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    Wo sind all die Millionäre hin? - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 09.03.01 13:51:04 von
    neuester Beitrag 10.03.01 15:12:32 von
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      schrieb am 09.03.01 13:51:04
      Beitrag Nr. 1 ()
      In der Financial Times Deutschland stand eine klasse gemachte Reportage über Fantastic. Zwar war ich da nie investiert, aber es beschreibt doch ziemlich deutlich die Katerstimmung bei den Start-Ups. Toll auch mal wieder das Gerede der heldenhaften Analysten-Zunft.

      Wo sind all die Millionäre hin?

      Von Tillmann Prüfer, Zug

      Die Softwarefirma Fantastic verzeichnete den berauschendsten Aufstieg am Neuen Markt - und den bittersten Absturz. Nun ist das Unternehmen ein Pennystock, ein Hort von Ex-Aktienreichen. Ein Besuch ganz unten.

      Glück hat, wer bei der Hamburger Fantastic-Niederlassung ein Büro mit Sicht auf den Innenhof des Bürokomplexes hat. Hier blickt man in die gleichgültige Realität deutschen Dienstleistungsalltags und auf blondierte Werbekauffrauen im Büro gegenüber. Eher was fürs Auge als der Ausblick zur anderen Seite. Eine Tankstelle und Autos, Autos, Autos, die sich durch das dreckige Grau der City-Süd schieben. Dorthin guckt Wolfgang Güldner. Vor einem Jahr saß der Software-Architekt noch hier, checkte täglich sein Depot und freute sich, Millionär zu sein. Nun freut er sich, dass er noch hier sitzt. Einem Drittel seiner Kollegen wurde gekündigt. Die Aktie des ehemaligen Börsen-Stars ist abgeschmiert, von 53,5 Euro bis auf 1,47 Euro. Einer der steilsten Sturzflüge in der Geschichte des Neuen Marktes . Nun zuckt der Kurs im Bereich von zwei Euro in den Niederungen der so genannten Pennystocks. Am Neuen Markt, wo Börsenbewertungen wichtig sind wie Geschäftszahlen, beginnt damit der Kampf ums Überleben. "Wenn eine Aktie um 90 Prozent fällt, wird sie uninteressant", sagt Lothar Weniger, Chef der Analyseabteilung der DG-Bank. Die Fonds wenden sich ab. Die Banken stellen die Beobachtung ein. "Es passiert nichts mehr, der Wert ist tot." Auch Fantastic wurde im Dezember aus der Research-Liste von ABN Amro und der Basler Kantonalbank gestrichen. Güldner kommt damit zurecht, sagt er. Schulterzucken.
      Da hat er seinem ehemaligen Chef Peter Ohnemus etwas voraus. Der Schweizer hat das Unternehmen 1996 gegründet. Es folgte eine rasante Erfolgsstory. Und eine noch rasantere Misserfolgsstory. Story eins machte ihn fertig, die zweite war noch schlimmer. Er erzählt, als müsse er Abbitte leisten, es lässt ihm keine Ruhe, bewegt sein Gesicht, seine Arme, als hätte es seinen Geist ergriffen, als könne er erst wieder ruhen, wenn alles ein Ende fände. Kann es das? Havaristen gibt es viele , und wie üblich bekommt Ohnemus nun "von allen auf die Schnauze". Nur: Er kann sich nicht erklären, was er falsch gemacht hat. Ohnemus ist wieder okay, sagt er. Etwas Schmerz ist in seinen Augen hängen geblieben. Der wird bleiben.

      Das Drama in den Bergen

      Ein strahlender Skifahr-Tag in den Schweizer Alpen. Wie weiße Riesen bauten sich die Berge am Horizont auf. Nichts Ungewohntes für Schweizer. Aber Dänen finden das: "Fantastic!" Das jedenfalls rief der nordische Geschäftspartner von Peter Ohnemus aus, als sein Blick gegen das Massiv prallte. Und weil er es rief, dachte er, musste das ein guter Name für das Unternehmen sein, das die beiden gründen wollten. Eine Firma für Software, mit der sich Breitband-Multimedia-Daten versenden lassen, unabhängig vom Endgerät, egal ob über Kabel oder Satellit. Fantastic? Peter Ohnemus dachte eher an "Global Transmission Plattform", weil man es GTP abkürzen konnte. Das hörte sich nach ernsthaftem Business an. Sie diskutierten lange, und sie einigten sich: "The Fantastic Corporation". Das ließ sich "TFC" abkürzen.

      Oben vom Gipfel des Rigi aus wirkt der Zuger See wie eine alte Socke. An seinen Ufern das kleine Städtchen Zug. Ein stiller Ort, außer wenn hin und wieder ein paar Häuser mit ein paar Menschen drin vom Ufer in den See brechen. Eine Altstadt mit verwinkelten Gässchen - nebenan ein Gewerbegebiet, dass gleichzeitig eine Dauerausstellung moderner Architekturverbrechen ist. Wegen seiner paradiesischen Steuerregelung ist Zug einer der beliebtesten Standorte der Schweiz. Auch Ohnemus eröffnet hier sein Hauptquartier. In einem schmutziggelben 30er-Jahre-Bau am Bahnhof, dem ältesten Gewerbegebäude der Stadt. Gutes Omen , denkt er. Große Namen wie Intel, die Deutsche Telekom und Reuters investieren Millionen in die Firma. "Unser Ziel ist es, im Bereich Breitband-Multimedia so etwas zu werden wie Microsoft", prahlt der Gründer bald. Warum auch bescheiden sein? 1996 scheint die Zukunft schon in der Tasche: "Künftig wird es keinen Unterschied zwischen PC und TV mehr geben", prophezeite schließlich ein Jahr zuvor Nicholas Negroponte, Chef des Medialab am Massachusetts Institute of Technology. Der Börsengang 1999 kommt pünktlich zur Jubelstimmung an den Markt. Der Kurs schnellt in die Höhe und schnellt und schnellt und schnellt. Der Marktwert der Firma steigt auf über 1,3 Mrd.Euro. Astronomisch - bei einem Umsatz von nur 25 Mio. Euro. In der Softwareschmiede wird gearbeitet wie im Rausch. Wer zur Emission 1000 Aktien zugeteilt bekommen hat, ist Millionär. Die Mitarbeiter wechseln die Autos, die Häuser, einige sogar die Frauen. Auf den Fluren wird reine Kraft geatmet , Fantastic erscheint als Muskel, bereit, den Weltmarkt aufzubiegen.

      Und Ohnemus wird zum Helden, "Capital" nennt ihn "Internet-König", das US-Magazin "Fortune" schwärmt vom "New Economy Dream". Oberste Business-Zirkel laden den Fantastic-Chef zu Vorträgen ein. Ihm selbst wird es mulmig. "Ich habe mich nie zum Aktienwert geäußert", verteidigt er sich heute. "Aber die Leute waren verrückt nach Fantastic." Manche rufen um vier Uhr morgens an und betteln nach Papieren wie Drogenabhängige. Nach einer Unternehmenspräsentation für die Deutsche Bank stürmen die Zuhörer raus und greifen ihre Handys. "Sie orderten wie die Wahnsinnigen. Hätte ich rufen sollen: Tut es nicht?" Der Gründer erleidet einen Schwächeanfall. Er tritt zurück und präsentiert einen spektakulären Nachfolger: Reto Braun, bis dahin Chef der Schweizer Post. Einer der "Erfahrung mit der Führung großer Unternehmen hat", heißt es, für "die Phase des Wachstums".

      Die Katastrophe

      Ende Februar 2000, pünktlich zum Amtsantritt Brauns, knickt der Neue Markt ein. Sofort kippen die zahlreichen US-Investoren die Fantastic-Aktien aus ihren Depots. Dazu stolpert die Nachfrage. Die Geschäftsleitung muss die Umsatzprognose zurücknehmen, um sie nur wenige Monate später noch einmal nach unten zu korrigieren. Nun ist die Stimmung im Zuger Headquarter so grau wie der Teppichboden. Die "Umstrukturierung", wie Entlassungen in der New Economy politisch korrekt genannt werden, hat Spuren hinterlassen. Eine "Leck-mich-Stimmung", wie ein Mitarbeiter es beschreibt. Geräumte Schreibtische, leere Stühle. Im Regal Exemplare der Firmenzeitung "The Fantastic". Sie künden vom "Höhenflug am Neuen Markt" - ältere Ausgaben offenbar. Der Konferenzraum der Sales-Abteilung ist leer, noch brummt ein Videoprojektor, er wirft ein Monitorbild an die Wand, ein Windows-Dialogfenster: "Now you can shut down the Computer." Natürlich gebe es etliche Ex-Aktienmillionäre in seiner Firma, sagt Vorstandschef Braun: "Jeder muss selbst damit fertig werden. Schnell mal ein paar Millionen ohne Risiko, das gibt es nicht." Nicht einmal für ihn. Seine eigenen Stock-Options sind "unter Wasser". Er hat sich passende Weisheiten zurechtgelegt: "Wer hoch pokert, kann auch verlieren." "High Reward - High Risk." "Man kann sich nicht immer verstecken, man muss sich auch mal etwas trauen."

      Was ist schief gelaufen?

      "Fantastic hat die Organisation sehr schnell aufgebläht", sagt Thomas Langer, Analyst bei WestLB Panmure. Die Firma gibt pro Quartal 10 Mio. Euro aus, unterhält 16 Büros, nennt sich "weltweites Unternehmen", beschäftigt 250 Mitarbeiter (noch). Aber Langer weiß auch, dass noch vor einem Jahr jeder Analyst zum Ausbau des Unternehmens dringend geraten hat, sonst könne man kaum den Markterwartungen entsprechen. Der Markt kam nicht. Breitband-Übertragung erfordert starke Vorleistungen, es muss massiv in die Infrastruktur investiert werden. Die geschwächten Medienunternehmen scheuen solche Investitionen. Es gibt keinen einheitlichen Standard. Und kein Vertrauen in die Technikgier der Konsumenten. Am Zuger See wird die Zeit knapp: "Die nächsten zwei Quartale werden entscheidend sein", sagt Langer. Bis dahin sollten Impulse für den Breitband-Markt kommen. Zwei Quartale also, was fängt man mit dieser Zeit an, wenn man Reto Braun heißt? Man lehnt sich erst mal zurück, wenn man das gefragt wird. Als habe er gerade ein super Nickerchen gehalten. Manchmal kann es schon Statement genug sein, einfach bequem zu sitzen. Hier. Nicht etwa woanders. Für Ohnemus war der Verfall der Aktie "richtig hart", wie er sagt. Was muss Braun dann erst durchlebt haben. Er, der Chef des größten Schweizer Arbeitgebers war. Der dort nach nur 16 Monaten wieder ging. Weil er noch höher hinaus und wohl auch noch reicher werden wollte. Braun bleibt cool . Er lächelt unter seiner schwarz geränderten Brille hindurch (so eine, wie man sie als Individualist heute gemeinhin trägt.) "Solide Umsätze machen, vorhersehbare Umsätze", das sei das Programm für die nächsten Monate. Was auch sonst. Der Weg aus dem Penny-Tal an der Börse ist mühsam. "Die Unternehmen müssen mit positiven Nachrichten Vertrauen aufbauen", sagt Analyst Weniger. Die Zahlen müssen über lange Zeit hinweg besser sein als die Erwartungen. "Doch die Wahrscheinlichkeit nimmt bei Unternehmen mit kleiner Marktkapitalisierung stark ab." Reto Braun sagt zu allen Mitarbeitern du, und alle Mitarbeiter nennen Braun Reto. Reto sei ein lustiger Typ, wird erzählt, bei Betriebsfeiern soll er schon mal bis in die Morgenstunden zappeln. Gerade ist Reto aber etwas empfindlich. Er will nichts von Krise hören: "Wir sind mit unseren Zahlen in bester Gesellschaft." Sogar Netzwerkausrüster Cisco hat Probleme. Und: "Es ist auch bestimmt nicht einfach, zurzeit Ron Sommer zu sein." Ron Sommer würde wohl Ähnliches über Reto Braun sagen. Statt Wachstum zu gestalten, muss er nun gesundschrumpfen. Wenn er nicht gerade entspannt sitzt, rotiert Braun, um Fantastic zu retten, streicht Ausgaben, wo es geht. Dazu hat er neue Vertriebspartnerschaften mit IBM und Hewlett-Packard aufgebaut. Außerdem erwägt er eine neue Finanzierungsrunde über 30 bis 50 Mio. Euro. In ähnlichem Umfang sollen Firmen akquiriert werden, per Aktientausch. "Es kommt alles später, als man denkt - und größer, da bin ich mir sicher."

      Die Hoffnung ist geblieben

      Wer Fantastic besucht, bekommt eine Grafik gezeigt, die die Entwicklung des Breitbandmarktes darstellen soll. Eine beeindruckende exponentielle Kurve, steil ansteigend wie die Eiger-Nordwand. Am unteren Ende eine kleine Markierung "Heute". Vielleicht gibt es ja ein Morgen. Immerhin sind fünf der acht größten Telekomkonzerne Kunde bei Fantastic, immerhin ist noch keiner der illustren Altaktionäre ausgestiegen. Immerhin hat Fantastic noch 95 Mio. Euro Cash. Das reicht, um noch eine Weile am Fuß des Berges zu überwintern. Der Boss geht mit gutem Beispiel voran. Er fliegt nicht mehr Business-Class, seine Mitarbeiter sollen es auch nicht tun. Und auf den Toiletten rät ein Schild, mit den Papierhandtüchern sparsam umzugehen. Die Idee sei nicht von ihm, sagt Braun.

      2001 Financial Times Deutschland

      URL des Artikels:     http://www.ftd.de/tm/it/FTD1UVM32KC.html
       
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      schrieb am 10.03.01 14:56:21
      Beitrag Nr. 2 ()
      weil ich`s so klasse beschrieben finde... up
      Avatar
      schrieb am 10.03.01 15:12:32
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