem lag, was viele Tellerwäscher verdienten.
      Und darum fing Jean Paul schon am ersten Tag an, selbst zu telefonieren. Bei seinem allerersten Anruf kamen sofort zwei gute Fragen: „Sind sie wirklich von der Lotto-Zentrale? Und habe ich schon gewonnen?“

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul lernt einen absoluten Top-Verkäufer und dessen Methode kennen!
      Avatar
      schrieb am 11.09.06 11:20:19
      Beitrag Nr. 32 ()
      20.

      Mittlerweile war es um Jean Paul herum so laut, dass er nicht einmal mehr seine eigene Stimme hörte. Dann konnten die anderen ihn auch nicht hören. Also fühlte er sich absolut unbeobachtet und das gab ihm ein vages Gefühl von Sicherheit.
      Wenn die Angerufenen nicht wollten, dann wollten sie nicht und argumentierten auch nicht. Wenn sie vielleicht oder auch nicht, oder vielleicht doch und dann auch wieder doch lieber nicht wollten, sprangen sie ihm nur umso schneller ab, umso sachlicher und ruhiger ihre Einwände widerlegte.
      Die anderen Telefonisten waren auch nicht erfolgreich. Er hörte den Teamleiter immer wieder sagen: „Es ist schade, dass sie die Qualität dieses Angebots nicht zu schätzen wissen!“
      Am schnellsten wurde immer die enorm niedliche Schülerin abgefertigt, die sich mindestens genauso nett anhörte, wie sie auch aussah. Männliche Gesprächspartner reagierten unverschämt und vulgär und weibliche Gesprächspartner lieferten Paradebeispiele von „Stutenbissigkeit“. Diese kleine Fee einfach auf irgendwelche menschlich wie bildungsmäßig völlig unbelatesteten Individuen loszulassen, verstieß krass gegen die biblische Regel, keine Perlen vor die Säue zu werfen.
      Die älteren und stämmigeren Kolleginnen klangen ähnlich nett, doch gleichzeitig ungleich mächtiger. Sie sprachen auf eine Weise, die jedem Mann zunächst einmal Angst machte und jeder Frau signalisierte, dass sich hier eine potentielle Verbündete anbot. Jeder Mann wurde durch ihre Art der Sanftheit sofort an seine schlimmste Niederlage erinnert, also an seine Schwiegermutter, verräterische eigene Mutter oder Ex-Frau. Da ging jeder Mann zuerst in die Defensive und hörte zu. Die Stimme eines wirklich netten jungen Mädchens hingegen erzeugte höchstens Geilheit und da die meisten Männer totale Loser waren, war das Gefühl sexueller Erregung bei ihnen untrennbar mit Frustration und weckte den Wunsch nach sofortiger Rache und anschließendem Onanieren. Das half nur entsprechenden SM-Seiten im Internet zum Erfolg. Darum hatte die Schülerin nur eine Chance, wenn sie an ihresgleichen oder einen Mann alter Schule geriet. Altmodische Männer, die oft noch mit Schwestern aufgewachsen waren und zu richtigen Männern erzogen worden waren, besaßen Beschützerinstinkte. Moderne Männer waren meistens als Einzelkinder aufgewachsen und hatten seit den späten sechziger Jahren genug damit zu tun, sich selbst so gut wie möglich zu schützen.
      Schließlich traf der Star-Verkäufer der Truppe ein. Als Jean Paul die Blicke sah, mit denen die Frauen ihn empfingen, wurde er sofort eifersüchtig.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Da der Autor bereits hinter den schon gemachten Versprechungen hinterherhinkt, gilt noch die zurückliegende Vorschau!
      Avatar
      schrieb am 12.09.06 10:38:07
      Beitrag Nr. 33 ()
      21.

      Jean Paul konnte sich nie merken, wie der Top-Verkäufer aussah. Wenn er später an dieses Call-Center zurückdachte, fiel ihm zu diesem Agenten nur ein, wie die Frauen ihn angesehen und welches Lächeln die Chefin ihm geschenkt hatte.
      Das Verkaufsgenie klebte ein neues Foto an die Glaswand vor ihm. Es war ein Bild von einem Baby.
      Der Teamleiter verrenkte sich, um es zu sehen.
      Dann runzelte er die Stirn und stellte eine Frage.
      „Wie schaffst du es, morgens um diese Zeit so ausgeschlafen zu sein? Als meine Kleine in dem Alter war, hat sie jede Nacht mindestens einmal geschrien und dann war es mit meinem Schlaf vorbei.“
      Der andere Telefonist sah ihn ernst an.
      „Ich habe ein Problem!“, gestand er.
      „Was für ein Problem?“, fragte der Teamleiter.
      „Ich kann nicht stillen!“
      Die drei Frauen sahen ihn überrascht an.
      „Ja, und dann kann ich auch liegen bleiben und weiter schlafen!“, setzte der Verkäufer fort.
      Die Frauen seufzten.
      Jean Paul versuchte sich auf sein Telefonat zu konzentrieren.
      „Wir sind schon alt und brauchen nichts mehr“, sagte eine gebrechlich klingende Dame zu ihm. Ein Satz, den jeder Telefon-Agent früher oder weniger früh zu hören kriegt.
      „Dann denken sie doch an ihre Enkel“, sagte er.
      „Die denken doch auch nicht an mich. Muss ich wirklich erst im Lotto gewinnen, damit sie mich wieder besuchen? Diesen Gedanken finde ich zu deprimierend. Danke, Nein.“
      Und wieder wusste er nicht weiter.
      Dann legte der Topverkäufer zwei Plätze neben ihm los. Er fragte am Telefon jeden, ob er die TV-Show von Hernando Guano kannte. Unter den Lotto-Spielern wurden Zuschauerkarten verlost. Dann beschrieb er die Ausstattung im Studio und die Unterbringung im Hotel und dergleichen mehr in allen Einzelheiten.
      Anders als Jean Paul ließ er sich auf keinerlei Diskussion ein. Er malte einfach mit Worten ein Bild. Die Wahrscheinlichkeit, dass das, was er schilderte, für seine Zuhörer real wurde, war verschwindend gering, aber er löste dieses Problem wie ein professioneller Schriftsteller. Er machte das Unwahrscheinliche glaubhaft, indem er einfach immer mehr Details hinzufügte.
      Jean Paul fragte sich, warum er überhaupt hier arbeitete, anstatt sich einfach ein Los zu kaufen und unausweichlich Millionär zu werden.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul spielt Lotto, gewinnt, wird reich, kauft das Call-Center und wird noch reicher und alle leben glücklich und zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute!
      Avatar
      schrieb am 13.09.06 12:11:11
      Beitrag Nr. 34 ()
      22. Jean Paul fand es blöd, den Leuten etwas anzupreisen, das sie sowieso nicht bekommen würden und obendrein den ihm unsympathischen Hernando Guano anzupreisen. Also versuchte er es auf seine Weise.
      Mit Argumenten.
      Kurz vor Mittag redete er zum Beispiel wieder mit einem älteren Herrn.
      „Näh, ich will kein Lotto, weil ich schon seit dreißig Jahren woanders spiele und da noch nie etwas gewonnen habe!“
      „Dann versuchen sie es doch einmal bei uns. Es kann doch nur besser werden.“
      „Näh.“
      „Vielleicht gewinnen sie dann mal!“
      „Näh...“
      „Ich würde es ihnen gönnen!“
      „Näh... näh... näh...“
      „Doch, ich würde es ihnen gönnen.“
      „Dafür habe ich kein Geld!“
      „Aber sie spielen doch sowieso schon anderswo. Das kostet doch auch Geld.“
      „Ja, da will ich auch bleiben. Bin da schon seit dreißig Jahren!.“
      „Aber da haben sie doch noch nie gewonnen.“
      „Ja, stimmt, also eigentlich will ich überhaupt nicht mehr spielen!“
      „Okay, dann hören sie doch mit dem anderen auf, wo sie sowieso nicht gewinnen und versuchen einmal etwas anderes...“
      „Näh... Das andere mache ich ja schon seit dreißig Jahren!“
      „Aber da haben sie doch noch nie gewonnen, sagen sie!“
      „Ja, darum will ich ja überhaupt nicht mehr spielen!“
      „Warum wechseln sie denn nicht einfach mal das System?“
      „Näh... Das andere mache ich ja schon seit dreißig Jahren!“
      „Aber da haben sie doch noch nie gewonnen, sagen sie!“
      „Ja, darum will ich ja überhaupt nicht mehr spielen!“
      „Okay, dann hören sie doch mit dem anderen auf...“
      „Näh! Näh! Sie verstehen mich nicht! Das andere mache ich schon seit dreißig Jahren! Sie verstehen mich nicht!“
      „Doch, ich verstehe sie...“ „Nein, sie verstehen mich nicht! Sie sind ja auch noch viel zu jung! Sie verstehen mich nicht!“
      „Okay, vielleicht verstehe sie wirklich nicht...“
      „Sage ich doch! Sie verstehen mich nicht! Sage ich schon die ganze Zeit!“
      „In gewisser Weise verstehe ich sie schon...“
      „Näh, näh! Sie verstehen mich nicht! Und jetzt will ich es auch nicht mehr erklären! Suchen sie sich jemand anders! Dumme gibt es ja genug!“
      Aufgelegt.
      Währenddessen verkaufte der Mann zwei Sitze weiter bereits zum dritten Mal die Fernsehshow mit Hernando Guano.
      Dann eben so…

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Autor versucht ab der nächsten Vorschau die Fehlerquote der bisherigen Vorschauen zu senken!
      Avatar
      schrieb am 14.09.06 12:11:50
      Beitrag Nr. 35 ()
      23.

      Beim nächsten Gespräch geriet er an eine junge Frau. Er konnte es kaum glauben, alle jungen Leute und insbesondere alle jungen Frauen waren doch draußen in der prallen Sonne!!
      Ein kurzer Blick aus dem Fenster reichte, um sich jederzeit davon zu überzeugen...
      Er meldete sich als Lottoladen, wie schon gewohnt.
      „Was darf ich für sie tun?“, fragte die Angerufene, als er stockte.
      Das brachte ihn zunächst aus dem Konzept..
      Er lauschte noch einmal dem Top-Verkäufer und erinnerte sich an den Vorsatz, ihn zu kopieren.
      „Mögen sie Hernando Guano?“, fragte er hoffnungsvoll.
      „Überhaupt nicht!“, rief sie fröhlich.
      Was jetzt?
      „Wirklich nicht?“, fragte er.
      „Nö!!“
      „Ich auch nicht!“, entfuhr ihm.
      Sie lachte schallend.
      „Wollen sie ihm das nicht einmal selbst sagen?“, fragte er.
      „Nö!!“, rief sie wieder fröhlich. „Dazu ist der mir nicht wichtig genug!“
      Er versuchte wieder dem Top-Verkäufer zu lausche. Vielleicht konnte er sie mit der Unterbringung im Top-Hotel locken. Bei dem Kollegen funktionierte das immer. Also, Augen zu und durch!
      „Wollen sie ins Hotel?“, fragte er.
      Pause.
      „Ich weiß doch überhaupt nicht, wie sie aussehen…“
      Es zog.
      Er guckte zur Tür.
      Die Chefin kam herein und stellte sich hinter ihn. Er sah sie an. Sie stellte sich schließlich so hin, dass er sie selbst unter maximalen Verrenkungen nicht mehr sehen konnte.
      Und sie schwieg.
      „Sie sind mir vielleicht einer!“, sagte die Frau am Telefon.
      „Danke“, sagte er.
      Mehr fiel ihm nicht ein.
      Und jetzt? Was sollte er weiter zu der Kundin sagen? Was sollte er zu der Chefin sagen? Zu welcher von beiden sollte er jetzt überhaupt etwas sagen? Sollte er das Telefonat unterbrechen, abbrechen oder einfach improvisieren?
      Vielleicht täuschte er am besten einen Herzanfall vor.
      Oder einen allergischen Schock…
      Aber welches von beiden?
      Da war sie wieder, die dräuende Ungewissheit…

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:

      Der Held macht früh Feierabend und lernt beim Inline-Skaten eine Frau kennen, die sich gut in sehr engen Jeans bewegen kann!
      Avatar
      schrieb am 14.09.06 20:12:22
      Beitrag Nr. 36 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 23.907.088 von Wolfsbane am 13.09.06 12:11:11Hernando Guano :laugh::laugh:
      Ich krieg mich nicht mehr!
      Avatar
      schrieb am 15.09.06 11:32:50
      Beitrag Nr. 37 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 23.937.646 von unlocker am 14.09.06 20:12:22@ unlocker
      Ähnlichkeiten mit anderen Namen von Düngern sind rein zufällig und unbeabsichtigt!!
      :cool:
      Avatar
      schrieb am 15.09.06 11:49:05
      Beitrag Nr. 38 ()
      Auch dieses Telefonat führte zu nichts. Vielleicht war er wirklich ein total unbegabter Verkäufer. Er hatte zwar schon erfolgreiche Verkäufe getätigt und dies sogar bevorzugt über das Telefon, aber nur in Bezug auf Aktien. Dazu brauchte er lediglich seinen Berater anrufen und laut und verständlich brüllen: "Meine Apple-Aktien verkaufen! Sofort! Bestens!"
      "Haben sie heute schon etwas verkauft?", fragte die Chefin in absolut nüchternen Ton.
      "Nein."
      "Immerhin hat er schon gleich am ersten Tag selber mit dem Telefonieren angefangen!", rief der Teamleiter.
      Sie ignorierte ihn.
      "Immerhin haben sie schon gleich am ersten Tag selber mit dem Telefonieren angefangen", sagte sie.
      "Wenn er will, kann er morgen wieder um die gleiche Zeit kommen!", rief der Teamleiter.
      Sie ignorierte ihn
      "Wenn sie wollen, können sie morgen wieder um die gleiche Zeit kommen", sagte sie dann.
      "Dann fange ich auch sofort zu telefonieren an. Ich habe mir fleißig Notizen von dem gemacht, was ich bei den Kollegen lernte."
      "Okay", sagte sie. "Wenn sie in den drei Tagen schon etwas verkaufen, können sie bleiben."
      "Gut."
      "Aber jetzt müssen sie Feierabend machen, weil sie ja nur Praktikant sind."
      Das wunderte ihn. In seinem Halbjährigen Praktikum hatte er jeden Tag zehn Stunden gearbeitet. Andere Praktikanten, die dann auch nicht von ihren Firmen übernommen wurden, arbeiteten sogar 12 oder 14 Stunden jeden Tag.
      Schulterzuckend verließ er das Gebäude und ging zu seinem Auto.
      Im Fußraum auf der Beifahrerseite sah er seine Inliner.
      Das brachte ihn auf eine Idee, wie er den Rest des Tages verbringen und einen Ausgleich zu dem vielen Sitzen finden konnte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul lernt eine wirklich nette Frau kennen. Sie entdecken auf Anhieb Gemeinsamkeiten und haben noch am selben Abend ein Date!
      Avatar
      schrieb am 17.09.06 21:07:48
      Beitrag Nr. 39 ()
      25.

      Als der Anruf kam, war er gerade auf einer Landstraße. Es gab zwar auch eine fast parallel verlaufende Bundesstraße, aber da dauerte der Weg tagsüber doppelt so lange, denn dann sie war immer total mit LKWs und ihnen folgenden, endlosen Kolonnen anderer PKWs überfüllt.
      Er fuhr rechts ran.
      Es war seine Internet-Bekanntschaft.
      „Ich muss mich entschuldigen“, sagte sie. „Ich war ruppig, denn ich mag keine eitlen Männer! Was wiegst du? Siebzig Kilo?“
      „Neunzig!“, rief er.
      Er etwas muskulöser als der Durchschnitt und Muskeln wogen mehr als Fett.
      „Wo hast du die zusätzlichen zwanzig Kilo versteckt? Dicke Eier?"
      „Nein!"“
      „Warum hast du dann versucht mich anzurufen?", fragte sie zornig. "Mein Telefon speichert das! Was willst du?“
      „Ich wollte dich fragen, wie die Tastenkombination geht, mit der man in EXCEL von einem Datenblatt zum anderen springen kann!“
      Jean Paul war ein Tastenkombinationen-Fetischist.
      Autoren von PC-Lehrbüchern waren für einarmige Banditen. Sie verkauften dicke, teure Bücher, in denen sie beschrieben, wie man für jeden Schnickschnack umständlich mit der Maus in allen möglichen Menüs herumstocherte, wenn man doch auch die Linke benutzen konnte, um jeweils zwei Tasten zu drücken.
      „Das war alles? Du wolltest keinen Sex?“
      „Das war alles. Und das habe ich inzwischen anderswo gefunden.“
      Dies betraf auch den Sex.
      Er hatte seit vielen Jahren eine feste Beziehung.
      Mit einer gewissen Straße in einer Großstadt.
      „Klingt so, als wenn du mich nicht mehr brauchst.“
      Wieder klang sie, als sei sie ein niedliches kleines Frauchen. Und wieder löste sie entsprechende Gefühle bei ihm aus. Er wusste, dass er mit einem Koloss redete, aber er konnte sich der Wirkung dieser Stimme nicht verschließen. Eigentlich brauchte er das auch nicht. Er konnte die Wahrheit verdrängen und ganz vergessen, wenn er nur daran dachte, sich nicht mehr mit ihr zu treffen.
      „Ich werde dich weiter anrufen und um Rat fragen, wenn ich Probleme mit einem Computerprogramm habe“, sagte er.
      „Oder mit Frauen!“, fügte sie vergnügt hinzu. "Wie ist denn deine Chefin? Jetzt in echt?“
      „Ich bin enttäuscht. Der Mann zieht die Fäden.“
      „Ich wusste es!“, jubilierte sie. „Hahaha... “
      „Das Gespräch verendete und er schaltete sein Handy aus.
      Er hasste Handys. Er hatte schon Verabredungen mit Frauen erlebt, bei denen sie die ganze Zeit nur telefoniert oder SMS verschickt hatten. Und wenn sie dann zwischendurch einmal die Gnade besaßen, mit ihm zu reden, schnorrten sie ihn nur mehr oder weniger aggressiv um Geld an, da sie durch ihre astronomischen Handy-Rechnungen permanent kurz vor dem privaten Konkurs standen.
      Auf dem restlichen Heimweg kam er zu dem Schluss, dass die Natur auf ihn entspannend wirken würde. Er musste irgendwo hin, wo er Ruhe vor aufdringlicher Technik fand.
      Die Autofahrt gab ihm diesbezüglich nicht viel, denn die Landschaft um ihn herum war total verspargelt. Überall standen unzählige Windkraftwerke.

      26.

      Zu Hause angekommen ging er überhaupt nicht erst in seine Wohnung, sondern zog sich schon im Auto seine Inliner an. Es waren nur wenige Kilometer bis zu einer ehemaligen Bahnstrecke, die man schon zwanzig Jahre zuvor in einen Rad- und Wanderweg umgewandelt hatte. Dort durften Inline-Skater fahren und auch legal schneller als Fußgänger sein.
      Fünf Minuten raste er mit der Körperhaltung eines Eishockey-Stürmers über den Asphalt.
      Noch einmal zwanzig Minuten später sah er vor sich eine dunkelblonde Frau in engen, verwaschenen Jeans. Sie zögerte mit dem Weiterfahren. Der Grund war klar. Wo sie sich befand, endete die ehemalige Bahnstrecke und der Aphalt war schlecht und von Schlaglöchern übersäht.
      Er machte eine Vollbremsung, wiederum in Eishockey-Manier.
      Im gleichen Augenblick drehte sie sich um.
      Erschrocken sah sie, wie er kurz vor ihr zum Stehen kam.
      Sie riß die Augen weit auf.
      „Süß“, dachte er.
      Sie starrte ihn schweigend an.
      Er musste irgendetwas sagen. Aber worüber sollte er reden? Er kannte sie doch überhaupt nicht.
      Am besten war verließ sich auf seine Fähigkeit zum Improvisieren.
      „Ich glaube, wir sind Seelenverwandte“, sagte er optimistisch.
      „Woher willst du das wissen?“, fragte sie lächelnd.
      „Sowas sehe ich auf den ersten Blick!“, rief er.
      „Und woran?“, fragte sie amüsiert.
      Er überlegte fieberhaft und taxierte sie intensiv von Kopf bis Fuß.
      Schließlich kam ihm die Erleuchtung.
      „Wir haben die gleichen Inline-Skates!“
      „Stimmt“, sagte sie nach kurzem Überlegen.
      Sie setzte sich wieder in Bewegung. Sie fuhr an ihm vorbei und guckte sich dabei nach ihm um, ohne sich zu verabschieden oder sich irgendwie zu beeilen.
      Ihm kam das wie eine schriftliche Einladung vor.
      „Geiler Fahrstil“, sagte er gönnerhaft.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Das Wochenende ist vorbei und die Kapitel werden wieder kürzer!
      Avatar
      schrieb am 19.09.06 10:15:07
      Beitrag Nr. 40 ()
      27.

      Sie fuhr langsam. Es dauerte trotzdem eine Weile, bis er sie einholte. Er ließ sich Zeit. Ihre Jeans faszinierten ihn.
      „Meine Inliner sind anders als deine“, sagte sie. „Es gibt inzwischen Skates für Frauen. Wir haben schmalere Füße und damit wir trotzdem genug Halt haben, ist da ein kleiner Absatz eingebaut.“
      Er hörte, was sie sagte, aber er verstand nicht, wie das funktionieren sollte, was sie da zu erklären versuchte. Wie auch immer, es klang vernünftig und er mochte kluge Frauen. Es störte ihn auch nicht, wenn eine Frau klüger als er war. Er war alt genug, um sich daran gewöhnt zu haben. Dafür konnte er besser schwere Sachen tragen.
      „Genial“, sagte er.
      Das passte immer.
      Sie errötete leicht.
      „Diese Jeans ziehe ich wirklich nur noch zum Inline-Skaten an“, sagte sie dann. „Falls die andere Bremse versagt und ich auf die Textilbremse zurückgreifen muss.“
      „Genial.“
      „Naja, bei diesem alten Lappen ist es dann nicht schlimm, wenn ich ihn ruiniere. Diese Jeans sind sowieso jenseits von gut und böse.“
      Er konnte nicht dreimal hintereinander „genial“ sagen.
      Was konnte er tun?
      Er versuchte Bedenkzeit zu schinden, indem er so tat, als würde er die Natur bewundern.
      „Hier hat es rechts allerhand Bäume. Finde ich schön. Ist so natürlich!“
      Da war es wieder, sein großes Problem mit dem Reden. Wenn ihm nach Schweigen war und er sich dann durchrang, trotzdem etwas zu sagen, stellte er meistens fest, dass Schweigen doch besser gewesen wäre.
      „Letztes Jahr sind in den USA zwei Bankräuber wegen solcher Jeans verhaftet worden“, erzählte sie.
      „Wie blöd“, sagte er. „Wer überfällt denn eine Bank, um alte Jeans zu klauen! Gab es da kein Geld?“
      Sie lachte.
      Das war gut.
      „Natürlich haben die auch Geld geraubt. Aber sie trugen dabei ihre alten Jeans und darum konnte man sie später aufgrund der Aufnahmen trotz Maske identifizieren. Weil sich eine Jeans nämlich nach einiger Zeit ihrem Träger anpasst.“
      „Meine nicht“, widersprach er. „Ganz im Gegenteil.“
      „Irgendwie schon“, sagte sie. „Das, womit man die Bankräuber identifizierte, wird Waschmuster genannt.“
      „Waschmuster?“
      Die Frau interessierte sich für das Waschen von Wäsche.
      Heiraten.
      „Ja, ausgewaschene Jeans sind nicht immer gleich. Je nachdem, wer sie getragen hat, werden unterschiedliche Stellen unterschiedlich stark abgenutzt und auch stärker ausgewaschen und dadurch werden die Jeans individualisiert.“
      Diese Frau schien ihm doch etwas zu schlau zu sein.
      „Bist du Dozentin?“, fragte er gereizt.
      „Ja!“, rief sie begeistert. „Woher weißt du das?“
      „War nur eine Frage...“
      „Das klang aber nicht wie eine Frage!“, stellte sie mit anhaltender Begeisterung fest. „Wie konntest du das so genau wissen?“
      „Weil du ziemlich renitent bist.“
      „Wie bitte?“
      Sie sah ihn an und fuhr so weit auf seine Seite, dass er ausweichen musste.
      „Eloquent wollte ich sagen!“
      Er guckte sie an, um festzustellen, ob er diesmal das richtige Wort erwischt hatte.
      „Wo willst du eigentlich hin?“, fragte sie.
      „Huh“, sagte er.
      „Wie bitte.“
      „Ich habe nichts gesagt!“
      „Wo willst du eigentlich hin?“

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Inline-Skates werden ausgezogen!
      Avatar
      schrieb am 20.09.06 11:07:08
      Beitrag Nr. 41 ()
      28.

      Sie wirkte nett, natürlich und sportlich.
      "Super", dachte er.
      "Diese Marke Inliner ist wirklich vom Preisleistungsverhältnis und von der Art der Schuhe her die beste, wenn man keine Stunts machen und keine Rekorde brechen, sondern nur Strecke laufen will", sagte sie.
      "Genau."
      "Bei schlechtem Wetter gehe ich auch Joggen, aber Skaten ist eine gute Abwechslung und schont die Gelenke, weil man gleitende, sanfte Bewegungen hat und nicht von einem Bein auf das andere springt und jedesmal die Knie mit einem vielfachen des eigenen Körpergewichts belastet."
      "Hast du einen Freund?"
      "Nein. Man schont obendrein die Wirbelsäule, die nicht gestaucht wird."
      "Warst du schon einmal verheiratet?"
      "Nein. Ich finde Skaten besser als Fahrradfahren, weil mehr Muskeln angesprochen werden und man auch diese vertikalen Bewegungen hat, die das Spazierengehen so gesund machen."
      "Lebst du allein?"
      "Nein, ich wohne mit meiner Freundin zusammen. Bei dieser Hitze ist Skaten auch besser als Joggen, weil man keinen Hitzschlag riskiert. Es ist nicht so anstrengend und man hat Fahrtwind."
      "Hat deine Freundin einen Freund?"
      "Nein. Sie will auch keinen. Vorsicht, da kommt ein Radfahrer von hinten."
      Das wurde immer besser. Zwei Frauen ohne Männer und einen von beiden wollte keinen festen Freund, bevorzugte also freie Liebe.
      "Wohnst du hier in der Nähe?"
      "Fahrradfahrer!"
      Sie wiederholte sich. Das nervte. Und das Geklingel auch.
      Eine Radfahrerin überholte auf einem Rennrad mit etwa 30 km/h. Sie trug eine schwarze Stretchhose und hatte Oberschenkel wie eine professionelle Schlittschu-Sprinterin. Ihre Haare flatterten im Wind.
      "Immer diese Radfahrer", sagte er, um die Konversation in Gang und das Niveau auf dem bereits erreichten Niveau zu halten.
      "Normalerweise dürfen wir überhaupt nicht auf Radwegen fahren". sagte sie. "Meine Freundin und ich sind schon einmal von der Polizei angehalten worden, weil wir auf dem Bürgersteig zu schnell waren und den Radweg als Überholspur benutzt haben."
      "Ich stehe auf schnelle Frauen!"
      "Was?"
      "Was?"
      "Was hast du gesagt?"
      "Nichts", sagte er.
      "Da sind wir!"
      "Wo?"
      "Hier. Wo ich wohne!"
      Sie standen vor einem Zwei-Familienhaus, ganz in der Nähe von Jean Pauls Wohnung.
      "Ach so."
      "Wann läufst du wieder?", fragte sie.
      "Da muss ich erst in meinen Terminplaner gucken. Kann ich dir das später sagen? Wir können das bei einem Bier diskutieren. Das haben wir uns verdient."
      "Gut. Du kannst mich in einer Stunde abholen."
      Er sah ihr nach. Sie winkte. Er guckte auf die Uhr. Er musste sich richtige Schuhe anziehen und sich irgendwo Deo kaufen.
      Machbar!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Keine Vorschau. Alles bleibt nebulös und unvorhersehbar!
      Avatar
      schrieb am 21.09.06 09:36:23
      Beitrag Nr. 42 ()
      29.

      Er rollte zu seinem Auto und zog sich die Inliner aus. Einige Passanten guckten neugierig.
      Seine Socken waren verschwitzt. Noch ein Kleidungsbestandteil, den er gleich unbedingt wechseln musste.
      Vom Parkplatz ging er direkt in die Stadt. Das Laufen mit normalen Schuhen war erst wieder gewöhnungsbedürftig. Er versuchte immer die Füße zu schieben und bremste sich dabei selbst. Die Passanten quittierten sein Gestolper mit mitleidigem Kopfschütteln.
      Im Supermarkt kaufte er sich wie geplant Deo und Zahnseide. Dabei kam er an Frikadellen vorbei. Seit seiner Wehrpflicht gehörte er zu den Anonymen Frikadellenessern. Er wurde schwach und kaufte sich auch davon eine Packung, über die er dann zuhause hemmungslos herfiel.
      Als er zum Duschen kam, war er schon ziemlich spät dran. Beim Abtrocknen schaute er auf die Wanduhr. Spät. Stress! Er rubbelte und und frottierte und rubbelte und frottierte, aber irgendwie fand er immer wieder neue Tropfen auf der Haut zum Abrubbeln und Abfrottieren, bis ihm bewusst wurde, dass das Rubbeln und Frottieren zu einer schweißtreibenden Tätigkeit mutiert war und auf diese Weise endlos so weitergehen konnte.
      Seine frisch gewaschenen Hemden waren alle noch total kraus und die anderen alle schon schmutzig. Er bügelte sich ein Hemd und zog es dann gleich an.
      Warm.
      Die Jeans waren auch total kraus. Er zog eine an. Immer noch kraus. Er füllte sie nicht mehr so gut aus wie früher. Er bügelte auch die Jeans und zog sie dann erneut an.
      Warm. Warm.
      Er beschloss, sicherheitshalber noch einmal zur Toilette zu gehen. Ihm fiel auf, dass er bem Gedanken an seine Verabredung eine halbe Erektion hatte, hielt das aber nicht weiter beachtenswert. Falsch. Als er saß, lag der verlängerte Körperteil auf der Brille und die ersten Tropfen gingen nicht nach unten, sondern in die Unterhose. "Oh Gott", dachte er, "jetzt bin ich schon so blöd, dass ich mich vor mir selbst blamiere und Sachen mache, für die ich mich vor mir selbst schäme."
      Er guckte im Schrank nach Unterhosen. Keine. Sicher, es war Sommer. Die waren im Kühlschrank. Er holte eine raus und zog sie an.
      Kalt, kalt, kalt.
      Ihm fiel ein, dass er soeben Frikadellen gegessen hatte. Er musste sich die Zähne putzen. Er wollte besonders gründlich sein und putzte und putzte. Dabei bekleckerte er sich mit aufgeschäumter Zahnpasta auf dem Hemd. Noch ein neues Hemd bügeln und gleich anziehen.
      Warm.
      Nur seine Testikel waren noch kalt.
      Er fühlte sich gleichzeitig warm und kalt.
      Waren das schon die Wechseljahre??
      Endlich konnte er das Haus verlassen und zu seiner neuen Bekanntschaft laufen.
      Er klingelte.
      Nichts.
      "Komm schon, du geiles Luder!", schimpfte er aus vollem Hals.
      "Die Tür ist offen!", rief sie.
      Oh, eine Sprechanlage.
      "Hast du das gerade gehört?", fragte er bange.
      "Ich bin doch icht taub", sagte sie. "Und hast du den Türöffner nicht gehört? Das Klingeln?"
      "Ach so."
      Er hatte gedacht, das wäre schon Tinnitus, da er erst am Morgen davor gewarnt worden war.
      Er drückte die Tür auf.
      Offen.
      Sie hatte die Wahrheit gesagt.
      "Ich kann nicht runterkommen!", rief sie durch die Sprechanlage. "Ich bin nackt! Komm du hoch!"
      Aber hallo!

      Fortsetzug folgt

      Vorschau:
      Keine Prognosen.
      Avatar
      schrieb am 21.09.06 22:55:52
      Beitrag Nr. 43 ()
      29.

      Jean Paul stürmte die Treppe hoch, als wenn sein Überleben davon abhinge. Er hatte das Gefühl, dass es sogar um mehr ging, nämlich um das Überleben der Menschheit und seinen persönlichen Beitrag dazu. Diese Frau musste es sein. Die Frau. Überhaupt. So cool, so unkompliziert...
      Er sah sie in der Wohnungstür stehen.
      Angezogen.
      Sein Schritt verlangsamte sich.
      „Wir müssen öfter zusammen trainieren!“, rief sie.
      „Willst du?“, fragte er.
      Sein Seitenstechen erschwerte ihm das Reden.
      „Wollen will ich nicht unbedingt, aber müssen muss ich wohl“, sagte sie mit sorgenvoller Miene.
      „Wie bitte, was?“, fragte er.
      „Wenn du schon von den paar Stufen so ins Schnaufen kommst, brauchst du mehr Training!“
      „Sicher“, sagte er atemlos und abwägend.
      Sie schaute auf seine Hose.
      „Überhaupt, wie du mit deiner Gesundheit umgehst! Trägst dein Handy in der Hosentasche! Nachher ist deine Familienplanung total verstrahlt!“
      Sie drehte sich um und ging in die Wohnung.
      Er war froh, dass sie nicht von ihm verlangt hatte, das Handy aus der Hosentasche zu nehmen. Sein Handy lag nämlich noch zu Hause.
      „Du bist ja angezogen!“, rief er ihr nach. „Ich dachte, du bist unbekleidet!“
      „Ich musste nur noch meine Bluse zuknöpfen, um mich nicht mehr nackt zu fühlen!“
      Er ging ihr nach.
      „Das ist unsere Küche.“
      „Schön“, sagte er, da ihm kein besseres Kompliment einfiel.
      „Kochst du?“, fragte sie.
      „Ich habe es gelernt.“
      „Ich kennen jemanden, der so jemanden sucht!“, sagte sie.
      Allmählich fragte er sich, ob ihre Freundin noch dominanter war und ob die beiden einen Küchensklaven suchten. Heutzutage war alles normal. Und das erklärte auch, warum ihre Freundin keinen Freund wollte. Sie wollte keinen Mann neben sich, sondern unter sich. Weit unter sich.
      „Einen Koch?“, fragte er misstrauisch.
      „Nicht unbedingt einen Koch. Nur jemanden, der Kochen kann und auch mal abwäscht.“
      „Okay, ich kann demnächst einmal für euch kochen“, sagte er.
      „Das können wir schon selbst. Jede von uns“, sagte sie.
      „Gut, ich will nämlich nicht mehr kochen“, knurrte er.
      „Wir müssen jetzt gehen!“, stellte sie fest. „Sonst lohnt es sich nicht mehr. Ich muss wieder hier sein, wenn meine Freundin zurückkommt.“
      „Wohnt da unten auch jemand?“, fragte er.
      „Ja, ein Mann“, antwortete sie. „Ich kann ihn dir vorstellen.“
      „Bist du fertig zum Ausgehen?“, sagte er.
      Nicht nackt. Er war so enttäuscht. Er brauchte frische Luft, um sich zunächst einmal abzukühlen. Und Alkohol, um sie aufzulockern und in die richtige Stimmung zu bringen, dass er ihr auch seine Wohnung zeigen konnte. Und seine Briefmarken. Genau in dieser Reihenfolge. Der Weg zu seiner Stammkneipe brachte alles in Gang.
      „Gehen wir!“, rief sie. Sie zog eine Jacke an, nahm einen Schlüssel heraus und stellte sich in die Wohnungstür.
      Er ging an ihr vorbei.
      Sie schloss die Tür ab und folgte ihm.
      „Ich muss dir gleich sagen, dass ich nicht viel vertrage und sofort betrunken bin“, sagte sie mitten auf der Treppe.
      „Gut“, sagte er.
      „Wie bitte? Warum findest du das gut?“
      „Ja, weil das bei mir genauso ist“, sagte er. Zum Glück hatte sie gerade nur seinen Rücken und nicht sein das Grinsen in seinem Gesicht gesehen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Was auch immer jetzt als nächstes passiert, Jean Paul bleibt trotzdem unser Held!
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 21.09.06 23:05:58
      Beitrag Nr. 44 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.093.322 von Wolfsbane am 21.09.06 22:55:52sehr geil geschrieben und ganz weit vorne damit! weiter so im text. :look:
      Avatar
      schrieb am 24.09.06 19:02:43
      Beitrag Nr. 45 ()
      30.

      Es wurde dunkel und Marie zeigte zum ersten Mal Anzeichen von Nervosität gegenüber Jean Paul, als er sie gezielt in eine eher dunkle Gasse führte, wo außer ihnen beiden kein Mensch zu sehen war.
      „Hier war ich noch nie“, sagte sie mit kritischem Unterton.
      „Das macht nichts. Du bist eben nur zugezogen.“
      „Nein, hier war ich wirklich noch nie“, beharrte sie. „Auch nicht bei Tageslicht!“
      „Klar. Auf Kopfsteinpflaster kann man nicht gut skaten.“
      „Und was soll hier sein?“
      „Irgendwie mangelt es dir an dem starken Willen, mir vertrauen zu wollen!“
      „Ha!“, rief sie.
      Was sollte das jetzt schon wieder heißen?
      Die Tür neben ihr ging auf und ein nicht mehr ganz junges Paar verließ das Haus Arm in Arm und kichernd.
      „Das ist eine der beiden besten Kneipen in unserer Stadt“, sagte er. „Das Gebäude steht unter Denkmalschutz..“
      Er öffnete die schwere Tür und hielt sie auf.
      Sie trat in den Flur und sah auf die schmale Treppe, die links nach oben führte.
      "Was!", rief sie nervös.
      „Wenn ein Mann und eine Frau eine Treppe hochgehen, geht die Frau vor, damit er sie auffangen, falls sie stolpert..."
      „Aber ich trage keine hohen Absätze!“
      „Manche Dinge sind eben so zwischen Mann und Frau.“
      „Wir sind nicht verheiratet.“
      „Es ist einfach sicherer, wenn die Frau als Erster die Treppe hochgeht.“
      „Du willst mir nur auf den Axxxx gucken!“
      Leugnen war zwecklos. Außerdem waren es nur wenige Stufen. Also würde er sowieso nicht lange gucken können.
      „Du enttäuscht mich“, sagte er und versuchte dabei aufrichtig gekränkt zu wirken.
      Dann ging er vor. Erneut kam ihnen ein Paar entgegen. Jean Paul machte auf der schmalen Treppe Platz, indem er sich zur Seite drehte. Das gab ihm Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, dass Marie noch bei ihm war.
      Endlich kamen sie oben an und betraten den Schankraum. Das Licht war gedämpft. An der Theke saßen ein paar Bummelstudenten und arbeitslose Akademiker.
      „Wir bleiben an der Theke“, sagte Marie.
      Aber es ist nur ein Platz frei und drüben in der Ecke ist es noch gemütlicher.“
      „Hier sind zwei Plätze frei! Ich nehme den mit dem dicken schwarzen Kissen. Gemütlicher geht es nicht.“
      Ehe Jean Paul etwas erwidern konnte, kreischte sie.
      „Das Kissen hat mich angeblinzelt!“
      „Nicht das, sondern der.“
      „Der Kissen?“
      „Der kastrierte Kater. Der wohnt hier.“
      Der Wirt flüchtete soeben in die Küche.
      „Zwei Weizen nach“, rief Jean Paul ihm nach. Es war schon spät und die Kneipe hatte nicht mehr lange auf. Wenn er Marie Gelegenheit gab, sich mit 0,3-Portionen aufzuhalten, kriegte er sie nicht rechtzeitig beschwipst.
      Sie gingen eine kleine Treppe herunter und setzen in eine freie Ecke.
      Jean Paul atmete auf, als er sah, dass Marie ihre Jacke auszog, sie auf einen Stuhl hängte und sich ihm gegenüber setzte.
      „Was ist?“, fragte sie.
      Er sah das Unheil kommen.
      Seine Vergangenheit holte ihn ein.
      „Hallo!“, rief eine dunkle Männerstimme.
      Jetzt war alles vorbei!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Geschichte geht mit den Überlebenden weiter.
      Avatar
      schrieb am 24.09.06 21:41:36
      Beitrag Nr. 46 ()
      Schreibst du hier zeitnah oder hast du immer ein paar Kapitel auf Tasche?

      Coole Story!!
      Danke und weitermachen!
      Avatar
      schrieb am 25.09.06 12:43:16
      Beitrag Nr. 47 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.172.680 von Gammelfleischer am 24.09.06 21:41:36@ Gammelfleischer:

      Ich schreibe immer zeitnah. Ich habe einen roten Faden und daran hänge ich die einzelnen Episoden auf. Wenn ich merke, dass es zu lang wird, suche ich einfach nach der spannendsten Stelle zum Aufhören.


      Gruß
      Wolfsbane:)
      Avatar
      schrieb am 25.09.06 19:41:36
      Beitrag Nr. 48 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.183.584 von Wolfsbane am 25.09.06 12:43:16...und Du hast sie wie immer gefunden :)
      Avatar
      schrieb am 26.09.06 11:27:18
      Beitrag Nr. 49 ()
      31.

      Jean Paul kannte die Stimme seit seiner Kindheit. Er und Hubertus waren einst Freunde gewesen. Dann hatten sie sich wegen einem Mädchen gestritten. Hubertus hatte sie maßlos bewundert und Jean Paul hatte sie gekriegt. Wie das eben so passierte.
      Mittlerweile war Hubertus von einer anderen Frau geschieden und wanderte jeden Abend ruhelos zwischen den Kneipen umher. Er trank nicht viel, sondern guckte sich überall nur um und baggerte alle Kellnerinnen an, die seinen imer gleichen Scherze nonchalant über sich ergehen ließen.
      "Hallo", sagte Hubertus, während sein Blick zwischen Jean Paul und Marie hin und her schweifte.
      "hallo", knurrte Jean Paul.
      "Hast du eine Schwester?", knurrte Hubertus.
      Marie wurde erst bleich und dann grün im Gesicht.
      Hubertus kraulte sich den Nietsche-Bart.
      "Nä?", fügte er hinzu.
      "Warst du heute schon in der Altdeutschen Gaststätte Hagemeier?", fragte jean Paul.
      "Jau."
      "Warst du schon im LOW LEVEL?"
      "Jau."
      "Warst du schon in der Destille?"
      "Jau. Schon zweimal. Nix los da."
      "Und warst du auch schon bei Bennie?", fragte Jean Paul geduldig weiter.
      "Nä."
      "Dann gehe doch mal dorthin!", schlug Jean Paul vor.
      "Meinste?", fragte Hubertus.
      "Jau."
      Jean Paul sah ihm nach.
      "Wer war das?", fragte Marie.
      "Kenne ich nicht."
      "Aber er kannte dich!"
      "Der kennt jeden, der hier in unserem Kaff in Kneipen geht."
      Marie bekam einen Anruf. Sie wirkte erst paralysiert. Endlich zog sie ihr Handy hervor und meldete sich mit "Ja."
      Jean Paul trank sein Bier.
      "Ich muss sofort nach Hause!", rief Marie.
      "Ein Notfall?", fragte er.
      "Meine Freundin ist eher heim gekommen!"
      "Und?"
      "Ich muss sofort nach Hause!"
      "Ich bringe dich heim."
      "Muss nicht sein."
      "Doch."
      Sie verließen die Kneipe und gingen zurück in die dunkle Gasse. jean Paul fragte sich, wo der Kater geblieben war.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      fällt aus
      Avatar
      schrieb am 26.09.06 19:55:45
      Beitrag Nr. 50 ()
      Wie es weitergeht:

      Jean Paul verkauft als nächstes Software, Versicherungen und schließlich Anteile an einem Traumschiff.
      Währenddessen erlebt er immer wieder die verrücktesten Abenteuer, wenn er sich um andere Jobs bewirbt oder per Internet schräge Frauen kennenlernt.
      Irgendwann landet er bei der besten Chefin von allen und lernt, Termine für Vertreter zu machen. Weil daraus aber kein Vollzeit-Job wird, kehrt er schließlich in seinen alten Beruf als Koch zurück und findet es diesmal zu seiner Überraschung super.
      Ob es danach noch weiter geht, hängt davon ab, wieviel Zeit ich zukünftig zum Schreiben habe und wieviele Freunde (oder Feinde) mir diese Geschichte bis dahin einbringt...

      ;)
      Avatar
      schrieb am 26.09.06 20:35:55
      Beitrag Nr. 51 ()
      Schlage vor, alle fans hier legen zusammen, damit Du einen fulltime-job daraus machen kannst ;)
      Avatar
      schrieb am 27.09.06 11:42:03
      Beitrag Nr. 52 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.217.072 von unlocker am 26.09.06 20:35:55@ unlocker:

      Danke, aber ein Dasein als freier Künstler ist mir dann doch zu unsicher... ;):laugh:
      Avatar
      schrieb am 27.09.06 11:44:11
      Beitrag Nr. 53 ()
      32.

      Anfangs hatte Jean Paul seine neue Bekannte echt cool gefunden. Jetzt wusste er, dass sie alles andere als cool war. Zumindest war es damit schlagartig vorbei, wenn ihre Freundin anrief. Außerdem reagierte sie ängstlich, wenn ihr im Dunkeln ein Fremder entgegen kam. Letzteres war der einzige Grund, warum Jean Paul sich an sein Versprechen hielt und sie bis nach Hause brachte, obwohl sie ihn kaum beachtete. Von anderen Frauen war er es gewohnt, dass sie, wenn sie sich erschraken, sei es wegen Blitz und Donner oder seltsamer Schatten, seine Nähe suchten, aber Marie zeigte keinerlei Ansätze dieser Art. Sie guckte nur die ganze Zeit, als sei jemand gestorben und ging kleine Umwege, um unterwegs zu Fremden möglichst große Distanz zu halten.
      Endlich kamen die beiden vor Maries Haustür an. Sie guckte in an, als sei er ihr lästig.
      „Danke fürs Nachlaufen“, sagte sie.
      „Okay.“
      „Du solltest jetzt gehen.“
      „Okay.“
      „Wirklich!“
      „Ist was?“, fragte er.
      „Oh“, seufzte sie.
      Eine große und schlanke blonde Frau kam die Treppe herunter geschritten. Sie hatte etwas an sich, was bei Jean Paul sofort den Wunsch nach Distanz hervorrief und ihn in Alarmzustand versetzte. Irgendwie wirkte sie sehr dominant. Ihr Gesicht drückte etwas aus, was Jean Paul mehr als alles andere zu respektieren wusste: Kalte Wut.
      Eigentlich war die Blonde recht attraktiv. Gute Figur, edles Gesicht, schönes Kleid. Trotzdem fand er sie nicht anziehend. Sie sah nach der Art Frau aus, die Jean Paul nur aus Büchern kannte. Genauer gesagt aus den Krimis von Mickey Spillane. Da begegnete der Held immer wieder Frauen, die ihn mit einer Hand an sich drückten, während sie ihn küssten und mit der anderen Hand eine Revolver Kaliber 45 aus der Schublade zogen, um ihm aus nächster Nähe das das unverdaute Chili Con Carne aus dem Leib zu ballern.
      „Komm rein!“, befahl sie Marie.
      Marie hätte offensichtlich sofort gehorcht, wenn ihre Freundin die Tür weit genug geöffnet hätte. Aber stattdessen sah sich ihre Freundin nach einem breitschultrigen Mann um, der soeben aus seiner Wohnung im Erdgeschoss kam, auf Marie und Jean Paul sah und irgendetwas Unverständliches sagte.
      „Okay“, sagte die Blonde zu Marie. „Der kann auch reinkommen.“
      Marie versuchte Jean Paul mit flatterndem Blick anzusehen. Es misslang ihr. Irgendwie musste sie die ganze Zeit immer wieder auf den Boden sehen.
      „Ich lasse dich nicht alleine“, sagte Jean Paul.
      Marie ging wortlos ins Haus.
      Jean Paul folgte ihr und ging nach ihr die Treppe hoch.
      „Wenigstens macht sie es jetzt richtig und geht vor mir die Treppe hoch“, dachte Jean Paul, der schlecht damit zurande kam, wenn etwas andersrum war.
      Hinter ihm ging der verschwitzt aussehende fremde Mann.
      Ganz zuletzt kam die Blonde hoch.
      An der Wohnungstür versuchte Marie erneut Jean Paul anzusehen, doch wieder landete ihr Blick nur auf seinen Schuhen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Für diejenigen Leser, die es gruselt, ist es vielleicht eine Erleichterung, wenn sie erfahren, dass es dem Erzähler ebenso geht und dass das auch im folgenden Kapitel so sein wird.
      Avatar
      schrieb am 28.09.06 12:09:35
      Beitrag Nr. 54 ()
      33.


      Marie betrat das Wohnzimmer und blieb in der Mitte stehen. Ihre Freundin lief im Raum herum und rückte oder zupfte Dinge zurecht- überall. Währenddessen behielt sie Marie permanent im Auge.
      Jean Paul platzierte sich so, dass er beide Frauen gleichzeitig im Blick hatte. Dann fiel ihm wieder der Mann ein. Er stellte sich mit dem Rücken zur Wand. Der andere Mann stellte sich neben ihn. Jean Paul rückte automatisch ein Stück in die andere Richtung.
      Die Blonde setzte sich auf das größere der beiden Sofas, sah Marie an und klopfte schweigend auf den freien Platz neben sich. Jean Paul verspürte die Neigung, sich anstelle Marie dorthin zu setzen und sich witzig vorzukommen, aber Marie reagiert unglaublich schnell, ehe sie wieder völlig bewegungslos wurde.
      „Sitz“, sagte die Blonde zu Jean Paul und deutete auf das kleinere Sofa ihr gegenüber.
      Jean Paul nahm genau in der Mitte des Sofas Platz.
      „Rück mal rüber“, sagte der andere Mann. Er legte seine Hand auf Jean Pauls Schulter und drückte ihn zur Seite. Jean Paul schoß nach oben und zur Seite, als hätte er einen schmerzhaften elektrischen Schlag bekommen. Fast wäre er über die Armlehne der Couch hinweg gesprungen.
      „Ist das nicht ein schönes Paar!“, rief die Blonde.
      So ein fieses Grinsen hatte er seit einem Jahrzehnt nicht mehr zu sehen bekommen, denn so lange war seine Ausbildung zum Koch und seine letzte Begegnung mit seiner Ausbilderin vorbei.
      „Er kommt gerade von der Maloche“, sagte die Blonde. „Er ist noch ganz schmutzig und verschwitzt. Ein richtiger Mann eben“, sagte sie süffisant.
      Jean Paul sah nach hinten.
      Stand hinter ihm ein Fernseher?
      „Sie meint mich“, sagte der andere.
      „Ist das dein Freund?“, fragte er Jean Paul und sah Blondie an.
      „Deine Bekanntschaft versucht krampfhaft, witzig zu sein“, sagte Blondie zu Marie.
      Marie zeigte keine Reaktion, außer knallrot zu werden.
      „Er baut sich ein Haus“, sagte Blondie dann. „Ganz allein. Und dann zieht er hier aus.“
      „Ich könnte eine andere Wohnung brauchen“, sagte Jean Paul. Der Gedanke, unten zu wohnen und sich ein Haus mit zwei gutaussehenden Frauen zu teilen, weckte in ihm angenehme Erinnerungn.
      „Muss ich mich schon bedanken?“, fragte er in den Raum
      „Willst du“, fragte der Mann. „Bist du ein guter Koch? Dann nehme ich dich vielleicht mit!“
      „Wie bitte... was?“, fragte Jean Paul.
      Blondie guckte ihn wieder mit kaltem Zorn an. Dann wandte sie sich Marie zu.
      „Ich habe von der Arbeit aus die Feier geplant. Soll ich auch Alex und Karlchen wieder einladen?“, fragte sie.
      „Eure Freunde haben aber witzige Namen“, sagte Jean Paul. „Wie heißen die eigentlich richtig? Alexandra und Karl oder Alexander und Karla?“
      „Alexandra und Karla“, sagte Marie ernst.
      „Alexandra war mit Marie befreundet, ehe wir beide uns kennenlernten“, sagte Blondie zornig.
      „Ja und?“, fragte Jean Paul. „Hatte sie eine schlechten Einfluss auf Marie oder hat sie sich Geld geliehen und nicht zurück gegeben?“
      Jetzt sahen beide Frauen ihn zornig an.
      Schweigen.
      Aus den Augenwinkeln sah Jean Paul, dass der Mann ihn anstarrte, wie er schon lange nicht mehr angestarrt worden war. Ungefähr seit dreizehn Jahren, seit dem gruseligsten aller Vorstellungsgespräche, auf das drei wirklich üble Jahre gefolgt waren.
      Jean Paul ignorierte ihn.
      „Also Kochen ist dein Hobby!“, rief der Mann.
      Da war schon wieder eines seiner immer wiederkehrenden Probleme. Er ignorierte jemanden, aber derjenige wollte nicht ignoriert werden oder machte ihm das Ignorieren aus Tolpatschigkeit schwerer als nötig.
      „Nein, Koch ist nicht mein Hobby, war nie mein Hobby und wird nie mein Hobby sein“, stellte Jean Paul klar. „Ich ernähre mich seit jeher völlig ausreichend mit Stullen, Currywurst, Pommes und Protein-Drinks. Alles andere war rein beruflich. Um Geld zu verdienen und die Welt zu sehen.“
      Zwischenzeitlich war es mehr gewesen, aber die kleinste Erinnerung an seine Ausbilderin ließ ihn jedesmal sofort wieder vergessen, dass er als Koch lange Zeit viel Ehrgeiz und Idealismus verspürt hatte.
      „Was kochst du denn so?“, fragte der Mann weiter.
      „Angebranntes“, knurrte Jean Paul.
      „Dann schmeckt es bei dir ja wie bei Muttern“, sagte er fröhlich.
      Jean Paul sah ihn nun doch an.
      „Konnte deine Mutter dich auch gut verarzten, wenn du zum Beispiel eine Platzwunde hattest?“
      „Natürlich.“
      „Und ist sie jetzt gerade in der Nähe?“
      „Nein.“
      „Dann halte jetzt lieber die...“
      Blondie begann heftig zu atmen.
      „Vielleicht können wir Sammy und Marty einladen!“, rief sie in den Raum.
      Jean Paul fühlte sich mittlerweile nennenswert genervt und musste Dampf ablassen, indem er einfach stänkerte.
      „Sammy und Marty?“, wiederholte er. „Was ist das denn wieder für ein Paar? Zwei Kerle oder was!“
      „Nein“, widersprach Blondie, „das sind Samantha und Martina. Aber wir könnten auch mal zwei Männer einladen. Wie ist es mit euch beiden?“
      „Was ist das überhaupt für eine Feier?“, fragte Jean Paul.
      „Es ist spät“, sagte Blondie. Sie sah Marie an. „Ich bringe deinen Mitläufer zur Tür.“
      Jean Paul ließ sich von ihr nach draußen geleiten. Er holte sich an der Tankstelle zwei Dosen Bier zum Einschlafen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Wird Jean Paul sich jemals von dieser Enttäuschung erholen?
      Avatar
      schrieb am 28.09.06 12:25:38
      Beitrag Nr. 55 ()
      ich finde, olle paule sollte seine bekanntschaft aus den fängen dieser lesbischen domina befreien :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 29.09.06 11:27:01
      Beitrag Nr. 56 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.256.662 von greatmr am 28.09.06 12:25:38Hallo greamtmr!

      Toll, dass du wieder dabei bist! :)

      Aber wer redet denn hier von :eek: lesbisch oder :eek: Domina? ;)

      Außerdem scheint Marie sich ansonsten ganz wohl zu fühlen...

      Wolfsbane
      Avatar
      schrieb am 29.09.06 11:50:53
      Beitrag Nr. 57 ()
      34.

      Jean Paul setzte sich zu Hause vor seinen Mac und bastelte erneut am Anfang seines großen Westerns. Irgendwie war das noch nicht dramatisch genug, um an die großen deutschen Schriftsteller Karl May und G.F. Unger anzuschließen. Aber es musste einen dritten geben. Aller guten Dinge waren drei. Und der dritte große deutsche Schriftsteller wollte er selber werden. Aber er wusste, dazu musste er noch üben.

      Die Schwingtür zum Saloon ging quietschend auf. Einige der Cowboys und Revolverhelden und Falschspieler sahen aus den Augenwinkeln zum Eingang.
      Aber niemand kam rein.
      "War wohl der verd... Sch... wind, Männer!", knurrte der Barkeeper.
      Erneut quietschte die Tür.
      Diesmal drehten die Männer ihre Köpfe zum Eingang.
      Wieder kam niemand rein.
      "Da kommt keiner nicht rein, um euch eine ver... Runde auszugeben", knurrte der Barkeeper. "Darauf könnt ihr verd... lange warten. Also kauft euch selber Whiskey, Männer! Her mit dem verd... Sch... Geld! Wenn ihr wartet, bis ihr draußen erschossen auf der Sch... Straße liegt, säuft ein anderer davon!"
      Murrend griffen die Männer in ihre Taschen. Alle taten es langsam und mit der linken Hand, denn damals wurde man schnell abgeknallt, wenn es so aussah, als wollte man nach seinem Totschießer fassen.
      Erneut quietschte die Tür.
      Die Gäste des Saloons erhoben sich.
      Sie bildeten ein Spalier, als der dürre junge Mann hereinkam und schnurstracks auf den Wirt zuging.
      "Die ver... Sch... Tür muss verd... nochmal geölt werden!", rief er. "Das Quietschen macht meinen Gaul scheu. Musste ihn zweimal wieder einfangen!"
      Er warf einen Dollar auf den Tresen.
      "Da klebt Sch... Blut dran!", knurrte der Barkeeper.
      Der Fremde nahm das Dollarstück in die Hand und wischte es mit einem Taschentuch ab, auf dem die bereits vorhandenen Blutflecken bereits getrocknet, aber noch nicht verblichen waren.
      "Jetzt nicht mehr", sagte er.
      "Ein sauberes Glas kostet einen verd... Dollar extra", sagte der Barkeeper.
      Der Fremde blinzelte.
      Gefährlich ragte sein Revolver aus dem Holster.


      Jean Paul seufzte. Seit Sergio Leone tot war, gab es niemanden mehr, der ein solches Werk verstehen und 1:1 fürs Kino umsetzen konnte.
      Er musste an etwas anderes denken.
      Marie.
      Das war das einzige, woran er sonst denken konnte.
      Was sollte er tun?
      Er beschloß Aphrodite, seine Internet-Bekanntschaft anzurufen. Und das, was sie sagte, würde er tun. Egal, was es war!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Erzähler macht Wochenende!
      Avatar
      schrieb am 29.09.06 11:53:57
      Beitrag Nr. 58 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.276.903 von Wolfsbane am 29.09.06 11:27:01ich bin (fast) immer in deinen threads mit dabei :D

      weiss auch nicht, wie mir das mit der lesbischen domina in den kopf gekommen ist :laugh:;)

      ... und soooo wohl fühlt sie sich für meinen geschmack eher nicht ...
      Avatar
      schrieb am 30.09.06 13:41:45
      Beitrag Nr. 59 ()
      35.

      Er gab Aphrodite einen genauen Bericht über die Begegnung mit Maries Freundin und ließ nur die wirklich unwichtigen Sachen, wie zum Beispiel den Mann, weg.
      Sie lachte einfach.
      „Du bist doof“, sagte sie dann.
      „Das ist alles, was du als Frau dazu sagst? Ich soll es einfach vergessen und es ist doof, darüber nachzudenken?“
      „Bist du notgeil oder was!“
      „Du klingst wirklich wie ein unheimlich liebes, niedliches kleines Mädchen... und du sagst solche Dinge!“
      Erneut lachte sie.
      Klang süß.
      „Vielleicht“, begann er, „warst du früher ein unheimlich liebes, niedliches Ding und vielleicht steckt dieses kleine Mädchen immer noch in dir. Vielleicht bestand dein Leben als niedliches kleines Mädchen damals nur aus Ballett und Hungern und Schule und Ballett und Hungern und Klavierunterricht und Ballett und Hungern und... dann hattest du vielleicht vorzeitig Verschleißerscheinungen, und bekamst Cortison und andere Medikamente von denen man zunimmt und...“
      „Du solltest Schriftsteller werden!“, unterbrach sie ihn.
      „Ich schreibe schon intensiv an meinem ersten Western. Die sind aus der Mode, aber ich bin ein Contrary! So nennt man das an der Börse, wenn jemand nicht den Trends nachläuft, sondern auf Trendwenden setzt!“
      „Ich muss jetzt Schluss machen, denn ich habe Besuch und muss ihn allmählich wieder losbinden, sonst kriegt er Panik oder ist hinterher ernsthaft sauer! Tschüß!“
      Sie legte auf.
      Er beschloss, Aphrodites Rat auf sie selbst anzuwenden und auch über dieses Gespräch nicht nachzudenken. Statt zu denken, machte er das Gegenteil. Er setzte sich an seinen Computer und chattete.
      Die ganze Nacht.
      Schließlich wurde er immer wieder von einer Person mit dem Namen einer Frau angesprochen. Wahrscheinlich war es ein Fake. Er sagte ihr das. Sie fragte ihn nach seiner Email-Adresse und schickte ihm ein Foto. Es war zu schön, um echt zu sein. Frauen,die man im Internet kennenlernte, waren entweder mindestens 150 Kilo schwer oder schon kurz vor der Rente oder wirklich unattraktiv. Wahrscheinlich zeigte das Bild ein Model und war von irgendeiner Internet-Seit geklaut.
      Schließlich fragte sie ihn nach seiner Telefonnummer und rief ihn an. Sie wollte sich mit ihm verabreden. Sehr verdächtig. Er lehnte immer wieder ab und sah schließlich, dass die Sonne längst wieder aufgegangen war.
      „Ich muss zur Arbeit!“, rief er. „Ruf mich heute abend wieder an! Tschüß!“
      Er legte auf.
      „Sie sehen ja total verzweifelt aus“, sagte seine Chefin wenig später zur Begrüßung.
      Unsinn.
      „Sie gucken heute auch irgendwie anders“, sagte er.
      „Warum?“
      „Irgendwie gucken sie mich heute mit ihren Augen anders an“, sagte er. „Irgendwie.“
      „Ich probiere gerade einen neuen Eyeliner aus“, erklärte sie.
      „Ich kenne nur Inliner“, sagte er.
      „Wir sprechen nach der Arbeit!“
      Sie ging in ihr Büro.
      Er sah ihr nach. Plötzlich stand der Teamleiter neben ihm.
      Der war groß. Wirklich groß. Immer noch. Auch beim zweiten Hinsehen.
      „Bitte nicht schlagen, ich bin Bluter!“, sagte Jean Paul.
      „Was?“
      „Ich war früher im Schachklub. Manche Sachen färben ab.“
      „Folge mir unauffällig.“
      So begann sein zweiter Tag als Telefonagent.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Marie trennt sich von ihrer Freundin. Jean Paul findet einen neuen Job und erlebt beim Treffen mit seiner neuen Internet-Bekanntschaft eine tolle Überraschung!
      Avatar
      schrieb am 01.10.06 08:01:49
      Beitrag Nr. 60 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.304.506 von Wolfsbane am 30.09.06 13:41:45ganz ganz grosses Kino ! :laugh:
      Weiter so wolfsbane !
      Avatar
      schrieb am 02.10.06 00:37:40
      Beitrag Nr. 61 ()
      36.

      „Manche Leute spielen grundsätzlich nicht.“, sagte der Teamleiter. „Da kannst du dir den Mund fusselig reden und und erntest höchstens Selbstzweifel. Dann verschwende nicht deine Zeit, sondern rufe den nächsten an!“
      „Verstanden“, sagte er und telefonierte so fleißig, wie er früher in der Fabrik an der Maschine gearbeitet hatte.
      Bald brauchte er eine neue Liste mit Telefonnummern.
      „Du bist zu schnell“, sagte der Teamleiter.
      „Wieso zu schnell?“, fragte Jean Paul.
      „Du gibst zu schnell auf! Bei jeder Liste müssen eine gewisse Anzahl von Abschlüssen rausspringen!“
      „Du hast doch gerade eben gesagt, ich soll mir nicht den Mund fusselig reden, wenn einer überhaupt nicht will!“
      „Aber es gibt genug, die wollen“, erklärte der Teamleiter, „und du musst um jeden Einzelnen kämpfen!“
      Jean Paul fand jetzt irgendwie widersprüchlich.
      „Und woher weiß ich, ob ich mir nur sinnlos den Mund fusselig rede oder sich das Kämpfen lohnt?“
      „Das sagt dir die Erfahrung.“
      „Aber ich habe keine Erfahrung. Darum bin ich Praktikant.“
      „Dann übe weiter“, sagte der Teamleiter.
      Anschließend hatte Jean Paul wieder einen Rentner dran, der so gehässig und aggressiv redete, wie man es nur sich nur vorstellen konnte. Ihm kam der Verdacht, dass diese Herren in eine Phase ihrer Kindheit zurückfielen und sich wie auf dem Schulhof fühlten, wo es als wahre Männlichkeit galt, sich einfach möglichst unfreundlich und fies zu benehmen.
      Der Teamleiter neben ihm telefonierte gerade mit einer freundlichen, aber misstrauischen Dame, die ihm nicht glaubte, dass sie bei einer Sonderauslosung gewonnen hätte und zu einer sehr limitierten Anzahl von Glücklichen gehörte, denen sich jetzt die einzigartige Chance bot, zu besonders günstigen Bedingungen Lotto zu spielen.
      „In ihrem Dorf hat wirklich jeder schon einen solchen Anruf bekommen?“, fragte der Teamleiter. „Das ist aber ein unglaublicher Zufall oder besser gesagt, eine einzigartige Ansammlung von Zufällen. Das kann ich überhaupt nicht glauben! Sind sie sicher?“
      Jean Paul telefonierte als nächstes mit einer Putzfrau und danach mit einer Frau, die auf das Haus der Nachbarn achtete, während diese in Urlaub waren.
      „Ich habe andauernd die falschen Leute dran“, klagte er dem Teamleiter. „Die Leute auf der Liste sind nicht da, aber der Anstreicher oder Hausmeister oder die Schwiegertochter... Kann ich denen auch Lose verkaufen, auch wenn sie nicht bei der Sonderauslosung gewonnen haben und nicht meine Ansprechpartner sind?“
      Der Teamleiter sah ihn an, als wenn Jean Paul den Verstand verloren hätte.
      „Die kannst du jedem verkaufen!“
      „Aha“, sagte Jean Paul. „Das habe ich auch schon versucht, aber eigentlich nur aus Verzweiflung....“
      Der Teamleiter gab ihm eine andere Adresse.
      „Hier, versuche es mal bei den Ossis! Die sind naiver!“
      „Nu“, sagte Jean Paul.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Paule verkauft sein erstes und einziges Los
      Avatar
      schrieb am 02.10.06 00:40:51
      Beitrag Nr. 62 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.315.725 von GEZ-Preller am 01.10.06 08:01:49@ GEZ-Preller

      "ganz großes Kino" lese ich natürlich sehr gern! :D

      Meinst du damit den Sräd allgemein oder speziell die :rolleyes: Hommage an Sergio Leone und seine Makkaroni-Western??

      :confused:

      Schließlich möchte ich mir doch noch die eine oder andere wohlwollende Kritik verdienen...
      ;)
      Avatar
      schrieb am 03.10.06 14:28:46
      Beitrag Nr. 63 ()
      37.

      Jean Paul merkte deutlich, dass Ferien waren. Immer wieder hatte er übermütige Kinder und genervte Mütter am Apparat und das meistens auch in genau dieser Reihenfolge. Gerade eben erst war er bei einem Gespräch mit einer Frau fast taub geworden, weil das Kind auf ihrem Arm permanent in den Hörer geschrien hatte.
      Endich kaufte ihm jemand ein Los ab. Es war ein grummelnder, aber sympathischer älterer Herr.
      "Sie wollen wirklich eines haben?", fragte Jean Paul ungläubig.
      "Rede ich so undeutlich? Logisch, dass ich das will, wenn ich es doch sage!"
      Seine Kollegen wirkten genauso ungläubig, als er das Formular ausfüllte.
      Aber danach ging nichts mehr. Er dachte sich andauernd neue Argumente aus und hörte wiederholt: "Sie haben ja wirklich auf alles eine Antwort!"
      Wenn Leute ihm sagten, dass sie total knapp bei Kasse wären, erwiderte er "Und wie sonst können Sie da ohne Glück rauskommen? Und warum wollen Sie dann dem Glück keine Chance geben?"
      Logik brachte überhaupt nicht.
      Mann musste die Gefühle ansprechen und den Leuten die Begegnung mit Hernando Guano versprechen oder sonstwie rosige Bilder malen, aber das war Jean Paul zu blöd und darum kriegte er das auch nicht hin, selbst wenn er es wollte und so gut wie möglich versuchte.
      Immerhin hatte er die ganze Zeit eine schöne Aussicht.
      Draußen vor dem großen Fenster liefen pausenlos attraktive Frauen vorbei und wenn ihm etwas den Blick darauf verstellte, war es der weite Ausschnitt der Kollegin gegenüber. Die Gefühle, die er dabei verspürte, machten es ihm überhaupt erst möglich, einen solchen Job auszuüben, denn sie gaben ihm die Sicherheit, dass er immer noch normal war, obwohl er sein halbes Leben lang Bürojobs als Arbeit für Frauen angesehen hatte und darin von seinen Kollegen und Vorgesetzten stets bestätigt worden war.
      Er hätte gern noch länger gearbeitet, weil er unbedigt einen zweiten Auftrag schreiben wollte, aber seine Chefin kreuzte wieder pünktlich hinter ihm auf, um ihn nach Hause zu schicken.
      Nach Hause.
      Vielleicht hatte die Frau von vergangener Nacht ihm eine Mail geschickt.
      Vielleicht konnte er Marie wieder beim Inline-Skaten treffen.
      Vielleicht wurde der Tag doch noch wirklich gut.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Pauls Hoffnungen erfüllen sich!
      Avatar
      schrieb am 04.10.06 11:10:40
      Beitrag Nr. 64 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.333.770 von Wolfsbane am 02.10.06 00:40:51ganz grosses Kino war auf die Geschichte unseres Helden Jean Paul bezogen. Einfach klasse dein Schreibstil. Der Leser kann sich so gut in Jean Paul reinversetzten. Besonders mag ich auch die Dialoge, diesen hier möchte ich beispielhaft anführen

      „Sie sehen ja total verzweifelt aus“, sagte seine Chefin wenig später zur Begrüßung.
      Unsinn.
      „Sie gucken heute auch irgendwie anders“, sagte er.
      „Warum?“
      „Irgendwie gucken sie mich heute mit ihren Augen anders an“, sagte er. „Irgendwie.“
      „Ich probiere gerade einen neuen Eyeliner aus“, erklärte sie.
      „Ich kenne nur Inliner“, sagte er.
      „Wir sprechen nach der Arbeit!“
      Sie ging in ihr Büro.
      Er sah ihr nach. Plötzlich stand der Teamleiter neben ihm.
      Der war groß. Wirklich groß. Immer noch. Auch beim zweiten Hinsehen.
      „Bitte nicht schlagen, ich bin Bluter!“, sagte Jean Paul.
      „Was?“
      „Ich war früher im Schachklub. Manche Sachen färben ab.“
      „Folge mir unauffällig.“


      Ich habe Tränen gelacht als ich dies das erste mal gelesen habe. Weltklasse.

      Der Western gefällt mir auch gut. Jedoch finde ich Jean Pauls Lebenserfahrungen bisher noch eine Spur unterhaltsamer.

      Einziger kleiner Kritikpunkt, die letzte Folge war viel zu kurz ! ;)
      Avatar
      schrieb am 04.10.06 13:59:29
      Beitrag Nr. 65 ()
      @ Gez-Preller


      Danke für den Hinweis, dass du Tränen gelacht hast. Wenn das anderen auch so geht, kann ich es vortragen, um bei Herstellern von Papiertaschentüchern wegen Sponsoring anzufragen.

      Den Dialog habe ich streckenweise bei mir selbst geklaut. Als ich auf meine Umschulung wartete, habe ich solche Dialoge für die Helden von "Alarm für Cobra 11- die Autobahnpolizei" geschrieben und mich damit als Drehbuchautor beworben. Leider erfolglos.

      Die Geschichte geht weiter. Der Western auch. Die Idee vom "Buch im Buch" ist etwas, das ich mir bei Hermann Hesse und seinem "Steppenwolf" abgeguckt habe.

      Morgen gibt es was Neues. ;)


      Gruß

      Wolfsbane
      Avatar
      schrieb am 04.10.06 18:43:16
      Beitrag Nr. 66 ()
      38.

      Zu Hause fand Jean Paul auf dem PC ein weiteres Foto von seiner neuen Internet-Bekanntschaft. Es war tatsächlich dieselbe Frau und sie sah gut aus. Die entscheidende Wirkung ging aber von der Tatsache aus, dass sie nicht perfekt war. Also handelte es sich um kein Modell, dem man ein komplett neues Gesicht gemalt und dieses per Adobe Photoshop noch zusätzlich verschönert hatte. Nein, das war eine richtige Frau.
      Sie wollte ihn um 18.00 Uhr anrufen.
      Er konnte nicht mehr sitzen.
      Er fand überhaupt keine Ruhe mehr.
      Er musste raus, sich austoben.
      Vielleicht lag es auch daran, dass er den halben Tag gesessen hatte. Wie auch immer, er schnallte sich seine Inliner unter und ging so lange Fahrradfahrer jagen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      JP trifft in der Stadt auf Marie!
      Avatar
      schrieb am 04.10.06 18:45:43
      Beitrag Nr. 67 ()
      :eek:

      Hundert Zugriffe!! :eek: Das grenzt ja schon an eine Denial of Service - Attacke!! :laugh:

      ;)
      Avatar
      schrieb am 05.10.06 10:48:55
      Beitrag Nr. 68 ()
      38.

      Jean Paul lief zu dem Rad- und Wanderweg, der einst ein Bahndamm gewesen war. Der Asphalt auf der Strecke war schön trocken, geradezu ideal. Wenn es regnete, blieb der Weg anschließend immer aufgrund der ihn einrahmenden Bäume sehr lange feucht und glatt. Dann weichten außerdem die dort stets zahlreich liegenden Blätter auf, verbanden sich mit Schmutz und wurden zu besonderen Gefahrenstellen, ganz ähnlich dem, was in seiner Gegend der Wirkung wegen auch als „Bauernglatteis“ bezeichnet wurde.
      Nach einer Weile wurde ihm langweilig.
      Weit und breit kein Radfahrer zu sehen.
      Er drehte sich immer wieder um, aber auch hinter ihm tauchte keiner auf.
      Marie war auch nicht zu sehen. Er lief langsam weiter. Irgendetwas musste er schließlich tun. Langweilig. Er übte Rückwartsfahren. Das musste ein Mann können. Falls man sich unterwegs mit einer Frau unterhielt. Anders konnte man sich schließlich beim Reden nicht ins Gesicht sehen. Außerdem weckte es mütterliche Instinkte, wenn man der Frau Gelegenheit gab, einen ständig zu warnen „Pass auf, dass du nicht auf die Schn...e fliegst!“
      Endlich, endlich sah er hinter sich einen Radfahrer.
      Er wurde langsamer, damit der Radfahrer näher kommen konnte. Der weitere Ablauf war ein festes Ritual. Mit schlenkernden Armen möglichst gelangweilt über den Weg schlenden, beim Ertönen der Fahrradklingel sofort Platz machen, stehenbleiben und beleidigt gucken. Passieren lassen und dann die Verfolgung aufnehmen. Erst relativ gemütlich eine gewisse Grundgeschwindigkeit aufnehmen und gucken, ob er guckte. Wenn der Radfahrer schneller wurde, auch schneller werden. Solange er beschleunigte, nur den Abstand halten. Irgendwann merkten sie, dass sie den Abstand nicht mehr vergrößern konnten und dann waren sie fällig. Dann hieß es „Volle Pulle“ und wenn Jean Paul immer näher kam, machten sie meistens schon demonstrativ Platz. Wenn die Aufholjagd nicht zu anstrengend war und Jean Paul beim Überholen noch nicht kurz vor dem Herzinfarkt war, gab er gern noch en passant ein paar coole Sprüche von sich, aber das ging nicht immer.
      Aber dieser Radfahrer kam nicht näher.
      Jean Paul wurde noch langsamer.
      Der Radfahrer kam trotzdem nicht näher.
      Jean Paul fuhr eine Weile vorwärts und ignorierte ihn. Vielleicht half das.
      Schließlich drehte er sich wieder um und sah den Radfahrer auf einen Feldweg abbiegen.
      Wie enttäuschend. Aber vielleicht war es auch besser so. Jean Paul kam allmählich wieder zur Vernunft. Die wichtigste Voraussetzung, um auf Inlinern wirklich schnell zu sein, waren nicht dicke Oberschenkel oder gute Kondition, sondern das Fehlen oder Ignorieren von Angst. Früher hatte er sich stets darauf verlassen, im Falle eines Sturzes rechtzeitig eine relativ weiche Landefläche anzielen zu können und danach wieder hoch zu kommen. Jetzt, mit Verschleißerschungen der Wirbelsäule, die für eine Umschulung ausgereicht hatte, konnte er nicht mehr so überzeugt sein, nach einem Sturz wieder aus eigener Kraft auf die Beine zu kommen.
      Im Nachhinein war er dann also doch froh, dass der Radfahrer keine Situation herbeigeführt hatte, in der Jean Paul gewöhnlich von seinen Jagdinstinkten überwältigt wurde.
      Er brach die Fahrt ab und fuhr zurück. Unterwegs fing er sich einen Zweig ein, der zwischen den Rollen festklemmte und ihn behinderte. Er hielt in der kleinen Kapelle am Wegesrand an, lehnte sich dort gegen die Wand und zog das widergespenstige Teil heraus.
      „Hallo Paule“, hörte er eine bekannte Frauenstimme sagen.
      Er sah auf.
      Maria.
      „Hallohallo!“
      Sie lächelte und stieg vom Rad.
      „Was machst du in der Kapelle? Beten, dass deine Bremsen halten?“
      Er schüttelte den Kopf.
      „Ich bremse nie.“
      „Und ich bremse sogar für Männer“, sagte sie. „Soll ich dich abschleppen?“
      „Wie bitte?“
      „Du siehst schlapp aus.“
      „Danke!“, rief er in sarkastischem Ton.
      „Du brauchst mir nicht zu danken. Hänge dich einfach an meinen Gepäckträger. Ich nehme dich mit.“
      Und schon war sie wieder unterwegs. Er zögerte. Sie schaute nach hinten. Der Blick war Befehl. Er nahm Anlauf und griff nach dem Gepäckträger.
      Sie beschleunigte mit ihm im Schlepptau.
      „Immer schön festhalten!“, rief sie.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Held hält fest!
      Avatar
      schrieb am 06.10.06 19:03:42
      Beitrag Nr. 69 ()
      39.

      Jean Paul versuchte ihr nicht die ganze Zeit auf den Hintern zu starren. Sie hatte zwar keinen Rückspiegel, aber Frauen spürten sowas. Er guckte auf den Gepäckträger und kam fast ins Stolpern. Immer wenn er in eine andere Richtung als geradeaus guckte, stolperte er irgendwie über seine eigenen Füße. Also versuchte er sich auf den Horizont zu konzentrieren. Dieser verfinsterte sich allmählich. Er dachte an das klassische Bild vom einsamen Cowboy, der aus der Stadt und hinein in den Sonnenuntergang reitet. Aber er bewegte sich eigentlich zurück in die Stadt und nicht hinaus.
      Marie atmete inzwischen hörbar.
      Er ließ den Gepäckträger los und fuhr neben sie.
      „Ist das Asthma oder Leidenschaft?“, fragte er.
      Noch so ein Spruch, den er seinerzeit im Schachverein aufgeschnappt hatte und der ihm seitdem immer wieder herausgerutscht war.
      „Wenn ich wollte, könnte ich dich abhängen!“, sagte sie mit Mühe.
      „A lady is never in a hurry.“
      „Hat dir jemand ein Buch mit Sprüchen geschenkt?“, fragte sie.
      „Mir schenkt keiner was.“
      „Aber du hast so ein Buch. Mit nichts als Sprüchen. Garantiert!“
      „Schon“, gab er zu, „aber ich musste es mir aus der Stadtbücherei entleihen.“
      „Wusste ich es doch.“
      „Aber nicht geschenkt.“
      Sie waren wieder in der Stadt.
      „Wenn ich wollte, könnte ich dich abhängen“, sagte sie erneut. „Ladylike oder nicht!“
      „Könntest du nicht. Ich bleibe dran. Gentlemanlike oder nicht!“
      Inzwischen war ihr Weg aufgeteilt. Sie fuhr auf dem Radweg und er auf dem farblich abgesetzten Fußgängerweg.
      „Aber das wäre illegal.“
      „Nur wenn du es schaffen würdest, in Führung zu gehen und ich hinter dir her rennen würde. Das wäre Stalking. Aber neben dir herlaufen darf ich.“
      „Du bist auf dem Fußgängerweg und da darfst du nicht schneller als andere Fußgänger sein! Alles andere ist eine Gefährdung!“
      „Dann überhole ich dich eben und fahre vor dir auf dem Radweg!“
      „Du darfst nicht auf den Radweg! Du bist nur ein Fußgänger mit Spielzeug!“
      „Weißt du, was ich wirklich verabscheue?“, fragte er.
      „Wenn Frauen dir gegenüber Recht behalten?“
      Er winkte ab.
      Das war normal.
      „Und was ist es dann, was du verabscheust?“
      „Gesetze.“
      Und wenn seine Freundinnen ihre Unterhemden bis ins Höschen hinein und unten wieder heraus zogen und er das entwirren sollte.
      „Jean Paul ist ein ganz Gefährlicher!“, sagte sie lachend.
      „Das kann man auf vielen Grabsteinen lesen“, sagte cool.
      Dieser Satz hatte eigentlich nicht auf diese Weise, sondern erst durch die Veröffentlichung seines Western an die Öffentlichkeit kommen sollen. Dort gehörte er nach Jean Pauls eigener Meinung zu den Glanzlichtern.
      „Du bist witzig!“, rief sie. „Du bist so witzig, das macht fast alles andere wieder wett.“
      Sie hielt vor einem Laden an. Er dachte, sie könnte vor Lachen nicht mehr weiterfahren, aber sie wollte nur etwas kaufen.
      „Nein, du bist witzig. Deutest du an, ich hätte Schwächen?“
      Sie schloß ihr Rad ab und wandte sich dem Eingang zu.
      Er versuchte ihr zu folgen, doch das ließ sie nicht zu.
      Und dann sagte sie es.
      „Hier geht es für dich nicht weiter. Ich muss mich jetzt von dir trennen!“

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Frage, ob Jean Paul Schwächen hat, bleibt vorerst unbeantwortet. Der Leser muss sich seine eigene Meinung bilden.
      Avatar
      schrieb am 06.10.06 19:32:27
      Beitrag Nr. 70 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.449.665 von Wolfsbane am 06.10.06 19:03:42Bisher keine Schwächen ausfindig machen koennen bei unserem Helden!
      Avatar
      schrieb am 08.10.06 11:24:35
      Beitrag Nr. 71 ()
      40.

      „Was soll das denn heißen?“, fragte er.
      Die Empörung sprach ihm aus den Augen.
      Sie kicherte.
      „Du kannst echt süß sein!“
      Das brachte ihn endgültig um seine Fassung. Auf der Liste „Was man nie zu Frauen sagen darf!“ stand ganz oben „Du siehst süß aus, wenn du sauer bist!“ und das wusste und beachtete jeder(mann), aber umgekehrt sagten Frauen ihm das andauernd.
      Wo blieb da die Gleichberechtigung?
      „Ist das so!“, knurrte er.
      „Du müsstest dich mal selber sehen! Dieser Blick! Wuhahaha!“
      Allmählich kam in ihm der Gedanke auf, dass Maries blonde Freundin vielleicht doch nicht so übel war, obwohl oder gerade weil Marie sich unter ihrem Einfluss sehr zurückhaltend benahm.
      „Und warum willst du dich dann hier von mir trennen? Aus Angst, dich aus versehen totzulachen?“
      „Nein, du kannst hier einfach nicht rein.“
      „Arbeitet da etwa irgendjemand, der mich nicht sehen darf?“
      „Nein. Aber, kannst du nicht lesen? Guck mal!“
      Sie deutete hinter sich.
      „Bin ich ein Hund?“, fragte er.
      Da war tatsächlich ein Abziehbild von einem Verbotsschild und in dessen Mitte prangte ein hübsches Bild von zwei niedlichen, aber mit einem roten „X“ durchgestrichenen Welpen.
      Ihm fiel wieder die berühmte Filmszene ein, in der Bruce Lee ein Schild mit der Aufschrift „Zutritt für Hunde und Chinesen verboten“ in die Luft warf und in der Luft in Stücke trat. Leider ging das hier nicht, denn das Schild war nur ein Aufkleber und er konnte schließlich nicht die ganze Tür in die Luft werfen und...
      „Du kannst wirklich nicht lesen!“, rief sie.
      Auch das war wieder typisch für Frauen. Andauernd sagten sie irgendwelche Sachen, über die man erst lange nachdenken musste und dann ließen sie einem nicht die Zeit dazu.
      „Ich dachte gerade an einen Film...“
      „Film? Ach ja, Männer können schließlich besser gucken als denken.“
      Es war gemein, das zu sagen. Es gab auf der Welt mehr Frauen als Männer. Wo blieb der Minderheitenschutz?
      „Du hast dir wirklich nur das Bild angeguckt! Aber was steht da drunter?“
      „Hunde verboten?“, fragte er ohne Hingucken.
      „Nein! Inline-Skaten verboten!“
      „Da ist ein Bild, dass Hunde verboten sind und sie schreiben drunter, dass man auf Inline-Skates nicht hinein darf? Wo steckt denn da die Sinngebung! Denken die, dass Hunde Inliner fahren oder was!“
      Er konnte schon ganz schön kritisch sein, der Jean Paul, und wenn er schlecht gelaunt war oder ihm etwas verboten werden sollte, ging es richtig mit ihm durch.
      „Nein“, sagte sie erneut, diesmal gedehnt, „diese beiden Sachen gehören überhaupt nicht zusammen. Das Bild spricht für sich selbst und ist darum ohne Worte, weil es da eben nicht mehr Not tut, auch noch was dazu zu schreiben und in Bezug auf das Inline-Skaten haben sie eben noch kein passendes Bild und darum nur Worte. Das ist zweierlei.“
      Das erinnerte Jean Paul daran, dass Marie Dozentin war. Aber eigentlich waren sowieso alle Frauen Dozentinnen. Bei Jean Paul ganz besonders.
      „Aber rein dürfen wir alle nicht!“
      „Aus verschiedenen Gründen!“
      „Das habe ich verstanden! Aber ich finde es trotzdem ziemlich heftig, dass du behauptest, ich könnte nicht lesen!“
      „Oje.“
      „Also, das hängt alles ziemlich tief. Darum habe ich darüber hinweg gesehen!“
      „Vielleicht sollte das Verbot für diejenigen, die eigentlich angesprochen sind, auf deren Augenhöhe sein...“
      „Du meinst, für dänische Doggen?“
      „Nein, ich meine jetzt nicht das Schild! Ich meine das Verbot für Inline-Skates! Schließlich sind es doch meistens Kinder, die... mit Inlinern fahren.“
      „Okay, das habe ich“, unterbrach er. „Wann tun wir es zusammen?“
      „Was tun wir zusammen?“
      „Inline-Skaten. So haben wir uns kennen gelernt. Ist noch nicht so lange her...“
      „Heute nicht mehr. Ich bin schon mit dem Rad gefahren!“
      „Ich weiß“, knurrte er.
      „Morgen abend! Hol mich ab! So, jetzt muss ich aber rein!“ Sie schloß ihr Rad ab. „Und du musst gehen!“
      „Moment!“, rief er. „Da ist noch ein Verbot!“
      Er deutete auf das Schaufenster und las vor: „Fahrräder anlehnen strengstens verboten!“
      Sie guckte hin und schaute dann wieder in seine Richtung.
      „Dann halte es so lange fest, damit es nicht umkippt “, sagte sie und drückte ihm das Rad in die Hand.
      „Gerade sagtest du aber, ich sollte gehen!“, protestierte er mit der für ihn typischen Eigenschaft, nachtragend zu sein.
      „Ich bin eine Frau, ich darf meine Meinung ändern“, sagte sie.
      Er sah ihr nach.
      Luder. Aber hübsch. Und wenigstens nicht langweilig.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Keiner ist perfekt. Es finden sich weitere Hinweise, dass auch unser Held diese Anschauung nicht widerlegen kann.
      Avatar
      schrieb am 10.10.06 12:23:12
      Beitrag Nr. 72 ()
      40.

      Am nächsten Morgen ging Jean Paul wieder in Call-Center. Er war verzweifelt entschlossen, irgendwem ein Glückslos zu verkaufen. Eigentlich hatte die Chefin gesagt, für eine Übernahme würde es reichen, in den drei Tagen Praktikum überhaupt ein Los zu verkaufen und das hatte er bereits am vorangegangenen, zweiten Tag geschafft, aber natürlich reichte es nicht, nur jeden zweiten Tag einen Abschluss zu machen. Gesucht wurden Leute, die erst einfach nur zuhörten und dann, wenn sie anfingen zu telefonieren, ein Los nach dem anderen verkauften und überhaupt nie wieder aufhörten, pausenlos zu verkaufen.

      Jean Paul hoffte auf ein Wunder. Vielleicht würde die Nachfrage nach Glücksspiel im Verlaufe des Tages steigen. Möglicherweise kamen in den nächsten Stunden Schlagzeilen über einen rekordverdächtigen Jackpot oder sensationelle Sondergewinne raus und machten die Leute verrückt. Aber am meisten hoffte er natürlich, dass er das magische Geheimnis entdeckte, wie man jedem alles verkaufen konnte, denn das und nicht weniger wurde von einem Verkäufer verlangt. Vielleicht musste man stimmlich so wie der Synchronsprecher des jeweils populärsten Kino-Stars klingen oder sich bei der Bekehrung zum Glücksspiel am Aufbau eines Gottesdienstes orientieren, ohne Singen natürlich. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass es ihm hier gefiel. Tageslicht, frische Luft, gebildete Kollegen, überhaupt nicht buckelige Kolleginnen, kein Schmutz und keine Schmerzen. Genau das Gegenteil von den zehn Jahren Knochenarbeit in an schmutzigen Maschinen in dunklen, miserabel belüfteten Hallen. Dafür war er sogar bereit, auf Geld zu verzichten. Jean Paul wusste, dass dieser Laden ganz kurz vor der Pleite stand und mit den Löhnen im Rückstand war, aber wenn er das Ruder herumreißen konnte, war er natürlich der Held. Er dachte dabei an Heldengeschichten wie die Rettung von Chrysler durch Lee Iacocca oder die Renaissance von Apple Computers durch die Rückkehr von Steve Jobs. Nur gab es hier keine großartigen Techniker und Designer, die man nur ermutigen musste, einer legendären Marke mit den richtigen Produkten zu neuem Ruhm zu verhelfen. Aber irgendwie musste er weiterkommen. Wie schon erwähnt, er hoffte auf ein Wunder.

      Kurz vor Mittag kamen drei überaus attraktive junge Frauen ins Call-Center, sprachen mit der Chefin und kamen schließlich in den Raum im Erdgeschoß, in dem acuh Jean paul telefonierte und in dem derzeit alle Plätze belegt waren. Nach zehn Minuten oder weniger gingen sie mit freundlicher Miene. Jean Paul war nicht der einzige Mann, der laut ausatmete und den Grazien offen hinterher sah. Die Chefinn kam währenddessen rein und amüsierte sich.
      "Ist ja immer wieder toll, was sie für uns reinbringen", sagte der Teamleiter.
      "Ist es nicht toll, was ich für euch reinbringe?", fragte die Chefin.
      "Und sonst?", fügte sie hinzu.
      Der Teamleiter sah Jean Paul an.
      "Er hat heute irgendwie kein Glück."
      "Sie haben heute kein Gück?", fragte die Chefin. "Dann kommen sie bitte einmal mit!"
      Der Weg zum Büro kam Jean Paul ewig lang vor und tatsächlich dauerte er läünger als das dann dort stattfindende Gespräch.
      "Offensichtlich werden sie hier nicht glücklich", sagte die Chefin.
      "Ja", sagte er.
      Plötzlich erschien sie ihm völlig unattraktiv.
      "Dann hat es auch keinen Sinn, dass wir sie weiter quälen. Das kann ich überhaupt nicht verantworten. Verkaufen ist auch nicht ihre Sache. Sie haben eine nette Stimme und können ansonsten auch gut reden, also bewerben sie sich am besten bei NUMMER EINS und fragen da nach einem Job im Inbound."
      "Das habe ich schon getan, bevor ich hierhin kam", sagte er. "Aber man wollte micht nicht! Ich bekam eine Absage!"
      "Ich verstehe."
      Sie stand auf.
      "Aber wenigstens wissen sie jetzt, was sie zu tun haben", sagte sie.
      Sie reichte ihm die Hand. Er musste aufstehen, um die Hand zu ergreifen. Als er aufstand, zog sie die Hand weg und ging zur Tür.
      "Es freut mich, dass ich ihnen helfen konnte", sagte sie zu ihm. "Aber jetzt habe ich leider zu tun."
      Er verließ das Call-Center und ging gleich zum nächsten Internet-Café, um die Seite einer Online-Stellenbörse aufzurufen. Dort fand er das Angebot einer Firma aus seiner Stadt. Er schaltete sein Handy ein und rief sofort an.
      "Haben sie Call-Center-Erfahrung?", fragte der Chef.
      "Na klar", antwortete Jean Paul.
      "Können sie sich heute noch vorstellen?"
      "Ja. In kann zum Beispiel schon in einer Stunde da sein", sagte Jean Paul.
      "Bis dann."
      "Bis dann."
      Jean Paul ging vom Internet-Café zu seinem Parkplatz und fuhr heim. Vorstellungsgespräch in einer Stunde. Das passte. Dann brauchte er Marie nicht anzurufen, sondern würde pünktlich bei ihr sein, um sie zum Skaten abzuholen.
      Er gab Gas.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul ergattert einen tausendmal besseren Job. Nur mit marie klappt es wieder nicht.
      Avatar
      schrieb am 10.10.06 17:33:41
      Beitrag Nr. 73 ()
      Lesezeichen

      Bin durch Zufall auf diese Story gestoßen und mächtig gespannt, wie´s weitergeht.
      Avatar
      schrieb am 11.10.06 12:41:41
      Beitrag Nr. 74 ()
      @ Pappenheimer

      Vielen Dank!

      @ll

      Heute kommt das neue Kapitel erst am Abend. Möglicherweise bleibt es vorerst bei der abendlichen Erscheinungsweise. Wäre nett, wenn ab und zu jemand diesen Sräd durch einen kleinen Kommentar wieder nach oben holt, damit er nicht immer im Verlaufe des Vormittags bis auf Seite zwei durchgereicht und in der Mittagspause übersehen wird. ;)

      Gruß

      Wolfsbane
      Avatar
      schrieb am 11.10.06 12:52:08
      Beitrag Nr. 75 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.556.121 von Wolfsbane am 11.10.06 12:41:41Pffffffff!
      Na Gott sei Dank, ich hab schon befürchtet, Dir wäre was zugestossen.
      Hab jetzt mal "Jean Paul" als täglichen Termin für 11:00 Uhr in outlook eingetragen. Hoffentlich vermutet meine Freundin nicht ich würde das Lager wechseln ;)
      Avatar
      schrieb am 11.10.06 12:57:39
      Beitrag Nr. 76 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.556.334 von unlocker am 11.10.06 12:52:08Jean Paul ist ein fester Bestandteil meines Lebens geworden!
      Avatar
      schrieb am 11.10.06 17:01:56
      Beitrag Nr. 77 ()
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 11.10.06 17:48:29
      Beitrag Nr. 78 ()
      41.

      Die Adresse befand sich in der Altstadt. Es handelte sich um ein schönes altes Wohnhaus mit zwei Stockwerken, dem man von außen in keiner Weise ansah, dass es geschäftlich genutzt wurde. Jean Paul fand kein Firmenzeichen und stellte fest, dass Klingel und Briefkasten völlig unbeschriftet waren. Da er pünktlich erschien wurde ihm von einem Mann die Tür geöffnet. Er sah unauffällig aus und sagte nur "Hallo".
      In dem großen Raum, den Jean Paul anschließend betrat, gab es mehrere Schreibtische, auf denen Laptops standen. Außerdem gab es noch einen anderen Tisch, an dem der Chef saß. Ein großer blonder Mann, Anfang oder Mitte dreißig, der aufstand und Jean Paul die Hand gab.
      "Moin", sagte Jean Paul, der stolzer Westfale war und darum bei jeder Gelegenheit Flagge zeigte.
      "Das ist Ludwig", sagte der Chef respektvoll und deutete auf den Kollegen. "Er war drei Jahre bei NUMMER EINS."
      Schon wieder dieser enorme Respekt. Ein Zeugnis von dieser Firma war anscheinend einem Bundesverdienstkreuz fast ebenbürtig.
      "Bis ich selber gekündigt habe", sagte Ludwig.
      "Bei uns geht es um Software für Freiberufler", erklärte der Chef.
      Jean Paul nickte. Das wusste er aus der Anzeige.
      "Kennen sie sich mit der Konvertierung von Daten aus?", fragte der Chef.
      "Ich hatte früher einen Mac", antwortete Jean Paul, "da war das ein Dauerthema..."
      "Ich habe auch einen Mac", sagte der Chef.
      Der Mann war in Ordnung!
      "Okay, ich nehme den Job!", rief Jean Paul begeistert.
      "Aber hier in diesem Büro arbeiten wir mit Windows", sagte der Chef. "Mittelfristig oder spätestens langfristig werde ich mich wohl auch umstellen, denn unsere Kunden haben auch überwiegend Windows. Einige haben auch noch DOS."
      "Aha", sagte Jean Paul.
      "Mit unserer Software kann man alle seine Daten mitnehmen, wenn man von DOS zu Windows oder zwischen verschiedenen Programmen für Windows wechselt. Dann brauchen die Leute nicht den alten Computer in der Ecke stehen haben und zusätzlich zu benutzen."
      "Wie klingt das für dich?", fragte Ludwig.
      "Wir sind gerade dabei, eine Datenbank aufzubauen und Daten zu sammeln", sagte der Chef.
      "Klingt das für dich interessant?", fragte Ludwig.
      "Um die Daten zu sammeln, brauche ich Telefonisten, die auch mit einem Computer umgehen können", sagte der Chef.
      "Super, oder?", fragte Ludwig.
      "Wo ist der Haken?", fragte Jean Paul.
      "Den Haken gibt es im Baumarkt", sagte Ludwig.
      "Kann ich dazu was Schriftliches haben?", fragte Jean Paul.
      "Welche Information fehlt dir denn noch?", fragte Ludwig.
      "Nichts. Ich möchte mir das nur gern in Ruhe durchlesen und noch einmal überlegen", sagte Jean Paul.
      "Morgen ist vielleicht schon wieder alles anders", sagte der Chef. "Das ist jetzt das Angebot des Tages. Zugreifen!"
      "Außerdem gibt es ja auch noch die Probezeit für beide", sagte Ludwig.
      "Was soll das?", fragte der Chef. "Er soll schon den Eindruck haben, dass das jetzt verpflichtend ist, wenn er zusagt!"
      "Also gut", sagte Jean Paul. "Aber ich kann erst morgen anfangen!"
      "Wie ist es morgen früh um zehn Uhr?", fragte der Chef.
      "Wie ist es um neun Uhr?", fragte JP, der gern früh Feierabend hatte.
      "Ich arbeitete immer bis tief in die Nacht und stehe nicht gern früh auf", sagte der Chef.
      "Halb zehn?", fragte JP.
      "Plusminus fünf Minuten", sagte der Chef.
      "Gemacht", sagte Jean Paul.
      Er sah auf die Uhr und verabschiedete sich.
      Wenige Minuten später stand er vor dem Haus von Marie.
      Sie wartete dort schon zusammen mit ihrer Freundin. Als sie ihn sahen, fuhren sie los. Er hechelte hinterher.
      "Ich wusste nicht, dass wir zu dritt sind", sagte er dann atemlos.
      "Ich auch nicht", fauchte die Blondine.
      Er wollte Marie gern fragen, ob ihre Freundin vielleicht eifersüchtig war, aber er kam nie nahe genug heran, um ihr diese Frage unter vier Augen zu stellen. Die Blonde war immer irgendwie dazwischen.
      "Ich stehe darauf, wenn Frauen sich mögen", sagte er schließlich kompromissbereit.
      "Ich auch", sagte die Blonde. "Und wenn sich niemand einmischt, kann das auch so sein!"
      Jean Paul überlegte, was er darauf sagen sollte.
      Eigentlich konnte man in einer solchen Situation nichts anderes tun, als sich eine Zigarette anzuzünden.
      "Fahrt ihr gleich zufällig an einem Zigaretten-Automaten vorbei?", fragte er.
      "Du rauchst?", fragte die Blonde.
      "Ab sofort", antwortete Jean Paul.
      Wahrscheinlich würde er am Ende dieses Ausflugs zu dritt auch obendrein noch zum Trinker werden!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Datenkonvertierung klappt, aber sonst konvertiert keiner!
      Avatar
      schrieb am 12.10.06 11:12:33
      Beitrag Nr. 79 ()
      11:11 Uhr. Up! ;)
      Avatar
      schrieb am 12.10.06 11:45:31
      Beitrag Nr. 80 ()
      Den Haken gibts im Baumarkt :laugh: Weltklasse
      Avatar
      schrieb am 12.10.06 16:21:21
      Beitrag Nr. 81 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.556.121 von Wolfsbane am 11.10.06 12:41:41ok :)
      Avatar
      schrieb am 12.10.06 18:34:11
      Beitrag Nr. 82 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.575.585 von GEZ-Preller am 12.10.06 11:45:31"Moin", sagte Jean Paul, der stolzer Westfale war und darum bei jeder Gelegenheit Flagge zeigte.

      ... der ist aber auch nicht schlecht :laugh: :laugh:
      Avatar
      schrieb am 12.10.06 20:16:40
      Beitrag Nr. 83 ()
      Wolfsbane!
      Es ist Abend! ;)
      Avatar
      schrieb am 12.10.06 22:49:19
      Beitrag Nr. 84 ()
      42.

      Nach dem Inline-Skaten rief Jean Paul bei Aphrodite an, doch sie nahm nicht ab. Er ging ins Internet und fand eine neue Mail von Mireille, in der sie ihm wieder unzählige Fragen stellte. Nachdem er die Hälfte davon beantwortet hatte, überkam ihn eine gewisse Müdigkeit und er beendete das Ganze, in dem er "und der Rest geht dich nichts an" hinzufügte. Schließlich fand er, dass das vielleicht doch zu unfreundlich und zu wenig motivierend wirkte und machte daraus "und den Rest musst du schon selber rausfinden, indem du mich triffst". Auch das war möglicherweise noch etwas roh und so ersetzte er das "musst" durch "kannst". Er schickte diese Antwort ab und klickte anschließend auf "Aktualisieren", um zu gucken, ob in den letzten Minuten etwas Neues gekommen war. Durch das ganze Feilen an Worten fühlte er sich nun wieder in der nötigen künstlerischen Laune, um seinen post-modernen Pseudo-Makkaroni-Western fortzusetzen.

      Der Barkeeper spuckte in das Glas und wischte es mit einem vom Waffenreinigen öligen Tuch wieder aus.
      "Okay, Fremder", sagte er. "Ich schenke dir verd... nochmal den besch... Dollar. Du kriegst ein verd... sauberes Glas, ohne dass du dafür extra bezahlen musst. Soll keiner sagen, dass wir hier nicht verd... gastfreundlich wären. Das unterscheidet uns nämlich von den verf... Rothäuten, die hier immer jeden verjagen und bloß für sich sein wollen."
      "Quatsch keine Opern, Schnullerbacke", knurrte der Fremde. "Ich weiß ver... nochmal nicht, warum ich dich A... nicht einfach über den Haufen ballern soll. Du milchtrinkender Hu...n hast meinen besten Freund erschreckt! Meinen einzigen verd... Freund!"
      Er legte die Hand auf seinen Colt.
      Ein Raunen ging durch den Raum. Der Dorftrottel am Tisch hinten links pupste vor Schreck und es war so still, dass es alle hören konnten. Normalerweise hätte man ihn dafür ohne Nachdenken erschossen, aber an diesem Tag waren so viele Männer im Saloon, dass sich jeder sicher war, dass irgendein anderer der Kerl erschießen würde.
      "Ich habe deinen Freund erschreckt?", fragt der Barkeeper.
      "Ja."
      Der Fremde zog die Waffe und hielt sie dem Barkeeper vor die Nase.
      "Ich dachte, ich hätte nur dein Pferd erschreckt!"
      "Mein Pferd ist mein bester und einziger Freund!", sagte der Fremde bitter.
      "W-wenn es so schreckhaft ist, erschreckt es sich bestimmt auch, wenn es jetzt hier drin knallt!"
      "Nee, das Geräusch ist es verd... nochmal gewohnt, Fischauge! Es erschreckt sich nur, wenn was quietscht, denn das kennt es nicht, weil ich meinen Sechsschüsser regelmäßig einöle und ihn auch sonst keinen verd... Rost ansetzen lasse!"
      Der Barkeeper begann zu zittern.
      "Könntest du bitte den Revolver aus meiner Nase nehmen?"
      "Könntest du bitte mit dem Zittern aufhören?", fragte der Fremde. "Sonst schieße ich dir noch aus Versehen ein drittes Nasenloch und dann ziehst du Nebenluft und das ist schlecht für die Kompression, Schweinereiter!"
      "Kann ich dich irgendwie versöhnen?", erkundigte sich der Barkeeper bange.
      "Ja. Whiskey!", rief der Fremde und steckte seinen Revolver wieder ein. "Aber was Starkes! Wenn ich davon blind werde, ist es auch nicht schlimm, denn anders ist der Anblick von diesem Dreckskaff mitten Im Indianerreservat überhaupt nicht zu ertragen!"
      Der Barkeeper glättete seine Weste und seine Schürze.
      "Whiskey gibt es hier erst ab 18, Kid!", rief der Barkeeper mit neuem Mut. "Kannst du dich irgendwie ausweisen?"
      "Sicher", sagte der Kid und holte aus seiner Weste ein Blatt Papier, das er auf der Theke auseinander faltete.
      "B-billy the Kid?", fragte der Barkeeper, den der Mut schon wieder verließ.
      "Das ist mein offizieller Steckbrief! Lies! Oder muss ich erst wieder auf dich zielen?"
      "G-gesucht wegen 18-fachem Mordes...", las der Barkeeper vor.
      "Genau!", rief der Fremde triumphierend, während sich hinter ihm der Saloon leerte.
      "Kriege ich jetzt meinen Whiskey!", brüllte der Fremde. "Oder gibt es den jetzt erst ab 19 und muss ich dich auch erst noch abknallen!"
      Es klang keineswegs wie eine Frage.
      "S-soll ich das Glas noch einmal saubermachen?"
      "Gib mir die Flasche!"
      Der Barkeeper reichte ihm die Flasche.
      "So ist es brav", sagte der Fremde ud nahm ihm die Flasche ab.
      "H-Herr im Himmel...", betete der Barkeeper.
      "Kannst von mir grüßen!", sagte der Kid, zog blitzschnell und erschoss ihn.
      "Das hast du davon, Nervensäge", fügte er hinzu.
      Nun wollte er Whiskey trinken, aber die Flasche lag auf dem Boden und war bereits komplett ausgelaufen. Der Fremde hatte mit derselben Hand gezogen und geschossen, mit der er die Flasche gehalten hatte. Darum war sie herunter gefallen.
      Der Fremde war eben leider nicht besonders klug.
      Aber dafür war er schnell.

      Während er darüber grübelte, wie er das Ganze packender gestalten und die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Person deutlicher herausstellen konnte, klingelte sein Telefon.
      "Königlich-Dänische Doggen-Entlausungsanstalt Kakerlakensen?", sagte er zum Spaß, obwohl er für die noch nie als Telefon-Agent gearbeitet hatte.
      "Wer ist da?", fragte die Frau am anderen Ende.
      "Marie?", fragte er.
      "Ist Marie eine Dogge?"
      "Mireille? Hier ist Jean Paul!"
      Sie atmete geräuschvoll aus.
      "Dann sage das doch!", schimpfte sie.
      "Spaß muss sein. Übrigens, ich habe einen neuen Job. In einer Software-Firma. Der Chef ist genial."
      "Woher weisst du, dass er genial ist?"
      "Er hat einen Mac. Ich habe auch einen Mac."
      "Sind die nicht teuer?"
      "Meiner hat mich nichts gekostet. Der hat sich selbst finanziert. Als er angekündigt wurde, war ich sicher, dass er ein Erfolg wird und da habe ich Aktien erstanden und anschließend habe ich sie wieder verhökert und von dem Gewinn konnte ich mir selber einen Mac kaufen."
      "Ich habe am Wochenende Zeit!", stieß sie atemlos hervor. "Schon am Freitagnachmittag!"
      Technik schien sie nicht zu interessieren.
      "Und was willst du mit der freien Zeit anfangen?", fragte er, während er immerzu an die über 150 Kilo von Aphrodite denken musste.
      "Willst du mich nicht sehen?", fragte sie.
      Vielleicht lieber nicht.
      "Klar, am besten nackt", sagte er optimistisch.
      "Huh", sagte sie, "ich weiß nicht, ob ich das schon beim ersten Date einrichten kann!"


      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul hat zwei angenehme und vielversprechende Arbeitstage, aber bei der Arbeit an seinem Western ereilt ihn eine Schreibblockade und so flüchtet er sich auf der Suche nach einer ihn wieder inspirierenden Muse in die Begegnung mit Mireille!
      Avatar
      schrieb am 12.10.06 22:51:19
      Beitrag Nr. 85 ()
      @ll

      Danke für die Unterstützung! :)
      Avatar
      schrieb am 13.10.06 09:13:20
      Beitrag Nr. 86 ()
      der western gefällt mir nicht .... :rolleyes:;)
      Avatar
      schrieb am 13.10.06 09:17:14
      Beitrag Nr. 87 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.593.344 von greatmr am 13.10.06 09:13:20Der Western ist cool.
      Vor allem dass der Dorftrottel überlebt, hat mich sehr gefreut.
      Avatar
      schrieb am 13.10.06 10:53:44
      Beitrag Nr. 88 ()
      Weltklasse!!!
      Und deshalb Up!, denn es ist gleich 11
      Avatar
      schrieb am 13.10.06 10:53:46
      Beitrag Nr. 89 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.593.410 von pappenheimer2010 am 13.10.06 09:17:14Diese neue Epsiode des Westerns hat mir besser gefallen, als die erste. Doch (noch) ist Jean Paul mein Revolverheld !
      Avatar
      schrieb am 13.10.06 15:24:56
      Beitrag Nr. 90 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.595.301 von GEZ-Preller am 13.10.06 10:53:46up!
      Avatar
      schrieb am 13.10.06 15:46:03
      Beitrag Nr. 91 ()
      Jaul! Kreisch! Rabääähhh!
      Wann???:)
      Avatar
      schrieb am 14.10.06 11:56:39
      Beitrag Nr. 92 ()
      Es ist zwar schon nach 11:00 Uhr (-->die vielen Rentner an der Kasse :D) aber trotzdem:
      Up!
      Avatar
      schrieb am 14.10.06 12:36:23
      Beitrag Nr. 93 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.614.401 von unlocker am 14.10.06 11:56:39@ unlocker

      ;) Heute abend kommt wieder was... :look:
      Avatar
      schrieb am 14.10.06 12:38:44
      Beitrag Nr. 94 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.614.599 von Wolfsbane am 14.10.06 12:36:23Jean Paul wir brauchen Dich :laugh:
      Avatar
      schrieb am 14.10.06 13:03:37
      Beitrag Nr. 95 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.614.599 von Wolfsbane am 14.10.06 12:36:23Lechz! Hechel! Gier! ;)
      Avatar
      schrieb am 14.10.06 22:12:57
      Beitrag Nr. 96 ()
      43.

      Jean Paul versuchte noch mehrmals ohne Erfolg Aphrodite zu erreichen, die er mittlerweile als eine Art große Schwester betrachtete.
      Er bekam und beantwortete noch mehrere Mails von seiner neuen Internet-Bekanntschaft. Es beunruhigte ihn, dass er mittlerweile das Gefühl bekam, sie würde sich wirklich mit ihm treffen und könnte ihm gefallen. Das war nämlich die sicherste Voraussetzung, enttäuscht zu werden. Meistens machten die Frauen nämlich kurz vor der Terminvereinbarung einen Rückzieher und redeten nur noch von Gewissensnöten oder anderen Zweifeln oder ließen ohne jede Vorwarnung nicht mehr von sich hören oder waren dann einfach nicht am verabredeten Ort.
      Es war einer dieser Abende, an denen er die gute alte Zeit vermisste. Damals hatte es kein Internet gegeben und darum hatte er es auch nicht gebraucht. Um Mädchen kennen zu lernen, war er einfach Zug gefahren. Egal auf welcher Verbindung er sie kennenlernte, sie wohnten duchschnittlich näher als die Frauen, die er jetzt im Internet kennen lernte und die ihm erst verrieten, dass sie in der Schweiz oder in Österreich lebten, wenn sie bereits fest damit rechneten, dass er jedes Wochenende dorthin zu Besuch kommen würde.
      Heutzutage klappte es mit dem Kennenlernen im Zug nicht mehr. Nicht, dass er häßlicher geworden wäre. Er war schließlich nie hübsch gewesen. Aber die Mädchen saßen nicht mehr allein mit einem im Abteil und lasen dort Bücher, auf deren Titel er sie ansprechen konnte. Abteile waren abgeschafft. Man saß ohne jede Privatsphäre mit Dutzenden von Leuten wie im Bus zusammen und wenn sich eine Frau zu einem setzte, klappte sie gleich im nächsten Moment ihr winziges Handy auf und widmete sich dem Verschicken von SMS mit derselben Hingabe wie eine Nonne ihren Gebeten.
      Schließlich benutzte er das Internet, um sich über das Programm zu informieren, auf das sein neuer Chef baute. Eine Datenbank für Kundenkontakte. Was er dazu im Internet fand, gefiel ihm. Es gab sogar ein eigenes Forum, das er sofort seinen Lesezeichen hinzufügte.
      Die Vorfreude machte ihm das Einschlafen aber nicht einfacher. Er ging zur Bank und holte sich einen Kontoauszug. Während der fast zweijährigen Umschulung war sein Einkommen um ein Viertel verringert gewesen. In dieser Zeit hatte er viel Geld für zusätzliche Unterrichtsmaterialien, Kurse und Prüfungen ausgegeben. Allmählich musste er vorsichtig sein. Als Arbeitsloser, auch mit Mini-Job, stand ihm nicht mehr der einst gewohnte Dispositionskredit zur Verfügung. Die Vorstellung, irgendwann am Wochenende am Automaten Geld abheben zu müssen und plötzlich keines mehr zu bekommen, ließ ihn sich schütteln. Im selben Augenblick verwarf er die Idee, wie früher einfach zur Aufmunterung in die Großstadt zu fahren und sich in einer bestimmten Straße mindestens eine eine halbe Stunde anregende Ablenkung zu ersteigern. Das Benzin kostete nun ein Vielfaches von früher. Außerdem hielten sich die professionellen Damen nicht mehr an die abgemachten Preise. Fast immer nahmen sie sich jetzt schon zum Ausziehen so viel Zeit, dass sie angeblich Geld nachfordern mussten, um auf ihre Unkosten zu kommen. Dieser Sittenverfall hatte den Ruf dieser Straße nachhaltig verdorben und so waren die Freier nicht nur geiziger, sondern auch seltener geworden und dies hatte in letzter Konsequenz auch viele dortige Arbeitsplätze gekostet.
      Er atmete tief durch.
      Heute nacht blieb der Motor seines Autos kalt.
      Schade.
      Er konnte sein Konto nicht noch weiter überziehen, um viel zu hohe Ausgaben für immer schlechteren Service zu löhnen und hinterher frustrierter als vorher zu sein.
      Jean Paul guckte nach, wieviel Geld er noch in seiner Tasche fand und überlegte, wozu das reichte.
      Er ging in die Videothek.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Leser werden Zeugen von Jean Pauls erstem Arbeitstag in der neuen Firma und das Treffen mit der Neuen rückt näher. Der Held bekommt dort die Aussicht auf einen Arbeitsplatz in Vollzeit und trifft am Wochenende die Frau seiner Träume. Eigentlich ist alles perfekt...
      Avatar
      schrieb am 14.10.06 22:26:07
      Beitrag Nr. 97 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.626.696 von Wolfsbane am 14.10.06 22:12:57"...und wenn sich eine Frau zu einem setzte, klappte sie gleich im nächsten Moment ihr winziges Handy auf und widmete sich dem Verschicken von SMS mit derselben Hingabe wie eine Nonne ihren Gebeten."

      Super! Auf so eine Metapher muss einer erst mal kommen.
      Avatar
      schrieb am 15.10.06 01:36:55
      Beitrag Nr. 98 ()
      up damit ich morgen den rest noch lesen kann von der tollen geschichte

      jp ist mien held :)
      Avatar
      schrieb am 15.10.06 18:58:21
      Beitrag Nr. 99 ()
      43.

      Jean Paul sucht vergeblich nach den großen Film-Klassikern. Das Ergebnis hätte deprimierender nicht sein können. Er fand keinen einzigen Teil von "Mad Mission". Damals bei der Bundeswehr hatten seine Kameraden ihn praktisch gezwungen, sich mit ihnen an Bereitschaftsabenden diese unvergänglichen Höhepunkte epischen Kinos und subtiler cineastischer Symbolik zu Gemüte zu führen. Mittlerweile war Hongkong an Rotchina gefallen und anstelle von "Mad Mission" und anderem kulturellem Erbe seiner großen Zeit fand Jean Paul unter "Filmklassiker" in seiner Videothek "Dr. Schiwago" und "Anna Karenina". Wo waren die Jahre geblieben und wie konnte es plötzlich so aussehen, als wenn die Kommunisten irgendwie doch gewonnen hatten und seine 15 Monate als Bollwerk gegen den Kommunismus nicht nur widerwillig, sondern auch vergeblich geleistet worden waren? Und wo waren die guten alten Action-Filme geblieben, in denen die Helden und Bösewichter von ehemaliger Hochleistungssportlern gespielt wurden, die keinerlei sprachlicher oder sonstiger intellektueller Fähigkeiten bedurften, weil da einfach gute Amerikaner gegen Kommunisten gekämpft hatten, was keiner Erklärungen bedurfte? Nicht einmal Filme von Bruce Li, dem besten aller Nachfolger des echten Bruce Lee konnte er finden. Es gab keine festen Werte mehr. Sogar Chuck Norris fehlte in der Videothek. Aber Robert Redford gab es, den Vielredner. Okay, Chuck Norris war mittlerweile jede Woche als "Walker, Texas Ranger" im TV zu sehen, doch inzwischen besaß Jean Paul keinen Fernseher mehr. Er hatte sich davon getrennt, nachdem das Unvorstellbare wahr geworden war, also nachdem er bei einem ihm neuen Film mit Chuck Norris eingeschlafen war. Mehr als eine Viertelstunde hatte Chuck keinen umgehauen und als Jean Paul wieder wach wurde, lief schon der Abspann und entlarvte den Hauptdarsteller als reinen Doppelgänger von Chuck Norris, nämlich bereits erwähnten Roberto Redford. Jetzt besaß Jean Paul keinen Fernseher mehr und bekam regelmäßig Drohschreiben der GEZ und ab und zu auch Besuche von stämmigen Damen, die sich jedesmal weigerten, auf seine Einladung hin in seiner Wohnung nach dem abgeschafften Glotzkasten zu suchen. Filme sah er sich auf seinem Computer an.
      Er ging zur Theke.
      "Ich suche einen bestimmten Film mit zwei deutschen Hauptdarstellern!"
      "Davon haben wir viele", sagte die Bedienung.
      "Es ist ein Western!"
      "Der Schuh des Manitou?"
      "Nein, älter."
      "Unsere Kunden wollen immer die neuesten Filme!"
      "Ich nicht. Ich bin ein alter Sack und ich schwelge gern in Erinnerungen."
      Sie überlegte.
      "Können sie mir einen Tipp geben?", fragte sie schließlich.
      "Also, einer der beiden deutschen Hauptdarsteller ist Klaus Kinski!"
      "Fitzcaraldo?"
      "Nein", sagte Jean Paul. "Da ist der andere deutsche Star nicht dabei."
      "Leichen pflastern seinen Weg?", fragte sie.
      "Ja, das ist er."
      "Aber welche andere Hauptrolle ausser der von Kinski ist da deutsch besetzt?", fragte sie neugierig.
      "Die Waffe seines Filmgegners Jean-Louis Trintingnant ist eine Luger!"
      In allen übrigen Western gab es nichts besseres als Revolver zu sehen.
      "Den hatten wir auf Video und haben ihn dann verkauft. Ich weiß nicht, ob der überhaupt schon auf DVD heraus gekommen ist."
      Er seufzte. Die guten alten Videos waren eben unersetzlich. Viele Filme gab es immer noch nicht oder nur verstümmelt auf DVD. Wenn doch, konnte man beim Gucken nicht mal eben einfach eine Pause machen und am nächsten Tag genau dort weitergucken, sondern musste beim nächsten Gucken erst die DVD wieder komplett "laden" und dann nach dem richtigen "Kapitel" suchen und dann hoffen, dass die gesuchte Stelle nicht erst ganz am Ende dieses Kapitels kam. Früher hatte er DVDs trotzdem toll gefunden, weil man sich seine Filme nun auch in Englisch und sogar in Französisch angesehen konnte, aber mittlerweile wurde daran gespart und zur deutschen Synchronisation wurde meistens als Alternative nur noch Hindi oder Mandarin oder Thailändisch angeboten. Sprachen, die er niemals lernen würde, obwohl er Vokabeln ein wenig Sanskrit, Kantonesisch und Koreanisch kannte.
      "Und was soll es jetzt sein? Vielleicht ein moderner Action-Film?"
      "Pfui Deibel", sagte er.
      Die neuen Action-Streifen aus den USA hatten meistens irgendwelche Oscar-Preisträger in der Hauptrolle. Da wurde pausenlos geredet und erklärt und geflennt und wenn es dann endlich zur Sache ging, schienen sich die Kameraleute die laufenden Kamaeras gegenseitig zuzuwerfen, anstatt draufzuhalten. Dann sah man dann maximal eine Hand oder einen Fuß oder eine getrickste Verwundung in Nahaufnahmen und wenn man mal einen kompletten Menschen sah, kam er komplett aus einem Computer-Animationsprogramm. Die Zeiten, in den Action-Helden sich bewegen und sich sogar komplette Bewegungen merken konnten, waren vorbei. Heutige Action-Filmszenen vermittelten einem maximal eine grobe Ahnung davon, was eigentlich los war, indem sie kleinste Filmschnipsel aneinander pappten und dabei so schnell die Perspektiven wechselten, dass man sich beim Zugucken fühlte, als würde man im Suff mit Anlauf auf Inline-Skates eine endlose Steintreppe herunter fallen.
      "Oder was Lustiges?"
      Schließlich ging er mit einem Dokumetarfilm von Michael Moore nach Hause. Leider kam dort nichts vor, was er nicht schon anderswo gelesen oder gesehen hatte und darum schlief er dabei ein. Es gab eben nichts Besseres zum Einschlafen als Filme, außer Action-Filme.
      Als er aufwachte, musste er sich beeilen, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen. Zum Glück brauchte er nur einige Minuten Fußweg hinter sich zu bringen.
      Dei Frau vom Chef öffnete ihm.
      "Ludwig kommt in einer halben Stunde dazu", sagte sie.
      "Und der Chef?"
      "Kommt vorher. Aber er arbeitet nicht hier. Er bleibt bis auf weiteres in seinem alten Büro."
      "Was soll ich tun?"
      "Steht auf einer Liste, die er da drüben neben das Notebook gelegt hat", erklärte sie. "Wir haben hier leider noch kein Internet. Wir sind noch im Aufbau. Darum stellen wir bis jetzt auch nur Hilfskräfte ein."
      "Okay."
      Sie verabschiedete sich
      Er fuhr den Computer hoch.
      Hier konnten die Mitarbeiter tatsächlich mit einer Datenbank arbeiten und interessierten Kunden schriftliche Informationen per Brief oder per Fax zuschicken.
      Einzigartig.
      Er war schon jetzt, beim zweiten von einem Dutzend Jobs, auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Telefonagent!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Wir kriegen erste Hinweise darauf, dass Jean Paul an seinem neuen Arbeitsplatz vor unlösbare Aufgaben gestellt wird.
      Avatar
      schrieb am 15.10.06 19:05:17
      Beitrag Nr. 100 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.626.745 von pappenheimer2010 am 14.10.06 22:26:07@ pappenheimer2010

      Unter anderem habe ich mein Geld auch schon damit verdient, Handys zu verkaufen. Damals habe ich alles über Handys gelesen, was ich in die Finger bekam. Darunter war auch ein Artikel, wonach Frauen Handys nicht zuletzt dazu benutzen, Leute von sich fernzuhalten.
      :rolleyes:
      Das passte zu dem, was ich jedesmal auf dem Weg zu eben dieser Arbeit (und auf dem Rückweg) im Zug sah.
      ;)
      Falls Väter hübscher Töchter unter euch sind: Jetzt wisst ihr auch, warum die Mädels immer so hohe Telefonrechnungen kriegen. Weil die Guten sich immer hinter ihren Handys verstecken müssen... So wie ich mich hinter meiner Sonnebrille...
      :cool:
      Avatar
      schrieb am 15.10.06 19:07:30
      Beitrag Nr. 101 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.627.393 von sgeler am 15.10.06 01:36:55@ sgeler

      Danke fürs Flaggezeigen. Anscheinend Jean Paul gerade zum Sprecher einer vergessenen Generation (uns!)...

      :D
      Avatar
      schrieb am 15.10.06 23:42:19
      Beitrag Nr. 102 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.642.011 von Wolfsbane am 15.10.06 19:07:30wolfsbane ich danke dir für diese tolle unterhaltsame geschichte.
      denke der held ist in etwa in meinem alter (mitte 30ig) da gibts einige punkte der identifikation ;)

      immer weiter so ich liebe die geschichte
      Avatar
      schrieb am 15.10.06 23:43:42
      Beitrag Nr. 103 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.646.416 von sgeler am 15.10.06 23:42:19eher ü40 würde ich meinen. aber die geschichte ist gut, macht spaß sie zu lesen.
      Avatar
      schrieb am 16.10.06 14:54:24
      Beitrag Nr. 104 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.646.457 von altpunk am 15.10.06 23:43:42Denke JeanPaul ist noch nicht 40. Ein Mitt30er meiner Meinung nach...

      auch egal.. der THREAD MUSS NACH OBEN !
      Avatar
      schrieb am 16.10.06 20:14:15
      Beitrag Nr. 105 ()
      @ Altpunk & GEZ-Preller:

      Die Wahrheit liegt wie meistens in der Mitte. Der Held ist Anfang vierzig. Oder wie Paul Breitner einmal gesagt haben soll: "Ich bin eigentlich schon vierzig, aber ich war fünf Jahre krank!"

      Sein fortgeschrittenes Alter dient ihm auch gewohnheitsgemäß als Ausrede, warum er keinen neuen Vollzeitjob findet. Manchmal ist das schließlich auch so.

      "In ihrem Alter haben Sie doch bestimmt schon Probleme mit dem Rücken und allem!"
      "Nö, überhaupt nicht!"
      "Dann kriegen Sie das garantiert in Kürze!"

      :cool:
      Avatar
      schrieb am 16.10.06 20:18:06
      Beitrag Nr. 106 ()
      45.

      Wie angekündigt tauchte später Ludwig auf. Er sagte "Guten Tag" zu Jean Paul und setzte sich an seinen Tisch. Während er darauf wartete, dass sein Computer hochfuhr, wirkte er etwas unausgelastet und Jean Paul nutzte die Gelegenheit, ihn nach NUMMER EINS zu fragen.
      "Erst war es super", sagte Ludwig. "Leichte Arbeit und nach dem dritten Zeitvertrag wurde man fast immer übernommen. Aber dann wurde die Luft immer dünner. Plötzlich wurde man an Kennzahlen gemessen und es machte nicht mehr so viel Spaß wie früher. Jetzt wird auch nicht mehr jeder übernommen!"
      "Ich wäre schon mit einem Zeitvertrag zufrieden", sagte Jean Paul. "Hauptsache, ich habe wieder einen Vollzeitjob. Nichts ist für die Ewigkeit. Und wenn ein Arbeitgeber einen loswerden will, findet er immer einen Weg."
      Er dachte an einen Koch, der plötzlich seinen Spind im Umkleideraum nicht mehr öffnen konnte, weil das Vorhängeschloss ausgetauscht worden war und bei dem man dann Silberlöffel aus dem Hotel fand, was ihm nur noch die Wahl ließ, "freiwillig" zu kündigen oder bei der Polizei angezeigt zu werden.
      "Ich habe selbst gekündigt", sagte Ludwig. "Jetzt habe ich einen prima Job bei einer Versicherung und das hier mache ich nur nebenbei."
      Später kam der Chef dazu. Er gab Jean Paul eine Zeitschrift samt "Heft-CD", auf der sich eine freie Version der in dieser Firma benutzten Datenbankapplikation befand und zusätzlich gab er ihm den Rat, dieses Programm auf seinem heimischen Computer zu installieren und sich dort damit vertraut zu machen. Als Jean Paul erzählte, dass er sich schon mit diesem Programm beschäftigt und im Internet ein entsprechendes Forum gefunden hätte, bekam er noch eine zweite Hausaufgabe, nämlich sich dort anzumelden, um dort für die Firma Fragen zu stellen. Für alle Fälle sollte er sich lieber gleich unter drei verschiedenen Nicknamen anmelden, um so mehr Fragen stellen zu können.
      Jean Paul fühlte sich geehrt, dass man ihm so viel Verantwortung gab und das er hier die Chance bekam, an der Entwicklung der Firma teilzuhaben.
      Am nächsten Tag lernte er seine Kollegin kennen. Sie war sehr nett und behielt immer ihren Humor, auch wenn die von ihr angerufenen Leute unfreundlich oder aufdringlich wurden. Ihre Stimme klang wie Erdbeeren mit Sahne, nur mit mehr Erdbeeren und mehr Sahne.
      Unglaublich.
      Zum Glück von Jean Paul war sie für ihn die ideale Kollegin und zu ihrem Glück war sie aus den gleichen Gründen in Bezug auf private Zwecke für ihn uninteressant. Nach Feierabend stand er mehr auf exotisch zickige Frauen. Wenn eine ihm das Gefühl gab, dass kein anderer Man mit ihr klarkam und alle anderen an ihrem Feuer verbrannten, fühlte er sich als Weltmeister aller Klassen!
      Dann kam der Freitagabend.
      Nachdem Jean Paul seine Arbeit und seine Hausaufgaben erledigt und zwischendurch immer wieder von der Übernahme in ein Arbeitsverhältnis in Vollzeit geträumt hatte, setzte er sich in sein Auto und fuhr in eine ihm sehr vertraute Großstadt. Er brachte seinen Wagen ins Parkhaus und ging zu Fuß zu dem verabredeten Treffpunkt.
      Zuerst ging er in die falsche Richtung, weil er gewohnt war, von da aus zu einer ganz bestimmten Straße zu marschieren, aber dann bemerkte er seinen Irrtum und kam wieder auf Kurs.
      Der Ort, den er jetzt ansteuerte, war allerdings auch so ein Ort, der immer gut besucht war, aber zu dem angeblich keiner ging.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul ist nur noch wenige Schritte von dem verbotenen Ort (und seiner Traumfrau) entfernt!
      Avatar
      schrieb am 16.10.06 21:04:06
      Beitrag Nr. 107 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.666.192 von Wolfsbane am 16.10.06 20:18:06...er wird sich doch wohl nicht im Rotlichtviertel rumtreiben?
      :eek:
      Avatar
      schrieb am 16.10.06 21:06:34
      Beitrag Nr. 108 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.666.101 von Wolfsbane am 16.10.06 20:14:15na ja, mit fast 44 die ich bin mein alter. kann man herauslesen aus
      der geschichte. fiktives alter von jean paul dürfte 42/43 sein :)
      Avatar
      schrieb am 16.10.06 22:52:53
      Beitrag Nr. 109 ()
      @ pappenheimer 2010

      Der Ort, an den er sich begibt, ist für einen gelernten Koch noch viel verbotener als das Rotlichtviertel!
      ;)


      @ altpunk

      Der Verfasser ist 42, aber der Held ist jünger!! :D
      Abgesehen davon verraten die kulturellen Vorlieben eines Menschen nicht unbedingt präzise sein Alter, denn manches fand man schließlich nur darum so klasse, weil die älteren Geschwister (die eigenen oder die der Freunde) davon schwärmten und man selbst eigentlich noch viel zu jung dafür war. (Stichwort "Reiz des Verbotenen")
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 16.10.06 23:35:19
      Beitrag Nr. 110 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.669.283 von Wolfsbane am 16.10.06 22:52:53er geht zum mc d :D
      Avatar
      schrieb am 17.10.06 12:56:15
      Beitrag Nr. 111 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.669.659 von sgeler am 16.10.06 23:35:19:eek: BOAH Der Mann kennt meine, äh... Jean Paul seine dunkelsten Geheimnisse!
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 17.10.06 13:35:01
      Beitrag Nr. 112 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.676.137 von Wolfsbane am 17.10.06 12:56:15Evtl geht er auch zu Burger King, der ist näher am Viertel!
      Avatar
      schrieb am 18.10.06 10:18:02
      Beitrag Nr. 113 ()
      46.

      Mireille hatte beim ersten Treffen um größte Diskretion gebeten und immer wieder davon gesprochen, dass ihre piekfeinen Freunde nie von dieser Begegnung erfahren dürften. Also trafen sie sich auf seinen Vorschlag an einem Ort, der leicht zu erreichen war und den Schutz absoluter Anonymität bot. Es handelte sich um eine in der Nähe des Bahnhofs gelegene Schnellfressfiliale von Apple-Dagoberts, jenem super-amerikanischen Unternehmen, dessen Begründer einst mit seinem American Applepie berühmt geworden war und welches heute fast überall auf der Welt schnell warm zu machende Snacks anbot.
      Er war fünf Minuten zu früh dort.
      Als er sich nach einer Frau in einem schwarzen Kleid umsah, wurde er enttäuscht. Er stellte sich in eine Schlange, um sich einen Kaffee geben zu lassen. Er rechnete damit, versetzt zu werden. Beim Bezahlen überprüfte er darum gleich, ob er genug Geld dabei hatte, um notfalls anschließend noch dorthin zu gehen, wohin er immer ging, wenn er von wieder einer Frau enttäuscht wurde und genug Geld dafür besaß.
      Als er einen freien, kleinen Tisch sah, setzte er sich und beobachtete wie nebenbei den Eingang. Er guckte und guckte und guckte noch einmal und dann passierte es. Eine langhaarige Frau seines Alters stolzierte in den Raum. Sie trug ein graues Kleid und eine Sonnenbrille. Die Farbe des Kleides stimmte nicht und sie war nicht so dünn wie auf dem Foto, aber die Zeit stimmte und solche Frauen verirrten sich äußerst selten in diese Art Fressläden. Sie stellte sich ebenfalls in eine Schlange und wartete. Die Weise, wie sie das tat, nämlich ohne sich irgendwie nach vorn mogeln zu wollen, verrriet ihm, dass sie keine Deutsche war, denn auch die ehemaligen Bewohner der einstigen DDR hatten sich diesbezüglich längst den Wessis angepasst. Sie trug flache Schuhe und wäre mit Absätzen mindestens genauso groß oder sogar größer als er gewesen.
      „Salut“, sagte sie. „Ich habe sogar extra deinetwegen flache Schuhe angezogen, damit du nicht zu mir hochsehen musst.“
      Da guckte man einen Moment nicht hin und schon wurde man überrumpelt.
      „Merci“, sagte er.
      Sie hielt in jeder Hand einen Becher.
      „Willst du Kaffee oder Orangensaft? Zu essen habe ich hier lieber nichts gekauft!“
      „Setz dich“, sagte er. „Ich soll doch nicht zu ihr hochsehen müssen, oder?“
      „Ich gebe dir den Kaffee. Deiner ist ja schon fast halb leer.“
      „Soll ich dir helfen?“, fragte er geduldig.
      Aus gutem Grund war er sehr vorsichtig, wenn sich die Frage stellte, ob er einer Frau aus oder in den Mantel helfen oder ihr den Stuhl zurechtrücken sollte. Manche Frauen reagierten darauf sehr aggressiv und beschimpften ihn dafür als Macho. Besonders bei Karrierefrauen und ganz speziell bei nur mäßig oder überhaupt nicht erfolgreichen Vertreterinnen dieser Gattung konnte man(n) besser den Anschein von Unhöflichkeit riskieren.
      Sie stellte den Kaffee vor ihn, den anderen Becher vor sich und holte dann ein Taschentuch heraus und wischte damit ein paarmal über die Sitzfläche, ehe sie sich dort zögernd niederließ.
      Er sah, dass er mit dem Kaffeetrinken in Rückstand war und widmete sich den Prioritäten.
      „Hier bin ich noch nie gewesen“, sagte sie. „Obwohl ich oft mit dem Zug fahre und immer hier vorbei komme.“
      Sie sah sich um, wie es Touristen in einem fremden Land tun. Er rechnete jeden Moment damit, dass sie ihr Handy zückte und Fotos für ihre Freunde machte.
      „Danke für den Kaffee“, sagte er.
      „Ich wusste nicht, was man hier sonst kaufen kann. Ganz ohne Verzehr darf man hier sicher nicht sitzen.“
      „Bei dir hätten sie bestimmt eine Ausnahme gemacht“, sagte er aus voller Überzeugung.
      „So bist du viel netter als am Telefon“, sagte sie.
      „Es ist mein Job, am Telefon nett zu sein.“
      „Dann könntest du bei mir aber nichts verdienen.“
      „Muss ich auch nicht. Wenn wir telefonieren, habe ich schon Feierabend.“
      „Oder du schläfst schon!“
      Sie kicherte und nahm endlich die Sonnenbrille ab.
      Er stellte fest, dass jeder ihrer Bewegungen eine gewisse Eleganz anhaftete.
      „Komm schon, du bist doch ein Mann und dann kannst auch ab und zu eine Nacht ohne Schlaf verkraften!“
      Er räusperte sich.
      „Andere Männer würden ihre linken Arm dafür geben, einmal von mir angerufen zu werden!“
      „Ich brauche aber beide Hände noch“, sagte er. „Zum Arbeiten.“
      „Aber dafür bist du am Telefon witziger“, sagte sie. „Sogar wenn man dich aufweckt.“
      „Dann kann ich nichts dafür, wenn ich witzig bin.“
      „Bist du denn jetzt wenigstens satt?“, fragte sie.
      „Ich bin nicht zum Essen hier. Ich bin Koch.“
      „Koch?“, wiederholte sie fragend. „Egal. Können wir anderswo hingehen?“
      „Können wir? Du hattest doch die Bedenken, dass deine Bekannten dich mit einem Fremden sehen könnten.“
      „Hier können wir auch nicht bleiben“, sagte sie mit einem erneuten Rundumblick.
      „Wir können auch in ein Hotel gehen und da all die Sachen machen, über die wir schon diskutiert haben“, sagte er ärgerlich.
      Sie guckte ihn an.
      Ihr Blick drückte Überraschung aus.
      „Du hast deinen Kaffee noch nicht aufgetrunken.“
      Er trank betont langsam, weil es ihn immer noch ärgerte, dass Aphrodite ihn kürzlich als „notgeil“ tituliert hatte.
      Sie setzte ihre Sonnenbrille wieder auf.
      „In Belgien trinken wir nicht so viel Kaffee wie ihr hier. Höchstens morgens ein oder zwei Tassen!“
      „Ich dachte, du wärst Französin“, sagte er nachdenklich.
      „Das ist dasselbe“, fauchte sie. „la même chose!“
      „Bof“, sagte er.
      „Falls du irgendwann jemandem von mir erzählst, darfst du auf keinen Fall sagen, dass ich Französin bin! Das würde ich dir nie verzeihen!“
      „Das würden mir die echten Franzosen in meinem Bekanntenkreis noch weniger verzeihen“, dachte er.
      „Der Kaffeebecher ist leer“, sagte er.
      Sie sah sich erneut um und stand dann auf.
      Er blieb noch einen Moment sitzen und genoss den Anblick.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es bleibt nicht beim Anblick.
      Avatar
      schrieb am 18.10.06 10:20:20
      Beitrag Nr. 114 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.677.032 von GEZ-Preller am 17.10.06 13:35:01@ GEZ-Preller

      Evtl geht er auch zu Burger King, der ist näher am Viertel!

      Sind wir in derselben Stadt?? ;)

      Kann eigentlich nicht sein, denn die Stadt, in der dieser Teil der handlung stattfindet, ist frei erfunden, genau wie übrigens die komplette Handlung sowieso...
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 18.10.06 18:14:45
      Beitrag Nr. 115 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.696.173 von Wolfsbane am 18.10.06 10:20:20jetzt wirds aber spannend :)
      Avatar
      schrieb am 19.10.06 00:50:56
      Beitrag Nr. 116 ()
      47.
      Als sie sich beide um zum Ausgang bewegten, fühlte Jean Paul sich einen Moment von ihr unbeobachtet und unwillkürlich atmete er lange aus und verdrehte die Augen.
      Anscheinend fand sie es irgendwie anregend oder sogar spannend, wenn er sich ruppig und prollig benahm. Eigentlich war er tatsächlich genau der Mann, den sie in ihm sah. So war er geboren. Alle Männer in seiner Familie waren so veranlagt. Aber Jean Paul hatte zu viele Bücher gelesen. Er war zahm. Man musste ihn schon massiv ärgern oder in die Enge treiben, damit er sich so benahm, wie es Mireille gefiel. Aber das durfte sie nicht wissen. Zum Glück hatte er sie für ein Fake oder bestenfalls eine neue Aphrodite gehalten und sich darum ihr gegenüber gehen lassen. Normalerweise neigte er gegenüber so attraktiven Frauen zur Galanterie und das war anscheinend das Letzte, was sie in dieser Lebensphase suchte. Er konnte die plumpe Art, die er ihr gegenüber im Internet angeschlagen hatte, nur aufrecht erhalten, weil er genau wusste, dass er das musste, um am Ball zu bleiben.
      Sie sah sich nach ihm um.
      Er knurrte.
      Sie erschauerte und schlug die Augen nieder. Dann atmete sie durch und setzte wieder diese hochmütige Miene auf, die ihr so gut zu Gesicht stand.
      Er durfte auf keinen Fall zeigen, wie uneingeschränkt ihm dieser Ausdruck von weiblichem Stolz gefiel!
      Irgendwie war seine ganze Weltanschauung auf den Kopf gestellt. Normalerweise ließ er seine Veranlagung zum Macho nur gegenüber Männern heraus und bezweckte damit Abschreckung. Gegenüber Frauen litt er unter dem Zwang, den Gentleman zu spielen. Wenn ihn eine Frau als Macho sah, war ihm das gewöhnlich peinlich und wenn ihr das gefiel, war sie ihm peinlich. Vor Frauen, die im Ernst annahm, er wolle als Macho für irgendwen anziehend sein, hatte er keinen Respekt, sondern hielt sie für dumm und hütete sich vor ihrem Einfluss.
      Zum ersten Mal in seinem Leben gefiel ihm eine Frau, der seine dunkle Seite gefiel...
      Das war makaber und beunruhigend.
      Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück!

      Fortsetzug folgt

      Vorschau:
      Die Dinge nehmen eine Wendung, die den klugen Leser nicht, Jean Paul aber umso mehr überraschen wird.
      Avatar
      schrieb am 19.10.06 01:11:19
      Beitrag Nr. 117 ()
      Na endlich! Lieber spät als nie!
      Ich beneide Dich darum, so schreiben zu können und warte, warte, warte auf die Fortsetzung! ;)
      Avatar
      schrieb am 19.10.06 10:42:19
      Beitrag Nr. 118 ()
      @ unlocker

      Heute mittag geht es wieder weiter. Dann gibt es wieder "Wolfsbane" in Bestform, denn das bedeutet
      nach einhelliger Kundenmeinung: Lang und schmutzig!
      :laugh:

      Beim Anfang dieser Episode habe ich ein wenig bei meinen "frühen" Werken :laugh: ("Meine Frauen und meine Aktien") geliehen, doch was jetzt folgt, wird anders... dramatischer und ehrlicher...
      :rolleyes:

      Ich beneide Dich darum, so schreiben zu können
      Kein Anlass. Du hast bestimmt viel wichtigere und einträglichere Dinge zu erledigen und findest nur darum nicht so viel Zeit zum Schreiben. Das ist nämlich das, worauf es ankommt. Man muss einfach die Zeit dazu haben, sich Geschichten auszudenken...
      :rolleyes:
      ...und ein Publikum, das einen dazu motiviert, seine Geschichten im Internet und nicht (nur) an der Theke seiner Stammkneipe zum Besten zu geben...
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 19.10.06 12:23:45
      Beitrag Nr. 119 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.716.388 von Wolfsbane am 19.10.06 10:42:19UP!
      Avatar
      schrieb am 19.10.06 13:48:41
      Beitrag Nr. 120 ()
      48.

      Mireille ging vor. Man sah ihr mehrfach an, dass Sommer war, denn sie trug ein wirklich kurzes Kleidchen, das sehr viele Blicke auf sich zog und sie trug ihr hübsches Näschen so hoch, dass es bei schlechtem Wetter hinein geregnet hätte. Vielleicht musste eine Frau so gucken, um alle Männer um sich herum gleichzeitig im Auge zu halten. Irgendwie schaffte sie das nämlich. Sie war sich ihrer Wirkung dermaßen bewusst, dass ihr unmöglich auch nur ein einziger bewundernder Blick entgangen sein konnte. Dabei beobachtete sie auch Jean Paul und die Wechselwirkung zwischen ihm und den Schaulustigen.
      Jean Paul war lange nicht mehr so zornig angesehen worden. Die Männer sahen immer zuerst unglaublich geilgierig auf Mireille und dann meistens übergangslos gleich hasserfüllt auf. Jean Paul stellte wieder fest, dass nicht nur ein Klaus Kinski solche Fratzen ziehen konnte und normale, unbefriedigte Männer es diesbezüglich mühelos mit dessen schauspielerischen Höchstleistung in "Leichen pflastern seinen Weg" aufnahmen.
      Allmählich wurde er selber wütend. Offensichtlich durfte Mireille überhaupt nicht weniger arrogant gucken, wenn sie irgendwie vermeiden wollte, ansonsten im allernächsten Augenblick einer Massenvergewaltigung zum Opfer zu fallen. Sobald der Ärger in ihm aufstieg, starrten die Männer ihn nicht mehr so lange an und glotzen danach auch nicht erneut und lange auf Mireille. Der Unterschied fiel ihr sofort auf und sie stutzte merklich. Verwundert sah sie offen Jean Paul an, der ihren Blick gerade nicht erwidern konnte, weil er stattdessen jemanden ohne Worte und nichtsdestotrotz unmissverständlich auf Distanz halten musste, was ihm in dieser Laune keinerlei Probleme bereitete.
      Mit einem Schlag veränderte sich die Haltung von Mireille. Sie begann zu lächeln und bewegte sich freier als vorher. Es war fast so, als würde sie pfeifen und hüpfen. Dabei wiederholte sie in kurzen Abständen diesen offenen Blick zu Jean Paul und wurde immer freier.
      Jean Paul hatte nie viel Wert darauf gelegt, bei anderen Männern populär zu sein und es machte ihm nichts aus, dass sie ihn jetzt wieder alle hassten.
      Ab und zu musste er einfach schauen, wie sich bei ihren langen Schritten jedesmal der Rocksaum über ihrem Po hob und sanft in Gegenrichtung der Schwerkraft hochwehte.
      Mireille ging langsamer und sah sich häufiger um. Es war klar, dass sie hier einkehren wollte. Ein französisches Bistro, so französisch wie es das in Frankreich selbst überhaupt nicht mehr gab. Er musste sofort regieren und den Anschein der Dominanz wahren. So wurde das Spiel eben gespielt. Er zögerte und sie wurde noch langsamer und machte ein fragendes Gesicht.
      "Hier gehen wir jetzt rein", knurrte er.
      Sie guckte etwas gelangweilt.
      "Und zwar sofort", sagte er mit einer Spur mehr Knurren.
      Sie lächelte und tat so, als würde er sie mit Blicken zum Ausgang lenken.
      In Wirklichkeit machte er trotz aller Wichtigtuerei nur das, was wir Männer unser ganzes Leben lang tun, nämlich einer Frau nachzulaufen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Fällt aus Zeitgründen aus!
      Avatar
      schrieb am 19.10.06 13:51:13
      Beitrag Nr. 121 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.718.301 von GEZ-Preller am 19.10.06 12:23:45Danke, GEZ-Preller

      Ich bin heute wieder später dran, als ich mir vorgenommen hatte :rolleyes:
      Aber der Grund ist für mich sehr erfreulich! :)
      Wahrscheinlich sehe ich morgen gute Freunde wieder! :D
      Avatar
      schrieb am 20.10.06 00:50:58
      Beitrag Nr. 122 ()
      49

      "Hier?“, fragte sie im Bistro.
      „Hast du nicht gesehen, wie ich auf diesen Tisch gezeigt habe?“, fragte er.
      „Nein, das war weibliche Intuition...“
      „Ich habe deutlich darauf gezeigt.“
      „Dann setzen wir uns doch“, sagte sie.
      „Genau“, sagte er.
      Sie setzten sich.
      Er sah sie an. Niedlich war sie. Nicht zu dick und nicht zu dünn. Mit sehr dünnen Freundinnen hatte er meistens nicht viel Spaß gehabt. Die hatten sich andauernd schlapp gefühlt, meistens dann auch total lustlos und depressiv.
      „Hier sind auf jeder Seite der Speisekarte mindestens drei Französisch-Fehler“, sagte sie.
      Er fragte sich, wozu das alles führen würde.
      „Was guckst du so?“, fragte sie. „Du brauchst bei mir überhaupt keine Angst zu haben. Ich suche keinen Versorger. Ich habe reichlich Geld. Ich verdiene sehr gut. Ich will keine Beziehung. Ich habe schon einen Freund, der sich andauernd an mich klammert. Ich will dich bestimmt nicht heiraten. Wenn wir uns dann wieder scheiden lassen würden, müsste ich dir nämlich Unterhalt zahlen und nicht umgekehrt.“
      „Was willst du dann?“
      „Spaß. Ohne Bindung.“
      Als Teenager hatte er davon geträumt, so eine Frau zu finden. Es war ihm nie gelungen. Er hatte auch nie ernsthaft damit gerechnet, dass es so eine Frau gab und noch dazu für ihn und obendrein attraktiv. Darum hatte er es nie für nötig gehalten, einmal gründlich nachzudenken, ob er sich immer noch wünschte.
      Jetzt war es nötig.
      „Du hast einen Freund?“, fragte er.
      „Ja, aber da läuft nichts mehr.“
      Das sagten sie alle. Aber vielleicht war sie wirklich die Karrierefrau, als die sie sich ausgab und hatte nur einen Freund für die Wochenenden, der sie begleitete, wenn sie gesellschaftliche Pflichten erfüllen musste.
      Was war noch das andere Ding gewesen, über das er hatte nachdenken wollen?
      „Du bist vielleicht eine...“
      „Ja, mich gibt es nur einmal. Darum auch der Name meiner Email-Adresse.“
      Sie hatte ihrem Namen ein „Mega“ vorausgestellt.
      „Soso.“
      „Und du würdest mich auch übers Knie legen, obwohl ich so schön bin?“
      Sie war so eingebildet, dass ihn ihre Schönheit nicht mehr daran hindern würde, aber sie wirkte auch ziemlich kräftig und sehr launisch.
      Er musste sich das noch einmal überlegen.
      „Sowas mache ich andauernd!“, knurrte er.
      Wie wollte sie ihm auch etwas anderes nachweisen.
      Heute würde sowieso nichts mehr passieren...

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Wir erfahren, ob es JP bekommt, sich auf ungewöhnliche weibliche Fantasien einzulassen...
      Avatar
      schrieb am 20.10.06 08:33:04
      Beitrag Nr. 123 ()
      Boahh, das wird ja immer spannender!

      Dieser thread hat ein gewisses Suchtpotential;)
      Avatar
      schrieb am 21.10.06 12:07:12
      Beitrag Nr. 124 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.733.555 von pappenheimer2010 am 20.10.06 08:33:04@ Pappenheimer

      :eek: Dann muss der Sräd ja wohl demnächst auch eine Warnung wie "Lesen schadet ihrer Gesundheit" tragen! :laugh:
      Avatar
      schrieb am 21.10.06 12:15:38
      Beitrag Nr. 125 ()
      50.

      Der neue Job als Telefonagent bei der heimischen Firma hatte Jean Paul bereits verändert. Dort musste er am Telefon bei potentiellen Kunden Bedarf ermitteln, um maßgeschneiderte Angebote zu machen. Dabei hatte er festgestellt, dass es bei wirklichem Bedarf keiner ausgefeilten Fragetechnik oder gar irgendwelcher rhetorischer Kniffe bedurfte, damit die Leute mit den für ihn wichtigen Informationen heraus rückten. Ganz im Gegenteil, die besten Informationen bekam man meistens einfach durch Zuhören. Dann erzählten die Leute einem Sachen, nach denen man sich nie zu fragen getraut hätte oder zu denen einem selbst im Nachhinein keine passende Frage einfiel.
      Zuhören musste man können.
      Einfach nur zuhören.
      "Ich weiß aber nicht, ob ich es schaffe, mir das gefallen zu lassen", sagte sie seufzend.
      Er fragte sich, was der Seufzer bedeutete. Er wusste es nicht. Er wusste nur, was das Beste war, wenn eine solche Frau etwas sagte oder tat, was man nicht verstand. Er wusste es, weil solche Frauen meistens früher oder noch früher etwas sagten oder taten, was keiner verstand.
      Also tat er, was er tun musste.
      Ein Mann musste immer tun, was ein Mann eben tun musste.
      Er zuckte mit den Schultern und machte ein dummes Gesicht.
      "Ich bin so gewohnt, dominant zu sein", erklärte sie mit schlecht geheuchelter Bescheidenheit. "Normalerweise kommandiere ich immer herum und alle tun was ich sage und freuen sich sogar noch, wenn ich sie zur Schnecke mache..."
      Erneut zuckte er mit den Schultern und machte ein dummes Gesicht. Um nicht uninteressiert zu wirken, kniff er leicht die Augen zusammen und als sie immer noch nicht weiter redete, legte er leicht den Kopf zur Seite.
      "Irgendwie bin ich es so Leid, dass alle Leute immer alles tun, was ich will."
      Sie schaffte einen noch größeren Seufzer.
      Diesmal war sein dummes Gesicht ungespielt, denn in ihm stieg Ungewissheit darüber auf, wer hier wem etwas vorspielte. Andererseits, wenn es hier die Frau war, die den Mann manipulierte, war das auch nicht schlimm. Auf dieser Grundlage hatte die Menschheit bereits seit Tausenden von Jahren großenteils ganz ordentlich überlebt. Das war wenigstens normal.
      "Das kann man ändern", schlug er höflich vor, um ihr Gespräch in Gang zu halten.
      Sie machte einen niedlichen Augenaufschlag. Eine Geste, die eigentlich keine Berechtigung hatte, außer dass sie dabei unglaublich, also wirklich ganz unheimlich total und durchaus verführerisch aussah.
      "Wenn ich mich von dir später zu genau festgelegten Bedingungen, die die Grundlage dafür sind..."
      Endlich redete sie weiter.
      Er hatte sich schon gefragt, was er tun solte, falls sie nicht weiter redete.
      "... dominieren lasse, dann nur, weil mir langweilig damit ist, dass ich immer gewinne und dass ich immer die Beste in allem bin und alle zu mir hochschauen und das kann wirklich langweilig werden, obwohl du das natürlich nicht ahnen kannst..."
      Das machte ihn nun aber doch wütend.
      Ihn packte der angeborene Jähzorn.
      Er beschloss sie auf übelste Weise zu beleidigen, nur um zu sehen, wie sie darauf reagierte und ob sie das wegstecken konnte.
      Er gähnte!
      :yawn:

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Zugriffszahlen und Kommentare der Leser werden zeigen, ob die Geschichte sich mit diesem Jubiläums-Kapitel (50!) noch auf der richtigen Schiene bewegt... :confused:
      ... und das nächste Kapitel liefert sachdienliche Hinweise, wie die Superfrau auf diesen :eek: Affront seitens JP :eek: reagiert ... :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 21.10.06 22:34:25
      Beitrag Nr. 126 ()
      51.

      "Bei mir hat noch nie jemand gegähnt, wenn ich redete!", protestierte sie.
      "Und dich hat auch noch nie jemand übers Knie gelegt", spekulierte er.
      "Natürlich nicht."
      "Dann kannst du bei mir viel dazulernen!"
      Ihre Empörung wich teilweise der Verblüffung.
      "So hat auch noch niemand mit mir geredet!"
      "Du kommst wohl nicht viel unter Leute", sagte er.
      Allmählich fragte er sich, ob diese ganze Geschichte ihm überhaupt irgendetwas außer Kopfschmerzen einbringen würde und ob er nicht vieleicht besser ganz offen seinen Unmut zeigte und sie sich einen anderen Dummen suchen ließ. Manchmal durfte man Frauen abblitzen lassen. Nicht nur Frauen durften "Nein" sagen. Helden durften das auch. Schon Humphrey Bogart hatte das in seinen Filmen getan, wenn offen manipulative Damen ihre weibliche Attraktivität als Waffe einsetzten. Aber Bogart hatte auch geraucht und Hüte getragen.
      "Doch, aber gewöhnlich komme ich nicht mit Leuten wie dir in Berührung", sagte sie.
      "Einsicht ist der beste Weg zu Besserung."
      Er schaute auf seine Armbanduhr. Noch war in der verbotenen Straße nicht viel los. Das würde noch etwa zwei Stunden dauern. Der Weg dorthin dauerte aber maximal 20 Minuten.
      "Bist du schwul?"
      Komische Frage.
      Sie sah seinen verwunderten Blick und wartete nicht auf die Antwort.
      "Ich sehe wirklich so aus. Ich bin nicht geschminkt", sagte sie. "Auch meine Augenbrauen sind echt."
      Sie zupfte sich ein Härchen aus der linken Augenbraue.
      "Siehst du?", fragte sie.
      Da war wieder dieses Phänomen, dass Leute, wenn sie erst einmal in Schwung kamen, Dinge erzählten, die nachzufragen einem nie eingefallen wäre.
      Er nickte.
      "Und ich bin auch wirklich echt blond."
      Sie riß sich ein langes Haar aus und zeigte es ihm.
      "Vielleicht sollten wir irgendwo hin gehen, wo wir allein sind...", sinnierte er.
      "Warum?"
      "Jetzt fehlt nur noch ein Schamhaar."
      "Ich kann eben zur Toilette gehen und es mir dort ausreißen und dir hier geben."
      "Das ist ein Plan", erkannte er an.
      Sie rang sichtlich um ihre Fassung.
      "Traust du mir jetzt zu, dass ich dich übers Knie lege?", fragte er.
      Aphrodite hätte ihm bei einer solchen Aktion mit ihrem Gewicht die Beine gebrochen, aber diese hier wog nicht zuviel.
      "Nur wenn ich dich lasse", sagte sie. "Ich kann Karate. Ich kann dich jederzeit umhauen, wenn ich nur will."
      Sie sah wie eine echte Dame aus, doch sie redete tatsächlich wie ein pubertärer Proll.
      Er grinste.
      "Du glaubst mir nicht?", fragte sie.
      "Darüber habe ich noch nicht nachgedacht."
      "Und woran denkst du?"
      "Ich denke, dass ich dich wohl fesseln muss, wenn wir irgendwo allein sind. Falls du ein Gröllchen kriegst und es sonst mit dir durchgeht."
      Ihre Augenlider flatterten.
      "Du würdest mich fesseln? Das könntest du tun? Obwohl ich ein Gesicht wie ein Engel habe?"
      "Schönheit ist billig", sagte er. "Ich bin nur zwanzig Minuten Fussweg von einem Blowjob für ein paar Euro entfernt und viele der Frauen, die das dort anbieten, sind auch entgegen allen Vorurteilen auch sehr attraktiv. Die hatten nur das Pech, in einem armen Dorf in Albanien oder so zur Welt zu kommen und verkauft zu werden."
      Jetzt wirkte sie wieder gefasst. Sie lächelte sogar. Auf geheimnisvolle Weise. Fast wie Mona Lisa, nur nicht so pausbäckig.
      "Ich kannte noch nie einen Mann, der zugab, dass er ins Bordell geht."
      "Du kannst mich noch besser kennenlernen!"
      Sie atmete tief durch.
      "Wie stellst du dir das vor?"
      "Wahrscheinlich muss ich dich erst ein wenig bändigen, um meinen Ärger über dieses Gespräch abzubauen und dich so brav zu machen, dass du wenigstens einigermaßen nett wirkst."
      "Ich bin nett!"
      "Du bist arrogant!"
      "Aber auch nett!" Sie seufzte. "Und einsam!"
      Wenn man mit ihr schimpfte, ging es besser.
      "Das ist ja ein ein Ding.", sagte er. "Und jetzt?"
      "Ich werde mich nie in dich verlieben. Ich will nur Spaß!"
      "Du wiederholst dich."
      "Und du gibst viel Geld dafür aus, etwas zu bekommen, was du auch umsonst haben kannst."
      "Das ist mein Geld."
      Auch wenn es derzeit überwiegend vom Arbeitsamt kam!
      "Morgen abend habe ich Zeit", sagte sie. "Dann werde ich dir einmal erlauben, mich so zu behandeln, wie es dir gefällt und falls mir das auch gefallen sollte, lasse ich dich das vielleicht wiederholen."
      Sie seufzte und setzte eine sehr würdige Miene auf.
      "Klingt nicht uninteressant", sagte er gereizt.
      "Also morgen", sagte sie, offensichtlich befehlsgewohnt.
      "Warum nicht."
      Sie zog eine Augenbraue hoch.
      "Das ist alles?", fragte sie beleidigt.
      "Das, worauf es ankommt, wirst du spüren, wenn ich dir morgen den Hintern versohle", sagte er mit wohldosiertem Knurren.
      Sie atmete schwerer und wurde schlagartig rot. Dann räusperte sie sich, sah auf ihr Kleid, strich es über den Beinen glatt, räusperte sich erneut, guckte weiter nach unten, hob schließlich wieder den Kopf und wich seinem Blick abweschselnd nach rechts und links aus.
      "Heisst das, wir sind uns einig?"
      Sie seufzte.
      "Ich verstehe kein Wort", knurrte er.
      "Und du könntest das wirklich tun?", fragte sie zweifelnd und immer noch hochnäsig.
      Bis vor diesem Gespräch hatte er selbst daran gezweifelt. Aber ihre Arroganz hatte ihm die Gewissheit verliehen.
      "Einer muss es tun", sagte er.
      Soviel stand objektiv fest.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Dialoganteil wird gesenkt, da ein hoher Dialoganteil Literaturwissenschaftlern als Indikator für Trivialität gilt und der Autor seine Leser auf keinen Fall dem Vorwurf aussetzen möchte, sie würden ihre Zeit mit dem Lesen von Schund vergeuden...
      Avatar
      schrieb am 22.10.06 02:24:59
      Beitrag Nr. 127 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.766.470 von Wolfsbane am 21.10.06 22:34:25ja das wird gut :D
      mwhr handlung weniger dialog

      aber immer noch genug dialog zum verstehen was sie fühlen und denken
      Avatar
      schrieb am 22.10.06 10:38:43
      Beitrag Nr. 128 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.770.292 von sgeler am 22.10.06 02:24:59Also kapitel 51 ist dir wirklich sher gelungen.

      Einige Highlights dabein. Ich mag die Dialoge übrigens sehr gerne.
      Die Vorschau war auch wieder einmalig.

      Super Story! Bitte weitermachen!:lick:
      Avatar
      schrieb am 22.10.06 17:44:50
      Beitrag Nr. 129 ()
      52.

      Jean Paul rieb sich die Stirn, denn er verspürte plötzlich Migräne oder so.
      Mireille, die sich im Internet immer "Lola" nannte, was angeblich ihr zweiter Vorname war und mit dem Zusatz "Super" ihre Emailadresse ergab, sah aus dem Fenster. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite befand sich ein Lokal, das von lauter ungleichen Paaren frequentiert wurde. Die Männer waren alle doppelt so alt und mindestens doppelt so schwer wie ihre sehr hübschen Begleiterinnen.
      "Wenn ich ein Mann wäre und genug Geld hätte, würde ich mir wahrscheinlich auch einfach eine hübsche junge Exotin holen und mich nicht um eine neurotische, reife Karrierefrau wie mich bemühen", sagte sie.
      "Ich kann mir dich nicht als Mann vorstellen", sagte Jean Paul.
      "Nein, ich bin eine Frau. Aber ich könnte etwas mehr Oberweite haben. Andere Frauen können da mehr bieten", sagte sie mit Blick aus dem Fenster. Sie seufzte. "Zum Glück habe ich wenigstens ein Hohlkreuz."
      Jean Paul wartete eine Weile, ob noch etwas hinterher kam und überlegte dann, ob sie das als Witz meinte.
      Nein.
      "Du hast doch einen Freund", sagte er schließlich in gemessenem Ton.
      "Aber der will nur noch so mit mir zusammen hocken", klagte sie. "Der betet mich an und erzählt mir pausenlos, was für eine tolle Frau ich bin und dass ich viel mehr bin, als er verdient. Dieses Gejammer ödet mich an."
      Sie stützte ihr Kinn auf beide Hände und sah ihn ernst an.
      Er erwiderte ihren Blick fragend.
      Superlola hob mit unverändertem Blick unmerklich langsam ihre Mundwinkel, bis sie deutlich lächelte und ihn schließlich offen anlachte, während er immer noch dumm guckte, was sie sehr amüsierte.
      "Und morgen wirst du es mir zeigen?", fragte sie.
      "Wenn du mich nicht aus Versehen umkloppst oder in die Erde stampfst", sagte er grinsend.
      "Deine Stimme kann ganz schön fies klingen", sagte sie irritiert. "Das hätte ich gerade überhaupt nicht gedacht."
      Er lachte auf eine Weise, die exakt seiner aktuellen Laune entsprach.
      "Das ist ja noch schlimmer", klagte sie.
      Und dann schüttelte sie sich.

      53.
      Die Begegnung mit Superlola inspirierte Jean Paul umgehend dazu, das dritte Kapitel seines Neo-Super-Westerns zu schreiben.

      "Klopf, klopf" machte es an der Tür des Hotelzimmers.
      Das erste Klopfen war nocht nicht verklungen, da lag schon der Sechsschüsser sicher und tödlich in der Hand von Billy the Kid, dem bekanntermaßen größten Helden des wilden Westens.
      Nach seinem Holster zu greifen, die Waffe zu ziehen und mit der präzisen Wahrnehmung einer erfahrenen Fledermaus dorthin zu zielen, von woher die Schallwellen kamen, noch ehe sie das menschliche Ohr erreichten, war für ihn eine seiner leichtesten Übungen. Selbst wenn er sich dabei zwischendurch noch den Hintern kratzte, der ihn ständig juckte, weil er Ausschlag davon hatte, andauernd Büsche zu düngen, war das alles bei ihm nur eine einzige Bewegung.
      Lola trat ein.
      Sie sah auf seinen Revolver.
      "Ist der aber groß", sagte sie sanft. "Da fühlt sich ein Mädchen wie ich ganz schutzlos und huh, ausgeliefert."
      "Mach die Tür hinter dir zu", sagte er herrisch.
      "Warum?", fragte sie.
      "Quatsch keine Arien, tu es!"
      Sie schloss die Tür.
      "Jetzt bist du schutzlos und ausgeliefert", sagte er zufrieden und steckte seinen Revolver wieder ein.
      "Soll ich die Tür von innen abschließen und dir den Schlüssel geben?", fragte sie devot.
      "Was?", fragte er.
      "Ob..."
      "Bloß nicht schon wieder so ein langer Satz!", schimpfte der Kid, der Kommas in den Sätzen seiner Gesprächspartner mehr fürchtete als Kugeln in den Colts seiner Gegner.
      "Willst du mich jetzt erschießen?", fragte sie.
      Er deutete auf eine volle Badewanne.
      "Willst du mich ertränken?", fragte sie.
      "Nein!"
      "Was willst du dann?", fragte sie zitternd.
      "Rückenschrubben!"
      "Und danach?", fragte sie.
      Er knöpfte sein Hemd auf.
      "Nach was!"
      "Nach dem Rückenschrubben!", sagte sie.
      Er zog sein Hemd aus und erlebte ein Wiedersehen mit längst vergessenen Hautpartien.
      "Komisch", sagte er. "Wo die Sonne nicht hinkommt, bin ich auch dunkel. Wie kann das?"
      "Okay, mit dem Rückenschrubben werde ich auf unbestimmte Zeit beschäftigt sein", sagte sie.
      Er guckte auf seinen Revolvergurt und fragte sich, wie er seine Hose ausziehen konnte, ohne ihn abzulegen.
      "Bist du Französin?", fragte er, ohne sie anzusehen. "Du redest so seltsam!"
      "Ich halte mir nur gerade die Nase zu", sagte sie.
      "Da wäre ich fast drauf reingefallen", sagte er. "Französin. Ha!"
      Sie half ihm, die Stiefel auszuziehen.
      "Durch die Trockenheit in der Wüste sind tatsächlich deine Socken zu Staub geworden!", rief sie hustend.
      "Habe noch nie Socken getragen", sagte er.
      "Das wird mir zuviel", sagte sie und setzte sich auf den Rand der Wanne.
      "Warum bist du eigentlich gekommen?", fragte er.
      "Ich bin die Witwe vom Barkeeper und brauche einen neuen Beschützer."
      "Ich bin nur auf der Durchreise", sagte Billy the Kid, der tatsächlich permanent auf der Flucht vor ehrgeizigen Sheriffs war.
      "Was kann man denn da machen", hauchte sie und musste dabei leicht husten, da sie gegen Berufskrankheiten wie Syphilis auch nicht immun war.
      "Rückenschrubben!", wiederholte er ungeduldig.


      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul versucht erst mit Marie und dann mit Aphrodite zu sprechen, aber Marie ist mit einer neuen Freundin in Urlaub gefahren und Aphrodite befindet sich in einer intensiven Therapie. Früher hätte er seinen Kumpel Kutte gefragt, aber Kutte hat sich schon vor einigen Jahren aus Liebeskummer einen Rausch angesoffen und auf diese Weise einen tödlichen Verkehrsunfall erlitten. So gesehen wäre er wohl auch kein zuverlässiger Ratgeber gewesen. Und sein Vater hatte auch nur immer "Eine schöne Frau hast du nie ganz für dich alleine" gesagt.
      So hält ihn von einer Dummheit ab...
      Avatar
      schrieb am 22.10.06 17:47:29
      Beitrag Nr. 130 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.770.292 von sgeler am 22.10.06 02:24:59@ sgeler

      Du hast gerade sehr schön den Begriff "filmisches Schreiben" erklärt.
      :D
      Avatar
      schrieb am 22.10.06 17:53:42
      Beitrag Nr. 131 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.775.135 von GEZ-Preller am 22.10.06 10:38:43@ GEZ-Preller

      Danke. :look:
      Das mit der Vorschau habe ich mir bei Henry Fielding ("Tom Jones") abgeguckt.
      ;)
      Der war noch ein richtiger Schriftsteller und kein Journalist.
      :cool:
      Damals musste ein Erzähler sich auch noch nicht in seiner Geschichte verstecken...
      :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 22.10.06 19:58:53
      Beitrag Nr. 132 ()
      Du steigerst die Spannung ins Unendliche.
      Ich frage mich aber, wann wird endlich gef***t ?!

      Oder f*** sie am Ende gar nicht :confused:
      Avatar
      schrieb am 23.10.06 00:53:35
      Beitrag Nr. 133 ()
      54.

      Am nächsten Tag traf Jean Paul sich gleich wieder mit Superlola. Sie musste noch bis zum frühen Nachmittag arbeiten, also übernahm er es, im Internet nach einem preisgünstigen Hotel zu sehen und schon ein Zimmer zu buchen. Am späten Nachmittag fuhr er los, kam viel zu früh in der großen Stadt an, ging Spazieren und telefonierte dann mit ihr und traf sie in der Stadtmitte.
      Sie war sehr wortkarg.
      Sie wirkte beklommen.
      Eigentlich traute sie sich überhaupt nicht zu einer solchen Aktion, aber ihre beste Freundin hatte ihr das empfohlen und die war anscheinend noch intelligenter als Superlola. Mireille hielt während der Fahrt mit ihr permanent Kontakt über SMS. Jean Paul nahm das sozusagen schulterzuckend zur Kenntnis.
      Das Hotel lag in Wirklichkeit weiter ausserhalb der City, als es auf der Karte gewirkt hatte. Anscheinend war es wurde es fast ausschließlich von Männern genutzt, die überwiegend wie Monteure aussahen. Die Wirtin war physisch sehr stabil und wirkte trotz ihrer offenkundlichen Bodenständigkeit leicht überrascht, als das gemischte Paar bei ihr aufkreuzte und nur für eine Übernachtung eincheckte.
      Mireille war mittlerweile so nervös, dass Jean Paul sich schon damit abgefunden hatte, dass sie es sich wohl jeden Moment anders überlegen und wegrennen würde.
      Die Wirtin und die anderen Gäste sahen ihn an, als wenn sie ihn verdächtigten, ein Bombenleger oder Massenmörder zu sein.
      Superlola fragte ihn kleinlaut, ob sie noch an der Theke bleiben könnte, während er das Zimmer besichtigte.
      Er stimmte zu.
      Wenn er jetzt nur ein wenig Druck ausübte, sprang sie ab, das war ihm klar.
      Also ließ er sie.
      Nach einer Weile kam sie von allein nach oben und zog sich wortlos aus.
      Er sah ihr zu.
      Schließlich zog er sich selber aus. Bei ihm ging das schneller.
      Endlich war sie fertig.
      "Aber um Mitternacht muss ich meinen Mann anrufen", sagte sie.
      "Wen?", fragte er. "Was? Wo?"
      "Ich nenne ihn immer meinen Mann, weil wir schon so lange zusammen leben."
      "Was?", rief Jean Paul entsetzt. "Ich... was?"
      Jetzt lächelte sie wieder.
      "Was willst du denn? Ich habe nie gesagt, dass ich noch Jungfrau wäre!"
      Zuerst wollte er sie gleich wieder aus dem Zimmer schmeißen. Aber sie waren beide schon nackt.
      Und sie sah dabei sogar sehr gut aus.
      Er setzte sich auf einen Stuhl, um sich von dem Schock zu erholen.
      Sie setzte sich auf seinen Schoß.
      "Und jetzt?", fragte sie.
      Er schwieg.
      "Irgendwie spüre ich deine Antwort", sagte sie.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Was soll ich noch sagen, jeder weiß doch, wie solche Sachen enden!
      Avatar
      schrieb am 23.10.06 00:55:22
      Beitrag Nr. 134 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.784.515 von Gammelfleischer am 22.10.06 19:58:53@ Gammelfleischer

      Sollten Sie nicht vorher erst heiraten :confused:
      Avatar
      schrieb am 23.10.06 10:58:37
      Beitrag Nr. 135 ()
      :D Klar, das weiss fats jeder hier, was jetzt kommt, hehe :D:D:D

      zunächst wird sie sich zieren, dann klingelt das Handy.

      Sie wirft ihm einen fragenden Blick zu, er nickt, dann geht sie nach einem Zögern dran.

      Ein längeres Gespräch, sie hört zu , anwortet erst ärgerlich, hört dann wieder zu, fängt an sich anzuziehen und nachdem eine Viertelstunde vorbei ist haucht sie zärtlich ins Telefon, daß sie gleich kommt.

      Sie macht sich die Haare zurecht und erklärt dem Typen der mit ihr im Hotel ist, daß sie nicht wusste, was sie doch für tiefe Gefühle für die Bekanntschaft von vor einem halbem Jahr hat und jetzt schnell los muss.

      Und dass sie ihm alles Gute für sein Leben wünscht.

      Tür auf, zu, unten Taxi rufen und weg.

      :D

      So ungefähr?
      Avatar
      schrieb am 23.10.06 11:07:55
      Beitrag Nr. 136 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.791.914 von Wolfsbane am 23.10.06 00:55:22Dann mußt du aber irgendwie jetzt noch einen Priester ins Hotelzimmer zaubern :D

      Zeig´s ihr, Jean-Paul! Du bist der Chef!
      Avatar
      schrieb am 23.10.06 11:16:11
      Beitrag Nr. 137 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.795.176 von Robert_Reichschwein am 23.10.06 10:58:37@ Robert Reichschwein

      :eek: Was für Frauen kennst du denn ?? :eek:
      Avatar
      schrieb am 23.10.06 11:24:39
      Beitrag Nr. 138 ()
      55.

      Jean Paul war ein Mann mit Grundsätzen. Er hatte noch nie ein Tier geschlagen oder ein Kind angelogen oder in der Kirche Winde gelassen oder Rotwein zum Fisch bestellt. Vor allem hatte er sich noch nie mit einer verheirateten Frau eingelassen, schon aus Mangel an Gelegenheit und weil er aus einer Kleinstadt kam, wo solche Dinge meistens früher als später aufflogen und weil sich die Frage auch überhaupt nicht stellte, denn er besaß schließlich Grundsätze.
      Sie war nicht wirklich verheiratet und hatte mit diesem Mann auch keine Kinder, doch sie hatte ihn als ihren Mann bezeichnet und das hatte Jean Paul gehörig erschreckt. Anscheinend hatte sie ihn absichtlich geschockt, um wieder die Führung zu übernehmen, denn sie weidete sich an seiner Unschlüssigkeit und war wie umgewandelt. Die Unsicherheit, die sie an diesem Tag bisher gezeigt hatte, war völlig verschwunden.
      Was durfte er ihr eigentlich glauben? Womöglich sagte sie ihm immer gerade das, was er glauben sollte. Das war sogar ganz sicher so. Vielleicht war es sogar erfunden, dass sie einen Freund oder Lebensgefährten hatte. Vielleicht schützte sie das nur vor, um ihn zurecht zu stutzen und bei ihm keine Besitzansprüche aufkommen zu lassen.
      Lola wollte einfach nur Spaß haben. Das wollte er auch. Spaß haben, ohne nachdenken zu müssen. Aber bei dieser Frau kam er aus dem Grübeln überhaupt nicht heraus. Er war Junggeselle, absoluter Single und musste eigentlich nichts verbergen. Er konnte auch einfach in den Puff gehen. Das war sogar billiger als sein Anteil an diesem Hotelzimmer. Viele Frauen meinten, gekaufter Sex würde einem Mann nicht viel geben können, aber da irrten sie sich. Jean Paul hatte immer wieder festgestellt, dass manche Huren netter und auch gelenkiger als gewisse Ex-Freundinnen waren. In der Zeit seiner akuten Rückenbeschwerden waren sie ihm mit einer Fürsorge begegnet, die er davor allenfalls von Krankenschwestern erwartet hätte. In der übrigen Zeit hatten sie immer ausgesprochen positiv reagiert, wenn er sich ausgezog und die Ergebnisse täglicher Liegestütz zeigte und hatten dann oft mehr Begeisterung als die bereits geschmähten Ex-Freundinnen an den Tag gelegt. Inzwischen sah er wieder ähnlich fit wie zu seinen besten Zeiten aus, obwohl er nicht mehr "malochen" konnte und seine Wirbelsäule immer eine erkennbare, aber relativ geringe Schieflage aufwies. Vielleict wäre er doch besser einfach zu seinen alten Gewohnheiten zurückgekehrt.
      Er stand auf.
      Sie stand erzwungenermaßen auch auf.
      "Was ist?", fragte sie atemlos.
      Ja, genau... Was war den jetzt? Was sollte jetzt sein? Konnte aus dieser Angelegenheit Gutes entstehen?
      "Willst du mich bestrafen?", fragte sie.
      Schon wieder eine Frage, die er sich stellen musste. Aber irgendwie musste es weiter gehen. Er versuchte das Problem einzugrenzen. Im Prinzip gab es nur zwei Antworten. Ja oder Nein. Beides konnte falsch, aber auch richtig sein. Die Chance, das seine Antwort sich als richtig erwies, war fifty-fifty, so oder so.
      Dann war es also egal, was er sagte.
      "Ja", sagte er.
      "Aber nicht zu feste, ja?", sagte sie mit neu erwachter Schüchternheit.
      Das war eine Frage, auf die es definitiv nur eine Antwort geben konnte.
      "Das hängt doch ganz von dir ab", knurrte er mit echtem Ärger in der Stimme.
      Eigentlich zweifelte er immer noch daran, dass er hier das Richtige tat, doch zumindest war ihm jetzt wieder der Kurs klar.
      Ihr auch.
      "Ich verstehe", sagte sie.
      Er nickte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Nachfrage nach Details wird nur eingeschränkt befriedigt. Wer das zu wenig findet, sei auf dafür spezialisierte Internet-Seiten verwiesen.
      Robert Reichschwein macht sich sich weiterhin durch kongeniale Handlungsalternativen einen Namen.
      ;)
      Avatar
      schrieb am 23.10.06 19:02:14
      Beitrag Nr. 139 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.795.350 von Gammelfleischer am 23.10.06 11:07:55@ gammelfleischer

      "Superlola" WILL ja gerade, dss er es ihr "zeigt". :rolleyes:
      Also tut er dann nur, was SIE will... ;)
      ... und das ist ja für einen Mann nichts Neues...:laugh:

      Andem alten Witz über den Masochisten und den Sadisten ist eben doch was dran:

      Masochist: "Schlag mich, bitte schlag mich... !"
      Sadist: "Hättest du wohl gern! Nö! Hahaha..."


      :rolleyes:


      Was erzähle ich ihr eigentlich? Das sollte doch nur eine Geschichte darüber werden, was jemand erlebt, der ständig fremde Leute anrufen muss und ihnen etwas verkauen soll. Und jetzt das: :eek: Irgendwie habt ihr Leutchen vom W.O. Sofa einen merkwürdigen und bedenklichen Einfluss auf mich... :cry: Fast wie "Superlola" auf JP... :eek:
      Avatar
      schrieb am 24.10.06 00:51:21
      Beitrag Nr. 140 ()
      56.

      Irgendwie konnte sie nicht genug kriegen. Das kam für Jean Paul unerwartet. Sie hatte sich mit ihm eingelassen, weil sie wusste, dass er ab und zu zu Huren ging und weil sie das überzeugte, dass er Sex mit einer Frau machen konnte, ohne Besitzansprüche oder Eifersucht oder irgendeine Form von Sentimentalität zu entwickeln. Sie hatte ausdrücklich darauf bestanden, dass sie nichts anderes anderes als wollte, als ihm genau das zu schenken, wofür er anderswo zahlte. Nur stellte sich jetzt heraus, dass ihre Vorstellungen von bestimmten Dingen jeglicher Realitätsnähe entbehrten. Sie glaubte, Jean Paul würde sich eine Frau immer gleich für eine ganze Nacht mieten. Das ging im Prinzip auch, doch für Jean Paul ging es über seine Verhältnisse. Er kaufte sich immer nur eine einzige Nummer und dabei drängten die Frauen stets darauf, dass er innerhalb einer gewissen Zeit fertig wurde, denn "Zeit ist Geld". Er hatte auch schon mit Huren zwei oder drei Nummern in einer Nacht erlebt, aber dann jedesmal mit einer anderen Frau, denn schließlich wollte er sich nicht in eine von ihnen verlieben. "Superlola" erzählte ihm jetzt mehrmals von einem ihm völlig unbekannten Roman mit dem Titel "Huren knutschen schöner" oder so.
      "Huren küssen nicht", sagte er zu ihr.
      "Ich dahte, sie können das sogar besonders gut."
      "Was bringt dich auf diese Idee?"
      "Das stand in diesem Buch!"
      "Du liest zuviel", sagte er.
      "Wie kannst du so etwas sagen?", fragte sie empört.
      "Weil mein Vater das auch immer zu mir gesagt hat."
      "Und?"
      "Und irgendwann konnte ich den Text auch."
      "Sonst noch was?"
      "Zieh dich an, sonst erkältest du dich", knurrte er.
      "Hat das auch immer dein Vater zu dir gesagt?"
      "Nein, das hat meine Mutter immer zu mir gesagt!"
      "Meine hat das auch immer zu mir gesagt, aber du siehst nicht so aus wie sie!"
      "Okay, du hast gekriegt, was du wolltest", sagte er. "Ich habe fertig und gehe jetzt nach Hause."
      "Ich will aber nicht gehen!"
      Er begann sich anzuziehen.
      "Dann bleib hier. Das Zimmer ist bis morgen früh bezahlt."
      Sie warf sich an ihn ran.
      "Bleib."
      "Ich dachte, du wolltest keine Sentimentlitäten", knurrte er.
      "Ich bin eine Frau."
      Er stöhnte. Sie ließ ihn los und und legte sich auf das Bett.
      "Ich muss jetzt meinen Mann anrufen!"
      "Jaja", murmelte er.
      "Hallo Schatz! Ja, ich war mit meiner Freundin im Museum und wir gucken uns jetzt im Fernsehen noch etwas von Rosamunde Pilcher an!"
      Jean Paul ging ins Bad.
      Er brauchte das nicht zu hören.
      Er hatte den Eindruck, er wusste schon genug.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Das dicke Ende kommt noch. Bald.
      Avatar
      schrieb am 24.10.06 17:36:26
      Beitrag Nr. 141 ()
      "Er konnte auch einfach in den Puff gehen. Das war sogar billiger als sein Anteil an diesem Hotelzimmer. Viele Frauen meinten, gekaufter Sex würde einem Mann nicht viel geben können, aber da irrten sie sich."

      Du scheinst gut recherchiert zu haben ;)
      Avatar
      schrieb am 24.10.06 21:49:43
      Beitrag Nr. 142 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.825.146 von Gammelfleischer am 24.10.06 17:36:26@ Gammelfleischer

      :cool: Alle Ähnlichkeiten mit lebenden, toten oder untoten Personen real existierenden menschlichen Schwächen sind freizügig erfunden... ;)
      Avatar
      schrieb am 24.10.06 21:51:09
      Beitrag Nr. 143 ()
      57.

      Jean Paul legte sich wieder neben Superlola. Vorsichtig, damit es keine Geräusche seitens der Matraze oder seitens Superlola gab, die den anderen Kerl am Telefon vielleicht misstrausisch machen würden.
      Sie legte auf.
      "Und was machst du jetzt mit mir?", fragte sie.
      "Sag mir lieber, was das mit dir macht, was ich bei dir auslöse, wenn ich dich so behandle..."
      "Es macht ich scharf. Und es entspannt mich. Das ist fast wie Urlaub. Es ist Urlaub. Das Gegenteil vom Alltag."
      Er fragte sich, ob es vielleicht öfter vorkam, dass Karierefrauen in einem gewissen Alter masochistische Neigungen entwickelten. Möglicherweise war das eine spezielle Form von Torschlusspanik.
      "Was hast du denn?", fragte sie. "Glaubst du mir nicht?"
      Doch. Es war unübersehbar gewesen. Selbst für einen richtigen Mann, der sich normalerweise damit brüstete, dass ihm egal wäre, ob Frauen "fertig" wurden.
      "Hast du nicht gehört?", fragte sie. "Du hattest Recht. Es macht mir Spaß."
      "Ich hatte Recht? Womit denn?"
      "Damit, dass ich in einem gewissen Zusammenhang gern übers Knie gelegt werde."
      "Damit kann ich überhaupt nicht Recht gehabt haben, weil ich das selbst nicht geglaubt habe!"
      Sie zuckte hoch und schaute aus sitzender Position auf ihn herunter.
      "Was soll das heißen?", fragte sie gereizt.
      "Ich habe dich nur aufgezogen. Ich bin schon so oft von unfairen, arroganten Karrierefrauen misshandelt worden, dass ich einmal zurückärgern wollte und da ich weiß, dass euch nicht mehr ärgert, als wenn man euren Willen zur Macht in Frage stellt, habe ich das maximal ausgeschöpft und dir weisgemacht, dass du doch in Wirklichkeit das Gegenteil willst."
      "Aber das will ich ja auch!", rief sie. "Und das will ich auch in Wirklichkeit!"
      Jean Paul sah sie forschend an.
      Sie atmete gedehnt aus und fügte hinzu: "So lange es keiner weiß."
      "Ich bin keiner?"
      "Genau. Du bist nur Spaß. Wir Frauen können schließlich nicht einfach in den Puff gehen, so wie du."
      Jetzt setzte er sich auch hin.
      "Und darum gehe ich dorthin. Weil ich meine Grundbedürfnisse befriedigen will, ohne dafür mit solchen Diskussionen bezahlen zu müssen, die einem den ganzen Spaß wieder verderben."
      "Du bist doch der Spielverderber!", rief sie mit hysterischem Unterton und unverhohlenem Zorn.
      Sie holte die TV-Fernbedienung vom Tisch und setzte sich wieder neben ihn. Dann schaltete sie den Fernseher ein und begann nach einem Programm ohne Schnee zu suchen.
      "Der ist witzig!", sagte Jean Paul, als sie einen Video-Clip mit einem musizierenden Späthippie sahen.
      "Das ist Drogen-Musik", sagte sie streng.
      Sie schaltete um.
      Die Situation hatte sich total geändert. Man konnte nicht sagen, dass sie die Hosen an hatte, denn sie hatte überhaupt nichts an, aber schlimmer noch, sie hatte die Gewalt über die Fernbedienung.
      "Wie konnte der Kerl eigentlich so alt werden, wenn er doch angeblich so lange Drogen genommen hat", sagte Jean Paul beim Anblick des Popsängers Itzi Bopp.
      "Der kann sich eben das gute Zeug leisten, was nicht mit Rattengift verschnitten ist", sagte sie. "Es ist das Rattengift, das die Leute so schnell umbringt, nicht der Stoff selber."
      Jetzt wurde sie ihm unheimlich.
      "Warst du schon einmal in der Branche oder warum redest du so!"
      Sie schaltete den Fernseher aus, legte die Fernbedienung auf ihre Nachtschränckchen und ließ sich wieder rücklings ins Bett fallen.
      "Einmal, nur einmal habe ich estwas geschmuggelt und das war auch nur ganz wenig und nur zum Nervenkitzel. Die Zöllner da in Asien hätten mich nie, nie untersucht. Ich kann so gucken, dass ich völlig unnahbar bin!"
      Er legte sich auf die Seite und sah sie an.
      "Das funktioniert aber nicht immer. Bei mir zum Beispiel hat das immer die umgekehrte Wirkung. Ich möchte dich dann übers Knie legen."
      "Das weiß ich. Darum gucke ich dich ja so an, auch weil mir das bei dir schwer fällt, weil das dann immer so lustig wird..."
      Jetzt sah er auch unter die Decke.
      "Du lachst mich also aus."
      Masochisten waren ihm immer unheimlich gewesen. Leuten, die sich auch noch freuten, wenn sie bestraft wurden, konnte man nicht beikommen. Denen konnte man nichts antun. Die blieben immer Sieger. Da machte man sich nur zum Deppen und für andere Deppen auch noch zum scheinbaren Bösewicht. Deshalb hatte er schon in der Grundschule angefangen, möglichst immer auf Phlegmatiker oder oder Stoiker zu machen, um nicht mehr gefoppt, an den Rande des Wahnsinns getrieben und solchermaßen vorgeführt zu werden.
      "Nein, ich lache dich nicht aus", sagte sie.
      Sie hielt ihn für blöd.
      "Wirklich nicht", bekräftigte sie gickelnd.
      Sie hielt ihn unverkennbar für blöd.
      "Ich hatte nämlich gerade zum ersten Mal im Leben einen richtigen Orgasmus."
      Sie hielt ihn sogar für saublöd.
      "Ich dachte schon, ich könnte nicht mit Männern."
      "Warum Plural?", fragte er.
      "Okay, ich lache über dich.", gestand sie schließlich ein und atmete dabei schwer. "Schlägst du mich jetzt wieder?"
      "Nein."
      Das artete ansonsten in körperliche Arbeit aus und er war Umschüler.
      "Willst du mich ... nehmen? Einfach so? Diesmal ohen Vorspiel?"
      "Nö."
      Siehe oben.
      "Was willst du denn dann? Du willst mich nicht schlagen, du willst mich nicht b...en- wozu habe ich dich überhaupt?"
      Sie zuckte ieder hoch und schaute sitzend auf ihn herunter.
      "Keine Ahnung. Du bist doch hier das Gehirn", sagte er.
      "Du hättest mir gleich sagen sollen, dass du damit nicht klar kommst! Ich habe dir gleich gesagt, dass ich keine Beziehung willl und nur Spaß will. Das habe ich immer gesagt! Ich lüge nie!"
      "Du lügst nie?", fragte er. "Und was war das vorhin am Telefon?"
      "Mein Mann. Das geht dich nichts an!"
      Sie ließ sich wieder ins Kopfkissen fallen.
      Er guckte auf die Uhr. Irgendwo lief gleich ein Spätfilm mit Chuck Norris an. Chuck Norris hatte noch nie eine Frau geschlagen. Er würde es auch nie tun. Chuck Norris machte nie Fehler. Das überließ er Männern wie Jean Paul, die so viele Fehler machten, dass es für zwei Männerleben reichte.
      "Warum redest du dich überhaupt ein, wenn ich mit meinem Mann rede? Das braucht ich doch gar nicht zu interessieren. Das hat mit mir und dir nichts zu tun. Ich habe dir gleich gesagt, dass ich keine Beziehung willl und nur Spaß will. Das habe ich immer gesagt! Ich lüge nie!"
      "Aber?"
      "Aber du hast wohl gelogen! Denn du hast mich überzegt, dass du mir zuhörst und alles verstehst und dich an die Regeln hälst!"
      "Deine Regeln."
      "Ja, meine Regeln."
      "Ich soll dich domieren, aber nach deinen regeln, die du willkürlich festsetzt und willkürlich änderst."
      "Endlich verstehst du! Schlägst du mich jetzt?"
      "Nein. Ist doch sowieso alles fauler Zauber."
      Jean Paul drehte ihr den Rücken zu.
      "Ich habe Migräne", knurrte er.
      "Du willst schlafen?"
      "Ja, ich muss das Ganze überschlafen. Vielleicht schlage ich dich morgen früh, wenn ich dann wieder besser gelaunt bin."
      Plötzlich hielt sie ihm eine Pille vor die Nase.
      "Damit du heute nacht schlafen kannst! Unser kleiner Macho braucht ja seinen Schlaf!", sagte sie hochnäsig.
      "Aber ich brauche keine Pillen. Ich schlafe auch so ein, wenn du nur endlich einmal Ruhe gibst."
      "Die Schlaftablette nehme ich selber."
      "Was?"
      "Ich nehme eine Schlaftablette, damit du heute nacht Schlafen kannst."
      Sie holte sich ein Glas Wasser, nahm die Tablette vor seinen Augen ein, legte sich neben ihn, knallte ihm den dank einem Jahr Bodybuilding erstaunlich kräftigen Oberarm über den Hals und begann nach wenigen Minuten leise zu schnarchen.
      Es dauerte mindestens drei Stunden, bis er ebenfalls einschlafen konnte. Sein ganzes Leben zog an ihm vorbei, beginnend mit Melanie, seiner ersten Liebe. Damals war er noch Grundschüler gewesen. Seitdem hatte er sich immer wieder in solche Mädchen verliebt. Schöne, unnahbare, stolze Mädchen, die aus der Ferne zu bewundern ein Genuss war und die aus der Nähe zur Qual wurden. Wenn man den Fehler machte, die Ferne zu verkürzen, begannen sie oft, einen pausenlos mit dummem Zeug vollzuschnattern, bis man sich inständig nach der Zeit zurück sehnte, als sie sich noch zu gut gewesen waren, einem ein Wort zu gönnen. Oder sie sagten weiterhin nichts und erwarteten, dass man auch so alle ihre Wünsche erfüllte, obwohl sie sie nüchtern nicht aussprechen oder nach ausreichend Alkohol nicht mehr formulieren konnten und meistens ach selber nicht wussten, was sie wollten. Mireille war auch so eine Frau, die Jean Paul besser nur aus der Ferne bewundert hätte, doch das Internet hatte ihm einen Streich gespielt und jetzt sass er in der Falle und lernte noch einen dritten Grund kennen, warum das zu vermeiden war.
      Als er endlich so gut schlief, dass er träumte, verspürte er einen Schmerz.
      Noch einen.
      Das war kein Traum, das war echter Schmerz.
      Jemand schlug ihm ins Gesicht.
      Er riss die Augen zu und sah ein teuflisches Grinsen. Das war alles, was er sah, denn die Hand war schon wieder nur noch wenige Millimeter von seinem Gesicht entfernt und er kniff die Augen zu, um sie schützen.
      PATSCH !!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Das dicke Ende, wie schon angekündigt, da ist es.
      Und der zweite Teil davon, also die Auflösung, kommt morgen.
      Hier, in diesem Sräd !!!
      Avatar
      schrieb am 24.10.06 22:58:55
      Beitrag Nr. 144 ()
      Da fällt mir doch dieser (einzige) Hit dieses dicklichen österreichischen Rocksängers ein (wie hiess der doch bloss???):

      'Schlag mich'

      Refrain(kann mich leider nicht an mehr erinnern):

      "Schlag mich, schlag mich, ja wie währ's?
      Ich bin pervers, pervers, pervers...
      "
      Avatar
      schrieb am 24.10.06 23:08:35
      Beitrag Nr. 145 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.834.451 von Robert_Reichschwein am 24.10.06 22:58:55@ Robert Reichschwein

      Der einzige österreichische Sänger, den ich kenne, ist Peter Alexander. Hat der zugenommen?

      Ich kenne zu diesem Thema nur einen Song von Madonna.

      Das letzte Wort zu allen Fragen des Lebens hat allerdings "Die beste Band der Welt", also die Ärzte: "Manchmal, aber nur manchmal... haben Frauen ein bischen Haue gern...

      Wie schon gesagt, das ist sowieso nur ein Roman und das ist alles frei erfunden oder beim Kampftrinken mitgehört und im Unterbewusstsein gespeichert worden...

      ;)
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 10:20:04
      Beitrag Nr. 146 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.832.367 von Wolfsbane am 24.10.06 21:51:09Hmmm, ich fürchte fast sie hat ihren Macker angerufen und jetzt gibts Sado-Maso mit umgekehrter Rollenverteilung.

      Armer JP. Das hätte er wirklich nicht verdient.
      Hoffen wir mal das Beste für ihn.;)
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 10:50:06
      Beitrag Nr. 147 ()
      @wolfsbane:
      vielleicht komme ich noch auf den Namen

      auf jeden Fall hört sich das "na, wie wär's" mit dem österreichischen Akzent cool an :cool:
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 11:00:22
      Beitrag Nr. 148 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.839.200 von Robert_Reichschwein am 25.10.06 10:50:06Oh man, der letzte Teil ist wieder weltklasse!
      Besonders freue ich mich, dass Chuck "the hero" Norris erwähnt wird.
      Wer guckt denn nicht gerne seine Filme. Einfach klasse!
      Übrigens Chuck Norris verlor seine Unschuld noch vor seinem Vater... eben ein richtiger Mann !

      Ich bin schon sehr sehr gespannt wie es weitergeht!:lick:
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 18:08:07
      Beitrag Nr. 149 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.834.689 von Wolfsbane am 24.10.06 23:08:35Wenn ich mich recht erinnere, variiert der Text bei den Ärzten gegen Ende des songs etwas ;)
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 21:42:59
      Beitrag Nr. 150 ()
      58.

      Zuerst dachte er, dass der gehörnte Mann die Geschichte durchschaut hatte und hier aufgekreuzt war. In dem Augenblick, in dem er die Frau über sich sah lachen sah, erinnerte er sich buchstäblich schlaghaft daran, dass sie erklärtermaßen ein großer Fan ihres Landmannes Jean Claude van Damme war, weil sie es gern sah, wenn Männer andere Männer verprügelten. Er hätte einkalkulieren müssen, dass sie vielleicht darüber hinaus zu den Frauen gehörte, die das besonders gern in der Realität sahen und am liebsten höchstpersönlich entsprechende Situationen herbei führten.
      Waren seine Hände gefesselt?
      Taten außer seinem Gesicht noch andere Körperteile weh?
      Nein.
      Er machte die Augen auf.
      Sie saß auf ihm und schlug ihn.
      Jean Paul spannte seine Bauchmuskeln an und schoß nach oben. Er hielt ihre Hände fest.
      Sie schüttelte sich die langen Haare und das Lachen aus dem Gesicht. Er musterte sie und verstand immer noch nicht , worum es hier und jetzt überhaupt ging oder was er nun tun sollte. Sie legte sie den Kopf in den Nacken und setzte wieder die gleiche hochmütige Miene auf, die er schon von dem Foto kannte, das sie ihm zu Anfang ihrer Beziehung zugemailt hatte.
      "Soll ich böse werden oder was!", rief er konsterniert.
      Sie hatte offensichtlich große Mühe, nicht in Gelächter auszubrechen. Sie konnte es nur halbwegs unterdrücken. Als sie krampfhaft ein arrogantes Gesicht zu machen versuchte, bebten ihre Wangen und ihre Mundwinkel zuckten immer wieder nach oben.
      Er warf sie von sich herunter. Sie war schlank, aber so muskulös wie eine professionelle Tennisspielerin und darum nicht ganz so leicht, wie sie in ihren luftigen Kleidchen wirkte.
      Als er sich in die andere Richtung aus dem Bett rollen wollte, fing "Superlola" wieder an, ihn zu schlagen.
      Das reichte nicht nur, um ihn wütend zu machen, sondern war jetzt schon zuviel. Wenn er sich wirklich bedroht fühlte, was vor allem bei anscheinend verrückten Aggressoren der Fall war, wurde er eiskalt. Dann dachte er wie beim Blitzschach, nämlich logisch und schnell und effektiv. Und jetzt dachte er kurz darüber nach, ob er sie stumpf ausknocken sollte. Aber es war falsch, sie zu schlagen. Er hätte das nie tun dürfen. Dadurch war er in diese Lage gekommen.
      Nun wusste er nicht weiter.
      Er klebte ihr eine, aber das brachte sie nur noch mehr in Stimmung. Als sie lachte, fiel ihm wieder ein, warum Masochisten ihm früher Angst gemacht hatten. Wenn man sie einmal schlug, wollten sie es oft gleich wieder und taten noch mehr, um das zu kriegen und wurden überhaupt nicht mehr vernünftig, sondern ganz im Gegenteil! Damals war ihm das an das Haupt der Medusa erschienen, wo für jeden abgeschlagenen Kopf sofort zwei nachwuchsen.
      Er hielt ihre Hände fest und stellte sich seitlich, um seine Weichteile zu schützen. Sie trat ihm gegen die Oberschenkel und versuchte in die richtige Position zu kommen, um seine Knie treffen zu können, wofür die beiden gerade noch zu nahe zusammen standen. Er zerrte an ihr, um ihr das Gleichgewicht zu nehmen, denn wer nicht fest stehen konnte, konnte auch nicht fest zutreten.
      "Ich könnte dir so ins Gesicht treten, wenn ich nur wirklich wollte", sagte sie.
      Währenddessen versuchte sie ihn an einer ganz anderen Stelle zu treffen und er musste sich immer wieder seitlich zu ihr stellen, was sie zu verhindern versuchte, indem sie genauso an ihm zerrte, wie sie an ihm.
      So entstand ein seltsamer Tanz.
      Jean Paul merkte, dass er die Situation wieder unter Kontrolle bekam und sein kalter Zorn ließ nach.
      Seine Gegnerin hingegen wurde jetzt wirklich wütend und machte Geräusche wie eine Raubkatze.
      "Lass mich dich doch schlagen!", rief sie. "Das willst du doch! Das willst du doch!"
      "Nein, ich wollte nur eine Zeitlang meine Ruhe haben!"
      "Niemand lehnt mich ab! Niemand!"
      "Das habe ich nicht getan", sagte er und riß sie an sich.
      "Es gibt nur zwei Arten von Menschen. Wenn du nicht dominieren willst, willst du dominiert werden!"
      "Unsinn", sagte er. "Was du beschreibst, sind einseitige Persönlichkeiten. Das sind die alle gleich. Und die zweite Art von Menschen sind die, die einfach nur leben und leben lassen... Wie ich!"
      Er drückte sie an sich, bis sie nur noch mit Mühe atmen und darum nicht widersprechen konnte. Aber er unterschätzte ihren Willen. Oer sie hatte wieder eine Pille eingenommen, die er nicht kannte.
      "Das reicht aber bei mir nicht", fauchte sie. "Du hattest mir mehr versprochen!"
      "Ich habe überhaupt nichts verspochen! Ganz im Gegenteil, habe dich höchstens höchstens gewarnt und sogar gedroht!"
      "Erst drohen und dann nichts halten!"
      Jean Paul horchte in Richtung Tür. Es klang so, als würden dort aus unterschiedlichen Richtungen Leute angelaufen kommen. Und dann war es ruhig.
      "Du bist jetzt wieder brav und legst dich ins Bett und deckst dich zu und bleibst friedlich auf deiner Seite, bis du dich für das Frühstück feinmachen darfst", sagte er. "Oder ich werfe dich nackt auf den Flur und überlasse dich den Monteuren, die da vor der Tür horchen, wie es hier weitergeht. Aber ich rufe dann auch Leute, die dir etwas zum Anziehen bringen und die in einem großen Auto mit Blaulicht kommen und dir deine neue Jacke auf dem Rücken zubinden."
      Sie schlug den Blick nieder.
      Er ließ sie los und beobachtete, wie sie zu ihrer Seite des Bettes ging.
      Als er sich hinlegte, sah er, wie sie etwas aus ihrer Reisetasche holte. Es war eine Reitpeitsche.
      "Aber jetzt sind wir sowieso schon wach und jetzt will ich einmal wissen, wie das ist", sagte sie maliziös lächelnd.
      "Wie was ist!", rief er.
      "Wenn ich dir das hier gebe."
      Sie wedelte mit dem Teil in ihrer Hand herum.
      "Los, auf die Knie", sagte sie.
      Das hatte man davon, wenn man Bekanntschaften im Internet machte, obwohl doch jeder wusste, auf was man da stoßen konnte.
      "Schluss mit Witzemachen", sagte er.
      "Na endlich wirst du wach", sagte sie. "Mir ist nämlich langweilig..."
      "Gleich nicht mehr!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es bleibt, wie es ist. Diese Geschichte aus dem Leben von Jean Paul zieht sich schon die ganze Zeit quälend in die Länge und das tut sie auch weiter. Aber nicht mehr endlos!
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 21:48:36
      Beitrag Nr. 151 ()
      @ Robert Reichstein

      "Superlola" steht auch auf österriechischen Akzent. Habe ich ganz vergessen zu erzählen... :rolleyes:


      @ GEZ-Preller

      Eine Zeitlang hatte ich unter Kollegen den Spitznamen "Chuck Norris" ;):laugh:

      @ unlocker

      Das weiß ich überhaupt nicht mehr... :rolleyes: Habe ich mich da etwa auf's Glatteis führen lassen... :eek: ;)
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 21:50:59
      Beitrag Nr. 152 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.838.547 von pappenheimer2010 am 25.10.06 10:20:04@ Pappenheimer 2010


      Nö- manche Frauen sind am gefährlichsten, wenn sie allein sind! :laugh:
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 22:10:56
      Beitrag Nr. 153 ()
      Diese Geschichte aus dem Leben von Jean Paul zieht sich schon die ganze Zeit quälend in die Länge und das tut sie auch weiter. Aber nicht mehr endlos!
      Aber hoffentlich folgen noch viele weitere geschichten aus JPs Leben. Sind wir nicht alle ein bißchen JP? :rolleyes:

      zu den Ärzten: die letzte Strophe singt doch die lady mit "immmmer, ja wirklich immmmer, haben Typen wie Du was in die Fresse verdient" ;)
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 22:20:50
      Beitrag Nr. 154 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.855.185 von unlocker am 25.10.06 22:10:56@ unlocker

      Das hat Jean Peaul ja auch schon gekriegt !!
      :cool:
      Sogar schon im vorherigen Kapitel!
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 25.10.06 22:58:34
      Beitrag Nr. 155 ()
      Das hatte man davon, wenn man Bekanntschaften im Internet machte

      ich muss mal wieder chatten gehen :D
      Avatar
      schrieb am 26.10.06 22:11:13
      Beitrag Nr. 156 ()
      Watt issn? Grippewelle? Betriebsausfluch?
      Sinn ja schon mehr als 24 Stunden! :)
      Avatar
      schrieb am 27.10.06 17:51:25
      Beitrag Nr. 157 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.877.956 von unlocker am 26.10.06 22:11:13@ unlocker

      Watt issn? Grippewelle? Betriebsausfluch?
      Sinn ja schon mehr als 24 Stunden


      :cry: Hatte keine Zeit zum Schreiben... :cool:

      ;)Morgen und übermorgen gibt es wieder jede Menge zu lesen :)
      Avatar
      schrieb am 28.10.06 00:37:22
      Beitrag Nr. 158 ()
      Wenn ich jetzt genau richtich klicke, sinns mehr als x234x,x342 Minuten.
      Stressiger Job oder was?
      Müsste doch wohl möglich sein hier pünktlich zu posten. Ich ward hier doch nich immer für umm! Mach hinne, Jung! ;)
      Avatar
      schrieb am 28.10.06 02:08:01
      Beitrag Nr. 159 ()
      Wat iss nuuhh?
      Iss nache zwei!!:D
      Musse jezz awa ma was macha! :)
      Avatar
      schrieb am 28.10.06 12:42:41
      Beitrag Nr. 160 ()
      59.

      „Superlola“ wurde etwas ruhiger, nachdem er eine Weile mit ihr gerungen hatte. Sie atmete schon fast wieder normal. Trotzdem guckte sie immer noch sehr böse und lauernd. Er fragte sich ernsthaft, ob sie trotz ihres perfekten Aussehens unter einer defekten Veranlagung litt. Es gab Situationen, in denen er es entschuldbar fand, sich so zu echauffieren, wie sie es gerade tat. Zum Beispiel wenn man fünf oder fünfeinhalb Jahre alt und allein unterwegs war und von einer Bande mieser Nachbarjungs mit Steinen beworfen wurde. Oder wenn man elf war und von Fünfzehnjährigen verprügelt wurde, nur weil sie einem nicht glaubten, dass man ihnen bereits sein ganzes Taschengeld gegeben hatte. Oder wenn man seit über zwölf Stunden an einer kaputten, ständig ausfallend und permanent Salzsäure verspritzenden Maschine stand und permanent dafür beleidigt wurde, dass man die durch Maschinenausfälle verlorene Zeit noch nicht komplett aufgeholt hatte.
      „Was ist mit dir?“, fragte er.
      „Du hast mich angelogen!“
      „Und dafür willst du mich schlagen?“
      „Lass mich einfach los, dann brauchst du nicht fragen!“
      „Ich habe dich nicht angelogen!“
      „Du hast gesagt, ich kriege was ich will!“
      Er hätte sich an den Kopf gefasst, wenn es möglich gewesen wäre, sie los zu lassen.
      „Du wusstest doch überhaupt nicht, was du wolltest“
      „Aber jetzt weiß ich es! Und jetzt kriege ich es nicht! Und du weißt, ich will immer alles sofort! Das habe ich dir gesagt! Ich lüge nämlich nie!“
      Das war die größte Lüge von allen.
      „Du wolltest, dass ich hier bleibe und ich bin hier geblieben“, sagte er.
      „Ja, aber du spielst nicht mit mir. Ich will, dass du dich die ganze Nacht ohne Pause mit mir beschäftigst! Die ganze Nacht! Die ganze verd... Nacht bis morgen früh!“
      Wie kam ihr Mann nur mit ihr klar? Wie hielt er es mit ihr aus? War er wirklich so ein Langweiler, wie Lola behauptete? Vielleicht machte er ihr nur darum andauernd Komplimente und versuchte jede Aufregung zu vermeiden, weil sie nur so halbwegs kontrolliert werden konnte!
      „Ich fessele dich gleich und lasse dich neben dem Bett schlafen!“, drohte er.
      „Oh ja!“, rief sie und atmete wieder heftiger. „Wirst du mich auch schlagen?“
      Er schluckte seine Enttäuschung herunter.
      Da war er wieder, der große Horror seines Lebens. Provokante, aktionistische Masochisten, die sich bei ihrem irrationalen Treiben wie Helden vorkamen
      „Ich habe dich etwas gefragt! Wirst du mich...“
      „Klappe! Ich muss nachdenken!“
      „Folge einfach deinem Instinkt!“, sagte sie.
      Dann wäre er weggelaufen.
      „Okay“, sagte er. Bloß weg von hier und von ihr, dachte er. „Okay, okay“, sagte er aus rhetorischen Gründen wieder. „Es ist schade, dass wir nicht zusammen passen und dass die Dinge sich so entwickelt haben, dass das unübersehbar ist und keine Hoffnung mehr besteht, dass wir doch noch noch...“
      „Blödsinn“, unterbrach sie ihn. „Schlag mich einfach und quatsch keine Opern.“
      „... miteinander klar kommen. Am besten suchst du dir im Internet jemand anderen. Da gibt es genug Perverse und falls du an jemanden gerätst, der dich zu Tode foltert...“
      „Und wo kriege ich den heute nacht her? Jemanden, der mich nicht zu Tode LANGWEILT?“
      „Wir haben schon einen neuen Tag. In ein paar Stunden kannst du wieder zu Hause oder im Internet-Café chatten und...“
      „Ich will aber jetzt! Ich will immer alles sofort!“
      Er durchwühlte sein Gedächtnis verzweifelt nach irgendeiner Erfahrung aus seiner Vergangenheit, die in irgendeiner Weise ähnlich gewesen war. Nichts. Ihm fiel nur eine Szene aus dem Film „Conan“ ein, wo der Held mit einer neuen Bekanntschaft Sex macht und die Frau sich dabei plötzlich in eine rasende Hexe verwandelt, vor deren scharfen Zähnen und Krallen er sich nur retten kann, indem er sie ins offene Feuer wirft, wo sie innerhalb von Sekunden zu Staub wird.
      „Ich habe immer gesagt, dass ich immer alles sofort will! Ich bin immer ehrlich...“
      Er ließ los.
      Ob aus Zerstreutheit Naivität oder wegen Sekundenschlaf oder was auch immer.
      Sofort stürzte sie sich wieder auf ihn, versuchte ihn mit beiden Händen ins Gesicht zu schlagen und trat ihm gegen die Knie.
      Er packte sie, verdrehte ihr die Arme und verhaute ihr den Hintern, bis sie sich, immer noch widerwillig, für ihr Verhalten entschuldigte und ihm für die Mühe, die er ihr machte, bedankte.
      „Du bist unfair“, sagte sie.
      „Klappe“, sagte er.
      Sie schnurrte. Er hatte immer gedacht, nur Katzen könnten schnurren, aber sie konnte das auch.
      „Kann ich dich jetzt loslassen“, sagte er und achtete darauf, dass es nicht wie eine Frage klang, denn das hätte sie ihm in diesem Zustand als Schwäche ausgelegt.
      „Ich will mich hinlegen“, sagte sie.
      Er ließ sie los. Sie lächelte ihn an, ging ins Bett und begann mit sich selbst zu spielen. Er zog sich mehr an und setzte sich dann in den Sessel vor dem Fernseher. Auf dem Nachrichtensender liefen Berichte von der Börse.
      „Tust du mir gleich einen Gefallen?“, fragte sie lieblich.
      „Vielleicht“, knurrte er.
      „Ich rufe dich gleich. In zehn oder fünfzehn Minuten. Schlägst du mich dann wieder? Nur ein paar Mal?“
      „Soll ich dich auch beschimpfen?“, fragte er höhnisch.
      „Das würdest du für mich tun?“
      Apple-Aktien waren wieder im Kurs gestiegen.
      Interessant.
      „In zehn Minuten ist mir vielleicht ein Schimpfwort für dich eingefallen!“
      Der Nachrichtensprecher sagte, es gäbe Gerüchte, dass demnächst ein neuartiges Unterhaltungsgerät auf den Markt käme.
      „Oh“, sagte sie, „oh. Ja, schimpfe mit mir...“
      Was für ein Gerät konnte das sein?
      „Schimpfe mit mir, schimpfe...“
      Ein sprechender Vibrator mit frei programmierbaren Schimpfwort-Listen?

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul überlebt das Wochenende und kann am Montag wieder im Büro telefonieren und darf dann auch wieder ein nett und friedlich sein.
      Avatar
      schrieb am 28.10.06 12:49:41
      Beitrag Nr. 161 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.905.868 von unlocker am 28.10.06 02:08:01@ unlocker

      ;) Ich muss doch nicht nur auf Quantität, sondern auch auf Qualität achten! :laugh:

      :cool: Außerdem finde ich diese Lola-Story sehr schwierig zu erzählen. Ich sage nur: "political correctness :rolleyes:

      Auf jeden Fall finde ich es super, dass meine Erzählung so viel Echo findet. :look::D
      Avatar
      schrieb am 28.10.06 21:09:18
      Beitrag Nr. 162 ()
      60.

      Als geistiger Vater kann man die gleichen Enttäuschungen wie ein richtiger Vater erleben. Manchmal entwickelt sich das, was man in die Welt gesetzt hat, nicht wie erwartet. Davor ist ein Erzähler nicht gefeit, denn genau wie echte Menschen irgendwann und meistens früher als erwartet einen eigenen Charakter zeigen, können auch Romanhelden ein gewisses Eigenleben entwickeln. Beim Beginn einer Geschichte verleiht man seinem Helden Eigenschaften und weiß bereits, mit welchen Situationen er konfrontiert wird, doch man unterschätzt jedesmal, wie viel der Held aus jeder Situation lernt und in die nächste Situation mitnimmt. Manchmal lässt das dem geistigen Vater keine andere Wahl als sich damit abzufinden, dass sich daraus Situationen entwickeln, die der Erzähler dem Leser lieber erspart hätte.
      Dies ist eine solche Situation. Jean Paul hat sich aus niederen Motiven mit einer Frau eingelassen, bei der er keine ehrenwerten oder auch nur ernsthaften Absichten verfolgte und die ihm nicht einmal allzu sympathisch war. Wir brauchen nicht erst auf sein Ableben zu warten, um zu erleben, dass er dafür die Quittung erhält, denn wie zu sehen war, hat ihm sein Fehlverhalten schon in diesem Leben reichlich Ärger eingebracht.
      Irgendwie muss ich sogar dem leiblichen Vater von Jean Paul Recht geben, der stets darüber klagte, dass sein Sohn immer alles anfangen und nichts zu Ende bringen, sondern immer nur halbe Sachen machen würde. Da gäbe uns an dieser Stelle auch und vor allem „Superlola“ zustimmen, die es Jean Paul nur übel nimmt, dass er sie geschlagen hat, weil er damit plötzlich nicht weitermachen will. Ich würde alllerdings nicht so weit wie der andere Vater gehen, der viele Jahre vor Einsetzen unserer auf Gerüchte von einem angeblichen Selbstmordversuchs reagierte, indem er selbst gegenüber Jean Pauls Mutter Bedauern über das Ergebnis äußerte, denn: „Er kommt im Leben schließlich doch nicht zurecht!“
      Andererseits ist in Anbetracht von Jean Pauls Vorgeschichte vielleicht doch Nachsicht angebracht. Die Tatsache, dass er die bei Lola von Anfang an alle Warnungen ignorierte, ist möglicherweise ebenfalls vor den Hintergrund seines leiblichen Vaters zu sehen, zumal dieser ebenso eitel und egozentrisch wie Lola gewesen war und die entsprechenden Symptome für Jean Paul seit seiner frühesten Kindheit zu den Selbstverständlichkeiten des Alltags gehören.
      Diese kleine Einführung in die Überlegungen eines Erzählers mag das Publikum verwirren, doch das braucht für keine Seite ein Anlaß zur Beunruhigung sein, denn ein gerüttelt Maß an Irrsinn ist für einen Erzähler unverzichtbare Voraussetzung für literarische Produktion und durch das Wissen über diese Zusammenhänge versteht der normal denkende Leser, warum es gut ist, wenn er nicht alles versteht und warum es noch besser ist, wenn ihm Manches unverständlich bleibt.
      Bei dieser Bestandsaufnahme sollte jedenfalls verdeutlicht worden sein, dass der Erzähler sich ausdrücklich von allen Spekulationen distanziert, die vorgeben, in irgendeiner Weise plausibel machen zu können, dass es eine Entschuldigung dafür geben könnte, gegenüber Frauen grob oder ruppig zu sein. Falls jemand einen anderen Eindruck bekommen haben sollte, muss er die Gedanken des Protagonisten irrtümlich für die des Erzählers gehalten haben.
      Jetzt geht es zurück zur Handlung.
      Hoffentlich gemeinsam.

      Fortsetzung folgt
      Avatar
      schrieb am 28.10.06 21:09:50
      Beitrag Nr. 163 ()
      61.
      Jean Paul und Lola verließen ihr Zimmer und gingen die Treppe zum Frühstücksraum hinunter.
      Er ließ sie vorgehen, denn der Schreck vom nächtlichen Überfall saß ihm immer noch in den Knochen und er hatte sich geschworen, ihr nie wieder den Rücken zuzudrehen.
      Schon auf den Stufen bemerkte er die Blicke der anderen Gäste, von denen ihm keiner ins Gesicht schauen konnte. Alle guckten auf seine Schuhe oder um ihn herum und zogen dabei Mienen, als hätten sie etwas Verbotenes getan. Er nahm das als weiteres Indiz dafür, dass das lautstarke Spektakel mit Lola auf dem Gang von dem einen oder anderen Gast zumindest teilweise gehört und vielleicht sogar belauscht worden war.
      Lola, die er jetzt nur noch so nannte, weil das besser zu ihr passte, gab sich wieder genauso hochnäsig und unnahbar wie bei ihrer ersten Begegnung. Diesmal ignoriert sie aber auch ihn. Er folgte ihr einfach weiter. Schließlich fragte sie ihn mit der Kaffeekanne in der Hand, ob sie ihm auch einschenken sollte. Er hätte lieber Tee getrunken, aber er sagte ja und folgte ihr dann an einen von ihr ausgesuchten Tisch.
      „Guck mal, wie die uns angucken“, sagte er.
      „Keiner guckt uns an“, widersprach sie.
      „Das meine ich“, sagte er leise.
      „Das sind lauter Männer und die gucken mir alle auf den Hintern und das ist normal!“
      „Wir waren ziemlich laut. Ich glaube, wir sind aufgefallen.“
      Sie sah ihn kurz an und er merkte, dass sie mit aufkommenden Träne zu kämpfen hatte. Lola putzte sich die Nase und zog eine Sonnenbrille aus dem Jäckchen ihres Kostüms. Sie setzte die Brille auf, wischte darunter eine Träne weg und schob das Kinn nach vorn.
      Es war ihm schon aufgefallen, als er ihr beim Schlafen zugesehen hatte und jetzt merkte er es wieder überdeutlich. Als wenn eine eiserne Hand nach seinem Herz griff.
      Er war verliebt.
      Das einzige, was ihn davor schützte, dieser Frau hörig zu werden und nach und nach von ihr umgeformt zu werden, war ihr ihre Verärgerung und Enttäuschung, dass er ihre Erwartungen nicht von Anfang an immer ihren jeweils aktelen Bedürfnissen entsprechend erfüllt hatte.
      Sie hatte gewonnen, aber sie war so wütend und verletzt, dass es sie überhaupt nicht mehr interessierte.
      „Ich glaube wirklich nicht“, begann er, „dass alle Menschen entweder dominant oder passiv sind.“
      „Doch“, sagte sie. „Meine beste Freundin ist Psychologin.“
      „Auch Psychologen können irren.“
      „Sie hat studiert und erfolgreich abgeschlossen, also kann sie nicht dumm sein!“
      „Das habe ich auch nicht behauptet.“
      „Das ist wieder typisch für dich“, sagte sie mit bebender Stimme. „Immer behauptest du etwas und danach willst du es nicht gesagt haben. Ich lüge nie.“
      „Dann behaupte ich nichts mehr, sondern frage nur noch.“
      Lola aß schweigend weiter und setzte die Sonnenbrille wieder ab. Sie steckte sie nicht zurück in die Jackentasche, sondern legte sie nur auf den Tisch. Dann warf sie Jean Paul einen Blick zu, nachdem er sofort satt war, ohne noch etwas essen zu müssen. Also konnte er auch stattdessen reden.
      „Wenn alle Leute entweder das eine oder das andere sind, warum wolltest du dann heute nacht beides?“
      „Ich habe eine gespaltene Persönlichkeit“, sagte sie. „Ich habe Tausende von Persönlichkeiten. Endlos viele.“
      „Wie beruhigend“, knurrte er. „Das wird immer besser.“
      Vielleicht erwartete sie, dass er jede Nacht jede einzelne der tausend Frauen befriedigte.
      „Und wer sagt das?“, fragte er. „Deine Freundin?“
      „Sie ist Psychologin und Domina. Sie kann nicht irren. Obwohl sie mir zu dir geraten hat. Aber es ist deine Schuld, dass mir das nicht alles gebracht hat.“
      „Bist du dieser Frau irgendwie hörig oder so?“
      „Ich bin nicht lesbisch“, fauchte sie. „Ich bin definitiv nicht lesbisch! Ich habe es ausprobiert, nur um ganz sicher zu sein und...“
      Er guckte sich um.
      Jetzt lauschte man ihnen ziemlich unverhohlen.
      „Mäßige deine Lautstärke“, sagte er zornig, „denn wenn du uns hier blamierst, werde ich dich gnadenlos...“
      „Ach, wenn du das nur tun würdest!“, unterbrach sie ihn. „Und die Leute hier sind mir total egal. Mir würde es auch nichts ausmachen, die Treppe blutig geschlagen in einem zerrissenen Nachthemd herunter zu kommen und...„
      „Du bist geschmacklos!“, unterbrach er.
      Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Lola zeigt Langzeitwirkung auf JP !
      Avatar
      schrieb am 29.10.06 19:21:26
      Beitrag Nr. 164 ()
      62.

      Nach dem Frühstück gingen sie zurück in ihr Zimmer. Lola setzte sich an den Tisch, nahm eine entspannte Haltung ein und sah ihn an.
      Er setzte sich zu ihr und erwiderte ihren Blick.
      „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte sie.
      „Du bist doch eine kluge Frau, oder?“
      „Wenigstens das konnte ich dir vermitteln!“, rief sie.
      Es klang wie ein Aufatmen.
      Er schaute auf seine Armbanduhr.
      „Ja, ich bin genauso klug wie schön“, sagte sie. „Und auch so klug wie fleißig.“
      „Vielleicht solltest du eine Therapie machen“, schlug er vor.
      Sie winkte ab.
      „Ich habe längst mit einem Therapeuten über meine Probleme mit gewöhnlichen Menschen geredet.“
      In Jean Paul keimte Hoffnung auf. Eigentlich unterhielt er sich gern mit Lola. Sie musste nur aufhören, ständig so penetrant davon zu reden, wie klug und schön und fleißig sie war.
      „Was hat der Therapeut gesagt?“, fragte er.
      „Er sagte nur, dass er noch nie eine so kluge und schöne und fleißige Patientin hatte!“
      Der Blick, mit dem er auf diese Aussage reagierte, ließ sie stutzen und nach ihrer Sonnenbrille greifen.
      Er achtete auf seinen Atem und kriegte so seinen Ärger wieder unter Kontrolle.
      „Meine Freundin ist doch Psychologin“, sagte sie und sah ihn durch die fast schwarzen Gläser an. „Mehr brauche ich nicht. Außer, dass ich natürlich nicht lesbisch bin. Also brauche ich natürlich einen Mann. Der muss aber kein Psychologe sein.“
      „Du hast doch einen Mann, sagst du.“
      „Den habe ich auch!“, rief sie. „Wenn du es nicht glaubst, kannst du ihn gern anrufen! Willst du die Nummer? Der glaubt es dir sowieso nicht, dass ich mich von dir habe schlagen lassen! Kannst ihn ruhig anrufen!“
      Sie nahm die Brille wieder ab und starrte ihn zornig an.
      „Was ist denn an deiner Freundin so toll, dass du ihr alles glaubst?“, fragte er.
      „Sie ist genauso, wie ein Mann sein sollte. Stark und dementsprechend natürlich sehr dominant...“
      „Stark sein und dominant sein sind zwei völlig unterschiedliche Dinge“, unterbrach er. „Es gibt starke Menschen, die überhaupt ein Interesse haben, andere zu dominieren und sich lieber von Mitgefühl leiten lassen. Und es gibt Menschen, die ihre Schwäche als Waffe einsetzen, um Stärkere dominieren.“
      „Und wie soll das funktionieren?“, fragte sie hochnäsig.
      „Wenn mein Großvater nicht tat, was meine Oma wollte, hat sie stundenlang geheult oder wochenlang nicht mit ihm gesprochen. Der saß nachher ständig bei ihr im Wohnzimmer, wo sie ihn sehen konnte und ging nur noch aus dem Haus, wenn sie ihm eine Einkaufsliste gab.“
      „Meine Freudin hat ihren Freund auch im Griff. Wenn er nicht tut, was sie will, kriegt er Schläge!“
      „Schläge“, sagte Jean Paul verächtlich. „Wie primitiv.“
      „Aber er hört auf jedes Wort.“
      „Sicher“, sagte Jean Paul. „So lange sie attraktiv ist und sich in schickes Leder zwängen kann. Aber sobald er eine Frau sieht, die kleinere Füße oder höhere Absätze hat oder ihren Busen noch besser in den Wonderbra quetscht, rennt er ohne schlechtes Gewissen einer anderen nach. Meine Oma war zwar nicht einmal emanzipiert, aber sie brauchte meinem Großvater nur einen einzigen Blick zu geben, um ihn zu kontrollieren. Der Freund von deiner Domina gehorcht ihr doch nur aus Geilheit und Opportunismus, statt aus Lieber oder Treue.“
      „Wie kitschig“, sagte sie. „Du bist wirklich zu schwach für mich.“
      „Entschuldigung, dass ich nicht wie deine Freundin bin“, sagte er höhnisch, „aber ich bin eben ein Mann.“
      Eine starke Person zu „besiegen“, wenn sie bereits besiegt war und keine Gegenwehr leistete, war eine Spezialität von Dominas und nicht von Männer, die schließlich gegenüber Frauen in Bezug auf körperliche Stärke von Natur aus sowieso im Vorteil waren.
      „Und warum schlägst du mich dann nicht? Wie andere Männer ihre Frauen schlagen? Bei dir bin ich ja bereit, meine Emanzipation gelegentlich zu vergessen.“
      „Kennst du eigentlich auch verheiratete Frauen? Die könntest du mal fragen, ob sie wirklich...“
      „Natürlich werden die alle verheirateten Frauen von ihren Männern unterdrückt und geschlagen“, sagte sie. „Die geben das nur nicht zu. Frauen können eben viel ertragen. Ich kann das darum auch, selbst wenn ich voll emanzipiert bin und mir das nicht antun zu lassen brauche.“
      Zu seiner Verwunderung musste Jean Paul an das fadenscheinige Machogehabe mancher Männer denken. Mireille alias Lola war davon die weibliche Ausgabe.
      „Ich habe noch nie eine Frau geschlagen“, sagte er. „Bei dir war es das erste und letzte Mal und auch das war zu viel.“
      In der Kampfsportschule hatten ihn sich Frauen manchmal als Sparringspartner ausgesucht, aber selbst da hatte er sich immer nur verteidigt und seine eigenen Schläge immer sicher abgestoppt, auch wenn die Mädels voll auf ihn eindroschen. Nur bei Frauen, die ihn anscheinend totschlagen wollten und sich dann anschließend über schmerzende Unterarme beklagten, weil er ihre Schwinger energisch abgeblockte, empfand er ansatzweise eine Form der Schadensfreude, die man als schwachen Sadismus deuten konnte.
      „Dann brauchen wir uns auch nicht mehr zu treffen!“, rief sie und sprang auf.
      „Sagte ich schon“, stellte er fest.
      Sie seufzte und setzte sich wieder.
      „Und es macht dir wirklich keine Spaß, wenn eine attraktive Frau leidet und hinterher blaue Flecken hat?“
      Er lehnte sich zurück und erforschte sich.
      „Vielleicht doch. Ich war früher Mitglied in einer Laufgruppe und da habe ich einer bestimmten Frau immer beim Laufen zugesehen. Sie war sehr attraktiv und ihr Laufstil war eine Augenweide und ich habe den Anblick immer total genossen. Das war schon krank.“
      Sie sah ihn fassunglos an und suchte nach Worten.
      „Sie hatte nämlich X-Beine“, setzte Jean Paul fort, „und darum hatte sie nach dem Laufen auch jedesmal blaue Flecken an den Innenseiten der Knie, wo die andauernd aneinander schubberten, aber ich fand das trotzdem scharf anzusehen und das war wirklich schofel von mir und eigentlich sadististisch...“
      Sie sprang auf und zog sich wutschnaubend ihren Mantel an.
      „Soll ich dich zum Bahnhof bringen?“, fragte er.
      Sie griff nach ihrer Tasche.
      „Ich warte unten in der Halle!“, rief sie.
      Er sah ihr hinterher und dachte schon an seinen nächsten Arbeitstag und an die Hoffnung, dass aus seinem Halbtagsjob vielleicht wirklich eine Vollzeitbeschäftigung werden konnte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Noch ist das Wochenende für den Helden noch nicht vorbei und Lola hat ihm doch noch etwas zu sagen.
      Avatar
      schrieb am 29.10.06 19:23:43
      Beitrag Nr. 165 ()
      63.

      Jean Paul setzte Lola am Bahnhof ab. Sie tat die ganze Zeit hochnäsig und beleidigt, aber ehe sie ging, gab sie ihm noch einen Kuss. Das machte ihn völlig perplex. Einen Moment wolte er ihr nachgehen, obwohl ihm nicht einfiel, wozu das führen sollte.
      Vor der Heimfahrt dachte kurz daran, noch einen Abstecher in die verbotene Straße zu machen, um den Kopf wieder frei zu kriegen, aber um diese Zeit gab es dort nicht viel zu holen
      Zu Hause setzte er sich an den PC und begann im Internet ernsthaft zum Thema SM zu recherchieren. Er wollte seriöse Informationen. Das war schwierig. Er fand er nur lauter suchmaschinenoptimierte Pornoseiten, auf denen man sich per Kreditkarte mit Wichsvorlagen eindecken konnte. Die von ihm gefundenen angeblichen “Ratgeber”-Seiten waren genauso kommerziell und wollten Dienstleistungen und Hilfsmittel verhökern
      Die SM-Welt war wirklich absolut schwarzweiß. Entweder war man „dominant“ und stand auf das Quälen Schwächerer oder man hatte keinen Spaß am Quälen und sollte sich dann gefälligst dafür auch noch schuldig fühlen und sich selber quälen lassen, um irgendwie in diese Welt hinein zu passen, die einem angeblich nur zwei Möglichkeiten ließ.
      Jean Paul war wirklich dominant veranlagt, aber er wollte nur durch Wissen und Schlauheit dominieren und mochte keine Schleimer oder Mitläufer. Er mochte starke Frauen, aber er wollte nicht von ihnen gedemütigt, sondern von ihnen anerkannt werden, also ganz im Gegenteil.
      Schließlich ging er offline und sah sich „Mad Mission“ an. Auf dem Weg zur Verabredung mit Lola hatte er alle vier Teile erstanden. Die Filme waren noch alberner, als er sie in Erinnerung gehabt hatte und das tat ihm gut. Er trainierte nebenbei die ganze Zeit mit einer Kurzhantel abwechseln den rechten und den linken Bizeps, um am Ende des Tages müde zu sein.
      Als er ins Bett ging, konnte er nicht einschlafen. Er warf sich von einer Seite auf die andere, ohne jemals bequem genug zu liegen. Jean Paul faltete sein Kopfkissen auf jede erdenkliche Weise, um es sich bequemer zu machen. Das machte es irgendwie noch schlimmer. Vielleicht musste er erst wieder eine Französisch-CD abspielen. Vor einiger Zeit hatte er versucht, Französisch im Schlaf zu erlernen und hatte immer vor dem Einschlafen eine Selbstlern-CD gestartet. Die einzige Wirkung war gewesen, dass er nun immer müde wurde, wenn er Französisch hörte. Besonders die oft im Bett gehörten CDs hatten normalerweise eine durchschlagende Wirkung. Diesmal war die Wirkung umgekehrt. Die Stimme der Französin auf der CD erinnerte ihn an Mireille alias Lola und er konnte nicht einmal mehr liegen.
      Nun war alles klar.
      Er konnte nicht schlafen, weil sie ihm fehlte.
      Er war erst einmal mit ihr eingeschlafen und sie fehlte ihm.
      Unglaublich.
      Jetzt, da er das wusste, würde er vorsichtiger sein und sich demnächst erst überlegen, mit wem er sich bettete.
      In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Er sprang so rasch aus dem Bett, dass er japsen musste.
      Er meldete sich und hörte die Stimme von Lola. Sie klang sehr sanft und verständnisvoll und versicherte ihm, sie hätte ihn wirklich gemocht, was er zunächst wirklich rührend fand. Während sie immer wieder versicherte, dass sie ihn eigentlich nett fand, zählte sie endlos Gründe auf, warum sie ihn nur eigentlich mochte und warum für sie eine Fortsetzung der Beziehung nicht in Betracht gekommen war.
      "Was willst du?", fragte er schließlich.
      "Ich wollte es dir nur erklären."
      "Was denn?"
      "Warum ich mit dir Schluss gemacht habe."
      "Du hast nicht mit mir Schluss gemacht."
      "Doch, es ist vorbei."
      "Ja, aber ich habe doch schon Schluss gemacht."
      Sie schnaubte.
      "Mit mir macht keiner Schluss. Wenn mit mir Schluss ist, dann habe ich Schluss gemacht."
      Es klang drohend.
      "Unsinn", sagte er verärgert.
      "Das ist kein Unsinn. Ich habe dir den Sinn doch erklärt. Ich hatte tausend Gründe, mit dir Schluss zu machen."
      "Aber wir sind uns einig, dass Schluss mit diesem komischen Experiment ist?"
      "Natürlich. Du müsstest dich schon sehr bemühen und alles besser machen, damit ich es mir noch einmal überlege."
      "Brauchst du nicht",sagte er. "Und alles Gute für dein weiteres Leben."
      "Du wirst nie wieder eine Frau wie mich finden!", fauchte sie.
      "Gott sei Dank", sagte er. "Jetzt fühle ich mich viel sicherer."
      Sie legte auf.
      Er legte sich hin.
      Jetzt konnte er schlafen!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Kapitel werden wieder kürzer. Die Geschichte mit "Lola", die unvermutet ausuferte, ist vorbei. Wir beschäftigen uns wieder mit eigentlichen Thema!
      Avatar
      schrieb am 29.10.06 19:27:45
      Beitrag Nr. 166 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.992.429 von Wolfsbane am 29.10.06 19:23:43Bravo!

      Starker Abgang von J.-P.
      Avatar
      schrieb am 29.10.06 20:46:19
      Beitrag Nr. 167 ()
      Wir (pl. maj. ;)) verstehen das Anliegen des Autors zum eigentlichen Thema zurückzukehren.
      Aber bitte keine kürzeren Kapitel! :cry:
      Avatar
      schrieb am 30.10.06 09:05:31
      Beitrag Nr. 168 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.992.429 von Wolfsbane am 29.10.06 19:23:43Ein wahrlich trauriges Kapitel. :(
      Doch auch JPs Leben kann nicht immer lustig sein.
      Avatar
      schrieb am 30.10.06 22:58:46
      Beitrag Nr. 169 ()
      64.

      Am nächsten Morgen wurde ihm wieder vom Chef persönlich die Tür zum Büro geöffnet. Er baute sich vor dem Schreibtisch von jean Paul auf, der seinen Computer hochfuhr und irgendeine Ordnung in den Wust von Ausdrucken unterschiedlich gemachte und unterschiedlich weit abgearbeiteter Adress-Listen zu bringen versuchte.
      "Ach ja, hier habe ich noch eine", sagte der Chef in seiner betont bedächtigen Art und Weise, wobei er sich immer wieder jedes Wort praktisch auf der Zunge zergehen ließ.
      "Und von dieser Liste muss nun wirklich etwas kommen! Das ist das beste Material, das wir bisher nie hatten und darum muss diese neue Liste auch unbedingt als erstes abgearbeitet werden!"
      Das sagte er jedesmal.
      Jean Paul wusste, was nun von ihm erwartet wurde. Für jeden Chef bedeutete es einen gemeinen Tiefschlag, wenn man auf solche Geschenke nicht mit enthusiastischer Freude reagierte.
      "Von der letzten Liste hatten wir uns auch Wunder versprochen", sagte Jean Paul, der ohnehin ein schlechter Schauspieler war.
      "Das liegt daran, dass sie nicht telefonieren können", konterte der Chef. "Ihnen fehlt es dafür an der Stimme."
      Das konnte Jean Paul schon. Dabei hatte er es längst gelernt, die Redeweise des Chefs am Telefon zu kopieren. Trotzdem gefiel seine Telefonstimme grundsätzlich nur Frauen.
      "Immerhin drei Chefs haben Interesse bekundet und um ein Fax gebeten", sagte Jean Paul. "Wenn die alle kaufen, ist das doch ein Anfang!"
      "Ja, wenn!", höhnte der Chef.
      "Haben sie die Faxe denn schon rausgeschickt?"
      "Eigentlich sollten sie das auch selbst können, gleich von diesem Büro aus. Wir müssten nur erst ans Internet angeschlossen sein."
      "Sind wir aber nicht", stellte Jean Paul fest.
      Er hatte dem Chef schon auf dessen Drängen die Handynummer eines eines routinierten und zuverlässigen Experten verschaftt, der für diese Art von Jobs beste Referenzen besaß und das auch, hinter dem Rücken seines Chefs, "schwarz" und zum Spottpreis ausführte. Billiger ging es nicht.
      Aber nichts.
      "Und warum sind wir immer noch offline?", fragte der Chef. "Die Kabel liegen da doch alle schon! Da muss man nur mit etwas Ausdauer zum Tüfteln begabt sein sein und gucken, wie die aneinander geknübbert werden und schon haben sie alles, wonach sie immer schreien."
      Er selbst?
      ""Ich bin kein Informatiker", stellte Jean Paul klar. "Ich will auch keine Schuld daran haben, wenn bei meiner Talentprobe eine Sicherung rausfliegt oder Daten verloren gehen."
      "Das darf auch nicht passieren", bekräftigte der Chef. "Aber wenn sie schon nicht reden können, sollten sie wenigstens technisch begabt sein, um das wieder auszugleichen!" Er machte eine Kunstpause. "Ich versuche ja nur, ihnen eine Chance zu geben. Das wollen sie doch, oder? Oder warum sind sie hier?"
      Der war genauso nervlich wie Superlola, nur unattraktiv.
      "Was war denn jetzt mit den Faxen?", rief Jean Paul ihm hinterher, als er zum Ausgang marschierte. "Haben die Leute sich schon darauf gemeldet?"
      Der Chef blieb wieder stehen und guckte ihn über die Schulter an.
      "Wenn sie meinen, dass sie noch einmal mit denen sprechen müssen, dann rufen sie doch einfah selbst an. Bei der Gelegenheit können sie sich auch gleich erkundigen, ob die Sekretärinnen schon ein Fax von mir erhalten haben. Wenn das der Fall ist, wissen sie nämlich, dass ich denen welche geschickt habe und dann haben sie sich auch endlich einmal eine Frage selbst beantwortet, wie man das von einem mündigen Mitarbeiter sowieso ab und zu erwarten würde."
      "Ich will die Sekretärinnen nicht nerven, wenn es sich vermeiden lässt!"
      "Ach, dazu sind die doch da!", sagte der Chef mit einer wegwerfenden Handbewegung.
      Er ging hinaus und der Kollege von Jean Paul kam herein.
      Der Kollege startete den Computer.
      "Die Kisten müssten mal wieder defragmentiert werden", sagte Jean Paul. "Dann würde das Hochfahren nicht so lange dauern."
      "Man müsste auch mal die vielen Programme richtig deinstallieren, mit denen der Chef schon herum experimentiert hat", sagte der Kollege. "Aber ich habe gleich daruaf bestanden, dass ich von Computern keine Ahnung habe", fügte er lachend hinzu. "Außerdem weiß ich die Zeit schon zu nutzen."
      Er fischte Zigaretten aus seiner Tasche und ging gleich wieder raus, um seine erste morgendliche Raucherpause zu zelebrieren.
      Wenige Minuten später hielt er dem Chef die Tür auf.
      "Hier haben sie!", rief der Chef und knallte Jean Paul ein kombiniertes Fax- und Telfongerät mit offenen Kabelenden auf den Schreibtisch. "Das schließen sie jetzt an ihr Notebook an und dann können sie endlich faxen. Wird auch Zeit!"
      "Und wie soll das funktionieren?", fragte Jean Paul.
      "Ich dachte, sie hätten bei ihrer Umschulung etwas gelernt", sagte der Chef. "Aber anscheinend wollen sie mich überzeugen, dass die bewährten Vorurteile über Umschüler auch bei ihnen voll zutreffen!"
      "Nein."
      "Dann sehen sie zu, dass sie damit fertig werden und endlich mal etwas Produktives leisten, statt immer nur rumzumeckern. Wenn ihnen das schon früher jemand gesagt hätte, dann wären sie jetzt auch in einer einer besseren Position."
      Er ging raus, ohne auf eine Antwort zu warten.
      Jean Paul bemerkte, dass der Kollege ihn forschend anstarrte.
      "Gib mir mal eine Zigarette", sagte Jean Paul.
      "Seit wann rauchst du?"
      "Seit jetzt."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es sieht nicht danach aus, als wenn Jean Paul alt genug wird, um an Lungenkrebs zu sterben, denn Lolas Mann läuft bewaffnet Amok!
      Avatar
      schrieb am 30.10.06 23:01:56
      Beitrag Nr. 170 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.997.165 von unlocker am 29.10.06 20:46:19@ unlocker


      ;) Mit Vorsätzen ist das bei mir immer so seine Sache... :laugh:
      Avatar
      schrieb am 30.10.06 23:03:16
      Beitrag Nr. 171 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.003.559 von GEZ-Preller am 30.10.06 09:05:31@ GEZ-Preller

      :cool: Stimmt. Selbst die Filme von Charlie Chaplin waren manchmal auch traurig... :rolleyes: ;)
      Avatar
      schrieb am 30.10.06 23:05:08
      Beitrag Nr. 172 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 24.992.711 von pappenheimer2010 am 29.10.06 19:27:45@ pappenheimer 2010

      :look: Wenigstens einer, der nicht der Ansicht zustimmt, dass JP schon längst im Bereich jenseits von Gut und Böse rumstolpert... :laugh:;)
      Avatar
      schrieb am 31.10.06 17:50:54
      Beitrag Nr. 173 ()
      Morgen geht es weiter...
      Avatar
      schrieb am 01.11.06 03:38:26
      Beitrag Nr. 174 ()
      ...jetzt fällt der Name des nur auf lokalen Indy- und Volksfesten bekannten österreichischen Sängers wieder ein, also der Interpret von:

      'Schlag mich, schlag mich, na wie wärs, ich bin pervers, pervers, pervers'

      Nowak wars, irgendwann fällt mir auch noch der Vorname ein...

      einen geruhsamen November wünscht

      RR
      Avatar
      schrieb am 01.11.06 16:34:08
      Beitrag Nr. 175 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.040.699 von Wolfsbane am 31.10.06 17:50:54Heute und jetzt is morgen. Und schon halb fünf (und schon zum zweiten mal) :)
      Avatar
      schrieb am 01.11.06 23:04:39
      Beitrag Nr. 176 ()
      Up!
      (s is schon nach elf);)
      Avatar
      schrieb am 02.11.06 00:53:49
      Beitrag Nr. 177 ()
      65.

      Noch am gleichen Tag fielen dem Chef weiter spannende Aufgaben für Jean Paul ein. Zum Bespiel sollte er ein Programm schreiben, das direkt von de Telefonbuch-CD Adressen nach jeweils einzugebenden Vorgaben aussuchte und die Suchergebnisse auch gleich anschließend automatisch in die eigene Datenbank importierte. Außerdem sollt die Oberfläche der Datenbank wieder auf allen drei Computern gleich aussehen, obwohl es keinerlei Dokumention darüber gab, wie die Informatik-Kauffrau, die sich gerade auf unbekannte Zeit in Urlaub befand, die ursprünglichen Veränderungen vorgenommen hatte.
      Am nächsten Morgen stand Jean Paul besonders früh auf, um zu dem Institut zu fahren, an dem der Hauptteil seiner Umschulung stattgefunden hatte. Er wollte die den dortigen Dozenten für Informatik fragen, wie er am besten das Netzwerk installierte und was sein Chef sonst nocht alles von einem Industriekaufmann forderte. Als er gerade losfahren, wollte, klingelte das Telefon. Es war Mireille alias Lola.
      "Mein Mann hat mich mit einem Messer bedroht und mir mein Handy weggenommen!", sagte sie zornig.
      "Wie bitte?"
      "Er ist rasend vor Eifersucht! Auf meinem Handy sind deine Daten!"
      "Hat er dir was getan? Außer zu drohen?"
      "Er hat mein Handy! Das will ich wieder zurück! Er hat mein Handy!"
      "Okay, ich rufe dich später zurück", sagte er.
      Er musste erst noch kurz eben lernen, wie man ein Netzwerk installierte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:Es wird spannend
      Avatar
      schrieb am 02.11.06 15:14:16
      Beitrag Nr. 178 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.073.815 von Wolfsbane am 02.11.06 00:53:49Er musste erst noch kurz eben lernen, wie man ein Netzwerk installierte. :laugh:

      Kunde betritt das Geschäft:"Haben sie auch Netzwerke?"
      Verkäufer:"Ja."
      Kunde:"Gut. Dann nehm ich gleich zwei." ;)
      Avatar
      schrieb am 03.11.06 00:56:36
      Beitrag Nr. 179 ()
      66.

      Er legte auf und ging zur Tür. Da klingelte das Telefon erneut. Er kehrte um und nahm ab.
      "Ja?"
      "Bist du irre?", fragte sie. "Oder glaubst du mir einfach nicht?"
      "Was denn?"
      Sie erzählte andauernd ohne erkennbaren Anlaß die verrücktesten Geschichten und fünf Minuten später, ebenfalls ohne Anlaß, stumpf das genaue Gegenteil. Und dann durfte man nicht einmal nach einer Erklärung fragen, sonst wurde man in aller Deutlichkeit in seine Schranken verwiesen.
      "Ich war unter der Dusche und dann kam er plötzlich mit einem großen Messer in der Hand reingestürmt und hatte mir mein Handy weggenommen!"
      "Du hast dein Handy unter der Dusche dabei?"
      Dann gab es wirklich überhaupt keinen Ort, wo sie ohne ihr Handy war!
      "Nein, Blödsinn, es lag im Wohnzimmer, aber er konnte damit natürlich nichts machen, weil ihm die Pinn-Nummer fehlte."
      "Wie groß war das Messer?", fragte er.
      "Das war ein Küchenmesser zum Bratenschneiden. Sehr groß. Das größte, was wir haben."
      "Dann wollte er dir nur Angst machen. Anscheinend ist ihm das auch gelungen."
      "Blödsinn", ich hätte ihm das Messer jederzeit aus der Hand treten können, wenn ich nicht so überrascht über seinen Gefühlsausbruch gewesen wäre."
      Jean Paul kratzte sich das Kinn.
      "Also, ich kann das schon verstehen. Vor allem, weil du am Wochenende irgendwie in einen richtigen Rausch geraten bist und ich immer weitermachen sollte und man mit geübtem Auge womöglich auf deinem Hintern davon etwas sehen kann."
      "Das sieht sogar ein Blinder", sagte sie. "Aber der hat es nicht gesehen. Der saß nur wieder vor seinem Computer und dann hat er eine von den Mails gelesen, die ich über AOL kriege."
      Wie viele Accounts hatte sie denn?.
      "Irgendein Spaßvogel, den du nicht kennen brauchst und mit dem ich auch nie zusammen war, hatte mir eine völlig banale Mail geschickt und sie aus Jux mit LOVE AND KISSES beendet. Als er das sah, ist mein Kerl ausgeflippt und wollte plötzlich alles mögliche wissen."
      "Und jetzt weiß er von mir."
      "Ich habe ihm nichts erzählte, aber deine Festnetznummer ist meinem Handygespeichert und vielleicht kann er damit irgendwie deine Adresse rausfinden."
      "Sicher."
      "Also wenn dich ein fremder Mann anruft, dan gib ihm keine Auskünfte, sonst steht der vieleicht eine halbe Stunde später vor deiner Tür!"
      "Interessanter Gedanke."
      "Das Messer hat er mitgenommen. Du hast nichts zu befürchten, aber ich wollte dir nur Bescheid sagen."
      "Du bist ein Schatz", sagte er.
      "Findest du das wirklich?", fragte sie.
      "Nein. Hat er dich geschlagen?"
      "Nein."
      "Dann sollte ich das vielleicht tun.““Nächsten Samstag habe ich wieder Zeit. Wir müssen nur vorsichtig sein. Ich rufe dich an, sobald ich wieder ein Handy habe.“
      In diesem Augenblick klopfte jemand an die Tür seines Apartments.
      „Ich weiß, dass du da bist!“, rief eine kräftige Männerstimme.“Ich solll dich von meiner Freundin grüßen und will dir etwas geben!“
      „Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte Jean Paul und legte auf.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Keine
      Avatar
      schrieb am 03.11.06 12:16:01
      Beitrag Nr. 180 ()
      hmmh?

      wer kann es mit Jean-Claude aufnehmen?

      Kommt jetzt Hulk Hogan mit seinem Kumpel Conan dem Zerstörer und zertrümmern einen Stapel Computer(die mit dem richtig fies hartem Korpus aus Gusseisen)auf dem sowieso schon von der Arbeit, der Freizeit(160Kilo Chatbekanntschaft:eek:) und den allgemeinen Zweifeln am Sinn des Lebens arg geplagten Haupt unseres Helden?

      Fragen über Fragen...
      Avatar
      schrieb am 03.11.06 15:55:06
      Beitrag Nr. 181 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.101.362 von Robert_Reichschwein am 03.11.06 12:16:01:laugh:

      Morgen geht es weiter. Aber bevor irgendeiner der Leser heute nacht nicht schlafen kann: Es steht nur ein Kerl vor Jean Pauls Tür und -die Antwort auf die wichtigste Frage von allen- Jean Paul kommt trotz allem noch pünktlich zur Arbeit!
      Avatar
      schrieb am 04.11.06 00:36:04
      Beitrag Nr. 182 ()
      67.

      Jean Paul öffnete die Tür.
      Vor ihm stand ein sehr großer, kräftig aussehender Mann, der bei Jean Pauls Anblick in eine Ledertasche griff und etwas herauszog.
      "Nimm das!", rief er.
      Jean Paul zog eine Augenbraue hoch und war total überrascht, was ihm da ins Gesicht gehalten wurde.
      "Ist doch deins, oder?"
      Jean Paul hatte schon so viele Bücher gekauft und gelesen und wieder weggeworfen oder verliehen und nicht zurückbekommen, dass er einen Moment des Nachdenkens brauchte.
      "Kann schon sein", antwortete er unverbindlich.
      "Da steht jedenfalls diese Adresse drin. Und der Name hier an der Wohnungstür. Ist dein Vorname Jean Paul?"
      "Ja. Wie der Schriftsteller."
      Der Mann schaute sich da Buch noch einmal an und stellte fest: "Der heißt aber anders!"
      "Es gibt noch mehr Bücher und auch noch mehr Autoren."
      "Kann schon sein", sagte der andere Mann. "Nimm. Sie braucht es nicht mehr."
      Jean Paul nahm das Buch an, guckte auf den Titel "Neue Übungen für die Bauchmuskeln" und erinnerte sich an die Frau im Fitness-Studio, die ihn immer wieder nach irgendeiner Wunderübung für die unteren Bachmuskeln gefragt und damit schließlich genervt hatte.
      "Gratuliere", sagte Jean Paul.
      "Und sonst braucht sie auch nichts von dir. Keine Bücher und keine Ratschläge. Übrigens, ich brauche auch keine Ratschläge von dir. Alles klar?"
      Jean Paul zuckte mit den Schultern.
      Er hatte schon vergessen, wie die Freundin von diesem Kerl aussah oder wie sie hieß.
      "In dem Sinne!"
      "Ja, in dem Sinne", sagte Paul. "Übrigens, als du durch die Haustür reingekommen bist, hast du da gesehen, ob der Postbote schon da gewesen ist?"
      "Da lag ein Päckchen."
      "Kannst du das mal holen? Dann kann ich draufgucken, ob es für mich ist."
      "Nee, ich muss jetzt zur Arbeit. Ich habe keine Zeit."
      Er dampfte ab.
      Unterwegs drehte er sich noch einmal um.
      "Und meine Freundin ist auch zur Arbeit und macht niemandem auf."
      "Horrido", sagte Paul und ging wieder in seine Wohnung.
      Anscheinend war wieder Vollmond. Dann juckte es manchen Kerlen unter dem Toupet und sie fingen an, zu spinnen. Früher hatte Jean Paul das als Aberglauben abgetan, aber inzwischen kannte er längst eindeutige Statistiken studiert, die das Gegenteil bewiesen.
      Statistiken über Börsencrashs.
      Als er die Tür schloss, klingelte erneut das Telefon. Das war bestimmt wieder irgendeine Tonbandansage, wonach er bei einem Preissausschreiben gewonnen hatte. Oder irgendein Fremder wollte ihm Lottolose oder Zeitungsabos oder Versicherungen andrehen.
      Er sah auf seine Armbanduhr.
      Es war zu spät, um jetzt noch vor der Arbeit seinen ehemaligen Dozenten aufzusuchen. Er konnte es vielleicht mit viel Glück noch hin und wieder zurück schaffen, ohne sich zur Arbeit zu verspäten, aber auch dieser begnadete Lehrer konnte ihm nicht in fünf Minuten erklären, wie man ein Netzwerk installierte. Dazu brauchte es wohl mindestens zehn Minuten. Jean Paul musste sich das schließlich gründlich erklären lassen, da er diesen Auftrag nebenbei zwischen den Anrufen erledigen sollte.
      Sein Magen knurrte. Er beschloss auf dem Weg zur Arbeit in einer Bäckerei frische Brötchen zu kaufen.
      Jean Paul schloss die Wohnung hinter sich ab und ließ das telefon weiter klingeln.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul kriegt wieder einen weiblichen Chef...
      Avatar
      schrieb am 04.11.06 23:50:25
      Beitrag Nr. 183 ()
      68.

      An diesem Tag sprach Jean Paul nur kurz mit seinem Chef.
      "Wir könnten noch eine dritte Telefonleitung gebrauchen", sagte Jean Paul.
      Sie saßen in diesem Büro zwar immer nur zu zweit, mussten sich die beiden Leitungen aber mit dem Chef und seinem privaten Büro teilen. Eine Leitung war also praktisch pausenlos besetzt. Der Chef führte immer sehr lange Verkaufsgespräche, in denen er die Verbreitung von Standard-Programmen mit romanreifen Verschwörungstheorien erklärte. Dabei versuchte er einfach durch eine theoretisch nie endende Fülle von Details zu überzeugen und den potentiellen Kunden durch Ausdauer zur Strecke zu bringen. Im Idealfall fragten die Angerufenen irgendwann, welche Alternative es zur weltweiten diabolischen Verschwörung und zum Hungertod am Telefon gab.
      "Kriegen wir in den nächsten Tagen", antwortete der Chef.
      "Prima", sagte Jean Paul und versuchte optimistisch zu klingen.
      "So lange können sie die freie Zeit nutzen, um endlich alles anzuschließen. Dann können sie von hier aus Faxe und Emails verschicken und können die anderen telefonieren lassen."
      Eigentlich wollte Jean Paul telefonieren. Das hatte er nämlich während seines Praktikums kaum gedurft. Die Tatsache, dass er für einen Industriekaufmann sehr gut mit Office-Programmen umgehen konnte, war bereits gewiesen. Außerdem wusste sowieso jeder, dass Umschüler diesbezüglich sehr gut ausgebildet waren. Manchmal war das schon ein Hindernis, wenn man sich bewarb, weil die normal ausgebildeten Bürokräfte oft Angst hatten, in den Schatten gestellt zu werden. Er wollte überhaupt nicht den Ruf erwerben, dass er einen echten Computer-Experten um seinen Job bringen könnte, da er Fälle kannte, in denen sich diese Experten dagegen mit allen Mitteln gewehrt und Neulinge sabotiert, schikaniert und lächerlich gemacht hatten.
      "Ich spreche morgen mit meinem Dozenten. Kann ich das Handbuch für die Netzwerkkarte bekommen?"
      "Das finden sie im Internet", sagte der Chef. "Drucken sie sich das zu Hause. Dann können sie es sich da auch gleich durchlesen."
      "Kriege ich es eigentlich bezahlt, wenn ich zu Hause arbeite?"
      "Wieso arbeiten? Das macht ihnen doch Spaß, oder?"
      "Aber gestern bin ich hier erst nach neun Stunden heraus gekommen. Und dann..."
      "Und dann müssen sie eben schneller werden."
      Den Spruch hatte er schon als Koch andauernd gehört. Da war seine Stelle aber als Vollzeitjob angemeldet gewesen und es war nur um Überstunden gegangen. Hier hingegen lief es darauf hinaus, dass er lediglich als Aushilfe angemeldet war und nur 15 Stunden arbeiten durfte, der Chef von ihm jedoch mindestens das Vierfache erwartete. Ohne irgendwelche Kompensation natürlich.
      Kaum hatte der Chef das Büro verlassen, kam seine Kollegin herein. Sie berichtete ihm von einer Verabredung, bei deutsche Schlagermusik und Standardtänze für unglaublich viel Spaß gesorgt hatten. Er versuchte sich das vorzustellen und fand es noch gruseliger als als die Erinnerung an den nächtlichen Überfall durch Lola. Eigentlich war Lola wirklich nur das Spiegelbild eines Machos. Manche Männer mussten sich ständig bemühen, männlich zu wirken und manche Frauen fanden es anscheinend genauso schwierig und trotzdem auch genauso nötig, sich immer weiblich zu benehmen. Die betreffenden Männer suchten sich dann oft irgendeinen Armleuchter zum verdreschen und um sich dabei stark zu fühlen und die betreffenden Frauen suchten sich irgendeinen noch größeren Armleuchter, um sich verdreschen zu lassen und sich dabei einmal schwach zu fühlen...
      „Nein, wir schicken kein Foto von mir mit!“, rief seine Kollegin lachend.
      Sie wurde ständig angebaggert.
      „Ob ich ihnen meine private Telefonnummer geben würde?“
      Jean Paul schüttelte mit dem Kopf.
      Seine Kollegin beendete ihr Gespräch und wollte Jean Paul darüber berichten, aber vor lauter Lachen konnte sie sich nicht in ganzen Sätzen artikulieren.
      Jetzt klingelte sein Telefon. Das kam ganz selten vor.
      Er meldete sich mit Firmennamen.
      Am anderen Ende war ein Geschäftspartner, der mit dem Chef sprechen wollte.
      „Wenn der Chef gerade redet und die Leitung besetzt ist, landen sie immer hier bei mir“, erklärte Jean Paul. „Darf ich ihm etwas bestellen?
      „Ja, er soll zurückrufen. Sofort! Davon hängt alles ab!“
      „Alles?“
      „Ja, alles und noch viel mehr!“, rief der Mann. „Bitte sagen sie ihm das jetzt gleich und ohne Verzögerung!“
      Jean Paul versuchte nach diesem Gespräch zunächst selbst beim Chef anzurufen, aber es war natürlich immer noch besetzt.
      „Dann kannst du nur rüberlaufen“, sagte seine Kollegin. „Er sitzt meistens am Fenster. Klopfe einfach. Oder klingele. Habe ich auch schon einmal machen müssen!“
      Jean Paul lief auf die Straße und sah nach fünf Minuten den Chef mit Headset am offenen Fenster telefonieren. Der Chef wollte sein Telefonat nicht unterbrechen, nahm aber durch das Fenster den Zettel mit der Nachricht entgegen und redete dabei weiter.
      Als Jean Paul zurück zu seiner Kollegin ging, trat er unterwegs fast in einen Hundehaufen
      So ging es nicht weiter.
      Morgen früh würde er zu seinem ehemaligen Dozenten fahren und sich erklären lassen, wie Netzwerke installierten wurden und was er tun musste, damit er demnächst in solchen Fällen eine Email schicken konnte.
      Er ging früh schlafen, denn er wollte am nächsten Morgen topfit sein und auf keinen Fall verschlafen.
      Morgens um zwei Uhr war es aber mit dem Nachtschlaf vorbei.
      Plötzlich saß er aufrecht im Bett und sein Herz schlug schneller.
      In der Wohnung unter ihm schrie eine Frau.
      Das musste ihn wachgemacht haben.
      Er stand auf, zog sich eine Hose an und ging auf den Flur.
      In der anderen Wohnung war lautes Gepolter zu hören und dann lief jemand von dort aus sehr schnell die Treppe herunter.
      Er blieb einen Moment stehen und versuchte sich zu erinnern, ob er sich nicht vielleicht geschworen hatte, sich von allem Ärger fern zu halten. Währenddessen fuhr er sich mit der rechten Hand durch das Gesicht und befühlte die Narben, die durch eine in seinem Gesicht zerdepperte Flasche entstanden waren.
      Eigentlich waren die ganz gut verheilt.
      Die Leute blieben schon lange nicht mehr auf der Straße stehen, um ihn entsetzt anzustarren. Bekannte von damals erzählten ihm immer wieder, wie es sie erstaunte, dass man nur noch so wenig davon sah.
      Er ging weiter.
      Jetzt rannte jemand die Treppe hoch.
      Jean Paul stieß mit einer sehr jungen und sehr schlanken Frau zusammen, die einen Pyjama und ein Handy trug.
      Sie sah sehr erschrocken aus.
      „Hallo“, sagte er.
      „Hallo!“, sagte sie atemlos.
      Was konnte er sonst noch sagen?
      „Guten Morgen.“

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul wird erst Frauenversteher und Netzwerkinstallateur. :laugh:Nein, das war beides ein Scherz!:D
      Avatar
      schrieb am 05.11.06 18:16:40
      Beitrag Nr. 184 ()
      69.


      "Das ist kein guter Morgen", sagte das Mädchen und strich sich die Haare aus dem Gesicht. "Mein Freund dreht gerade durch."
      Er folgte ihrem Blick und sah auf die verschlossene Tür, hinter der es rumpelte.
      "Es ist Vollmond", kommentierte Jean Paul.
      "Nein, das war gestern vorbei."
      Verflixt.
      Jean Paul räusperte sich, dachte rasch nach und fand die passende Antwort.
      "Verzögerte Reaktion."
      "Du wohnst genau über mir, oder?", fragte sie.
      "Ja", antwortete er. "Ich bin gerade irgendwie von einem lauten Geräusch aufgewacht und wollte nur mal sehen, ob es brennt oder so."
      "Eher oder so", sagte sie. "Ich heiße Kim." Sie wechselte das Handy in die linke Hand und reichte ihm die Rechte.
      Als er die grazile Fingerchen sah, überkam ihm die Anwandlung, seinen Hut zu ziehen und ihr einen Handkuss aufzuhauchen. Aber der Griff nach dem Hut ging ins Leere und diese Erkenntnis holte ihn in die Realität und Gegenwart zurück.
      "Ich bin Jean Paul."
      "Wie Jean Paul van Damme?"
      "Nein, der heißt Jean Claude."
      "Stimmt", sagte sie mit kurzem Nachdenken.
      Erneut rumpelte und schepperte es hinter der Tür.
      "Ich habe die Polizei gerufen", sagte sie.
      "Ich verstehe."
      "Er hat mich gegen die Wand und auf den Boden geworfen und wollte mir mein Handy wegnehmen..."
      Das war natürlich immer der Punkt, wo die Frauen wirklich wütend wurden.
      "Ich verstehe", unterbrach er.
      "Jetzt warte ich, bis die kommen", sagte sie. "Bleibst du so lange hier?"
      Er nickte.
      Sie stellte sich neben ihn. Ehe ihm etwas einfiel, was er zu dieser Situation beitragen konnte, traf die Polizei ein.
      Sie hörten den Wagen und Schritte.
      "Ich habe die Haustür schon losgemacht", sagte sie.
      Die Frau dachte voraus.
      Gefährlich.
      Die Polizisten kam die Treppe hoch und sah Kim und Jean Paul an.
      "Sie haben uns gerufen?", fragte der jüngere der beiden Staatsdiener.
      "Mein Freund hat mich geschlagen", sagte Kim.
      "Das geht aber nicht", sagte der ältere Polizist.
      "Das müssen sie lassen", sagte der jüngere Polizist zu Jean Paul. "Auch wenn wir nicht hier sind."
      "Sonst können wir sie auch gern mit auf die Wache nehmen und ihnen das einmal gründlich erklären", sagte der Ältere.
      Beide legten die Hände auf ihre Waffen und kniffen beim Anblick von Jean Paul die Augen zusammen.
      Jean Paul überlegte, wie ihm das vorkam, ging in sich und kam zu dem Schluss, dass sich bei ihm gerade ein Gefühl eingestellt hatte, bei dem es sich wohl um so etwas wie leichte Beklommenheit handelte.
      "Er war es nicht", sagte sie und lehnte sich an ihn. "Der Richtige ist da, wo der Krach herkommt.
      Sie schloss die Wohnung auf. Der ältere Polizist ging hinein, schloß die Tür hinter sich und kam schon nach zwei Minuten zurück.
      "Wir brauchen einen Krankenwagen", sagte er zu seinem jüngeren Kollegen. "Da hat einer zu sehr gefeiert und dann versucht, mit irgendwelchen Mittelchen wieder nüchtern zu werden." Er sah Kim an. "Ist er mit dem Auto gekommen?"
      "Weiß ich nicht", sagte sie.
      Der Krankenwagen kam genauso schnell wie die Polizei. Die beiden Sanitäter schleppten Kims rothaarigen Freund zu zweit aus der Wohnung und brachten ihn zum Krankenwagen, während er schauerlich fluchte und sich über Frauen im Allgemeinen ausließ.
      Schließlich gingen auch die beiden Polizisten wieder.
      Das Mädchen begann SMS zu verschicken. Daran erkannte Jean Paul, dass sie sich bereits von dem Schreck erholt hatte, denn sie benahm sich schon wieder wie eine ganz normale Frau.
      "Ich muss in spätestens drei Stunden aufstehen", sagte er.
      "Ich auch. Da lohnt es sich nicht mehr, noch ins Bett zu gehen", sagte Kim.
      "Ich finde, wir sollten ins Bett gehen", sagte Jean Paul.
      "Ich kann jetzt nicht mehr schlafen. Nicht, nachdem ich auf diese Weise wach geworden bin."
      "Ich weiß, was du meinst", sagte er im Gedanken an Lola.
      "Einen Moment, ich ziehe mir eben etwas mehr an", sagte sie. "Und dann brauche ich einen Kaffee."
      Zwei Minuten später stand sie wieder auf dem Flur und lud ihn ein.
      Während sie Kaffee kochte, sah er sich die Verwüstungen an.
      "Er kam hier total aufgedreht und verwirrt an und hat dann ein Schlaftablette genommen, aber mitten in der Nacht wachte er wieder auf..."
      "Kommt mir bekannt vor", sagte Jean Paul.
      "Leider ist er auch der Bruder meiner besten Freundin und ich muss ihr das unbedingt erklären."
      Ihr Handy meldete sich und sie öffnete und beantwortete eine SMS. In der nächsten Viertelstunde öffnete und beanwortete sie noch zahllose andere SMS. Zwischendurch gab sie ihm einen Kaffee.
      Jean Paul sah ihr zu, wie sie mit gesenktem Kopf auf das Display guckte und dachte daran, wie Lola beim Schlafen aussah. Manche Frauen entwickelten einen ganz besonderne Zauber, wenn sie alles um sich herum vergaßen und nicht mehr auf andere reagierten oder posierten, sondern ganz sie selbst waren. Seit dem Treffen mit Lola fragte er sich ständig, wie sein und ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie sich eher kennengelernt hätten. Wie war Mireille gewesen, bevor sie zur Karrierefrau und zu Internet-"Lola" mutiert war?
      Der Anblick von Kim gab ihm eine Teilantwort.
      Er seufzte.
      "Schmeckt der Kaffee nicht?", fragte sie.
      "Es hätte mich gerade fast umgehauen", sagte er ganz offen.
      "Ich trinke den Kaffee immer so stark", sagte sie. "Du bist doch nicht herzkrank?"
      Sie guckte wieder auf ihr Handy.
      Ihre Fingerchen wirbelten mit unverminderter Geschwindigkeit über die Tastatur.
      "So ein wenig Herzweh..." Er schluckte. "... kann doch jeder einmal bekommen..."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Autor ergeht sich in Beteuerungen, dass sein Protagonist Jean Paul mit ihm selbst keinerlei Ähnlichkeit aufweist und alle Abenteuer und menschlichen Schwächen des Helden totalstens erstunken und erlogen sind!
      Avatar
      schrieb am 06.11.06 22:36:07
      Beitrag Nr. 185 ()
      70.

      Kim bekam bei ihrer SMS-Korrespondenz rote Ohren und sah ihn an.
      "Ich muss gleich weg", sagte sie.
      "Musst du so früh arbeiten oder so früh losfahren?", fragte Jean Paul.
      Er kannte sie erst seit einer halben Stunde, aber er hatte sich schon voll an sie gewöhnt und vermisste sie schon im Voraus. Wenn er sie jetzt einfach gehen ließ, würde er sie wahrscheinlich nie wieder sehen, denn sie wohnte schon seit Monaten im selben Haus und dies war ihre erste Begegnung. Wahrscheinlich würde sie sich bei seinem Anblick jedesmal an die schlimmste Nacht ihres Lebens erinnern. Das hieß, sie würde ihm zukünftig ausweichen, um diese Geschichte vergessen zu können.
      Andererseits war sie sowieso nur halb so alt wie Jean Paul und er sollte sich was schämen, darüber nachzudenken, sich mit ihr anzufreunden, auch wenn er irgendwie unter Schock stand.
      "Das auch beides...", sagte sie.
      Jean Paul versuchte ihr zu folgen.
      "... und vor allem muss ich vorher noch mit dem Bus zu meiner Freundin fahren und mit ihr reden."
      "Wann musst du denn los?", fragte Jean Paul leicht enttäuscht.
      "Sobald wie möglich, also mit dem ersten Bus! Darum muss ich jetzt los und sehen, wann der fährt."
      "Ich lege mich wieder hin!", sagte er.
      "Wann musst du denn wieder raus?", fragte sie.
      "Spätestens ins zwei Stunden", antwortete er. "Das reicht noch für einen Mütze voll Schlaf."
      Sie sah ihn forschend an.
      "Du siehst aus, als wenn du dich mehr als ich erschrocken hast", sagte sie fürsorglich.
      Er überlegte und würgte schließlich einen seiner Dietrich-Sätze heraus.
      "Alles ist relativ!"
      Das konnte man immer sagen, auch ohne Nachdenken. Egal, ob einem gerade die Zeit oder der Kopf zum Nachdenken fehlten.
      Jean Paul brauchte solche Sätze oft.
      "Wenn du dich jetzt hinlegst, sackt bestimmt dein Kreislauf ab und wenn du dann in zwei Stunden aufstehen sollst, bist du dann nicht erholt, sondern schlapp", sagte sie fürsorglich. "Ich will nicht die Schuld dafür haben, dass du deinen Job verlierst, weil du verschläfst."
      "Das Leben ist nicht einfach", sagte er.
      Allmählich musste etwas passieren, denn sonst gingen ihm die Universal-Sätze aus und dann musste er versuchen, nachzudenken. Das würde sowieso nicht funktionieren. Er kannte das aus Erfahrung. Wenn sein Kopf nur noch die Funktion erfüllte, seine Augen zu halten, damit er die Frau vor sich anschauen konnte, hatte es keinen Zweck, irgendwelche intellektuellen Vorträge zu halten, um zu zeigen, dass er noch denken konnte. Auf diese Weise bewies er unweigerlich immer nur das Gegenteil und stellte sich erst recht bloß.
      "Es ist frisch", sagte sie. "Zieh dir lieber eine Jacke an!"
      Sie schenkte ihm einen Blick, der ihn grübeln ließ, ob sie eine Heilige oder eine Verrückte war und ob das eine überhaupt ohne das andere möglich war.
      "Was gibt es da noch nachzudenken?", erkundigte sie sich. "Ich warte auf dem Flur auf dich."
      "Wo geht es denn schätzungsweise hin?"
      "Zur Bushaltestelle. Ich muss gucken, wann die Busse fahren. Ich habe kein Internet."
      "Und ich soll die Taschenlampe halten?"
      Da. Schon wieder. Er wollte etwas Witziges sagen, um geistreich zu wirken und sowas kam dabei raus.
      "Auf dem Weg dorthin kommen wir an einer Tankstelle vorbei. Da gebe ich dir einen Kaffee aus."
      "Kaffee tanken", sagte er.
      Und schon wieder hatte er etwas Blödes gesagt. Aber er konnte nichts dafür. Irgendwie war das schließlich auch Glückssache und Jean Paul war eben ein Pechvogel. Da war eine neuerliche Pechsträhne nichts, was man analysieren oder gar verdammen musste.
      Schämen brauchte er sich sowieso für überhaupt nichts. Er hatte einen unvollendeten, aber zumindest angefangenen Western in der Schublade und Schriftsteller hatten Narrenfreiheit.
      "Gut aufgepasst", sagte sie und schob ihn sanft nach draußen.
      Sie berührte ihn auf eine sehr weibliche Weise. Entschieden, nachdrücklich und dadurch stärker und wirkungsvoller als es mit Muskelkraft möglich gewesen wäre.
      "Bis gleich", fügte sie hinzu, ehe sie die Tür hinter ihm schloss.
      Draußen auf dem Flur rieb er sich die Augen und fragte sich, ob er das alles träumte. Um diese Uhrzeit träumte er immer.
      Er wusste nicht, was er wollte.
      Also tat er einfach, was sie ihm gesagt hatte. Er ging in seine Wohnung und holte sich eine Jacke. Jean Paul ließ die Wohnungstür offen stehen und als er unten noch nichts hörte, rasierte er sich rasch noch eben. Dann vernahm er das Geräusch einer sich öffenenden Tür und ein Tapsen im unteren Flur.
      Nichts wie hin!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul kriegt das schöne Gefühl, wieder zu den Guten zu gehören.
      Avatar
      schrieb am 08.11.06 00:18:54
      Beitrag Nr. 186 ()
      71.

      Sie trug irgendeine Jacke, eine ebensolche Hose und Schuhe und das reichte ihr, um großartig auszusehen. Jean Paul sah sie an und fühlte sich gut. Wenn das Schicksal ihn mit einem solchen Anblick belohnte, konnte er in diesem und auch in den früheren Leben nicht alles falsch gemacht haben.
      Allerdings erinnerte sich vage, dass er das schon eher gedacht hatte. Öfter. Gewöhnlich wurde der Zauber dann dadurch zerstört und restlos vergessen gemacht, dass die jeweilige Frau den Mund aufmachte. Darum wünschte er sich seit immer, einer Frau zu begegnen, mit der er sich auch ohne Worte verstand. Eine Frau, für die er weder sich selbst noch sonst etwas erklären brauchte. Eine Frau, die wusste, dass er ihr überall hin folgte, wenn sie nur irgendwo hinter oder neben sich genug Platz ließ.
      Kim sah ihn an, wartete noch einen Moment und ging dann wortlos die Treppe hinunter.
      Er ging ihr nach.
      Sie sah sich nicht um.
      Perfekt.

      "Ich schlage eine kleine Änderung vor", sagte er unterwegs zu ihr.
      Inzwischen hatte er sich einigermaßen an ihr sattgesehen und konnte sich wieder zutrauen, spontan ganze Sätze zu sagen, die er nicht schon lange vorher eigens für solche Situationen auswendig gelernt hatte.
      Vielleicht sollte ich nicht so hämisch über meinen Protagonisten und seine zeitweilig eingeschränkte Eloquenz lästern, zumal in meiner Person nur über einen äußerst mittelmäßigen Erzähler verfügt, der selbst kaum einen Satz ohne Hilfsverben hinkriegt und wegen seiner vielen, vielen Wortwiederholungen bei einem literarischen Verlag allenfalls die Klappentexte für die Bücher der richtigen Schriftsteller schreiben dürfte und eine solche Aufgabe bei angemessener Bezahlung auch jederzeit ohne falschen Stolz annähme.
      Nach diesem kleinen Aussetzer meinerseits nun weiter im Text.
      "Ja?", sagte sie.
      Der Klang dieses einen Wortes reichte ihm, um Aphrodite zu widerlegen. Auch schlanke Frauen konnten so intensiv wie größere Kaliber klingen.Wenn eine Frau große Gefühle haben konnte, dann konnte sie auch großartig klingen. Es gab massive Frauen, die sich auf ihre äußere Größe verließen und darum ihn jeder Lage frei atmeten und es gab Frauen, die einfach durch innere Größe mutig waren und darum nie, nie die Luft anhalten oder flacher atmen mussten, um irgendwelche Gefühle klein zu halten. Kim gehörte zu dieser seltenen Gattung. Vielleicht waren ihre Gefühle und speziell ihr Mut waren manchmal auch zu groß für die kleine Welt und die kleinkarierten Autoritätspersonen um sie herum.
      "Gehen wir doch erst zur Bushaltestelle", sagte er. "Dann wissen wir, wieviel Zeit wir zum Kaffeetrinken haben und dann kann ich mich vielleicht gleich revanchieren und dir ebenfalls einen spendieren."
      "Ja", sagte sie.
      Sie gingen zur Bushaltestelle und dann zur Tankstelle. Dort nahmen sie an einem Stehtisch die für diese Tageszeit nötige Dosis Kaffee ein.
      "Ich muss dir etwas sagen", stellte er fest.
      "Du bist in mich verliebt."
      Und du bist cool.
      "Ich habe ein Auto."
      "Und du bist in mich verliebt."
      "Merkt man das?", fragte er unsicher.
      "Du bist witzig", sagte sie.
      "Das eine bringt das andere oft mit sich."
      "Okay, aber ich will dich nicht weiter ausnutzen. Es reicht, dass du mich zum Lachen bringst."
      "Ich fahre dich."
      Sie sah auf ihre Armbanduhr.
      "Du kannst mich wieder zur Bushaltstelle bringen", sagte sie.
      "Musst du jetzt wirklich schon gehen?", fragte er. "Kann ich dich überhaupt nicht aufhalten?"
      "Du guckst, als wenn du schlecht geträumt hast", sagte sie besorgt und sah ihn weiter an, während sie ihren Kaffee trank.
      Hellsehen konnte sie auch noch.
      "Als ich aufwachte, träumte ich gerade, dass ich mitten auf der Straße stehe und von einem Bus überfahren werde. Jetzt gibt das plötzlich einen Sinn."
      Sie stellte die Kaffeetasse ab.
      "Ich glaube, ich bin zu viel für dich."
      "Der Mensch wächst an seinen Aufgaben", sagte er.
      "Trink noch einen Kaffee", sagte sie. "Ich gebe ihn dir aus. Ich sage der Bedienung Bescheid. Und dann gehe ich allein zum Bus."
      Er öffnete den Mund.
      Sie schüttelte den Kopf.
      Er schüttete sich Kaffee dorthin, wo es zog.
      Als er ihr nachsah, fragte er sich, ob er vieleicht einen Teil ihres Dialogs nur getagträumt hatte.
      Vielleicht hatte er aber auch komplett alles geträumt.
      Oder umgekehrt war ein Traum wahr geworden.
      Schließlich verschwand sie aus seinem Blickfeld. Nun sah er nach oben.
      Charles Bukowski war tot und jetzt im Himmel. Da oben.
      Seitdem passierten Jean Paul die tollsten Geschichten, besonders mit Frauen. Vielleicht der Dank dafür, dass er imer so ein treuer Leser gewesen war!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul stolpert weiter durchs Leben. Wie gehabt. Was sonst.
      Avatar
      schrieb am 08.11.06 22:20:09
      Beitrag Nr. 187 ()
      72.

      "Wann haben sie den Informatik studiert?", fragte der Dozent.
      "Nie", sagte Jean Paul schulterzuckend und guckte den zehn Jahre älteren Mann treudoof an
      "Aber sie wollen ein Netzwerk installieren."
      "Was ich will, ist ein Job. Darum will ich den behalten, den ich habe und daraus etwas machen. Vielleicht wird es dann ein Vollzeitjob oder vielleicht kann ich da mir da wenigstens so viel Anerkennung verschaffen, dass ich anschließend anderswo in Vollzeit eingestellt werde."
      "Darum wollen sie ein Netzwerk installieren."
      "Ich habe keine Wahl. Mein Chef verlangt das einfach."
      Der Dozent atmete tief ein und lange aus.
      "Und wenn der verlangen würde, dass sie von einem Hochhaus springen, was würden sie dann machen?"
      "Mir einen Fallschirm besorgen."
      "Was haben sie denn als Server?"
      "Dazu konnte ich noch keine Aussage kriegen. Bis jetzt habe ich nur ein paar Notebooks und jede Menge Kabel. Und der Chef hat irgendwo noch eine irgendwann bei Ebay ersteigerte HANS-Karte, zu der man sich im Internet eine Bedienungsanleitung runterladen kann."
      "Diese sogenannte Bedienungsanleitung hat über 500 Seiten", unterbrach ihn der Dozent. "Aber auch wenn sie die vorher alle durchlesen, müssen sie anschließend immer noch mit zwei oder drei oder Monaten Arbeit rechnen, ehe alles vernünftig läuft. Wenn man ein Netzwerk aufbaut, gibt es nämlich ohne Ausnahme immer diverse Überraschungen,die sich auch durch minutiöses Umsetzen aller Anleitungen nicht vermeiden lassen. Ich habe hier auch zwei Monate gebraucht und wenn sie das für eine lange Zeit halten, können sie gern zu jedem beliebigen Fachmann gehen, der solche Installationen anbietet und dort fragen, wie lange die für solche Aufgaben brauchen."
      "Aber sie können mir doch helfen. Das ist schließlich auch für sie gut. Umso mehr Umschüler nach der Ausbildung bei ihnen da draußen eine feste Arbeitsstelle finden, desto besser sehen sie vor dem Arbeitsamt und anderen Umschulungsträgern aus."
      "Ich kann aber keine Ferndiagnose geben."
      "Und was mache ich jetzt?"
      "Sie können es gerne versuchen. Sobald sie etwas erreichen und konkrete Fragen haben, helfe ich ihnen gern. Aber jetzt muss ich in den Unterricht. Ich wünsche ihnen sehr, sehr viel Glück."
      Dann gab er Jean Paul die Hand und ging zum Unterrichtsraum.
      Jean Paul fuhr zur Arbeit und war fünf Minuten zu spät. Der Chef war diesmal pünktlich gewesen und schon wieder zurück in seinem privaten Büro. Jean Paul wurde von einer Frau hereingelasssen, die er nun zum erten Mal sah. Eine sehr gepflegte, sehr intelligent und vernünftig wirkende Frau, die soeben aus dem Urlaub zurückgekehrt war und sich nun der Aufgabe widmete, die unterschidlichen Oberflächen der Datenbank auf den unterschiedlichen Computern aneinander anzupassen.
      "Wie haben sie es hingekriegt, die Oberflächen so zu verändern?", fragte er.
      "Das weiß ich auch nicht mehr genau", sagte sie und rückte ihre Brille zurecht, "denn ich kannte das Programm vorher auch nicht und hatte auch keine Anleitung und wurde immer wieder aufgefordert, zu experimentieren, was ich dann auch tat. Am Ende sah es dann so wie jetzt aus."
      Er setzte sich an seinen Schreibtisch.
      "Was ist mit dem Installieren des Netzwerks?", frate er. "Das haben sie doch gelernt, oder? Zumindest eher als ich!"
      "Das ist hier nur ein Halbtagsjob und ich weiß auch nicht, wie lange ich hier bleiben will. Ein Netzwerk zu installieren, ist eine Arbeit für ganze Tage. Selbst dann, wenn der Auftraggeber weiß, was er eigentlich will."
      Jean Paul ließ sie von nun an basteln und telefonierte. Dabei hatte er immer wieder nette Gespräche mit Damen, die den Aufzeichnungen der Datenbank zufolge bei Anrufen seiner Kolleginnen ausfallend geworden waren oder gleich aufgelegt hatten. Der Chef war der Meinung, dass Frauen grundsätzlich besser und erfolgreicher als Männer telefonierten, von ihm selbst natürlich abgesehen, doch nach den hier gespeicherten Daten trafen seine weiblichen Mitarbeiter hauptsächlich auf andere Frauen und erreichten da mit einer verführerischen Frauenstimme überhaupt nichts.
      Aber ein Chef hatte natürlich immer Recht.
      Darum rief Jean Paul in der Mittagspause bei einer Firma an, die Telefonisten in Vollzeit suchte. Er war am Vorabend noch lange im Internet gewesen war und hatte sich diese Nummer bei einer Online-Stellenbörse abgeschrieben.
      "Ja, wir suchen noch Leute", sagte eine sehr nett und sehr ruhig klingende Frauenstimme. "Haben sie schon einmal mit einem Computer gearbeitet?"
      "Ich kenne mich gut mit Word und Excel aus", antwortete er wahrheitsgemäß. "Ich kann nur kein Netzwerk installieren und experimentiere ungern."
      "Sie brauchen hier nicht zu experimentieren und oder zu installieren, hier ist alles schon fertig und arbeitsbereit. Sie brauchen wirklich nur zu telefonieren und ich habe keine Zweifel dass sie das können."
      "Danke", sagte er.
      "Kein Ursache. Sie haben schließlich eine angenehme Telefonstimme."
      "Mein jetziger Chef ist da ganz anderer Meinung."
      "Dann stellen sie sich hier vor", sagte sie. "Am besten gleich morgen."
      Als er zurück zur Arbeit ging, weil auf seinem Schreibtisch so viele Adresslisten lagen, traf er den Chef an, der schon wieder neue Listen hatte, die auch wieder als erstes bearbeitet werden sollten. Er fragte, ob Jean Paul schon das Programm geschrieben hatte, das Anruflisten aus Telefon-CDs herausfilterte.
      "Ich bin kein Programmierer", sagte Jean Paul.
      "Das kann doch jede Sekretärin!", rief der Chef verächtlich.
      "Ich dachte, sie halten nichts von Sekretärinnen."
      "Genau."
      Die Kollegin zog sich eine Jacke an, schulterte ihre Handtasche und verabschiedete sich.
      "Wann soll ich wiederkommen?", fragte sie.
      "Das weiß ich noch nicht", sagte der Chef.
      "Morgen?"
      "Das weiß ich noch nicht."
      "Übermorgen?"
      "Kommen sie doch einfach", sagte er.
      "Wer kommt denn heute nachmittag, um mir beim Abtelefonieren der ganzen Listen zu helfen?", unterbrach Jean Paul.
      "Keine Ahnung", antwortete der Chef.
      "Aber es kommt doch noch jemand?", erkundigte sich Jean Paul.
      "Weiß ich nicht. Was haben die anderen denn gesagt? Sie müssen das doch wissen! Sie arbeiten doch mit denen hier zusammen!"
      Die Kollegin verabschiedete sich und der Chef nutzte die Gelegenheit, sich auch gleich zu verabschieden und ebenfalls zu verschwinden.
      Jean Paul saß allein im Büro.
      Er nahm den Hörer ab und wählte die oberste Nummer auf der obersten Liste des am weitesten vorn liegenden Stapels.
      "Guten Tag", sagte er dann.
      "Schön, dass ich sie erreiche!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Showdown im Büro!
      Avatar
      schrieb am 09.11.06 18:31:05
      Beitrag Nr. 188 ()
      :cool:

      Heute gibt es leider kein neues Kapitel. Aber vielleicht mal wieder ein paar Kommentare?!?

      :confused:
      Avatar
      schrieb am 09.11.06 21:24:42
      Beitrag Nr. 189 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.244.732 von Wolfsbane am 09.11.06 18:31:05dann muss ich wohl doch mal mein zweites Posting ablassen:

      Mach weiter so, warte schon gespannt auf die Fortsetzung!
      Avatar
      schrieb am 10.11.06 03:02:44
      Beitrag Nr. 190 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.229.720 von Wolfsbane am 08.11.06 22:20:09Moin Wolfsbane,

      ich lese hier weiterhin aufmerksam mit.
      Wirklich bisher alle Teile sehr lesenswert. Freue mich über jeden neuen Teil. Wie schonmal weiter unten geschrieben, gefallen mir die Dialoge der Personen ungemein gut. Einfach köstlich wenn sich z.B aus den aktuellen Teilen JP mit seinem Chef unterhält, oder die Netzwerkgeschichte mit dem Dozenten fande ich auch sehr gelungen.
      Manchmal vermisse ich ein bisschen, dass Handlungsstränge weitergeführt werden. Wie z.B Lolas Problem mit ihrem Mann. Was ist daraus geworden?
      Unser guter JP scheint sich zu einem richtigen Womanizer zu entwickeln. Andauernd lernt er neue heisse Geräte kennen ! Da ist man ja schon ein bisschen eifersüchtig ;)
      Avatar
      schrieb am 11.11.06 00:51:29
      Beitrag Nr. 191 ()
      73.

      Am Abend telefonierte Jean Paul mit einer neten und hübschen Polin aus Berlin, die er bei einer Sprachprüfung kennengelernt hatte. Sie war gerade aus Moskau zurück. Dort hatte sie vier Wochen lang eine kleine deutsche Firma bei einer Messe vertreten und dies zwei Wochen lang sogar völlig allein. Das klang zunächst super, aber sie wusste auch zu berichten, dass es nur ein vom Arbeitsamt genehmigtes "Praktikum" gewesen war. Anschließend hatte man sie nicht wie versprochen übernommen, sondern wie üblich mit ein paar Euro abgespeist und wieder weggeschickt. Jetzt zweifelt sie daran, ob es überhaupt etwas wert war, dass sie Russisch und Englisch konnte.
      Jean Paul versuchte sie zu trösten.
      Am nächsten Morgen ging er zur Arbeit und traf dort die Informatikkauffrau. Sie hatte früher angefangen, um jetzt endlich die Angleichung der Oberflächen der Datenbanken abzuschließen. Wenig später kam der Chef mit Adressen auf einer Zip-Diskette herein. Diese Daten sollten wie üblich in EXCEL konvertiert und über das einzige Diskettenlaufwerk, das nacheinander an alle Notebooks angeschlossen wurde, auf die Datenbanken übertragen werden. Als Jean Paul das machen wollte, stellte er fest, dass kein WORD mehr vorhanden war. Stattdessen gab es Open Office, was zwar für die allermeisten normalen Aufgaben vergleichbar gute Dienste leistete, aber anscheinend im Schreibprogramm nicht das Format anbot, das von EXCEL importiert werden konnte. Er versuchte einiges, doch alles ohne Erfolg. Währenddessen wirkte auch die Kollegin zunehmend angespannter.
      Schließlich kam der Chef, um nach dem Rechten zu sehen.
      "Warum haben sie Microsoft Office durch Open Office ersetzt?", fragte Jean Paul.
      "Ich wollte einfach einmal etwas anderes probieren", kam die Antwort.
      "Damit kann ich aber nicht so arbeiten, wie ich es mit dem anderen Programmpaket gewohnt war."
      "Machen sie es wie ich. Probieren sie einfach einmal etwas anderes."
      "Probieren ist ja schön und gut", sagte Jean Paul. "Ich verstehe nur nicht, wie ich hier mit dem Abarbeiten der Adressen und allem anderen fertig werden soll, wenn ich hier Experimente machen soll, die womöglich ewig dauern, weil das, was ich herausfinden will, vielleicht überhaupt nicht möglich ist."
      "Sie machen das schon", sagte der Chef. "Genau wie das Netzwerk."
      "Ich fürchte, ich kann das nicht", sagte Jean Paul. "Ich habe auch nie behauptet, dass ich programmieren oder Netzwerke installieren kann." Er reichte ihm ein Buch, das er sich zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfung zum Industriekaufmann gekauft hatte.
      "Hier können sie nachschlagen, was ich für meine Prüfung können musste", erklärte Jean Paul. "Viel über Buchführung und Controlling und Kennzahlen und dergleichen, aber von Computern ist da nur am Rande die Rede. Das einzige, was wir diesbezüglich vorweisen mussten, war ein grundlegendes Verständnis der Arbeitsweise eines Computers und Kenntnisse darüber, wie man mit einem Office-Programm Serienbriefe und so produziert."
      "Die Frage ist nicht, ob sie das können oder wollen", sagte der Chef schließlich mit unverhohlener Arroganz. "Sondern, ob sie überhaupt eine andere Wahl haben!"
      "Gut", sagte Jean Paul, "wenn sie sonst nichts interessiert... Das kann ich beantworten. Ja, ich habe."
      Er zog seine Jacke an.
      "Ich kündige", sagte er. "Ich wünsche Ihnen noch viel, viel Glück."
      Er ging hinaus und drehte sich nicht mehr um.
      Auf ihn wartete eine neue Chefin.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul macht ab demnächst Termine für Vertreter!
      Avatar
      schrieb am 11.11.06 16:16:29
      Beitrag Nr. 192 ()
      Ich sehs schon kommen:
      Irgendwann landet JP noch bei Vorwerk.
      Oder er steht mit nem Wachtturm in der Hand in meiner Lieblingsfußgängerzone :laugh:
      Weiter so! und so schnell wie möglich! ;)
      Avatar
      schrieb am 13.11.06 11:12:56
      Beitrag Nr. 193 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.278.031 von Wolfsbane am 11.11.06 00:51:29Na endlich hat er gekündigt.

      Ich hätte diesen "Chef" schon lang auf den Mond geschossen.
      Avatar
      schrieb am 13.11.06 20:27:29
      Beitrag Nr. 194 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.356.040 von pappenheimer2010 am 13.11.06 11:12:56Na hoffentlich hat Wolfsbane hier nicht gekündigt (hab noch nicht geschaut).
      Schau Dir den vergangenen Zeitraum an!

      Wolfsbane mach hin! Als dealer für die wo-Gemeinde hast Du gewisse Pflichten! :D
      Avatar
      schrieb am 13.11.06 21:09:54
      Beitrag Nr. 195 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.367.436 von unlocker am 13.11.06 20:27:29Na na, nicht übertreiben.

      Wir sollten froh und dankbar sein, dass er schreibt und ihn nicht stressen.
      Avatar
      schrieb am 13.11.06 21:54:46
      Beitrag Nr. 196 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.293.242 von unlocker am 11.11.06 16:16:29@ unlocker

      Irgendwann landet JP noch bei Vorwerk.


      :eek: Knapp dran!! :cool:
      Avatar
      schrieb am 13.11.06 22:13:20
      Beitrag Nr. 197 ()
      74.

      Die neue Chefin war weder ein "Vorzeige-Püppchen" wie dem Spott von Aphrodite zufolge seine erste Callcenter-Chefin, noch so ein Brocken wie die Zitierte. Er schätzte sie auf gepflegte 80 Kilo.
      "Was in der Anzeige steht, ist leider im Moment noch nicht wieder ganz aktuell", sagte sie, als sie sich am Schreibtisch gegenüber saßen. "Ich habe Leute auf Vollzeit eingestellt und dann leider merken müssen, dass die nur danach geguckt haben, wie sie den Tag hier möglichst stressfrei herum bekommen. Darum teste ich die Leute jetzt lieber erst halbtags und wenn das klappt und gleichbleibende Leistung gezeigt wird, übernehme ich sie in Vollzeit."
      "Ich verstehe", sagte Jean Paul.
      "Haben sie schon einmal als Telefon-Agent gearbeitet?"
      "Kurz, aber intensiv. Genauso wie sie es wollen."
      "Egal, hier kriegt jeder eine Chance", sagte sie.
      "Finde ich sehr gerecht."
      "Vor allem brauchen sie hier nicht zu verkaufen, sondern machen nur Termine."
      "Ich bin der Macher und Terminator überhaupt."
      "Warum hören sie nicht einmal den Kollegen zu?", fragte sie.
      "Darf ich?"
      "Sie sind herzlich eingeladen."
      "Von ihnen oder von den Kollegen, denen ich zuhören soll?"
      "Wenn ich das sage, von uns allen."
      Sie erhob sich und begleitete ihn zu einem der hinteren Räume. Im Vorübergehen zeigte sie ihm die Küche.
      "Eine Tasse müssen sie sich selber mitbringen."
      "Das kann ich mir merken", sagte er.
      Schließlich kamen sie zu einem Raum, in dem drei junge Frauen saßen. Die eine hörten nur zu und die beiden anderen waren abwechselnd am Telefonieren und am Schimpfen. Die Gegenwart der Chefin hinderte sie weder am einen, noch am anderen.
      "Ich lasse sie hier mit den Damen allein", sagte die Chefin.
      Er sah ihr nach.
      "Hier werden unerfüllbare Forderungen gestellt", sagte die blassere der beiden telefonierenden Schönheiten.
      "Aber wirklich", schimpfte die gebräunte Kollegin. "Ich brauche gerade das letzte bischen gute Laune auf, das ich mir heute durch Einkaufen verschafft habe."
      Jean Pauls Auge fiel auf die beiden Plastiktüten neben ihrem Tisch. Eine war in Rosa und eine durchsichtig.
      Beide waren voll mit schwarzen Push-Up-Bhs und anderer Reizwäsche.
      "Das Leben ist wirklich hart", sagte er.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul macht drei Tage lang Termine für Versicherungsvertreter und kriegt dann einen neuen Job, wo er Prominenten Anteile an einem Traumschiff andrehen muss!
      Avatar
      schrieb am 14.11.06 19:09:51
      Beitrag Nr. 198 ()
      75.

      Die blassere der beiden Telefonistinnen schaute verdutzt auf ihren Hörer.
      "Klang ich gerade irgendwie unfreundlich?", fragte sie in die Runde.
      Allgemeines Kopfschütteln gab ihr die einzige Antwort.
      "Da war gerade eine andere Frau dran, die sich wirklich total unnatürlich anhörte, widerlich süß. Als ich mich meldete, legte sie sofort auf."
      "Dann hast du zu gut geklungen", sagte Jean Paul. "Das fällt wohl in die Rubrik Eifersucht."
      "Mir passiert das häufiger", sagte die gebräunte Telefonistin. "Bei mir sind alle Frauen Zicken."
      "Bei meinem letzten Arbeitgeber wurde jede Kontaktadresse mindestens fünfmal angerufen", erzählte Jean Paul. "Darum musste ich oft bei Leuten anklingeln, die schon von meinen Kolleginnen angerufen worden waren. Bei solchen Gelegenheiten las ich in der Datenbank immer wieder von solchen Vorkommnissen wie eben. Aber wenn ich da mit meiner kratzigen, unmelodischen Altmännerstimme vorsprach, kriegte ich von den Damen am anderen Ende so viele Informationen wie ich wollte."
      Der Jean Paul war schon ein Angeber. Jetzt hielt er auch noch die Mädels von der Arbeit ab und machte die Neue bange, die neben ihm saß. Aus der Sicht eines Autors ist Jean Paul ein guter Kerl, weil er jede Menge Stoff liefert, aber andererseits kann man auch die Chefs verstehen, die ihm im richtigen Leben mit Vorbehalt begegneten.
      "Gestern hat meine Mutter mit mir geschimpft", sagte die Blasse. "Ich habe zuhause mit meiner Telefonstimme geredet und sie wies mich gleich darauf hin, dass bei uns zu Hause gefälligst normal geredet wird."
      "Ja, wenn man lange telefoniert, rutscht die Stimme immer höher", sagte die Gebräunte.
      Die beiden schafften es tatsächlich, nebenbei noch zu telefonieren. Das lag daran, dass sie meistens niemanden erreichten. Sie tippten die Telefonnummern ein, warteten auf die Verbindung und ließen es dann eine Weile klingeln und legten wieder auf. Wenn sie untereinander redeten, ließen sie es länger klingeln. Wenn doch jemand ans Telefon ging, wurden sie oft sofort abgewiesen oder brüsk angemacht und in beiden Fällen fand das Gespräch ein rasches Ende.
      Beiden hörte man die Frustration deutlich an, wenn sie am Telefon ihre Sprüche abließen. Eigentlich hatten sie beide sehr schöne Stimmen, aber da sie auch ansonsten sehr attraktiv waren, kamen sie mit Abfuhren schlecht klar. Frauen, die wie Aphrodite abgesehen von ihrer Stimme überhaupt nicht attraktiv wirkten, waren Niederlagen gewohnt und waren gewissermaßen dagegen gepanzert. Damit eine Frau diesen Job dauerhaft machen und immmer gleichbleibend freundlich tönen konnte, musste sie weitestgehend schmerzunempfindlich sein.Schöne, schlanke und erfolgsgewohnte Frauen, die es von klein auf an gewohnt waren, Angebote zu bekommen und nur wählen zu müssen, anstatt Angebote zu machen und aufzulaufen, reagierten da viel dünnhäutiger und anfälliger.
      "Woher habt ihr eigentlich eure Adressen?", fragte Jean Paul.
      "Aus dem Telefonbuch", antwortete die Blasse. "Obwohl das illegal ist. Wir verkaufen zwar nichts, aber wir bereiten Verkaufsgespräche und Verkäufe vor."
      "Offiziell bieten wir nur Beratung inklusive Versicherungsvergleichen an", sagte die Gebräunte, "aber natürlich will der Vertreter verkaufen und wenn wir am Telefon gesagt bekommen oder irgendwie erkennen, dass die Leute garantiert nichts kaufen und wirklich nur unverbindlich beraten werden wollen, sollen wir keinen Termin machen. Sonst ist der Vertreter, also der Auftraggeber sauer."
      Was für ein Satz. Die beiden Frauen waren wirklich nicht nur modisch, sondern ebenso sprachlich sehr gut drauf. Trotzdem fand Jean Paul es bemerkenswert, dass die viel sachlicher und unglamouröser auftretende, recht stämmige Chefin ihnen eine Chance gegeben hatte. Normalerweise hegten Frauen wie sie oder Aphrodite eine tiefe Abneigung gegen solche "Püppchen" und sahen sie als unfaire Konkurrenz oder Verräterinnen an der Emanzipation oder noch Schlimmeres.
      "Wenn der Vertreter ins Haus kommt", begann die Gebräunte, "und am Tisch sofort hört, dass die Leute auf keinen Fall etwas kaufen und wirklich nr unverbindliche Beratung wünschen, steht der gleich wieder auf und fährt weg und ruft spätestens am nächsten Tag hier an und beschwert sich über die Telefonistin."
      "Trotzdem sollen wir mindestens jede Stunde einen Termin schaffen und das selbst an solchen Tagen, wo alle Leute draußen sind und das schöne Wetter genießen und niemand zu Hause ans Telefon geht", sagte die Blasse.
      Jean Paul hatte das sichere Gefühl, dass diese beiden Frauen schon in wenigen Tagen nicht mehr hier anzutreffen sein würden. Er überlegte, ob er von der einen oder anderen die Telefonnummer kriegen könnte, aber da kam schon die Chefin herein geschlichen.
      "Haben sie genug gehört?", fragte die Chefin.
      "Ja", antwortete Jean Paul.
      "Haben sie alles gesehen?"
      Jean Paul biss sich auf die Lippen, um nicht "Nein!" zu rufen. Erst wenn die Chefin die Heizung voll aufdrehte und die Türen und Fenster schloss, würde er alles zu sehen bekommen, was ihn interessierte. Oder wenn sie sofortigen Feierabend und eine Betriebsfeier mit Strip-Poker anordnete. Seine männliche Intuition riet ihm stattdessen dazu, eine positive Antwort zu geben.
      "Ja", sagte die Neue an seiner Stelle und erhob sich.
      Jean Paul sah ihr nach.
      Hübscher Gürtel, den sie da trug. Aber wenn der nicht so hübsch gewesen wäre, hätte sie hn natürlich auch nicht angelegt, denn die Stretchhosen konnte so oder so nicht rutschen.
      "Ich auch", sagte Jean Paul rasch.
      "Ich verhandle mit weiteren Auftraggebern und werde dann das Personal erheblich aufstocken müssen", sagte die Chefin. "Wir werden dann in jedem Raum doppelt so viele Leute telefonieren lassen. Und jetzt kommen sie bitte mit ins Büro."
      Als nächstes gab Jean Paul der Chefin den Namen seiner Krankenkasse und die anderen notwendigen Informationen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul telefoniert und telefoniert. Aber irgendwie hat jeder, den er anruft, schon eine Versicherung und kennt auch schon einen Versicherungsvertreter!
      Avatar
      schrieb am 15.11.06 21:58:12
      Beitrag Nr. 199 ()
      76.

      Jean Paul konnte nicht sofort mit dem Arbeiten bei der neuen Firma anfangen. Also setzte er sich zu Hause wieder vor den Computer und chattete. Dabei lernte er eine Schauspielerin kenne. Eine Amateurin, aber eine echte Schauspielerin. Schon wieder. Zuletzt war ihm das nach dem Tod seines Vaters passiert und sie hatte es ihm übel genommen, dass er nicht direkt nach der Beerdigung zur Uraufführung ihrer Komödie gekommen war, um sie bei ihrem ersten Realtreffen aus dem Publikum zu bewundern. Diese hier hatte sogar eine eigene Internetseite mit lauter unterbelichteten Fotos, auf denen man immer nur ihr Gesicht und nie ihre Figur erkennen konnte. Doch vielleicht waren dicke Frauen für ihn besser. Vielleicht war das der große Fehler seines Lebens gewesen. Die Bessenheit von möglichst deutlichen weiblichen Proportionen und elegant dahin schreitenden Gazellen. Irgendwas musste er jedenfalsl falsch gemacht haben und in Anbetraht seiner Situation musste es etwas ungeheur grundlegendes gewesen sein, was an die Grundfesten seiner Persönlicheit rührte. Er chattete und chattete und irgendwann wurde er müde. Dann trainierte er noch ein wenig mit einem Sprachtrainingsprogramm und schließlich legte er sich hin. Kaum war er eingeschlafen, klingelte es an seiner Tür.
      Er ignorierte das.
      Es klingelte wieder.
      Er zog sich die Decke über die Ohren.
      Und jetzt klingelte es Sturm.
      Er sprang aus dem Bett und sprang zur Tür. Anstatt den elektrischen Türöffner für den Hauseingang zu betätigen, riß er die Tür auf, um die Treppe herunter zu rennen und den frechen Lümmel, der ihn ärgern wollte, auf frischer Tat zu ertappen und zu packen und zu verprügeln.
      "Du musst mir helfen", sagte ein zartes Stimmchen.
      Und da stand seine junge, extrem langhaarige, zarte Nachbarin vor ihm.
      Er überlegte.
      Was hatte er eigentlich an?
      Was sollte er sagen?
      "Watt?"
      Sie lief an ihm vorbei in seine Wohnung und setzte sich an seinen Schreibtisch.
      "Du musst mir helfen."
      Er nickte.
      Was auch immer.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Verwirrung nimmt zu.
      Avatar
      schrieb am 16.11.06 20:50:41
      Beitrag Nr. 200 ()
      77.

      Jean Paul wurde nicht wirklich aus der Geschichte seiner Nachbarin schlau. Sie musste auf jeden Fall mitten in der Nacht irgendwo hin. Ein Freund von ihr hatte einen Unfall gehabt oder so. Sie gab ihm Spritgeld und er fuhr sie in der Hoffnung, dass sich die Sache unterwegs irgendwie aufhellen würde. Am Ende der Fahrt wurde er aber nicht die Ungewissheit über den Sinn der Aktion, sondern nur sein Benzingeld wieder los und das übrigens gleich doppelt, denn sie pumpte ihn noch rasch an, ehe sie irgendwo in der Dunkelheit verschwand. Er fuhr wieder heim, tankte unterwegs und legte sich endlich wieder schlafen. Mitten in der Nacht kam ihm der Gedanke, dass die Schuspielerin ihm vielleicht nach dem gemeinsamen V#Chat noch eine Mail geschickt hatte. Er stand auf und guckte nach. Richtig. Sie lud ihn fürs Wochenende zu sich nach Hause ein. Warum nicht, immerhin war sie im richtigen Alter und wenn eine Frau sich auf eine Weise benahm, die man leicht durchschauen konnte, empfand er das nur als angenehm, insbesondere nach der immer noch frischen Erinnerung an den rätselhaften Ausflug mit der Nachbarin. Vielleicht konnte die Schauspielerin ihm auch ein paar Erfolgstipps für seine Tätigkeit als Telefonagent geben.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul verscheucht eine Frau aus ihrem eigenen Bett!
      Avatar
      schrieb am 19.11.06 13:38:30
      Beitrag Nr. 201 ()
      78.

      Aus irgendeinem Grund hatte es die kleine Schauspielerin unglaublich eilig, ihn zu treffen. Er schickte ihr ein Foto von sich um sie zu bremsen, aber zu seiner größten Überraschung bewirkte es das Gegenteil und sie drängte jetzt noch mehr darauf, dass er sie besuchte. Es widerstrebte ihm, mit seinem alten Auto eine so lange Fahrt in unbekannte Gefilde zu machen, nur um eine Frau zu treffen, die eigentlich in keiner Weise sein Type, sondern in so ziemlich jeder Hinsicht das exakte Gegenteil davon war. Aber sie schien es besser zu wissen und schließlich glaubte er ihr und fuhr zu ihr. Sie holte ihn ab, als er wie von ihr vorgeschlagen auf dem großen Parkplatz vor einem Kaufhaus wartete. Dann zeigte sie ihm den Weg und er folgte ihr mit seinem Wagen zu dem Zweifamilienhaus, in dem die eine Hälfte von ihr und die andere Hälfte von ihren Eltern bewohnt wurde. Die Eltern kriegte er nicht zu sehen. Er hörte auch nichts von ihnen, obwohl seine Gastgeberin kurz fort war, um mit ihnen zu sprechen. Entgegen ihren Abmachungen verbrachten sie den Abend vor dem Fernseher. Das war eigentlich sein Alptraum. Jeden Abend mit irgendwem vor dem Glotzkasten hocken und dabei schließlich zu entschlafen und erst als tot erkannt zu werden, wenn die Frau merkte, dass die große Chipstüte zwanzig Minuten oder länger überlebt hatte. Zwischendurch gab es ein feines Mahl, von dem er doppelt so viel wie sie verdrückte. Dabei entdeckte er auf der Anrichte ein Buch, neben dem Figuren aus Holz lagen. "Liebeszauber und wie man damit Erfolg hat" lautete der Titel.
      "Glaubst du an sowas?", fragte er mitleidig.
      Sie lachte ihn an.
      "Nee, oder?"
      Sie lachte ihn aus.
      "Was?"
      "Eine Freundin hat das für mich gemacht!", sagte sie in stolzem Ton.
      "Wofür?"
      Am Ende des Abendprogrammes landeten sie im Bett und kamen sich näher. Jean Paul bekam die Frau zum ersten Mal nackt zu sehen. Aus irgendeinem Grund hatte er dabei eine Erleuchtung. Ihm ging plötzlich auf, warum eine türkische Freundin ihn immer "Öschek" genannt hatte, was angeblich nur die türkische Version von "Jean Paul" war. Aber wahrscheinlich wohl doch nicht.
      Danach wollte er schlafen.
      Sie auch.
      Aber der zweite Fernseher, der in ihrem Schlafzimmer stand, kam nicht zur Ruhe.
      "Ich kann so nicht schlafen", sagte er.
      "Und ich nicht im Dunkeln und auch überhaupt nicht ohne Fernseher!", sagte sie.
      Sie war 35 Jahre alt und konnte nicht im Dunkeln schlafen.
      "Quatsch", sagte er.
      "Okay."
      Sie stand auf, machte den Fernseher aus und legte sich wieder hin. Nachdem er zehn Minuten mit geschlossenen Augen neben ihr gelegen hatte, schlich sie raus. Er wartete auch zehn Minuten und öffnete die Tür des Schlafzimmers.
      Sie lag auf einem dicken Lammfell und schlummerte selig im Schein des Fernseher.
      Es lief ein uralter, schwarzweißer Zombiefilm.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul arbeitet endlich wieder und wird schon nach drei Tagen von einer anderen Firma abgeworben.
      Avatar
      schrieb am 22.11.06 12:00:09
      Beitrag Nr. 202 ()
      79.

      In der nächsten Nacht schlief Jean Paul wieder ganz allein und diesmal schlief er auf diese Weise besser. Irgendwann mitten in der Nacht träumte er von der kleinen, pummeligen Schauspielerin und dem Teddybär, den sie seit ihrer Kindheit besaß. Sein Kopf hing nur noch an einigen Fäden und ließ sich daher vor und zurück klappen, wie sie ihm vorgeführt und mit weisem Gesichtsausdruck und seelenvollem Blick erklärt hatte: "Kaputtgeliebt!" In seinem Traum drohte es ihm ähnlich zu ergehen.
      Er wachte auf, setzte sich an seinen Computer und spielte so lange, bis er vor Langeweile wieder ganz müde wurde und sich nur noch ins Bett fallen lassen musste. Am nächsten Morgen verschlief er. Er benutzte einen Radiowecker, der auf einen Sender eingestellt war, der nur deutsche Schlager spielte, was ihn normalerweise immer ohne Verzögerung aus dem Bett springen ließ, aber diesmal hatte er weiter geschlafen und diese Form des Grauen als verhältnismäßig erträglich empfunden.
      Er versuchte an etwas Positives zu denken und erinnerte sich an sein Schachmatch. Erschrocken schaute er auf den Monitor seines Computers. Er war nicht ausgeschaltet. Rasch tippte er auf die Tastatur und zu seiner Erleichterung erschien das Schachprogramm. Wirklich, er stand besser. Gegen das Schachprogramm. Unglaublich. Er speicherte die Partie ab und schaltete den Computer aus.
      Das war gerade noch einmal gut gegangen!
      Nun sprang er unter die Dusche.
      Zehn Minuten später saß er in seinem Auto und weitere dreißig Minuten später befand er sich in einem Parkhaus, wo er ungefähr in der hundertsten Etage schließlich einen freien Parkpatz fand. Der Weg zurück auf den Erdboden und dann der Weg zum Arbeitsplatz in der vierten Etage des Nebengebäudes kam ihm ungefähr ebenso lang wie die Fahrt mit dem Auto vor.
      Seine Chefin begrüßte ihn mit der Nachricht, dass seine Chancen auf einen Arbeitsplatz in Vollzeit gestiegen waren, weil sie nun mit einem potentiellen Geschäftspartner darüber verhandelte, demnächst am Telefon Lotto oder Lotterielose zu verkaufen.
      "Das haben sie doch schon einmal gemacht, oder?"
      "Ja, aber ich war nicht gut darin."
      "Umso mehr werden sie sich freuen, dass sie jetzt einen zweite Chance kriegen."
      "Das ist sehr liebenswürdig von ihnen", sagte Jean Paul verhältnismäßig gefasst.
      Er musste daran denken, wie die Schauspielerin am Wochenende demonstrativ ihren fast kopflosen Teddy an ihre Brust gedrückt hatte.
      "Und nächstesmal seien sie bitte eine Viertelstunde vor Arbeitsbeginn hier", sagte sie.
      Er gng zu seinem Arbeitsplatz und schaltete den Computer ein. Der Verkehrslärm war selbst bei geschlossenem Fenster störend laut. Wenn er nach draußen guckte, sah er Balkone, auf denen Wäsche aufgehängt war. Kein Anblick, der ihn sonderlich motivierte. Wenn er wieder Lotto oder Lotterielose verkaufen sollte, wollte er dabei wenigstens wieder die gleiche Aussicht haben. Aber hier passierten nicht pausenlos hübsche Frauen. Stattdessen flog höchstens einmal eine Taube vorbei.
      Endlich waren alle Programme hochgefahren.
      "Alles klar?", fragte die Chefin.
      Sie liebte es, sich anzuschleichen.
      "Und ob", sagte er.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul landet am Wochenende in einem nicht beruhigten Wasserbett und wird in der nächsten Woche am ersten Arbeitstag im neuen Job gleich zu einer Geschäftsreise mitgenommen.
      Avatar
      schrieb am 23.11.06 00:53:54
      Beitrag Nr. 203 ()
      80.

      Jean Paul öffnete seine EXCEL-Datei und fand dort alle Bewohner einer bestimmten Straße eines bestimmten Ortes.
      Nun rief er einen nach dem anderen an.
      Wenn er einen Frauennamen fand, antwortete fast immer ein Mann, der sich weigerte, seinen Namen zu nennen oder den Namen der Frau oder irgendeinen Teil der Adresse zu nennen. Das war wirklich fast immer der Fall, ganz besonders bei den Frauen, deren Namen man extrem schnell als Frauennamen identifizierte, weil sie von ihrem Vornamen nur den ersten Buchstaben angaben, was immer noch erstaunliche viele Frauen für eine vorzügliche Tarnung hielten, obwohl das natürlich nur Frauen taten und damit nur das Gegenteil erreichen konnten. Jean Paul wusste nicht, dass es Callcenter gab, die Leute anriefen und nach ihren Namen fragten, um heraus zu finden, ob jemand neu in das betreffende Haus eingezogen war und sich nicht als Nutzer des Kabelfernsehens angemeldet hatte. Diesen Leuten wurde dann gedroht, dass man ihnen den Fernsehanschluss abklemmen würde, wenn sie sich nicht umgehend registrieren ließen und bezahlten. Er wusste auch nicht, dass es ebenso Telefon-Agenten gab, die im Auftrag von Kreditunternehmen säumige Zahler anzumahnen und ihnen zum Beispiel zu drohen, ihnen ihr Auto weg zu nehmen. Er wusste aber, dass es Leute gab, die das Sozialamt beschubsten oder weiter vom Ex-Ehepartner bezahlt werden wollten, obwohl sie längst wieder in einer ehe-ähnlichen Gemeinschaft lebten. Trotzdem wunderte er sich jedesmal wieder, wie fies alle diese Kerle klangen, die keine Fragen beantworteten, jedoch unheimlich gern selber jede Menge Fragen stellten und anscheinend zumindest über eines, nämlich über Zeit, im Überfluss verfügten.
      Bei kurzen Telefonnummern waren meistens alte Leute dran, die sich tatsächlich noch mit einem Namen meldeten. Ungefähr ein Drittel der Leute klang dabei ungefähr so, wie er es sich als normal vorgestellt hatte. Ein weiteres Drittel redete so leise, dass es klang, als würden sie ihren Namen in flüstern, während sie mindestens zwanzig Meter der nächsten Freisprechanlage entfernt waren. Egal wie laut er sein Telefon machte oder wie laut er sprach oder brüllte, in den überwiegend meisten dieser Fälle erntete er als Antwort höchstens ein wie gehaucht klingendes und nur mit bereits einschlägiger Erfahrung zu verstehendes "Reden sie lauter". In den übrigen Fällen schrie man ihm den Namen wie eine Drohung entgegen und alle diese Leute hatten einen Doppelnamen, denn sie hängten an ihren ersten Familien ein noch lauter geschrieenes "Hallohallo!" an, ehe sie sofort danach den Hörer auf die Gabel knallten und in Jean Pauls Ohren ein Geräusch erzeugten, das wie ein Crashtest klang.
      Wenn die Leute ihn zu Wort kommen ließen, sagte er seinen Spruch auf und bot ihnen einen Versicherungsvergleich an. Gewöhnlich hörte er dann "Wir haben schon Versicherungen". Wenn er feststellte, dass er genau davon ausgegangen war und dass es genau darum ging und man ihnen wahrscheinlich durch einen Vergleich günstigere Alternativen aufzeigen und beim Sparen helfen konnte, wiederholten sie nur "Wir haben schon Versicherungen". Wenn er es dann noch einmal zu erklären versuchte, vervollständigten sie diese Aussage durch ein vorangestelltes "Sie verstehen mich nicht!" oder "Sie hören mir nicht zu!", ehe sie erneut kundtaten, dass sie schon Versicherungen hatten. Diese und die Leute, die "Für Versicherungen haben wir kein Geld mehr!" sagten, waren völlig beratungs-resistent.
      Trotz allem schaffte er es, Termine zu machen. Meistens mit alleinstehenden oder alleinerziehenden Frauen, die entweder noch eine private Rentenversicherung wollten oder im Verlaufe einer Scheidung alle bestehenden Versicherungen gekündigt hatten und ersetzen wollten.
      Wenn er einen Termin hatte, musste er sofort zum Nebenraum laufen und den Kollegen Bescheid sagen, dass dieser Termin nicht mehr frei war. Nach Möglichkeit sollte er immer die frühest möglichen Termine vergeben und Lücken füllen. Das gelang ihm. Am Ende des Arbeitstages war er stolz, den nächsten Tag gefüllt zu haben und wurde trotzdem nur getadelt. Die Teamleiterin schimpfte, dass diese Termine zu kurzfristig wären und der Vertreter diesen Tag schon abgeschrieben und für seine Familie geplant hätte. Als Jean Paul ärgerlich bemerkte, dass er das gern eher gewusst hätte, erntete er nur einen bösen Blick. Auf seine Frage, ob man ihm diese Termine anrechnete, auch wenn sie platzten, weil die Leute sie nicht verlegen wollten, erntete er nur nur ein Schulterzucken.
      Am zweiten Arbeitstag kriegte er andauernd zu hören, dass am Vortag schon eine Kollegin angerufen hätte. Er lief viermal zur Chefin und berichtete ihr das und kriegte jedesmal die Antwort, es müsse sich um die dortige Agentur gehandelt haben. Nachdem er noch fünfmal diese Auskunft bekommen hatte und sein Arbeitstag bereits fast vorbei war, lief er noch einmal zur Chefin und machte den gleichen Bericht, außer dass er diesmal den Namen der betreffenden Straße hinzufügte. Als die Chefin den Straßennamen hörte, guckte sie verdutzt und gab zu, dass diese Straße schon am Vortag aus ihrer Agentur heraus bis einschließlich Hausnummer 300 abtelefoniert worden war.
      Zuletzt rief er drei Telefonnummern im gleichen Haus an. Beim ersten Anruf antwortete ein Schwerhöriger, der gleich wieder auflegte. Beim zweiten Anruf antwortete ein mittelalter Mann, der sich detailliert über die Versicherungsgesellschaft erkundigte, für die der Vertreter arbeitete, für den das Callcenter arbeitete, für das Jean Paul arbeitete. Es gelang ihm, einen Termin zu machen. Beim dritten Anruf bekam er zunächst eine Abfuhr.
      "Damit befasse ich mich nicht", sagte ein Mann, der ganz normal redete und damit dieser Tage zu einer verschwindend geringen Minderheit hörte. "Das macht alles mein Schwiegervater. Der kennt sich mit diesen Dingen bestens aus und ich mache ihm einfach alles nach."
      "Mit ihrem Schwiegervater habe ich vor fünf Minuten einen Termin gemacht!"
      "Wirklich?"
      "Ja."
      "Wirklich!"
      "Wenn der Vertreter sowieso im Haus ist, kann er natürlich auch gleich anschließend zu ihnen kommen. Soll ich ihnen den nächsten Termin geben?"
      "Nein, wir setzten uns einfach dazu!"
      "Okay, dann gebe ich ihnen den nächsten Termin, damit sie alle zusammen dann gleich anschließend über ihre Versicherungen sprechen können."
      "Nein, wir setzen uns einfach dazu. Wann kommt der Vertreter?"
      "Für sie morgen nachmittag um vier."
      "Ich werde eine halbe Stunde eher da sein."
      "Dann sol ich also nur einen Termin eintragen?"
      "Exakt. Auf Wiederhören."
      Und wieder war ihm seine Statistik verhagelt und er hatte nicht genug Erfolg erzielt, um Aussicht auf eine Übernahme in Vollzeit oder auch nur einen festen Teilzeit-Job zu haben.
      Nach Feierabend schaute er wieder im Internet nach offenen Stellen.
      Nebenbei beantwortete er die Mails einer Frau, die sich am Wochenende mit ihm treffen wollte und garantiert keine Schauspielerin und auch kein eingefleischter Single war.
      Solange sich noch Frauen mit ihm verabredeten, war er noch kein hoffnungsloser Fall, sagte er sich.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul fährt in Schlangenlinien über ihm unbekannte Straßen, Superlola meldet sich wieder und dann erhält der Held von einer blinden Sängerin eine Mission, die sie wieder sehend machen soll.
      Avatar
      schrieb am 23.11.06 02:17:23
      Beitrag Nr. 204 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.614.399 von Wolfsbane am 23.11.06 00:53:54Superlola- Juchhu ! :laugh:
      Avatar
      schrieb am 24.11.06 11:34:49
      Beitrag Nr. 205 ()
      Asche auf mein Haupt.
      Ich gebs ja zu: ich hab diesen thread vernachlässigt.
      Aber vor lauter boardtreffen am Niederrhein und meinen dazu passenden Instinkten (obwohl ich ja am Oberrhein wohne) ist das irgendwie son bißchen ins Hintertreffen geraten.
      Aber ich bin mir sicher: JP versteht das, weil es ihm auch hätte passieren können.
      Junge! Halt durch!
      Dein Endsieg ist hoffentlich noch nicht so nah, als daß uns viele, viiieele weitere Episoden weiterhin erfreuen dürfen ;)
      Avatar
      schrieb am 24.11.06 23:31:09
      Beitrag Nr. 206 ()
      Am Wochenende gibt es wieder jede Menge zu lesen. :cool:

      Bin im Moment wieder zu sehr mit einem neuen Job beschäftigt...

      ;)
      Avatar
      schrieb am 24.11.06 23:54:34
      Beitrag Nr. 207 ()
      Na denn: Matsch Lack ;)
      Avatar
      schrieb am 25.11.06 22:49:38
      Beitrag Nr. 208 ()
      81.

      Mimi, seine neue Internet-Bekanntschaft, bot ihm überraschend schnell ein Realtreffen an. Sie hatte kein Interesse an einer reinen Online-Beziehung, sondern sah Chats nur als Weg zum Anbandeln. Als er zusagte, eröffnete sie ihm plötzlich, dass sie mit zwei Söhnen und zwei Hunden zusammen leben würde. Sie formulierte es so, dass absolut klar wurde, dass sie von ihm einem Rückzieher erwartete. Tatsächlich löste es bei ihm das Gegenteil aus. Nun war er noch mehr an ihr interessiert. Superlola hatte immer wieder erklärt: "Wenn eine Frau mit 35 Jahren noch kein Kind gekriegt hat, wird sie unweigerlich neurotisch. Darum soll man Katzen auch erst sterilisieren, wenn sie wenigstens einmal dieses Erlebnis hatte, denn sonst werden sie sehr seltsam." Mimis zwei Kinder waren, zumindest auf Basis der Theorie von Superlola, eine doppelte Garantie, dass sie nicht allzu neurotisch war. Darüber hinaus lebte mit den beiden Söhnen und den beiden Hunden zusammen, also in einer Familie oder zumindest einem Rudel und war damit das Gegenteil seiner letzten Schauspielerin, der eingefleischten Junggesellin. Ohne Zögern teilte er ihr mit, wie sehr ihm das imponierte. Daraufhin gab sie ihm ihre Handynummer. Am Telefon redete sie dann plötzlich davon, dass ihr jüngster Sohn krank geworden wäre. Er dachte, sie würde das Rendezvous absagen, aber stattdessen schlug sie ihm vor, sich gleich bei ihr zu Hause zu treffen, was ihn maßlos überraschte. Aber bis zum Samstag änderte sie jeden Tag ihre Meinung darüber, ob und wo und wie sie sich treffen sollten. Jeden Tag empfing er zwei oder drei Mails und ebenso viele SMS mit neuen Vorschlägen und aktuellen Meldungen über den jeweiligen Gesundheitszustand ihres Jüngsten. Schließlich hatte er von dieser Frau eigentlich schon genug und glaubte nicht mehr an das Treffen und wollte ihr das auch sagen, aber dann hätte er nie erfahren, ob der Junge denn seine Erkrankung ohne bleibende Schäden überstanden hatte.
      Am Samstag sah es dann danach aus, als wenn sie sich an einem neutralen Ort in der Stadt treffen würden. Er wollte schon losfahren, als er wieder von seiner jungen Nachbarin überfallen wurde.
      "Du musst mir helfen!", sagte sie flehend. "Tust du das?"
      "Wenn du mich so anguckst, habe ich doch keine Wahl."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Nachbarin braucht ein neues Handy und Jean Paul muss schließlich mächtig Gas geben, denn Mimi wartet in einer Bankfiliale auf einem Ledersofa. Echt wahr!
      Avatar
      schrieb am 25.11.06 22:50:18
      Beitrag Nr. 209 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.680.635 von unlocker am 24.11.06 23:54:34@ unlocker

      Danke für die Treue! :look:
      Avatar
      schrieb am 27.11.06 19:01:06
      Beitrag Nr. 210 ()
      82.

      "Meine Mutter hat mir endlich Geld für ein Handy gegeben, aber es hat so lange gedauert, bis ich sie dazu kriegte, dass jetzt hier im Dorf schon alle Geschäfte geschlossen haben!"
      "Und was hast du jetzt vor?"
      Sie marschierte wieder an ihm vorbei oder durch ihn hindurch und ehe er sich umsehen konnte, saß sie wieder an seinem Schreibtisch.
      "Du hast doch ein Auto!"
      Er schloß die Tür hinter sich.
      "Du kannst mich irgendwo hinfahren, wo die Geschäfte noch geöffnet haben!"
      Er sah auf seine Armbanduhr.
      "Hast du Zeit?"
      "Wenn wir jetzt sofort losfahren..."
      Sie stand auf.
      "Gehen wir", sagte sie.
      Er öffnete ihr die Tür und sie marschierte auf den Flur.
      "Ich muss erst noch ein paar Sachen zusammensuchen und mein Hemd zuknöpfen", sagte er.
      "Okay", sagte sie. "Aber wie lange haben die Geschäfte dort auf, wohin du mich fährst?"
      In dem Augenblick klingelte das Telefon. Es war Mimi. Die Frau mit den zwei Söhnen, von denen einer schon älter als die Nachbarin auf dem Flur war.
      "Hallo", sagte er.
      "Ich habe mich heute jemandem versprochen", sagte sie.
      "Du hast geheiratet?"
      "Nein."
      "Verlobt?"
      "Nein."
      "Irgendwas heidnisches oder so?"
      "Nein, ich habe ihn nur in meinem Stammforum kennengelernt und er hat genau die gleichen Fantasien wie ich."
      "Und jetzt willst du die Verabredung absagen?", fragte er gereizt.
      "Nein, bis jetzt habe ich ihn noch nicht getroffen und er hat auch noch keine Zeit, mich anzurufen."
      "Also bin ich jetzt zum Pausenclown degradiert?"
      So war es mit Frauenbekanntschaften im Internet meistens. Wenn man da richtige Frauen traf, die auch echte Verabredungen wollten, waren sie meistens ganz urplötzlich Single geworden geworden und gaben sich nur mit Männern aus dem Internet ab, bis sie sich wieder mit ihrem Partner versöhnt hatten.
      "Nein, wir können uns ja treffen, aber du darfst dir nicht zuviel davon erhoffen, denn ich habe einem anderen Mann versprochen, seine Sklavin zu sein."
      Noch so eine.
      Eben eine echte Internetbekanntschaft!
      "Gehe nicht in fremde Keller, ehe wir uns getroffen haben", sagte er.
      Vielleicht konnte er sie noch retten.
      "Und komm pünktlich", knurrte er noch hinterher, wenn sie schon auf herrische Männer abfuhr.
      "Also gut", sagte sie.
      Ein paar Minuten später fuhr er seine Nachbarin zum nächsten Geschäft, das Handys verkaufte. Sie hielt ihm jedes Klapp- und jedes Schiebe-Handy unter die Nase und fragte jedesmal: "Passt das zu mir? Passt das gut zu einer Frau?"
      Es fiel ihm jedesmal schwer, wirklich auf das jeweilige Handy zu gucken.
      "Wenn ich mir eine neues Handy kaufen würde, wäre es ein MDA", sagte er und zeigte auf ein Gerät, das ungefähr ein Office-Paket enthielt und ungefähr dreimal so schwer wie ihre Favoriten war.
      "Okay, dann nehme ich dieses", sagte sie. "Da brauchst du mir nicht so viel leihen!"
      "Leihen?", fragte er.
      Es klang nicht so empört, wie es sollte und er konnte wieder nicht wirklich auf das Handy gucken.
      "Meine Mutter hat mir nicht genug gegeben."
      "Wieviel fehlt dir denn?", fragte er.
      Er war ein geschlagener Mann.
      "Vor allem brauche ich deinen Ausweis, denn ich habe meinen vergessen. Sonst müssen wir noch einmal hin und her fahren. Und Benzin ist teuer."
      "Wie willst du mir Benzingeld geben, wenn ich dir schon Geld zum Handy dazugeben muss?"
      "Ich kann dir heute schon Benzingeld geben, aber dann musst du mir mehr zum Handy dazu geben!"
      Er sah auf seine Armbanduhr.
      Keine Zeit zum Streiten. Er hatte eine Frau zu retten.
      "Wieviel?", fragte er.
      Nachdem alles in ihrem Sinne erledigt war, setzte sie sich bei ihm auf den Balkon, holte ihr altes Handy heraus und übertrug die dort gespeicherten Nummern auf das neue Handy. Er guckte ihr zu und wartete darauf, dass sie sich irgendwie auch einmal mit ihm beschäftigen oder einfach gehen würde, aber stattdessen verschickte sie nur lauter SMS und probierte alle Funktionen der Neuerwerbung aus. Wenn er ihre Aufmerksamkeit zu erringen verschte, indem er ihr einen sanften Klaps auf die Schlter gab, fauche sie so überzeugend "Lass das! Ich muss mich konzentrieren!", dass er anschließend jedesmal mindestens fünf Minuten brauchte, um neuen Mut für einen weiteren Versuch zu sammeln.
      Schließlich klingelte das Telefon und Mimi meldete sich.
      "Wir müssen uns jetzt doch nicht bei mir treffen, sondern können das in der City tun, wie du ursprünglich wolltest. Wenn es meinem Sohn schlechter geht und er mich auf dem Handy anruft, müssen wir aber sofort zu mir fahren!"
      Er schwieg.
      "Du kommst doch, oder?", fragte sie dann.
      "Ich fahre los, sobald mein Besuch gegangen ist", rief er so laut wie möglich.
      Seine Nachbarin stand auf, ohne den Blick vom Display des Handys abzuwenden. Mit einer Hand hielt sie das Handy und tippte auf der Tastatur herum und mit der anderen Hand ertastete sie sich den Weg nach draußen.
      Er sah ihr aufmerksam nach.
      Immer wenn er glaubte, alle weiblichen Verhaltensweisen zu kennen, lernte er wieder etwas Neues kennen.
      Aber hübsch.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul merkt endlich, dass auch Mütter zickig sein können.
      Avatar
      schrieb am 27.11.06 19:19:40
      Beitrag Nr. 211 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.751.111 von Wolfsbane am 27.11.06 19:01:06In mir festigt sich so langsam die Überzeugung: JP ist keine Romanfigur!
      Sondern nur der für einen Tatsachenbericht gewählte alias um Ähnlicheiten mit real existierenden Personen... etc.
      Wann bringt Frontal21 oder Bublath ne Serie heraus?
      Oh shit, was liegt für ein Leben hinter mir, solches zu erkennen? :rolleyes:
      Hoffentlich liegt noch eins vor mir, das mir erlaubt, noch möglichst viele Fortsetzungen zu lesen. ;)
      Avatar
      schrieb am 29.11.06 17:57:00
      Beitrag Nr. 212 ()
      83.


      Jean Paul hatte mit Mimi verabredet, dass er sie in der Großstadt vor dem Haupteingang eines bekannten Kreditinstitutes erwarten würde. Das war nämlich der einzige markante Treffpunkt in dieser Stadt, den sie beide kannten, wenn man einmal von der Bahnhofs-Filiale des Fastfood-Unternehmens absah, indem er sich zum ersten Mal mit Superlola verabredet hatte. Das Lokal, in dem er und Superlola dann anschließend auf ein Bier eingekehrt waren, befand sich vom Haupteingang des Kreditinstitut aus in Sichtweite.
      Jean Paul wurde auf einmal von Erinnerungen überflutet. Ihm fiel wieder ein, wie Superlola ihr beim Schlafen zugesehen und was er dabe gedacht hatte. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass er nicht vorher einer solchen Frau begegnet war, am besten noch in seiner Schulzeit. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen und er wäre nun kein Umschüler mit lediglich einem Halbtagsjob in einem Call-Center. Vielleicht wäre dann auch ihre Entwicklung anders verlaufen und sie wäre so über alle Maßen eitle, ebenso rücksichtslose wie innerlich zerrissene Karrierefrau geworden. Vielleicht hätten sie sich gegenseitig von allen Fehlentwicklungen abgehalten und eine Familie gegründet. Und dann fiel ihm in diesem Zusammenhang seine Nachbarin ein. Genauso hübsch, langhaarig, individualistisch und ungeduldig. Er hatte sich oft gefragt, wie Superlola früher ausgesehen hatte, also zu dem Zeitpunkt, an dem es seiner Meinng nach für sie beide ideal gewesen wäre, sich zu begegnen. Und er hatte sich auch gefragt, wie ein Mädchen aussehen würde, das ihre Tochter war. Die Antwort auf die bei den letzten Fragen war auch gleichzeitig die Antwort auf die Frage, warum die dieses Mädchen mit ihm machen konnte, was sie wollte, ohne dass er irgendeine Abwehr dagegen besaß.
      Er war pünktlich, aber er musste noch eben hineingehen und Geld abheben. Er hatte der Nachbarin Geld für ihr Handy zugeschossen und auf dem Rückweg vom Handykauf getankt.
      Die Filiale war immer von einem Wachmann besetzt, der einen Hund mit Maulkorb bei sich führte.
      Jean Paul nickte grüßend in seine Richtung und sah dann in die andere Richtung zu dem großen Fernseher, auf dem ein Nachrichtensender lief, der ständig Untertitel mit Börseninformationen laufen ließ.
      Und dann sah er sie.
      Mimi saß auf dem Ledersofa in der Halle und sah fern. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Der Rock war erfreulich kurz und eng und was er erkennen ließ, konnte die Laune eines Mannes wirksam heben. Er ging zu ihr und begrüßte sie. Dann entschuldigte er sich für einen Moment und hob Geld ab. Anschließend setzte er sich wieder zu ihr.
      "Es ist draußen schon ziemlich frisch", sagte sie.
      Wer so einen kurzen Rock und ein Oberteil mit so einem großzügigen Ausschnitt trug, durfte das sagen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, verhätschelt zu sein.
      "Aber hallo", sagte er, rückte näher an sie heran und legte seinen Arm um sie.
      Vorbei gehende Passanten schauten von draußen neugierig herein und schienen sich zu fragen, ob da drinnen irgendeine Show gezeigt wurde, um die Leute zum Anhalten und zum Betrachten der Werbeplakate für günstiges Bauen zu animieren.
      "Du bist nett", sagte sie.
      "Du hast ja keine Ahnung...", sagte Jean Paul und legte die freie Hand auf ihr Knie. "... wie sehr du damit Recht hast..."
      Er beschloss die Glotzer da draußen am Fenster zu ignorieren, bis sie endlich weiter gingen.
      Aber plötzlich wurde er von der Person angesprochen, die sich ebenfalls in der Filiale befand und die sich leider nicht ignorieren ließ.
      "Haben sie noch etwas zu tun?", fragte der Wachmann.
      Warum konnte der nicht auch einfach auf seinem Platz sitzen bleiben?
      Der Wachhund gähnte und seine Zunge wurde dabei so lang, dass sie fast den Boden berührte.
      "Das sehen sie doch", knurrte Jean Paul und tätschelte so demonstrativ Mimis Knie, dass wirklich kein Raum für Missverständnisse blieb.
      Jetzt knurrte auch der Hund.
      Mimi klammerte sich an Jean Paul und sah ihn mit großen Augen an.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul verliert gegen einen Hund. Wieder zu Hause wird er von Superlola angerufen, weil sie sich von ihrem Mann getrennt hat und ihr nun das fehlt, was sie täglich braucht. Jean Pauls Nachbarin landet zu seinem Entsetzen in der Psychatrie. Und alles, was bereits in früheren Vorschauen versprochen und noch nicht eingelöst wurde, kommt natürlich auch noch!
      Avatar
      schrieb am 29.11.06 18:09:37
      Beitrag Nr. 213 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.751.777 von unlocker am 27.11.06 19:19:40@ unlocker

      Ich betrachte es als Kompliment, dass dir Jean Paul so realistisch vorkommt, dass du dir vorstellen kannst, er wäre eine reale Person.
      ;)
      Tatsächlich ist das wie mit Sherlock Holmes. Da haben die Leser sich diesbezüglich auch geirrt.
      :laugh:
      Ich meine, welcher echte Mann lernt schon jedes Wochenende eine andere Frau kennen? Selbst im Internet-Zeitalter??
      :confused:
      Fortsetzungen wird es noch viele geben, wenn :eek: "Wallstreet Online" lange genug existiert... :eek:;)
      Ich versuche weiterhin täglich ein Häppchen zu posten, aber mein Job hat Vorrang. Und bei meinem jetzigen Arbeitgeber kann ich nicht mal eben in der Frühstückspause am "Mitarbeiter-PC" ein neues Kapitel in die Tasten hauen...
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 29.11.06 19:28:47
      Beitrag Nr. 214 ()
      und in jp stecken dein träume, von daher wirkt es autentisch.
      aber mach weiter, mir gefällt es, dieses zu lesen......

      * noch zwei?
      Avatar
      schrieb am 30.11.06 00:50:24
      Beitrag Nr. 215 ()
      83.

      "Wenn sie hier keine Bankgeschäfte mehr zu erledigen haben, möchte ich sie höflichst bitten, das Sofa zu räumen", sagte der Wachmann.
      "Willst du gehen?", fragte Jean Paul und sah Mimi an.
      "Eigentlich nicht."
      "Aber es ist nicht mehr gemütlich", sagte Jean Paul. "Gegenüber ist ein Bistro, das ich kenne."
      Sie erhob sich schweigend und wartete.
      Jean Paul ging vor. Als er sich am Ausgang umdrehte, war sie nicht neben oder auch nur hinter ihm. Er guckte weiter und sah, dass sie den Hund streichelte und er durch seinen Maulkorb hindurch ihre Hand lecken wollte.
      "Hasso, lass das!", sagte der Wachmann.
      "Mimi, lass das!", sagte Jean Paul.
      Sie kam schulterzuckend zum Ausgang und die beiden gingen in das Bistro. Mimi fragte, wohin er sich setzen wollte und er erinnerte sich, dass sie irgendetwas darüber gesagt hatte, dass sie dominante Männer mochte, aber er konnte sich nicht aufraffen, etwas anderes als "Such doch selber einen Platz für uns aus" zu sagen. Jean Paul war dominant veranlagt, aber er hatte keine Lust, sich wegen Kleinigkeiten, die ihm eigentlich egal waren, eine Szene machen zu lassen. Er wusste auch, dass es Frauen gab, die mit fast jedem Vorschlag einverstanden waren und keinerlei Warnungen abgaben, bis sich an irgendeinem unvorhersehbaren Punkt so viel Frust aufgestaut hatte, dass sie plötzlich explodierten und ihn mit Vorwürfen überhäuften und man den Schaden nicht mehr reparieren konnte.
      Sie wählte eine dunkle Ecke und zog den Strickrock glatt, als sie sich setzte. Jean Paul liebte solche typisch weiblichen Bewegungen.. Er liebte es auch, wenn Frauen sich für ihn irgendwo hinsetzten, wo sie weitestgehend ungestört waren.
      Mimi berichtete ihm, dass ihre letzte Beziehung eine Katastrophe gewesen war. Das war normal. Nur Witwen taten das nicht. Interessant waren nur die Details. Angeblich war ihr Ex in der Psychatrie gelandet. Sonst hörte er die Geschichte immer so, dass die Frau selbst durch die Schikanen ihres Ex in die Psychatrie gekommen war oder so starke Verhaltensstörungen angenommen hatte, dass sie dort gut aufgehoben gewesen wäre. Ein anderes interessantes Detail war auch, dass sie ihm nicht für sämtliche ihrer Schwierigkeiten die Schuld gab und dass sie irgendwann von sich aus das Thema wechselte und über positive Dinge und die Gegenwart redete.
      Schließlich klingelte ihr Handy.
      "Dein Sohn?", fragte er.
      "Nein, der Wecker. Ich muss jetzt nach Hause und meinen Schäferhund und meinen Bernhardiner ausführen."
      "Kann das nicht der Älteste?", fragte Jean Paul.
      "Nein, der ist in Berlin bei seiner Freundin, die er im Internet kennengelernt hat. Und der Jüngste ist zu klein, um die beiden Hunde zu halten. Selbst wenn er gesund ist, kann er das nicht. Ich will ihn auch so spät nicht noch draußen auf der Straße sehen."
      "Und jetzt?", fragte Jean Paul.
      "Fahr mir einfach nach", sagte sie.
      "Zu dir nach Hause?", fragte er angenehm erregt.
      "Hast du Angst vor Hunden?", fragte sie verwundert.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es kommt all das, was schon vorher angekündigt wurde!
      Avatar
      schrieb am 30.11.06 00:56:01
      Beitrag Nr. 216 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.803.904 von ruepelig am 29.11.06 19:28:47@ ruepelig

      Danke für den netten Kommentar.:look:

      In der Geschichte steckt tatsächlich viel Fantasie. ;)

      Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Ich kann zwar schon sagen, was im letzten Kapitel passiert und was der letzte Job von Jean Paul als Telefon-Agent sein wird, aber bis dahin kommen noch viele, viele andere Kapitel: Frauengeschichten, Jobs in anderen Branchen...
      :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 30.11.06 01:59:52
      Beitrag Nr. 217 ()
      gäääääääääääääääääääääääääähn

      was ein nutzloser sräd
      Avatar
      schrieb am 30.11.06 18:31:13
      Beitrag Nr. 218 ()
      @ suuperbua

      :eek: Meine Werke waren schon immer umstritten...:laugh:
      Avatar
      schrieb am 30.11.06 19:25:40
      Beitrag Nr. 219 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.832.331 von Wolfsbane am 30.11.06 18:31:13Echt?
      Und ich lese hier immer, weil der thread vollkommen wertefrei ist. :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 30.11.06 19:29:12
      Beitrag Nr. 220 ()
      Sorry!
      Da hab ich mich doch jetzt verlesen (oder der Autor vertippt).
      Es geht um Werke, nicht um Werte.
      Aber genau deswegen: Einspruch gegen gääääääääääääääääähn ;)
      Avatar
      schrieb am 01.12.06 00:38:21
      Beitrag Nr. 221 ()
      84.

      Mimi musste sich gegen die Tür stemmen, um sie zu öffnen. Die beiden Hunde in der Wohnung waren so freudig erregt, dass ihr Frauchen zurückkam, dass sie in ihre Richtung stürmten und es ihrem Frauchen fast unmöglich machten, die Tür zu öffnen. Jean Paul musste Mimi schließlich helfen, die Tür aufzudrücken, damit sie die Hunde zurückschieben und die Wohnung betreten konnte, um die Hunde tatsächlich zu begrüßen.
      Schließlich beschnüffelten die Vierbeiner Jean Paul.
      "Ich gucke mal eben nach Vincent", sagte Mimi. "Pass so lange auf, dass er keinen Blödsinn macht."
      Jean Paul packte den Schäferhund am Halsband.
      Ein kräftiger Bursche.
      "Der macht schon keinen Mist", sagte Jean Paul. "Dafür passe ich auf!"
      "Dich meinte ich nicht", sagte Mimi.
      Der Schäferhund spitzte die Ohren.
      "Bis gleich, Schorsch", sagte sie.
      "Ich heiße nicht Schorsch", sagte Jean Paul mit zunehmender Verwirrung. In Gegenwart von Frauen sackte seine Intelligenz bisweilen auf ein Niveau weit unterhalb dem von Schorsch ab.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es geht weiter
      Avatar
      schrieb am 01.12.06 07:20:50
      Beitrag Nr. 222 ()
      In Gegenwart von Frauen sackte seine Intelligenz bisweilen auf ein Niveau weit unterhalb dem von Schorsch ab.
      Mmmmmmmmmmm! Mimi!
      So eine macht echt Hoffnung!
      Fürs reale Leben vielleicht nicht so, aber für weitere Kapitel mit JP ;)
      Avatar
      schrieb am 04.12.06 10:57:16
      Beitrag Nr. 223 ()
      85.

      Mimis Gesicht drückte Erleichterung aus, als sie das Zimmer ihres Jüngsten verließ.
      "So, jetzt muss ich mich nur noch um die Hunde kümmern", sagte sie.
      Jean Paul sah auf den Bernhardiner, der sich hinter Schorsch hielt. Schorsch war offensichtlich der Boss, sozusagen der Mann im Hause.
      "Wächst der Bernahrdiner noch?", fragte Jean Paul.
      "Sie hat zu wenig zu fressen bekommen, als sie in der Entwicklung war", sagte Mimi. "Jetzt ist sie schon zu alt, um noch zu wachsen."
      Sie versuchte am Bernhardiner vorbei zur Garderobe zu kommen, wo die Leinen hingen, aber das ging aus einem bestimmten Grund
      "Sicher?", fragte Jean Paul. "Sie scheint noch ziemlich verspielt zu sein."
      Der Bernhardiner drehte sich die ganze Zeit im Kreis.
      "Das ist Hospitalismus", antwortete Mimi. "Sie war zu lange in einem zu kleinen Zwinger."
      "Oh", sagte Jean Paul voller Mitgefühl.
      "Genau", sagte Mimi und drückte den Bernhardiner jetzt einfach zur Seite. "Darum habe ich mich auch erbarmt und sie in Pflege genommen."
      Sie nahm zwei Leinen und warf Jean Paul eine zu.
      "Nimm du die Hündin", sagte sie. "Ich nehme Schorsch. Der ist etwas schwieriger."
      "Vielleicht kann ich ihn besser halten als du", sagte Jean Paul gereizt.
      Er war schließlich kein Schwächling!
      "Halten kannst du ihn natürlich, aber wahrscheinlich steht er für dich überhaupt nicht auf. Von Männern lässt er sich nichts sagen."
      "Komisch", sagte Jean Paul.
      Normalerweise waren es doch die weiblichen Wesen, die sich von Mänern nichts sagen ließen. Darum liebten auch alle Männer das Spiel "Tomb Raider". Da ging die Heldin Lara Croft nach vorn und auch nach rechts oder auch nach links und manchmal sprang sie sogar, wenn man(n) es wollte. Sie tat wirklich das, was man(n) wollte. Die Frauen im richtigen Leben taten das nie.
      "Gehen wir", sagte Mimi.
      Schorsch trottete ihr artig hinterher und warf Jean Paul einen geradezu menschlich wirkenden, herablassenden Blick zu.
      Jean Paul versuchte zu folgen, aber die Bernhardinerhündin lief ihm vor die Füße und er musste sich im Stolpern an der offenen Tür festhalten.
      Mimi seufzte.
      "Männer..."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Wuff.
      Avatar
      schrieb am 05.12.06 11:44:23
      Beitrag Nr. 224 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.921.083 von Wolfsbane am 04.12.06 10:57:16Die Vorschau war diesmal richtig gut :laugh:
      Avatar
      schrieb am 05.12.06 12:20:23
      Beitrag Nr. 225 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.953.140 von unlocker am 05.12.06 11:44:23@ unlocker


      Hattest wohl geglaubt, ich könnte mich nicht mehr steigern! ;):D
      Avatar
      schrieb am 05.12.06 12:21:17
      Beitrag Nr. 226 ()
      86.

      Eigentlich war Jean Paul zwar ein Mann mit Grundsätzen und zu seinen festen Grundsätzen gehörte auch die Regel, mit Internet-Bekanntschaften nie beim ersten Treffen intim zu werden. Aber als sie ihm das Wohnzimmer der vaterlosen Familie zeigte und er das sehr große Sofa sah, überkam ihn der unwiderstehliche Wunsch, sich dort mit Mimi nieder und der Natur freien Lauf zu lassen. Der Schäferhund Schorsch sah ihn wissend an.
      Da sie ihm sagte, dass das nicht ging, weil zwischen diesem Raum und dem Flur keine Tür war und ihr kleiner Sohn sie beide sehen würde, wenn er zufällig zur Toilette müsste, war er enttäuscht und diese Enttäuschung hinderte ihn so sehr am Denken, dass ihm überhaupt keine Antwort einfiel, als sie ihn in ihr Schlafzimmer einlud. Er folgte ihr ohne Denken und ohne Worte und vor allem ohne Zögern.
      Sie setzte sich an einen kleinen Schreibtisch, der neben dem Eingang stand.
      "Welche Musik magst du?", fragte sie.
      "Ich verstehe die Frage nicht", sagte er atemlos.
      "Mach bitte die Tür zu", mahnte sie.
      "Leise", sagte er.
      "Natürlich leise", sagte sie. "Bitte nicht zuknallen. Mein Sohn schläft."
      Sie schüttelte den Kopf.
      "Leise Musik", sagte er. "Das meinte ich."
      "Tür zu", sagte sie.
      Der Schäferhund wollte auch ins Schlafzimmer und seine Nase war eigentlich schon drin. Jean Paul musste eine Weile mit dieser Situation kämpfen, ehe er die Tür wirklich schließen konnte.
      Mimi saß an ihrem Computer und rief eine lange Liste mit MP3-Dateien auf.
      "Hier ist überwiegend Musik von meinem Jüngsten drauf."
      Von nebenan hörte man ein Husten.
      "Wie kommt das?", fragte Jean Paul. "Lädst du das für ihn runter?"
      Er setzte sich auf den Stuhl neben ihr.
      "Das kann er selbst", stellte sie fest. "Wenn ich nicht da bin, darf er diesen PC selber benutzen."
      "Du lässt ihn in dein Schlafzimmer?"
      Er guckte sich um, ob hier vielleicht auch irgendwo ein Poster von "Tokio Hotel" hing oder "Bravo" herumlag .
      "Zu seinem nächsten Geburtstag kriegt er einen eigenen PC", sagte sie mit leichter Verärgerung.
      "Okay", sagte er. "Da wird er sich bestimmt freuen."
      Wieder ein lautes Husten von nebenan.
      Mimi schien es nicht zu hören.
      "Also, was für Musik möchtest du hören?", fragte sie.
      "Wolfsbane", antwortete er.
      "Ist das eine Gruppe?", fragte sie. "Ich dachte, das wäre das Pseudonym eines Schriftstellers, so wie B. Traven oder Trevanian oder... Anonymus."
      "Wolfsbane."
      "Und wenn ich nichts von Wolfsbane habe?"
      "Wolfsbane."
      Sie schaute leicht konsterniert und wählte dann willkürlich einen Song von einer Gruppe aus, die er überhaupt nicht kannte. Der Titel des Songs war ihm allerdings nicht ganz neu, denn das war auch Mimis Nickname im Chat.
      "Ist nicht Wolfsbane", sagte er.
      Ein Bier wäre jetzt schön gewesen.
      Aber er musste noch Auto fahren.
      "Lass das!", rief sie.
      Er fiel vor Schreck fast vom Stuhl.
      Vom Flur her hörte man eine leise Mischung aus Jaulen und Knurren.
      "Wie bitte, was?", fragte Jean Paul.
      "Schorsch will rein und kratzt die ganze Zeit an der Tür!"
      "Ich höre nichts."
      Jetzt hörte er kleine Füße auf dem Flur.
      "Jetzt habe ich ihm auch Bescheid gesagt", fauchte Mimi.
      "Ich merke schon, dass du dich gut durchsetzen kannst und damit klar kommst, dass du geschieden bist."
      "Geschieden?", fragte sie. "Ich war nie verheiratet und habe auch nie mit einem Mann auch nur eheähnlich zusammen gelebt. Wir waren immer allein."
      "Oh", sagte Jean Paul voller Mitgefühl. "Der Kerl hat dich einfach verlassen, als du schwanger warst?"
      So ein Pech.
      Und das gleich zweimal.
      "Ich war nie mit dem zusammen", sagte sie. "Wir hatten nur Sex und das reicht ja auch, um schwanger zu werden."
      Jean Paul musste sich plötzlich räuspern.
      "Hat er nicht aufgepasst?", fragte er.
      "Ich dachte, ich könnte nicht schwanger werden", antwortete sie. "Ich habe ihm gesagt, dass ich unfruchtbar bin und eigentlich bin ich das auch, aber ausgerechnet an dem einen Tag war ich es dann wie durch ein Wunder doch nicht."
      "Was ich nicht verstehe... Sind beide Jungs vom gleichen Mann?"
      "Nein", antwortete sie. "Die sind sich doch auch gar nicht ähnlich."
      "Und haben wir gerade vom ersten oder zweiten Mann geredet?"
      "Von beiden." Sie knöpfte ihre Bluse auf. "Es war zweimal das gleiche Missgeschick."
      Sie machte sich frei.
      Er musste leicht schlucken und versuchte seine Erektion zu unterdrücken.
      "Und keiner wollte mit dir zusammen leben?"
      "Ich habe sie nicht gefragt", antwortete sie. "Ich habe einfach die Kinder gekriegt und die Kerle haben bezahlt."
      Sie öffnete ihren BH.
      Was so ein Kind einen Mann wohl im Monat kostete.
      Sicherlich würde er es bald wissen.
      "Du bist nett", sagte sie und legte die Hände auf seine Oberschenkel. "Mach dir keine Sorgen, kann nichts passieren."


      Fortsetzung folgt.

      Vorschau:
      Mimi weiß, was sie will. Auch bei Jean Paul, von dem man das nicht gerade behaupten kann.
      Avatar
      schrieb am 06.12.06 11:00:43
      Beitrag Nr. 227 ()
      87.

      Jean Paul fühlte sich überrumpelt.
      Eine Woche lang war er in Ungewissheit über das Zustandekommen dieses Treffens gewesen. Jeden Tag hatte Mimi ihre Meinung mindestens dreimal geändert, und zwar jeweils zu mindestens drei Aspekten dieser Begegnung. Mal wollte sie, mal wollte sie nicht, mal wollte sie hier, mal wollte sie dort, mal wollte sofort, mal wollte sie überhaupt nicht mehr und dann wieder unter Vorbehalt und dann wieder ohne Einschränkungen und und und...
      Ihr ganzes Verhalten hatte ihn in eine Art Torschlusspanik versetzt und ihn dazu gebracht, schließlich zu allem nur noch "Ja" zu sagen und darauf zu hoffen, dass er diese erste und gleichzeitig auch letzte Chance nutzen konnte, sie wieder davon abzubringen, sich irgendeinem Spinner auszuliefern.
      Bisher war es ihm so vorgekommen, als wäre dieses ganze Tohuwabohu allein durch die Erkrankung ihres Sohnes und Mimis mütterliche Gefühle verursacht worden, aber seit er wusste, wie sie zu diesem und dem anderen Kind gekommen war, fragte er sich, ob sich die beiden Väter nicht vielleicht genauso vorgekommen waren und ob Mimi nicht vielleicht einfach ihr Verhalten von damals wiederholte, diesmal zudem mit Berechnung oder Routine.
      Das waren viele Fragen auf einmal und in Anbetracht all dieser Fragen fühlte sich Jean Paul plötzlich eher wie bei einer Prüfung als wie bei einem Rendezvous. Das Blut stieg ihm in den Kopf und der Blutandrang an anderer Stelle begann bereits spürbar nachzulassen.
      Wieder hörte er vom Flur her kleine Füße.
      Waren sie wirklich dort oder konnte er schon in die Zukunft hören?
      Mittlerweile wäre er gern Vater geworden, aber Mimi erschien ihm schon etwas zu alt für ein Kind und er kannte sie kaum und würde auch sein Kind, wenn sie es für ihn bekäme, kaum kennen lernen...
      "Du guckst, als ob du an dir zweifelst", sagte sie. "Vielleicht ist es gut, wenn du mir mal ein paar Klapse auf den Hintern gibst. Das mag ich..."
      Sie nahm ihn wie ein Kind an die Hand und führte ihn in die Mitte des Schlafzimmers. Dann ließ sieh ihn los, wandte ihm den Rücken zu, schleuderte ihre Schuhe in unterschiedliche Richtungen des Raumes, streifte ihren Rock nach unten ab, schleuderte ihn ebenfalls mit dem Fuß irgendwo in die Weite des Raumes beugte sich vor und streckte ihm ihren Po entgegen. Dabei gab sie einen seltsamen Seufzer von sich.
      Jean Paul fand die ganze Situation so bizarr, dass er sich nun wie ein Verrückter benahm. Er gab nämlich wieder einen Spruch von sich, den er oft von Schachspielern gehört hatte.
      "Ist das Asthma oder Leidenschaft!"
      "Rheuma und Bandscheibenprobleme", sagte sie.
      Er starrte auf ihr Hinterteil. Der Stringtanga stand ihr gut. Er brannte darauf, ihr einen hinten drauf zu geben. Aber...
      ... wenn dann gleich der Krankenwagen kam?
      „Bandscheibe?“
      „Ja, wegen der Bandscheiben musste ich eine Umschulung machen!“
      Genau wie er selbst. Das konnte er ihr nachfühlen. Da verließ ihn jeder Chauvinismus.
      „Dein Hintern sieht topfit aus“, sagte er, um wieder in Stimmung zu kommen. „Echt scharf...“
      „Nun mach schon!“, schimpfte sie, „sonst komme ich gleich nicht mehr hoch! Ich merke schon, wie ich wieder steif werde...“
      Bei ihm war es eher umgekehrt.
      Trotzdem.
      Er gab ihr einen Klaps.
      Von nebenan hörte er ein Husten.
      Noch einen.
      Wieder Husten von nebenan.
      Drei hintereinander.
      Das Husten von nebenan setzte wieder ein und schien diesmal kein Ende nehmen zu wollen.
      „Ist das alles?“, fragte sie gereizt.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Ja, ist das wirklich schon alles, Jean Paul?
      Avatar
      schrieb am 06.12.06 15:10:50
      Beitrag Nr. 228 ()
      Vorschau:
      Der Autor wird immer besser :)
      Avatar
      schrieb am 07.12.06 11:05:20
      Beitrag Nr. 229 ()
      Hi @ll


      Bin heute zu beschäftigt. Morgen abend gibt es mindestens ein neues, großes Kapitel :cool:
      Avatar
      schrieb am 07.12.06 20:31:56
      Beitrag Nr. 230 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 25.991.919 von Wolfsbane am 07.12.06 11:05:20Dann werde ich bis dahin aktiv der Dinge harren, die da kommen :)
      Avatar
      schrieb am 11.12.06 00:15:02
      Beitrag Nr. 231 ()
      88.

      Jean Paul wusste nicht, wohin er sehen sollte. Mimis Hintern war überaus einladend, aber ihr ganzes Gerede über gequetschte Bandscheiben, Rückgratsverkrümmung, Umschulung und chronische Schmerzen ließ seinen Blick immer wieder nach oben auf ihre Wirbelsäule wandern. In der Kur hatte er gelernt, dass man Skoliose am einfachsten erkannte, indem man zuerst auf die Pofalte schaute und dann guckte, ob die Wirbelsäule diese Linie nach oben fortsetzte. Allerdings stand Mimi nicht gerade, sondern gebückt. Jean Paul fragte sich, ob sie sich räkelte, um ihn anzubaggern, oder ob sie sich vor Schmerzen krümmte. Die Frage machte ihn ratlos diese Ratlosigkeit ließ ihn erstarren. Ab und zu wanderte sein Blick nach links, von wo weiterhin jedesmal, fast wie ein Kommentar, ein Husten kam, wenn er Mimi noch einmal mit zunehmender Vorsicht einen Klaps gab.
      "Was ist los?", fragte sie. "Hast du keine Kraft?"
      Wieder kam ein Husten.
      Diesmal würde sie sich wohl endgültig wieder aufrichten, etwas anzuziehen und nach ihrem Sohn sehen. Wenn er daran dachte, wie sie die ganze Woche anscheinend vor Sorge fast umgekommen war und ihre Verabredung darum ständig umgeplant und immer wieder in Frage gestellt hatte, wunderte es ihn ohne Ende, dass sie das Husten ignorieren konnte.
      "Das klingt, als lauscht da jemand."
      "Unsinn. Komm schon!"
      Allmählich wurde sie ihm unsympathisch. Er war schon in der Mitte der Woche von ihr so gernervt gewesen, dass er das Treffen abgesagt hätte, wenn er nicht mittlerweile so besorgt um ihren Jüngsten gewesen wäre. Nun wusste er, dass der Bursche es überleben würde und seine Krankheit womöglich benutzte, um ihn, Jean Paul, zu sabotieren und eigentlich konnte er jetzt wieder gehen und die Leute mit sich allein lassen.
      "Ich glaube, der hört das, wenn ihr dir einen auf den Nackten gebe!"
      "Der lauscht nicht."
      "Es kommt mir aber so vor und das..."
      "Die Wände sind hier eben sehr dünn!"
      "Also hört er es doch?"
      "Aber er lauscht nicht", sagte sie.
      Er überlegte, was er gefühlt oder gemacht hätte, wenn er in dem Alter gewahr geworden wäre, dass ein fremder Kerl der Mama den Hintern verhaute und noch andere respektlose Sachen mit ihr machte, auch wenn sie es aus irgendwelchen Gründen anscheinend freiwillig zuließ.
      "Ich könnte die Musik laut aufdrehen", sagte sie, "aber dann kriege ich Ärger mit den Nachbarn und du hast ja wohl gerade, als wir die Hunde ausführten, schon gesehen, dass manche von denen mich jetzt schon nicht zurückgrüßen. Ich will nicht deinetwegen hier rausfliegen..."
      Sie richtete sich auf und drehte sich um.
      "Um meinen Sohn brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Das ist mein Sohn und nur meine Sorge."
      "Okay."
      "Das hat übrigens er gemacht!"
      "Was?"
      "Das hier", sagte sie und deutete auf eine Brustwarze, die sich etwas nach innen gezogen hatte.
      "Die ist so, seit ich ihn gestillt habe."
      "Das stört mich nicht."
      Sie warf ihm einen bösen Blick zu. Er hätte eigentlich längst wissen sollen, dass man(n) maximal "oh" oder "huh" sagen durfte, wenn Frauen darüer redeten, was sie an ihrem Körper störte oder beunruhigte.
      "Oh", sagte er dann mit Verspätung.
      Sie atmete aus, umarmte ihn und zog ihn auf ihr Wasserbett.
      Er ging auf sein rechtes Knie und versackte und schien zu fallen und kriegte eine Riesenangst, das da etwas geplatzt war.
      "Alles in Ordnung", sagte sie. "Das ist ein nicht beruhigtes Wasserbett. Aber darauf kann man es wirklich hart treiben."
      "Also..."
      Er ließ sie vorsichtig los und erhob sich.
      "Für mich ist das nichts", sagte er.
      Von nebenan kam wieder ein Husten.
      Diesmal klang es fast wie Lachen.
      Anscheinend wurde er schon paranoid.
      Sie schnaubte vor Ärger und zog sich an.
      "Ich hole uns etwas zu trinken!"
      Als sie das Schlafzimmer verließ, kam der Schäferhund rein. Er guckte Jean Paul vorwurfsvoll an und Jean Paul setzte sich artig einen der Stühle vor dem Schreibtisch. Der Schäferhund setzte sich auf Jean Pauls Fuß. Unser Held fand das sehr beunruhigend, denn das war ihm schon einmal passiert und damals hatte der Hund, anscheinend von Hämorriden geplagt, seinen Hintern an Jean Pauls Schuh abgewischt und deutliche Spuren hinterlassen.
      Mimi kam zurück, gab Jean Paul eine Tasse Tee und ließ die Tür demonstrativ offen. Sie nahm den freien Stuhl, platzierte ihn ein gehöriges Stück von Jean Paul entfernt, setzte sich geziert hin und streichelte den Hund zwischen ihnen.
      "Was macht der da?", fragte Jean Paul.
      "Der kommt um diese Zeit immer rein."
      "Kannst du ihn nicht rausschmeißen? Er macht mich nervös."
      "Er tut doch nichts. Er ist nur da."
      "Kannst du ihn nicht raussetzen? Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn er auf meinem Fuß sitzt. Ich meine, er ist doch nur ein Hund."
      "Der kommt immer um diese Zeit rein", sagte sie. "Wenn ich ihn heute rauswerfe, versteht er das nicht."
      "Na und? Er ist nur ein Hund. Im Wohnzimmer ist es auch schön."
      "Aber das versteht er nicht."
      "Was gibt es daran zu verstehen?"
      "Er ist nur ein Hund und er versteht das eben nicht", sagte sie. "Außerdem wäre es ungerecht, denn er kommt immer um diese Zeit rein und ich kann hier jetzt nicht einfach seine Rechte beschneiden."
      "Und meine Rechte?", frate er leichtsinnig.
      "Du bist nur Gast und du warst eigentlich überhaupt nicht vorgesehen. Ich habe dir doch gleich gesagt, dass ich nicht allein lebe und dass ich mich außerdem schon jemand anders versprochen habe."
      "Ich verstehe."
      Er verbrannte sich den Mund am heißen Tee.
      "Wenn du hier übernachtest, muss ich das morgen früh meinen Söhnen erklären. Beiden. Der Älteste kommt dann nämlich zurück.
      "Ich bin Frühaufsteher. Und wer weiß, vielleicht sieht morgen früh alles ganz anders aus. Im Moment bin ich doch etwas gestresst und dadurch hast du von mir einen falschen Eindruck."
      Sie schlug die Beine übereinander.
      Der Hund schaute abwechselnd zu ihr und Jean Paul und schließlich gähnte er.
      "Schorsch braucht seinen Schlaf", sagte Mimi. "Wenn du noch eine Chance willst, dann komme Montagmorgen. Dann sind meine Söhne in der Schule und Schorsch pennt auf dem Sofa."
      "Montagmorgen muss ich arbeiten!", sagte Jean Paul.
      "Wo arbeitest du denn?"
      "Im Callcenter."
      "Habe ich auch schon", sagte sie. "Drei Monate lang habe ich gearbeitet und hatte Abzüge vom Arbeitslosengeld und dann stellte sich raus, dass die Firma pleite war. Hast du wenigstens schon Geld bekommen? Bist du Teamleiter?"
      "Weder noch", sagte er.
      Sie hatte zuviel Zucker in den Tee getan. Eigentlich trank er seinen Tee völlig ohne Zucker.
      "Aber du hast einen Vollzeitjob?"
      "Noch nicht. Aber wahrscheinlich wird..."
      "Du musst jetzt gehen", sagte sie mit plötzlicher Schärfe. Sie raffte ihr Oberteil zusammen. "Sofort."
      Schorsch spitzte die Ohren.
      Jean Paul stand auf.
      Schorsch blieb auf seinem Fuß sitzen, die Ohren weiter gespitzt.
      Mimi reichte ihm die Hand.
      "Gute Fahrt und viel Glück", sagte sie.
      "Ich finde den Weg nach draußen allein."
      "Davon bin ich ausgegangen."
      Sie stand auf und reichte ihm seine Jacke, die noch auf dem Bett gelegen hatte.
      Schorsch stand auf und wedelte mit dem Schwanz.
      Jean Paul ging raus und setzte sich in sein Auto.
      Der Heimweg dauerte fast zwei Stunden.
      Nach zwei Dritteln des Weges fuhr er aus reiner Übermüdung in Schlangenlinien.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Am Sonntag wird Jean Paul von Superlola als PC-Hotline und von der Nachbarin als Chauffeur benutzt. Am Montagmorgen fährt er nicht zu Mimi, sondern zur Arbeit und auf dem Weg dorthin hat er ein Vorstellungsgespräch. Am Dienstag ist er mit seiner neuen Chefin auf Geschäftsreise und wird Zeuge, wie sie einen Medienexperten verkaspert, der immerhin einst Presse-Chef eines TV-Senders war.
      Avatar
      schrieb am 12.12.06 12:23:12
      Beitrag Nr. 232 ()
      89.

      Abends rief ihn Superlola an.
      "Ich habe mich von meinem Kerl getrennt!"
      Jen Paul war geschockt.
      Damit hatte er nicht mehr gerechnet. Vielleicht war es falsch geween, sich von ihr zu trennen. Es hatte ihn genervt, dass sie ständig über ihren Mann geschimpft hatte und er hatte tatsächlich einmal gesagt "Wenn er dir so das Leben zur Hölle machst, dann solltest du dich wohl von ihm trennen", aber er es erstaunte ihn, dass sie tat, was er sagte. Das machte sie normalerweise nur, wenn sie nackend und scharf war und schon ein gerötetes Hinterteil hatte.
      "Jetzt fehlt mir das, was ich am meisten brauche."
      "Okay", sagte er mit nicht zu unterdrückender und ebenso wenig zu verbergender Erregung.
      "Das brauche ich wirklich tätig und jede Nacht!"
      "Okay..."
      "Sonst kann ich nicht glücklich sein und keinen Schlaf finden und mein Leben taugt nichts!"
      "Soll ich rüberkommen und es dir besorgen?"
      "Nö, du brauchst mir nur zu erklären, was mit meinem PC nicht mehr stimmt."
      "Wieso PC?"
      "Kapierst du nicht?"
      "Was denn?"
      "Ich kann nicht chatten! Meine Internetverbindung bricht immer ab! Ich kann nicht chatten!"
      "Was, du kannst nicht chatteb? Das ist alles?"
      Sie schrie.
      "Alles? Spinnst du? Bist du blöd? Ich kann nicht chatten! ich werde noch wahnsinnig! Ich kriege Lust, jemanden langsam, ganz langsam zu Tode zu quälen! Aaaahhh!!"
      Jean Paul kam der Verdacht, dass es der Kerl gewesen war, der Schluss gemacht hatte.
      Wahrscheinlich war er fortgelaufen.
      Zu Mutter oder Tante oder Oma oder zum Männerheim.


      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul wird von Superlola gequält. Aber nicht zu Tode.
      Avatar
      schrieb am 12.12.06 12:58:30
      Beitrag Nr. 233 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.122.122 von Wolfsbane am 12.12.06 12:23:12"Soll ich rüberkommen und es dir besorgen?"
      "Nö, du brauchst mir nur zu erklären, was mit meinem PC nicht mehr stimmt."

      !!!Männerheim!!!


      Shit! Ich brauch ne neue Tastatur, der viele Kaffee beim lachen :laugh::laugh::laugh::laugh:
      Avatar
      schrieb am 13.12.06 12:16:40
      Beitrag Nr. 234 ()
      "Okay", sagte Jean Paul. "Nur um sicher zu sein, dass ich es richtig verstanden habe..."
      "Die Hoffnung stirbt immer zuletzt", spottete sie.
      "... du gehst also wie immer ins Internet und plötzlich ist die Verbindung weg. Stimmt das so?"
      "Das habe ich doch gesagt", fauchte sie. "Wenn du mir zuhören würdest, bräuchtest du nicht nachfragen."
      "Woran merkst du es, wenn du plötzlich offline bist?"
      "Ich bin es eben", antwortete sie. "Und wenn ich offline bin, dann bin ich offline. Ganz einfach."
      "Kriegst du eine Fehlermeldung? Und wenn ja, was sagt die?", fragte er geduldig. Vielleicht war das hier eine gute Übung für ihn, denn schließlich war es sein Ziel als Telefon-Agent, irgendwann nicht mehr Leute anrufen und ihnen etwas verkaufen zu müssen, sondern angerufen zu werden und Leuten einfach zu helfen.
      "Wo soll die Fehlermeldung sein, wenn der ganze Browser plötzlich weg ist?", fragte sie.
      "Ich verstehe."
      "Hat auch lange genug gedauert!"
      "Wieviel Arbeitsspeicher hat dein PC?"
      "Genug."
      "Wieviel genau? Ich kann dir auch sagen, wo du diese Angaben im System findest..."
      "Ich habe alles, was ich brauche! Und jetzt will ich chatten! Chatten, verstehst du? Chatten!"
      "Sage mir bitte, wieviel RAM du hast."
      "Dreizehn!"
      "Das geht nicht", sagte er.
      "Wenn ich das sage, ist das auch so."
      "Dann ist das aber zu wenig."
      "Im Shop haben die mir gesagt, ich habe reichlich und das ist fast schon zu viel! Lächerlich viel!"
      "Was für einen PC hast du überhaupt?"
      "Intel, Midi Power!"
      "Du meinst... Midi Tower?"
      "Sage ich doch!"
      Er überlegte. Vielleicht war Outbound-Telefonie doch der bessere Job für einen Telefonagenten...

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      JP kriegt Besuch
      Avatar
      schrieb am 13.12.06 13:25:40
      Beitrag Nr. 235 ()
      :laugh::laugh:
      Ein Mathematiker würde sagen:
      die Geschichte von JP ist nicht nur eine notwendige sondern auch eine hinreichende Abbildung der Realität.
      :laugh::laugh:
      Avatar
      schrieb am 14.12.06 12:03:27
      Beitrag Nr. 236 ()
      88.

      Jean Paul besaß eine Schwäche, die er eigentlich vor Superlola um jeden Preis verbergen wollte. Tatsache war, dass er starke Frauen mochte, weil er mit schwachen Frauen die Erfahrung gemacht hatte, dass sie ihre Schwäche gegen ihn einzusetzen wussten, um sich von ihm beschützen und bedienen zu lassen und schließlich eine nicht mehr zu (er)tragende Last zu werden. Jetzt merkte er, dass stark auftretende Frauen manchmal in Wirklichkeit genauso schwach und hilflos waren. Ein Phänomen, das eigentlich typisch für Männer war und das er durch Superlola zum ersten Mal bei einer Frau antraf. Er wollte das allerdings nicht wahr haben. Ihm gefiel der Gedanke, dass eine richtige karrierefrau an ihm Gefallen gefunden hatte und darum glaubte er ihre Lügen, wo es nur eben ging. Er machte sich sogar vor, dass sie jetzt nur so gereizt war, weil er ihr fehlte und dass diese Geschichte über ihren PC nur ein Vorwand wäre, um sich wieder bei ihm zu melden und ihm zu zeigen, dass sie ihn brauchte, auch wenn sie das nicht offen zugeben mochte.
      "Also gut", sagte er, "wenn der Browser plötzlich verschwindet, ist womöglich etwas mit dem Browser selbst nicht in Ordnung."
      "Darauf wäre ich ja nie gekommen!", schnaubte sie.
      "Es könnte auch ein Problem bei deinem Provider geben!"
      "Quatsch, ich habe den Provider nicht gewechselt!"
      "Aber der hat vielleicht die Roter oder die Einstellungen gewechselt!"
      "Hilf mir endlich!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau: keine
      Avatar
      schrieb am 16.12.06 12:22:58
      Beitrag Nr. 237 ()
      Diesmal ein Doppelkapitel als Wiedergutmachung ;) für die Pause:

      89.
      "Welchen Chat willst du denn benutzen?", fragte Jean Paul.
      Inzwischen kamen immer mehr Chat auf, bei denen die Chatter sich über Webcams gegenseitig beobachten konnten.
      "Immer noch den, in dem du mich kennengelernt hast!"
      "Der Chat also, wo praktisch nur Text gezeigt wird und man sich nur so ein Comic-Bildchen zulegen kann..."
      "Was denn sonst? Soll ich etwa offen chatten? So, dass jeder sehen kann, dass ich Männer kennenlernen..."
      "Immer mit der Ruhe..."
      "Da kann ich mich ja gleich an die..."
      "Ruhe."
      "... stellen. Und dann kann ich auch gleich dafür..."
      "Klappe!"
      "... nehmen. Bin ich etwa eine..."
      "Ta geule!"
      Schweigen.
      Er hatte es geschafft.
      Schweigen.
      Das hatte er bei ihr schon einmal geschafft, aber nur ganz zu Anfang, als sie sich noch nicht begegnet waren und sie noch nicht so sicher gewusst hatte, dass ihr Aussehen und ihr Getue bei ihm genauso wirksam wie bei jedem andern Mann war. Wenn sie einmal wusste, dass sie Macht über jemanden besaß, war sie eigentlich überhaupt nicht mehr zu zügeln.
      Er hatte es trotzdem volbracht. Wenn er Raucher gewesen wäre, hätte er sich nun zur Belohnung eine Zigarette gegönnt. Die "Zigarette danach" sozusagen.
      Sie schnaubte.
      Wenn man auf Französisch mit ihr schimpfte, fühlte sie sich getroffen. Aber durch das Telefon konnte sie ihn nicht schlagen. Also konnte er sich nach diesem Telefonat auch ruhig hinlegen und die Augen schließen, ohne eine unangenehme Überraschung zu erleben.
      "Wenn dein Browser abklappt, kann es sein, dass manche Funktionen zu viel Arbeitsspeicher brauchen."
      "Ich habe aber dreizehn Arbeitsspeicher und das ist lächerlich viel. Und Midi Power."
      "Donc... Möglicherweise ist eine der Funktionen des Browsers fehlerhaft und beansprucht darum nicht nur lächerlich viel, sondern unermesslich viel Arbeitsspeicher..."
      Vielleicht hatte sie sich sogar einen Virus eingefangen. Aber das sollte sie sich dann von jemand anders sagen lassen.
      "Und was willst du jetzt tun?", fragte sie in schnippischem Ton.
      "Wir gehen in die Einstellungen und schalten alles ab, was du nicht unbedingt brauchst."
      "Soll ich nicht besser eine Neuinstallation machen?"
      "Das wäre der übernächste Schritt", sagte er.
      "Und was war der zweite Schritt gewesen? Habe ich da etwas verpasst?"
      "Der zweite Schritt wäre, einen anderen Browser auszuprobieren."
      "Den hat der Blödmann gelöscht."
      "Wer?"
      "Der Blödmann!"
      "Welcher Blödmann?"
      "Der, der nicht mehr da ist. Der, der genauso blöd wie sein PC ist, den er mir hier gelassen hat, damit der mich genauso in den Wahnsinn treibt, wie er es vorher selber gemacht hat."
      "Hast du eine Heft-CD oder -DVD?"
      "Was soll das sein?"
      "Donc.. C'est la vie. Dann weiter im Text. Du gehst jetzt in die Einstellungen..."
      Er beschrieb ihr einige Schritte und sie sagte jedesmal, allerdings mit jeweils zunehmendem Zweifel in der Stimme "Ja".
      "Und jetzt..."
      "Was habe ich da überhaupt gemacht?", unterbrach sie ihn. "Für den Fall, dass ich wirklich alles gemacht habe, wovon du da so rätselhaft geredet hast?"
      "Das habe ich dir doch ganz zu Anfang schon erklärt."
      "Das hat mich aber nicht überzeugt."
      Er rieb sich die Augen und zwang sich, ruhig zu bleiben. Wenn er irgendwann bei einer professionellen Hotline arbeitete, würden ihm noch ganz andere Sachen passieren. Zum Beispiel, dass man Anrufer erst belehren musste, ihren PC vor der Arbeit einzuschalten, oder dass die Fax-Software nicht zwangsläufig fehlerhaft war, nur weil nichts passierte, wenn der Kunde das zu faxende Papier gegen den Monitor presste.
      "Was habe ich dir denn überhaupt erzählt?"
      "Das weißt du nicht mehr?", fragte sie aggressiv.
      War er wirklich ein Schwein gewesen, weil er dieser Frau, noch dazu mit ihrer Erlaubnis, den Hintern verhauen hatte?
      Komische Frage, eigentlich.
      "Ich will es von dir hören. Nur um festzustellen, ob du überhaupt zuhörst."
      "Ich höre zu und wenn du einmal etwas sagst, das mir hilft, dann merke ich es mir auch und mache das dann auch wirklich."
      "Und was würde dich zum Beispiel überzeugen, nur so grob von der Richtung her? Irgendeine Idee?"
      "Wenn du jetzt hier wärst...", sagte sie.
      "Bin ich aber nicht. Ich habe auch überhaupt nicht deine richtige Addresse."
      "Aber wenn..."
      "Was!"
      "Dann könntest du das jetzt hier reparieren und ich müsste mich nicht selbst darum kümmern! Dieser ganze Technikkram interessiert mich nämlich überhaupt nicht! Ich will doch nur chatten! Männer sind doch für Technik gut und du bist doch ein Mann, oder? Oder? Tu was!"
      Das führte alles zu nichts. Ihm wurde klar, dass sie durch die Trennung von ihrem Mann keineswegs umgänglicher geworden war. Es hatte Jean Paul zwar genervt, sie ständig über ihren Lebensgefährten schimpfen zu hören und er war bisher davon ausgegangen, dass der Kerl ihr wirklich das Leben schwer gemacht hatte, aber langsam begriff er, dass Superlola mit ihrer Schilderung die Tatsachen auf den Kopf gestellt hatte. Trotz ihres hübschen Gesichts, ihrer schlanken Gestalt und ihres gepflegten Äußeren war sie eine egoistische, rücksichtslose und selbstgerechte Person. Ihrem Mann war es nur zeitweilig, nämlich auf dem Gipfel seiner Stärke, gelungen, sie halbwegs zu zivilisieren. Jean Paul hatte ihr geglaubt, dass sie von Natur aus ein feines, sensibles Wesen und gutes Benehmen besaß und ihre Ausraster nur daher rührten, dass ihr Mann ihr durch irrationales Verhalten "das Leben zur Hölle" machte... Jetzt stellte sich heraus, dass fast alles, was ihm an ihr imponiert hatte, von ihr nur seinetwegen angenommen worden war. Anscheinend besaß der Kerl bei Frauen den gleichen Geschmack wie Jean Paul und huldigte denselben Klischees.
      Nun würde sie all das ganz abschütteln, wie sie auch den Kerl abgeschüttelt hatte, der ihr das alles beigebracht hatte.
      "Kennst du denn vor Ort keinen Fachmann?", fragte er, um die Angelegenheit zu delegieren.
      "Der war heute morgen schon da, aber da habe ich noch geschlafen, weil ich gestern erst spät ins Bett gekommen war..."
      "Er war zu früh?"
      "Nein, das hatten wir so verabredet... Äh, ja, klar, zu früh... ich schlief ja noch..."
      "Warum bist du nicht aufgestanden?", fragte Jean Paul.
      Er hätte das nicht unbedingt fragen müssen und überhaupt maß er diesem Gespräch inzwischen nicht mehr viel Wert bei, aber sie hatte ihn angerufen und da das Ganze nicht auf seine Telefonrechnung ging, konnte er sich auch eine überflüssige Frage leisten.
      "Bin ich, aber da war auch noch der andere Mann. Mit dem hatte ich übrigens ganz normalen Sex, nicht wie mit dir."
      Er schüttelte den unwillkürlich den Kopf.
      "Dein Mann ist kaum weg, da legst du dir schon einen neuen Liebhaber zu?"
      "Du meinst, ich hätte so lange gewartet? Ich kann doch organisieren."
      "Also hast du dir schon einen neuen Liebhaber zugelegt, als das mit uns vorbei war?"
      "Jetzt meinst du sogar, ich hätte auf dich gewartet? Du konntest doch sowieso nur an den Wochenenden!"
      Er überlegte schweigend, ob er einfach auflegen sollte.
      "Du weißt doch, dass ich immer gesagt habe, das ich imer alles sofort haben muss. Das habe ich gleich ganz deutlich klargestellt. Ich habe dich nie angelogen! Und du warst eben an den anderen Tagen nicht da!"
      Er kratzte sich das Kinn und ihm fiel etwas ein, das er noch sagen konnte:
      "Erwartest du ein Abschiedsgeschenk oder so?", fragte er.
      "Ich will jetzt sofort meinen gutan alten Netscape Navigator zurück! Sofort! Jetzt gleich!"
      "Dann gehe zur nächsten Tankstelle oder zu eurem Hauptbahnhof und kaufe dir eine PC-Zeitschrift mit Heft-CD. Das sind auch immer Browser drauf."
      "Ich will das jetzt und sofort und hier und gleich und das ist jetzt kein Spaß mehr!"
      "Gut", sagte Jean Paul, "dann besorge ich jetzt eine solche CD und dann rufe ich zurück. Alles bei Gelegenheit. Tschöö!"
      Er legte auf, stöpselte das Telefon aus und begann auf seinem Computer eine Partie Schach.
      Ein oder zwei Stunden später, als Jean Paul gegen den PC bereits mächtig im Rückstand war, klingelte es wieder an seiner Tür und seine hübsche Nachbarin marschierte erneut ein. Sie tischte ihm wieder irgendeine wirre Geschichte auf, aus der er umso weniger schlau wurde, je mehr Details sie ihm servierte. Klar war nur, dass sie in sein Auto wollte und dass er sie irgendwo hin fahren sollte. Während sie ihn in so tiefe Verwirrung versetzte, dass er schließlich ihre Panik zumindest ansatzweise selber spürte, sah sie ihn immer wieder mit ihren großen, an Scheinwerfer erinnernden Augen an. Als er "Nein" sagte, schalte sie diese Scheinwerfer auf "Fernlicht" und nun war er wirklich total geblendet. Er hörte sich "Na gut" sagen und hatte es kaum ausgesprochen, als sie schon an der Tür stand und "Gehen wir!" rief. Unterwegs wurde er auch nicht schlauer aus ihren Erzählungen. Deutlich war nur, wohin sie wollte. Immerhin schaffte er es, ihr zu widerstehen, als sie ihn erneut anzupumpen versuchte. Wie sich herausstellte, brauchte er sie nicht zurück zu fahren, sondern konnte nach ihrer Ablieferung wieder seiner eigenen Wege ziehen. Er wollte allerdings nur nach Hause zurück. Auf dem Heimweg redete er sich ein, dass sie irgendwann auf irgendeine Weise dafür dankbar sein würde, dass er ihr immer wieder half und dass sie, jung und hübsch und überzeugend wie sie war, sicherlich ihren Weg gehen würde und seine Gefälligkeiten eine gute Investition in die Zukunft bedeuten könnten. Der Grund für seine falschen Erwartungen lag darin, dass er gegenüber Frauen immer wieder denselben Denkfehler beging, so dass man eigentlich schon von einem Webfehler sprechen muss. Erstens konnte er irgendwie nie begreifen, dass Attraktivität und Gesundheit nicht unbedingt identisch waren und auch sehr attraktive Menschen, also Frauen, sich plötzlich ohne äußere Verschlechterung als sehr krank entpuppen konnten. Zweitens wusste er überhaupt nicht, wie gut er wirklich darin war, bei bestimmten Frauen Vertrauen zu sich aufzubauen. Er dachte jedesmal, wenn ein zwar hübsches, aber eigentlich schwaches Mädchen sich traute, ihn zu dominieren, könnte sie das bei allen anderen Leuten genauso. Oft behandelten sie ihn aber nur so, eben weil das ein Vergnügen war, das sie nur mit ihm und keinem anderen Volltrottel kannten.


      90.
      Am nächsten Morgen fuhr er zu einem Vorstellungsgespräch. Der Ort, in dem es stattfand, lag auf seinem Weg zur Arbeit. Er stellte zu seiner Überraschung fest, dass es sch um ein normales Wohnhaus handelte. Mit seinem Klingeln erntete er ein energisches, aber nicht unsympathisches Bellen, das ihn an "Schorsch" erinnerte, aber dann schob ein Berner Sennenhund seinen Kopf durch die sich öffnende Tür.
      Jean Paul fürchtete sich nicht vor großen Hunden, sondern allenfalls vor kleinen Angstbeißern. Seit er Telefon-Agent war und Kaltaquise machte, war es zudem sein tägliches Brot, nett zu Lebensformen zu sein, die ihn zunächst nur anbellten und diese dann zu beruhigen und nach Möglichkeit eine Beziehung aufzubauen.
      "Schön, dass ich dich erreiche", sagte er in prfessionellem Ton zu dem immer noch knurrenden Tier und sofort wurde es zutraulich. Jean Paul tätschelte dem Hund den Kopf und dann sah der Vierbeiner ihn schon fast so treudoof an, wie Jean Paul selbst es immer bei seiner hübschen Nachbarin tat.
      Ein großer Mann von Ende vierzig, normal gekleidet und mit dem Auftreten eines freundlichen Offiziers, lud ihn ein, herein zu kommen. Er zog den Hund zurück, gab Jean Paul die Hand und führte ihn in ein großes Wohnzimmer, wo auf einem weitläufigen Sofa eine kleine, etwas füllige Frau mit einer großen Sonnenbrille saß. Das war die Frau, mit der er am Wochenende telefoniert hatte. Er kannte bereits sehr viele Frauen mit sehr angenehmen Stimmen, aber ihre Stimme war konkurrenzlos.
      "Setzen sie sich doch bitte und entschuldigen sie die Unordnung. Ich muss immer alles in Griffweite haben, denn ich bin blind."
      Er betrachtete sie genauer. Dadurch, dass sie übergewichtig war, besaß sie sehr volle Wangen, aber abgesehen davon war ihr Gesicht wie aus einem Bilderbuch. Schöne Proportionen, absolut perfekte Symmetrie, fast faltenfrei, makellose Zähne. Er vermutete allerdings, dass etwas mit ihren Augen nicht stimmte.
      Jean Paul setzte sich in den Sessel ihr gegenüber und der Hund hockte sich neben ihn und stupste so lange Jean Pauls Hand an, bis dieser ihm wieder den Kopf kraulte.
      "Conan hat aber diesmal sehr schnell Vertrauen gefasst", sagte die blinde Frau.
      "Ich habe ihn mit meiner Telefonstimme angesprochen", erklärte Jean Paul mit der selbigen.
      "Ja, sie klingen sehr nett", sagte die Frau.
      Der Mann schaute ihn prüfend an. Jean Pauls freundliche Stimme entsprach seinem Naturell, aber sein Aussehen schien nicht dazu zu passen. Früher auf dem Schulhof hatte er möglichst abschreckend wirken müssen, um aggressive Idioten, die sich einen Namen machen wollten und bei den Lehrern Narrenfreiheit besaßen, auf Distanz zu halten. Sein Auftreten legte nahe, dass er dabei meistens erfolgreich gewesen war und sein Gesicht zeigte, dass es Ausnahmen gegeben hatte. Der blinden Frau entgingen diese Warnzeichen völlig. Sie schien direkt in seine Seele blicken zu können und ihr Mann hatte offensichtlich gelernt, seiner Frau diesbezüglich zu vertrauen, denn umso länger sie sich mit Jean Paul unterhielt, desto ruhiger wurde er.
      "Sollen wir uns duzen?", fragte sie.
      Jean Paul zögerte einen Moment. Den Chef in der Fabrik hatten auch immer alle geduzt und darum hatte Jean Paul den Fehler begangen, ihn für einen netten Kerl zu halten. Dieser Irrtum hatte ihn fast in den Rollstuhl gebracht. Andererseits musste er hier nicht an schmutzigen, fehlkonstruierten, unzuverlässigen, Salzsäure spuckenden Maschinen arbeiten, sondern nur telefonieren.
      "Gern", sagte er schließlich.
      "Hast du dir unsere Internet-Seite angesehen?", fragte sie.
      "Angesehen und angehört", sagte er.
      Auf der Startseite wurde man gleich nach der Art seines Internet-Anschlusses gefragt und dann um das Einverständnis gebeten, sich eine Sound-Datei auf den PC laden zu lassen. So war er in den Genuss eines beachtlichen Songs gekommen.
      "Wie findest du meine Stimme?"
      "Großartig", antwortete er wahrheitsgemäß. "Sind sie... bist du eine ausgebildete Opernsängerin?"
      Sie kicherte. Das hörte sich tatsächlich noch niedlicher als bei Aphrodite an. Anders als bei Aphrodite klang es aber nicht nur niedlich, sondern auch irgendwie rund und glücklich. Jean Paul empfand aufrichtige Bewunderung für diese Frau, die trotz ihres Schicksals Zuversicht und gute Laune ausstrahlte.
      "Nein, ich bin Autodidaktin. Ich bin auch noch nie vor wirklich großem Publikum aufgetreten. Aber wenn unser Freizeitpark fertig ist, wird es dort auch eine Konzerthalle geben und ich werde die erste Künstlerin sein, die dort auftritt. Mit diesem Auftritt, bei dem ich auch meine CDs verkaufe, finanziere ich dann die Operation, die ich brauche, um wieder sehen zu können."


      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul überlebt die schlimmste Autobahnfahrt seines Lebens.
      Avatar
      schrieb am 16.12.06 13:43:14
      Beitrag Nr. 238 ()
      Der Grund für seine falschen Erwartungen lag darin, dass er gegenüber Frauen immer wieder denselben Denkfehler beging, so dass man eigentlich schon von einem Webfehler sprechen muss
      "Webfehler" oder "web-Fehler"? ;)
      Avatar
      schrieb am 19.12.06 00:21:19
      Beitrag Nr. 239 ()
      91.

      Jean Paul hatte Angst davor, schon wieder nach so kurzer Zeit die Stelle zu wechseln. Als Koch hatte er nach seiner Ausbildung ebenfalls in kurzer Zeit viele Stellen gehabt und geendet hatte es in einer Fabrik in Mief und Schmutz.
      Er fürchtete sich davor, nach einer neuen Serie von Flops wieder im Dreck zu landen.
      Seine angehende Ex-Chefin sah ihm seine innerliche Zerrissenheit an, als er in ihrem Büro erschien.
      "So früh?", sagte sie mit aufmerksamem Blick.
      "Es lohnte sich nicht mehr, nach Hause zu fahren, nach dem ich beim Vorstellungsgespräch gewesen war."
      "Wie ist es ausgangen?", fragte sie.
      "Kann ich hier in Vollzeit anfangen?"
      "Nein", antwortete sie. "Ganz im Gegenteil. Ich finde, sie sollten hier noch weniger Stunden machen, denn ihre Ausbeute an Terminen rechtfertigt nicht, dass sie hier jede Woche 15 Stunden verbringen."
      Die Aussage ärgerte und frustrierte ihn, aber erstens sagte sie nur ihre ehrliche Meinung und zweitens hatte sie Recht. Er konnte sich sowieso nicht mehr vorstellen, jeden Tag 8 Stunden lang irgendwelche fremden Privatleute anzurufen, um ihnen ausgerechnet neue Versicherungen schmackhaft zu machen.
      "Dann ist es eine gute Nachricht, dass ich nun anderswo die Aussicht habe, in Vollzeit übernommen zu werden."
      "Und was müssen sie dafür tun?", fragte sie.
      "Ich brauche nur ausgesuchte, wohlhabende Leute anzurufen, um ihnen einen Ort anzubieten, an dem sie ganz unter sich sein können."
      "Sie sehen aber nicht sehr glücklich dabei aus."
      Er zuckte mit den Schultern.
      "Einiges darin klingt wie aus einem Schicksalsfilm von RTL", gab er zu. "Aber es ist im Moment die einzige Chance, die ich für mich sehe und darum muss ich wohl das Risiko eingehen, dass sich das Ganze irgendwie als Luftschloss entpuppt."
      Und wenn schon.
      Bei dubiosen Angeboten dachte er immer daran, was ein namenloser Börsenspekulanten in einem bekannten Internetforum über Betrüger-Aktien gesagt hatte. Als man ihn damit damit konfrontierte, dass sich seine Empfehlungen bisher immer schon mittelfristig als totale Flops entpuppt hatten, schimpfte er nur auf die Zauderer und gab ihrer Zögerlichkeit die Schuld für ihre Verluste. Er sagte, es gäbe keine schlechten Aktien, sondern nur schlechte Zeitpunkte. In diesem Sinne wären alle Aktien, als er sie empfohlen hatte, zum jeweiligen Zeitpunkt gute Aktien gewesen und hätten ihm viel Freude bereitet.
      Das war natürlich Opportunismus und damit genau das, was Jean Paul die ersten dreißig Jahre seines Lebens am meisten gehasst hatte, aber andererseits hasste er es noch mehr, wohin seine alten Ideale ihn geführt hatten. In die Fabrik, in die Invalidität und schließlich in die Situation, mit vierzig Jahren noch einmal einen beruflichen Neuanfang schaffen zu müssen.
      "Dann wünsche ich ihnen viel Glück", sagte sie ohne jede Ironie und stattdessen mit einem leichten Staunen.
      "Danke. Das kann ich wahrscheinlich brauchen."
      "Wollen sie noch arbeiten?"
      "Ich habe zwei Tage Kündigungsfrist", sagte er.
      "Wenn sie die zwei Tage noch arbeiten wollen, können sie das gern tun."
      "Eigentlich möchte ich lieber die Gelegenheit nutzen, morgen eine Geschäftsreise mitzumachen."
      "Morgen schon!" Jetzt staunte sie wirklich. "Was für eine Blitzkarriere!"
      Er nickte.
      "Anscheinend bin ich zur richtigen Zeit gekommen. Und am liebsten würde ich mich gleich nach einem preisgünstigen Anzug und einer dazu passenden Krawatte umsehen."
      "Okay."
      Sie stand auf und gab ihm die Hand.
      "Wenn sie möchten, können sie sich gern noch von den Kollegen verabschieden. Aber denken sie bitte daran, dass die ihre Termine schaffen wollen. Alles Gute."
      So nett war Jean Paul noch nie verabschiedet worden. Kein "Und bete zu Gotte, dass hier nie jemand anruft und nach dir fragt!" wie von seiner völlig irren und sadistischen Küchenchefin oder "Bleib doch einfach zu Hause, ich habe hier schon genug Krüppel!" wie vom Vorarbeiter in der Fabrik, sondern richtig gute Manieren und Menschlichkeit.
      Verständlich, dass Jean Paul sich als Telefon-Agent fast wie im Paradies fühlte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul trifft dank seiner neuen Chefin auf Medien-Profis und versucht Kontakte zu knüpfen, um seine Westernstory als Drehbuch zu verkaufen. Sein Ruhepuls bewegt sich für einige Tage permanent auf einem Niveau oberhalb seines IQs, denn schließlich haben ihm fast zwei Jahrzehnte lang Küchenchefs und Vorarbeiter eingehämmert, dass jegliches Bemühen sich darin ausdrückt, wie sehr man bereit ist, zu rennen und zu tragen und -vor allem- dabei ins Schwitzen zu kommen.
      Avatar
      schrieb am 19.12.06 00:24:20
      Beitrag Nr. 240 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.230.571 von unlocker am 16.12.06 13:43:14@ unlocker

      Ich meine tatsächlich eine persönliche, psychologische Dauerblindheit bzw. "Pseudo-Debilität".
      :rolleyes::laugh:
      Avatar
      schrieb am 19.12.06 00:44:44
      Beitrag Nr. 241 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.290.482 von Wolfsbane am 19.12.06 00:24:20also etwas typisch männliches ;)
      Avatar
      schrieb am 20.12.06 19:38:08
      Beitrag Nr. 242 ()
      92.

      Als Jean Paul an diesem Morgen seinen Schlips band, war er nervös und brauchte dreimal länger als sonst, um heraus zu finden, welcher Krawattenknoten am besten zu diesem Schlips und Kragen passte. Außerdem war ihm zuvor entgangen, dass es schon seit drei, wenn nicht sogar vier Wochen auf der Bundesstraße keine Bauarbeiten mehr gegeben hatte. Erst als er im Auto saß und nach wenigen Minuten das Ende eines kilometerlangen Staus entdeckte, wurde ihm klar, dass wieder der Normalzustand herrschte. Zum Glück standen mitten auf dieser Bundesstraße, genauer gesagt auf dem eigentlich besten Streckenteil zum Überholen, zwei einträgliche Radarfallen und so waren Herrschenden überhaupt motiviert, wenigstens gelegentlich für freie Bahn zu sorgen. Jean Paul wich auf die Landstraße aus und geriet gleich wieder in einen Stau. Diesmal war es ein Kriechstau. Immer wenn auf der Bundestraße eine Umleitung war, schlichen die Leute über die Landstraße, als könnte aus jedem Kilometerstein plötzlich eine Autobahnabfahrt erwachsen. Auch das hätte er vorhersehen müssen.
      So kam er einige Minuten zu spät.
      Zum Glück war seine neue Chefin eine ganz normale Frau und hatte darum der Versuchung nachgegeben, vor der langen Fahrt und dem Treffen mit den Geschäftspartnern noch eben einkaufen zu gehen. Als sie mit ihrer Fahrerin zurückkehrte, fragte sie ausgerechnet Jean Paul nach seiner Meinung. Damit war er eigentlich total überfordert und so gab er einfach eine nette Antwort und hoffte damit richtig zu liegen.
      Es überraschte Jean Paul, dass der Chef nicht mitfuhr, sondern seiner Frau einen weiblichen Chauffeur und ihn, Jean Paul, als Passagier mitgab. Zunächst freute er sich auf die Fahrt in dem großen BMW, doch schon nach kurzer Zeit litt er mit dem Motor, denn die Chauffeurin schaltete wie seinerzeit Jean Pauls Vater. Genau wie der hatte sie früher LKWs gefahren und schien PKWs nicht nur platonische Abneigung entgegen zu bringen. Sie drehte den Motor in jedem Gang bis in den roten Bereich und schaltete dann so, dass die Drehzahl wieder in den Keller fiel und das Getriebe den Wagen anschließend noch weiter abbremste. Vielleicht lag es daran, dass sie sich überhaupt nicht aufs Fahren konzentrieren konnte, weil sie sich von jeder Frage der Chefin gleich angegriffen fühlte und sich permanent mit ihr stritt. Dabei hielt sie es für wichtiger, der Chefin in die blinden Augen, als auf die Straße zu sehen. Sie guckte immer nur dann auf die Straße, wenn ihre blinde Beifahrerin sie darauf aufmerksam machte, dass schon wieder jemand hupte. Als die Chefin schließlich ganz zu recht und viel zu höflich darauf hinwies, dass jedem normalen Menschen bei diesem Gegurke das Frühstück in die Kehle steigen musste, erlitt sie beinahe einen Nervenzusammenbruch.
      Danach herrschte für ein paar Minuten Schweigen.
      Sie wechselten die Autobahn.
      Die Chauffeuse begann sich mitten auf der Ausfahrt aus ihrer engen Jacke zu schälen und fluchte, während sie einhändig nur noch in Schlangenlinien voran kam und beinahe zur Geisterfahrerin wurde. Jean Paul konnte einfach nicht glauben, was er sah. Er wusste nicht, ob er beten oder lachen sollte. Der Wagen wurde während des Ausziehmanövers so langsam, dass er auch einen Moment in Betracht zog, aus dem Wagen zu springen, was objektiv weniger gefährlich gewesen wäre, als weiter im Auto sitzen zu bleiben und dieser Fahrerin noch länger ausgeliefert zu sein.
      Anschließend guckte die Frau am Steuer auf die Uhr und wurde noch nervöser. Sie versuchte Zeit gutzumachen, indem sie Überholmanöver ablieferte, die sogar noch schlimmer als das waren, was Jean Paul bereits bei seinem Vater kennen gelernt hatte. Auch sein Vater war immer so nah auf den Vordermann aufgefahren, dass man die Stempel auf dessen hinterem Nummernschild lesen konnte, aber sein Vater hatte wenigstens immer erst zumindest kurz nach links gesehen, ehe er dann endlich zum Überholen ausscherte.
      Schließlich mussten sie unterwegs eine Stopp einlegen, um bei der Chefin den Blutzucker zu messen. Die Chauffeurin fuhr dazu auf einen Rastplatz, was im Prinzip ein schöner Gedanke und kein schlechter Ansatz war, hielt dann aber ausgerechnet mitten auf der Ausfahrt. Während Jean Paul der Chefin half, telefonierte die andere Frau mit dem Handy und beschimpfte dann die LKW-Fahrer, die den Rastplatz verlassen wollten und die Abfahrt ausgerechnet an der schmalsten Stelle von einem BMW mit weit offen stehender Fahrertür versperrt fanden.
      Igendwie gerieten sie dann doch wieder auf die Autobahn. Die Türen waren auch immer noch dran. Es gab somit noch Wunder. Leider wartete er vergeblich auf ein weiteres Wunder, denn die Überholmanöver wurden nicht ungefährlicher und das Schalten klappte auch weiterhin schlecht. Immer häufiger fand die Fahrerin nicht den richtigen Gang, wenn sie eigentlich beschleunigen wollte und rührte nur im Getriebe herum. Oder sie konnte gerade überhaupt nicht schalten, weil sie den hinter ihr hupenden Truckern mit der Faus drohte.
      Jean Paul dachte darüber nach, seinen Schlips abzunehmen, mit möglichst vielen Knoten zu versehen und als Ersatz für einen Rosenkranz zu benutzen. Vielleicht betete er am besten direkt zu Petrus, denn mit dem würde er wahrscheinlich gleich sowieso sprechen müssen, von Angesicht zu Angesicht.
      Die Chefin schwieg, während die Fahrerin sich pausenlos rechtfertigte, dass sie doch jetzt wieder gut in der Zeit liegen würde und es doch eigentlich eine feine Fahrt gewesen wäre und sie gleich bestimmt auch noch Zeit übrig hätte, um zu gucken, wohin es denn nun konkret gehen sollte.
      Erst an der Tankstelle, als die Fahrerin sich Zigaretten oder Kaugummis holte, redete die Chefin wieder. Sie sprach von einer Scheidung und Jean Paul hörte möglichst wenig hin, denn in wenigen Minuten würde er dem Herrn wieder nahe sein und er wollte keine Gedanken über Sünden oder Ähnliches im Kopf haben, wenn er abtrat.
      Einige Zeit später, gemessen am zwischenzeitlich stattgefundenen Alterungsprozesses des Helden sogar Jahre später, fuhren sie bei einem Hotel vor. Jean Paul musste seine Tür vorsichtig öffnen, um keinen der Tische umzustoßen, an denen Gäste saßen. Er hätte die Tür aber ohnehin ganz langsam geöffnet, um den Augenblick zu genießen, in dem er wieder festen Boden betrat. Jean Paul brachte die Chefin in die Hotelbar und fuhr dann mit der der Chauffeurin in eine Tiefgarage, was in dieser Kombination spannender und dramatischer als ein bereits stattfindender Blechschaden war. Unterwegs lobte sie wieder fast die ganze Zeit sich selbst und flocht dabei ein paar Bemerkungen über einen Gehirntumor ein, der ihr ab und zu die Konzentration rauben würde. Jean Paul konnte es schon wieder nicht glauben und fragte sich, ob das jetzt eine Aktion mit versteckter Kamera war, über die später die Zuschauer vor dem heimischen Fernsehgerät lachen würde. Aber nein, die Frau sagte die Wahrheit.
      Jean Paul sehnte sich plötzlich nach seinem vorherigen Job zurück. Er hätte lieber wieder fremde Leute angerufen und ihnen von Versicherungen vorgeschwärmt, anstatt daran zurückzudenken, dass er soeben in größerer Lebensgefahr geschwebt hatte, als ein Cowboy bei einem Revolverduell mit zeitgenössischen, im Wilden Westen tatsächlich vorhanden gewesenen Handfeuerwaffen.
      "Wo bist du eigentlich zu Hause?", fragte sie schließlich unerwartet.
      Darüber brauchte er nicht nachzudenken.
      "Wo immer ich einen Tisch mit einem Telefon habe."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul macht den Rückweg mit der Eisenbahn!
      Avatar
      schrieb am 20.12.06 19:59:27
      Beitrag Nr. 243 ()
      :laugh::laugh:
      Und wer ist Schuld? Robert Bosch! Der hat den elektrischen Anlasser erfunden.
      Wenn die Mädels heute noch morgens in der Kälte kurbeln müssten...;):D
      Avatar
      schrieb am 22.12.06 20:13:47
      Beitrag Nr. 244 ()
      93.

      Als Jean Paul mit der Chauffeurin in die Hotelbar ging, wurde er von zwei Fremden begrüßt, die ihn zur Chefin führten und sich unterwegs als ihre Geschäftspartnerinnen Klaus und Rita vorstellten. Sie waren auch gleichzeitig ihre besten Freundinnen. Klaus wirkte sehr smart, aber in Gegenwart der Chefin auch sehr mitfühlend und fürsorglich. Sobald Jean Paul sicher war, dass Klaus sich in keiner Weise für ihn interessierte, fand er Klaus in Ordnung und blieb auch dabei. Rita fand er mehr als nur "in Ordnung". Sie war eine nicht ganz schlanke, sondern etwas pralle Blondine. Auch beim Auftreten zeigte sie nach seinem Geschmack die richtige Mischung, denn sie besaß gleichzeitig Klasse und trotzdem auch im selben Maße Bodenständigkeit.
      Die Chauffeurin, nun auf einmal beinahe unterwürfig, entschuldigte sich und hatte angeblich irgendetwas zu erledigen. Jean Paul sah ihr nach und stellte fest, dass er lieber vor einer heranfahrenden Lokomotive auf den Schienen liegen, als wieder mit ihr in einem Auto sitzen würde.
      Während Klaus die Chefin in ihr Zimmer führte, um ihr zu helfen, sich frisch zu machen und Jean Paul darüber nachdachte, ob er hier nicht auch irgendwo den Angstschweiß von der Autobahnfahrt loswerden konnte, trafen nacheinander der ehemalige TV-Presse-Chef Dr. Obermeier und eine Künstler-Agentin ein. Dr. Obermeier war schon an seinem Haarschnitt und seinem gezwirbelten Bart als Künstler zu erkennen. Er trug sein Hemd offen und zeigte Brusthaar. Jean Paul fand ihn cool und beneidete ihn darum, dass er keine Geheimratsecken hatte. Nicht, dass Jean Paul Geheimratsecken gehabt hätte, aber damit hatte es bei ihm angefangen und inzwischen war er schon einen Schritt weiter. Dr. Obermeier war so, wie Jean Paul einst hatte werden wollen, bevor ihn sein Vater vom Gymnasium genommen und auf die Hauptschule geschickt hatte. Als die Agentin kam, erwies sich Dr. Obermeier als Kavalier alter Schule und Jean Paul lernte, dass das auch heutzutage noch möglich war und andere Männer es schafften, dabei nicht einmal lächerlich zu wirken. Das gab ihm zu denken. Als die Agentin sich vor ihn setzte und ihr Kleid über ihre hübschen Knie zog, kam ihm ein ganz anderer Gedanke. Er fragte sich, ob es nicht paradox war, dass manche Frauen in solchen Berufen gerade dadurch so professionell wirkten, dass sie eben keine echten, sondern bestenfalls Semi-Profis waren. Die echten Profis, die von einem solchen Job wirklich leben und ihre Rechnungen bezahlen und darum permanent gutes Geld verdienen mussten, wirkten oft gestresst, offensichtlich bemüht, ängstlich oder überfordert. Frauen aus gutem Hause, denen ein erfolgreicher Ehemann die Grundversorung sicherte und eine Putzfrau bezahlte, waren da oft viel lässiger und souveräner. Sie waren schließlich sowieso versorgt und mussten nicht arbeiten, außer vielleicht um sich als etwas besseres als eine "Hausfrau" zu fühlen und ein zusätzliches Taschengeld zu haben und dafür Sachen zu kaufen, die sie ihrem Gatten nicht zu zeigen oder gar zu erklären brauchten.
      Endlich kam die Chefin zurück.
      Sie begrüßte Dr. Obermeier, dessen freundliche Stimme nichts von den Zweifeln verriet, die sich in seinem Gesicht unübersehbar widerspiegelten, sowie die Agentin, die einen Knicks machte, obwohl das der Chefin total entgehen musste. Dann setzte sich die Chefin und redete begeistert von ihrem Projekt.
      Die Agentin wirkte zunehmend bestürzt und fragte schließlich, wo denn ihre Aufgabe wäre. Die Chefin reagierte darauf nur mit immer mehr allgemeinen Details. Die Agentin wiederholte ihre Frage in zunehmend kürzeren Abständen und schließlich fragte sie sogar ganz offen, in welcher Weise das Ganze ihr eine Verdienstmöglichkeit böte, was die Chefin ärgerlich machte. Ehe die beiden Frauen ernsthaft in Streit geraten konnten, kam Klaus von einem Ausflug in den Biergarten zurück und meldete, dass dort der bekannte Fernseh-Moderator sitzen würde, von dem die Chefin immer gern erzählte, dass sie ihn kannte. Dr. Obermeier bot sich schließlich an, den Prominenten an den Tisch zu holen und kam wenige Minuten später in dessen Begleitung zurück. Privat wirkte Lutz Wiemüller so unauffällig, dass Jean Paul ihn ohne Erklärungen auf keinen Fall erkannt hätte. Wiemüller betrachtete die Runde widerwillig und begrüßte die Chefin zögerlich. Sehr reserviert beantwortete er ihre Fragen und gab ihr schließlich den Rat, zukünftige Kontakte über seine Agentur abzuwickeln. Als er ging, kam auch die Agentin in Aufbruchstimmung und verabschiedete sich. Dr. Obermeier entschuldigte sich und ging ihr nach. Jean Paul sah ihn und die Agentin dann an einem anderen Tisch zusammen sitzen und sprechen, wobei die Agentin sehr enttäuscht und Dr. Obermeier sehr väterlich wirkte. Die Chefin, die mit dem Rücken zu den beiden saß, bemerkte kopfschüttelnd, dass sie die Agentin unprofessionell gefunden und ihre offene Frage nach Geld als Fauxpas gesehen hatte. Schließlich verließ die Agentin das Hotel und Dr. Obermeier setzte sich wieder in die Runde.
      "Was ist eigentlich ihre Rolle?", fragte er Jean Paul.
      "Ich soll Leute anrufen. Ich bin Telefon-Agent."
      "Call-Agent also", sagte Dr. Obermeier. "Sozusagen ein Callboy", fügte er schmunzelnd hinzu.
      "Wenn sie einen Schönheits-Chirurgen als Liftboy bezeichnen..."
      Dr. Obermeier wirkte überrascht, als Jean Paul damit wohlwollendes Lachen erntete.
      Jean Paul selbst war regelrecht erschrocken. Erstens, dass er wieder einmal gegenüber einem Ranghöheren frech gewesen war und ohne Nachdenken gekontert hatte und zweitens, dass die Lacher das auch noch unterstrichen und den Eindruck vertieften.
      Ehe Jean Paul ihn darauf ansprechen konnte, dass dass es lange keine deutsche Western-Serie im Fernsehen gegeben hatte und er über einen Drehbuchentwurf für einen Pilotfilm verfügte, stand Dr. Obermeier auf und empfahl sich.
      "Ich hatte ihn eigentlich noch etwas fragen wollen", sagte Jean Paul, als der Mann die Bar verließ und sich im Biergarten zu Lutz Wiemüller setzte.
      "Wir sehen ihn heute abend beim Abendessen wieder", sagte Rita und sah Jean Paul forschend an.
      Jean Paul wackelte mit dem Kopf, während er versuchte, ihren Blick zu erwidern, ohne ihren Ausschnitt aus den Augen zu verlieren.
      Sie deutete das als Nicken.
      "Wo ist denn Klaus?", fragte die Chefin.
      "Hast du Klaus gesehen?", fragte Rita.
      Jean Paul schüttelte wortlos den Kopf, wobei seine Augen unablässig das Ziel anvisierten.
      "Wann hast du ihn überhaupt das letzte Mal gesehen?", fragte die Chefin.
      Jean Paul versuchte sich zu erinnern, wie Klaus ausgesehen hatte.
      "Ja", sagte Jean Paul.
      "Er wird schon wiederkommen", sagte Rita.
      "Jean Paul?", fragte die Chefin.
      "Das bin ich", sagte er nachdenklich.
      Es war unhöflich, ihr nicht in die Augen zu sehen. Andererseits konnte sie ihn sowieso nur hören. Dann konnte er auch genauso gut weiter auf Rita gucken.
      "Was denkst du?", fragte die Chefin.
      "Ich?", fragte er.
      "Ja, was denkst du?", fragte ausgerechnet Rita.
      Sie musste es doch wissen.
      "Am besten in einem Wort", fügte sie hinzu.
      Titten.
      Er erschrak.
      "Habe ich etwas gesagt?", fragte er erschrocken.
      "Wir warten noch", sagte die Chefin.
      Er atmete auf.
      "Also, die Agentin..."
      "Können wir vergessen!" ergänzte Rita.
      "Gut, dann sind wir einer Meinung", sagte die Chefin. "Und was meinst du zu Dr. Obermeier?"
      "Ich weiß nicht, ob..."
      "Wir auch nicht", unterbrach ihn Rita.
      "Und schon wieder sind wir uns alle einig", sagte die Chefin.
      "Eigentlich kann er doch jetzt eine Pause machen und sich die Stadt ansehen, oder?", fragte Rita.
      "Sicher", sagte die Chefin.
      "Danke", sagte Jean Paul."
      "In zwei Stunden wieder hier", sagte Rita und führte die Chefin zum Fahrstuhl.
      Jean Paul sah den beiden Frauen hinterher. Es dauerte noch ungefähr zehn Minuten, bis er auch aufstehen konnte. Er wartete noch zwei Minuten länger, um sicher zu sein, nicht umgehend mit einer Verhaftung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses rechnen zu müssen. Und erneut vermisste er die Möglichkeit, duschen zu können, am besten kalt.
      Während er krampfhaft an Dinge dachte, die grausam und darum geeignet waren, jede sexuelle Fantasie zu töten, wie zum Beispiel tote Soldaten, bayrische Nationalgerichten oder die Küchenchefin, bei der er Auszubildender gewesen war, marschierte er zum Bahnhof und kaufte sich eine Lebensversicherung in Form einer Fahrkarte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Nach nur drei Tagen kehrt Jean Paul reuig zur vorherigen Chefin zurück.
      Avatar
      schrieb am 22.12.06 20:22:36
      Beitrag Nr. 245 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.348.646 von unlocker am 20.12.06 19:59:27:rolleyes:

      Unlocker, das war eigentlich kein Beitrag über "Frau am Steuer", sondern über eine Frau, die wie ein Mann fährt...

      Wenn ich mich auch von Jean Paul distanziere, so teile ich sein Unmverständnis darüber, dass manche Frauen mit aller Gewalt männliches Fehlverhalten noch toppen müssen und das für sich selbst als "Kompetenz" :laugh: buchen...:rolleyes:

      :look:
      Die Tatsache, dass mein Text verschiedene Deutungen zulässt, ist übrigens ein Anzeichen dafür, dass ich hier aus Versehen echte Literatur produziere.
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 22.12.06 21:11:18
      Beitrag Nr. 246 ()
      Meine Ironie und mein Zynismus aus anderen meiner postings seien jetzt und hier vergessen.
      Ich verneige mich in Ehrfurcht vor einem der größten Autoren unserer Zeit!
      Avatar
      schrieb am 23.12.06 13:36:23
      Beitrag Nr. 247 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.409.737 von unlocker am 22.12.06 21:11:18@ unlocker

      Meine Ironie und mein Zynismus aus anderen meiner postings seien jetzt und hier vergessen.


      Und was dann kommt, ist der Gipfel der Ironie... ;)

      Zum Glück bin ich nicht der größte Literat des Jahres... denn um ein großer, oder überhaupt Literat zu sein, muss man bekanntlich aus einer reichen und dekadenten Familie stammen, verwöhnt und faul und schwul sein und mehrere Aufenthalte in diversen "Erholungseinrichtungen" vorweisen können...
      :rolleyes::mad:
      Avatar
      schrieb am 25.12.06 22:26:34
      Beitrag Nr. 248 ()
      94.

      Versicherungsvertreter.
      Das musste er werden.
      Plötzlich wurde ihm das klar.
      Wie die Leute ihn auf einmal ansahen, nur weil er Anzug und Schlips trug! Fast unglaublich und schon geradezu lächerlich. Wenn er an einem Spiegelbild vorbeiging, fühlte er sich im falschen Film. Nur in Mafia-Streifen trugen Kerle mit breiten Schultern und Verbrecher-Visagen Anzüge und obendrein Krawatten. Aber anscheinend hatte niemand außer ihm diese Fime gesehen. Andernfalls hätte er nicht solche Blicke geerntet..
      Offensichtlich musste man sich nur in Schale schmeißen und schon waren einem alle Menschen wohlgesonnen. Vielleicht hätte ihn das nicht überraschen sollen, da er seinerseits jeder Frau wohlgesonnen war, die hübsche Beine hatte und eine Minirock trug, aber die Überzeugung, Frauen wären klüger als Männer und würden weniger gucken und mehr denken und auch dementsprechend anders urteilen, saß tief.
      Schließlich kehrte er zum Hotel zurück und traf rechtzeitig zum Abendessen ein. Sein Platz war gegenüber der Chefin und Klaus. Neben ihm saß Rita. Zuletzt trafen der Doktor und seine Frau, eine sehr und auf aristokratische Weise attraktive Gattin ein.
      Der Doktor gab ihm die Hand.
      "Der Konter mit dem Liftboy war ausgezeichnet", sagte er anerkennend.
      Von einem Doktor gelobt zu werden, erinnerte ihn an seine Jugend. Damals, als Teenager, hatte er an Schachturnieren teilgenommen, um einen Ausgleich zur Hauptschule zu haben, wo man ihn als "Professor" verspottete und in jeder Pause gemeinschaftlich zu verprügeln versuchte, woran sich die betreffenden Leute auch jetzt, nach über zwanzig Jahren, immer noch hochzogen, zumal er inzwischen sein Abitur nachgemacht hatte und jemanden mit Abitur zu verprügeln aus ihrer Sicht eine noch viel größere Leistung war, als selbst Abitur zu machen. Inzwischen traf man auf Schachturnieren nicht mehr viele Doktoren oder Bücherwürmer, sondern nur noch Leute, die normalerweise den ganzen Tag vor ihrem PC daddelten und sich entsprechend ihrer diesbezüglichen Ausdauer in echte, arme sowie Halb- und Möchtegern-Profis aufgliederten.
      "Sie haben eine gute Vorlage gegeben", entgegnete Jean Paul.
      Noch etwas, dass er lange nicht mehr erlebt hatte.
      Fairness.
      Etwas, das er auf dem Schulhof und später als Koch bei der Arbeit noch mehr vermisst und an der Börse nie erwartet hatte.
      Der Job gefiel ihm.
      Wenn Superlola davon erfuhr, würde sie ihn sicherlich und endlich respektieren. Sie respektierte ihn zwar jetzt auch schon, aber nur, wenn er Sachen mit ihr machte, die ihm den Selbstrespekt raubten. Er musste einfach an sie denken, denn als er den Doktor neben seiner Frau sitzen sah, da hatte der Mann den gleichen Stolz in den Augen, den Jean Paul stets selbst gefühlt hatte, wenn er mit Superlola in der Öffentlichkeit gewesen war.
      Sie verteidigte ihren Gatten, der bis jetzt noch keine Investitoren für das feudale Projekt aufgerissen hatte, indem sie beschrieb, wie ihre reichen Geschäftsfreunde vor jeder Ausgabe zurückschreckten und nur noch auf Sicherheit bedacht waren. Er nahm den Faden auf und steuerte ein paar Beispiele aus seiner eigenen Berufspraxis als freier PR-Berater bei.
      Die allgemeine Spannung stieg. Rita schien vor Zorn fast zu platzen, Klaus stiegen die Tränen in die Augen und die Chefin setzte gerade an, fürchterlich pathetisch zu werden.
      Jean Paul hatte nichts zu verlieren.
      "Herr Doktor, Sie haben doch beim Fernsehen gearbeitet und wissen also, welche Geschichten die Leute mögen. Sie wissen auch, dass die Leute gerade in solchen schweren Zeiten Geschichten von Leuten lieben, die sich nicht unterkriegen lassen und selbst bei schwersten Schicksalschlägen nicht aufgeben, sondern an ihre Träume glauben. Das ist so eine Geschichte und sie hat umso mehr Wirkung, da es eine wahre Geschichte ist und die Chefin wirklich blind ist... Darum, wenn einer dieses Projekt propagieren und verkaufen kann, sind das wahrscheinlich Sie."
      Alle guckten ihn an.
      Und das platzte es doch noch aus der Chefin heraus.
      "Ich habe schon vierzig Kunden angeworben und Sie noch keinen einzigen! Wenn Sie mir etwas erzählen wollen, dann müssen Sie schon mehr als ich können, aber bisher habe nur ich etwas geleistet und Sie überhaupt noch nichts."
      Der Doktor wollte darauf reagieren, aber sie fuhr ihm über den Mund und wiederholte ihre Aussage nur noch einmal mit stärkeren Worten.
      Jean Paul fand es einfach nur peinlich.
      Er hätte es selbst seinem schlimmsten Feind nicht angetan, ihn so vor seiner Frau zu blamieren. Jean Paul wusste nichts mehr zu sagen udn wollte auch nicht mehr denken. Er hatte Kopfschmerzen, scharrte unter dem Stuhl mit den Füßen, weil er wegrennen wollte, unterdrückte diesen Impuls mit allen Kräften und kam wieder auf einen Rhepuls von ungefähr 130 Schlägen pro Minute und ins Schwitzen.

      95.

      Am nächsten Morgen und am darauf folgenden Tag arbeitete er in seinem Büro an einem Prospekt. Er hatte nicht gedacht, dass es möglich war, das allein mit dem Program Word und im Internet auffindbaren freien Fotos zu schaffen, aber er musste sich selbst das Gegenteil beweisen. Zwischendurch musste er auch mit dem Hund spielen, der stark unter einem Hüftproblem litt und beim Laufen immer wieder hinten einknickte, was ihn aber nicht daran hinderte, Jean Paul immer wieder nachdrücklich zum Ballspielen heraus zu fordern. Jean Paul mochte ihn sehr. Er wusste, wie es sich anfühlte, stark geboren zu sein und plötzlich nicht mehr laufen zu können. Jean Paul war ein Mensch und hatte mehr Verstand, aber sie waren beide Männer und kannten die gleichen Gefühle und das machte sie zu Freunden. Wenn er den großen Hund auf dem Ball herumkauen und dabei quietschende Geräusche produzieren sah, musste er jedesmal lachen und vergaß sogar, dass er eigentlich nur auf die Rückkehr der Chefin wartete, um zu kündigen.
      Nach zwei Tagen war sie wieder da.
      Jean Paul erhielt die vom Doktor erstellte Liste reicher Leute. Leider waren es keine Privat-Adressen, sondern nur die ihrer Firmen, ergänzt durch Telefonnummern aus den Gelben Seiten. Jean Paul musste wiedrholt dieselbe Sekretärin mehrmals anrufen und jedesmal nach einem anderen Mitglied der Besitzerfamilie fragen. Wenn er sagte, dass er auf Empfehlung des Doktors anrief, verleugneten in die Angerufenen gewöhnlich oder verweigerten jede Stellungnahme. Nach einer Weile war er so genervt, dass er es unerträglich fand, auf dem defekten, schnurlosen Telefon im Display nicht erkennen zu können, ob er die Nummern richtig gewählt hatte.
      Schließlich ging er zum Chef.
      Auf dem Weg dorthin kraulte er noch einmal den tapferen Hund.
      "Es könnte schlimmer sein, alter Junge", sagte er zu ihm. "Dich schmeißen sie nicht raus, weil du nicht mehr kannst. Du musst dir auch nicht sagen, dass du dich aus Dummheit selber zu dem gemacht hast, was du bist."
      Der Chef kam dazu.
      "Schon einen geworben?", fragte er.
      "Vielleicht sollte die Chefin lieber selbst telefonieren", sagte Jean Paul bescheiden.
      "Unsinn", sagte der Chef.
      "Immerhin hat sie schon vierzig Leute."
      "Unsinn."
      "Das hat sie gesagt", stellte Jean Paul fest.
      "Ich weiß. Komm mal mit."
      Die drei Männer gingen ins Wohnzimmer.
      "Es geht um deine vierzig Kunden", sagte der Chef und zündetete sich seine Pfeife an.
      "Die gibt es nicht", sagte die Chefin ohne Umschweife.
      "Aber darum bin ich hier", erklärte Jean Paul. "Als ich den Doktor reden hörte, wollte ich schon fast aufgeben."
      "Dafür hast du dich aber weit aus dem Fenster gelehnt", sagte sie.
      Er versuchte sich daran zu erinnern und winkte schließlich ab.
      "Auf jeden Fall", begann er, "hat mir die Auskunft, dass wir schon über vierzig Kunden verfügen, die entscheidende Zuverscht gegeben."
      "Diese Kunden gibt es nicht", sagte der Chef.
      "Die musste ich erfinden, um den Doktor zum Schweigen zu bringen."
      "Das war nicht fair", sagte Jean Paul.
      "Ich musste es tun!", rief sie. "Wie hätte ich ihn sonst in die Schranken weisen können?"
      "Also haben wir keinen einzigen Kunden? Obwohl das Projekt schon seit Monaten läuft?"
      "Wenn du nicht daran glaubst, kannst du jederzeit gehen", sagte der Chef. "Wir zwingen keinen."
      "Der Doktor hat wirklich noch nichts geleistet", sagte die Chefin. "Er hat keinen einzigen Kunden geholt."
      "Wir auch nicht", sagte Jean Paul.
      "Du gibst auf?", fragte der Chef. "Schon wieder?"
      "Du bleibst nirgendwo lange, wie?", erkundigte sich die Chefin. "Wie kommt das?"
      "Gute Frage, oder?"
      "Wer weiß", sagte Jean Paul und stand wieder auf.
      "Dann war es das?", fragte sie.
      "Viel Glück", sagte er und gab ihr die Hand.
      Schon eine halbe Stunde später stand er im Büro seiner vorherigen Chefin und bot ihr an, wieder Termine für Versicherungsvertreter und alle möglichen anderen Schlipsträger zu machen.
      Sie lächelte ihn an.
      "Für das Projekt habe ich schon genug Leute", sagte sie. "Aber Sie kommen genau richtig. Wir haben nämlich endlich ein eues Projekt. Etwas, womit Sie sich schon auskennen!"
      "Wir verkaufen Unternehmern Software oder Investoren Anteile an einem Freizeitpark?"
      "Nein, besser", sagte sie strahlend.
      "Was denn?"
      "Lotto!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul kommt wieder genau da hin, wo die Geschichte angefangen hat. Ist das das Ende?
      Avatar
      schrieb am 25.12.06 22:28:53
      Beitrag Nr. 249 ()
      Zugegeben- was ich ich hier schreibe, sind nicht gerade "Die Buddenbrocks" oder "Tod in Venedig"...
      :rolleyes:
      Bin eben zu gewöhnlich...:cry::cool:
      Avatar
      schrieb am 27.12.06 14:21:57
      Beitrag Nr. 250 ()
      die geschichte verliert an würze :(
      Avatar
      schrieb am 27.12.06 20:36:29
      Beitrag Nr. 251 ()
      96.

      Jean Paul hatte gehofft, seine alten Kollegen wiederzusehen, aber obwohl er nur drei Tage fort gewesen war, fand er abgesehen von der Chefin kein bekanntes Gesicht vor.
      Stattdessen sah er jede Menge leere Plätze.
      Er hatte fast freie Auswahl und ließ sich in dem Raum nieder, der am nahesten an der Kaffeemaschine war.
      Seine alte und neue Chefin sah ihm erwartungsvoll über die Schulter, als er an seinem Computer eine Excel-Tabelle öffnete. Dann gab sie ihm eine Hochglanzbroschüre über die Gewinnchancen beim Glücksspiel.
      "So, jetzt zeigen Sie mal, was Sie können!", sagte sie.
      "Eigentlich ist das nicht gerade das, was ich am besten kann."
      "Aber bei den Terminen für die Versicherungsvertreter waren Sie auch kein Überflieger. Irgendetwas müssen Sie doch auch können."
      "Ist denn jemand anders erfolgreicher, was die Termine für die Vertreter angeht?"
      "Nein", sagte sie, "die anderen waren auch zu schlecht und wir mussten das Projekt aufgeben!"
      "Also waren die anderen zwar auch nicht gut genug, aber trotzdem besser als ich?"
      "Nein, die waren noch schlechter."
      "Also war ich doch gut?"
      "Nein, die anderen waren nur noch schlechter. Gut war keiner. Aber Ihnen gebe ich die Chance, das hier zu machen!"
      Er fühlte sich wie auf der Kirmes. Da hatte er als Kind immer Männer mit Bauchläden gesehen, die Lose verkauften. Die hatten jeden Besucher angequatscht und ihm dss Blaue vom Himmel versprochen. So kam er sich auch vor. Nur konnte er sich nicht aussuchen, wem er etwas anbot. Er musste blind nach einer Liste telefonieren.
      "Okay", sagte er, "ich habe kein Problem damit, einen nach dem anderen anzurufen und zehnmal nacheinander angeschnauzt zu werden, aber ich kann keinen Erfolg versprechen. Beim letzten Mal habe ich in drei Tagen nur ein kleines Los verkauft."
      "Umso besser", sagte sie. "Dann sind Sie genau der Richtige. Die anderen Telefonverkäufer haben das von Ihnen genannte Callcenter nämlich in die Pleite getrieben. Die haben den Leuten immer eingeredet, sie bekämen nur unverbindliche Prospekte. Und wenn jemand wirklich ein Los kaufen wollte, haben sie viel zu hohe Summen eingetragen."
      Jetzt verstand er, warum die erfolgreichen Kollegen alle immer im oberen Stockwerk gehockt und sich vom Teamleiter fern gehalten hatten.
      "Schließlich musste die Chefin wegen der vielen Klagen von Kunden und wegen Schadenersatzforderungen vom Auftraggeber Konkurs anmelden."
      Jean Paul atmete geräuschvoll aus und fragte sich, wie er jetzt schon wieder in diese Situation gekommen war.
      Als die Chefin ihn allein ließ, legte er los.
      Angeblich hatten alle Leute auf der Liste an einem Preisausschreiben teilgenommen und dabei ausdrücklich Interesse an weiteren Glücksspielen bekundet. Ihm war auferlegt, das den Angerufenen gleich nach der Begrüßung zu erklären. Die meisten Leute stritten aber energisch ab, an irgendeinem Preisausschreiben teilgenommen zu haben. Er konnte die meisten zwar rasch besänftigen und dann nett mit ihnen reden, doch das änderte nichts an der Weigerung der Leute, sich seine Angebote anzuhören.
      Die Chefin kam in immer kürzeren Abständen herein und fragte ihn jedesmal, wie viele Lose er schon verkauft hatte. Ihr Ton wurde immer drohender, doch Jean Pauls Ergebnisse und dementsprechend auch seine Antworten blieben die ganze Zeit gleich.
      Nach Feierabend ging er ins Internet-Café und sah sich auf einer Online-Jobbörse um. Er fand eine Anzeige, in der eine Versicherungsagentur Vollzeit-Telefonisten für die Pflege von Bestandskunden suchte. Das klang schon besser. Er rief an und kriegte einen Vorstellungstermin für den nächsten Tag.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul lernt, Versicherungen direkt und sofort am Telefon zu verkaufen.
      Avatar
      schrieb am 27.12.06 20:39:38
      Beitrag Nr. 252 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.494.128 von ruepelig am 27.12.06 14:21:57@ ruepelig

      Ein paar gute Geschichten habe ich noch auf Lager ;)
      Avatar
      schrieb am 27.12.06 22:17:18
      Beitrag Nr. 253 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.503.669 von Wolfsbane am 27.12.06 20:36:29aber die nächsten Jahre beruflicher Möglichkeiten von ruepelig haste je nun wohl zerstört :D was sollllllllllssss :D
      Avatar
      schrieb am 27.12.06 22:45:14
      Beitrag Nr. 254 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.507.910 von unlocker am 27.12.06 22:17:18immer schön locker bleiben.;)
      Avatar
      schrieb am 29.12.06 00:09:57
      Beitrag Nr. 255 ()
      97.

      Jean Pauls Chefin war enttäuscht und darüber hinaus auch wütend, als er am Ende des vierstündigen Arbeitstags keine Lose verkauft hatte.
      "Ich will das mal als Anlaufschwierigkeiten verzeihen", sagte sie.
      Jean Paul zuckte mit den Schultern und versuchte seinen eigenen Ärger zu verbergen.
      "Erholen Sie sich gut, damit es morgen besser klappt", fügte sie hinzu.
      "Danke", sagte er.
      Auf dem Weg nach unten sprach ihn eine Kollegin an.
      "Willst du verkaufen lernen? Richtig verkaufen?", fragte sie.
      "Klar."
      "Willst du wissen, wie ich es gelernt habe?"
      Sie blieb mitten auf der Treppe stehen. Er stoppte ebenfalls und drehte sich zu ihr um.
      "Wir kennen uns doch", stellte er fest. "Hast du nicht auch schon Lotterielose verkauft?"
      "Ach, daher kenne ich dich", sagte sie belustigt. "Wie lange warst du da? Einen Tag oder zwei?"
      "Drei", antwortete er.
      "Ich war sechs Monate da", sagte sie. "Aber drei Tage, das war da auch schon viel."
      "Hast du dein Geld gekriegt?"
      "Ja, bis auf die letzten drei Monate."
      Er musste ein Grinsen unterdrücken. Sie war tatsächlich eine erfolgreiche Verkäuferin gewesen. Aber mit Verkäufern war es so ähnlich wie mit den Revolverhelden im Wilden Westen und Schwergewichten im Boxring. Jeder traf irgendwann einen, der besser war. Revolverhelden wurden irgendwann erschossen, Preisboxer irgendwann selber öffentlich verprügelt und grandiose Verkäufer irgendwann selber betrogen.
      "Die Chefin suchte gerade wieder händeringend jemanden, der Glücksspiel verkaufen kann", sagte er.
      "Sie hat doch dich", sagte sie.
      "Ich bin aber nicht so gut wie du."
      "Nicht annähernd", stellte sie sachlich fest, "aber das kann man lernen. Auch du. Sogar du."
      "Danke."
      Er betrachtete sie lieber, anstatt mit ihr zu diskutieren. Sie gefiel ihm. Nicht zu groß und nicht zu klein. Nicht dick und auch nicht zu dünn. Nicht ungepflegt und trotzdem nicht unecht. Nicht unweiblich, aber auch nicht schwach. Emotional, aber nicht unkontrolliert. Irgendwie in jeder Hinsicht ein attraktiver Kompromiss.
      "Hauptsächlich verkaufe ich Versicherungen", erklärte sie. "Ich bin fast jedes Wochenende auf einem Seminar. Da bringen Sie dir alles bei, was du brauchst. Danach kannst du alles verkaufen."
      Irgendwie klang ihre Stimme trotz aller permanenten Fröhlichkeit auch schneidend und leicht schrill. In ihren Augen flackerte etwas, das irgendwo zwischen Angst und Hysterie anzusiedeln war. Aber sie konnte verkaufen und hatte ein gutes Auftreten. Vielleicht konnte er bei diesen Seminaren wirklich etwas lernen. Oder sie zumindest besser kennenlernen. Wenn er sie ansah, hatte er eine Empfindung, das er von Superlola kannte. Er fühlte, dass er sich anstrengen und etwas riskieren musste, um dieser Frau zu imponieren. Und er wusste, oder glaubte zumindest, dass er genau das brauchte, um in seiner Situation noch einmal so etwas wie eine Karriere zu starten und nicht in Apathie zu verfallen.
      "Okay."
      "Das nächste Seminar ist in drei Wochen", sagte sie. "Vielleicht kann ich dich da noch unterbringen."
      "Aha. Ich heiße Jean Paul."
      "Jean Claude?"
      Sie gab ihm die Hand.
      "Jean Paul."
      "Ich bin Ines."
      "Hallo Ines", sagte er. "Très hereux de faire ta connaissance!"
      "Genau. Bist du morgen wieder da?"
      "Bist du denn morgen da?", fragte er in der Gewissheit, dass morgen wieder sein letzter Tag in dieser Firma sein würde, diesmal sogar endgültig.
      "Ich habe jetzt keine Zeit mehr", sagte sie. "Aber danke, dass du gefragt hast."
      Er sah ihr nach.
      Dann sah er auf seine Armbanduhr.
      Eine Stunde später saß er bei einem Vorstellungsgespräch in einem neuen Callcenter.
      Sein Gegenüber war ein etwa fünfzigjähriger, dicker und sehr gemütlich wirkender Mann. Jean Paul dachte sich, dass es hier nicht allzu schwer sein konnte, sein Geld zu verdienen, wenn der Chef so viel Ruhe ausstrahlte.
      "Und hier muss ich nur Bestandskunden anrufen?", fragte Jean Paul.
      "Es handelt sich um gekaufte Adressen. Das ist genauso gut. Wir arbeiten hier völlig legal und können darum unsere Telefonnummer auch anzeigen lassen."
      Jean Paul nickte.
      "Wir brauchen unsere Telefonnummer also nicht zu unterdrücken", sagte der Chef. "Die Leute können auch zurückrufen und manchmal muss man nur den Hörer abnehmen und schon hat man etwas verkauft. Leichter geht es nicht! Wir haben hier oft Leute, die in anderen Callcentern erfolglos oder maximal mittelmäßig waren und dann hier einen totalen Höhenflug erleben."
      Das klang zu gut, um wahr zu sein.
      "Was verdiene ich hier?", fragte er mit dem Hintergedanken, dass sogar die gerissene Ines schon einmal leer ausgegangen war.
      "Sie müssen zuerst vier Wochen Praktium machen. Wenn Sie arbeitslos sind, brauchen Sie eine Genehmigung vom Arbeitsamt."
      Also konnte er arbeiten und trotzdem legal weiter Arbeitslosengeld beziehen. Er konnte sich also austoben und lernen, ohne auf die materielle Sicherheit zu verzichten, die nur das stets pünktlich am Monatsersten zahlende Arbeitsamt bot.
      "Ich verstehe."
      Auf dem Rückweg zu seinem Auto ging er an einer Abendschule vorbei, die Computerkurse gab und während seiner Umschulung auch Kurse in SAP angeboten hatte. Sein Plan für den Fall der Arbeitslosigkeit war gewesen, dann in dieser Stadt halbtags zu arbeiten und an den Abenden SAP zu lernen, denn dabei handelte es sich um die Schlüsselqualifikation für Industriekaufleute. Nun erfuhr er, dass die Kurse eingestellt worden waren, weil es Schwierigkeiten mit den Lizenzen gegeben hatte. Schade.
      Aber in vier Wochen würde er auch so einen festen Job haben.

      98.

      Abends rief er Lola an.
      "Wie geht es deinem PC?", fragte er.
      "Läuft!"
      "Das dachte ich mir, denn..."
      "Woher willst du das denn gewusst haben?"
      "Weil das Routerproblem deines Providers gelöst ist. Das stand heute in einer Computerzeitung und ich kann dir auch..."
      "Nein, mein PC läuft wieder, weil mir mein neuer Freund alles neu installiert hat!"
      Jean Paul lachte.
      "Das war doch überhaupt nicht nötig!"
      "Aber jetzt läuft er wieder und ich kann auch wieder ins Internet!"
      "Sowieso, denn das Routerproblem..."
      "Du hast es jedenfalls nicht geschafft!"
      "Wie kann ich denn die Router von deinem Provider..."
      "Er hat es jedenfalls geschafft!"
      "Aber ich habe dir doch gerade erklärt, dass es nur an den Routern vom..."
      "Ach, du meinst, der hat umsonst Informatik studiert und da lernt man nichts?"
      "Das habe ich nie behauptet!"
      "Doch! Der hat das aber studiert und darum kann der das auch und der Beweis ist, dass er mein Internet wieder zum Laufen gebracht hat, obwohl du das nicht konntest!"
      Er atmete tief durch.
      "Manchmal frage ich mich, ob du wirklich so bescheuert bist oder nur so tust."
      "Pass auf, dass du nicht verklagt wirst, denn mein Freund ist Rechtsanwalt!"
      "Ich dachte, du hättest gesagt, er wäre Informatiker?"
      "Das ist der ganz neue. Ich habe zwei. Schließlich kann ich weder den einen, noch den anderen jedes Wochenende besuchen. Aber mit zweien passt es."
      "Ein Mann ist dir also nicht genug."
      "Zwei eigentlich auch nicht, aber eine intelligente Frau kann sich einschränken, wenn es nicht anders geht."
      "Kann ich dich mal unterbrechen?"
      "Wofür?"
      "Jetzt kommt gleich ein interessantes Geräusch. Rat mal, was das ist."
      "Ja, mach mal", sagte sie gelangweilt.
      Er legte auf.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul spielt am Wochenende Vater von zwei Kindern, ehe er dann zweifach ins Versicherungsgeschäft einsteigt.
      Avatar
      schrieb am 29.12.06 00:12:36
      Beitrag Nr. 256 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.507.910 von unlocker am 27.12.06 22:17:18:confused:

      Was wollte oder sollte er denn werden?

      Telefon-Agent??

      Schriftsteller?

      Verleger??

      Literatur-Agent??

      Freiberuflicher Anzeigen-Verkäufer für w.o. ??

      :rolleyes: ;)
      Avatar
      schrieb am 30.12.06 12:18:37
      Beitrag Nr. 257 ()
      99.

      Das Ende dieses Gesprächs war auch das Ende des letzten Funkens Hoffnung, doch noch einmal mit Superlola zusammen zu kommen.
      Jean Paul war sehr enttäuscht.
      Er war ernsthaft der Ansicht gewesen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt mit ihnen funktioniert hätte. Er wusste, dass er nicht gut drauf und, um es einmal im Klartext zu sagen, momentan ein Versager war. Er suchte nach wie vor einen neuen Vollzeitjob, hatte seine Rückenerkrankung immer noch nicht ganz überwunden und war dementsprechend auch nicht gut drauf. Für eine materialistische und pragmatische Frau wie Superlola war er darum Zeitverschwendung. Aber er hatte gehofft, die nötige Zeit zu haben, diese Schwierigkeiten endgültig bereinigen zu können. Er hatte sogar gehofft, dass sie ähnlich dachte oder zumindest instinktiv in seinem Sinne handelte und ihr Privatleben in Ordnung brachte, während er mit sich selbst beschäftigt war. Stattdessen wankte er beruflich von einem Reinfall zum nächsten und war immer noch schlecht drauf und Superlola nicht gewachsen. Obendrein war sie noch schwieriger und unbeherrschter und gnadenloser gewesen und hatte nur noch einmal in kleinem Rahmen Kontakt zu ihm aufgenommen, um ihn zu quälen und ihn und sich selbst vergessen zu machen, dass sie einst Respekt vor ihm gehabt hatte.
      Das eigentliche Problem war, dass die Begegnung mit ihr ihn verändert hatte. Irgendwie hatte sie in ihm den Wunsch nach einer festen Beziehung wachgerufen. Im Nachhinein fand er das makaber, denn sie war schließlich die eine Frau gewesen, die ihm von Anfang an klar gemacht hatte, dass er genau das von ihr nicht erwarten und sowieso überhaupt nichts verlangen durfte.
      Jetzt befriedigte es ihn nicht mehr, möglichst viele, möglichst unterschiedliche Frauen kennen zu lernen. Stattdessen wollte er nur noch eine einzige Frau und einen ganz bestimmten Typ von Frau, der eigentlich als Typ überhaupt nicht existierte, sondern nur als Unikat auftrat.
      Seit dieser Begegnung fühlte er nicht mehr wie ein Zwanzigjähriger. In dem Alter hatte er alle auf den ersten Blick interessanten Frauen in drei Kategorien eingestuft. Erstens die sehr weiblichen Frauen, die ihm umso besser gefielen, desto weiblicher sie waren und zweitens die aus seiner Sicht männlich agierenden Frauen, die mit Männern konkurrierten, immer alles kontrollieren wollten und ihm wegen seiner breiten Schultern sowieso keine Chance gaben. Aber jetzt stellte er fest, dass die gleichaltrigen Frauen, die früher für ihn indiskutabel gewesen waren, sich mit dem Älterwerden durchaus positiv verändern konnten und ihm jetzt gefielen, während die anderen gleichaltrigen Frauen, die ihm früher gefallen hatten, oft nur noch fett und frustriert und langweilig oder gar bemitleidenswert waren.
      Er dachte an seine erste Begegnung mit ihr. Wie ängstlich sie gewesen war... Und wie süß... Er fühlte sich auf einmal schlapp und alt. Sein Leben war schon fast vorbei. Alles Gute hatte er schon erlebt. Jetzt war er so wieder der verstorbene Opa seines besten Freundes, der zuletzt auch nur noch von seinen Erinnerungen gelebt und nur noch den Mund aufgemacht hatte, um von seinen Kriegserlebnissen zu erzählen. Ja, er war genauso. Er dachte zwar nicht ständig an einen Krieg zurück, aber Sex mit Superlola war nicht so viel anders gewesen. Er fühlte sich so alt, dass er sich ins Bett legen musste. Erst nach etwa zwanzig Minuten hatte er wieder die Kraft, sich wie ein Mann zu benehmen. Er ging aus dem Haus und hob Geld ab, denn es würde nicht billig sein, sich so zu betrinen, wie es jetzt angemessen und... ... nötig war.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul betrinkt sich und wird wieder nüchtern.
      Avatar
      schrieb am 30.12.06 14:59:49
      Beitrag Nr. 258 ()
      Wow!
      Vorschau:
      Jean Paul betrinkt sich und wird wieder nüchtern.


      Ich hoffe, er schafft das noch in diesem Jahr ;)
      Avatar
      schrieb am 30.12.06 22:03:46
      Beitrag Nr. 259 ()
      100.

      Als Jean Paul nach Hause zurückkehrte, ging es ihm immer noch nicht gut. Aber das Chaos in seinem Kopf und seinem Magen lenkte ihn von dem Schmerz in einem dazwischen liegenden Organ ab.
      Richtig zum Erbrechen war ihm erst, als er das Haus erkannte, in dem er schon seit Jahren wohnte. Warum war er nicht schon längst umgezogen? Warum hatte er immer sein ganzes Geld in Aktien, statt in einen Umzug gesteckt? Wahrscheinlich hätte er dann letztendlich mehr Geld für Aktien gehabt, denn die Miete hier war lächerlich hoch. Der Vermieter hatte sich schon vor vielen, vielen Jahren einen schlechten Ruf erworben, der ehrlich und hart erarbeitet war. Seitdem zogen hier eigentlich nur noch Leute ein, die nirgendwo anders als Mieter angekommen waren. Unter diesen Leuten waren unglaublich oft welche, die mehr kosteten, als sie dem Vermieter einbrachten. Diese Mehrkosten, insbesondere für Instandhaltung, wurden so verteilt, dass diejenigen wenigen, die tatsächlich Miete bezahlten, für ihr Appartment in dieser Bruchbude lächerlich viel abdrückten. Also, warum?
      Jean Paul fiel es in seinem Zustand nicht mehr ein, aber als Autor kann ich es dem Leser verraten. Also, Jean Paul war wegen der vielen weiblichen Singles dort eingezogen. Lange Zeit hatten fast überwiegend alleinstehende Frauen in paarungsfähigem Alter dort gewohnt. Aber Jean Paul war zu spät eingezogen, um noch etwas Gutes abzukriegen. Die weiblichen Singles, die er dort im Treppenhaus getroffen hatte, waren meistens nur sehr selten zu Hause. Gewöhnlich waren es Frauen, die überhaupt kein Geld besaßen und stets schon am Monatsersten alles Geld, was sie nicht hatten, also ihren Dispo, voll dazu benutzten, um sich neue Stiefel und Kleider zu kaufen und damit auf die Suche nach jemandem mit einer größeren Wohnung zu gehen, bei dem sie jeweils so lange blieben, wie er sie als Gast behandelte und verwöhnte und aushielt. Sie hielten sich nur zwischen zwei Männern in ihren eigenen Wohnungen auf und versuchten sich auch nur dann selbst oder auf Kosten von Jean Paul zu ernähren. Inzwischen war es mit den Frauen noch schlechter geworden. Jetzt nahm der Vermieter fast nur noch solche weiblichen Singles auf, bei denen das Sozialamt oder irgendeine andere staatliche Einrichtung die Miete garantierte.
      Schließlich fiel Jean Paul ins Bett und in den Schlaf.
      Am nächsten Morgen wachte er nassgeschwitzt auf, duschte und rannte zum Bahnhof, denn Autofahren wäre illegal gewesen.
      "Was ist denn mit Ihnen los?", fragte die Chefin.
      "Habe was Schlechtes gegessen!"
      "Was ist denn mit dir los?", fragte Ines, als er an dem Zimmer vorbei kam, in dem sie saß.
      "Liebeskummer", knurrte er.
      Aus den Augenwinkeln sah er sie lächeln.
      Er fragte sich, warum sie lächelte, wenn sie erfuhr, dass er Liebeskummer hatte.
      Es war ein vergeblicher Versuch.
      Darauf wäre er sowieso nie, nie, nie gekommen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul kriegt ein Kompliment bezüglich seines Aussehens und muss zwischen zwei Frauen wählen.
      Avatar
      schrieb am 02.01.07 00:18:41
      Beitrag Nr. 260 ()
      Aus irgendeinem Grunde, vielleicht weil er zu oft über Schriftsteller und ihre sogenannten "Musen" oder über weibliche Ausbilder beim israelischen Militär gelesen hatte, glaubte Jean Paul felsenfest daran, dass er nur der richtigen Frau begegnen musste, um zum Erfolgsmenschen mit theoretisch unbegrenzten Möglichkeiten zu werden. Die Überzeugung, dass eine amsprechende, geniale und mit ausreichend weiblicher Intuition gesegnte Dame ihm die Motivation, Inspiration und Selbstsicherheit geben konnte, mit der er alles, wirklich alles erreichen konnte, war in seinem Unterbewusstsein so festgebrannt wie die Codes im Rom eines Computers.Wahrscheinlich würde diese Programmierung selbst dann noch in seinem Hirn nachweisbar sein, wenn es dereinst in eine Urne rieselte. Und darum gab es für ihn keinen Zweifel, dass er irgendwann die richtige Frau verpasst haben musste und darum nicht nur immer noch Junggeselle, sonden auch ohne guten Job war. Er fragte sich nur, welche Frau in der Vergangenheit die Richtige gewesen wäre und ob sie es dann immer noch sein konnte. Oder vielleicht hatte er wie eine Katze neun Leben und darum gab es auch die "Frau seines Lebens" in neun Versionen. Sein Gefühl sagte ihm, dass er bereits acht Leben verbraucht hatte und nur noch eine Chance bekommen würde.
      "Hallo", sagte Ines.
      "Hast du schon Pause?", fragte er.
      "Ich wollte mir nur einen Kaffee holen.", antwortete sie. "Der Weg zur Küche führt bei dir vorbei."
      "Ja, bring mir einen mit, wenn du schon fragst", sagte er verschnupft.
      "Ich wollte nur wissen..."
      "Die blaue Tasse mit dem Löwen, meinem Sternzeichen, ist meine!"
      Als er keine Schritte hörte, sah er sie an.
      Weite Kleidung, flache Schuhe, zerfleddert wirkende Haare, sehr sachlicher Gesichtsausdruck. Nichts deutete auf Paarungsbereitschaft hin und an seinem eigenen Aussehen war zumindest an diesem Morgen garantiert auch nichts, was bei ihr möglicherweise spontan solche Anwandlungen auslösen würde.
      "Dir geht es nicht gut, oder?"
      "Damit hast du dir die Frage schon selbst beantwortet."
      "Womit?"
      "Oder."
      Ihr Gesichtsausdruck blieb sachlich. Kein Anzeichen von Verärgerung oder gar Zorn. Sie hatte also nichts besseres von ihm erwartet oder die Enttäuschung hielt sich in einem sehr schmalen Rahmen. Also war er ihr gleichgültig. Sie brauchte ihn nur, um neue Addressen von Leuten zu kriegen, die vielleicht von ihr eine neue Versicherung kauften. Er kannte das. Er hatte bereits vor seiner Umschulung an einem entsprechenden Seminar teilgenommen und das System des Strukturvertriebs kennengelernt. Für ihn kam das nicht in Frage. Er interessierte sich höchstens dafür, auf einem aktualisierten Seminar neuere Verkaufstechniken zu lernen. Genau das hatte Ines ihm versprochen. Dafür war sie gut. Er rechnete nicht damit, darüber hinaus irgendeine Verwendung für sie zu finden. Stattdessen fürchtete er, dass seine Sympathie für sie noch vor dem Seminar verloren ging, wenn er sich zu sehr mit beschäftigte.
      Vielleicht würde man ihm aber in seinem neuen Job, den er gleich nach dem Wochenende antreten wollte, noch viel besser beibringen, wie man Versicherungen und alles andere verkaufte. Dann ließen sich die mehr als hundert Euro für eines der von Ines angepriesenen Seminare sparen.
      "Nein, dir geht es nicht gut", stellte sie fest.
      Also, Ines war definitiv nicht die Frau seines Lebens und würde ihn nicht mit Inspiration oder Motivation versorgen.
      Sie sagte nur, was er schon wusste.
      "Schade", fügte sie hinzu. "Dann wird es heute aber wieder nicht mit dem Verkaufen klappen. Man muss nämlich gut gelaunt sein, um etwas verkaufen zu können. Das lehrt man dich im Seminar zu allererst."
      "Das ist aber vielleicht ein Ding", sagte er. "Na, und jetzt?"
      "Wahrscheinlich ist dann heute dein letzter Tag in dieser Firma", mahnte sie. "Sie wird dich fristlos entlassen."
      "Das ist genau der Tageserfolg, den ich anstrebe", sagte er. "Ich habe nämlich schon etwas Neues. Für Montag."
      Als eingefleischter "James Bond"-Fan dachte er immer wieder an die Legende, dass Pierce Brosnan erst mit jahrelanger Verspätung und fast überhaupt nicht mehr "Bond" geworden war, weil die Macher einer gewissen TV-Serie ihn nicht frei gegeben hatten. ETwas ähnliches hatte er auch über dessen Vorgänger Roger Moore gehört. Angeblich hatte Moore sogar der allererste "Bond" werden sollen und war wegen ebenfalls wegen des Erfolgs einer TV-Serie dafür nicht frei gwesen. Die Tatsache, dass Leistung und Erfolg sich manchmal überhaupt nicht lohnten, sondern sogar zu Nachteilen führten, ließ sich auch an seinem eigenen Leben aufzeigen. Als er noch, woran er jetzt nicht mehr denken mochte, in der Fabrik tätig gewesen war, hatte er zusätzlich zu seiner Tätigkeit in der Produktion immer wieder im Versand ausgeholfen und darauf spekuliert, dass er komplett dorthin wechseln könnte. Das wäre ein Aufstieg gewesen. Diesen Aufstieg hatte dann aber ein Arbeiter gemacht, den der Vorarbeiter im Gegensatz zu Jean Paul loswerden wollte.
      "Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg", sagte sie streng.
      "Als ich an der Börse spekulierte, gab es eine Maschinenbaufirma, die nur mittelmäßigen Erfolg hatte und darum einen Top-Verkäufer engagierte, um aus der Mittelmäßgkeit heraus zu kommen. Als Erfolgsmensch, der er war, verschaffte er ihnen gleich einen großen Auftrag in Asien und prompt explodierte der Aktienkurs und er bekam so eine fette Prämie, dass er sich umgehend zur Ruhe setzen konnte. Kurz daruf erwies sich, dass die Bedingungen undurchführbar waren und die Firma musste eine unglaublich hohe Konverntionalstrafe zahlen und ging daran pleite. Seitdem misstraue ich sogenannten Erfolgsmenschen."
      "Für ihn hat es doch funktioniert", sagte sie schulterzuckend.
      "Ich kann das hier sowieso nicht verkaufen", erklärte er. "Man hat mir hier schon Jobs und Verabredungen angeboten, aber niemand will die Lose. Ich verstehe nicht, wie du das schaffst."
      "Ich brauche das Geld und darum gehe ich notfalls auch über..."
      Sie schaute sich erschrocken um und kam dann schweigend in sein Zimmer und gab ihm eine Visitenkarte.
      "Ruf mich an, wenn du bereit bist", sagte sie.
      Er nahm die Karte, nickte und sah ihr dann nach. Hübscher Hintern, schöner Gang. Er musste wegsehen, denn in seinem Zustand konnte er nicht viel Aufregung verkraften, ohne ein verdächtiges Rühren im Magen zu verspüren, das ihn jedesmal nach einem großen Eimer Ausschau halten ließ.
      Wenige Minuten später kam die Chefin rein.
      "Wie viele haben Sie verkauft?", fragte sie.
      "Keine", antwortete er.
      "Wie viele haben Sie angerufen?"
      "Tausend."
      "Dann haben Sie mich also angelogen, als sie sagten, dass Sie ein begeisterter und erfolgreicher Veräufer von Losen für Glücksspiel sind."
      "Wer, ich?"
      "Sie sollten sich einmal ausschlafen. Es gibt sicherlich auch etwas, was Sie können."
      "Ja."
      "Und einen Arbeitgeber, für den ausgerechnet Sie und genau Sie von Nutzen sein können."
      "Jau."
      "Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihr restliches Leben."
      Er stand auf.
      "Ich habe Ihnen eine Chance gegeben!", sagte sie mit zornbebender Stimme. "Sogar eine zweite Chance!"
      "Danke", sagte er.
      Dann ging er seine Kaffeetasse spülen und verließ das Gebäude. Draußen auf der Strasse schaute er, ob er neue SMS bekommen hatte und fand eine Einladung von Mimi vor, die mit ihm und ihren Kindern zu einer öffentlichen Veranstaltung gehen wollte. Offensichtlich hatte sie entschieden, dass ihre Söhne ihn jetzt doch kennenlernen sollten. Er nahm die Einladung ohne Zögern an und schickte ihr umgehend ein "Ja".
      Anschließend kaufte er sich einen Eimer und setzte sich damit in den nächsten Zug nach Hause.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Das Treffen mit Mimi nimmt eine überraschende Wendung.
      Avatar
      schrieb am 02.01.07 00:29:20
      Beitrag Nr. 261 ()
      Vorschau:
      Wir heißen JP und den Autor im neuen Jahr willkommen und wünschen ihnen weiterhin soviel Kreativität (oder noch mehr) ;)
      Avatar
      schrieb am 03.01.07 00:37:29
      Beitrag Nr. 262 ()
      101.

      Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause kam er an der Wirtschaftsschule vorbei.
      Dort gab, wie jeden Freitag um diese Zeit, wieder einen langen Stau. Viele Schülerinnen legten entscheidenden Wert darauf, dass ihr Freund an diser Parade teilnahm und sie mit einem möglichst vorzeigbaren Auto so respektabel wie möglich in Szene setzte.
      Damals, als er selbst noch zu dieser Schule gegangen war, hatte ihn das frustriert. Egal wie gut seine Zensuren waren oder wie sehr die Lehrer ihn repektierten, nach Schulschluss zählte nur noch, ob man ein Auto hatte, selbst wenn man es einfach nur von wohlhabenderen Eltern als seinen geschenkt bekommen hatte und wie sehr die Mädchen sich von den anderen Mädchen repektiert fühlten, deren Freunde ebenfalls Autos besaßen.
      Das war alles.
      Natürlich gab es dort auch andere, weniger oder überhaupt nicht materialistische Mädchen. Allerdings war er damals auch an diesen anderen gescheitert. Gewöhnlich waren sie fest vergeben gewesen, hatten also einen festen Freund gehabt oder einer dieser schon im Kindergarten entstehenden Cliquen angehört, wo man allenfalls die Partner tauschte, ansonsten aber unter sich blieb. Er hatte damals zwar immer wieder Freundinnen gehabt, aber darunter nie Mitschülerinnen.
      Zuhause nahm er sich einen Karteikasten mit Französisch-Vokabeln und den den neuen Eimer und ging zur Toilette. Er schaffte es, fast akzentfrei "vomir" zu sagen, während er über der Kloschüssel abwarf. Danach fühlte er sich schlapp und legte sich ins hin. Er legte einen Französisch-Kurs zum Mitsprechen ein und hoffte im Schlaf zu lernen.
      Am späten Nachmittag kam er wieder auf die Beine und machte ein paar Besorgungen. Dabei schaute er immer wieder auf die Uhr, denn er wollte Mimi zurück rufen und er sollte sie immer erst abends nach zehn Uhr anklingeln.
      Eine Minute nach zehn Uhr tat er es.
      Sie meldete sich mit einer sehr verführerischen Stimme. Er dachte an ihr Aussehen und daran, wie attraktiv er sie fand. Früher, noch als Zwanzigjähriger, hatte er oft nur mit Schlterzucken reagiert, wenn andere eine Person als attraktiv bezeichnet hatten. Jetzt fragte er nicht mehr "Was ist denn an der Besonderes?", sondern wusste auch Makellosigkeit oder zumindest Mangel an Makeln zu schätzen. Seine ganze Wahrnehmung war anders als vor zwanzig Jahren..
      "Ich habe beschlossen, dich meinen Söhnen vorzustellen", sagte sie.
      Ihm wurde bewusst, dass sich auch diesbezüglich seine Wahrnehmung verändert hatte. Er stand nicht mehr auf mädchenhafte, irgendwie jungfräulich wirkende Amazonen, die erst noch gezähmt werden mussten, sondern fand Frauen attraktiv, die Kinder hatten und sich um sie kümmerten.
      Und jetzt fühlte er sich sehr geschmeichelt.
      "Gern", sagte er.
      Wenn sie entschieden hatte, dass sie ihn ihren Söhnen zumuten konnte, durfte er sicherlich nächstes Mal auch über nacht bleiben!
      "Geschafft", war sein einziger Gedanke.

      Fortsetzung folgt


      Vorschau:

      Jean Paul findet Geschmack daran, Vater zu spielen
      Avatar
      schrieb am 03.01.07 00:38:26
      Beitrag Nr. 263 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.631.433 von unlocker am 02.01.07 00:29:20Ich wünsche allen meinen Lesern ein gutes Neues Jahr!

      :):):)
      Avatar
      schrieb am 03.01.07 00:50:33
      Beitrag Nr. 264 ()
      danke das wünsche ich dir auch :kiss:
      Avatar
      schrieb am 03.01.07 08:18:05
      Beitrag Nr. 265 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.646.435 von Wolfsbane am 03.01.07 00:38:26Wünsche ich Dir ebenfalls! Möge das Jahr und alles andere Deinen Wünschen gefügig sein ;)
      Und sollte es noch so schwierig werden:
      DU, JP und der Fanclub: WIR KRIEGEN DAS (un)locker HIN!
      Avatar
      schrieb am 04.01.07 19:18:03
      Beitrag Nr. 266 ()
      102.

      Jean Paul wunderte sich zwar, dass Mimi fast während des ganzen Telefonats von ihrer besten Freundin "Dark Leila" redete, deren Namen ihn an irgendwen erinnerte, aber in der Hauptsache freute er sich, dass Mimi ihn noch kannte und dass es ihr nach ihm verlangte. Sie bot ihm sogar nach fünf Minuten an, dass sie ihn zurückrufen und so die Kosten für das Gespräch übernehmen würde, da sie eine Flatrate hätte. Das erhob sie über fast alle Frauen, die man gewöhnlich im Internet kennen lernte und die normalerweise nur Karten-Handys mit Restguthaben von 20 Cent besaßen und die jeden Mann arm telefonierten. Vielleicht hatte er Mimi doch falsch eingeschätzt.
      Am nächsten Nachmittag fuhr er zu ihr.
      Als sie ihm die Tür öffnete, drängelte sich Schorsch an ihr vorbei und sprang Jean Paul freundschaftlich an, während die beiden Söhne der Mutter über die Schulter guckten. Irgendwo jaulte die Bernhardinerin, während Jean Paul noch mit Schorsch rang und dessen Zunge aus seinem eigenen Gesicht zu entfernen versuchte. Als Jean Paul wieder freie Sicht hatte, trieb Mimi die Hündin durch den Flur in die Küche und ihre Söhne folgten ihr.
      Schorsch ließ nun von Jean Paul ab.
      Er ließ den Hund hinter sich und trat ein. Während er darauf wartete, dass Mimi zurückkam und ihn richtig begrüßte, erscholl ihre Stimme aus der Küche.
      "Mach die Tür zu!", rief Mimi.
      Jean Paul drehte sich ärgerlich um und sah Schorsch die Tür schließen. Der Hund schob sie mit der Schnauze zu und sprang dann dagegen.
      "Das wurde aber auch Zeit", rief sie.
      Schorsch lief an Jean Paul vorbei in die Küche und unser Held trottete ihm hinterher.
      "Nimm Platz", sagte Mimi.
      Jean Paul und Schorsch setzten sich gleichzeitig. Mimi und ihre Söhne saßen schon am Tisch und beobachteten ihn. Mimi wirkte zufrienden und ihre Söhne ebenso überrascht wie gelangweilt.
      "Moin", sagte Jean Paul.
      Das machte immer einen guten Eindruck.
      Mimi wollte etwas sagen, aber dann knurrte Schorsch die Hündin an und alle guckten schweigend auf die Tiere.
      "Das glaubt dir doch sowieso keiner!", rief Mimi.
      Jean Paul schüttelte sich, als er sah, wie Schorsch die Zähne fletschte. Jean Paul glaubte ihm.
      "Wir sind spät dran", sagte Mimi.
      Er betrachtete sie erstmals bei Tageslicht. Jetzt fiel ihm der Altersunterschied zwischen ihnen beiden mehr auf. Aber sie war noch akzeptabel und tatsächlich mochte er gut erhaltene, ältere Frauen lieber als irgendwelche kleinen Mädchen, die nur wegen ihrer Jugend attraktiv waren und sich ansonsten schon im freien Fall befanden.
      "Moin", wiederholte Jean Paul, der darauf immer noch keine Antwort bekommen hatte.
      "Mein Auto ist schon voll", sagte Mimi. "Schorsch als der Herr des Hauses passt hier auf, während wir weg sind, aber die Hündin muss ich mitnehmen, sonst pullert die mir in die Küche. Damit sind wir vier. Am besten fährst du hinterher!"
      So war es dann auch.
      Mimi fuhr los und Jean Paul hinterher.
      Zu seiner Überraschung fuhr sie, als wollte sie ihn abhängen. Schließlich hielt sie unterwegs an und stieg aus. Er hielt ebenfalls und ließ das Fenster auf der Fahrerseite herunter.
      "Es ist mir peinlich, weil ich hier schließlich zu Hause bin, aber ich habe mich verfahren!"
      "Okay", sagte Jean Paul. "Brauchst du eine Karte?"
      "Nein, ich weiß wo ich bin. Ich brauche nur einen zweiten Anlauf."
      "Das brauchen wir doch alle ab und zu."
      Sie sah ihn seltsam an. Er fragte sich, ob sein letzter Satz irgendwie aus Versehen beleidigend gewesen war.
      "Meine Kinder mögen dich", sagte sie dann.
      Das schien ihr zu missfallen.
      "Ich mag sie auch und darum gehe bitte von der Straße, denn ich will nicht, dass ihre Mutter überfahren wird!"
      Sie drehte sich um und stöckelte zu ihrem Auto zurück.
      Als er ihr nachsah, wusste er für einen Moment nicht mehr, ob sie Söhne oder Töchter oder nur ein Rudel Hunde hatte. Was er wusste, war, dass sie vor allem einen verflixt geilen Gang hatte.
      Oh ja.
      Endlich fuhr sie weiter.
      Nichts wie hinterher.
      Was konnte er den Söhnen schenken, damit sie ihn wieder mit ihrer Mama allein ließen?

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul wird von Mimi benutzt und fallen gelassen. Ein Hilferuf mitten in der Nacht. Eine sehr attraktive junge Frau gesteht Jean Paul, dass sie für Männer mit Bärten schwärmt.
      Avatar
      schrieb am 04.01.07 19:43:34
      Beitrag Nr. 267 ()
      *Jean Paul wird von Mimi benutzt und fallen gelassen. Ein Hilferuf
      *mitten in der Nacht.
      ja, so kennen wir das ;)

      *Eine sehr attraktive junge Frau gesteht Jean Paul, dass sie für
      *Männer mit Bärten schwärmt.
      na ja, die wenigsten denke ich :)

      aber fahre ruhig fort, ich glaube irgendwie erkennt sich jeder in teilen deiner geschichte :D
      Avatar
      schrieb am 05.01.07 00:28:21
      Beitrag Nr. 268 ()
      103.

      Endlich kamen sie mit beiden Autos bei diesem alternativen Festival an. Mimi nahm sich den erstbesten Parkplatz, in den ihr schicker Kleinwagen hinein passte. Jean Paul musste erst einen eigenen Parkplatz und dann Mimi suchen. Sie wartete nicht auf ihn und nur die Jungs und Schorsch sahen sich nach ihm um. Schorsch war es dann, der es Jean Paul ersparte, rennen zu müssen, um Mimi einzuholen. Er stemmte sich ihrem Zug entgegen und lachte Jean Paul an, egal wie sehr Mimi an der Leine zog. Da war sie wieder, die Tugend, die es den Menschen einst möglich gemacht hatte, die riesigen Mammuts zur Strecke zu bringen und auch die Säbelzahntiger auszurotten, anstatt selbst auszusterben. Das nannte man Kameradschaft. Das edelste aller Gefühle. Die Freundschaft zwischen einem Mann und einem Hund.
      Mimi wirkte unnahbar und unglaublich cool, mehr noch als Superlola bei ihren stärksten Auftritten. Jean Paul glaubte ihr das, obwohl er sie auch als Masochistin kannte, denn inzwischen hatte er gelernt, dass das keinen Widerspruch bedeutete. Masochisten wussten immer, was sie taten. Auch wenn sie normalen Menschen wie Selbstmörder vorkamen, waren sie, ganz im Gegenteil, Überlebenskünstler. Sie wussten, wie sie in unmittelbarer Nähe böser Menschen überleben konnten, wie sie überall überleben konnten. Sie wussten, wie sie von Verbrechen profitieren und trotzdem scheinbar unschuldig bleiben konnten. Sie begaben sich in den Schutz der miesesten Leute, solange es dort nur etwas zu holen gab. Sie ließen sich geben, was ihre Geber anderen geraubt hatten und lachten über diejenigen, die Ideale besaßen und dafür kämpften. Sie wussten einfach, wie sie von den Bösen und den Guten gleichermaßen gemocht und bevorteilt werden konnten. Außerdem
      waren oft sehr stark. Nur starke Menschen kamen überhaupt auf die Idee, sich selbst irgendwelchen Schmerzen auszusetzen, anstatt sie um jeden Preis zu vermeiden. Dazu bedurfte es eines erheblichen Vertrauens in die eigene Stärke und solches Vertrauen konnte ein Mensch nur finden, wenn er wirklich eine gewisse Stärke besaß. Dazu kam, dass Selbstvertrauen wuchs, wenn man sich seinen Ängsten stellte und das übten diese Menschen unaufhörlich.
      Umso mehr Jean Paul über Mimi nachdachte, desto mehr schauderte es ihn.
      Männer konnten böse sein. Männer konnten aber immer noch böser werden, wenn sie darin Ermutigung fanden und für ihre Miesheit sogar noch angehimmelt und mit sexuellen Gefälligkeiten belohnt wurden. Waren die Frauen, die sich mit solchen Männern identifizierten und sich darum in sie verliebten, wirklich besser oder gar unschuldig?
      Jean Paul verdrängte diese Gedanken. Es war unmännlich, so viel zu denken. Männer experimentierten und Männer stritten oder drohten oder forderten und das so lange, bis alles passte, aber sie grübelten nicht und nur Weicheier philosophierten. Jean Paul war der Sohn eines Arbeiters, der nichts außer Reparaturanleitungen und Westernheften gelesen hatten und soviel zu denken, obwohl sein Vater jahrzehntelang über die schwule Bücherleserei geschimpft hatte, verstieß gegen die zehn Gebote, denn nach denen sollte man seine Eltern, auch den Vater mitsamt seiner Weltanschauung, ehren
      Mimis Söhne unterschieden sich vom Aussehen und Auftreten so erheblich, dass man nur an ihrem Umgang miteinander merkte, dass sie zur gleichen Familie gehörten. Es beeindruckte und berührte Jean Paul, was für gute Freunde sie waren und wie sie sich ergänzten. Jedesmal, wenn sein Blick auf sie fiel, galt sein nächster Blick Mimi, denn jedesmal dachte er, dass eine Frau, die so gute Kinder hatte, nicht völlig schlecht sein konnte. Aber umso mehr er sich für diese kleine Familie erwärmte, desto kühler wurde Mimi zu ihnen allen dreien.
      Als sie über den Markt gingen und der jüngste Sohn an einem Marktstand einen bescheidenen Wunsch äußerte, ignorierte sie seine Frage. Der ältere Bruder gab dem Jüngeren etwas zu seinem eigenen Geld dazu. Jean Paul gab ihm auch etwas dazu. So reichte es. Der Kleine bedankte sich. Es gab tatsächlich noch Dankbarkeit und nicht nur solche Menschen wie Jean Pauls hübsche Nachbarin. Das gab Jean Paul Hoffnung und auch Mimis kalter Blick konnte das nicht rückgängig machen.
      "Die mögen dich", fauchte sie und sah ihnen nach.
      Er zuckte mit den Schultern. Dann bemerkte er, dass Schorsch sich gegen ihn drückte.
      Jean Paul kraulte ihn hinter den Ohren.
      "Sogar der!", schimpfte sie.
      "Das wolltest du doch, oder?"
      "Warum?"
      "Oder warum hast du mich ihnen sonst vorgestellt?"
      Sie schwieg und setzte sich einen Sonnenbrille auf.
      Nach zwei Stunden familiären Zusammenseins wollte Mimi zurück zum Auto. Sie verließ das Festival. Erneut hängte sie ihn fast ab. Er hielt sie am Arm fest. Ihre Söhne liefen weiter.
      "Wir müssen noch zu meiner Mutter", sagte sie mit einer Kälte, die ihn an Superlolas gespentische Stimmungen erinnerte. „Da kannst du nicht mit.“
      „Ich dachte, es hätte etwas zu bedeuten, wenn du mich jetzt doch deinen Söhnen vorstellst.“
      „Wieso? Du hast doch diesmal nicht bei mir übernachtet. Das ist jetzt genauso, als wenn ich eine Freundin mitnehme!“
      "Was ist mit diesem Heini, der dich, äh, versklaven wollte?"
      "Das ist verschoben, nicht aufgehoben."
      "Was soll das überhaupt?"
      "Evil Räd Bärron ist nicht wie du."
      "Und umgekehrt. Gott sei Dank. Wo lernt man solche Kanaillen überhaupt kennen?"
      "Internet, was sonst. Lakkaffenparade.de"
      "Du hast zwei Kinder. Findest du es verantwortlich..."
      "Und ich dachte schon, nur mein Jüngster könnte so nervlich sein!"
      Jetzt wurde er zornig.
      "Vergisst du immer, wie jung der ist? Andauernd höre ich dich über ihn lästern, während du für deine dreimal so alte und hundertmal so bescheuerte Freundin Dark Leila..."
      Sie klebte ihm eine.
      "Du hast kein Recht, so zu reden!"
      Sie riss sich los und ging. Ein paar Meter später drehte sie sich um und rif ihm zu, er sollte nicht mehr anrufen.
      Jean Paul fuhr nach Hause und ging ins Internet. Auf der genannten Seite fand er ein Profil von Mimi. Es trug ihren Nicknamen, enthielt eine überraschend genau und detaillierte Beschreibung ihrer körperlichen Vorzüge, ein ausdrückliches Bekenntnis zur Bisexualität und ihre Lieblingssprüche. Es lieferte überdies die Information, dass sie an dem Tag, als sie ihn telefonisch zu dem Familienausflug eingeladen hatte, die "Sklavin" von "Evil Räd Bärron" geworden war. Er fand sogar die Angabe, dass sie dieses Bekenntnis genau eine Stunde vor dem Anruf bei ihm hier gepostet hatte. Als er den Namen dieses Mannes anklickte, las er in dessen Profil, dass Mimis beste Freundin "Dark Leila" sich auf dieser Seite schon lange vorher als seine "Sklavin" registriert hatte. Obwohl Jean Paul auch nicht gerade wie ein Schauspieler aussah und sich dessen bewusst war, empfand er das Aussehen dieses Mannes extrem abstoßend. Der Kerl sah so böse aus, dass er ihn schon lächerlich gefunden hätte, wenn er nicht auch so widerlich gewesen wäre. Und es war total klar, dass Mimis Söhne und Schorsch genauso reagieren würden. Damit gab plötzlich alles Sinn.
      Er rief sie auf ihrem Handy an.
      "Du hast es also doch getan", sagte er mit einem nicht zu unterdrückenden Knurren.
      "Was dachtest du denn", stellte sie fest, ohne dass es wie eine Frage klang.
      "Aber deine Söhne sollen nicht sehen, mit was für einem Mann du dich wirklich triffst."
      "Sie sind noch zu jung. Aber dich mögen sie. Sie sind eben noch jung."
      "Ich verstehe. Du hast mich benutzt. Du veräppelst jeden."
      "Ich habe gesagt, du sollst mich nicht mehr anrufen", fauchte sie.
      "Und?"
      "Und ich sage das nicht zweimal. Du bist stark, aber mein Herr kennt viele, die stärker als du sind. Und billig."
      Sein Seufzen klang fast wie so wie das von Schorsch, als er sich einst nachts auf Jean Pauls Fuß gesetzt hatte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul muss am frühen Morgen zu einem Rettungseinsatz ausrücken und mitten in der Nacht eine Frau von einem zwielichtigen Ort holen und nach Hause bringen.
      Avatar
      schrieb am 05.01.07 00:33:03
      Beitrag Nr. 269 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.679.614 von ruepelig am 04.01.07 19:43:34@ ruepelig

      Jetzt weißt du, inwiefern JP von Mimi benutzt wurde. Das war vielleicht nicht so, wie du vielleicht dachtest.
      ;):laugh:
      Und die andere Sache entwickelt sich auch nicht so, wie man(n) es sich wünschen würde...
      :rolleyes:
      Irgendwie ist die ganze Geschichte total aus dem Ruder gelaufen. Eigentlich sollte das Ganze wie das Drehbuch zu einer lockeren Komödie daher kommen, aber dann musste ich während des Schreibens beruflich ein paar Tiefschläge einstecken und auf einmal merke ich, dass ich Amok filofiere wie dereinst der junge Thomas Mann, von dem meine Dozenten damals schwärmten, er hätte noch eine viel größere Perspektive als alle heutigen Autoren gehabt...
      :eek:
      Aber wenn jeder etwas für sich findet und dafür auch über die uninteressanten Stellen hinweg lesen kann...
      ;):cool:
      Avatar
      schrieb am 07.01.07 18:31:06
      Beitrag Nr. 270 ()
      :eek: Da hat aber der Lektor ;) nicht aufgepasst. :eek:
      Erst war da noch ein Bernhardiner und der Schäferhund musste zu Hause bleiben und dann ist da auf einmal nur noch der Schäferhund! :rolleyes:
      Hat der denn den Bernhardiner gefressen?? :cry:
      Watt hatt ich mir nur dabei gedacht !! :confused:
      Avatar
      schrieb am 07.01.07 18:32:59
      Beitrag Nr. 271 ()
      104.

      Jean Paul fand sich damit ab, dass er in dieser Nacht alleine schlafen würde. Er nahm sich seinen Walkman und sein Fahrrad und radelte so lange nach Norden, bis seine Muskeln so müde waren, dass er eigentlich keinen Meter mehr fahren konnte. Dann drehte er um und fuhr zurück. Zeitweilig musste er sich in die Pedalen stellen, um weiter voran zu kommen. Schließlich wurde ihm bewusst, dass er auf dem Hinweg Rückenwind gehabt hatte und der Wind zwar seine Stärke verdoppelt, seine Richtung aber unverändert gelassen hatte. Als er endlich wieder zu Hause ankam, waren seine Beine so ausgepumpt, dass er kaum noch laufen konnte. Er schleppte sich die Treppe zu seinem Appartement hoch und ließ sich ins Bett fallen, um nun wie ein Stein zu schlafen. Das ging aber nicht. Kopfschmerzen. Es pochte in seinem Schädel und sein Herz machte immer noch die gleichen Umdrehungen wie zuletzt auf dem Rad beim Endspurt. Er schluckte zwei Aspirin und machte sich in der Mikrowelle Milch heiß, um sie dann zu trinken. Aber anschließend konnte er immer noch keine Ruhe finden. Die Muskeln waren müde und fertig und der Kopf gab jetzt auch Ruhe, doch darum machte sich eine andere Stimme in seinem Inneren nur noch lauter bemerkbar. Er versuchte an etwas Einschläferndes zu denken, wie zum Beispiel das Fernsehprogramm oder die immer gleichen, nichtssagenden Beteuerungen gewisser Politiker. Irgendwie wanderten seine Gedanken jedesmal ab, zur GEZ oder zu Berichten über Diätenerhöhungen und schließlich war nicht mehr an Schlaf zu denken. Er machte sich einen starken Kaffee, zog sich an und fuhr mit dem Auto zu einer gewissen Straße in einer gewissen Stadt. Nur wenige der Schaufenster waren besetzt und die Besetzerinnen wirkte frustriert, denn obwohl einige Männer auf der anderen Straßenseite abhingen, gab es kaum Nachfrage. Jean Paul war zu müde im Kopf, um sich zu erinnern, warum das so war. Als er sich für eine Frau entschieden hatte, wurde er jedoch sehr zügig daran erinert, weshalb er relativ lange nicht mehr hier gewesen war. Die Frau war nämlich so unfreundlich, dass es ihm zunächst seine ganze Lust raubte und als er dann endlich doch wieder so weit war, verweigerte sie sich mit dem Argument "Zeit ist Geld" und verlangte eine Nachzahlung.
      "Ich habe nicht mehr dabei", log er.
      "Dann geh zum Geldautomaten."
      "Ich will mich jetzt nicht erst anziehen und dann zum Geldautomaten gehen!"
      "Dann gib mir deine Karte. Ich gebe sie dann einer Kollegin und wir können uns so lange hier unterhalten. Aber nur reden."
      "Kommt nicht in Frage!"
      "Warum nicht?"
      "Ich habe erst neulich in der Zeitung gelesen, dass jemand in einem Puff so blöd war, einer der Damen seine Karte und seine Nummer zu geben und dass sie ihm daraufhin das ganze Konto leer geräumt haben."
      "Dummheit muss bestraft werden."
      "Er ist dann sogar vor Gericht gezogen und hat erklärt, dass die abgehobene Summe in keiner Weise den erbrachten Leistungen entsprach, aber der Richter meinte, im Puff würden andere Gesetze gelten und darum blieb es dann dabei. Das Geld war weg.“
      „Dummheit muss bestraft werden. Das habe ich doch gerade schon gesagt.“
      „Und warum sollte ich dann so dumm sein, dir meine Karte zu geben?“
      Sie zuckte mit den Schultern.
      „Du kannst doch so ohnehin nicht auf die Straße gehen“, sagte sie.
      Da hatte sie Recht.
      „Kann ich den Spülstein benutzen und kaltes Wasser drüber laufen lassen?“
      „Kostet das Gleiche wie die Verlängerung“, sagte sie.
      „Das ist Wucher“, protestierte er.
      „Du hast doch gerade selber erklärt, was Richter dazu sagen. Im Puff gelten andere Gesetze.“
      „Für kaltes Leitungswasser?“
      Sie starrte ihn an.
      „Ehrlich gesagt kostet es sogar noch mehr, wenn du das da ohne mich loswerden willst.“
      Da hörte er eine gewisse Sympathie raus, was ihn dann doch wieder mit ihr versöhnte. Er nahm sein Portemonnaie und gab ihr seinen Rest an Bargeld. Allerdings dachte er keinen Moment daran, ihr seine Karte zu geben und deshalb dachte er auch überhaupt nicht daran, nachzusehen, ob er sie überhaupt mitgenommen hatte. Tatsächlich hatte er das nämlich nicht. Er hatte befürchtet, in Versuchung geführt zu werden, sich zu ruinieren. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass eine Frau ihn erst hineinließ und dann umgehend nachverhandelte und ihn zum Geldautomaten schicken wollte. Darum war er so lange nicht mehr hier gewesen.
      Eine halbe Stunde später setzte er sich wieder in sein Auto und ließ es an. Erschrocken sah er, dass der Tank fast leer war. Noch erschrockener war er, als er seine Bankkarte nicht fand und ihm einfiel, dass er sie aus einem gewissen Grund überhaupt nicht mitgenommen hatte.
      Jetzt war er blank.
      Zum Glück waren die Straßen fast leer.
      Er fuhr behutsam an und rollte dann, so sanft und so wenig beschleunigend wie möglich, in Richtung Autobahnzufahrt. Dort begab er sich in den Windschatten eines Lastwagens. Der Fernfahrer machte Platz, indem er auf den Seitenstreifen fuhr. Jean Paul folgte ihm. Eine halbe Stunde lang hatte er Angst, dass er mitten auf der Autobahn liegen bleiben würde oder dass der Fernfahrer sich persönlich verfolgt fühlte und aus Misstrauen die Polizei alamierte. Dann machte er sich wieder selbstständig und fuhr von der Autobahn ab. Auf der Ausfahrt pendelte der Zeiger der Tankanzeige mehrmals nach ganz links und verließ den roten Bereich in Richtung Nirgendwo.
      Wenn er Glück hatte, blieb er wenigstens nicht mitten auf der Ausfahrt liegen.
      Ob Jean Paul ein Glückspilz war, überlasse ich der Einschätzung des Lesers...

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Held erreicht eine Tankstelle. Ob im Auto oder zu Fuß, wird sich zeigen. Aber noch ehe es wieder hell wird, ist er erneut mit seinem Auto unterwegs. Was vielleicht erklärt, warum manche Männer ihre Autos mehr als ihre Autos lieben. Autos sind nicht nachtragend und können nicht erzählen...
      Avatar
      schrieb am 08.01.07 12:21:11
      Beitrag Nr. 272 ()
      105.

      Als er das Ortsschild passierte, überlegte er, ob er jetzt sofort halten und Sprit sparen und zu Fuß nach Hause gehen sollte. Aber wenn er zu weit und zu lange zu Fuß ging, wurde der Motor wieder kalt und dann verbrauchte er vielleicht beim Neustart das entscheidende Tröpchen zuviel Sprit. Schließlich entschied er sich für einen Kompromiss und hielt in der Nähe der einzigen rund um die Uhr geöffneten Tankstelle seines Ortes. Die lag zufällig auch strategisch günstig, denn auf dem Rückweg von zu Hause zum Auto kam er an einem Bankautomaten vorbei und musste somit keine Umwege laufen und den Motor nicht noch mehr abkühlen lassen.
      Irgendwann kam er dann endlich auch mit dem Auto bei sich zu Hause an. Er verließ den wieder vollgetankten Wagen und ging direkt ins Bett. Aber etwas später klingelte wieder sein Telefon. Seine Nachbarin wollte abgeholt werden. Sie befand sich irgendwo im Niemandsland zwischen seiner und der Nachbarstadt auf einem von Alt-Hippis bewohnten Bauernhof und musste nun gerettet werden. Was sie dort verloren hatte, wie sie dorthin gelangt war oder warum es sich dabei jetzt um einen Notfall handelte, konnte sie nicht erklären. Sie war nur wieder total hektisch und aufgelöst und darum saß er wenige Minuten später wieder im Auto. Zehn Minuten nachdem er am vermeintlichen Ende der Welt angekommen war, entdeckte er auf dem Landwirtschaftsweg ein Hinweisschild für einen Privatweg.
      Seine Nachbarin saß mit etlichen seltsamen Gestalten an einem Lagerfeuer. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft und alle rauchten dicke Zigaretten. Jean Paul setzte seine Bekannte auf den Beifahrersitz, fuhr los und drehte das Radio voll auf. Falls sie ihm etwas erzählen würde, machte das alles sowieso nur verwirrender.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul erfährt, dass die Nachbarin bald nicht mehr seine Nachbarin ist.
      Avatar
      schrieb am 09.01.07 12:11:44
      Beitrag Nr. 273 ()
      106.

      Er sah sie nicht an, aber er sah sie trotzdem. Er hatte das Bild vor Augen, wie sie ihm zum Auto gefolgt war und wie ihre langen Haare dabei im Wind flatterten. Das war für ihn ein Schlüsselreiz. Er verhielt sich darauf ähnlich wie die berühmten doofen Fische, die in einem biologischen Experiment die Attrappen mit den für sie ausschlaggebenden Schlüsselreizen den echten Weibchen vorgezogen hatten. Sie war viel zu jung für ihn und das machte sie praktisch auch zur Attrappe. Zu einer Superlola-Attrappe.
      Jean Paul besaß übrigens eine Entschuldigung dafür, dass er total darauf abfuhr, wenn eine Frau ihre Haare im Wind flattern ließ und sich daran auch nicht störte, oder das sogar gern hatte. Diese Frauen waren oft sensibler und gleichzeitig toleranter, also sinnlicher als jene Frauen, die ihr ganzes Leben irgendeinem vernünftigen Zweck widmeten und jede Minute verplant hatten. Frauen, die ihre Haare kurz schnitten, um morgens im Bad fünf Minuten schneller fertig zu werden, hatten meistens auch keine fünf Minuten für irgendwelche Gefühle übrig und dementsprechend auch keine Zeit und keinen Sinn für Jean Paul.
      Er fragte sich, wie lange das noch so weitergehen würde. Es kam oft vor, dass Nachbarinnen seine Dienste in Anspruch nahmen, aber meistens zeigten sie sich dann dankbar, wenn auch nur jeweils für eine kurze Zeit, also jene Zeit, die sie brauchten, um einen spendableren Mann mit einem größeren, repräsentativeren Auto zu finden. Für diese Nachbarin schien es aber schon selbstverständlich zu sein, dass er immer für sie da war. Sie machte auch keine Anstalten, einen anderen Fahrer zu finden, sondern schien stattdessen dominante Habenichtse zu bevorzugen, mit denen sie sich jedesmal nach kurzer Zeit wieder zerstritt.
      Nachdenklich kraulte er sich den Bart.
      "Was ist mit deinem Bart?", fragte sie.
      Er machte die Musik leiser.
      "Was?"
      "Was ist mit deinem Bart?", fragte sie erneut.
      "Vielleicht mache ich ihn ab..."
      "Nein!", rief sie. "Bloß nicht!"
      Was war denn jetzt los?
      "Der Bart steht dir wirklich gut. Ich finde es super, wenn ein Mann einen Bart trägt! Lass den bloß dran! Sonst gefällst du mir nicht mehr!"
      Er war so verblüfft, dass er gleichzeitig Gas und Kupplung durchtrat.
      Er sah sie an.
      Sie meinte es.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Bart bleibt dran.
      Avatar
      schrieb am 10.01.07 12:12:47
      Beitrag Nr. 274 ()
      107.

      "Mein Vater hat nämlich auch so einen Bart und der sieht damit wirklich gut aus. Bei dir sieht es nicht ganz so gut aus, aber jedenfalls auch nicht ganz schlecht. Ich finde, Männer sollten einen Bart haben. Außer meinem Freund natürlich, denn den küsse ich schließlich. Ein Mann, den ich küssen soll, darf keinen Bart haben, weil das dann fürchterlich kratzt. Aber bei älteren Männer wie meinem Vater und dir gefallen mir Bärte."
      "Bin ich etwa so alt wie dein Vater?"
      "Ja, klar."
      "Wie alt ist er denn?"
      "Genau im selben Alter. Sage ich doch."
      Seltsam, wenn er mit Mimi und ihren Söhnen unterwegs war, gefiel ihm die Vaterrolle, aber anscheinend war das ein Einzelfall.
      "Wie alt bin ich denn?", fragte er gereizt.
      "Über dreißig. Eben genauso alt wie er."
      Jean Paul drehte die Musik wieder lauter.
      Sie beschäftigte sich wieder mit ihrem Handy.
      Er bereute, dass er ihr das Handy besorgt hatte. Das war natürlich wieder typisch. Wann immer er Frauen half, verwandten sie alles, was er für sie tat, direkt gegen ihn. Ob er ihnen Informationen gab, etwas erklärte, Bekanntschaften vermittelte oder was auch immer, jedesmal stand er ihnen gegenüber anschließend schlechter da.
      Auf dem weiteren Weg drehte er ds Radio kurz wieder leiser, um sie zu fragen, ob er auf dem richtigen Weg nach Hause war.
      "Keine Ahnung", antwortete sie ohne Hinsehen. "Fahr einfach. Passt schon. Aber ich muss mich jetzt auf diese SMS konzentrieren!"
      Einen Moment fühlte er solchen Är4ger, dass er daran dachte, einfach in einen dunklen Waldweg abzubiegen und ihr zu zeigen, dass er nicht ihr Vater und auch noch nicht so alt war, wie sie meinte. Doch kein Waldweg konnte so düster und bedrohlich wie der Ort sein, von dem er sie abgeholt hatte und womöglich würde sie sich im Dunkeln weniger als er selbst fürchten.
      Er fuhr weiter.
      Zwanzig Minuten später fuhren sie auf den Parkplatz hinter dem Haus, in dem sie beide wohnten.
      Er hielt, schaltete das Lict aus und den Motor ab.
      Sie blieb sitzen und tippte einfach weiter.
      Er legte seinen Arm um sie.
      Nichts.
      Keine Reaktion.
      Aber auch das war eine Antwort.
      Sie tippte einfach weiter.
      "Wir sind da", sagte er.
      "Wo?"
      Er tätschelte ihr Knie, während der andere Arm weiter auf der Lehne ihres Sitzes lag.
      Wieder keine Reaktion.
      "Wir sind genau da, wo wir sein wollten", sagte er. "Alle beide."
      Endlich sah sie ihn an.
      Sie sagte nichts über die Hand, die irgendwie selber den Weg auf ihr Knie gefunden hatte und sich dort ausruhte.
      Er erwiderte ihren Blick.
      "Übrigens, mein Bart ist ganz weich und kratzt nicht", sagte er.
      Sie kraulte ihm das Kinn.
      "Stimmt."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Autor ist selber zu aufgeregt, um das jetzt auch noch auf die Reihe zu kriegen.
      Avatar
      schrieb am 11.01.07 12:17:09
      Beitrag Nr. 275 ()
      108.

      "Du hast einen guten Muskeltonus", sagte er für den Fall, dass ihr etwas entgangen war. "Viele so schlanke Frauen sind in Wirklichkeit nur unterernährt und leiden unter Muskelschwund. Aber du bist gut in Form."
      "Du aber nicht", sagte sie mit prüfendem Blick. "Und sobald der Schwächeanfall vorbei ist, stütze dich bitte nicht mehr auf mich. Mein Bein tut weh und ich muss in meine Wohnung."
      "Was wollen wir in deiner Wohnung."
      Ich muss mich für den guten Jean Paul entschuldigen. Er war müde und außerdem war er darüber verärgert, ständig ausgenutzt zu werden. Diese Verärgerung ließ ihn unsensibel werden.
      "Du nichts, aber ich muss da einmal allein sein und mit meinem Freund telefonieren. Bei dem Geschaukel hierhin hätte ich wahrscheinlich auch sowieso keinen brauchbaren Empfang gehabt."
      "Welcher Freund?"
      Jedesmal, wenn er das fragte, nannte sie ihm einen anderen Namen und mittlerweile wusste er, dass jeder dieser Männer im selben Satz als "Freund" und "Ex-Freund" bezeichnet werden konnte, je nach Stimmung des Augenblicks.
      "Mein Freund eben. Der, mit dem ich heute abend, also gestern abend weggefahren bin."
      Er nahm die Hand weg.
      "Ich dachte, ich musste dich abholen, weil du mit ihm nichts mehr zu tun haben willst?"
      Sie zuckte mit den Schultern.
      "Ich bin eine Frau und habe das Recht, meine Meinung zu ändern."
      "Also meinst du, er ist doch ein guter Kerl?"
      Er nahm den Arm von der Lehne.
      "Nein. Er ist ein A####."
      "Hast du nicht gerade gesagt, du hättest deine Meinung geändert?"
      "Nein, ich habe nur gesagt, dass ich das Recht dazu habe. Außerdem kann ich meine Meinung immer noch ändern. Später."
      "Warum willst du mit ihm zusammen sein, wenn er ein Armleuchter ist?"
      "Ich bin jung und will Erfahrungen sammeln."
      Er fragte sich, ob sie schon einmal die Erfahrung gesammelt hatte, dass es Männer gab, die Frauen übers Knie legten und dass es sogar Frauen gab, die das entschuldbar erscheinen ließen.
      Er schwieg.
      Jetzt fühlte er sich wirklich müde.
      Sie stieg aus und ging zum Hauseingang.
      Er sah ihr nach.
      Die langen Haare auf ihrem Rücken schienen ein Eigenleben zu führen, wenn sie lief. Sie bewegten sich leicht auf ihren Schultern und vermittlten den Eindruck, dass sie sich insgesamt mit der größten Leichtigkeit bewegte. Das hatte er schon oft beobachtet. Frauen mit langen Haaren schienen sich irgendwie fließender bewegen, als wenn ihre lange Mähne alle Ecken und Kanten abrundete und weichzeichnete.
      Er horchte in sich hinein und stellte fest, dass der Gang in den Puff doch geholfen hatte. Er spürte trotz allem Zorn einen gewissen Frieden und die Fähigkeit zum Vergeben.
      Schließlich stieg er aus.
      Sie wartete am Hauseingang.
      Er schloß den Wagen sehr langsam ab, um zu sehen, ob sie wirklich auf ihn wartete.
      Dann ging er auch sehr langsam auf ihn zu.
      Sie sah ihn an.
      Sie wartete wirklich auf ihn.
      Vielleicht wollte sie doch noch irgendwie mit ihm zusammen sein oder sich entschuldigen.
      Wie auch immer, sie wartete und sah ihn jetzt auch noch ganz offen und mit unverhohlener Ungeduld an.
      Er stellte fest, dass er doch nicht so müde wie angenommen war, obwohl gerade das das Gehen für ihn jetzt etwas schwieriger machte.
      "Wartest du auf mich?", fragte er.
      "Ja."
      "Du willst wohl ohne mich nicht reingehen...", sagte er fragend.
      "Ich habe meinen Hausschlüssel vergessen", sagte sie. "Kannst du mir deinen geben?"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Wir erfahren endlich, wie es mit Jean Pauls beruflicher Entwicklung als Telefon-Agent weitergeht.
      Avatar
      schrieb am 12.01.07 23:30:47
      Beitrag Nr. 276 ()
      109.

      Als Jean Paul sich in dem neuen Callcenter zum ersten Mal an einen der Schreibtische setzte, erlebte er sofort das, was bei Schauspielern "Lampenfieber" heißt und bei Telefon-Agenten eine Entsprechung, wenn auch keinen eigene Bezeichnung hat.
      Mit einer Mischung aus Neugier und Entsetzen starrte er auf die ihm gereichten, zerfledderten din A4-Blätter, die beidseitig mit Excel-Tabellem bedruckt waren. Es gab keinen richtigen Rand und auch keine freien Felder, weshalb die Kollegen überall kleine Notizen reingequetscht hatten, die wegen Platzmangel zu entziffern waren.
      Auf den ersten Blick sah das wie Müll aus. Tatsächlich war es das auch, nicht nur von der Aufbereitung. Die angeblichen "Bestandskunden" waren irgendwelche Leute, die für ein Preisausschreiben an einem Großstadtbahnhof im Vorübergehen eine Karte ausgefüllt hatten, um einen Mercedes zu gewinnen. Jetzt wurden sie seit inzwischen über vier Jahren ständig von diversen Geschäftemachern angerufen und reagierten auch dementsprechend. Zu zwei Dritteln handelte es sich um Handy-Nummern und wenn es doch Festnetz-Nummern waren, gab es dazu oft schon keinen Anschluss mehr oder die Teilnehmer des Preissauschreibens waren da längst ausgezogen.
      Während er noch überlegte, ob er irgendwen von dieser Liste anrufen oder lieber dafür beten sollte, sofort vom Schlag getroffen und diesem Leben erlöst zu werden, wurde er seinerseits angerufen. Da dachte er noch, es sei toll, in einem Callcenter zu arbeiten, das seine Rufnummer nicht unterdrückte. Gleich sein erstes Telefonat wies das als Irrtum aus.
      "Hallo, wer ist da!", brüllte jemand, unüberhörbar bei Autofahren.
      "Versicherungsagentur Nager!", meldete sich Jean Paul.
      "Wer?"
      "Versicherungsagentur Nager!"
      "Wer?"
      "Versicherungsagentur Nager!"
      "Wer?"
      "Versicherungsagentur Nager! Wir..."
      Aufgelegt.
      Gleich danch kam der nächste Anruf.
      "Sie haben mich angerufen!", meldete sich eine eilig klingende Frau.
      "Nicht ich, sondern mein..."
      "Doch! Ich habe ihre Nummer!"
      "Also gut, sozusagen ich, die Vers..."
      "Sie lügen!"
      "Entschuldigung, ich wollte..."
      "Nehmen sie mich von ihrer Liste!"
      "Okay, aber ich sehe ihre Nummer nicht..."
      "Die unterdrücke ich ja auch!"
      "Sagen sie mir bitte ihren Namen!"
      "Das könnte ihnen so passen!"
      "Sonst kann ich sie nicht von der Liste nehmen!"
      Falls er die Liste überhaupt fand. Die Listen wurden zwischen den Räumen und sogar zwischen unterschiedlichen Callcentern ausgetauscht. Die Liste mit ihrem Namen konnte jetzt überall sein.
      "Ich verklage sie! Sie sind illegal!"
      "Wann haben wir sie denn angerufen?"
      Vielleicht konnte er so rekonstruieren, wer sie war.
      "Das wissen sie genau! Nehmen sie mich von der Liste oder sie werden ihres Lebens nicht mehr froh, das schwöre ich ihnen!"
      Aufgelegt.
      Er starrte aus dem Fenster in den Himmel und sandte ein Stoßgebet nach oben, dass seine Nachbarin im Lotto gewann und ihm eine Stelle als Chauffeur geben konnte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul hilft seiner Nachbarin beim Umzug und hält es in diesem Callcenter insgesamt stolze zwei Wochen aus.
      Avatar
      schrieb am 15.01.07 09:38:34
      Beitrag Nr. 277 ()
      110.

      Nachdem er den Schock, angerufen und angeschnauzt zu werden, überwunden hatte, begann er von sich aus zu telefonieren. Er nahm sich die am wenigsten zerfeldderte Liste vor und fand irgendwann im ersten Drittel eine Addresse, die noch nicht mit "KI" oder "FN" versehen und durchgestrichen war. Zum Glück ging niemand dran und so konnte er seine Erholungszeit noch etwas verlängern. Während er die Mailbox hörte, sah er, dass auch seine Kollegen Anrufe erhielten und dann hektisch in ihren Listen nach bestimmten Namen suchten oder noch hektischer dem Anrufer vermitteln wollten, dass man ihn nicht von der Liste streichen könnte, wenn er seine Telefonnummer unterdrückte und auch seinen Namen verheimlichte.
      Beim zweiten Anruf, der wieder einer Handy-Nummer galt, bekam er ein Gespräch zustande. Es meldete sich jemand, wie bei Handy-Besitzern üblich, mit "Ja?" und Jean Paul begann von seiner Vorlage abzulesen.
      "Einen wunderschönen guten Tag. Wie überaus herrlich, dass ich Sie erreiche! Hier ist die Agentur Nager! Sie hatten uns mitgeteilt, dass wir uns bei melden sollen, wenn wir ein fantastisches Angebot kredenzen wollen und..."
      "Ich habe ihnen überhaupt nichts erlaubt!"
      "Nicht direkt uns, aber einer sie haben bei einer dritten Partei angegeben, dass..."
      "Wo soll das denn gewesen sein?"
      "Also, es gab da ein Preisausschreiben, vor maximal fünf Jahren, wo sie auf der Karte ein Kreuz bei..."
      "Ich habe aber seit mindestens zehn Jahren bei keinem Preisausschreiben mehr mitgemacht!"
      "Vielleicht war es auch eine Umfrage. Sind sie am ersten April geboren?"
      "Ja, und?"
      "Wenn sie hier auf der Liste stehen und wir auch Geburtsdatum haben, das..."
      "Was? Nur weil ich geboren bin, dürfen sie mich anrufen?"
      "Nein, sondern weil sie da ein Kreuz gemacht haben, wo es der anderen Firma erlaubt wird, ihre Daten an andere Firmen..."
      "So ein Kreuz habe ich aber nie gemacht!", unterbrach ihn der Angerufene erneut. "Ich unterschreibe überhaupt nichts, wo ich sehe, dass man da Kleingedrucktes ankreuzen kann! Ich weiß nämlich, dass man anschließend jede Menge Anrufe von fremden Leuten kriegt, die einem etwas verkaufen wollen, egal wie oder ob man da etwas angekreuzt hat!"
      "Okay", sagte Jean Paul, "dann war das vielleicht ein Irrtum, aber sie wissen doch, wie Kolumbus Amerika entdeckt hat. Das war auch ein Irrtum und trotzdem kam dabei etwas Gutes heraus..."
      "Sie haben wohl lange keine Nachrichten mehr geguckt!", polterte der Angerufene. "Seit wann ist Amerika denn etwas Gutes? Und jetzt lassen sie mich endlich in Ruhe mit ihren blöden Reden! Streichen sie mich endlich von der Liste! Ich habe schon zweimal zurück gerufen und Geld dafür bezahlt, das sie das wissen! Streichen sie mich endlich!"
      Er legte auf.
      Nun, das war auf jeden Fall schon besser als die beiden ersten Telefonate gewesen.
      Jetzt wusste er wenigstens, wen er von welcher Liste zu streichen hatte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul nimmt bei seiner Ex-Kollegin Nachhilfe. Außerdem hilfte er seiner Nachbarin beim Umzug und glaubt sie damit los zu sein.
      Avatar
      schrieb am 15.01.07 10:21:07
      Beitrag Nr. 278 ()
      Brüll! Schrei! Kreisch! :laugh::laugh:
      Avatar
      schrieb am 15.01.07 14:28:20
      Beitrag Nr. 279 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 26.930.354 von unlocker am 15.01.07 10:21:07:):):)

      Endlich wieder eine Reaktion!

      :look:

      Uff...:p

      Schließlich strebe ich doch an, bald in derselben Klasse wie einst Charles Bukowski zu schreiben, nämlich im :mad:.
      Da reicht es im Genesatz zu den Amateuren nicht, dass das, was man macht, "schön" oder "perfekt" aussieht...:rolleyes: Da hat man nur das Recht zu sein, wenn man auch Wirkung erzielt !

      :D
      Avatar
      schrieb am 15.01.07 14:29:32
      Beitrag Nr. 280 ()
      :eek:

      Das fehlende Wort ist Schwergewicht ... !! :cry:
      Avatar
      schrieb am 16.01.07 13:53:41
      Beitrag Nr. 281 ()
      111.

      Der nächste Angerufene klang schon viel freundlicher. Diesmal hörte Jean Paul kein böses Wort. Noch dazu wurde ihm gleich zu Anfang des Gesprächs die komfortale Gewissheit zuteil, dass er diesmal mit einer ruhigen und höflichen Person redete. Die schläfrige Stimme am anderen Ende artikulierte tatsächlich einen Namen. Endlich konnte Jean Paul die komplette Vorlage ablesen. Wo sich Absätze befanden, machte er eine Kunstpause und wenn er lange genug wartete, kam ein freundliches Brummen als Antwort. Bekanntlich ist die Vorfreude die schönste Freude. Darum fand er es irgendwie schade, als er schließlich schon die Abschlussfrage stellen musste: "Dürfen wir Ihnen das jetzt zuschicken?"
      Aufgelegt.
      Das durfte doch nicht wahr sein.
      Das konnte nicht wahr sein.
      Er drückte auf die Wahlwiederholtaste. Erst ging keiner dran und dann bekam er plötzlich die Meldung "Dieser Anschluß ist zur Zeit nicht erreichbar."
      In diesem Augenblick kam der Teamleiter herein gestürmt und fragte ihn: "Schon was verkauft?"
      Wenigstens schlich er sich nicht an.
      "Gerade eben war ich knapp davor, aber im letzten Moment ist er abgesprungen", sagte Jean Paul.
      Das glaubte er selbst zwar nicht, zumindest nicht mehr, aber der Teamleite schien es zu schlucken.
      "Wie ist das passiert?", fragte er Jean Paul.
      "Wir wurden getrennt. Vielleicht aus Versehen. Oder er hat aufgelegt. Klang schwach. Schien krank zu sein. Konnte wohl den Hörer nicht mehr halten!"
      Der Teamleiter zog die Stirn kraus.
      "Aufgelegt? Das heißt KI."
      "Künstliche Intelligenz?"
      "Nein. Kein Interesse", verbesserte der Teamleiter ärgerlich.
      Vorgesetzte mangelte es an Humor. Da gab es anscheinend keinen Unterschied zwischen einem Callcenter und einer Fabrik.
      "Aber ich habe den Namen nicht richtig verstanden."
      Jean Paul sagte das, weil er wusste, dass am Ende des Tages die "KI" und die Erfolge miteinander aufgerechnet wurden, um die Leistung des Agenten zu beurteilen und über sein Verbleiben zu entscheiden.
      "Na und?", fragte der Vorgesetzte.
      "Vielleicht war es gar nicht der Richtige. Vielleicht war es einfach der falsche Anschluss."
      Dann konnte er "KI" vermeiden und "FA" schreiben. Für "FA" konnte ihm niemand die Schuld geben.
      "Nein, schreiben Sie KI. Ist eigentlich sowieso egal, denn wenn wir mit den Listen fertig sind, gehen sie sowieso zurück an die Zentrale und da werden auch die Leute noch einmal angerufen, die unmissverständlcih klargemacht haben, dass sie kein Interesse haben." Er hob die Stimme. "Ein richtiger Verkäufer kann auch jemandem etwas verlaufen, der kein Interesse hat!"
      Jean Paul wandte sich wieder seinen Listen zu und versuchte einen Namen zu finden, der noch nicht mit "KI" oder "FA" gekrönt worden war.
      Der Teamleiter richtete sich nun an alle.
      "Im Zimmer nebenan sind heute schon zwanzig Verträge geschrieben worden! Und hier muss auch mehr produziert werden! Kommt aus den Pötten!"
      Produziert?
      Eigentlich hatte schon Jean Paul die Umschulung gemacht, um nicht mehr in der "Produktion" arbeiten zu müssen.
      "Also los!", rief der Teamleiter und verließ energischen Schrittes das Büro.
      Teamleiter war eigentlich ein prima Job. Superlola fuhr voll auf solche Leute ab. Und er fuhr immer noch voll auf solche Frauen wie Superlola ab. Also stand die Richtung fest. Aber zuerst musste er zeigen, dass er selber verkaufen konnte.
      Jean Paul griff nach dem Hörer.
      Das war der erste Schritt!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul telefoniert sich durch.
      Avatar
      schrieb am 16.01.07 14:02:49
      Beitrag Nr. 282 ()
      Das ist jetzt der Stoff, den ich im Sinn hatte, als ich den Thread startete.
      :cool:
      Warum die Beschreibungen von Jean Pauls Privatleben und seiner persönlichen Philosophie so ausuferten, kann ich nicht sagen. Das liegt wohl daran, dass ich mich im Literturstudium mit den frühen Werken (Kurzgeschichten) von Thomas Mann auseinander setzen musste. In den Erläuterungen wurde heftig beklagt, dass es seitdem angeblich mit der Literatur abwärts geht, weil niemand mehr so richtig ausschweift und die Chuzpe aufbringt, über Gott und die Welt zu theoretisieren...
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 17.01.07 14:20:56
      Beitrag Nr. 283 ()
      112.

      Im Verlaufe des Tages wurde Jean Paul immer besser. Meistens hörten die Leute sich an, was er vorlesen wollte, selbst wenn sie zu Anfang mit ihm darüber stritten, ob er sie überhaupt legal anrufen durfte. Gewöhnlich sprangen sie ab, sobald er sie nach ihren Kontodaten fragte. Entweder legten sie dann gleich auf oder schimpften nur noch. Kurz vor Mittag hatte er ein Telefonat, bei dem dieses Thema besonders lange diskutiert wurde.
      "Ich kann ihnen doch nicht meine Bankdaten geben!", schimpfte eine Dame von ungefähr Mitte vierzig. "Dann können Sie doch einfach irgendwas abbuchen!"
      "Ich verstehe ihr gesundes Misstrauen, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir nur das abbuchen, was im Vertrag steht."
      "Ich möchte aber erst schriftlich haben, was Sie abbuchen wollen."
      "Nein, Sie müssen uns erst die Gelegenheit geben, abzubuchen, ehe wir Ihnen etwas Schriftliches darüber zuschicken können, wieviel das dann sein wird."
      "Schicken Sie mir doch erst einmal Informationsmaterial:"
      "Informationsmaterial beantwortet keine Fragen. Ich schon. Fragen Sie mich doch."
      "Ich frage Sie, warum ich mir gleich einen Vertrag zuschicken und abbuchen können wollen, anstatt mir Informationsmaterial zuzuschicken und mich das Kleingedruckte lesen zu lassen."
      Er beeilte sich, darauf zu antworten, ehe sie auch noch die Frage nach der "Dynamik" stellte.
      "Das geht schneller und ist einfacher und darum können wir Ihnen das auch so billig anbieten. Warum nutzen Sie diesen Vorteil nicht?"
      "Weil ich Angst habe, dass ich den Vertrag nicht kriege und Sie einfach so abbuchen!"
      "Das kann überhaupt nicht passieren. Den bringe ich persönlich vorbei!"
      So redete ein erfolgreicher Verkäufer.
      Nur so.
      Wenn die Leute das glaubten, war es ihre eigene Schuld.
      "Weiß nicht."
      "Ich verspreche Ihnen persönlich, dass wir nichts abbuchen, ehe Sie etwas Schriftliches haben."
      Der Kollege, der ihm gegenüber saß, nickte und sagte: "Aber das ist meiner Mutter tatsächlich passiert. Die haben einfach abgebucht."
      "Klappe", knurrte Jean Paul.
      "Wie bitte?", fragte die Angerufene.
      "Welche Information fehlt Ihnen noch?", fragte Jean Paul.
      Sie sagte es ihm.
      "Aber ich bitte Sie", sagte Jean Paul, "diese Situation ist doch völlig überkonstruiert. Wir buchen nicht am Wochenende kurz vor Feierabend ab und zuviel sowieso nicht und Sie sind dann auch nicht am Wochenende ohne Geld, weil wir Ihr Konto überzogen haben und Sie das erst am Montag mit der Bank klären können..."
      Wieder nickte sein Gegenüber und sagte: "Genau das ist meiner Mutter passiert. Die haben..."
      "Klappe!", rief Jean Paul.
      "Wie bitte?", fragte die Angerufene. "Reden Sie mit mir?"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul kommen Zweifel, ob er hier wirklich zwei Wochen "Praktikum" machen will.
      Avatar
      schrieb am 18.01.07 12:57:35
      Beitrag Nr. 284 ()
      113.

      "Also gut", sagte die Frau. "Vielleicht lasse ich mich darauf ein. Aber..."
      "Einen Moment bitte", unterbrach Jean Paul in höflichstem Ton und in größtem Ärger darüber, dass sein Gegenüber anscheinend schon wieder einen Kommentar loslassen wollte.
      "Scheint ja diesmal zu klappen", vernahm er aus dieser Richtung, als er die Hand auf die Sprechmuschel legte.
      "Sieh zu, dass du selber jemanden an die Strippe kriegst", sagte Jean Paul mahnend.
      "Wie bitte?"
      Die Frau schräg gegenüber von Jean Paul schrie in den Hörer, als würde sie sich gerade neben einem startenden Flugzeug befinden. Angeblich war es eine wissenschaftliche erwiesene Tatsache, dass Frauen leiser als Männer redeten. Wenn das stimmte, dann wahrscheinlich, weil manche Frauen so laut und häufig schrien und die Männer davon langsam taub wurden und es schließlich nicht mehr merkten, wenn sie ihren Atem verschwendeten.
      Endlich machte die, optisch übrigens durchaus attraktive Dame eine Pause, was heißen soll, dass sie bei der Kundin aufgab und schließlich ein paar nette Abschiedsworte brüllte.
      "Moment mal", sagte der Kollege zu Jean Paul und wählte eine Nummer.
      Es klingelte bei der Kollegin, die mit einer irgendwie erstaunten Miene abnahm und ob des vorangegangenen Spektakels in aller Augen war.
      "Frau Stubbe, würden Sie bitte Ihre Lautstärke auf ein umweltverträgliches Maß herunter regeln?", fragte der Kollege.
      Sie hörte diese Worte doppelt, nämlich einmal im Hörer und einmal direkt neben sich. Verblüfft schaute sie zur Seite. Der Kollege erwiderte ihren Blick und sprach weiter in den Hörer. "Schön, dass sie mich wahrnehmen und ich jetzt auch wieder selber gehört werden kann. Vielen Dank."
      Er legte auf.
      Jean Paul schüttelte den Kopf und ein paar andere Kollegen lachten.
      Als Jean Paul zu seinem Telefonat zurückkehren wollte, zeigte der Kollege ihm seine zerfledderten Listen. Da war, wie Jean Paul es schon kannte, bereits alles durchgestrichen.
      "Hast du noch eine Liste mit ein oder zwei brauchbaren Namen?", fragte er.
      Jean Paul schüttelte den Kopf. Das war eine Lüge aus reinem Selbsterhaltungstrieb. An Addressen war man hier immer knapp, denn die kosteten den Arbeitgeber Geld. Die kriegte er nicht umsonst, im Gegensatz zu den Telefonisten, die hier verschlissen wurden.
      "Da bin ich schon wieder!", jubilierte Jean Paul in den Hörer. Ohne Fröhlichkeit wirkte man unfreundlich. Die Fröhlichkeit durfte ruhig erkennbar gespielt sein, denn erst dann fanden manche Kunden einen professionell und paradoxerweise deswegen auch vertrauenswürdig.
      "Gut, wenn ich so eine Versicherung nehme, dann für meine behinderte Tochter. Versichern Sie auch Behinderte?"
      "Einen Moment bitte", sagte Jean Paul, "damit ich Ihnen hier eine hundertprozentig zuverlässige Aussage machen kann, muss ich eben kurz das Kleingedruckte durchgucken."
      "Kein Problem."
      Jean Paul schaute sich nach einem Teamleiter um, aber der Teamleiter war gerade nicht im Raum. Er legte den Hörer beiseite und lief auf den Flur. Als die Vorzimmerdame auch nicht wusste, wo er einen Teamleiter finden könnte, klopfte er direkt beim Chef an.
      Der Chef rief "Herein" und sagte: "Natürlich können sich auch Behinderte versichern. Es kommt allerdings noch auf die Art der Behinderung an. Pflegefälle können wir nicht versichern."
      Jean Paul lief händereibend zu seinem Telefonat zurück und stellte die Frage nach der Art der Behinderung.
      Er freute sich schon auf den sicheren Abschluss. Endlich hatte er gezeigt, was er konnte.
      "Sie ist geistig behindert und dadurch ein Pflegefall", antwortete die Frau. "Deshalb hat es bisher auch jede Gesellschaft abgelehnt, sie zu versichern."
      "Können Sie mir bitte in paar Details geben?", fragte Jean Paul.
      Eine Minute später lief er wieder zum Chef und fragte: "Die Frau, die wir versichern sollen, ist zwar geistig behindert und ein Pflegefall, aber..."
      Der Chef unterbrach ihn.
      "Raus!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Marmor, Stein und Eisen bricht und Jean Paul wohl auch. Irgendwann. Und zwar ins Essen.
      Avatar
      schrieb am 18.01.07 13:09:23
      Beitrag Nr. 285 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.008.101 von Wolfsbane am 18.01.07 12:57:35Vorschau:
      Marmor, Stein und Eisen bricht und Jean Paul wohl auch. Irgendwann. Und zwar ins Essen.
      :laugh:
      Jaja: in meinem Zimmer rußt der Ofen, in meinem Herzen ruhst nur Du ;)
      Avatar
      schrieb am 19.01.07 20:48:10
      Beitrag Nr. 286 ()
      114.
      Nach weiteren zwei Stunden zweifelte Jean Paul daran, dass er verständliches Deutsch sprach. Es gelang ihm immer wieder, Leute davon zu überzeugen, dass die von ihm angebotene Versicherung günstig war und dass sie diese Versicherung darum haben wollten. Kein Problem. Das Problem war nur, dass sie zu dem günstigen Preis den gewohnten Service haben wollten. Jean Paul erklärte ihnen jedesmal, was er zum ersten Mal beim Vorstellungsgespräch gehört und seltsamerweise sofort begriffen hatte. Der Preis konnte nur darum so günstig sein, weil man sich den Versicherungsvertreter einsparte, der dann zu den Leuten nach Hause kam und ihnen Auge in Auge geduldig alle Fragen beantwortete und dafür eine substanzielle Prämie einstrich. Jean Paul wusste aus erster Hand, nämlich vom betreffenden Versicherungsvertreter selbst, dass er bei seiner kapitalbildenden Rentenversicherung die ersten zwei oder drei Jahre ausschließlich für dessen Prämie eingezahlt hatte. Er verstand daher, dass ihn die Versicherung billiger gekommen wäre, hätte er nicht erst zwei oder drei Jahre für diese Prämie aufkommen müssen. Was er noch nicht verstanden hatte, war die Tatsache, dass er damit zu einer verschwindend geringen Elite der deutschen Bevölkerung gehörte.
      "Gut, dann schicken Sie mir das Spezialangebot, das es nur am Telefon gibt, jetzt ganz unverbindlich schriftlich zu und wenn ich interessiert bin, dann darf ihr Versicherungsvertreter mich anrufen und dann darf er vielleicht hier hin kommen und mir alles noch einmal erklären. Dann nehme ich das wahrscheinlich immer noch nicht, sondern muss mir das erst noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen, aber wenn ich das dann trotzdem immer noch will, darf er wiederkommen und dann überlege ich noch einmal, ob ich das denn nicht vielleicht doch unterschreibe."
      "Wir können ihnen aber kein aufwendiges Werbematerial und dann auch noch den Versicherungsvertreter schicken. Das wird dann zu teuer und..."
      "Ja, dann kann der Vertreter das auch gleich mitbringen. Aber dann muss er mindestens zweimal kommen."
      "Der Vertreter kommt aber für dieses Spezialangebot, das wir nur telefonisch anbieten, nicht. Darum können wir..."
      "Also wollen Sie mir das jetzt verkaufen oder nicht!"
      "Ja, natürlich."
      "Dann schicken Sie mir das Infozeugs rüber. Und den Vertreter. Dann kaufe ich Ihnen das vielleicht ab."
      "Aber dann kaufen Sie es dem Vertreter ab und nicht mir."
      "Ja, genau, dann schicken Sie jetzt das Infokrams und dann einen von diesen Schlipstypen."
      "Das geht nicht..."
      "Aber das machen die anderen doch auch!"
      "Ja, darum sind die auch nicht so billig wie wir! Unsere Versicherung ist billiger! Das versuche ich die ganze Zeit zu erklären!"
      "Das habe ich auch längst verstanden. Ich bin ja nicht blöd. Sonst würde mich das gar nicht interessieren."
      "Und das ist so billig, weil wir keine teuren Werbebroschüren verschicken und auch keine Vertreterprämien einkalkulieren."
      "Wie sie das machen, ist mir egal, aber ich bezahle keinen Cent mehr als abgemacht und ich will eine Broschüre und einen Vertreterbesuch."
      "Aber wir können Ihnen das, wofür Sie sich interessieren, zu diesem Preis, der das für Sie interessant macht , nur..."
      "Ja, das interessiert mich und der Preis ist okay, aber ich muss das erst schriftlich haben und der Versicherungsvertreter muss mir, wenn er hier hin kommt, sein Ehrenwort geben können, dass das auch wirklich so billig ist und..."
      "Aber so funktioniert das nicht."
      "Was verstehen Sie denn nicht? Ich habe doch schon gesagt, dass ich das will. Klar, oder? Ich habe auch erklärt, wie ich das will. Also machen Sie das!"
      "Aber so ist das nicht kalkuliert. Wenn wir dem Vertreter eine Prämie dafür zahlen müssen, dass er sie berät..."
      Anscheinend musste man ein Genie sein oder sogar Abitur haben, um das irgendwann verstehen zu können.
      "Also wollen Sie jetzt verkaufen oder nicht? Was soll das ganze Gequatsche überhaupt? Bin ich ihr Popanz oder was! Ich will das schriftlich!"
      "Aber ich habe Ihnen doch schon alles erklärt..."
      Als er nach einem solchen Gespräch mit seinen Kollegen in die Raucherpause ging, erkundigte er sich bei ihnen, ob sie ihm empfehlen würden, sich in seiner Muttersprache nachschulen zu lassen, weil er sich offensichtlich gegenüber seinen Landsleuten nicht verständlich machen konnte.
      "Kurz bevor du gekommen bist, hatten wir eine Verkaufsschulung", erklärte ihm eine Kollegin. "Der Dozent wies uns dabei als erstes darauf hin, dass es nur zwei Sorten von Kunden gibt. Axxxer und Super-Axxxer."
      Die anderen Kollegen nickten.
      "Das habe ich nicht verstanden", sagte Jean Paul. "Das muss ich erst schriftlich haben."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul versucht es mit Doping! Er kauft sich eine Bong!!
      Avatar
      schrieb am 19.01.07 20:51:12
      Beitrag Nr. 287 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.008.394 von unlocker am 18.01.07 13:09:23"Marmor, Stein und Eisen bricht" ist eigentlich sowieso schon eine Verhunzung der deutschen Sprache, denn es müsste brechen heißen!
      ;)
      Avatar
      schrieb am 20.01.07 06:13:27
      Beitrag Nr. 288 ()
      Ist im Englischen auch nicht besser.
      Wie sangen schon die "Lords" in "Poor Boy": my mother learned me to say...;)
      Avatar
      schrieb am 22.01.07 12:24:53
      Beitrag Nr. 289 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.042.252 von unlocker am 20.01.07 06:13:27@ unlocker

      Das ist natürlich auch ein Klassiker. Nach eigener Aussage hatten die damals einen Engländer im Studio und der hat den Text gelesen und für okay gefunden und mit diesem Segen fühlten sich die Lords dann berechtigt, das Ganze so zu lassen.
      Aber Deutsche und Englisch, das ist ein Thema für sich. Was sich Deutsche, die ihr Englisch für professionell halten, da alles leisten, ist unglaublich. Jeder Holländer, der sich dreimal im Satz dafür entschuldigt, dass sein Englisch so schlecht wäre, redet ungefähr fünfmal so gut Englisch wie die meisten Deutschen, die ihr Englisch für professionell halten und von deutschen Chefs einen Haufen Geld dafür bekommen, dass sie jeden Tag Englisch reden. Wenn die Engländer dann etwas nicht verstehen können, werden sie einfach als arrogant abgetan...
      :rolleyes: ;)
      Avatar
      schrieb am 22.01.07 12:25:51
      Beitrag Nr. 290 ()
      115.

      Kurz vor Ende des ersten Arbeitstages rief ihn der Teamleiter heraus und ging mit ihm in ein anderes, bis zu ihrem Eintritt menschenleeres Büro. Jean Paul fühlte sich in der Gesellschaft dieses Mannes unwohl. Der sah ihm zu sehr nach Schauspieler aus. Wenn er früher auf dem Schulhof von wesentlich ältern Jungen Prügel bezogen hatte, dann meistens von Typen, die allgemein als ziemlich gutaussehend eingestuft wurden. Hübsche Jungs erkannten sich nämlich gern in den aktuellen Hollywood-Schönlingen wieder. Wenn sie irgendeinen Actionfilm sahen, in dem ein männliches "Sexsymbol" andere, weniger "schöne" Männer verprügelte, leiteteten manche daraus für sich die Schlussfolgerung ab, dass es pauschal in Ordnung ginge, wenn "attraktive" Leute weniger "attraktive" Leute schikanierten oder schlugen. Sie dachten, nur weil sie gut aussahen, seien sie auch gut und wenn sie brutal wären, wären sie sogar noch besser und ein Held mit Anspruch auf Bewunderung. Besonders "hübsche" Jungs waren eben manchmal auch besonders "benachteiligt". Aber glücklicherweise war Jean Pauls Schulzeit lange vorbei.
      "Sie sehen nicht sehr zufrieden aus", sagte der Teamleiter.
      "Wie sollte es anders sein? Ich habe nichts verkauft."
      "Haben Sie ein Problem damit, etwas zu verkaufen? Das kann nämlich nicht jeder und will auch nicht jeder."
      Dieser Kerl war schlau.
      Er stellte gleich die richtige Frage und wenn Jan Paul offen gewesen wäre, hätte er ihn gleich nach Hause schicken können.
      Das Verkaufen war Jean Paul schon mit dreizehn oder vierzehn nachhaltig abgewöhnt worden. Da hatte er auf dem Flohmarkt seine Sammlung an Comics verhökert, um den Platz für seine Schach- und Psychologie-Zeitschriften zu haben. Einer der Schlägertypen von seiner Schule hatte ihm ein sehr altes Heft mit den schlecht gezeichneten Abenteuern irgendeines Karate-Helden abgekauft, um dann fünf Minuten später zurück zu kommen und ihn lauthals als Betrüger zu beschimpfen und energisch sein Geld energisch zurück zu verlangen, weil er ein anderes Exemplar des gleichen Heftes an einem anderen Stand zehn Pfennig billiger bekommen hatte. Die ganze folgende Woche über war er von diesem Mitschüler und seinem Gefolge in der Schule als Betrüger tituliert worden. Seitdem hatte Jean Paul keinen Spaß mehr am Verkaufen.
      "Eigentlich habe ich damit kein relativ kein Problem", sagte er und fand, dass das eigentlich relativ keine echte Lüge war.
      "Was ich von ihrem letzten Gespräch hörte, klang doch ganz gut. Warum haben Sie das nicht abgeschlossen?"
      "Die Frau am anderen Ende sagt, sie hätte kein Geld, weil ihr Mann als Dispomatamonteur sehr wenig verdienen würde."
      "Das hat sie gesagt?"
      "Ja. Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen und..."
      "Aber ein Discomatomonteur muss nicht nackt rumlaufen. Der verdient sich dumm und dämlich. Das hätten Sie wissen müssen!"
      "Wieso, was macht der denn?"
      "Na, eben jede Menge Geld verdienen!"
      "Und wie?"
      "Das kriegt er dafür, dass er Discomatamador ist."
      "Das wusste ich nicht. Von dem Beruf habe ich noch nie gehört. Wie spricht man das noch gleich aus?"
      "Ist doch egal, wie man das ausspricht oder wie oder was. Geben Sie einfach nicht so leicht auf! Bleiben Sie am Ball, seien Sie hartnäckig!"
      "Zuerst war ich hartnäckiger..."
      "Sie müssen einfach genug Leute anrufen und die alle lange genug kneten, das ist das ganze Erfolgsgeheimnis."
      Jetzt verstand er plötzlich, warum so viele erfolgreiche Männer zu Domias gingen und sich da willig das Fell gerben ließen. Um erfolgreich zu sein, musste man irgendetwas verkaufen und um erfolgreich zu verkaufen, musste man vor allem Demütigungen einstecken können. Egal, wie mies oder verrückt die Kunden waren, man musste bis zum Verkaufserfolg am Ball bleiben und selbst wenn es trotz größter Schmerzen nicht klappte, musste man beim nächsten Kunden trotzdem wieder genauso lieb und nett sein und auch wieder so lange Dreck fressen, bis man demjenigen etwas verkauft hatte oder endgültig abgeblitzt war und sich auf den nächsten potentiellen Kunden stürzen durfte, bei dem man dann auch wieder Dreck fraß, selbst wenn man sich noch zehnmal vergeblich quälen musste, ehe man endlich wieder etwas loswurde.
      "Das ist alles?", fragte Jean Paul. "Die Masse macht's?"
      "Ja. Sie müssen nur genug reden, dann haben Sie auch irgendwann Erfolg."
      Jean Paul nickte.
      Das war eine glaubwürdige These. Er hatte nämlich schon einmal etwas ganz Ähnliches von einem brillianten jüdischen Komiker gelesen, der gefragt worden war, wie er immer auf auf seine genialen Pointen kommen würde. Das entsprechende Zitat schoss ihm in den Kopf und rutschte ihm einfach so raus.
      "Wenn man nur lange genug redet, sagt man unweigerlich irgendwann etwas Witziges."
      Jetzt zog der Teamleiter die Stirn kraus.
      "Also, wenn Sie meinen, dass ich Witze mache, dann sind Sie bei mir genau richtig. Dann kann ich Sie nämlich auch gleich gehen lassen."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Auch Unvermeidliches ist manchmal unvorstellbar. Darum kann es nicht immer eine Vorschau geben.
      Avatar
      schrieb am 22.01.07 15:49:15
      Beitrag Nr. 291 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.107.810 von Wolfsbane am 22.01.07 12:24:53Da hast Du recht.
      Manchmal erinnert mich das an den Kapitän aus "Der blau-rote Methusalem" von Karl May. Der ist fest überzeugt perfekt chinesisch zu sprechen indem er einfach an das deutsche Wort die Endungen -ing, -ong oder-ung anhängt und wundert sich, daß die Chinesen ihre eigene Sprache nicht verstehen. :)
      Avatar
      schrieb am 22.01.07 23:35:54
      Beitrag Nr. 292 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.111.671 von unlocker am 22.01.07 15:49:15@unlocker

      Ich kannte einen Koch, der "Italienisch" sprach, indem er an jedes deutsche Wort "o" anhängte.
      :laugh:
      Von Mark Twain ist überliefert, dass er bei einem Aufenthalt in Paris versuchte, Französisch zu reden und danach ärgerlich sagte, die Franzosen seien ihm nicht intelligent genu, da sie anscheinend nicht einmal in der Lage seien, ihre eigene Sprache zu verstehen oder auch nur als solche zu erkennen.
      ;)
      Mit uns Deutschen kam er besser klar. Kein Wunder, bei der Ähnlichkeit der Mentalität...
      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 23.01.07 12:09:24
      Beitrag Nr. 293 ()
      Fortsetzung heute erst kurz vor Mitternacht... :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 23.01.07 15:01:56
      Beitrag Nr. 294 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.126.922 von Wolfsbane am 23.01.07 12:09:241.) den Marc Twain kenn ich: weltklasse!!!!
      2.)Mach hin!!! Mitternacht ist von der Zeitzohne abhängig;)
      Avatar
      schrieb am 23.01.07 23:31:03
      Beitrag Nr. 295 ()
      116.

      Sein Chef hatte ihm gesagt, er müsse nicht unbedingt etwas verkaufen, sondern könnte auch anders Geld verdienen. Wenn die Kunden die angebotene Versicherung nicht kaufen wollten, könne er ihnen stattdessen auch Angebote über die anderen Versicherungen der von ihnen vertretenen Gesellschaft zukommen lassen. Er müsse nur immer ganz konkret wissen, woran die angerufenen Leute interessiert wären. Rechtsschutz, kapitalbildende Lebensversicherungen, Haustierversicherungen... und am Ende des Jahres würde man dann sehen, wieviel die Vertreter aufgrund der von ihm zugeschickten Angebote verkauft hätten und er, Jean Paul, erhielte seinen Anteil.
      Jean Paul wurde rasch der "Angebots-König", denn immer wenn die Leute ihm sagten, dass sie kein Geld für neue Versicherungen hätten, fragte er "Wenn Sie sparen müssen, wollen Sie doch bestimmt auch gern noch mehr sparen? Und das, was Sie wirklich unbedingt brauchen und jetzt noch teuer bezahlen, billiger und gleichzeitig besser kriegen?"
      Abgesehen davon hatte er nie Ärger damit, dass von ihm abgeschlossene Versicherungen storniert wurden.
      Leider lebten seine Vorgesetzten immer nur für den jeweiligen Tag. Die taten immer so, als wenn es kein Morgen geben würde. Es zählte nur, was am Ende des Tages vorgewiesen werden konnte, selbst wenn es alles auf Sand gebaut war. Abschlüsse zu machen, war die höchste Pflicht und wenn man der Agentur auch in Wirklichkeit nichts als Klagen und Beschimpfungen einbrachte, so tat man doch jedesmal etwas für die Arbeitsmoral der anderen, indem man demonstrativ die soeben aus dem Kunden herausgequetschten Bankdaten auf ein Formular schrieb und dem Teamleiter die Vorlage für ein herzliches "Na also! Geht doch!" lieferte.
      Am Zweiten Tag verkaufte Jean Paul recht früh eine Versicherung, was ausgesprochen einfach war, weil die entsprechende Fame schon eine Versicherung bei eben dieser Gesellschaft besaß, also tatsächlich Bestandskunde war und nicht nur irgendwo und irgendwann an einem Preisauschreiben teilgenommen hatte. Sie hatte ihre Bankdaten dieser Versicherung schon eher gegeben und besaß daher keine Scheu, es wieder zu tun. Aber danach kämpfte er wieder überwiegend vergeblich. Das hatte er sich anders vorgestellt. Der Chef war doch so ein Gemütlicher. Nur der zweite Mann war ein Hektiker und wirkte immer wie unter Speed. Aber am zweiten oder dritten Tag hörte man den zweiten Mann durch das ganze Haus schreien. Er schrie den Namen des Chefs. Jean Paul dachte, der Vize würde nu in einer Erholungseinrichtung verschwinden, aber stattdessen verschwand der Chef. Er wurde gekündigt. Der Grund blieb geheim.
      Am Ende der Woche reichte es Jean Paul.
      Das war genauso schwer wie Lotto-Lose zu verkaufen.
      Der Teamleiter nahm ihn erneut in ein ansonsten leerstehendes Büro mit und versuchte ihn aufzumuntern.
      "Ich habe schon Hausfrauen, die wirklich überhaupt keine Ausbildung hatten und auch überhaupt nicht zum Verkaufen veranlagt waren, zu Super-Verkäufern gemacht. Da, wo ich herkomme, gibt es nämlich keine anderen Jobs."
      "Das glaube ich", sagte Jean Paul anerkennend.
      Jetzt wusste er, wo er war. Er hatte soeben eine Umschulung gemacht und fleißig gelernt und sich auch ein paar zusätzliche Zertifikate verdient und er war genau da, wo sich auch Frauen befanden, die überhaupt keine Ausbildung besaßen un deinfach nur verzweifelt waren. Er fragte sich, wie er es schaffen sollte, so gut wie diese Frauen zu verkaufen, die das alles taten, um ihren Kindern etwas zum Anziehen zu kaufen. Er zweifelte daran, dass er diese Mischung aus Entschlossenheit und Flehen auf die Reihe bekam und ob ein Kerl wie er eine so gute Verkäuferin werden konnte.
      Aber immerhin hatte er einige hübsche Kolleginnen und mit etwas Glück konnte er sich später glaubwürdig damit herausreden, dass man ihm nicht wegen Erfolglosigkeit, sondern wegen sexueller Belästigung gekündigt hatte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es dauert noch mindestens vier Wochen, ehe Jean Paul die beste Chefin von allen kennen lernt!
      Avatar
      schrieb am 24.01.07 12:29:11
      Beitrag Nr. 296 ()
      117.

      Jean pauls Nachbarin meldete sich nun anscheinend seltener. Aber nur scheinbar. Sie war vor allem unstetiger, dsikreter und sparsamer geworden. Meistens stromerte sie irgendwo herum, rief ihn mit unterdrückter Telefonnummer an und legte dann nach maximal zwei-oder dreimaligem Klingeln wieder auf, damit er sie zurückrief, was er aber nicht tat, weil ihm die Sache nicht klar war und mitten in der Nacht auch nicht klar wurde. Meistens legte er sich einfach wieder schlafen. Einmal rief er sie auf Verdacht zurück, aber da hatte sie schon eine andere Fahrgelegenheit gefunden und meldete sich nicht mehr. Daraufhin rief er eine andere, fast genauso junge Ex-Freundin an, die ebenfalls die Gewohnheit pflegte, sich zurückrufen zu lassen. Diese andere Dame nahm das Gespräch an, reagierte aber eindeutig ablehnend.
      "Wer?"
      "Jean Paul."
      "Wer ist tot."
      "Jean Paul ist hier."
      "Wer? Ach, du..."
      Er versuchte sich zu erinnern, wie er diese Frau überhaupt kennengelernt hatte. Ach ja, sie hatte eine Kontaktanzeige in französischer Sprache aufgegeben und er hatte gemeint, er könnte bei ihr sein Französisch auffrischen. Tatsächlich war der Text nur ein Zitat aus einem französischen Punkrock-Song gewesen. Er hatte ihr den Text erst übersetzen müssen. Sie hatte nur gewusst, dass der Sänger "geil" aussah und alle seine Songs "irgendwie cool" klangen.
      "Hast du mich angeklingelt?"
      "Warum sollte ich das tun? Du bist doch sowieso viel zu alt für mich."
      "Hast du mich angeklingelt oder nicht?"
      "Aber dein Problem ist eigentlich nicht, dass du schon so alt bist, sondern dass du nichts hast. In deinem Alter sollte eigentlich schon mindestens ein Mercedes da sein."
      Er verstand den Gedanken, denn in seinem Auto war es für die beiden gelegentlich wirklich sehr eng gewesen, trotz ihrer Gelenkigkeit.
      "Und ein Haus sollte man dann auch schon haben. Das ist dein Problem!"
      "Hast du mich angeklingelt oder nicht?"
      "Weiß nicht. Und wenn schon."
      "Ja, Hauptsache du tust es nicht wieder."
      "Keine bange."
      Er legte auf und sich wieder hin.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul soll gleichzeitig Versicherungen von zwei Gesellschaften verticken.
      Avatar
      schrieb am 24.01.07 20:25:03
      Beitrag Nr. 297 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.121.924 von Wolfsbane am 22.01.07 23:35:54Wenn ich so darüber nachdenke:
      Den absoluten Hammer hat ja mal McDonalds gebracht (war sicher erfolgreich):
      Los Wochos :laugh:
      Avatar
      schrieb am 25.01.07 12:05:33
      Beitrag Nr. 298 ()
      @ unlocker

      "Los Wochos"? Also, nach meinem Sprachgefühl müsste das doch wohl "Los Wochonos" heißen... ...
      und auf Änglisch
      ...
      "Ssssäh whäck"!
      :laugh:

      Übrigens muss Adriano Celentano auch irgendwo ein paar Deutsche in seinem Stammbaum haben, denn wie sagte er in "Gib dem Affen Zucker" noch gleich nach zehnminütigem, erfolglosen Feilschen mit einem arabischen Teppichhändler: "Ach, der kann überhaupt kein Arabisch!"

      :laugh:

      Bei einem früheren Arbeitgeber musste ich im Betrieb eine gewisse Zeit immer für meine deutschen Vorgesetzten dolmetschen, weil die kein Englisch konnten. Hinterher wurde sich aber geweigert, mir das irgendwie zu bescheinigen, denn:
      "Der kann doch auch kein Englisch!"
      "Aber er hat doch immer mit den Briten geredet!"
      "Die können's auch nich!"

      :rolleyes::laugh:
      Avatar
      schrieb am 25.01.07 12:18:21
      Beitrag Nr. 299 ()
      118.
      Irgendwann zwischen zwei Fahrten für seine Nachbarin, bei denen ihm irgendwie dämmerte, dass sie ihre Freunde noch häufiger wechselte, als er jemals begreifen würde und dass einige davon in Wirklichkeit nur oder auch ihre Dealer waren, rief ihn seine ehemalige Kollegin Ines an und jubilierte in sein Ohr wie ein mit Glücklichmachern gefütterter Singvogel.
      "Äh, aber ich arbeite doch jetzt schon für eine Versicherung!", sagte er.
      "Ach, so einen Halbtagsjob kriegst du immer wieder wieder! Ich hatte davon schon Dutzende!"
      "Wirklich? Ich dachte, du wärst bei solchen Jobs sehr erfolgreich..."
      ...und könntest mir das auch beibringen?
      "Bin ich ja auch immer wieder!"
      "Und warum bleibst du dann nirgendwo länger?"
      "Weil ich eben zu gut bin! Und mich jobmäßig immer weiter verbessern will!"
      Verkaufte sie nicht immer noch Lotterie-Lose? Wie jedesmal?
      Er versuchte sich zu erinnern.
      "Also, ich muss mich jetzt erst einmal auf diesen Job konzentrieren, um..."
      "Nein, du musst endlich Geld verdienen! Und ich zeige dir, wie du richtig Geld scheffeln kannst! Mit Niveau!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau (auf unsere goldene Zunkunft):
      Wir erfahren, wie man richtig Geld verdient und schnell reich wird. Demnach müssen meine Leser demnächst überhaupt nicht mehr arbeiten, sondern nur noch "Die Abententeuer des Telefonagenten" lesen! Ines würde nämlich nie lügen! Leute, die Lotterie-Lose verticken, wissen überhaupt nicht, wie man lügt. Bald sind wir alle reich! HURRA !!
      Avatar
      schrieb am 25.01.07 12:29:48
      Beitrag Nr. 300 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.174.572 von Wolfsbane am 25.01.07 12:05:33Die Politik hat die Möglichkeiten der Sprache ja inzwischen auch entdeckt (zumindest in BaWü):
      "Mir kenne elles! Oußer Hochdeitsch" ;)
      Avatar
      schrieb am 25.01.07 23:06:59
      Beitrag Nr. 301 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.174.983 von unlocker am 25.01.07 12:29:48:look:

      Die Elite trifft sich sowieso hier:
      http://www.plattmaster.de/

      :):):)
      Avatar
      schrieb am 25.01.07 23:10:24
      Beitrag Nr. 302 ()
      Pardon!

      http://www.plattmaster.de/

      Ich bin aber manchmal auch ein Schnarchhahn! :rolleyes: Liegt daran, dass ich watt zuviel vorm Glotzkasten sitze und watt zuviel von diesem schwatten Bölkwater trinke... :rolleyes:

      Aber nu flennst der Link!! :p
      Avatar
      schrieb am 25.01.07 23:14:32
      Beitrag Nr. 303 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.188.506 von Wolfsbane am 25.01.07 23:06:59Nee! Nö? :laugh:
      Avatar
      schrieb am 25.01.07 23:24:41
      Beitrag Nr. 304 ()
      Aber nu flennst der Link!!
      Wird arschteuer für die Steuerzahler wennse die KfZ-Schilder umflenzen müssen ;)
      Avatar
      schrieb am 26.01.07 12:28:41
      Beitrag Nr. 305 ()
      Jean Paul fand diese Frau anziehend und dabei erschien sie ihm recht skrupellos, aber inzwischen war das für ihn kein Widerspruch mehr.
      Wir können das als Beweis dafür ansehen, dass Jean Paul schon vor Beginn seiner offiziellen Umschulung "umgeschult" worden war.
      Zwölf Jahre lang.
      Vorher war er dank seinem früheren Kampfsporttraining körperlich sehr beweglich und moralisch unbeugsam gewesen. Aber nach zwölf Jahren, in denen man ihm seine Gesundheit Stück für Stück abgekauft hatte, war sein Körper unbeweglich und dafür seine Moral flexibler geworden. Die Umwandlung, fast könnte man schon von einer Travestie sprechen, war abgeschlossen. Inzwischen hatter er sich dem Aussehen nach erholt und war körperlich kein krummer Hund mehr, doch stattdessen ließ sich das inzwischen über seinen Charakter sagen. Anscheinend konnte man nur so überleben.
      Arbeit und Weiterbildung schien in diesem Land nur noch bestraft zu werden. Es ging nicht nach Leistung, sondern nach Bedürftigkeit und wer einfach bloß gierig war, bekam auch viel. Zumindest in vielen Firmen. ZUm Beispiel hatte Jean Paul lange Zeit in zwei Abteilungen gearbeitet. An normalen Tagen war er direkt von der Produktion in den Versan gegangen, um dort weiter zu arbeiten und an den Freitagen oder Samstagen, wenn der Versand alle sbis Mittag fertighaben musste, hatte er zuerst im Versand und dann in der Produktion gearbeitet. Das alles in der naiven Meinung, dass man einem tüchtigen "Malocher" irgendwann zur Belohnung einen etwas gesünderen Job geben würde, anstatt ihn so lange zu verschleißen, bis er überhaupt nicht mehr arbeiten konnte und ihn dann in die staatliche Unterstützung zu verjagen. Aber weit gefehlt. Stattdessen wurde der im Versand vakante Job schließlich dem Kollegen gegeben, der in der Produktion wegen seiner Faulheit und Unfähigkeit stets kurz vor dem Rauswurf gestanden hatte und den man dort darum auch loswerden wollte. Dort machte dieser Bursche anstelle von Jean Paul Karriere. Weil er nämlich in seiner neuen Abteilung wie zu erwarten auch der schlechteste war, musste er sich unbezahlte Mehrarbeit aufbrummen lassen und gelegentlich für den Abteilungsleiter durch das Lager gehen und dort alles durchzählen, was ihn pro forma zu dessem Stellvertreter machte. Und als der richtige Chef wegen Bandscheibenvorfall für ein Jahr ausfiel, war er plötzlich der richtige Abteilungschef und nach einiger Zeit lachte darüber auch keiner mehr. Jean Paul hatte in dieser Zeit nichts erreicht, als immer krummer zu werden und beim Arbeiten immer mehr Schmerzen zu haben. Und über die Tatsache, dass er in der Zwischenzeit Abitur gemacht und seine Englisch-Kenntnisse in der Firma beweisen hatte, wurde nur gelacht. Umso mehr er arbeitete, umso mehr wurde seine Belastung noch weiter gesteigert und umso mehr er zeigte, wie ungerecht das war, desto mehr geilten sich seine sadistischen Vorgesetzten daran auf und verspotteten ihn. Kein Wunder, dass er irgendwann, kurz vor der Rückenoperation, seine moralischen Grundsätze überdachte und jetzt immer noch darüber grübelte...
      Avatar
      schrieb am 29.01.07 00:22:42
      Beitrag Nr. 306 ()
      119.

      Jean Paul war beeindruckt, als Ines ihn in ihrem Büro empfing.
      Sie lehnte sich zufrieden in dem komfortablen Ledersessel zurück und genoß es, dass er die Umgebung bestaunte.
      "Nicht schlecht, wie?", fragte sie zufrieden.
      "Wer ist der Kerl, dessen Gesicht hier auf allen Bildern ist?"
      Sie zuckte zusammen.
      "Das ist mein Chef."
      "Du fühlst dich ihm wohl sehr verpflichtet."
      "Na klar, schließlich überlässt er mir immer wieder sein Büro. Wann immer ich will, wenn ich nur rechtzeitig frage."
      "Ich bin beeindruckt", sagte er mit spöttischem Unterton.
      Sie stand auf und stellte sich vor den Schreibtisch.
      "Er ist sehr erfolgreich und er kann das auch weitervermitteln."
      Sie tat so, als müsste sie die Fotos noch einmal prüfend betrachten. Dabei ging sie davor auf und ab, wohlwissend, das das taillierte Kostüm und die hohen Pumps ihre schlanke Gestalt sehr vorteilhaft betonten.
      "Ich bin beeindruckt", sagte er. Als ihm auffiel, dass er diese Floskel eben erst benutzt hatte, verbesserte er sich.
      "Ich bin sehr beeindruckt."
      "Du lernst schnell", sagte sie.
      Anschließend setzte sie sich wieder in den Sessel, schaute hektisch auf die Uhr und fragte dann betont lässig, wie viele Addressen für potentielle Kunden er mitbringen würde.
      "Ich bin im Moment noch bei einer anderern Versicherung", sagte er. "Ich möchte zumindest noch eine zweite Woche dort arbeiten, um der Sache eine Chance zu geben, ehe ich schon wieder etwas Neues anfange. Das passt dann auch genau mit dem Seminar. Wenn ich bei der anderen Versicherung aufhöre und bei Euch das Seminar mache, steige ich anschließend voll ein. Wie ist das?"
      "Warum nicht sofort einsteigen und schon einmal für das Seminar zu üben?", fragte sie. "Du kannst mit dem dort vermittelten Wissen doch viel mehr anfangen, wenn du schon die Praxis kennst."
      "Jetzt schon anfangen?"
      "Hast du schon jemanden für heute?", fragte sie erwartungsvoll.
      "Heute? Nein. Ich sagte doch..."
      Darauf überfiel sie ihn mit einem Schwall von Versprechungen über seine goldenen Zukunft und wie leicht man Millionär werden konnte und so weiter. Jetzt verstand er, warum sie seit den Seminaren für Versicherungsvertreter so viel besser darin geworden war, Lotterielose und Lotto zu verkaufen. Die Sprüche und Verheißungen waren absolut austauschbar.
      Schließlich sah sie auf ihre Armbanduhr.
      "Ich muss dich aber darum bitten, mich zukünftig zu siezen. Zumindest solltest du das tun, wenn wir hier sind, denn hier siezen sich alle. Das ist eine Frage des Niveaus."
      Sie spielte gut. Manchmal wurde jemand wirklich zu dem, was er spielte, wenn er es nur oft genug spielte und mit seiner Rolle und ihren Möglichkeiten immer mehr Vertrautheit erlangte. Er traute es Ines zu, dass sie tatsächlich mit Versicherungen reich werden würde. Zumindest schien sie wirklich daran und auch an ihr Produkt zu glauben. Das machte sie interessant. Vielen Leuten konnte man praktisch alles verkaufen, wenn man nur jemanden hatte, der sie vehement überzeugte, dass er glaubte, was er sagte. Dann glaubten sie ihm, dass er die Wahrheit sagte und schließlich auch, dass er wusste, wovon er redete. Mit Ines schien er so jemand gefunden zu haben. Er musste ihr nur Addressen geben, sie dorthin zu fahren und sie machen zu lassen, seinen Teil einstecken und sich dann befördern zu lassen. Wenn die Versicherungen auch nicht so einträglich waren, wie man ihnen vorrechnete, so würden sie doch die nächsten drei Jahrzehnte die Vorfreude genießen, sich sicher fühlen und gut immer gut und gesund schlafen können.
      "Ich verstehe", sagte er.
      Sie wollte ihn ganz klar einfach ausnutzen. Sie würde nie irgendwelche persönlichen Gefühle für ihn entwickeln. Ihre Freundlichkeit war rein professionell und enthielt eine gewisse, selbst für den eitelsten Blödmann nicht zu ignorierende Kälte. Sie würde ihm eine Menge seiner Zeit, einiges an Spritgeld und womöglich auch ein paar Freunde kosten. Andererseits gab es eine kleine Chance, dass sie Recht behielt und eine kleine Chance war immer noch besser als überhaupt keine. Falls sich das ganze als gigantischer Flop entpuppte, war er wenigstens mit fliegenden Fahnen untergegangen. Und was seine Freunde anging, so waren es ohnehin keine richtigen Freunde. Er sorgte sich aber, dass sie womöglich nur die Marionette von jemandem war und selber nur ausgenutzt wurde. Das hatte er schon eher erlebt. Frauen, die beeindruckend willensstark wirkten und ihn, solange er es sich gefallen ließ, sicher dominierten, aber dabei in Wirklichkeit nur der verlängerte Arm eines anderen Mannes waren, dessen Anweisungen sie ausführten. Solche Frauen waren selber nur Opfer und nicht verläßlich.
      "Es freut mich, dass Sie mich verstehen!"
      Okay, sie siezte ihn also umgekehrt auch. Seit SM dank Internet zum Volkssport geworden war, gab es schließlich auch sehr viele Frauen, die von Männern plötzich verlangten, gesiezt zu werden, ohne im mindestens in Betracht zu ziehen, diese Männer ihrerseits zu siezen.
      "Klar, äh..."
      Wie war noch gleich ihr Nachname?
      "...Madame."
      Sie stand auf, atmete aus, knöpfte ihr Jäckchen zu und sah ihm fest in die Augen.
      "Huh", sagte er.
      "Ich habe morgen abend noch einen Termin frei", sagte sie und zückte ihren PDA. "Ab wann kannst du, äh, Sie?"
      Er war so überrascht von der Frage, dass er sofort eine Uhrzeit nannte und eingeplant wurde, ehe er seinerseits fragen konnte, was sie morgen überhaupt schon wieder von ihm wollte.
      Sie schob ihn hektisch zum Ausgang und in den Fahrstuhl.
      "Bis morgen!", sagte sie.
      Jean Paul fühlte sich an seine junge Nachbarin erinnert, die auch wusste, wie sie ihn dazu brachte, fast alles für ihn zu tun. Er konnte zu dieser Nachbarin nie Nein sagen, weil es keine andere Frau gab, die ihn davor schützte oder daran hinderte. Was er brauchte, war irgendeine Art Beziehung zu irgendeiner anderen Frau, die sich mit ihm verabredete, so dass er ab und zu "Nein, ich bin gerade bei ..." oder "Nein, ich habe schon etwas vor" sagen konnte. Mit Ines konnte er sich auch sehen lassen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, pädophil zu sein. Er musste nicht befürchten, in Drogenschieberein verwickelt zu werden und eine Hausdurchsuchung zu kriegen. Sie würde ihn auch nicht mitten in der Nacht anrufen oder irres Zeg reden. So gesehen war sie das geringere Übel.
      "Ich komme", verprach er zögernd, aber bestimmt.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul stellte fest, dass er immer noch ein Gewissen hat und gewisse Grenzen nicht überschreiten will.
      Avatar
      schrieb am 29.01.07 19:41:11
      Beitrag Nr. 307 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 23.543.263 von Wolfsbane am 21.08.06 11:49:11 :rolleyes:
      Anscheinend ist das Thema immer noch aktuell:


      http://news.de.msn.com/Article.aspx?cp-documentid=2705327

      :cool:
      Avatar
      schrieb am 29.01.07 21:28:02
      Beitrag Nr. 308 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.280.002 von Wolfsbane am 29.01.07 19:41:11Stimmt schon, was der Artiel in Deinem link hergibt.
      Aber so kommen doch auch offizielle Umfragen zu Stande.

      Man muß nur die richtige Frage stellen.
      Geh mit nem Mikro aus die Straße und frage:
      "Ich komme von der G** bzw. vom i**-Institut und habe nur eine kurze Frage: Was halten Sie für besser: eine gemeinsame EU-Verfasssung oder daß Deutschland einen III. Weltkrieg beginnt?"
      Eine Zustimmungsquote von 90+x% ist Dir sicher. Das lässt sich gut in die Medien bringen (natürlich ohne die Frage zu nennen)

      Mich hat öfter einer angerufen, der was von senegalesischem Kupfer gelabert hat. Beim dritten mal hab ich ihm gesagt, daß ich nicht flüssig bin, weil ich alles in bolivianischen Schweinhälften angelegt habe.
      Der: "Was?Wie?"
      Ich: "Da sehen Sie mal, wer von uns beiden der Fachmann ist!"

      Und auch die Tante von der Lebensversicherung war nicht schlecht, nach mehrmaliger Ablehnung meinerseits fragte die:
      "Wollen Sie wirkich arm sterben?"
      Ich:"Aber klar doch will ich das! Ich habe keine Kinder oder Angehörigen und hoffe, punktgenau zu meinem Todestag alles verbraten zu haben, was ich besaß."
      Die hat sich nie mehr gemeldet. :D
      Avatar
      schrieb am 31.01.07 08:55:02
      Beitrag Nr. 309 ()
      120.
      Wahnsinn. Das war doch alles Wahnsinn. Er wollte einen Platz an der Sonne, aber mit seinen tiefschürfenden Analysen grub er nur immer noch tiefere Tunnel, die ihn garantiert nie ans Ziel, also ans Licht brachten.
      Er musste sein Leben vereinfachen.
      Erst würde er das mit der Nachbarin beenden und dann die Sache mit Ines.
      Als er in seiner Wohnung saß, hörte er Geräusche aus der entsprechenden Richtung. Er versuchte sich mental vorzubereiten, indem er sich eine DVD über Damen-Schlammcatchen ansah.
      Solchermaßen desensibilisert stürzte er sich in die Schlacht.
      Avatar
      schrieb am 01.02.07 00:30:00
      Beitrag Nr. 310 ()
      120.b.

      Jean Paul versuchte sich in Rage hineinzusteigern, indem er bewusst an Frauen dachte, die ihn in seinem bisherigen Leben schlecht behandelt hatte. Das klappte ganz gut, bis er an die mit Abstand schlimmste von allen dachte, nämlich an seine einstige Küchenchefin, denn die Erinnerung an diese bösartige Lebensform machte ihn nicht wütend, sondern warf nur die Frage auf, warum er eigentlich damals nicht einfach ein für alle Male Selbstmord begangen hatte.
      Warum eigentlich nicht?
      Ach ja, weil er die Befriedigung nicht gegönnt hatte.
      Er klingelte an der Tür seiner kleinen Nachbarin und versuchte sich wieder in Rage zu bringen. Diesmal, indem er über Schimpfworte für Frauen nachdachte. Ihm fiel aber nur der Vorname der bereits erwähnten Chefin ein. Irgendwie war sein Verstand blockiert.
      Dann ging die Tür auf.
      Es heißt, wenn man einmal hypnotisiert worden ist, kann man von der betreffenden Person jederzeit wieder hypnotisiert werden, sogar gegen den eigenen Willen. Bei Jean Paul und seiner Nachbarin traf das zu. Sie konnte ihn sogar hypnotisieren, ohne es zu wollen oder darauf zu achten und sie hätte es auch gegen seinen Willen tun können, was aber reine Theorie blieb, weil er in ihrer Gegenwart seinen freien Willen nicht einmal vermisste. Sie brauchte nur das zu wiederholen, womit sie ihn schon beim ersten Mal hypnotisiert hatte, nämlich vor seine Augen treten.
      "Hallo", sagte sie. "Wie geht es dir?"
      Er merkte an ihrem belustigten Gesichtsausdruck, dass er wieder dumm guckte.
      "Ja", antwortete er und konnte sich vor lauter Grinsen kaum artikulieren.
      "Mein Freund ist da", sagte sie.
      Er hörte die Worte, allein der Sinn blieb ihm verborgen.
      "Komm ruhig rein, dann könnt ihr euch kennenlernen", sagte sie.
      Er folgte ihr in die Wohnung.
      Auf dem Sofa vor dem Fernseher saß ein dicker Blonder, der "Abend" murmelte, ohne den Blick von der Mattscheibe abzuwenden.
      "Das ist mein Freund", sagte sie stolz.
      Ihre Hose hing ziemlich tief und er konnte erkennen, dass sie einen Stringtanga trug. Anscheinend hatte sie heute abend noch etwas vor.
      Mit dem da.
      "Er ist selbstständig", fügte sie hinzu. "Er arbeitet für eine Versicherung."
      "Welche", sagte Jean Paul.
      Der Mann nannte sie ihm.
      "Da kenne ich eine Ines", sagte Jean Paul.
      "Ja, die kenne ich auch", sagte der Typ. "Die ist gut und sieht auch scharf aus, aber ich bin durch jemand anders dort hin gekommen und sie ist mir auch ein bischen zu alt."
      "Mir nicht", sagte Jean Paul zu dem ungefähr halb so alten Mann.
      "Sieht auch wirklich noch verd.... scharf aus", sagte der andere.
      Anscheinend konnte man einem Mädchen wie seiner Nachbarin imponieren, wenn man für diese Versicherung arbeitete.
      Oder?
      Er sah sie an.
      Und dann entdeckte er in ihren Augen etwas Neues.
      Eifersucht.
      "Oja, wenn ich die sehe, geht mir jedesmal fast einer ab", sagte Jean Paul und behielt unauffällig seine Nachbarin im Auge.
      Sie wurde auf einmal ganz hippelig.
      "Aber total", sagte Jean Paul.
      "Okay", sagte sie dan zu Jean Paul und bugsierte ihn aus der Wohnung. "Du hast bestimmt irgendwelche Freunde, denen du deine Geschichten erzählen kannst. Uns interessiert das nicht."
      "Warte mal", hörte er den anderen noch sagen und dann stand er plötzlich auf dem Flur und vernahm ein aus seiner Wohnung kommendes Telefonklingeln. Er lief in seine Bude und nahm ab.
      "Hier ist Ines, äh, Frau Bichler-Nordhausen. Kannst du, äh, ich meine, Sie früher kommen? So eine Stunde? Das wäre nett von d... Sie."
      "Aber alles was Sie wollen", antwortete Jean Paul mit grimmiger Entschlossenheit.
      "Wirklich? Und was ist mit dem Seminar?"
      "Mach ich mit", sagte er.
      "Huh", sagte sie.
      Na also. Er, Jean Paul, hatte alles im Griff. Wenn er einmal auf Kurs war, ging er seinen Weg und niemand konnte ihn davon abbringen!

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Ein Mann geht seinen Weg!
      Avatar
      schrieb am 01.02.07 00:33:10
      Beitrag Nr. 311 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.282.410 von unlocker am 29.01.07 21:28:02@ unlocker

      :laugh:
      Avatar
      schrieb am 02.02.07 21:11:59
      Beitrag Nr. 312 ()
      Am nächsten Tag hatte er also wieder einen Termin bei der ehemaligen Kollegin, die sich damit endgültig zu seiner neuen Chefin machen wollte. Er fand es anstrengend, morgens schon so früh in die Großstadt zu fahren, dann anschließend dort noch ein paar Stunden totschlagen zu müssen und schließlich und endlich acht Stunden professionell zu telefonieren.
      Auf dem Hinweg empfing er eine SMS von Ines, in der sie ihm mitteilte, dass sie sich verspäten würde. Die Abschlussformel "Mit freundlichen Grüßen, Frau Bichler-Nordhausen" war länger als der eigentliche Text. Jean Paul schüttelte den Kopf wie ein Hund mit Wasser in den Ohren. Er setzte seine Fahrt fort und parkte vor dem Bürogebäude neben einem Porsche. Der Besitzer des edlen Gefährts öffnete ihm per Knopfdruck die Tür, als er klingelte.
      "Moin", sagte Paul und gab sich damit als Adept der edelsten und verdientesten Version der deutschen Sprache zu erkennen.
      "Moin", entgegnete der junge Mann, der einen schwarzen Anzug und eine gestreifte Krawatte trug.
      Jean Paul nickte.
      "Tach", fügte der andere grinsend hinzu.
      Jean Paul zog die Stirn in Falten, denn "Tach" klang so verdächtig preußisch, dass er sich gemahnt sah, toute de suite zu kontern.
      "Bonjour", knurrte er.
      In seinen glorreichsten Tagen hatte dieser Teil von Allemagne zu Frankreich gehört. Die Preussen waren kampflos vor den Franzosen geflüchtet und die napoleonischen Truppen waren als Befreier gefeiert worden. Die Franzosen hatten dann zwar ihrerseits vor "Töttchen" und "Pumpernickel" kapituliert und Napoleon hatte sich sicherheitshalber bis auf die Insel Elba zurückgezogen, aber Jean Paul fühlte sich nichtsdestotrotz eher als Ex-Franzose, denn als "Saupreiß".
      "Kaffee?", fragte der andere.
      "Mais oui", antwortete Jean Paul.
      "Heisst da ja?"
      "Exactement."
      Der Mann kehrte ihm den Rücken zu, verschwand hinter einer Tür und kam mit zwei Kaffeetassen zurück.
      Jean Paul erleichterte ihm die Last.
      "Ich warte auf Frau Bichler", erklärte er.
      "Eine gute Kraft", lobte der andere. "Hat eine Ratio von praktisch 1:1"
      "Quoi?"
      "Das heißt, dass sie praktisch jedem Kunden, den sir trifft, auch etwas verkauft."
      Fragte sich nur, auf wie viele Kundenkontakte sie es brachte. Er kannte solche Zahlenspielereien von der Börse. Wenn ein Hersteller von Laptops auf einer Südseeinsel im ersten Jahr nur einen einzigen Laptop verkaufte und der dann im nächsten Jahr kaputtging und der einzige Kunde nun einen weiteren Laptop als Ersatz und sicherheitshalber noch einen zur Reserve kaufte, dann wurde das eine Umsatzsteigerung um 100% und rasantes Wachstum verkauft.
      "Ist das normal?", fragte Jean Paul, der immer noch keinen Anlass sah, sich namentlich vorzustellen.
      "Nein. Ich zm Besipiel habe ganz anders angefangen. Ich sammelte erst einmal unter meinen Kommiltonen Hunderte von Adressen und machte mir einen Namen als Kenner der Materie, ehe ich selber die erste Police absetzte. Aber von da an lief es wie geschmiert und bald konnte ich mir mein Auto leisten."
      "Den Porsche vor dem Haus etwa?"
      "Den 911er."
      "Wollte ich mir auch schon kaufen", sagte Jean Paul, "aber meiner ist in der Haftpflicht günstiger."
      Jetzt kam Ines rein, noch außer Atem vom Radfahren.
      "Das Schicksal ruft", sagte Jean Paul und stellte die Kaffeetasse weg.


      Fortsezung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul kriegt zukünftig von einer Frau, die wir schon kennen, wiederholt den Auftrag, ihre Unterwäsche zum Trocknen aufzuhängen.
      Avatar
      schrieb am 05.02.07 12:06:46
      Beitrag Nr. 313 ()
      :rolleyes:

      Im Moment habe ich leider zum Schreiben wenig Zeit... :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 05.02.07 20:25:57
      Beitrag Nr. 314 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.440.432 von Wolfsbane am 05.02.07 12:06:46Ich gehe jetzt mal davon aus, daß ich für einen Teil der Fäähhnngemeinnde spreche (o.k. ich maße mir das einfach mal an).
      Wir werden lange und unentspannt ausharren.
      Irgendwie kennen wie ja JP doch auch alle (aber nimm dir nicht zuviel Auszeit). Aktiv zu harren kann sehr anstrengend werden ;)
      Avatar
      schrieb am 05.02.07 23:35:13
      Beitrag Nr. 315 ()
      122.
      Ines genoss es offensichtlich, Eindruck zu machen und etwas zu sagen zu haben. Jean Paul konnte das nicht ganz nachvollziehen, denn er war gewohnt, mehr Eindruck zu machen, als er wollte. Sein Ideal war, eine graue Eminenz zu sein. Als Junge hatte er davon geträumt, in der Filmbranche zu arbeiten und einer der Männer zu sein, in deren Büro die berühmte "Besetzungscouch" steht. Den normalen Menschen völlig unbekannt zu sein und heimlich zu genießen, war ihm verheißungsvoller erschienen, als zum Beispiel ein berühmter Schauspieler zu sein und im schlimmsten Fall heimlich selbst den Hintern hinhalten zu müssen.
      Ines hielt ihm einen Vortrag über die Rhetorik des Verkaufens.
      Sie verbat sich jede Unterbrechung und gefiel sich dabei sehr gut. Offensichtlich machte es sie stolz, dass sie alles auswenig konnte. Das fand er einfach doof. Auswendiglernen fand er überhaupt blöd. Seiner Meinung nach war das die Lernmethode für Leute, die nicht viel verstanden. Am Abendgymnasium waren ihm auch solche Leute begegnet. Schüler und Schülerinnen, die immer wieder behaupteten, bei den Klausuren würden Themen behandelt, die im Unterricht nicht dran gekommen wären, weil sie eben nie kapierten, dass es in der Schule ab einem gewissen Niveau darum ging, sich durch Begreifen Methoden anzueignen, die übertragbar und vielfältig einsetzbar waren, anstatt sich stumpf Details einzuhämmern und diese nur reproduzieren zu können.
      "So funktioniert das nicht", sagte er.
      "Unterbrich mich nicht", herrschte sie ihn an.
      "Meine Freunde lassen sich nicht einfach etwas erzählen, sondern stellen von Anfang an Fragen und erarbeiten sich uf diese Weise ihr Wissen selber. Die lassen sich nicht zutexten. Damit hast du gleich verloren."
      "Höre dir das erst einmal zu Ende an, bevor du Fragen stellst."
      Jean Paul dachte darüber nach, wo in seinem Einspruch eine Frage versteckt gewesen war.
      "Und für nur 50 Euro im Monat..." setzte sie fort.
      "Moment mal, ich kenne meine Leute und..."
      "Das kann man so allgemein nie sagen!"
      "Doch, die sind alle gleich."
      "Das ist ein Klischee!"
      "Nein, ist es nicht. Ich muss es wissen. Sind meine Freunde!"
      "Du wiederholst dich!"
      Die war gut.
      Erstklassige Rabulistik.
      "Ich...", fing er an.
      "Ich, ich, ich!", rief sie dazwischen. "Immer geht es nur um dich. Meinst du, das merken die Leute nicht? Vielleicht solltest du einmal nicht nur immer über dich selber nachdenken. Das merken die Leute nämlich und dann hören sie wirklich nicht mehr zu."
      "Aber ich..."
      "Schon wieder! Nein, jetzt geht es einmal nicht nur um dich. Höre einmal jemandem zu, dann höre ich dir anschließend auch zu."
      "Okay."
      Sie sah auf ihre Uhr.
      "So spät schon! Also, ich erzähle dir jetzt noch was, damit du auch was von diesem Termin hast und dann gibst du mir deine Adressen und morgen kommst du wieder und gibst mir noch mehr Adressen."
      "Was?"
      "Wir haben nur noch 5 Minuten. Also rede nicht mehr dazwischen!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Und er tut es doch. Er redet wieder dazwischen. Zumindest versucht er das. Lümmel, der.
      Avatar
      schrieb am 06.02.07 09:42:05
      Beitrag Nr. 316 ()
      jetzt mal zur Auflockerung ein Link, in dem man lernt wie man mit den Telefonverkäufern umgeht:

      www.howtoprankatelemarketer.ytmnd.com

      :cool:
      Avatar
      schrieb am 06.02.07 23:11:31
      Beitrag Nr. 317 ()
      :laugh: *gröhl* :laugh:
      Avatar
      schrieb am 08.02.07 12:24:24
      Beitrag Nr. 318 ()
      123.

      Normalerweise hätte Jean Paul sich das überhaupt nicht so lange angehört und so ein Gespräch sofort beendet. Normalerweise hätte er Ines auch eine ausführliche, logische und unmissverständliche Erklärung für seinen Rückzug gegeben. Ganz früher hatte er solchen Menschen sogar einen Brief geschrieben, damit sie in Ruhe darüber nachdenken konnten.
      Inzwischen hatte er gelernt, dass man sich so nur aktive Feinde machte, die anschließend für den Rest ihres Lebens über ihn schimpften und so dafür sorgten, dass sich auch die guten Leute von ihm fernhielten.
      Darüber hinaus musste er sich seit seiner Umschulung fragen, ob nicht überhaupt alles, was er früher getan hatte, falsch gewesen war. Schließlich hatte es ihn in diese Fabrik gebracht, in der man ihn gesundheitlich praktisch wie eine Zitrone ausgequetscht hatte. Alles andere wäre besser gewesen udn wahrscheinlich würde jetzt alles besser, wenn er einfach immer nur das Gegenteil von dem tat, was er früher getan hätte.
      Zumindest war es sicherlich besser, sich immer alles offen zuhalten, statt sich jedesmal für einen Weg zu entscheiden und dann alle Brücken hinter sich abzubrechen.

      Nach diesem Gespräch ging er einkaufen. Am Automaten für Pfandflaschen sah er einen Mann, der hier den Pfand für Flaschen bekommen wollte, die er anderswo gekauft hatte und die hier nicht erhältlich waren.
      "Die haben wir nicht im Sortiment", sagte der Verkäufer zu dem ungefähr fünfzigjährigen Mann, der wie ein Lehrer aussah. "Darum brauchen wir die auch nicht zurück zu nehmen. Außderdem ist das ein ganz anderes System. Was Sie da haben, sind Einwegflaschen von ALDI. Wir nehmen hier nur Mehrwegflaschen zurück."
      "Unsinn", protestierte der Kunde, "für diese Flaschen habe ich den Pfand bezahlt und darum habe ich auch das Recht, mein Geld zurück zu kriegen!"
      "Aber..."
      "Nichts aber! Die sind GÜLTIG!"
      "Aber..."
      "Ich will ihren Vorgesetzten sprechen!"
      "Aber..."
      "Sofort!"
      Der Verkäufer ging fort und der Kunde versuchte wütend die Flaschen durch den Schacht hindurch zu werfen, über den Scanner hinweg. So oder so kamen die Flaschen immer wieder zurück, egal mit wieviel Schwung er warf.
      Jean Paul sah jetzt praktisch in seine Zukunft. Irgendwann würde er bei einer technischen Hotline arbeiten und dann würden ihn solche Leute anrufen, würde ihn über die Marke und Art der Flaschen belügen und die vor ihnen auftauchende Fehlermeldung leugnen und seinen Vorgesetzten verlangen...


      Fortsetzung folgt

      Vorschau
      : War schon drin!
      Avatar
      schrieb am 09.02.07 12:24:25
      Beitrag Nr. 319 ()
      124.

      Jean Paul war enttäuscht, dass die von Ines genannten Prämien für den Verkauf einer Versicherung deutlich unter dem lagen, was er früher gehört hatte. Wahrscheinlich lag das an diesem Struktursystem. Er fragte sich, ob es sich lohnte, dafür die ganze Rennerei zu haben. Trotzdem wollte er sich alles offen halten. Adressen zu beschaffen oder Arbeitssuchende kennen zu lernen, die er dann für sich laufen lassen konnte, war augenblicklich schließlich überhaupt kein Problem, da er ungefähr alle zwei Wochen in einem anderen Call-Center anfing und in fast jedem Call-Center während dieser zwei Wochen die Belegschaft mehrmals komplett ausgetauscht wurde. Kontakte hatte er also im Überfluss...
      Und wenn er nur genug Leute ansprach, fand er auch immer wieder für alles Interessenten.
      Damit er die Termine mit Ines wahrnehmen konnte, änderte er sogar seine Arbeitsgewohnheiten bezüglich des Telefonverkaufs von Versicherungen. Er arbeite jetzt im Callcenter nur noch vormittags statt nachmittags, obwohl man nachmittags und abends mehr Leute an den Hörer bekam und mehr verkaufte.
      Währenddessen traf er auch noch einmal die Nachbarin, die sich bei ihm beklagte, dass ihre Mutter mit ihr geschimpft hätte, weil sie fürchtete, die Tochter könnte ihren Ausbildungsplatz verlieren. Jean Paul überlegte eine Weile, ob er schon einmal davon gehört haben konnte, dass die juge Frau eine Ausbildung machte oder (außer an ihrem Auftreten) arbeitete.
      "Wann warst du denn letztes Mal da?", fragte er schließlich.
      "Das weißt du nicht mehr?", fragte sie ihn empört. "An dem Tag haben wir uns doch kennen gelernt!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Der Autor hält durch. Bei Jean Paul kann das keiner versprechen.
      Avatar
      schrieb am 12.02.07 12:23:29
      Beitrag Nr. 320 ()
      125.

      "Ziehst du zu deinem Freund?", fragte er.
      "Nein, der hat keinen Platz. Der wohnt noch bei seinen Eltern."
      "Hilft der denn wenigstens mit?"
      "Nein, er hat keine Zeit. Er ist bei seinen Eltern."
      "Leiht er dir wenigstens sein Auto?"
      "Nein, er hat kein Auto. Er muss sich das auch immer bei seinen Eltern leihen."
      "Das finde ich aber ziemlich enttäuschend."
      "Wie kannst du über ihn urteilen?"
      "Ich maeine ja nur so..."
      "Und außerdem macht er gerade drei Wochen Urlaub im Ausland."
      "Er fährt ins Ausland und macht Urlaub, wenn du Hilfe brauchst?"
      Er verstand das nicht. Es fiel ihr leicht, ihn auszunutzen, aber bei gleichaltrigen Männern war sie einfach eine Idiotin!
      "Er ist schon seit einer Woche dort! Mit seinen Eltern!"
      "Letzte Woche? Da war er doch noch hier!"
      "Wer? Hast du Halluzinationen?", fragte sie hochnäsig.
      "Dein dicker Blonder! Der Versicherungskönig!"
      "Ach der! Den habe ich abserviert! Das war nur mein Ex-Ex-Freund!"
      "Eine doppelte Verneinung ist eine Bejahung."
      Sie stemmte die Hände in die Taille.
      "Dann eben mein Ex-Ex-Ex-Freund!"
      "Einer von den vielen", murmelte er.
      "Das hast du dir in den Bart gemurmelt!"
      "Dafür habe ich ihn."
      "Was ist denn mit dir nächstes Wochenende?"
      "Da bin ich auf einem Versicherungsseminar. Soll ich deinen Triple-X-Lover von dir grüßen?"
      "Männer!"
      Sie winkte ab und verschwand in ihrer Wohnung.
      Er stand allein im Treppenhaus.
      Es hatte funktioniert.
      Ines hatte funktioniert. Sie hatte ihm die Kraft gegeben, seiner Nachbarin zu widerstehen.
      Jetzt musste er nur noch lernen, Ines zu ertragen.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul wird doch wieder schwach, hilft seiner Nachbarin und schwänzt das Versicherungsseminar. Und auch als Telefon-Agent verabschiedet er sich davon, Versicherungen zu verkaufen...
      Avatar
      schrieb am 13.02.07 11:35:57
      Beitrag Nr. 321 ()
      126.

      An diesem Wochenende hatte Jean Paul einmal keine Verabredung. Er erinnerte sich an Aphrodite, die ihm schon so oft gute Ratschläge gegeben hatte und rief sie an. Von seiner Nachbarin erzählte er ihr nicht, weil sie sonst so laut gelacht hätte, dass sie auf die eine oder andere Weise im Krankenhaus gelandet wäre, nämlich entweder wegen eines Herzinfarktes oder wegen der von ihren Nachbarn gerufenen Männern in den sprichwörtlichen weißen Kitteln. Er berichtete ihr nur davon, dass er jetzt für zwei Versicherungen Policen verkaufen sollte. Seinen Job im Callcenter kommentierte sie nur mit der hämischen Bemerkung, dass sie von Anfang an nur im Inbound gearbeitet und dort auch seitdem einen sicheren Job hätte. Davon, fremde Leute anzurufen, hielt sie immer noch nichts: "Du siehst ja, was dabei rauskommt!"
      Über die Sache mit dem Strukturvertrieb von Versicherungen regte sie sich hingegen wirklich auf. Sie sagte, die mit Abstand beste Organisation dieser Art sei HMI, aber selbst dort würde sich ein "Einfalstpinsel" wie er nicht lange halten können und ob seiner Blauäugigkeit womöglich noch draufzahlen. Als Beleg für diese Aussage wusste sie sogar einen Link im Internet auswendig.
      Der Link funktionierte allerdings nicht.
      www.hmi-aussteiger.com
      "Siehste", sagte sie nur.
      Er zuckte mit den Schultern.
      "Versuche doch einmal auf http://www.denic.de den Inhaber herauszufinden und kontaktiere ihn wegen der Gründe, warum seine Seite im Moment nicht erreichbar ist."
      "Die Adresse endet aber auf .com und nicht auf .de", sagte er. Ganz blöd war er auch nicht.
      "Versuche es trotzdem", sagte sie.
      "Mal gucken", murmelte er missmutig.
      Er hatte gehofft, sie würde ihn in dieser Sache unterstützen und nicht wieder nur alles miesmachen.
      "Willst du Sex mit mir?", fragte sie.
      "Ich habe Kopfschmerzen", antwortete er wahrheitsgemäß.
      "Ich muss dieses Wochenende sowieso arbeiten und außerdem stehe ich nicht auf eitle Fatzken", sagte sie und legte auf.
      Ihm fiel ein, dass er sie nicht gefragt hatte, ob sie schon eine kapitalbildende Lebensversicherung besaß, aber sie ging nicht mehr ans Telefon.


      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul erfährt, dass seine Ex-Kollegin und Neu-Chefin bereits "verbrannt" ist!
      Avatar
      schrieb am 14.02.07 12:29:17
      Beitrag Nr. 322 ()
      127.

      Bei seinem nächsten Termin mit Ines wurde ihm wieder nur erzählt, was er dann auch im Seminar hören würde.
      "Warum muss ich das denn jetzt schon alles lernen", quengelte er entnervt.
      "Hast du Addressen? Jemanden, den wir schon heute oder morgen besuchen können?"
      Er rieb sich die Stirn. Wieso war das die Antwort auf seine Frage.
      "Was?"
      Er versuchte einfach blöd zu gucken, aber ehe er es versuchen konnte, stellte sich das schon ganz von selbst ein.
      "Du profitierst am besten von dem Seminar, wenn du die Realität schon kennen gelernt hast. Also, wen besuchen wir?"
      Er schüttelte den Kopf.
      Seine Nachbarin hatte ihm in der Zwischenzeit verraten, dass sie mit dem dicken Blonden Schluss gemacht hatte, weil er sie permanent mit der Frage nach den Addressen ihrer Verwandten und Bekannten gequält hatte.
      Zum ersten Mal konnte er einen ihrer Entscheidungen verstehen und nachvollziehen.
      "Einige Leute auf meiner Liste habe ich jahrelang nicht gesehen, die müsste ich erst darauf vorbereiten. Wenn die denken, dass ich sie nur wieder kenne, weil ich an ihnen verdienen will, sind sie garantiert beleidigt. Und dann verkaufe ich nichts. Oder sie lassen sich überrumpeln, werden mich aber nicht empfehlen. Und wenn man seine Addressen aufgebraucht und keine Empfehlungen bekommen hat, ist man verbrannt und damit wertlos. Das hat miur jemand verraten, der früher sehr erfolgreich für HMI gearbeitet hat."
      Sie winkte ab.
      "Meine Familie hat mir noch nie geholfen und Freunde habe ich auch keine", sagte sie ohne Bedauern. "Dann mache ich eben Kaltaquise. Geht auch."
      Er lehnte sich im Stuhl zurück und betrachtete sie noch einmal.
      Hübsch war sie eigentlich schon.
      Und sie bemühte sich wirklich.


      Fortsezung folgt

      Vorschau:
      Ein Befreiungsschlag.
      Avatar
      schrieb am 15.02.07 12:07:31
      Beitrag Nr. 323 ()
      Ab morgen wird es wieder lustig... ;):laugh:

      Versprochen !!! :p
      Avatar
      schrieb am 18.02.07 19:20:31
      Beitrag Nr. 324 ()
      128.

      Jean Paul hatte sich schon oft mit Network-Marketing beschäftigt. Stellenanzeigen wie "2000 bis 3000 Euro Nebenverdienst monatlich möglich" konnten schließlich niemanden kalt lassen. Außerdem war der Gedanke, sich mit lediglich Fleiß als Kapital selbstständig zu machen, praktisch unwiderstehlich. Leider brachte sich die überwiegende Masse der Network-Marketing-Strategen mit ihrem Ehrgeiz nur um. Die wenigen Leute, die auf diese Weise nachhaltig Erfolg erzielten, ohne vorher als Sparkassen-Direktoren oder Ärzte tätig gewesen zu sein, verfügten über eine große Familie oder besaßen gleich den Rückhalt eines ganzen Klans. Jean Paul hatte daraus gelernt, dass es die falschen Lebenseinstellung war, den Einzelkämpfer zu markieren und ausschließlich eine Handvoll Bekanntschaften zu extrem pfundigen oder potentiell extrem nützlichen Menschen zu pflegen. Das war schließlich auch der Grund, warum er überhaupt hier bei Ines saß und sich noch mit ihr unterhielt, obwohl sie garantiert nicht die Frau seines Lebens und auch keine Verlegerin von Western-Romanen war. Auch oberflächliche Beziehungen konnten irgendwann und irgendwie nutzbringend sein.
      "Kaltaquise ist verboten und wenn man das auf eigene Rechnung macht, kann man auch persönlich dafür dran kommen!", sagte er.
      "Du hast noch viel zu lernen. Passe einfach gut auf und mache das, was ich sage. Darüber nachdenken kannst du später noch, wenn ich selbstständiges Arbeiten verlange", entgegnete sie. "Im Moment bin ich schon damit zufrieden, wenn du einfach Bereitschaft und Belastbarkeit zeigst. Vertraue mir. Folge mir."
      Gute Rede. Aber viel Rhetorik. Für seinen Geschmack viel zu viel. Er knurrte.
      Sie sah auf ihre Armbanduhr.
      "Schluss für heute. Übermorgen abend ist ein Vor-Seminar zum Start-Seminar. Hast du einen Schlips?"
      "Sicher dat."
      "Mitbringen."
      Sie stand auf.
      "Ich habe gleich wieder einen Termin."
      Er knurrte.
      "Abends um sieben geht es los. Sei eine Viertelstunde eher da. Falls du keinen Schlips binden kannst, eine halbe Stunde eher."

      129.
      Am nächsten Tag versuchte Jean Paul noch einmal im Callcenter mit seinem Vorgesetzten über die Gesprächsvorlage zu reden. Er fand es sinnlos, zeitraubend und ermüdend, zu Anfang jedes Telefonats mit dem Kunden über die Rechtmäßigkeit dieses Anrufes streiten zu müssen. Wenn er den Leuten wie gefordert vorlas, dass sie angeblich um diesen Anruf gebeten hatten, woran sich nie, nie, nie jemand erinnern konnte. Viele Leute widersprachen da gleich aus Prinzip. Anschließend kauften sie einem dann nichts mehr ab, weil sie überzeugt waren, den Streit gewonnen und die Unrechtmäßigkeit dieses Anrufs bewiesen zu haben. Oder sie gaben sich geschlagen und nahmen dem Anrufer diese Demütigung übel und wollten darum nichts mehr kaufen. Warum also nicht solche Streitigkeiten vermeiden und sich erst rechtfertigen, sobald man diesbezüglich angegriffen wurde?
      Das war es auch, was ihn das Schachspiel gelehrt hatte- sich nie mehr als nötig und vor allem nicht früher als nötig zu verteidigen. Ansonsten geriet man in die Defensive und kam da nur noch unter Verlusten heraus.
      Er hatte Ines die Gesprächsvorlage gezeigt und sie hatte nur den Kopf geschüttelt. Sie wusste zwar wenig über Schach oder allgemeinen strategischen Prinzipien, aber sie verstand viel vom Versicherungsverkauf.
      "Super, das wir hier nur Leute anrufen, die uns dazu die Genehmigung erteilt haben", sagte er stark beschönigend, "auch wenn sie das leider allzu oft nicht mehr wissen."
      "Das haben wir aber schriftlich, dass die uns das erlaubt haben!"
      "Ich weiß. Und die wissen das natürlich auch, selbst wenn sie es nicht zugeben wollen oder, sagen wir, sich nicht immer sofort gleich daran erinnern."
      "Darum erinnern wir sie schlielich gleich zu Anfang des Gesprächs daran."
      "Genau", sagte Jean Paul. "Das macht enorm gut Sinn und das verstehe ich auch. Und darum verstehe ich umso weniger, dass viele Leute das nicht verstehen."
      "Was verstehen die nicht?"
      "Sie verstehen nicht, dass wir im Recht sind. Die wollen das auch oft gar nicht verstehen, weil sie nicht nachdenken wollen. Sobald man mit seinen Erklärungen ansetzt, werden die renitent und starten irgendelche Rundumschläge."
      "Dafür erklären wir es ihnen schließlich zu Anfang jeden Gespräches."
      "Okay, und wir könnten es auch immer noch erklären, wenn sie danach fragen."
      "Warum sollten die danach fragen, wenn die das sowieso zu hören kriegen?"
      "Ja, aber müssen sie das denn? Kann man denn nicht auch vermeiden, sich jedesmal sofort mit den Leuten zu streiten? Und sich die Erklärungen für den Fall aufsparen, dass sie das wirklich wissen wollen?"
      "Machen Sie einfach das, was man ihnen sagt. Das ist auf ihrer Ebene das einzige, was Sie weiter bringt. Sie wollen doch hier bleiben, oder? Also halten Sie sich an die bewährten Methoden!"
      Er fragte sich, was daran "bewährt" sein sollte, wenn seine Kollegen den ganzen Tag redeten und redeten, bis sie heiser waren und einen trocken Hals bekamen und wenn sie dabei doch nur ganz selten eine Versicherung verkauften und die Verkäufe dann meistens am übernächsten Tag schon wieder von der betreffenden Person oder ihrem Ehepartner storniert wurden.
      Kurz vor Ende seiner Schicht wurde er noch einmal von seinem Vorgesetzten in ein leeres Büro mitgenommen.
      "Ich habe da gerade ein paar Bruchstücke von ihrem Gespräch mitbekommen", sagte er zu Jean Paul. "Da hätten Sie mehr erreichen können, als der Frau nur Angebote zukommen zu lassen. Die hatte doch ein Kind, oder?"
      "Ja, das hat sie." Jean Paul nickte. "Aber sie hat auch Hartz IV und als ich ihr eine Unfallversicherung anbot, entgegnete sie, dass sie dafür, was das im Monat kostet, so und so viel Brot kaufen könnte."
      "Da hätten Sie eben Druck machen müssen!"
      "Wieso Druck? Die steht doch schon unter Druck. Heutzutage ein Kind groß zu ziehen, ist schwierig genug. Die hat fast geheult, als sie mir sagen musste, dass sie sich nicht leisten kann, ihr Kind zu versichern."
      "Aus gutem Grund. Haben Sie sie einmal gefragt, wie sie sich das vorstellt, wenn ihrem Kind etwas zustösst."
      "Wie bitte?"
      "Sie hatten die doch schon am Haken, so wie Sie es beschreiben! Da hätten Sie Druck machen müssen!"
      "Hören Sie", knurrte Jean Paul, "dieses Kind hat nur seine Mutter, das ist sein einziger Halt. Ich weiß nicht, wie groß die Gefahr ist, dass das Kind irgendwann in seiner Entwicklung einen Unfall haben könnte, aber ich weiß, dass es garantiert geschädigt wird, wenn ich seine Mutter seelisch fertig mache, indem ich auf ihrem Gewissen herum reite und ihr das Gefühl gebe, sie würde nicht gut für ihr Kind sorgen."
      "Haben Sie Probleme damit, etwas zu verkaufen?"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es wird endlich wieder lustig.
      Avatar
      schrieb am 19.02.07 13:04:13
      Beitrag Nr. 325 ()
      130.

      Das Vor-Seminar zu dem eigentlichen Startseminar entsprach im Prinzip den Erwartungen von Jean Paul. Lediglich das Verhalten von Ines überraschte ihn. Er hatte gedacht, sie würde wie immer sein und sich auch wie immer um ihn kümmern oder ihn zumindest irgendwem vorstellen. Tatsächlich wirkte sie diesmal viel offener als sonst, denn sie war offensichtlich total begeistert von der ganzen Veranstaltung und fühlte sich unter diesen Leuten wie zu Hause. Sie kannte ihn auch noch und sprach ihn mit Namen an, gab ihm auch für die Dauer der Vorträge zum Sitzen, zufällig neben sich selbst, aber ansonsten hatte sie anscheinend überhaupt nichts mit ihm zu tun. Während der Vorträge bemühte sie sich um einen sehr fein angezogenenen, sehr schlanken jungen Mann, der sich das auch gefallen ließ und zwischen den Vorträgen war sie einfach verschwunden. Alle anderen Mitarbeiter, die jemanden zu diesem Treffen eingeladen hatten, unterhielten sich auch mit ihren Gästen, aber sie war die eine Ausnahme. Er versuchte nicht allzu verlassen auszusehen und gesellte sich gelegentlich versuchshalber zu der einen oder anderen Gruppe, die ihm das eine oder andere freundlichen Nicken zukommen ließ, doch das war es dann. Er fragte sich, was das sollte. Er fühlte sich hier ausgesprochen unwohl.
      "Wie gefällt es dir?", fragte Ines ihn, als sie mit Verspätung aus der letzten Pause zurückkehrte und sich wieder neben ihn setzte.
      "Ich glaube, ich bin hier auf dem falschen Schützenfest", sagte er.
      "Dann ist es ja gut", sagte sie hektisch und wandte sich dem Redner zu.
      Am nächsten Tag musste er wieder ins Callcenter.
      "Diesmal gehen Sie erst nach Hause, wenn Sie etwas verkauft haben!", sagte sein Teamleiter.
      Darüber sollte es Abend werden.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul sagt das Seminar ab und steigt damit komplett aus dem Versicherungsverkauf aus. Stattdessen versucht er es als (Telefon-)Verkäufer von Bürogeräten und als... Tänzer!
      Avatar
      schrieb am 20.02.07 17:14:23
      Beitrag Nr. 326 ()
      131.

      Jean Paul war von der Versicherung, die er verkaufte, überzeugt. Er fragte seinen Vorgesetzten schließlich, ob er die Versicherung selber kaufen und vielleicht dafür auch selber die Provision kassieren könnte.
      "Sicher", sagte der Vorgesetzte, "aber darum gehen Sie heute trotzdem erst, wenn sie jemand anderem eine Versicherung verkauft haben."
      Kurz darauf wurde er zum ersten Mal auf Französisch statt Deutsch angeschnauzt: "Parlez francais!"
      Er kriegte das auf die Reihe und fragte nach dem Namen auf seiner Liste. Ihm wurde gesagt, dass dort niemand dieses Namens bekannt sei.
      Plötzlich fiel ihm ein, dass er etwas vergessen hatte. Seine einzige Aussicht auf eine richtige Arbeit war, einen gewissen Abschluss in Französisch zu schaffen. Er hatte sich noch nicht eher angemeldet, weil die Prüfung ziemlich teuer und die Gebühr bei Anmeldung zu entrichten war. Und jetzt war es zu spät. Er hatte die Anmeldung verpass. Um zwei Tage. Und warum? Weil er nur noch über Ines und ihre Termine und Versprechungen nachgedacht hatte. Jetzt war er dazu verdammt, auf ewig solche Jobs wie diesen zu machen.
      Wenn er höher als nur im ersten Stock gewesen wäre, hätte er gleich Anlauf genommen und sich aus dem Fenster gestürzt.
      Das ging jetzt aber nicht.
      Also konnte er auch weiter arbeiten.
      Sein letztes Telefonat bedurfte einiger Vorarbeit. Beim letzten Namen auf seiner Liste sprach er zunächst wieder einmal mit der Großmutter. Die gab ihn dann an ihre Tochter weiter und die an ihren Mann und der gab ihm schließlich die Nummer vom Sohn. Der Sohn war tatsächlich zu Hause und zeigte sich sehr interessiert. Nur bei den Kontodaten zickte er. Jean Paul gab ihm ungefähr zehnmal die gleichen Argumente und jedesmal, wenn er alles erklärt hatte, musste er wieder von vorn anfangen. Er kam sich schon wie eine Schallplatte mit einem Sprung vor. Schließlich winkte er seinen Vorgestzten ran und erklärte ihm die Situation: "Da will einer die Versicherung wirklich haben und ist auch immer wieder unglaublich freundlich zu mir..." Eigentlich war der alte Junge sogar freundlicher zu Jean Paul, als der es noch gut oder auch nur erträglich fand. Aber Jean Paul kam nicht darauf, woran das liegen konnte. "...aber irgendwie traut er sich nicht und ich kann ihm seine Unsicherheit nicht ganz nehmen."
      "Ich mache das schon", sagte der Vorgesetzte und nahm den Hörer. Er redete fünf bis zehn Minuten mit dem potentiellen Kunden und sagte dann zu Jean Paul: "So jetzt gibt er ihnen die nötigen Daten, um das Formular auszufüllen."
      Jean Paul übernahm den Hörer und musste zu seiner Verwunderung wieder ganz vorn anfangen. Sein Gesprächspartner schien dabei völlig überzeugt zu sein, denn er sagte nur immer öfter und lauter "Ja" und "Ja!" und umso knurriger Jean Paul wurde, desto lauter und begeisterter klang das "Jaaa!", bis Jean Paul schließlich zu hören bekam: "Ich muss jetzt mal eben den Hörer aus der Hand legen. Ich hole dann auch meine Kontodaten..."
      Zwei Minuten später kam der Mann zurück ans Telefon. Er klang müde und sagte hämisch: "Nä, ich habe mir das noch einmal überlegt, allein und ganz in Ruhe. Ich bin doch nicht bescheuert."
      "Aber vorhin wollten Sie doch noch!"
      "Ja, weil ich gerade im Bett liege und krank und schwach bin. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein und Sie dürften auch auch gar nicht die Chance gekriegt haben, mir was zu erzählen."
      "Also, wollen Sie jetzt oder nicht!"
      "Ach, hau ab."
      Aufgelegt.
      Jean Paul sah auf seine Uhr. Er hatte jetzt über zehn Stunden telefoniert und die letzte Schicht um zehn Minuten überzogen. Und irgendwie spürte er, dass sein letztes Gespräch nur dazu gedient hatte, einem schwulen Wichser über das Alleinsein hinweg zu helfen. Er ging zu seinem Vorgesetzten und sagte: "Ich kündige. Das war es." Dann zückte er sein Handy und sprach Ines eine Nachricht auf ihre Mailbox: "Ich komme nicht. Versicherungen zu verkaufen, ist nichts für mich. Tut mir leid!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Paule meint es ernst.
      Avatar
      schrieb am 20.02.07 20:17:32
      Beitrag Nr. 327 ()
      :cool:

      Wer sich fragt, was dieser ganze Thread mit der Börse zu tun hat, dem sei dieser Film empfohlen:

      http://kino.web.de/neustarts/54610,1,,Das+Streben+nach+Gl%C3…

      Der Held dieses Films muss, um Börsenmakler zu werden, sechs Monate lang unbezahlt als Telefon-Agent arbeiten und sich bei der heutzutage so vieldiskutierten telefonischen [b]Kaltaquise[/b] als Bester hervortun...

      Der Film ist übrigens auch darum eine gute Ergänzung zu diesem Thread, weil der Held obendrein Vertreter für technische Geräte ist und Jean Pauls nächste zwei Jobs darin bestehen, für solche Vertreter Termine zu machen!
      ;)

      Was das für Geräte sind, wird natürlich nicht beschrieben. Sonst wären Ähnlichkeiten mit bestehenden Realitäten kaum zu vermeiden... Es könnten also auch Geräte für die Messung der Knochendichte sein, so wie in dem o.g. Film...
      ;)

      Übrigens ist jeder eingeladen, hier seinerseits Links zu posten, wenn sie irgendwie zum Thema passen!
      :look:
      Avatar
      schrieb am 22.02.07 10:01:13
      Beitrag Nr. 328 ()
      132.
      Am nächsten Tag hatte Jean Paul gleich zwei Vorstellungsgespräche. Zuerst war er bei einer Firma eingeladen, die sich in der Anzeige in der Zeitung als Traditionsunternehmen der Getränkebranche bezeichnete. Er rechnete damit, dass es sich dabei um eine gewisse, hoch angesehene Brauerei handelte. Stattdessen landete er in einem Privathaus, wo ein Herr mit Krawatte ihm etwas über einen Getränke-Konzern aus Mexiko erzählte, der für sein Bier berühmt war. Und von genau diesem Getränke-Konzern sollte er den Wein verkaufen, nur mit anderen Etiketten und teurer. Der Mann stammte eindeutig aus einem ganz anderen Teil Deutschlands, wie sein fetter Akzent überaus eindeutig belegte. Jean Paul grübelte, was diesen Herrn wohl hierhin verschlagen hatte und schloß ein Studium gleich aus, denn Akademiker wussten ihren Akzent zu unterdrücken und redeten beii solchen Gelegenheiten internationales Deutsch
      Avatar
      schrieb am 22.02.07 10:06:34
      Beitrag Nr. 329 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.891.703 von Wolfsbane am 22.02.07 10:01:13internationales Deutsch!!!!!!
      Hossa! Hossa! :laugh:
      Avatar
      schrieb am 22.02.07 12:14:58
      Beitrag Nr. 330 ()
      @unlocker

      Einer der Gründe, warum ich mir den Film "Ronin" immer wieder ansehe, ist das Englisch, das Natascha McElhone dort spricht. Total klasse und total unamerikanisch.
      Nun rief mich vor einiger Zeit jemand aus Großbritannien an und redete Oxford-Englisch. Als er mir dann sagte, dass er aus Irland anrief, war ich schon etwas überrascht und sagte ihm das.
      Daraufhin lachte er und sagte:
      "That's my international English!"
      :cool:
      Avatar
      schrieb am 22.02.07 23:19:08
      Beitrag Nr. 331 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 27.895.048 von Wolfsbane am 22.02.07 12:14:58Wer "Ronin" immer noch nicht gesehen hat, weiß es vielleicht nicht: Natascha McElhone hatte einen Sprachtrainer, der mit ihr geübt hat, sich irisch anzuhören. Klingt fast wie Platt. Da weiß man dann auch gleich, warum sie der Chef der Truppe ist!
      :laugh: :mad: :laugh:
      Und was Deutsch angeht: Deutsch ist in der EU mittlerweile gleichauf mit Französisch.
      :eek:
      Je ne comprends pas pourquoi mas c'est la bizarre verité!
      :cool:
      Avatar
      schrieb am 22.02.07 23:36:44
      Beitrag Nr. 332 ()
      133.

      Im Prinzip ging es darum, Privatleuten eine Weinprobe aufzuschwatzen und ihnen solange Alkohol zu geben, bis sie für ein "Abo" unterschrieben.
      Das wollte Jean Paul nicht. Kam nicht in Frage. Er sollte mit seinem Privatauto und dem Kofferraum voller Alkohol durch den Landkreis rasen. Das fiel ihm gar nicht ein.
      "Mein Auto ist kaputt", sagte er.
      "Wir bezahlen die Reparatur", sagte der Knotenmann.
      "Die Ersatzteile gibt es nicht mehr."
      Hätte er ihm einen Firmenwagen angeboten, hätte Jean Paul behauptet, soeben seinen Führerschein verloren zu haben.
      Das nächste Vorstellungsgespräch war bei einer noch kleineren Firma in einem größeren Privathaus.
      Diesmal saß ihm außer dem Chef auch noch dessen Frau gegenüber.
      Der Chef hatte ihm soeben gezeigt, wie schnell man mit seiner Maschine ganz tolle Sachen machen konnte. Natürlich ohne zu erwähnen, dass dieses Gerät dafür erst eine halbe Stunde warm werden musste.
      "Wir sind die Besten", sagte der Chef. "Was wir können, kann sonst keiner."
      War klar.
      Jean Paul hörte das bei jedem Vorstellungsgespräch, also musste das wohl eine Pflichtformulierung sein und darum nickte das ab.
      Gehörte zum Ritual.
      "Der Markt hat nur noch nicht kapiert, dss er uns braucht!", fügte der Chef zornig hinzu.
      "So ist das", sagte Jean Paul.
      Das war Sarkasmus.
      Er hatte schließlich an der Börse spekuliert und darum wusste er: "Der Markt hat immer Recht!"

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Paule ist nur noch eine Station von der besten Chefin von allen entfernt. Und nur noch kurz davor, wirklich irgendwo herunter zu springen. Aber das passt noch.
      Avatar
      schrieb am 23.02.07 12:12:06
      Beitrag Nr. 333 ()
      "Sie brauchen nur Termine zu machen", sagte der Chef. "Sorgen Sie irgendwie dafür, dass ich den Fuß in die Tür kriege und den Chef zu sehen bekomme. Das ist alles. Wenn ich erst drin bin, verkaufe ich auch. Da erziele ich fast hundert Prozent."
      Jean Paul fragte sich, wie das bei irgendeinem Produkt möglich war. Wahrscheinlich musste man sich einen Sprengstoffgürtel um die Taille binden und drohen: "Unterschreiben Sie, oder wir sind gleich alle nicht mehr da!"
      Andererseits brauchte er auf diese Frage keine Antwort zu wissen, weil ihn niemand danach fragte.
      "Okay", sagte er. "Und was ist mit der Konkurrenz?"
      Er hatte keine Ahnung.
      Tatsächlich gab es eine andere, viel größere, solide Firma, die schon seit Jahren Telefon-Marketing betrieb und die Zielgruppe regelmäßig nach Interessenten durchkämmte. Deren Geräte konnten ebenfalls viel mehr, als für die Kunden überhaupt interessant war. Die Geräte, für die Jean Paul werben sollte, waren nur unwesentlich besser. Rein zahlenmäßig sah ihre Leistung besser aus, aber die Mehrleistung bewegte sich in einem Bereich, der für diese Branche lächerlich unbedeutend war. Die andere Firma hatte außerdem ein flächendeckendes Service-Netz und bediente sogar den Bundestag.
      "Konkurrenz?", sagte der Chef. "Wer soll das sein?"
      Seine Frau sah weg.
      "Ich weiß es nicht. Aber wenn da etwas ist, kann es mir helfen, darauf vorbereitet zu sein."
      "Haben Sie überhaupt eine Ausbildung als Telefon-Agent?", fragte der Chef.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die meisten von Jean Paul angerufenen Sekretärinnen wollen ihren Job behalten und verhalten sich dementsprechend.
      Avatar
      schrieb am 26.02.07 23:05:46
      Beitrag Nr. 334 ()
      134.

      In der Nacht von Freitag auf Samstag träumte Jean Paul, dass er bei Petrus anrief, um Gott einen Rasierapparat zu verkaufen.
      "Aber alle kenn Gott mit einem langen weißen Bart!", protestiert Petrus.
      "Das ist auch gut und er soll ja auch nur einmal mit unserem Vertreter sprechen. Das ist alles. Sie brauchen unseren Vertreter nur reinzulassen."
      "Wo denn rein?"
      "Na, bei Ihnen eben."
      "In den Himmel?"
      "Äh, genau...!"
      "Aber hier kommt kein Vertreter rein! Das hat es noch nie gegeben! Da merken Sie, dass Sie träumen!"
      In diesem Augenblick wurde Jean Paul geweckt. Er rollte sich aus dem Bett und wankte zur Tür.
      "Wer stört...", fragte er und versuchte im nächsten Augenblick seine ChroMoPiLa zu verstecken, was seine Noch-Nachbarin anscheinend lustig fand.
      "Kannst du mir beim Umzug helfen?"
      Irgendwie hatte er es geahnt und nur zwischendurch vergessen.
      "Hat das noch eine halbe Stunde Zeit?", fragte er.
      "Klar, mein Ex-Stiefvater und mein Ex-Freund sind noch nicht da!"
      "Welcher Ex-Freund, was?"
      "Ja, das ist das Problem. Ich hatte sie alle angerufen, aber nur einer hat zugesagt und jetzt habe ich keine Leute."
      "Bin gleich da", sagte er.
      "Okay."
      "Oder willst du reinkommen?", fragte er und die ihn plötzlich überwallende Brunftstimmung ließ seine Stimme eine Oktave in den Keller gehen.
      "Nö, geht schon", sagte sie mit rätselhaftem Lächeln.
      Er sah ihr nach.
      Zwanzig Minuten später suchte er in seiner Wohnung alle greifbaren Kisten zusammen, um ihren Kram irgendwie in den Laster von ihrem Ex-Stiefvater zu verstauen. Weil sie nur pausenlos meckerte, schickte der sie mit seinem Schäferhund spazieren gehen.
      Schließlich sah er dem LKW hinterher.
      Sie war zu einem Versicherungs-Menschen gezogen.
      Nun, dann würde der sich jetzt bestimmt um sie kümmern.
      Er; Jean Paul, musste nur noch die Wohnungsübergabe für sie machen. Das hatte sie einfach an ihn delegiert, weil ihr Ex-Stiefvater sich dafür auch nicht interessierte.


      135.

      Es fing gut an. Jean Paul bekam einen Platz an einem Computer und eine erst zwei Jahre CD mit Listen von Firmen. Eine klare Verbesserung gegenüber einem Arbeitsplatz mit nichts als einem Telefon, an dem man darum kämpfen musste, auch nur eine mindestens fünf Jahre alte, zerfledderte Papierliste zu ergattern..
      Rasch stellte er fest, dass Erfolg hier praktisch unmöglich war. Manche Sekretärinnen lachten ihn einfach aus und fragten ihn, was er denn dächte, wozu man Praktikanten hätte. Oder sie fürchteten sich vor der Handhabung. Oder sie erklärten ihm, dass ihre altgedienten und bewährten Apparate für die Bedürfnisse ihres Betriebes absolut ausreichten. Wenn sie sich für solche Geräte interessierten, besaßen sie gewöhnlich schon seit ein oder drei Jahren eines von einer der Firmen, die schon mindestens ein oder drei Jahre länger Telefonmarketing betrieben. Wenn Jean Paul dann die Vorteile der Geräte seiner Firma aufführte, kriegte er zu hören, dass man sich nicht alle zwei oder drei Jahre ein neues Gerät leisten könne und bereits dieses Gerät viel mehr leistete, als man eigentlich brauchte. Ab und zu wurde er nach schriftlichen Informationen gefragt, aber es war ihm strengstens untersagt, irgendwem ein Fax oder Prospekte zu versprechen. Er durfte höchstens auf die Internetseite verweisen, die natürlich keinerlei Preisangaben enthielt. Dieses ihm aufgezwungene Verhalten verstieß gegen alles, was er während seiner Umschulung und seines Praktikums über seriöses Marketing gelernt hatte. Eigentlich musste man schriftliche Informationen verschicken, wobei man sich zuvor nach dem Namen des Verantwortlichen erkundigte und dann beim nächsten Anruf gleich konkret nach dieser Person fragte. Der Telefonverkäufer, der sein eigentliches Vorbild war, brauchte nichts anderes zu tun, als bei Firmen die Erlaubnis zu erbitten, ihnen ein Fax oder eine Email schicken zu dürfen. Anhand der zugeschickten Informationen war dann deutlich erkennbar, dass die darin beschriebenen Geräte objektive Vorteile besaßen und damit verkauften die Sachen sich von selbst, ohne dass sich erst der Telefonverkäufer selbst und dann der Vertreter heiser reden mussten. Umso länger er telefonierte, desto öfter reagierten die Sekretärinnen genervt oder feindselig, denn in den vergangenen Jahren hatten viele dieser Firmen fusioniert und so rief er unwissentlich manche Damen zwei- oder dreimal an, bisweilen innerhalb von zehn Minuten. Immer öfter bekam er auch zu hören, dass man keine Artikel von fremden Firmen kaufte, sondern mit befreundeten Firmen Geschäfte auf Gegenseitigkeit machte und sich so perfekt versorgte.
      Als Jean Paul nach zwei Stunden immer noch keinen Termin vorweisen konnte, setzte sich sein Chef in die Nähe und schien zu meditieren. Zwie Minuten später schaffte es Jean Paul , von einer Sekretärin zu einem Chef durchgestellt zu werden. Dieser Chef verlangte gleich einen Prospekt oder ein Fax und Jean Paul lehnte das seinen Vorgaben entsprechend ab. Sein eigener Chef verlangte kopfschüttelnd den das Telefon, hielt dann die Hand darüber und kündigte ihm an: "Jetzt zeige ich Ihnen, wie es gemacht wird!"
      Jean Paul hörte, wie sein Chef zunächst sehr selbstbewusst auftrat, dann die Fragen nach gegenseitiger geschäftlicher Zusammenarbeit ablehnte und dann darum bettelte, dem anderen Chef einen Prospekt zukommen lassen zu dürfen und auch Arbeitsproben des Gerätes mitschicken zu dürfen.
      "Ich dachte, wir dürfen keine Prospekte oder Faxe verschicken", sagte Jean Paul.
      "Dürfen Sie auch nicht. Aber das war eine absolute Ausnahme. Ich konnte das aber nicht ablehnen, weil ich der Chef bin."
      "Sehr wohl", sagte Jean Paul.
      "Und jetzt schreiben Sie die Adresse auf und gehen damit zu meiner Tochter, damit sie ein Paket fertigmacht. Es ist immer sie, die das macht."
      "Immer? Ich dachte, das wäre eine absolute Ausnahme gewesen?"
      "Ich hätte jemanden nehmen sollen, der schon länger als Telefon-Agent arbeitet", sagte der Chef kopfschüttelnd.
      Zehn Minuten später hatte Jean Paul wieder einen freundlichen Chef dran, der aber darauf bestand, vor einem Vertreterbesuch erst irgendeine schriftliche Information zu erhalten. Als Jen Paul das ablehnte, verlangte der Chef den Chef von Jean Paul zu sprechen, der weniger als zwei Meter von ihm entfernt saß und sehr gelangweilt aussah.
      "Da möchte jemand unbedingt meinen Chef sprechen", sagte Jean Paul. "Das ist wahrscheinlich wieder eine Ausnahme", fügte er hinzu.
      "Wie bitte?", fragte sein Chef verdrießlich und übernahm das Telefon.
      Jean Paul beobachtete, wie er ein mehrmals "Ja" und "Nein" sagte, ehe er das Telefon an Jean Paul zurückgab und schimpfte: "Das war ja absolut peinlich! Was sollte das denn! Ich hatte überhaupt keinen Schimmer, worum es überhaupt ging und was Sie dem schon gesagt hatten!"
      Jean Paul nahm das Telefon zurück.
      "Peinlich, peinlich, peinlich!", schimpfte der Chef anhaltend, während er in seine Privatgemächer zurückkehrte.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Die Episode zieht sich tatsächlich noch ein wenig hin, ehe dieser Chef Jean Paul bescheinigt, dass er absolut ungeeignet sei, Termine zu machen oder irgendeine andere Art von Outbound-Telefonie erfolgreich zu betreiben.
      Avatar
      schrieb am 27.02.07 22:35:30
      Beitrag Nr. 335 ()
      136.

      Nachdem Jean Paul solchermaßen eingeweiht und angelernt worden war, wollte er am liebsten gleich wieder kündigen. Aber sein Chef fuhr zu einer Messe und war plötzlich fort, ohne sich zu verabschieden. Jean Paul war besser erzogen und konnte es ihm darum nicht nachtun.
      Ohne den Schatten des Chefs gelang es ihm, Interessenten aufzustöbern, aber wenn es hieß "Der kann hier jederzeit reinkommen" oder "Wann ist er denn hier?", konnte ihm niemand sagen, welchen Termin er vorschlagen sollte. Die Tochter zuckte nur mit den Schultern. Wenn er unwissentlich Leute anrief, die bereits ein Gerät dieser Firma besaßen und nach der Möglichkeit der Wartung fragten, konnte er ebensowenig einen Termin vorschlagen oder einen Preis nennen, denn auch hier zuckte die Tochter nur mit den Schultern. Die Gattin des Patrons ließ sich nicht sehen und die anderen Angestellten waren immer in ihre Computerprogramme vertieft udn nicht ansprechbar.
      Jean Paul kam sich wie ein Idiot vor.
      Was sollte er da überhaupt?
      Schließlich kam der Chef zurück und brauchte den Platz von Jean Paul wieder selbst.
      "Sie sind für Outbound nicht geeignet", sagte er zu Jean Paul.
      Jean Paul zuckte mit den Schultern.
      Auf dem Weg nach Hause bekam er wieder einen Anruf von seiner Ex-Nachbarin.
      "Moment", sagte er und legte das Handy beiseite, um auf der Bundesbahn zu wenden und in ihre Richtung zu fahren.
      Schließlich wohnte sie jetzt in einer anderen Stadt.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul ist eine Woche lang in Vollzeit "Transporter", ehe er endgültig mit seinem Lieblings-(End-)Teenager bricht (da ist er konsequenter als sein Autor, der erst vor wenigen Stunden wieder total rückfällig wurde) und bei der besten Chefin von allen anheuert, die sich als ungefähr tausendmal intelligenter als sein letzter Chef erweist und ihm darum das Termine-Machen sofort beibringen kann.
      Avatar
      schrieb am 28.02.07 12:25:51
      Beitrag Nr. 336 ()
      136.

      Seine Nachbarin beklagte sich bei ihm, dass sie ständig im Lager Kisten stapeln und immer wieder an einem PC mit selbst zusammengebasteltem Betriebssystem arbeiten müsste, der ständig abstürzte. Seitdem litt sie unter Rückenschmerzen und Schlafstörungen. Außer natürlich, wenn sie einfach fortblieb. Jetzt war ihr gesagt worden, das sei alles psychosomatisch und sie solle sich in Psychologische Behandlung begeben. Und das glaubte sie. Zumindest glaubte sie, es gäbe keine Alternative dazu, sich dem Willen der Chefin zu beugen. Allmählich verstand er die Kleine. Sie wollte, dass er ihr half, einige Sachen zu regeln, ehe sie sich für einige Wochen von der Aussenwelt verabschiedete. Da konnte Jean Paul nicht Nein sagen, obwohl er sich vorgenommen hatte, das zu üben.
      Momentan hatte er sowieso nichts anderes zu tun, als für sie den Chauffeur zu spielen. Er hatte zwar wieder eine Anzeige gelesen, in der eine Traditionsfirma jemanden zum Terminieren suchte, aber er fürchtete, dass das wieder nur so eine Klitsche war, in der man mit seinem Privatwagen Fusel mit falschen Etiketten ausliefern musste. Damit hatte man in Europa noch nie und in den USA seit Ende der Prohibition nicht mehr reich werden können. Dann fuhr er lieber seine Ex-Nachbarin. Das lenkte ihn wenigstens von seinen eigenen Schwierigkeiten ab.

      Fortsetzung folgt
      Avatar
      schrieb am 28.02.07 23:00:56
      Beitrag Nr. 337 ()
      Auf einer der Fahrten las sie in einer Anzeigenzeitschrift und lachte.
      "Was?", fragte er.
      "Dringend Männer gesucht!"
      "Wo?"
      "In einem Tangokurs."
      Tango. Er dachte an "Ein Herz und eine Seele. In der Sylvestersendung, die er sich jedes Jahr wieder ansah, entpuppte sich "Ekel Alfred" als meisterhafter Tango-Tänzer und sorgte auf diese Weise für ein überraschendes Happyend. Das hatte Jean Pauls Bild vom Tango geprägt.
      "Wo?", fragt er.
      "In so einem Kaff in der Nähe. Das wäre doch was für dich."
      "Ich kann nicht tanzen."
      "Dann wird es aber aber Zeit."
      "Du redest wie meine Mutter."
      "Wo sie Recht hat, hat sie Recht."
      "Du bist zu jung, um mit meiner Mutter einer Meinung zu sein."
      "Manche Wahrheiten sind zeitlos."
      "Wir können auch über deine Mutter reden:"
      Kaum hatte er es gesagt, tat es ihm leid.
      Er setzte sie ab und guckte in die Zeitung, die sie zurückgelassen hatte.
      Das konnte er noch schaffen.
      Er fuhr hin und landete in einem Gemeindezentrum. Nicht jede Tanzschule konnte sich eigene Räume leisten.
      "Ich muss eben jemanden anrufen", sagte die Tanzlehrerin.
      Zehn Minuten später tauchte eine über fünfzigjährige Lehrerin in einem Wickelrock auf. Sie hatte sich so eingeschnürt, dass nur noch Trippelschritte möglich waren. Über einige Wochen hatte sie aus Not immer mit einer anderen Frau getanzt und dabei glernt, mehr oder wneiger unauffällig zu führen. Darum war es nicht allzu fatal, dass Jean Paul nicht für fünf Cent tanzen konnte. Er lief einfach mit.
      "Wenn das mein Freund wüsste", sagte sie strahlend. "Der würde dich wahrscheinlich gleich weghauen."
      "Sicher dat", grummelte Jean Paul.
      "Der ist noch viel größer als du", sagte sie und legte ihren Kopf in den Nacken, um ihm in die Augen zu sehen.
      Er schwieg und prägte sich die Schritte ein.
      "Es gibt Männer, die davon leben", erklärte sie. "Ich habe mit meinem Freund eine Kreuzfahrt gemacht und auf dem Schiff waren extra dafür ein halbes Dutzend Männer angestellt. Mein Freund wollte nämlich auch nicht tanzen und die anderen Männer auch nicht."
      Das klang für ihn besser, als fremden Leuten am Telefon Lotterielose zu verkaufen.
      Da tat sich eine neue Perspektive auf.
      "Ich habe schon einmal daran gedacht, wieder in meinen alten Beruf zurück zu gehen und auf einem Schiff als Koch zu arbeiten. Das wird gut bezahlt. Man darf nur keinen Kontakt zu den Gästen haben."
      "Aber du hast ja keine Ahnung, was dir da entgeht", sagte sie und drückte seine Hand noch fester.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul wird Eintänzer auf einem Schiff und tritt den Frauen so lange auf die Füße, bis sie ihn über Bord werfen. Nein, das war nur ein Scherz...
      Avatar
      schrieb am 28.02.07 23:05:47
      Beitrag Nr. 338 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 28.037.799 von Wolfsbane am 28.02.07 23:00:56Klasse Vorschau!:laugh: Schade:)
      Avatar
      schrieb am 01.03.07 11:56:09
      Beitrag Nr. 339 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 28.037.884 von unlocker am 28.02.07 23:05:47@unlocker


      Noch ist die Geschichte nicht fertig und aus Spaß wird manchmal Ernst...;)
      Avatar
      schrieb am 01.03.07 12:25:52
      Beitrag Nr. 340 ()
      137.

      Ungefähr zur gleichen Zeit, als seine Nachbarin beschlossen hatte, nicht mehr seine Nachbarin zu sein, sondern in die Stadt zu ziehen, in der sie offiziell arbeitete, hatte sie sich ein Pferd bzw. das Recht auf "Mitbenutzung" eines Pferdes zugelegt. Letzteres natürlich nicht in der Stadt, in der sie jetzt neuerdings wohnte, sondern in der, aus der sie soeben fortzog bzw. fortgezogen war. Jetzt sah sie es als Aufgabe von Jean Paul an, den Shuttle-Service zu gewährleisten und sie hin und her zu fahren. In der Zeit, in der sich jemand anders mit dem Pferd beschäftigte, wollte sie Hartz IV beantragen. Da sie aber nicht genau wusste, wo nun eigentlich ihr erster Wohnsitz war und welches Amt in welcher Stadt für sie zuständig war, kam dabei nichts heraus. Jean Paul konnte sie chauffieren und sich ihr Geschimpfe über die angeblich sturen Beamten anhören, aber er hatte den Eindruck, dass das auch nicht wirklich half, zumal sie sich von ihm nichts sagen ließ. Ab und zu kam sie mit zu ihm nach Hause, aber dann rauchte sie nur Wasserpfeife. Zu ihrer Verärgerung trug bei, dass der Kerl, bei dem sie jetzt in Untermiete wohnte, irgendwie allergisch gegen den Geruch von Hasch war und sie darum immer zu Jean Paul gehen musste, um zu rauchen. Jean Paul selbst benutzte das Ding nie. Er hatte es nur gekauft, um den Job als Call-Agent zu überstehen, da er ohne Drogen Schwierigkeiten hatte, am Telefon immer freundlich und fröhlich zu bleiben, wenn er den ganzen Tag nur angeschnauzt wurde. Aber da er im Moment nicht als Callagent arbeitete, quälte er sich nicht damit, die Wasserpfeife benutzen zu wollen, die bei ihm nur Erstickungsanfälle auslöste, obwohl er sie unter fachkundiger Beratung seiner Nachbarin ausgesucht hatte und sie ihm nur regelmäßig demonstrierte, dass das Teil bestens funktionierte. Manchmal nahm sie ihn auch mit zu sich, aber dann schloß sie sich im Bad ein und schickte ihn auf den Dachboden, um ihre Wäsche aufzuhängen, was er dann aus Langeweile und mangels anderer Möglichkeiten auch tat, obwohl er sich blöd dabei vorkam, ihre G-strings mit Wäscheklammern zu verzieren.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul wird Mitglied bei einem Englisch-Stammtisch, vertraut sich hinsichtlich seiner Ex-Nachbarin der Psychologie studierenden Gründerin an und fliegt dafür gleich wieder raus, weil sie diagnostiziert, dass er nicht "not really a good person" ist.
      Avatar
      schrieb am 02.03.07 12:14:50
      Beitrag Nr. 341 ()
      "Wenn ich wieder einen Job habe, kann ich dich nicht mehr den ganzen Tag durch die Gegend fahren", brüllte Jean Paul, während sie sich im Flur die Haare föhnte.
      "Kannst du mir was leihen?", fragte sie.
      "Nein. Hast du gehört, was ich sagte?"
      "Ich habe kein Geld mehr. Mein Konto ist überzogen. Mehr geht nicht."
      "Ich kann dir auch nichts geben. Mein Konto ist ebenfalls überzogen", sagte er tapfer.
      "Aber ich kann nicht weiter überziehen. Ich habe schon mehr herunter genommen, als eigentlich geht."
      "Ich sagte..."
      "Du hörst mir nicht zu. Ich habe kein Geld mehr."
      Das stimmte. Das wusste er aber schon.
      "Ich höre zu, aber ich kann dir nichts geben. Ich fahre dich schon andauernd durch die Gegend und das bei den heutigen Benzinpreisen..."
      "Du hast doch sowieso nichts zu tun!"
      "Doch. Ich bin auf der Suche nach Arbeit!"
      "Telefonieren nennst du arbeiten?"
      "Ich gebe dir kein Geld. Finde dich damit ab."
      "Dann ist es deine Schuld, wenn ich wieder Streit mit meiner Mutter habe. Die will mir nämlich auch nichts mehr geben."
      Sie schüttelte ihr Haar.
      Er kriegte wieder Anwandlungen von Willensschwäche.
      Hilfesuchend sah er sich um.
      "Wo ist eigentlich dein Mitbewohner? Den sieht man nie!"
      Er hatte gedacht, der würde es jetzt übernehmen, ihr Vollzeit-Nachbar zu sein und sich um sie zu kümmern. Stattdessen war es immer noch Jean Paul, der mitten in der Nacht R-gespräche bekam und sich auch darum tagsüber verstärkt um die Kleine kümmerte, damit sie ihn wengstens nachts schlafen ließ.
      "Ach, der!", rief sie. "Der feiert krank und hängt beim Arzt rum."
      "Wenn ich einen Job hätte, würde ich nicht krankfeiern. Ich bin damals noch mit akutem Bandscheibenvorfall zur Arbeit gegangen, krumm wie der Glöckner von Notre Dame..."
      "Und wohin hat dich das gebracht?", fragte sie. "Dein Vorarbeiter hat sich ein neues Haus gebaut und du bist am Ende."
      "Ich bin nicht am Ende."
      "Stimmt. Du könntest eine reiche Frau finden und heiraten. Vielleicht im Tango-Kurs."
      Sie lachte.
      Vielleicht hatte sie Recht.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul bekommt von seinen Freunden den Spottnamen "Tänzer" und wird schließlich wirklich Experte für das größte Bedürfnis jeder Frau. Damit meine ich natürlich Sauberkeit und in derem Auftrag telefoniert Jean Paul demnächst weiter.
      Avatar
      schrieb am 04.03.07 19:31:41
      Beitrag Nr. 342 ()
      138.

      "Komm rein", sagte sie als Begrüßung und drehte sich gleich wieder um.
      Er ging durch die offene Tür in den Flur und folgte ihr in die Wohnung.
      Als er die Tür hinter sich schloss, war sie plötzlich fort.
      "Wo ist dein Mitbewohner?", fragte er.
      Wenn er hörte, von wo die Antwort kam, wusste er, wo sie war.
      "Keine Ahnung", antwortete sie aus der Küche.
      Jean Paul hatte fest damit gerechnet, dass dieser Kerl sich an sie ranmachen würde. Immerhin befand der sich im richtigen Alter, besaß einen Job, war auf den ersten Blick in keiner Weise behindert oder entstellt und wahrscheinlich zumindest überwiegend heterosexuell. Laut seiner Ex-Nachbarin hatte der einzige Annäherungsversuch aber darin bestanden, sich mit seinen Freunden in der Wohnung lautstark einen enormen Schwips anzusaufen und dann gemeinsam mit der ganzen Horde an ihre Tür zu hämmern und sie zum Mitsaufen einzuladen.
      Er sah auf die Datumsanzeige seiner Uhr und erinnerte sich, dass sie angekündigt hatte, um diese Zeit in stationärer Behandlung zu sein. Nur darum hatte er sich wieder bereitschlagen lassen, den Chauffeur zu spielen. Weil sie ihm Leid tat und weil es anscheinend diesmal nur für ein paar Tage war. Seitdem hatte sie ihm irgendwie zwischendurch diverse ominiöse Andeutungen geliefert und auf Nachfrage erklärte, das mit der Behandlung würde "sowieso" nicht gehen, weil man ihr dort nur am Wochenende Ausgang geben wollte und bei jeder Rückkehr grundsätzlich einen Drogentest durchführte, was sie als überzeugte Konsumentin von Hasch auf inakzeptable Weise diskrimierend fand.
      "Bin gleich so weit", sagte sie im Vorbeilaufen.
      Sein Verstand sagte ihm, dass es am besten war, sich in der Zwischenzeit zu verdrücken und zukünftig alle Hilferufe oder sonstigen Lebenszeichen ihrerseits zu ignorieren.
      Sein Gefühl sagte ihm, dass es ihm vielleicht Spaß machen könnte, ihr mal einen Klaps auf den Hintern zu geben.
      Sein Verstand sagte ihm, dass sie das sicherlich nicht mögen und dafür mit ihm schimpfen würde.
      Sein Gefühl sagte ihm daraufhin, dass ihn das trotzdem reizte und er sich ohnehin in dieser Situation schlecht fühlte und das kaum noch schlechter werden konnte.
      Sein Verstand sagte dazu, dass ihm eigentlich nichts besseres passieren konnte, als von ihr rausgeworfen und anschließend in Ruhe gelassen zu werden.
      Sein Gefühl sagte ihm, dass sie vielleicht auch anders reagieren würde und er dann wenigstens einen Grund hätte, sich um sie kümmern.
      Inmitten dieses inneren Dialogs machte sich seine Hand selbstständig.
      "Lass das!", schimpfte sie.
      Das klang ziemlich entschlossen. Er wollte es noch einmal tun, um die Situation zu klären. Entweder würde sie ihn rausschmeißen, was gut für ihn war, oder sie würde ihm doch ein wenig mehr Spaß gestatten, was auch gut wäre. Alles war besser als der aktuelle Zustand.
      "Komm her", sagte Jean Paul.
      Erstand weiter mitten im Flur.
      "Höre damit auf", sagte sie von irgendwo, ohne zu kommen.
      "Weißt du eigentlich, dass du mein derzeit teuerstes Hobby bist?", rief er.
      "So siehts du das also!", rief sie empört zurück und lief plötzlich wieder an ihm vorbei.
      Er gab ihr erneut einen Klaps.
      "Lass das!", rief sie im Weitergehen. "Hobby! Sowas!"
      "Was denn sonst?", fragte er neugierig, während sie die Badezimmertür hinter sich zuwarf und abschloss.
      "Wieso willst du eigentlich immer im Callcenter arbeiten?", fragte sie durch die geschlossene Tür. "Telefonieren ist das eigentlich Frauensache. Oder gehst du da wegen der Frauen hin? Willst du da Frauen aufreißen?"
      "Meinst du wirklich, als Telefonagent unter lauter Frauen könnte man Kolleginnen, äh... aufreißen?"
      "Warum denn nicht? Willst du das nicht?"
      Er hörte ein Geräusch, über das er nicht nachdenken wollte.
      "Völlig unrealistisch", sagte er. "Telefonagentinnen stehen nicht auf ihre Kollegen. Das ist wie mit Stewardessen. Die gehen auch nicht mit Stewards aus, sondern mit Piloten. Oder die Krankenschwestern im Krankenhaus. Die heiraten keine Krankenpfleger, sondern Ärzte."
      "Sorry, ich habe nicht ganz zugehört", sagte sie und betätite die Spülung. "Ihr habt im Call-Center Krankenschwestern?"
      "Manchmal", antwortete er und kam sich blöd vor, weil er die Frage nicht verstand.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul landet unterwegs mit seiner Dauerbekanntschaft in einem Stau und beichtet ihr dort sein größtes Geheimnis. Er muss wieder leiden und dem Leser bleibt nichts anderes übrig, als noch eine ganze Weile mit ihm zu leiden!
      Avatar
      schrieb am 05.03.07 12:16:12
      Beitrag Nr. 343 ()
      :rolleyes:

      Die Zugriffzahlen sind nicht so wie früher bei meinem Thread Thread: Kein Titel für Thread 6216661211

      Werde ich zu alt?
      Wiederhole ich mich (zu oft)?

      :rolleyes:

      Als ich eine Reihe von Verlagen auf diesen Thread hinwies, antwortete nur ein einziger und wies mich auch nur darauf hin, dass man über eine Post-Adresse verfüge...

      :cool:

      Aber als ich das letzte Mal einem Verlag etwas zuschickte, war es Cippenhauer und Futsch. Die gewöhnen einem sowas ab. Für alle Zeiten. Erst sagen sie einem am Telefon, dass sie das komplette Manuskript und nicht nur einen Auszug wollen und wenn man dann nach einem halben Jahr freundlichst anfragt, ob es vielleicht einen Hinweis gäbe, ob die die Post das Manuskript angeliefert hätte, wird man angeschnauzt, was einem denn einfiele,
      u]das komplette Manuskript[/u] einzuschicken. Weil da auch ein halbes Jahr nicht reichen würde, die 150 Seiten durchzulesen. Und anschließend kriegt man eine Mahnung, dass man gefälligst innerhalb von zwei Wochen Lösegeld bezahlen soll, weil sie das Manuskript sonst nicht mehr rausrücken. Als wenn es unsere Schuld wäre, dass die so viele so dilettantisch geschriebene Traktate verwursten, dass wirklich jeder Nicht-Analphabet denen irgendwann seinen Memoiren schickt und dadurch theoretisch Porto-Kosten verursacht...
      :confused:

      :cry:
      Avatar
      schrieb am 05.03.07 15:28:42
      Beitrag Nr. 344 ()
      @wolfsbane:

      was fehlt sind die heissen Sex-exzesse

      Die Griechin auf Kreta und im Zug, und natürlich das saubere Madel aus Schweinau...:lick:
      Avatar
      schrieb am 05.03.07 22:54:19
      Beitrag Nr. 345 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 28.126.543 von Robert_Reichschwein am 05.03.07 15:28:42Robbie, dafür bin ich nicht mehr anonym genug. Leider habe ich diesmal bei Beginn der Schreiberei einige Leute aus meiner näheren Umgebung auf diesen Sräd hingewiesen und mich voll geoutet. Das habe ich zwar zwischendurch offensichtlich einige Male vergessen, aber trotzdem...
      :rolleyes:
      Möglicherweise habe ich durch diese Sache auch schon einen Job verloren..
      :cry:
      Und wenn die mich nur früher rausgeschmissen hätten, wäre ich in dem neuen Job schon viel weiter...
      :mad:
      Avatar
      schrieb am 06.03.07 00:26:44
      Beitrag Nr. 346 ()
      Antwort auf Beitrag Nr.: 28.135.491 von Wolfsbane am 05.03.07 22:54:19Für mich bist Du anonym.
      Und veranstalte hier jetzt bloß keinen Scheiß!
      Mach weiter!!!!
      Auf was soll ich mich denn sonst im sofa freuen :rolleyes:;)
      Avatar
      schrieb am 06.03.07 12:19:58
      Beitrag Nr. 347 ()
      139.

      Jean Paul hatte sich immer gefragt, wie man so blöd sein konnte, mit einem Dutzend anderer Autos vor einem voll belegten Parkhaus zu stehen und darauf zu warten, dass zwölf Plätze frei wurden, damit man da rein konnte- irgendwann.
      Nun, jetzt wusste er es.
      Eine quengelnde Frau konnte einem Mann den Verstand nehmen. Nicht nur wenn er an Geburtenverhütung denken sollte, sondern auch wenn er über Benzinsparen denken sollte.
      "Wann geht es denn endlich weiter!", schimpfte sie.
      "Ich habe dir doch gleich gesagt, dass man hier immer ewig warten muss!", schimpfte er zurück. "Die Leute, die hier parken, gehen erst in Ruhe im Kaufhaus shoppen und danach essen und danach bringen sie ihre Beute zum Auto und gehen dann noch einmal ins Kaufhaus gegenüber..."
      "Ich habe einen Termin!", unterbrach sie.
      "Ich weiß", sagte er schulterzuckend.
      "Und warum tust du dann nichts, damit ich das schaffe?"
      "Tu ich doch! Ich fahre dich hin!"
      "Aber ich bin noch nirgendwo angekommen!"
      Er schwieg und rieb sich die Stirn.
      "Da hat sich was bewegt", sagte sie.
      Tatsächlich. Da versuchte einer, aus der Reihe auszubrechen.
      "Wir hätten auf dem kleinen Parkplatz um die Ecke parken und ein Stück zu Fuß gehen sollen", sagte er. "Dann wären wir längst da."
      "Wozu haben wir ein Auto?"
      "Wir?", fragte er.
      Der Mann vor ihm fuhrwerkte wie verrückt herum, um aus der Schlange herauszukommen. Vielleicht musste er dringend zur Toilette oder so.
      "Gibt es da eine Abkürzung?", fragte sie.
      "Nein."
      "Aber der tut wenigstens was!", rief sie. "Warum tsust du nichts?"
      Er überlegte. Eigentlich hatte sie Recht. Wenn der Mitbewerber aufgeben wollte, sollte man ihm die Möglichkeit geben. Im Moment fehlte es dem armen Kerl an Raum zum Manövrieren. Die Autos vor Jean Paul fuhren alle ein Stückchen zurück.
      "Der fährt!", rief seine Ex-Nachbarin. "Warum fahren wir nicht!"
      Jetzt fuhr Jean Paul auch ein Stückchen zurück.
      "Falsche Richtung!", schrie sie. "Falsche Richtung! Da vorne ist das Parkhaus! Da!" Sie zeigte in die Stoßrichtung. "Da müssen wir hin."

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:Jean Paul schmeißt die Kleine raus.
      Avatar
      schrieb am 07.03.07 12:08:34
      Beitrag Nr. 348 ()
      140.

      Nun standen sie wieder ordentlich im Stau, schön eingekeilt zwischen den anderen wartenden Autos.
      Seine Beifahrerin tat das, was sie immer tat, wenn sie sich in seiner Gegenwart befand und sich nicht unbedingt mit ihm unterhalten musste. Sie nahm ihr Handy, spielte damit herum und begann schließlich hingebungsvoll, möglichst lange SMS zu verfassen.
      Er langweilte sich und schaltete das Radio aus, um stattdessen seinen Französisch-Auffrischungskurs zu hören. Aber sie schaltete das Gerät aus.
      "Das stört!", reklamierte sie.
      Er guckte sie zornig an. Sie ignorierte das und tippte emsig weiter.
      Was hatte er nur falsch gemacht?
      Als man ihr drohte, dass man sie wegen ihrer ungebügelten Arbeitsblusen rausschmeissen würde, hatte er seine Fähigkeiten als Junggeselle eingesetzt und ihr das Bügeln abgenommen. Als ihr ein Pferd auf den Fuß getreten war und sich ihre normalen Arbeitsschuhe nicht anziehen ließen, war er mit ihr Schuhe kaufen gegangen, um Schuhe in Schwarz zu finden, die sie in diesem Zustand tragen konnte. Er hatte ihre gelben Scheine übergebracht und ihre Wohnungsübergabe für sie und ihre Mutter abgewickelt und trotzdem gab es für sie offensichtlich nichts anderes zu tun, als ihn immer weiter zu beschäftigen und zu meckern.
      Er schaltete den Motor aus.
      "Was soll das denn jetzt?", fragte sie. "Und wenn jetzt ein Platz frei wird?"
      "Dann starte ich den Motor eben neu. Wer weiß, wie lange wir hier noch stehen. Ich will sparen. Benzin ist teuer."
      "Weißt du, warum du kein Geld für Benzin hast? Weil du in einem Callcenter arbeitest. Das weiß doch jeder, dass das nicht gut bezahlt wird. Ich kenne einen Franzosen..."
      "Du kennst einen Franzosen?", fragte er überrascht.
      "Ja, und der sagt..."
      "Zu dir?"
      "Zu wem denn sonst? Mit mir redet der natürlich auf Deutsch."
      Wenn sie die Wahrheit sprach, hatte ihre Bildung bei weitem unterschätzt. Sie kannte einen Franzosen. Donnerwetter! Unglaublich. Das hätte er ihr nie zugetraut. Und der redete sogar mit ihr. Er war erschüttert. Unter der Wucht dieser Erkenntnis sah er sie plötzlich mit völlig anderen Augen.
      "Der hat mir erklärt, dass es in Frankreich keine Callcenter gibt, weil die Regierung da einen gewissen Mindestlohn vorschreibt und den wollen die Callcenter nicht zahlen. Da kommen sie lieber hier hin und holen sich Praktikanten..."
      "Ich kenne auch Franzosen", sagte er verärgert und stellte den Französisch-Kurs wieder an.
      "Warum..." Sie drehte das Radio wieder ab. "...machst du nicht irgendwas mit Internet?"
      Hinter ihm gab wieder jemand auf und fuhr fort. Jean Paul nutzte die Gelegenheit, zurück zu setzen und ebenfalls auszuscheren. Er schaltete den Pannenblinker ein und fuhr in die Fußgängerzone. So konnte er schon nach wenigen Minuten die drei magischen Worte sagen: "Du kannst aussteigen!"
      Sie öffnete die Tür und lief zu dem Gebäude, in dem sie einen Termin hatte.
      "Warte im Cafe auf mich!", rief sie im Weggehen und zeigte auf eines der beiden großen Kaufhäuser. Er schloß die Tür und verließ mit dem Wagen die Fußgängerzone. Dabei versuchte er ihren letzten Satz zu vergessen, aber das klappte wieder nicht.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Jean Paul trifft einen ehemaligen Kollegen, der ihm von seinen Erfahrungen als Deutscher in einem Callcenter in Irland berichtet.
      Avatar
      schrieb am 08.03.07 12:28:50
      Beitrag Nr. 349 ()
      Morgen gibt es wieder ein neues Kapitel.

      Möglicherweise bin ich aber anderswo besser aufgehoben...
      Avatar
      schrieb am 09.03.07 12:27:43
      Beitrag Nr. 350 ()
      141.
      Im Café wurde Jean Paul von einem Mann angesprochen, der ihm irgendwie bekannt vorkam und sich schließlich als ehemaliger Mitschüler vom Abendgymnasium zu erkennen gab. Jean Paul setzte sich spontan zu ihm, um zu hören, was er ihm zu erzählen hatte.
      "Ich bin gerade aus Irland zurück!", sagte der andere. "Da suchen die immer Deutsche für eine technische Hotline. Hast du schon einmal im Callcenter gearbeitet?"
      "Ja, aber da musste ich verkaufen. Musstest du auch verkaufen?"
      "Ich habe Inbound gemacht, aber eigentlich ist das dasselbe. Du musst aus dem Kunden Daten herausholen, die sie dir meistens nur widerwillig geben, damit du einen Bericht schreiben kannst. Außerdem musst du ihnen anschließend gewissermaßen deine Problemlösung verkaufen und sie sagen lassen, dass ihnen damit geholfen ist, sonst hast du deine Aufgabe nicht erfüllt."
      "Klingt schwierig", sagte Jean Paul.
      "Jau", sagte der andere, versank in Nachdenken und ließ das Gespräch versiegen.
      "Jau", sagte Jean Paul.
      "Wow, die sieht aber geil aus", sagte der andere dann.
      Jean Paul guckte in die gleiche Richtung.
      "Die winkt mir", sagte der andere, "aber ich kann jetzt nicht aufstehen, denn seit ich sie gesehen habe... Also, ich will nicht die Frauen und Kinder erschrecken..."
      "Okay, dann gehe ich zu ihr und bestelle ihr einen schönen Gruß von dir", sagte Jean Paul und ging zu seiner ungeduldig guckenden Ex-Nachbarin.

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:
      Es gibt ein kleines Zwischenspiel in einem Internetshop, ehe Jean paul wirklich wieder Telefon-Agent wird
      Avatar
      schrieb am 12.03.07 10:10:52
      Beitrag Nr. 351 ()
      142.

      "Kannst du mir was leihen?", fragte sie ohne Umschweife.
      Jetzt ging das schon wieder los.
      "Das kommt darauf an", sagte er. "Nicht für Hasch."
      "Darum hast du mich damals auch zu dem Coffeeshop gefahren."
      "Das war reine Neugier. Ich wollte eine Bildungslücke schließen."
      "Unsinn."
      Das war kein Unsinn. Seine Freunde und Kollegen hänselten ihn schon seit Jahrzehnten dafür, dass er angeblich nie in einem Coffeeshop gewesen war.
      "Ich gebe dir einen Kaffee aus und dann fahre ich dich nach Hause", sagte er entschlossen.
      Er sah sich um.
      Niemand nahm von ihrem Gespräch Notiz.
      "Aber ich habe nichts anzuziehen", quengelte sie.
      Er sah sie von oben bis unten an.
      "Du siehst gut aus", sagte er sachlich.
      "Ach, was siehst du schon!"
      Sie verließ das Café und ging in Richtung Wäscheabteilung.
      Er folgte ihr. Anscheinend wollte sie nach draußen. Womöglich hatte sie einmal etwas eingesehen, was er ihr sagte. Wobei er ihr immer noch nicht verstand, woher sie die Chuzpe nahm, derart auf ihm herum zu trampeln. Inzwischen wusste er zwar, dass sie mit einem extrem verständnisvollen älteren Nachbarn aufgewachsen war, dem sie mit ihren Kapriolen die die Langweiligkeit des Frührentnertums vertrieben hatte, aber inzwischen war sie eine mehr oder weniger erwachsene Frau und Jean Paul hatte sie von Anfang an als solche kennen gelernt.
      Plötzlich blieb sie stehen und nahm lauter BHs in die Hand.
      "Der müsste mir stehen."
      Er zuckte mit den Schultern.
      "Ist der nicht hübsch? Das musst du doch wissen!"
      "Wie soll ich das wissen? Es sieht nicht alles an jeder Frau gut aus. Was eine Frau attraktiver macht..."
      Er dachte daran, wie viele wirklich fetten Frauen ihm schon stolz in hautengen Stretchhosen über den Weg gelaufen war und schüttelte sich.
      "Und der hier?"
      Wollte sie ihn anmachen? Es gab nur einen Weg, das heraus zu finden.
      "Den kaufe ich dir nur, wenn ich zusehen kann, wie dur ihn anziehst."
      Sie ignorierte das.
      Jetzt war er so klug wie zuvor.
      "Der kostet auch nicht viel."
      "Ist schließlich auch nur sehr wenig Stoff."
      "Und den hier auch noch!"
      Allmählich wurde er böse. Wenn ihn früher attraktive Frauen dieses Alters um Geld angehauen hatten, war seine Antwort immer die gleiche gewesen und nie unerwartet oder unwillkommen gewesen.Vielleicht hatte er inzwischen dafür ein schlechtes Gewissen und ließ sich darum so viel von ihr gefallen, aber zuviel war zuviel. Allmählich wurde er böse. Doch vielleicht sagte ich das schon.
      "Gibst du mir jetzt das Geld?"
      "Dafür kannst du mir..."
      Als er gerade anfing, richtig zu knurren, stellte er fest, dass ihn ein kleiner Junge anschaute. Dessen Blick war genauso aufmerksam und klug wie unschuldig, was Jean Paul total entwaffnete. Wen ihn ein Kind so ansah, hatte er das Gefühl, dass Gott selbst durch ihre Augen auf ihn herabsah und bis in sein Herz guckte.
      "...später danken", sagte er und gab ihr das Geld.
      Sie ging zur Kasse.
      Jean Paul sah die Hand auf der Schulter des Jungen und sah hoch. Der Vater des Kindes beobachtete ihn ebenfalls neugierig. Jean Paul räusperte sich, deutete mit dem Kopf auf den Kleinen und sagte nach kurzem Überlegen: "In dem Alter, in dem er ist, sind sie noch am pflegeleichtesten. Daran erinnert man sich später immer wieder gern zurück."
      Der Fremde lachte und nickte. Der Kleine nahm Papas Hand und sie nahmen den Fahrstuhl zur Spielzeugabteilung,
      Jean Paul sah ihnen hinterher, als seine Begleiterin wieder an seiner Seite auftauchte.
      "Ich haben mir auch noch einen neuen Slip gekauft."
      "Danach habe ich nicht gefragt."
      "Musste sein. Warum haben die gerade gelacht? Was hast du zu dem Mann gesagt?"
      Er zitierte sich selbst.
      "Boah...", sagte sie und kniff vor Zorn die Augen zusammen.
      Er nahm sie am Arm und zog sie zu einem der Tische.
      "Setz dich!"
      Sich einen Stuhl zu nehmen und ihr Handy von irgendwo in ihre freie Hand zu zaubern, war für sie eine einzige Bewegung. Im nächsten Augenblick saß sie vor Jean Paul und hatte das Gerät bereits aufgeklappt.
      "Vor einigen Jahren", begann Jean Paul, "als ich noch einen harten und schmutzigen Job machte, ging ich abends zum Bahnhof und da rannte eine Frau in mich, die aus einem Kellereingang kam. Ich guckte und stellte fest, dass sie im Sexshop gewesen war. Sie fragte mich, wo der Eingang zu der Bar wäre, deren Eingang sich nebenan befand. Ich war erst überrascht, bis ich verstand, dass der Vordereingang noch verschlossen war und sie einen Eingang für Mitarbeiterinnen suchte. Ich sagte ihr, ich würde keinen anderen Eingang kennen und daraufhin lud sie mich zu einem Kaffee ein und erzählte mir, dass sie sich dort bewerben wolle. Sie fragte mich, ob ich mitkommen könnte und ob ich auch mit ihr in andere Bars gehen würde, falls es dort nicht klappte. Ich dachte mir, bei meinem Job in der Fabrik und den Vorgesetzten dort könnte ich sowieso nicht tiefer sinken und erklärte meine Bereitschaft. Eine halbe Stunde hatte die Bar endlich geöffnet und ich ging ich mit ihr dort rein. Sie erklärte den Frauen an der Theke, was sie wollte und erhielt auf Rückfrage die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Ich wollte erst mitgehen, aber sie dachte nach und lehnte das dann ab. Ich sass also alleine an der Bar mit den Bardamen und die machten keinen Versuch, mir etwas zu verkaufen, sondern redeten ganz offen über ihre Gäste, als sei ich gar nicht vorhanden und beobachteten mich unauffällig. Nach zehn Minuten kam meine Bekanntschaft dann in Arbeitskleidung zurück, setzte sich an die Theke und entließ mich. Die anderen Frauen wurden sofort lockerer und licherten sogar. Aber fast wäre ich Zuhälter geworden!"
      Sie tippte SMS und ignorierte ihn. Wie immer, wenn sie allein waren und sie nicht gerade auf seinem Beifahrersitz gab und Anweisungen hatte.
      "Ich will damit sagen, dass ich ein gefährlicher Mann bin, verstehst du? Ich bin böse. Bisher hattest du nur Glück. Das ist wie mit einem wilden Tier. Das wird nie richtig zahm. Irgendwann brechen die Instinkte durch und es fällt über dich her, wenn du nicht aufpasst. Also provoziere ein wildes Tier nicht, selbst wenn du es dressiert zu haben glaubst, sondern halte immer eine gewisse Distanz und reize es nicht."
      Als er seine Rede beendete, sah sie ihn fragend an und stand dann auf und steckte ihr Handy wieder ein.
      "Wir hatten jetzt lange genug Pause"; sagte sie dann. "Ich habe heute abend noch zwei Verabredungen. Ich muss los! Wo hast du das Auto geparkt?"
      Er stand auf und zeigte in die entsprechende Richtung.
      Sie lief los.
      Er wollte knurren, aber ihm fiel plötzlich ein, dass sein Vater ihm schon vor einer Ewigkeit prophezeit hatte, dass irgendwann jeder mann in diese Situation käme und zu seinem Schrecken wurde aus Knurren ein Seufzen.
      Dann ging er ihr nach

      Fortsetzung folgt

      Vorschau:Zuviel ist zuviel und das gilt sogar hier.
      Avatar
      schrieb am 15.03.07 10:25:02
      Beitrag Nr. 352 ()
      Hiermit stelle ich diesen Thread über die Parodie eines Telefonagenten ab sofort ein.

      Die Gründe sind privat.

      Die Erlebnisse eines echten Telefon-Agenten finden sich hier:
      http://www.chefduzen.de/thread.php?threadid=4464

      Ich distanziere mich ausdrücklich vom Urheber des o.g. Threads, obwohl ich keine der dort erwähnten Personen oder Firmen kenne oder jemals kennen lernen wollte.

      Falls ich wallstreet-online irgendwelchen Gefährdungen oder juristischen Belästigungen ausgesetzt haben sollte, würde ich das bedauern.

      GOODBYE :cool:


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