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    Globalisierung und die Randale von Genua - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 22.07.01 17:33:05 von
    neuester Beitrag 23.07.01 13:41:17 von
    Beiträge: 15
    ID: 442.403
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      schrieb am 22.07.01 17:33:05
      Beitrag Nr. 1 ()
      @Alle hier,

      was haltet Ihr von der Globalisierung. Wer war bzw. ist noch in Genua. Ich bitte um Stimmen für bzw. gegen G8.

      B.H.
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 17:55:10
      Beitrag Nr. 2 ()
      Wie soll den Bitteschön die Globalisierung gestoppt werden ohne den Kapitalismus aufzuheben. Ich bewerte auch die vielen negativen Folgen der Globalisierung als falsch, ungerecht und unerträglich, aber welche Alternativen, und zwar nicht nur theoretischer Art, sollen den eine Lösung dieser Probleme herbeiführen. Diese gewalttätigen Auseinandersetzungen gegen die Globalisierung werden zwar den ein oder anderen zum Nachdenken anregen, aber diese Gedanken haben sich schon ganz andere gemacht und trotzdem ist keine bessere oder gerechtere Welt entstanden. Die Gobalisierung wird unaufhaltsam voranschreiten, da es unmöglich sie aufzuhalten, ebenso könnte eine Gruppe von Menschen versuchen die biologische Evolution aufzuhalten.

      Gruß F 50!
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 18:03:22
      Beitrag Nr. 3 ()
      was bringt uns die globalisierung, vergleichbar mit der deutschen einheit werden wieder nur die wirtschaft und die politiker die dicken gewinne jeglicher art einfahren ( zum beispiel werden sich politiker erst kaufen lassen und dann den medien den selbstmord nahestehender anlasten ), wie die ex ddr werden die ostblockstaaten erst ausgesaugt und dann auf unsere kosten wieder aufgebaut werden, damit unsere europäischen brüder im osten ( ich dachte der ural wäre die grenze europas ) uns in 25 jahren zu recht auslachen können ( ich könnte statistiken über investitionen und wissenschaftliche prognosen namhafter institute anführen, die dies untermauern ). nachdem dann die erste euphorie verflogen ist, werden wieder mal die bürger die rechnung bezahlen, ich weiss, der vergleich mit der deutschen einheit hinkt ein wenig, aber de facto wird für die bürger der sogenannten nettozahler nichts, absolut gar nichts besser werden, im gegenteil, schon jetzt rennen die preise auf und davon, mal ganz zu schweigen von harmonisierungskonzepten betreffend den arbeitsmarkt und sozialleistungen, um nur 2 beispiele zu nennen.
      ich bin bei weitem kein separatist, aber jeder sollte sich mal fragen, wem genau diese ganze harmonisierung eigentlich hilft, beziehungsweise, wem sie nicht hilft.
      nenne mir bitte einer einen nennenswerten vorteil, den er durch die eu erlangt hat, und komme bitte keiner mit währungsunion, eu-reimporten, oder wettbewerbsvorteilen gegenüber den amis. deutschland ist die exportnation no2 der welt, hinter den usa, was sollte noch besser werden, eu heisst nur, die vorteile dieser marktsituation mit anderen zu teilen, sehr solidarisch, komisch nur, dass immer nur von den bürgern solidarität verlangt wird, dies gilt keineswegs für die wirtschaft, die politik, oder jedweden anderen institutionen, die es sich zum ziel gemacht haben, sich eine rtl schauende, geistig verkümmernde ja sager gesellschaft zu züchten.

      ich verstehe jeden, der in genau auf die strasse geht, friedlich, oder gewaltsam, den diese menschen wissen, was sie tun und geben sich nicht unterwürfig ihrem schicksal, der ausbeutung durch globale machtinstumente hin.
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 18:10:41
      Beitrag Nr. 4 ()
      leider f50, leider!!!

      es gibt nur eine möglichkeit, und zwar die strassen von genua ( es müsste 1000 tote geben ) und jeder stimmzettel gibt Dir die möglichkeit, leider muss man dann radikal wählen, aber lieber das, als sich tag für tag vearschen zu lassen. ich scheiss auf solidarität mit geldsäcken!!!
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 18:13:27
      Beitrag Nr. 5 ()
      Globalisierung der Solidarität gegen das Kapital
      Grundposition der Initiative gegen Ökonomische Globalisierung Prag 2000 erstellt anläßlich des Gipfels von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Prag
      Ungefähr 20.000 der Banker der Welt, Ökonomen und Investoren werden vom 26.-28. September in Prag ankommen, um am 55. Jahrestreffen der Weltbank Gruppe (WB) und des Exekutivorgans des Internationalen Währungsfonds teilzunehmen.

      Dieses prestigereiche Ereignis der globalen ökonomischen Eliten, das erste seiner Art in Zentral-/ Osteuropa, ist von besonderer Wichtigkeit. Die Delegierten werden sich versammeln, um einen Plan für die vollständige Liberalisierung der Weltwirtschaft vorzuschlagen, welche sie als einziges Instrument zur Lösung der Probleme der Welt darstellen.

      Wir stimmen dieser Meinung nicht zu. Wir betrachten im Gegenteil die ökonomische Globalisierung und die Politik von IWF und Weltbank als einen der wichtigsten Gründe für die schwerwiegenden Probleme der heutigen Welt und nicht als Chance für die Mehrheit der Menschheit, die im Elend lebt, oder als eine Möglichkeit zur Ablenkung von der globalen ökologischen Krise. Dieser Gipfel ist eine Herausforderung für all diejenigen, die sich um das Schicksal der heutigen Welt sorgen. Denn IWF und Weltbank haben es über fünfzig Jahre lang negativ beeinflußt. In diesem Zusammenhang möchten wir daran erinnern, daß der Gipfel mindestens 935 Millionen Tschechische Kronen (mehr als 50 Millionen Mark) öffentlichen Geldes kosten wird, welches dringend für soziale Programme, Gesundheitsversorgung, Bildung und Umweltschutz gebraucht wird.

      Im Prozeß der ökonomischen Globalisierung, der die fortschreitende Kürzung des staatlichen Einflusses auf die Zirkulation des transnationalen Kapitals beinhaltet, spielen beide Institutionen entscheidende Rollen. Durch ihre ökonomische Politik öffnen der IWF und die Weltbankgruppe die Entwicklungsländer (zu denen sie gemessen am Bruttosozialprodukt auch die tschechische Republik zählen) für ausländische Investoren und ihre spekulativen Interessen. IWF und Weltbank geben offen zu, daß sie nur von ökonomischen Leitlinien geleitet werden und unterstützen daher willentlich verschiedene autoritäre und diktatorische Regime. Kein Wunder, daß diese Institutionen selber ebenso nicht demokratisch sind - die Mitbestimmungsrechte der einzelnen Mitglieder sind von der Summe der Geldinvestitionen abhängig, frei nach dem Prinzip "mehr Dollar - mehr Stimmen". Im Rahmen der sogenannten Strukturanpassungsprogramme (SAPs) bestimmen IWF und Weltbank strenge Auflagen für Kredite an die Entwicklungsländer einschließlich Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Diese Maßnahmen stärken die Position des transnationalen Kapitals, während sie die Position der Mehrheit der sich entwickelnden Welt schwächen. Das Entfernen von Sozial- und Umweltschutzauflagen (welche die Investoren "entmutigen" könnten) und Kürzungen im öffentlichen Sektor resultieren im Nichtzugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, extreme Steigerung der Lebenshaltungskosten, Stellenkürzungen, Arbeitslosigkeit und Beschneidung der gewerkschaftlichen Rechte. Die Auswirkungen auf den Agrarsektor sind besonders verheerend, da Produktionen, die auf lokale Subsistenz abgestimmt sind, gezwungen werden, Monokulturen für den Export anzubauen, was zu Unterversorgung mit Lebensmitteln und in einigen Ländern gar zu Hungerkatastrophen führt. Die Auswirkungen von IWF und Weltbank Aktivitäten auf die Umwelt sind ebenso tragisch - die gigantomanischen Projekte der Weltbank resultieren in der Zerstörung lokaler Ökosysteme und in der erzwungenen Umsiedlung von Millionen von Menschen. Das Prinzip dieser Programme ist es, den Zufluß von ausländischen Spekulativkapital zu ermöglichen, welches nicht zur Schaffung irgendwelcher Werte beiträgt. Es benutzt lediglich die Abwesenheit von Sozial - und Umweltstandards, übernimmt die Kontrolle über die Märkte und zerstört häufig ganze Industriebranchen. Die Empfehlungen von IWF und Weltbank führen demnach häufig nicht zum versprochenen ökonomischen Wachstum. Das einzige, was von ihnen übrig bleibt, ist ein Riesenberg von Schulden. Um für sein weiteres Wachstum zu sorgen, müssen die einzelnen Länder beträchtliche Summen für die Tilgung der Zinsen bezahlen. Argumente, die auf den Zufluß von ausländischen Investitionen verweisen, wirken unaufrichtig und nicht überzeugend. Heute kontrollieren rund 40.000 Mitglieder der globalen Finanzoligarchie 80 % des Welthandels. Der Besitz der 200 reichsten Menschen ist größer als das Einkommen von 41% der Weltbevölkerung. Mehr als 250 Millionen Kinder müssen unter den unmenschlichsten Bedingungen arbeiten, um ihr nacktes Überleben zu sichern. Ungefähr 17 Millionen Kinder sterben jedes Jahr an leicht heilbaren Krankheiten.

      Der Zustand der heutigen Welt ist nicht natürlich - er ist lediglich die logische Konsequenz eines Systems, in dem die Profitmaximierung der Reichsten der einzige respektierte Wert ist. Wir denken nicht, daß wir diese Entwicklung nur durch Lobbying bei Institutionen wie dem IWF und der Weltbank verändern können. Wir verlassen uns eher auf die Bewegungen von unten, die aus diversen Gruppen wie Gewerkschaften, Arbeitslosen, kleinen oder landlosen BäuerInnen, Umweltinitiativen radikalen, demokratischen, politischen Organisationen usw. besteht.

      Eine Alternative zum derzeitigen Sozialmodell zu finden, ist in unserer Auffassung eine grundlegende Notwendigkeit. Wie auch immer, wir denken nicht, daß Widerstand gegen die Globalisierung durch die Politik der Nationalstaaten erfolgen könnte, die schon bewiesen haben, wie willentlich sie sich den transnationalen Konzernen beugen. Wir glauben, daß die Alternative eine Gesellschaft ist, die nicht auf dem Profit weniger, sondern auf den grundlegenden Bedürfnissen vieler, auf den Prinzipien der Solidarität, gegenseitigen Hilfe und nachhaltigen Entwicklung basiert. Obwohl sich unsere Ansichten über die Ursachen und Lösungen der Probleme der heutigen Welt unterscheiden, sehen wir den Gipfel von IWF und Weltbank im September als so wichtige Herausforderung an, daß wir eine gemeinsame Plattform "Initiative gegen die ökonomische Globalisierung- Prag 2000" gegründet haben. Es ist keine neue Organisation mit einem unabhängigen Programm, sondern ein demokratisches Instrument gegenseitiger Kommunikation und Koordination zwischen diversen Gruppen, die vorhaben, auf den IWF/Weltbank Gipfel zu reagieren. Sie soll zur größeren Öffentlichkeit der Aktionen, die von diesen Gruppen organisiert werden, beitragen. Gemeinsam wollen wir Proteste, Vorträge, weiterbildende und kulturelle Events organisieren. Das Hauptereignis soll ein Gegengipfel sein, während dem spezifische schädliche Aspekte der ökonomischen Globalisierung und die Suche nach möglichen Alternativen diskutiert werden sollen. Die Initiative gegen die ökonomische Globalisierung ist für alle aufgeschlossen denkenden Individuen und Gruppen offen, die ihre Meinungen zu IWF und Weltbank ausdrücken möchten. Wir schlagen diese Initiative als gemeinsame Plattform vor, die ihre Stimme stärkt, während die programmatische Autonomie der einzelnen Gruppen bestehen bleibt. Ähnliche Treffen der Institutionen der ökonomischen Globalisierung stoßen auf einen wachsenden öffentlichen Widerstand.

      Laßt uns die Stimme des Protestes auch in Prag ein Echo hinterlassen. Laßt uns der Globalisierung des Kapitals mit der Globalisierung der Solidarität begegnen.

      Prag, 1.März 2000
      Initiative gegen die ökonomische Globalisierung - Prag 2000

      Unterstützung oder Zustimmung mit der Position der Initiative gegen die ökonomische Globalisierung - Prag 2000 kann über e-mail antimmf@hotmail.com kommuniziert werden. Wir freuen uns ebenso über Information über die Art von Kooperation oder Hilfe, die Ihr anbieten könnt. Dies betrifft auch die Weiterverbreitung dieses Statements. Weiterer Information kann im Internet auf der Seite http://inpeg.ecn.cz abgefragt werden.

      Quelle: http://www.comlink.de/graswurzel/251/globalisierung.html

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      Avatar
      schrieb am 22.07.01 18:23:14
      Beitrag Nr. 6 ()
      @@thedochimself@

      Lesenswertes zur Thematik

      Gedanken zur Ordnung der Wirtschaft
      Marktwirtschaft: Die beste aller Welten?
      Von Roland Baader, Waghäusel/Deutschland

      Oft wird den entschiedenen Verteidigern der freien Marktwirtschaft vorge-
      worfen, sie hielten diese Ordnung für die «heile Welt» oder «die beste aller
      Welten», in der angeblich alles nur gut und ideal sein könne - gewissermas-
      sen ein sozialistisches Paradies mit umgekehrten Vorzeichen. Die Antwort
      hierauf lautet: um Himmels willen, nein!

      In einem ganz bestimmten und wichtigen Sinne trifft sogar das Gegenteil zu. Das
      realistische Menschen- und Gesellschaftsbild des Kapitalismus oder der Marktwirt-
      schaft steht ja gerade gegen den utopisch-idealistischen Perfektionswahn des So-
      zialismus und gegen den Machbarkeitsglauben der politischen Gesellschaftsklemp-
      ner. Im Gegensatz zu den idealisierten Gesellschaftsentwürfen aller Formen des
      Sozialismus-Kommunismus, die für ihre irdischen Paradiese stets den «neuen
      Menschen» erschaffen wollen (notfalls, indem sie alle vorhandenen erschlagen),
      funktioniert die Marktwirtschaft auch mit den in der Realität vorzufindenden «zweit-
      besten Menschen». Von Herbert Giersch stammt der Satz: Auch der Wettbewerb
      «aus zweitbesten Motiven zweitbester Menschen» bringt noch hervorragende Ergeb-
      nisse. Das Einzigartige an dieser Ordnung besteht ja gerade darin, dass die in ihr
      lebenden und handelnden Exemplare des homo sapiens auch charakterschwach
      und von geringer Intelligenz sein können, dass sie auch egoistisch und hartherzig
      handeln können - und damit doch zugleich zum Wohle aller anderen beitragen, ob
      sie das nun beabsichtigen und wollen oder nicht.

      Eine Ordnung des Dienens
      Im Unterschied zu jedem anderen sozio-ökonomischen System hängen in der Markt-
      wirtschaft Einkommen, Stellung, Karriere und Privilegien aller Art nicht von der Will-
      kür der grossen Politzampanos oder von der beliebigen Gunst oder Missgunst poli-
      tischer Kader ab, sondern hier kann jedermann - ob guter oder schlechter Mensch -
      seine Ziele nur dann verwirklichen und sein persönliches materielles Wohl, Einkom-
      men, Vermögen etc. nur dann erlangen oder mehren, wenn er die Wünsche und
      Bedürfnisse anderer Marktteilnehmer entweder zu deren Zufriedenheit oder mög-
      lichst noch besser als seine Mitbewerber erfüllt. Und zwar freiwillig und gewaltfrei.
      Marktwirtschaft ist eine Ordnung des Dienens und nicht - wie der Sozialismus - eine
      Organisation des Befehls und der Unterdrückung. Guy Kirsch, ein Schweizer Natio-
      nalökonom, hat das einmal in die schönen Sätze gekleidet: «Der Markt zwingt seiner
      Konstruktionsidee nach jeden einzelnen, seine Wohlfahrt dadurch zu fördern, dass er
      der Wohlfahrt der anderen Gesellschaftsmitglieder dient. Das bedeutet: ...(Es) ist
      dem einzelnen die Möglichkeit zur gewaltsamen Aneignung fremder Ressourcen,
      also die Mehrung des eigenen Verdienstes über das Ausmass der Dienste hinaus,
      die er anderen leistet, versperrt. Der Dienst am Nächsten erfolgt nicht nur, wenn
      Wohlwollen und Mitgefühl dazu anhalten, sondern der Beitrag zur Wohlfahrt der ande-
      ren wird auch dann geleistet, wenn lediglich triviales Eigeninteresse am Werk ist...
      Hier soll die Gewalt des Menschen über den Menschen, die Instrumentalisierung des
      einen durch den anderen verhindert werden, und doch soll die individuelle Freiheit
      nicht an den alles verschlingenden Leviathan verloren werden. Damit unterscheidet
      sich dieses Konzept von all jenen Entwürfen für Idealstaaten, die von Plato über Hob-
      bes, Hegel bis zu Lenin und ihren Nachfolgern dem sozialen Frieden die Freiheit des
      Menschen zu opfern bereits sind.»
      Das einzige, was mir an Kirschs Wortwahl missfällt (obwohl ich weiss, dass er das
      Richtige gemeint hat), ist der Ausdruck «Konstruktionsidee». Die Marktwirtschaft ist
      im Unterschied zu allen anderen denkbaren oder real existierenden Systemen keine
      «Konstruktion», also nicht das Ergebnis eines menschlichen Entwurfs oder Plans.
      Sie entstand (übrigens lange vor dem Staat) und entsteht spontan immer und überall,
      wo man sie entstehen lässt. Und sie funktioniert sogar da, wo man sie verbietet,
      nämlich in Form von sogenannten grauen oder schwarzen Märkten. Sie ist, wie
      Friedrich A. von Hayek das meisterlich formuliert hat, «zwar das Ergebnis mensch-
      lichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs». Gerade deshalb ist sie - vor
      dem Hintergrund der Unvollkommenheit und Fehlbarkeit des menschlichen Wissens
      und Wesens, und ähnlich dem komplexen, synergetischen und kybernetischen Netz-
      werk der Natur - weitaus effizienter und der Natur des Menschen angemessener, ja
      man könnte sogar sagen «Weiser» als jedes Konstrukt irgendeines planenden Hirns.

      Menschenfreundlichere Gesellschaft
      Damit unterscheidet sich die Marktwirtschaft, um es zu wiederholen, von allen utopi-
      schen oder idealisierenden Konstruktionen, die eine «bessere Gesellschaft» und
      einen «besseren Menschen» voraussetzen - oder gar einer (angeblich) allwissenden
      Planbehörde bedürfen. Die liberalen Denker wollen, indem sie auf Markt und Kapita-
      lismus setzen, eine menschenfreundlichere Gesellschaft, ohne dass sie dabei der
      Illusion verfallen, der Mensch sei per se sonderlich menschenfreundlich. Wenn die
      Theorie der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von einem ziemlich ei-
      gensüchtigen «homo oeconomicus» ausgeht, dann nicht, weil sie diesen Teil der
      menschlichen Natur für lobenswert oder gar für den einzigen Charakterzug unserer
      Spezies halten würde, sondern einzig und allein deshalb, weil alles andere am
      menschlichen Wesen (das natürlich auch existiert!) gar nicht konstitutiv für eine
      grosse, arbeitsteilige Gesellschaftsordnung sein kann. Die finsteren Seiten der
      menschlichen Natur, sprich Raub und private Gewaltanwendung, Mord und Totschlag,
      Körperverletzung und Eigentumsschädigung, fallen in den Zuständigkeitsbereich des
      staatlichen Gewaltmonopols, des Polizei- und Justizapparates. Und die hellen und
      leuchtenden Seiten der menschlichen Natur, sprich Liebe und Hingabe, Mitgefühl und
      Freundschaft, sind dem privaten Bereich der Gesellschaftsmitglieder zugeordnet.
      Sie zum tragenden oder konstitutionellen Element einer Wirtschafts- und Gesell-
      schaftsordnung machen zu wollen ist eine nicht mehr zu überbietende Wahnvorstel-
      lung, ein Delirium von einem irdischen Paradies oder Gottesstaat (oder von einer
      angeblich allwissenden Funktionärskaste, die sich in der Lage dünkt, Gott zu spielen).
      Kein Wunder, dass solcher Wahn, wo immer und wann immer man ihn in die Realität
      umsetzen wollte, in eine irdische Hölle geführt hat. Es gibt eine Moral der Realitäts-
      akzeptanz und eine Unmoral der Realitätsverweigerung, eine Moral der Wirklichkeit
      und eine Unmoral der Illusion, nämlich überall da, wo Realitätsverweigerung und Illu-
      sion Auswirkungen auf andere Menschen haben, die sie ausbaden müssen. Die
      Unmoral der Illusion ist besonders gross und verwerflich dort, wo hinter ihr ein politi-
      sches, interessengeladenes Kalkül steckt. Und das steckt hinter jeder polit-ökonomi-
      schen Konstruktion, die von der Marktwirtschaft mit ihren realen Menschen und realen
      Gegebenheiten unseres Planeten abweicht. Marktwirtschaft löst also zwei entschei-
      dende gesellschaftliche Probleme oder Fragen:
      1. Wie können grosse Menschenmassen miteinander friedlich kooperieren und inter-
      agieren, ohne dass jeder jeden lieben und mitfühlend umarmen muss - also ohne
      dass wir allesamt gute, perfekte und edle Menschen sein müssen; und
      2. Wie können grosse Menschenmassen - jeder für sich und alle gemeinsam - die
      wechselnden Knappheiten der Welt und des irdischen Daseins möglichst effizient
      und erfolgreich überwinden, ohne sich gegenseitig zu verletzen, zu berauben, zu un-
      terwerfen, auszubeuten oder gar zu töten. Dass die Funktionsweise der Märkte diese
      Probleme nicht nur einigermassen hinreichend löst, sondern darüber hinaus sogar
      bewirkt, dass jeder jedem anderen nützlich ist und dass alle gemeinsam durch dieses
      Einandernützlichsein auch noch immer wohlhabender werden, ist ein Geschenk der
      Natur oder des Himmels, vor dem wir - wie einstmals Adam Smith - in staunender
      Dankbarkeit stehen sollten.

      Weltverbesserer
      Es mag ja sein, wenden nun viele Skeptiker oder Gegner unserer freien Ordnung ein,
      dass die Marktwirtschaft diese Probleme hinreichend löst, aber doch bestimmt nicht
      so, dass man die eine oder andere Problemlösung nicht doch noch durch politische
      Aktion verbessern könnte. Auch dieser Meinung muss der stringente Marktwirtschaft-
      ler entschieden entgegentreten. Es ist nämlich Bestandteil der Unvollkommenheit des
      irdischen Daseins, dass auch die Lösungen, welche die freien Märkte finden, selbst-
      verständlich nicht perfekt sein können. Aber es ist auch Bestandteil der Unvollkom-
      menheit des Menschen, dass wir selten oder nie wissen können, wie denn nun eine
      bessere Lösung aussehen sollte - und noch weniger, wie sie zu erreichen wäre, ohne
      dass wir zugleich in anderen Belangen noch grösseren Schaden anrichten.
      Typischerweise sind die drei hauptsächlichen Gruppen der «Weltverbesserer» iden-
      tisch mit den drei Hauptfeinden des Klassischen Liberalismus: Die Utopisten, die
      glauben, den Schlüssel zum Paradies auf Erden gefunden zu haben, die Politiker,
      die das politische Machtgeschäft nur betreiben können, indem sie vortäuschen, die
      Welt verbessern zu können, und die überwiegende Zahl der Intellektuellen, die frust-
      riert sind, weil ihre angeblichen Weltverbesserungsideen im Kapitalismus nicht ge-
      braucht werden.

      «Nirwana-Irrtum»
      Natürlich können und müssen wir vieles verbessern, unablässig und ohne jemals an
      ein Ende zu gelangen. Aber alle diese Verbesserungen dürfen, soweit wir wirklich
      sicher sind, dass es sich tatsächlich um «Verbesserungen» handelt, nur mit - und
      nicht gegen die Mechanismen des Marktes und damit auch nicht gegen die freie
      Entscheidung und Verantwortung des einzelnen erfolgen. Vor was wir uns ganz be-
      sonders hüten sollten, ist das, was der amerikanische Ökonom Demsetz den «Nir-
      wana-Irrtum» genannt hat. Damit meinte er die Manie der sozialistischen und etati-
      stischen (staatsgläubigen) Gesellschaftskonstrukteure, alles menschliche Handeln
      und alles gesellschaftliche Geschehen an einem paradiesischen Ideal, an einem
      unmöglichen «Nirwana» zu messen. Immer, wenn die von dieser Manie befallenen
      Leute eine Abweichung zwischen der Realität und dem reinen Ideal entdecken,
      schliessen sie daraus, dass die jeweilige Realität ungenügend und dringend «ver-
      besserungsbedürftig» sei. Der Kapitalismus ist das beliebteste Angriffsziel dieser
      Sozial- und Nirwana-Techniker, weil er mit den Gegebenheiten der unperfekten Welt
      fertig wird und sich weigert, nach himmlischen Systemen zu suchen, in welchen
      «alles für alle gut wird».

      «Neue Menschen»
      Auch so manchem theologischen Weltverbesserer und «Weltethiker» sollte man ins
      Brevier schreiben, dass solches Denken, solche konstruktivistische Unterstellung von
      der Möglichkeit einer perfektionierbaren diesseitigen Welt mit «neuen Menschen» in
      einer «neuen idealen Gesellschaft» nicht nur irdische Höllen schafft, sondern auch
      unter christlichen Aspekten ein sündiges Streben ist. Zurecht hat der österreichische
      Ökonom Erich Streissler auf die diesbezügliche Übereinstimmung von Klassischem
      Liberalismus und christlichem Glauben hingewiesen, indem er schrieb:
      «Nichts schadet dem Verständnis des klassischen Liberalismus mehr, als sein skep-
      tisches Menschenbild mit dem Menschheitsoptimismus der französischen Aufklärung
      zu verwechseln... Wer an die Wirklichkeit gleicher Güte und Klugheit aller Menschen
      glaubt, kann kaum umhin, sich im Lager Rousseaus wiederzufinden; wer an die po-
      tentielle Güte und Klugheit aller Menschen glaubt, verwirklichbar in einer leicht zu
      schaffenden neuen Gesellschaft, der wird zum Marxismus treiben... Ein grundlegend
      anderes Menschenbild trennt (sie) unüberbrückbar... vom klassischen Liberalismus.
      Der klassische Liberalismus ist sich in Fortsetzung christlichen Gedankengutes be-
      wusst, dass ein himmlisches Jerusalem erst entstehen kann, nachdem der Herr über
      das All gesprochen hat: Siehe, ich mache alles neu, vor allem den Menschen.»

      Gegen das Christentum
      Es ist - auch in dieser Hinsicht - nur logisch und konsequent, dass jene Lehren, die
      den «neuen (perfekten) Menschen» und die «neue (ideale) Gesellschaft» hervor-
      bringen wollen - also vor allem alle Formen des Sozialismus und Kommunismus
      (aber auch, bis zu einem gewissen Grad, der moderne Sozial- und Wohlfahrtsstaat)
      allesamt dem Christentum mindestens gleichgültig gegenüberstehen, meistens aber
      sogar feindlich gesinnt sind.
      Als Götzen- und Ersatzreligionen von oft geradezu satanischer Dimension müssen
      sie die wahre Religion mit ihrem realistischen («sündenbehafteten») Menschenbild
      hassen und bekämpfen. Um so tragischer, wenn sich mehr und mehr Theologen auf
      diesen Abwegen bewegen, auch wenn es sich «nur» um die seichten Pfade des
      schleichenden Sozialismus im sozialen Gewand handelt.

      http://www.schweizerzeit.ch/1799/leit.htm
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 18:30:16
      Beitrag Nr. 7 ()
      "Das Leben ist die Krankheit zum Tode"

      weil der mensch ein arschloch ist.

      ich bin geneigt zu sagen:

      "proletarier aller länder vereinigt euch"

      denn der sozialismus/kommunismus ist die beste staatsform, wäre der mensch doch so, wie marx und engeld ihn sehen.

      f50, sehr interessant, den ersten text kannte ich schon, aber wie gesagt, leider sind wir nicht die ersten, die sich über das wesen des menschen so ihre gedanken machen, egal, ob sartre, nietzsche, und all die anderen, der mensch ist eine krankheit und ist dazu gemacht, sich selbst zu vernichtten, die einen schneller, die anderen halt langsamer.
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 19:02:46
      Beitrag Nr. 8 ()
      @thedochimsel@,

      "Das Leben ist eine Krankheit, die durch den Geschlechtsverkehr übertragen wird und mit dem Tod endet"


      Im Übrigen stehe ich dem Leben in einer freiheitlichen Demokratie nicht so negativ gegenüber, da die notwendige Intelligenz vorausgesetzt, jeder nach seiner Fason leben kann und das beste aus den jeweiligen Gegebenheiten machen kann.

      Ich halte es da eher mit dem alten römischen Kaiser und Philosoph "Marc Aurel", 121-180, der schon damals sagte:
      "Die Welt in der wir Leben, ist keineswegs vorausbestimmt durch äußere Bedingungen oder Schranken, sonder allein durch die Gedanken, die unseren Geist beherrschen.

      Folender Text ist ebenfalls sehr interessant:

      Die Explosivität des kleinen Unterschieds
      Im Kosovo-Krieg kämpfte der Westen gegen Christen für die Rechte von Muslimen - kein "Kampf der Kulturen" also. Geschichte wird weiterhin von Nationalstaaten gemacht.

      Von Simon Heusser

      Nichts wurde in der europäischen Geschichte so überschätzt wie der Nationalstaat - und nichts wird gegenwärtig so stark unterschätzt wie dieser. Sämtliche Grosstheorien der Neunzigerjahre gehen, explizit oder implizit, von seiner abnehmenden Bedeutung aus. Der amerikanische Politologe Samuel P. Huntington sah in seinem 1993 als Artikel, drei Jahre später in Buchform erschienenen, unüberbietbar mediengriffig betitelten Werk "Kampf der Kulturen" nicht mehr die Nationalstaaten und deren Interessen als Motor der Geschichte, sondern Zivilisationen: Die Konfliktlinien verliefen nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr zwischen Nationalstaaten oder ideologischen Lagern, sondern zwischen ethnisch-kulturellen Blöcken: dem christlichen Europa, dem konfuzianischen Osten, dem muslimischen Nahen Osten usw.

      Diese Diagnose ging in Rekordzeit ins Haushaltsvokabular ein, nicht zuletzt wohl, weil sie in den unvermeidlichen Friktionen multikultureller Gesellschaften täglich überprüfbar schien, zum Beispiel in der dramatisch schwindenden Integrationswilligkeit der Türken in Deutschland. Auf globaler Ebene schienen Anschläge islamistischer Terrorbanden ebenfalls auf einen "Kampf der Kulturen" hinzudeuten; der Golfkrieg und die internationale Isolierung Iraks schliesslich führten zu starken antiwestlichen Ressentiments im arabischen Raum.

      Der Krieg in Kosovo lässt nun aber Huntingtons Sicht als revisionsbedürftig erscheinen. In Kosovo bekämpfte der christliche Westen die christlich-orthodoxen Serben, um den muslimischen Kosovo-Albanern zu helfen - dieser Krieg lässt sich nicht ins "Kampf der Kulturen"-Schema zwängen. Die Nato, eine mühsam zusammengehaltene Allianz von Nationalstaaten, konfrontierte mit Serbien einen Nationalstaat, der sich der Respektierung der Menschenrechte enthoben wähnte. Dem Eingreifen des Westens lag eine Mischung von nationalen Interessen (Stabilität in Europa) und idealistischen Motiven zu Grunde - kein Zivilisationskrieg, sondern ein Kampf für Stabilität und Menschenrechte; beides ist in Huntingtons Formel nicht als geschichtsmächtig vorgesehen.

      Die islamische Welt unterstützte die Kosovo-Albaner allenfalls mit lauem Zuspruch, von einer Mobilisierung des Zivilisationsblocks Islam kann auch im Ansatz keine Rede sein. Russland schliesslich eilte ebenfalls nicht zu den Waffen, um den Serben beizustehen, die als christlich-orthodoxe Slawen in Huntingtons Modell immerhin nächste Verwandte Russlands sind. Zwar echauffierte sich Moskau rhetorisch, begnügte sich ansonsten jedoch damit, läppische Symbolpolitik zu betreiben, wie zum Beispiel mit dem für die Nato überraschend frühen Einmarsch russischer Truppen nach Kosovo nach Beendigung des Bombardements. Das nationale Interesse Russlands, nicht zuletzt die Sicherung westlicher Kredite, rangierte vor jedem Reflex, einer Nation der gleichen "Zivilisation" zu Hilfe zu eilen.

      Der Kosovo-Krieg zeigt vielmehr, dass die typische interkulturelle Konfliktform heute besser mit der Formel "the west against the rest" gefasst werden kann. In China wurden antiwestliche Gefühle mit der versehentlichen Bombardierung von dessen Belgrader Botschaft geradezu mutwillig angeheizt; Russland, historisch zwischen Westorientierung und Sonderwegfantasien zerrissen, rückte dumpf grollend weiter vom Westen ab, zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt überdies, weil sich das Ende der Ära Jelzin abzuzeichnen beginnt. Es wird lange dauern, bis das in weiten Teilen der Welt dominante Zerrbild von der Nato als einer westlichen Eingreiftruppe, welche künftig nationale Souveränität nicht mehr respektieren wird, wieder von einer weniger hysterischen Sicht abgelöst werden wird. Der Kosovo-Krieg lässt den "Kampf der Kulturen" als kraftmeierisches Gerücht erscheinen, welches die Rhetorik des Ressentiments mit der Handlungsebene verwechselt. Geschichte wird weiterhin von Nationalstaaten gemacht, vor allem von einem, der einzig verbliebenen Supermacht USA, und den Gegenbewegungen, welche deren Politik auslöst. Auch die USA sind keine Zivilisation, wenngleich Clintons universalistische Rhetorik dies zuweilen vernebelt.

      Die beste aller Welten
      Aber nicht nur Huntington sieht die Ära des Nationalstaates sich ihrem Ende zuneigen: Nicht minder einflussreich für die Interpretation unserer Gegenwart war Francis Fukuyamas 1989 erschienenes Buch "Das Ende der Geschichte?". Fukuyama behauptet darin, die liberale Demokratie des Westens sei die beste aller denkbaren Welten und die Globalisierungslogik und der technologische Fortschritt treibe letztlich alle Nationen diesem postnationalen Modell zu.

      Wie Huntington gewichtete auch Fukuyama die Langlebigkeit des Nationalstaates zu wenig - und er unterschätzte die Virulenz des defensiven Nationalismus, des problematischsten und scheinbar unvermeidlichen Nebenprodukts der Globalisierung. Die Jubelbotschaft vom Ende des Nationalstaates oder gar vom Ende der Geschichte hat in Asien bislang niemand vernommen; Henry Kissinger hat kürzlich die Nationalismen in Asien gar mit den europäischen Nationalismen des ausgehenden 19. Jahrhunderts verglichen . . .

      Kürzlich verteidigte sich Fukuyama in einem Artikel in der "New York Times" gegen seine Kritiker und, so schien es beinahe: gegen die Realität. Der Geschichtsoptimist sieht weder die islamistischen Theokratien noch den asiatischen Autoritarismus oder den latenten russischen Neonationalismus, weder die Finanzkrise in Asien noch jene in Mexiko als Widerlegung seiner Theorie. So schrumpft deren Anwendungsbereich auf die westlichen Gesellschaften.

      Vergrösserungsglas
      Aber selbst in Europa, wo die Nationalstaaten wie nirgends sonst auf der Welt im Interesse gemeinsamer nationaler Interessen immer enger zusammenarbeiten, bleiben die Entscheidungsträger weiterhin die Nationalstaaten. Die Globalisierung und Europäisierung bedeutet nicht unbedingt eine Schwächung des Nationalstaates. Gerade durch den Um- und Abbau der Sozialstaaten wird der Staat als Projektionsfläche kollektiver Loyalität und Identität wichtiger. Gerade durch das wirtschaftliche Zusammenwachsen werden die nationalen Entwicklungspfade problematisiert. Die kleinen Differenzen erscheinen unter dem Vergrösserungsglas der Globalisierung und Europäisierung plötzlich als beinahe unüberwindbar: War die Unterschiedlichkeit der Wirtschaftskulturen von Deutschland, Frankreich und Grossbritannien früher gegenseitig kaum bekannt, strukturiert sie heute täglich die Auseinandersetzungen in Brüssel; die Frage, ob eine Annäherung gelingt, entscheidet über Erfolg oder Misserfolg des Euro und damit der Zukunft des Kontinents.

      Fukuyamas Globalbeschreibung vom "Ende der Geschichte" donnert an diesen kleinen, potenziell explosiven nationalen Unterschieden vorbei. Dass die Globalisierung starken Konvergenzdruck schafft, ist nicht nur Fukuyama aufgefallen; sein Optimismus überdeckt aber die wirklich interessanten Fragen, z. B. ob der Rheinlandkapitalismus Deutschlands, dessen unablässige Totsagung rituell sein fröhliches Weiterexistieren begleitet, reformierbar ist.

      In Anspielung auf die zuweilen denkfaule Blair- und Schröder-Rhetorik des "dritten Weges" zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus hielt der deutsch-britische Soziologe Ralf Dahrendorf kürzlich an einer vom Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen veranstalteten Konferenz einen viel beachteten Vortrag über die "101 Wege". Jedes Land, so Dahrendorf, müsse seinen eigenen Mix von freiem Markt und Staatlichkeit finden. Die Übertragung einer politischen Kultur sei weder möglich noch wünschenswert, weil historisch gewachsene Institutionen im Namen der marktwirtschaftlichen Effizienz geschleift werden könnten, welche das betreffende Land für eine funktionierende Anpassung seines Staatswesen an die neuen weltwirtschaftlichen Umstände braucht.

      Idealisten und Nationalisten
      Für die Sicht der schwindenden Bedeutung der Nationalstaaten gibt es durchaus gute Gründe: Wo sich die Wirtschaft globalisiert, kann die Politik nicht national weiterdümpeln - die Finanzströme umfliessen problemlos nationale Staumauern, Umweltprobleme, Kriminalität, Migration und Aids sind per se internationale Probleme. Trotzdem wird die Weltregierung, die Weltdemokratie, das Weltethos länger auf sich warten lassen als Godot.

      Jene aber, die uns in diesem utopischen Nirwana angekommen wähnen, die das Ende der Nationalstaaten beschwören, sind nicht nur voreilig, sondern sie arbeiten den Nationalisten aller Länder in die Hände. Diese nutzen das Gerücht vom Ende des Nationalen, um die Ängste ihrer Klientel vor Identitätsverlust zu schüren. Denn die Nationalisten sind paradoxerweise von der Schwäche des Nationalstaates überzeugt, ansonsten würde sich ja dessen militante Verteidigung erübrigen. Sie glauben ebenso wenig an den Nationalstaat wie die Idealisten, die ihn als historischen Anachronismus abtun. In Wahrheit ist er aber noch immer höchst robust. Nur wenn man von seiner Stärke ausgeht, kann man ihn im Interesse aller allmählich zähmen.

      http://www.tages-anzeiger.ch/archiv/99juli/990720/165627.HTM

      Gruß F 50!
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 19:18:50
      Beitrag Nr. 9 ()
      Die Kommunisten haben 1945 in Ostdeutschland die Reichen abgeschafft ,mit dem Ergebnis ,daß dann alle arm waren.

      Sicher hat niemand gehungert und war obdachlos.
      Aber man hat das Land 45 Jahre verfallen lassen,mit dem Ergebnis ,dass wir jetzt im osten haben.
      verfallenen innenstädte,desolate Infrastruktur,marode unternehmen ,vergammelte Krankenhäuser u.s.w..
      (mittlerweile ists nicht mehr so)

      Ich bin selbst Ossi und hasse den spruch " Es war doch nicht alles schlecht".

      Auch bei den nazis war nicht alles schlecht (Autobahnen,Zusammengehörigkeitsgefühl u.s.w. )Ist es deshalb eine Alternative zur Globalisierung.

      Den armen Ländern gehts doch deshalb nur so schlecht weil eine koruppte Oberschicht alles geld abfasst ,weil sie dafür waffen kaufen und weil sich dort die Leute gegenseitig massakrieren je ärmer sie sind.

      Man gönnt sich nicht mal den dreck unter den Fingernägeln.
      (Bestes beispiel Simbawe ) Einer der entwickelsten Staaten
      Afrikas Südrodhesien wurde innerhalb von wenigen Jahren durch mafiöse Politiker ruiniert.

      Schiebt nicht alles Elend der welt auf die Globalisierung.
      Vielmals sind die leute selbst schuld.
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 19:50:16
      Beitrag Nr. 10 ()
      Die Schuld der ungerechten Verteilung und der mangelnden wirtschaftlichen und politischen Stabilität bestimmter Nationen liegt an der jeweiligen politisch bedingten historischen Enticklung sowie der entsprechenden politischen Führung, die ihre eigenes Land ausbeuten.

      Eines der Hauptprobleme der Menschen in den ärmsten Nationen der Welt ist die diese politisch bedingte nationale Ausbeutung und die daraus resultierende fehlende Bildung sowie das Fehlen jeglicher Infrastruktur aus allen Lebensbereichen.

      Deutschland und Europa hatte die oben beschriebenen Probleme ebenfalls vor der franzosichen Revolution 1848:
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      Zur Erinnerung:
      In der Folge der französischen Revolution erwachte auch in den deutschen Kleinstaaten das politische Bewußtsein des Bürgertums. Überall entstanden politische Gruppen, die das Ende der Fürstenherrschaft und ein freies, geeintes Deutschland anstrebten.
      Als Versammlungsort bot sich Frankfurt am Main wegen seines Status als Freie Reichsstadt und Sitz des Deutschen Bundes geradezu an. Nach der vom Vorparlament vorbereiteten Wahl trat am 18. Mai 1848 die erste frei gewählte Nationalversammlung in der Paulskirche zusammen. Im März 1849 wurde die erste Deutsche Verfassung, die allerdings nie in Kraft trat, verabschiedet. Die Fürsten gewannen wieder die Oberhand und die Revolution war gescheitert.


      Die Euphorie von 1848 war der Ernüchterung gewichen. Die Deutsche Einheit war inzwischen zwar Realität geworden, doch war es "eine Lösung von oben". Der Frankfurter Dichter Friedrich Stolze gab die Stimmung der Demokraten passend wieder: "Wenn das die Göttin Freiheit ist, die möcht` ich nicht zum Schatze".

      Die Jubiläumsfeiern finden in einem pompöseren Rahmen als 25 Jahre zuvor statt. Doch obwohl Bismarck zwischenzeitlich entlassen war und leichte Ansätze sozialer Reformen erkennbar wurden, faßte der Gründer der Frankfurter Zeitung und Vorsitzende des Festtagsausschusses Leopold Sonnemann die aktuelle Situation in folgende Worte: "Die Reichsverfassung von 1871 lehnt sich zweifellos an die Paulskirchenverfassung an, sie gleicht dieser aber wie ein beschnittenes Geldstück einer vollwertigen Münze".

      Die Feiern wurden zu einer "republikanischen Massenkundgebung". Reichspräsident Friedrich Ebert bezeichnete die erste Nationalversammlung 1848 "als einen Denkstein, der weit und sichtbar hineinragt in die weitere Entwicklung der Nation". Nur wenige Monate später scheiterte der erste Putschversuch Adolf Hitlers.

      1945 war die politische, kulturelle und soziale Identität Deutschlands infolge von 12 Jahren Naziherrschaft und 6 Jahren Krieg völlig zerstört. Die Städte und natürlich auch die Paulskirche lagen in Schutt und Asche. Der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb rief 1947 zu Spenden für den Wiederaufbau des "Hauses aller Deutschen" mit den Worten "Ganz Deutschland muß die Paulskirche wiederaufbauen, von außen und von innen, in Stein wie im Geiste" auf. Pünktlich am 18. Mai wurde die Paulskirche in einem internationalen Festakt eingeweiht.

      Die Jubiläumsfeiern standen ganz im Geiste des demokratische Aufbruchs der 68er Generation. Das Motto "Kunst für alle" bot eine nie dagewesene Vielfalt an offiziellen Ausstellungen, unzähligen Diskussionsforen und kreativen Straßentheater. Slogans wie "Entschuldigen Sie bitte, wo geht`s hier zur Revolution" verdeutlichten den Zeitgeist.

      Auf dem Fundament von 49 Jahren Grundgesetz reifte Deutschland zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat, der mit dem 1990 vollzogenen Zusammenschluß der beiden Deutschen Staaten den Höhepunkt erreichte. Deutschland ist zum wichtigen Pfeiler in der internationalen Staatengemeinschaft avanciert.
      Doch schwarze Wolken ziehen drohend am "schwarz - rot - goldenen Horizont" der noch jungen Demokratie auf. Steigender Fremdenhaß, zunehmende Radikalität und Politverdrossenheit, erzeugt durch politischen Stillstand, Aushöhlen von Grundrechten, Aufbröseln des sozialen Netzes, hohe Arbeitslosigkeit, Verrohung von Sitten und Moral und Ausgrenzung von Minderheiten, sind - und nicht nur in Deutschland - zu den Krebsgeschwüren unserer Zeit geworden.

      Es gilt ein neues Haus, das der europäischen Einheit, zu bauen. Und damit schließt sich der Kreis. Die Vision 1848, aus den vielen Kleinstaaten und Fürstentümern ein vereintes und freies Deutschland zu errichten, gilt 1998 gleichermaßen für ein freies und geeintes Europa. Nur haben wir diesmal keine 150 Jahre mehr Zeit.

      --------------------------------------------------------------

      Ich denke, daß bei allen negativen Begleiterscheinungen der Weg zur Nutzung globaler Synergien, letzendlich auch den Armen zugute kommt, die das Glück haben in einer relativ politisch stabilen Nation zu leben.
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 20:07:11
      Beitrag Nr. 11 ()
      1848, 1998 und das Dilemma des europäischen Nationalstaats
      Hartwig Berger
      Die Republik! die Republik! Donnerts der Welt in die Ohren! Der Deckel gesprungen, gebrochen die Gruft! Unermeßlicher Jubel durchschmettert die Luft! Europa ist wiedergeboren!
      (Deutsche Volkszeitung, 1848)

      Die Revolutionen des Jahres 1848 waren eine europäische Bewegung. Den Anfang machte Palermo am 12. Januar, termingerecht zum Geburtstag des in Neapel regierenden Königs. Zwei Wochen nach Ausbruch des sizilianischen Aufstands mußten die Truppen des Bourbonen Ferdinand abziehen. Sizilien sagte sich von Neapel los und setzte die liberale Verfassung von 1812 wieder in Geltung. Im allgemeinen Volksaufstand hatte selbst die Garde der Mafia mitgekämpft.

      Ende Januar springt der Funke der Rebellion auf Neapel und verschiedene mittelitalienische Städte über. Zum europäischen Ereignis wird die Revolution jedoch über Paris. Eine breite Volksbewegung vertreibt nach drei Tagen Barrikadenkampf, am 24. Februar abends, den "Bürgerkönig" Louis Philippe und ruft die Republik aus. In seinem berühmten "Manifest an Europa" vom 5. März erklärt der Präsident der neuen Republik, der Schriftsteller und Historiker Lamartine, daß sein Land die Verträge der europäischen Restauration von 1815 aufkündigt, dennoch auf Krieg zur Veränderung der gezogenen Grenzen und Staatsgebilde verzichtet. Allerdings: "Frankreich erklärt sich zum Bündnispartner in Geist und Herz mit allen Nationen, die nach denselben Prinzipien (der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit) leben wollen."

      Nach Paris verdichtet sich die Kettenreaktion: Am 27. Februar finden Volksversammlungen in Mannheim und Offenburg statt, am 9. März erzwingen die badischen Demokraten ein Nachgeben des Großherzogs in Karlsruhe. Am 4. März erhebt sich München, am 13. März zwingt das Volk in Wien, am 15. in Budapest das Metternich-Regime in die Knie. Am 18. März erhebt sich Mailand und vertreibt in fünftägigen Straßenschlachten die österreichische Armee aus der Stadt, am 22. wird in Venedig die Republik ausgerufen. Auch am 18. März weicht der preußische König vor den Forderungen des Berliner Volks zurück, kommt es zu den neben Mailand blutigsten Barrikadenkämpfen dieses Frühjahrs 1848. Der revolutionäre Aufbruch in vielen Städten wird von ungezählten Erhebungen auch der ländlichen Bevölkerung gegen Feudalherrschaft und Abgabelasten ergänzt.

      Das nicht nur im Rückblick Faszinierende sind Gleichzeitigkeit und zumeist schnelle Erfolge dieser Bewegungen. "Verschont" von ihnen bleiben nur Skandinavien und Großbritannien, in denen das Bürgertum institutionell integriert und die Arbeiterbewegung, nach der gescheiterten Chartisten-Bewegung, überwiegend syndikalistisch orientiert ist. In Spanien und Portugal war die liberale Bewegung in den 20er Jahren gescheitert. Im russischen wie im osmanischen Reich bleibt der Apparat repressiver Einschüchterung intakt, obwohl die Armee des Zaren gegen Volkserhebungen in der osmanisch beherrschten Walachei "intervenieren" muß.

      Faszinierend an 1848 ist auch die Gleichgerichtetheit der Ziele. Presse- und Versammlungsfreiheit, von Monarchie und Adel unabhängige Gerichtsbarkeit, Volksbewaffnung, Parlamente mit verbreiterten Wahlrechten und natürlich eine Verfassung werden überall gefordert. Bauern, Handwerker und städtisches Proletariat erheben sozialpolitische, teilweise sozialrevolutionäre Forderungen. Die Auflösung feudaler Abhängigkeiten auf dem Land wird überall verlangt. Die Abschaffung monarchischer Regierungsgewalt betreiben hingegen nur die Pariser Revolutionäre, anfänglich Venedig und im Deutschen Bund vor allem die Badischen Demokraten. Schließlich setzt sich fast überall das Verlangen nach "nationaler Selbstbestimmung" durch.

      Die europäische Revolution zwang die zumeist absolutistisch regierten Fürstenstaaten überraschend leicht in die Knie. Vor dem Ansturm der Volksaufstände brach das autoritäre Europa wie ein Kartenhaus zusammen. Die unrühmliche Entlassung Metternichs, Träger und Symbol dieses Systems während dreieinhalb Jahrzehnten, ist Beispiel dafür. Und dennoch: Wenig mehr als ein Jahr später sind die 48er Revolutionen zur Gänze gescheitert, haben in allen betroffenen Ländern die alten Mächte das Heft wieder in der Hand. Die Bewunderung der Konsequenz und der Erfolge der 48er müssen wir um die resignierende Feststellung ihres Scheiterns ergänzen.

      Warum sind diese erfolgreichen Revolutionen durchweg gescheitert? 150 Jahre danach, in einem Jahr, das für Gelingen oder Scheitern der europäischen Einigung entscheidend sein wird, sollten wir dieser Frage nachgehen, indem wir "1848" im Lichte seiner europäischen Bedeutung analysieren.

      Verschiedene Gründe für die Niederlage der europäischen Revolution(en) nennen die Historiker: die inneren Gegensätze der Bewegung zwischen eher rechten Liberalen, Demokraten und Sozialisten, die Interessenunterschiede zwischen bürgerlichen und arbeitenden Klassen und die ungeklärt bleibende soziale Frage. Das Übersehen spezifischer Problemlagen der Bauern, der Bevölkerungsmehrheit jener Zeit, unter denen deshalb die alten Mächte zum Teil Hinterland und Rückhalt finden konnten. Die Tatsache, daß die Militärmaschine der Fürstenstaaten im Kern intakt blieb, vor allem aber: die Konflikte, Widersprüche und Desolidarisierungen, die mit der beabsichtigten Herstellung von Nationalstaaten aufbrachen.

      Glanz und Elend des Völkerfrühlings

      "Völkerfrühling" nannten nicht nur ZeitgenossInnen die europäische Märzbewegung. Sie meinten damit den Aufbruch zu Demokratie und Selbstbestimmung - und unterwarfen sich damit zugleich dem Gehäuse der Nationalität. "Volk" war nicht nur der "plebs", die bisher von politischen Gestaltungsrechten ausgeschlossenen Klassen, im Gegensatz zur alten "natio" des Adels. Volk meint 1848 auch "Nation" in einem durchaus neuen Sinn, nämlich der Herstellung eines Staates, dessen Bevölkerung durch gemeinsame Sprache und kulturelle Traditionen zusammengeschlossen sein soll. "Staat" ist demzufolge nicht mehr der territoriale Machtanspruch fürstlicher Herrschaft, er ist die Herrschaftsgewalt über ein Gebiet, dem eine ethnisch definierte Bevölkerung zugeordnet wird.

      Daß eine auf diesem Staatsbegriff basierte nationale Selbstbestimmung an der sozialen Wirklichkeit des alten - wie auch des gegenwärtigen - Europa weit vorbeigeht, liegt auf der Hand. So begriffene Nationalstaaten existierten weder im Europa von 1848, noch existieren sie in Europa 1998. Selbst Frankreich war von der Bretagne bis zum Elsaß, vom teils flämisch besiedelten Nordosten bis zu den Regionen des Provenzalischen, des Okzitanischen, des Katalanischen und des Baskischen, durch hohe sprachliche und kulturelle Vielfalt geprägt. Im Deutschen Bund lebte polnische wie dänische, tschechische wie kaschubische, niederländische wie italienische Dialekte sprechende Bevölkerung. Zudem standen - etwa - "deutsche" Pfälzer und "französische" Lothringer kulturell einander zweifellos näher als Pfälzer Wein- und niederdeutsche Geestbauern. Und während sich die erstgenannten Gruppen weitgehend unkompliziert verständigen konnten, war das zwischen den Bauern des Wasgau und denen der Waterkant schier unmöglich. Volkskultur und Sprachen waren landschaftlich, nicht national geprägt.

      Zur Aufbruchstimmung des Völkerfrühlings gibt es ein eindrucksvolles Gemälde des französischen Malers Fréderic Sorrieu, das auch die Berlin-Pariser Ausstellung "Marianne und Germania" zeigte. Unter dem Banner der jeweiligen Trikolore ziehen Delegationen aus allen europäischen Nationen in einer langen Kolonne um die Statue der Freiheit. Diese ist von den Trümmern monarchischer Insignien umgeben. Voran gehen die Vereinigten Staaten von Amerika, es folgen der Schweizer Bund, Frankreich, Deutschland, Sizilien und weitere Gruppen unter nationalen Trikoloren. Unter dem Himmel der christlichen Brüderlichkeit laufen alle in die "universelle, demokratische und soziale Republik".

      Dieses Bild zeichnet treffend Ziele und Hoffnungen des republikanischen Flügels der 48er Revolution, und zwar länderübergreifend. Die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" stammt aus dieser Zeit, sie formulierte eine Perspektive, in der die zerstörerischen Widersprüche des Nationalstaatsprinzips überwindbar schienen. Für die Radikalen der 48er Revolution war die im "Völkerfrühling" mitschwingende Solidarität durchaus ernst gemeint. Unter dem Jubel der Berliner Revolutionäre wurden die Gefangenen des polnischen Aufstandes 1846 am 20. März in Moabit freigelassen. Der demokratische Club unterstützte das Verlangen der polnischen Bewegung auf nationale Selbständigkeit. Und die Sprecher der Linken, Robert Blum und Arnold Ruge, plädierten noch in der berühmten Polendebatte der Frankfurter Nationalversammlung, Juli 1848, klar für ein unabhängiges Polen und für die volle Gleichberechtigung der nationalen Minderheiten innerhalb der deutschen Staatsgrenzen.

      Die internationalistische Linke blieb aber in den Parlamenten und Clubs von 1848 in der Minderheit. Der Ausgang der Frankfurter Polen-Debatte, nach der mit 342 zu 31 Stimmen die Eingliederung Westposens in einen deutschen Nationalstaat beschlossen wurde, spricht für sich. Das Recht der Polen auf Selbstbestimmung blieb im revolutionären Deutschland wesentlich nur Lippenbekenntnis.

      Im Recht auf Selbstbestimmung der eigenen Nation nahmen dagegen die deutschen Liberalen und Demokraten eine genau gegenteilige Haltung ein. Im wichtigen Schleswig-Holstein-Konflikt machten sie auch die historische Zusammengehörigkeit der beiden Regionen geltend und übergingen völlig, daß die Bevölkerung von Schleswig überwiegend Dänisch sprach. Im Sinne der Teilung Posens wäre es hier konsequent gewesen, die Vereinnahmung Schleswigs durch Dänemark oder zumindest eine Teilung der Region nach der sprachlichen Mehrheitsverteilung zu fordern. Doch selbst die sozialrevolutionäre Linke, wie Karl Marx, war in dieser Frage nicht bereit, den Anspruch auf nationale Zugehörigkeit Schleswigs einem kritischen Nationalitätentest auszusetzen. Sie hätte für die Einheit von Schleswig-Holstein sogar einen europäischen Krieg mit England und Rußland riskiert.

      Wie die Revolution an der Nationalstaatsbildung scheiterte, wird besonders deutlich in Ungarn. - Ein Zentrum der nationalstaatlichen Bestrebungen waren Preßburg, Buda und vor allem Pest, sie wurden hier getragen von einer gebildeten Mittelklasse, die Ungarisch sprach oder Ungarisch als Hochsprache gelernt hatte. Die Märzrevolution schuf ein Ungarn, das nationale Autonomie in der jetzt konstitutionell verankerten Donaumonarchie erhalten sollte, dessen Bevölkerung aber nur zu gut 50 Prozent "ungarische" Dialekte sprach. Knapp die Hälfte der Bewohner Ungarns hatten dagegen kroatische, slowakische, serbische, rumänische, deutsche, jiddische oder Roma-Mundarten als Muttersprache.

      Trotz der enormen sprachlichen wie kulturellen Vielfalt forderte die Märzbewegung in Ungarn nationale Selbstbestimmung, ohne die nichtmagyarischen Einwohner des Landes auch nur zu erwähnen.

      Die Nationalitätenkonflikte, die das autonom gewordene Ungarn kurz darauf erschütterten, wurden durch die selbstbezogene Ignoranz der städtischen Mittelklasse und des niederen Adels regelrecht erzeugt. Sie markierten den Beginn der Niederlage des revolutionären Ungarn. Noch im März formierte sich eine kroatische Nationalbewegung in Zagreb, die all das für sich forderte, worüber die Ungarn damals mit Wien für "ihr" Land verhandelten. Diese Bewegung stützte sich im übrigen auf ein Sprachkonstrukt "des" Kroatischen, das von einem Dialekt der eher Serbisch sprechenden Grenzbevölkerung abgeleitet war. Sie fesselte den ungarischen Staat in einen kriegerischen Dauerkonflikt, nachdem die Habsburg-Monarchie den kroatischen Offizier Jelacic zum Statthalter der Region eingesetzt hatte. Es gelang der Kroatisch sprechenden Mittelklasse, große Teile der ländlichen Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen, da sich deren Gegensatz zum Ungarisch sprechenden Landadel national umdefinieren ließ.

      In Transsylvanien führte die Berufung auf das Nationalstaatsprinzip zu politischen Absurditäten mit blutigen Folgen. Die Region war überwiegend von Rumänen, Ungarn und Sachsen besiedelt. Da sie dem Königreich Ungarn zugerechnet war, wurde sie jetzt zum Gebiet der ungarischen Nation umdefiniert. Zugleich hatte das ungarische Parlament eine Landreform beschlossen, die Erbuntertänigkeit, Frondienste und Abgabelasten der Bauern an den Landadel aufhob. Die Reform wurde in Transsylvanien nur schleppend verwirklicht, da sich der Adel querstellte. Die Bauern sprachen Rumänisch und teilweise Sächsisch und konnten daher den Klassengegensatz zum Ungarisch sprechenden Adel national umdefinieren.

      Eine zahlenmäßig geringe städtische Intelligenz forderte die Anerkennung der rumänischen Nation innerhalb Ungarns, scheiterte mit diesem Ansinnen aber bei der Regierung in Budapest. Diese wiederum ging in Transsylvanien teilweise gewaltsam und blutig gegen Landbesetzungen von Bauern vor, die sich das Gemeineigentum und anderes vom Adel angeeignetes Land zurückholen wollten. Obwohl die Aktionen der Bauern die Agrarreform fortsetzten, lehnte die Regierung sie ab und deutete sie als prorumänische Umtriebe.

      Diese "Gefechtslage" führte zum Bündnis zwischen nationalbewußter städtisch-rumänischer Intelligenz, sozialrevolutionärer Bauernschaft und dem unter österreichischem Oberbefehl stehenden kaiserlichen Heer. Es kam zum Krieg zwischen dem ungarischen Staat und dieser widerspruchsvollen Koalition. Trotz Agrarreform stand die ungarische Revolution gegen die Bauern, trotz liberaler und auf Selbstbestimmung zielender Politik verbündete sich die rumänische Mittelklasse mit der monarchischen Reaktion. Im Ergebnis der blutigen Auseinandersetzung verloren Zehntausende ihr Leben, wurden die autoritären Verhältnisse in Stadt und Land Transsylvaniens wiederhergestellt. Ungarn, Rumänien und die Bauern waren gemeinsam die Verlierer.

      So blieb die "Internationale der Nationalbewegungen" (Thomas Nipperdey) 1848 eine Quadratur des Kreises, an der die Gemeinsamkeit der einzelstaatlichen Revolutionen zerbrach. Mit der zerbrechenden Solidarität verspielten die 48er Bewegungen Europas auch ihre Erfolgschancen.

      Eine lange Kette deprimierender Beispiele spricht für diese These. Der italienische Befreiungskampf Venetiens und der Lombardei wurde von kaiserlichen Truppen niedergeschlagen, die sich überwiegend aus ungarischen und kroatischen Kontingenten zusammensetzten. Diese waren von ihren Regierungen in der Hoffnung entsandt worden, im Austausch Zugeständnisse in der Frage nationaler Autonomie aushandeln zu können. Die Hoffnung auf Intervention des revolutionären Frankreich zerschlug sich sowohl in Norditalien im Sommer 1848 wie für Badens Revolutionäre im Frühjahr 1848 wie 1849. Einzelstaatliches Machtdenken hatte in der Pariser Regierung inzwischen eindeutig Vorrang gewonnen.

      Auch in Deutschland hatte das Interesse an der französischen Republik schnell nachgelassen. Noch im März war diese als "Morgenröte der Befreiungsstunde für alle Völker, der Vorbote eines allgemeinen Sieges", begrüßt worden (so eine Flugschrift). Als hingegen die Pariser Juni-Revolution blutig niedergeschossen wurde, 1.600 Arbeiter ihr Leben ließen, insgesamt 11.000 verhaftet, ins Gefängnis geworfen oder verbannt wurden, hielten sich Interesse und Betroffenheit diesseits des Rheins sehr in Grenzen. Einzig die wenigen Zeitschriften der Arbeiterbewegung hielten hier die grenzübergreifende Solidarität aufrecht. Das Denken der deutschen 48er Bewegung war sonst - wie in anderen Ländern auch - überwiegend auf Probleme des eigenen Landes fixiert, gegenüber Frankreich überwog hingegen das Mißtrauen vor einerseits sozialrevolutionären "Exzessen" und andererseits staatlicher Machtpolitik.

      Innerhalb des Deutschen Bundes verschärften die Debatten um eine groß- oder kleindeutsche Lösung latente Nationalkonflikte. Der Zerfall der böhmischen Nation im Deutschen Bund beginnt 1848. Die gewählten tschechischen Vertreter boykottierten die Frankfurter Nationalversammlung, da sich diese die Bildung eines deutschen Nationalstaates zum Ziel gesetzt hatte. Statt dessen beriefen sie einen Slawen-Kongreß nach Prag ein, der für eine panaustrische Lösung, den Erhalt der Donaumonarchie mit Autonomierechten auch für die slawischen Völker, eintrat. Die aufbrechenden nationalen Differenzen haben den Aufstand Prager Demokraten im Juni 1848 entscheidend geschwächt und den Sieg der reaktionären Truppen des Fürsten Windischgrätz mit ermöglicht.

      Die Autonomiebestrebungen in Galizien erlebten ein Desaster, weil sie in der Ostprovinz bei einer ruthenischen Bevölkerungsmehrheit nur Widerstand wecken konnten, und weil die Polnisch sprechenden Bauern in Westgalizien keine gemeinsame Sache mit dem polnischen Adel machen wollten. Hier durchkreuzten die Klassenschranken die Idee der gemeinsamen Nation. Diese wurde noch ganz traditionell, als Adelsnation, begriffen. Dagegen zog die ungarische Bewegung durch ihre Agrarreform die nichtmagyarischen Bauern in der Slowakei auf ihre Seite; wenn sie auch - wie dargestellt - mit dem Prinzip nationaler Selbstbestimmung insgesamt ihr Grab schaufelte.

      Unter dem Banner des Völkerfrühlings waren die europäischen Revolutionäre zunächst erfolgreich gegen die autoritären Fürstenstaaten angetreten. An den Widersprüchen des Versuchs, einen demokratisierten Verfassungsstaat auf nationaler Grundlage zu errichten, sind sie zumeist untergegangen.

      Europa 1998 und der Nationalstaat

      Was können wir aus den Revolutionen von 1848, ihren Erfolgen wie ihrem Scheitern, für die Politik in Europa 1998 schließen? Ein vereinigtes Europa würde das Modell der Nation endlich überwinden, mit dem seit über 200 Jahren auf unserem Kontinent staatliche Herrschaft entstanden, demokratisiert - und pervertiert ist. In den Staatsbildungen nicht nur 1848 stand der Wille zur Demokratisierung und Konstitutionalisierung im Vordergrund. Nur wurde deren Verwirklichung an das Substrat jeweils einer Nation gekoppelt, die es in der angenommenen Reinheit und Trennschärfe nicht gab, und die zudem nie deckungsgleich war mit den Territorien der Staaten, die gebildet werden sollten. Bis heute steht die europäische Staatenbildung in Europa unter einem fast wahnhaften Wiederholungszwang, dieses nicht lösbare und Krieg wie Bürgerkrieg begünstigende Dilemma zu wiederholen. Der Zerfall Jugoslawiens und die Entstehung Moldawiens, die Unterdrückung nationaler Minderheiten in der Slowakei oder - im blutigen Krieg - der Türkei, die Zypernfrage, die ungelösten Minderheitenprobleme in den baltischen Staaten, aber auch die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen im spanischen Euzkadi, teilweise in Katalonien und in Oberitalien sind aktuelle Beispiele.

      Die unheilbringende Verschränkung von Demokratie und Nationalstaatlichkeit zu lösen ist und bleibt eine Zukunftsaufgabe in Europa. Mit diesem Modell hat der Kontinent nur schlechte Erfahrungen gemacht. Wenigen insgesamt vertretbaren Beispielen demokratischer Nationalstaaten - England, Frankreich, die Niederlande, die skandinavischen Länder - stehen Fälle desto krasserer Negativität entgegen. In einem Land, dessen Nationalismus Europa mit den schlimmsten Menschheitsverbrechen heimgesucht hat, muß das nicht weiter erläutert werden.

      Der Abschied vom Nationalstaat kündigt sich im gegenwärtigen Europa höchstens an. Bisher hat die Internationalisierung einer auf pure Kapitalvermehrung zielenden Wirtschaft den Nationalstaaten immer mehr die souveräne Handlungsbasis entzogen. In der Ideologie und in den Erwartungshaltungen der Menschen ist das Gespenst der staatlich zusammengehaltenen Nation jedoch weiterhin sehr lebendig. Der Aufschwung neuer Nationalismen ist gerade im Zeitalter der Globalisierung kein Zufall. Wer würde diesen Zusammenhang für die Abspaltung des wirtschaftlich potenten Slowenien bestreiten, die den Zerfall des Vielvölkerstaats Jugoslawien einleitete? Warum sind es gerade politische Strömungen in den weltwirtschaftlich integrierten Regionen des italienischen Nordens, die einem nationalen Separatismus das Wort reden? Weshalb hat der Autonomie- und Unabhängigkeitsgedanke vor allem in den wirtschaftlich stärksten Regionen der iberischen Halbinsel, in Katalonien und im spanischen Euzkadi, Fuß gefaßt?

      Insgesamt ist in den jeweils reicheren Ländern die Überzeugung in breiten Bevölkerungsschichten verankert, daß der Staat für die Angehörigen "seiner" Nation zu sorgen habe, hingegen "Fremde" und Zugewanderte fernzuhalten oder doch mit deutlich minderen Rechtsansprüchen abzuspeisen sind. Rassismus und Nationalstaatsgedanke sind in der Moderne eng miteinander verwandt.

      Zu Recht gilt das Konzept der europäischen Einigung als langfristige Strategie, die geeignet ist, die Nationalstaatsbildung auf unserem Kontinent schrittweise zurückzunehmen oder sie zumindest in transnationale Strukturen einzubinden. Daß aller Voraussicht nach Ablauf des Jahres 1998 elf europäische Länder mit einer gemeinsamen Währung starten werden, ist da ein wichtiger Schritt voran. In einer Zeit universeller Marktbeziehungen ist die Währung das vermutlich wichtigste Symbol nationaler Identität, nicht trotz, sondern gerade wegen der materialen Bedeutungslosigkeit von Geld. Der Ersatz von elf Nationalwährungen durch den Euro wird vermutlich dem Nationalbewußtsein wichtige Stützpfeiler im stark vermarkteten Alltagsleben entziehen.

      Zugleich wird das die beteiligten Einzelstaaten zwingen, ihre Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sehr viel enger als bisher zu koordinieren. Wenn in einem Währungsraum die Einzelstaaten durch besondere Förderpolitik, Steuervergünstigungen, Umwelt- oder Lohndumping um Wirtschaftsbetriebe konkurrieren, lassen sie sich auf ein Spiel ein, in dem es nur Verlierer gibt. Ist der Euro eingeführt, bietet sich zu mehr Gemeinsamkeit in der Wirtschafts-, Umwelt-, Steuer- und Sozialpolitik keine Alternative. Nur die derzeitige deutsche Bundesregierung, die sehr eindimensional um die politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank besorgt ist, hat das bisher nicht begreifen wollen. Sonst hätte sie sich auf den Luxemburger Regierungsgipfeln im November und Dezember nicht sowohl gegen eine koordinierte Beschäftigungspolitik wie gegen eine europäische Wirtschaftsregierung - beides Vorschläge der französischen Linksregierung - so gesträubt.

      Die Überwindung und Einbindung des europäischen Nationalstaats wird im Selbstlauf wirtschaftlicher Verflechtungen nicht gelingen. Der Euro wirkt nicht wie Hegels List der historischen Vernunft. Schon weil der Währungsraum geographisch wie demographisch den größeren Teil des Kontinents ausschließt, greift die ökonomistische Strategie zu kurz. Noch ist nicht ausgemacht, ob die gemeinsame Währung in zunächst elf Ländern den Zusammenhalt Gesamteuropas stärkt oder schwächt. Konkrete Beitrittsverhandlungen werden nur mit fünf mitteleuropäischen Ländern geführt, auch betreffen sie allein deren Aufnahme in die EU, nicht ihre Einbindung in den gemeinsamen Währungsraum.

      Es wird also im günstigen Fall drei Ebenen in der europäischen Zusammenarbeit geben: die Euro-Länder (erst 11, bald 14 Staaten), die EU-Länder (maximal 21) und den Rest, der sich mit dem engeren Kreis hin und wieder im unverbindlichen Forum des Europarats versammelt. Wesentliche Probleme der wechselseitigen Beziehungen sind bisher nicht oder nur unzureichend bedacht. So soll die Einführung des Euro erklärtermaßen einen Modernisierungsschub in den teilnehmenden Ländern auslösen. Sollte diese Prognose wirklich eintreten, würde zugleich das Entwicklungsgefälle zwischen den "ins" und den "outs" in Europa weiter vergrößert, die Integration der "outs" würde damit erschwert.

      Die Ausgrenzung der "ungeklärten" Nationalstaaten

      Als überbrückende Strategie ist den Euro-Technokraten da bisher nur verstärktes wirtschaftliches Wachstum und das System der Heranführungshilfen eingefallen. Die Option "mehr Wachstum" ist aber umweltpolitisch nicht zu verantworten, da sie mehr Energie- und Ressourcenverbrauch sowie, darin eingeschlossen, verstärkten motorisierten Verkehr nach sich zieht. Sie erhöht zudem das Risiko gesamtwirtschaftlicher Depressionen durch Konjunktur"überhitzung".

      Die Heranführungshilfen hingegen stellen kaum mehr als wirtschaftspolitische Placebos dar, die eine schwierige gesamteuropäische Umverteilungspolitik nicht ersetzen können. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen ab dem Jahr 2000 für die elf Kandidatenländer zusammen pro Jahr 3 Milliarden Euro (rund 6 Mrd. DM) als Beitrittsvorbereitung zur Verfügung gestellt werden, das sind 0,04 Prozent des Gemeinschafts-Bruttosozialprodukts. Zum Vergleich: Der Marshallplan erreichte für alle europäischen Länder, die seinerzeit in seinen Genuß kamen, 1 Prozent des damaligen Brutto-Sozialprodukts der USA (nach Berechnungen der Europa-Abgeordneten Edith Müller).

      Eine Erhöhung der Heranführungshilfen erscheint also gemäß der inneren Logik der europäischen Förderpolitik unabweisbar. Die Chancen ihrer Durchsetzung sind jedoch gering, da Mitgliedsländer wie Spanien, Portugal und Griechenland klar angekündigt haben, daß sie eine Osterweiterung der EU nur zum Nulltarif und insbesondere nur dann akzeptieren, wenn sie keine Abstriche an der ihnen zufließenden Strukturhilfe hinnehmen müssen.

      Allein aus den Erfahrungen des deutschen Föderalismus läßt sich aber lernen, daß ein einheitlicher Währungsraum starken Druck auf Einführung eines innereuropäischen Finanzausgleichs ausüben wird. Daß es selbst im vertrauten Schema des Nationalstaats massive Konflikte um einen Länderfinanzausgleich zwischen den Alpen und der Nordsee gibt, ist bekannt und dürfte im Laufe des Jahres 1998 noch intensiver erlebt werden. Das Entwicklungsgefälle innerhalb der EU ist jedoch zwischen dem Rhein und Guadalquivir oder der Ile de France und Sizilien eher größer. Es liegt in der Logik bisheriger Strukturpolitik, auf damit entstehende Migrationsströme, auf regionale und soziale Verarmung durch Finanztransfer in umgekehrter Richtung, von reichen in arme Euro-Regionen, zu reagieren. Damit wird es politisch schwieriger, die Transfermittel für europäische Länder außerhalb der EU zu halten, geschweige denn zu erhöhen.

      Nun kann und darf die Aufgabe der gesamteuropäischen Einigung nicht mit Quantitäten des Geldtransfers aufgewogen werden. Und es muß auch gefragt werden, ob der schwierige sozio-ökonomische Strukturwandel, dem sich alle mittel- und osteuropäischen Länder zu stellen haben, überhaupt mit zugeschossenem Kapital bewältigt werden kann. Vielleicht sollte eine kritische europäische Öffentlichkeit, länderübergreifend, sich endlich der Frage stellen, ob denn die Kapitalwirtschaft, deren Vormarsch den schwierigen Strukturwandel erzwingt, diesen ohne Massenarbeitslosigkeit und Massenelend bewerkstelligen kann, ja, ob er überhaupt unter diesen Rahmenbedingungen durchführbar ist.

      Wie soll denn etwa die Berufsstruktur eines noch gutgestellten Landes wie Polen nach dem zugemuteten Strukturwandel aussehen, einem Land, in dem 1995 27 Prozent in der Landwirtschaft beschäftigt waren, dessen Küstenstädte von auslaufender Werftindustrie abhängen, und wo über 10 Prozent der Menschen in einer altindustriellen und extrem umweltverseuchten Region - Gorny Slonsk (Oberschlesien) - leben, deren jetzige Wirtschaftsstruktur keine Zukunftsperspektive hat? Welche Wirtschaftssektoren sollen den massenhaft freigesetzten Menschen Beruf und Auskommen bieten, wenn sich Polens Erwerbsstatistik der EU angleicht, derzeit 5,5 Prozent landwirtschaftlich Erwerbstätige, in Deutschland nur 3 Prozent? Wie sollen Dienstleistungssektor und moderne Technologien je diese Chance bieten, wenn deren Expansion mit der gegenwärtigen Rationalisierung der Arbeit weiter zusammengeht? Die Informations- und Umwelttechnik der Zukunft wird eben nicht arbeitsintensiv sein.

      Der ökonomistische Weg zur europäischen Einigung führt nicht weit. Er wird von Widersprüchen, wirtschaftlichen Krisen und sozialen Verwerfungen, wenn nicht Katastrophen begleitet sein. Ein Europa, das sein Schicksal in die Hände einer zum Wachstum verurteilten Kapitalwirtschaft legt, setzt nicht auf Vereinigung, eher auf gemeinsamen Untergang. Wie soll denn dieser Kontinent allein die zusätzlichen Umweltbelastungen verkraften, die zusätzlich erzeugten Klimagase verantworten, die eine prognostizierte Zunahme des motorisierten Verkehrs - um über 100 Prozent in zehn Jahren nur in der EU - bewirkt? Wie soll er das, wenn der massive Strukturwandel in allen, insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Ländern, keine neuen Berufs- und Lebensperspektiven für breite Bevölkerungsschichten öffnet? Dem Abbau nationalstaatlichen Denkens wird das nicht förderlich sein.

      Die Art der gesellschaftlichen Modernisierung, die Europa nach dem Selbstlauf der Kapitalwirtschaft bevorsteht, hat bisher nur dem Aufschwung nationalistischen Denkens und teilweise den Rückfall in primitive Nationalstaatlichkeit gefördert. Die Überwindung des Nationalstaats, die uns als historisches Vermächtnis der 48er Revolutionen, ihres Scheiterns bleibt, ist also eine primär gesellschaftspolitische Aufgabe. Sie darf nicht den globalen Finanzmärkten und auch nicht dem Selbstlauf der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Binnenmarkt, in assoziierten Märkten und im Euroraum überlassen werden. Ein Europa, das unter den Akkumulations- und Gewinnzwängen der Kapitalwirtschaft zusammenwächst, wird eine Renaissance nationalistischer Strömungen und eine Stärkung nationalstaatlicher Egoismen erleben.

      Deshalb haben wir uns der Idee "Europa" nicht verschrieben. Nicht deshalb sind wir bis heute der länderübergreifenden Solidarität, die die Utopie des Völkerfrühlings von 1848 auch enthält, verpflichtet. Nicht deshalb schätzen wir die Gesellschaften dieses Kontinents gerade in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt.

      Wenn wir dem Vermächtnis der 48er folgen, müssen wir den Prozeß der europäischen Einigung korrigieren. Vorrang vor wirtschaftlichen Verflechtungen muß die Herstellung einer gesamteuropäischen Verantwortungsgemeinschaft haben, in der die Sicherung von Demokratie, von individuellen und kollektiven Bürgerrechten und die Herstellung einer Umwelt- und Sozialunion mindestens gleichrangig zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit stehen. Im abgelaufenen Jahr wurde diese Kritik sowohl am Amsterdamer Vertrag zur Weiterentwicklung der Europäischen Union wie an den zu eng neoliberalen Vorgaben der Währungsunion geübt. Was die Einführung des Euro betrifft, hat die Kritik auch zu begrenzten Korrekturen geführt, zum europäischen Beschäftigungspakt und zur Verpflichtung engerer wirtschaftspolitischer Zusammenarbeit.

      Das ist allerdings lange nicht ausreichend, und vor allem, es bleibt auf den Kreis der jetzigen EU-Mitgliedsländer beschränkt. Die Herstellung einer Demokratie, einer Umwelt- und einer Sozialunion ist aber eine gesamteuropäische Aufgabe. Sie darf weder auf die Zeit der Heranführung weiterer Länder an die EU verschoben werden, noch sollte sie dem sozio-ökonomischen Strukturwandel, der vor allen Dingen den mittel- und osteuropäischen Ländern bevorsteht, nachgeordnet werden. Dazu müssen jetzt die gesamteuropäischen Institutionen geschaffen werden, und zwar ohne Trennung in Kandidatenländer, mit denen Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden und solche, die im Wartestand gehalten werden.

      Daß die Synthese von Demokratisierung und Nationalstaatlichkeit zu Schwierigkeiten führt, war eine Lehre der 48er Revolutionen. Und wir sollten aus der Geschichte auch gelernt haben, daß die staatliche Einbindung in gesamteuropäische Zusammenhänge einen möglichen Ausweg weist. Heute jedoch bleiben der EU-Erweiterung vor allem solche Regionen außen vor, in denen die Nationalstaatsbildung in die altbekannten Widersprüche und Konflikte führt. Die jetzigen Beitrittskandidaten sind, mit Ausnahme Estlands und Zyperns, die einzigen unproblematischen Nationalstaaten in Mittel- und Osteuropa. Die baltischen Länder, Moldawien und die Ukraine haben starke russische Minderheiten, die Slowakei verweigert den Rechten der Ungarn (und der Roma) bisher die Anerkennung, aus Rumänien wird eine erhebliche Diskriminierung der starken Minderheit der Roma und eine Ausgrenzung der Ungarn berichtet, nur Bulgarien hat gegenwärtig die Stellung der türkischen Minderheit erkennbar gelöst. Über den blutigen Zerfall Jugoslawiens in ethnisch weiter heterogene Nationalstaaten und die ungelöste albanische Frage muß nicht geredet werden. Es fällt aber auf, daß im europäischen Südosten einzig Slowenien, das Land, dessen Nationalstaatsbildung wegen der zu 90 Prozent "homogenen" ethnischen Struktur unproblematisch verlaufen konnte, in den Kreis der EU aufgenommen werden soll.

      Aus dem europäischen Einigungsprozeß dürfen keinesfalls die Länder ausgeschlossen bleiben, die aus dem Teufelskreis des inneren Nationalismus herausmüssen. Das Dilemma dieser Länder kann auch nicht dadurch gelöst werden, daß ihre Ausgrenzung - wie im Fall der Slowakei und der Türkei - zu Recht mit ethnischen Diskriminierungen und Verfolgungen durch den jeweiligen Staatsapparat begründet wird. Europa braucht eine neue Vereinigungsstrategie, die vor allem die vom Scheitern bedrohten Nationalstaaten unter der eindeutigen Voraussetzung und Bedingung einbezieht, daß sie Demokratie, Gleichberechtigung und Autonomie von Minderheiten im Staat sicher gewährleisten. Auch Länder wie Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien und Albanien sind ein-, nicht auszuschließen. Sei es in einer nicht ökonomisch geleiteten Erweiterungsstrategie der EU, sei es in einem Europarat, der sich vom unverbindlichen Konferenztisch zu einer ernsthaften Demokratie-, Umwelt- und Sozialunion entwickelt.

      Die Alternative dazu ist eine ständige Kriegs- und Bürgerkriegsgefahr in den unstabilen Nationalstaaten, mit negativen Folgen für alle europäischen Länder. Es gilt aber, die 48er Utopie des Völkerfrühlings in ihrem solidarischen, nicht in ihrem ausgrenzenden Gehalt endlich einzulösen. Daran sollten wir denken, wenn wir das Jubiläum dieser europäischen Revolution von Palermo bis Berlin, von Paris bis Krakau feiern.
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      schrieb am 22.07.01 21:52:45
      Beitrag Nr. 12 ()
      danke f50, endlich mal jemand, mit dem historisch fundiert diskutieren kann
      Avatar
      schrieb am 22.07.01 23:25:48
      Beitrag Nr. 13 ()
      @all,

      Ihr seit aber sehr gebildet, Freunde.

      G.W.Bush
      Avatar
      schrieb am 23.07.01 13:29:37
      Beitrag Nr. 14 ()
      @hufeisen:

      Hast Du nicht ganz andere Porbleme? Ich dachte Du seist mit 16 schwanger? :eek:
      Avatar
      schrieb am 23.07.01 13:41:17
      Beitrag Nr. 15 ()
      Wer ist schwanger?


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