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    "Unsere Stärke wird uns nicht helfen" - Susan Sontag über Amerikas Selbstbetrug - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 16.09.01 16:10:21 von
    neuester Beitrag 16.09.01 17:18:11 von
    Beiträge: 6
    ID: 473.029
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      schrieb am 16.09.01 16:10:21
      Beitrag Nr. 1 ()
      "Unsere Stärke wird uns nicht helfen" - Susan Sontag über Amerikas Selbstbetrug


      14. Sep. 2001 Als entsetzter und trauriger Amerikanerin und New Yorkerin scheint es mir, als sei Amerika niemals weiter von der Wirklichkeit entfernt gewesen als am letzten Dienstag, dem Tag, an dem ein Übermaß an Wirklichkeit auf uns einstürzte. Das Mißverhältnis zwischen den Ereignissen und der Art und Weise, wie sie aufgenommen und verarbeitet wurden, auf der einen Seite und dem selbstgerechten Blödsinn und den dreisten Täuschungen praktisch aller Politiker (mit Ausnahme von Bürgermeister Giuliani) und Fernsehkommentatoren (ausgenommen Peter Jennings) auf der anderen Seite, ist alarmierend und deprimierend. Die Stimmen, die zuständig sind, wenn es gilt, ein solches Ereignis zu kommentieren, schienen sich zu einer Kampagne verschworen zu haben. Ihr Ziel: die Öffentlichkeit noch mehr zu verdummen.

      Wo ist das Eingeständnis, daß es sich nicht um einen "feigen" Angriff auf die "Zivilisation", die "Freiheit", die "Menschlichkeit" oder die "freie Welt" gehandelt hat, sondern um einen Angriff auf die Vereinigten Staaten, die einzige selbsternannte Supermacht der Welt; um einen Angriff, der als Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der Vereinigten Staaten unternommen wurde? Wie vielen Amerikanern ist bewußt, daß die Amerikaner immer noch Bomben auf den Irak werfen? Und wenn man das Wort "feige" in den Mund nimmt, dann sollte es besser auf jene angewandt werden, die Vergeltungsschläge aus dem Himmel ausführen, und nicht auf jene, die bereit sind, selbst zu sterben, um andere zu töten. Wenn wir von Mut sprechen, der einzigen moralisch neutralen Tugend, dann kann man den Attentätern - was immer sonst auch über sie zu sagen wäre - eines nicht vorwerfen: daß sie Feiglinge seien.

      Unsere politische Führung redet uns entschlossen ein, alles sei in Ordnung. Amerika fürchtet sich nicht. Unser Geist ist ungebrochen. "Sie" werden aufgespürt und bestraft werden (wer immer "sie" sind). Wir haben einen Präsidenten, der uns wie ein Roboter immer wieder versichert, daß Amerika nach wie vor aufrecht steht. Von vielen Personen des öffentlichen Lebens, die die Außenpolitik der Regierung Bush noch vor kurzem heftig kritisiert haben, ist jetzt nur noch eines zu hören: daß sie, gemeinsam mit dem gesamten amerikanischen Volk, vereint und furchtlos hinter dem Präsidenten stehen. Die Kommentatoren berichten, daß man sich in psychologischen Zentren um die Trauernden kümmert. Natürlich werden uns keine gräßlichen Bilder davon gezeigt, was den Menschen zugestoßen ist, die im World Trade Center gearbeitet haben. Solche Bilder könnten uns ja entmutigen. Erst zwei Tage später, am Donnerstag (auch hier bildete Bürgermeister Guiliani wieder eine Ausnahme), wurden erste öffentliche Schätzungen über die Zahl der Opfer gewagt.

      Es ist uns gesagt worden, daß alles in Ordnung ist oder zumindest wieder in Ordnung kommen wird, obwohl der Dienstag als Tag der Niedertracht in die Geschichte eingehen wird und Amerika sich nun im Krieg befindet. Nichts ist in Ordnung. Und nichts hat dieses Ereignis mit Pearl Harbor gemein. Es wird sehr gründlich nachgedacht werden müssen - und vielleicht hat man ja damit in Washington und anderswo schon begonnen - über das kolossale Versagen der amerikanischen Geheimdienste, die Zukunft der amerikanischen Politik besonders im Nahen Osten und über vernünftige militärische Verteidigungsprogramme für dieses Land. Es ist aber klar zu erkennen, daß unsere Führer - jene, die im Amt sind; jene, die ein Amt begehren; jene, die einmal im Amt waren - sich mit der willfährigen Unterstützung der Medien dazu entschlossen haben, der Öffentlichkeit nicht zuviel Wirklichkeit zuzumuten. Früher haben wir die einstimmig beklatschten und selbstgerechten Platitüden sowjetischer Parteitage verachtet. Die Einstimmigkeit der frömmlerischen, realitätsverzerrenden Rhetorik fast aller Politiker und Kommentatoren in den Medien in diesen letzten Tagen ist einer Demokratie unwürdig.

      Unsere politischen Häupter haben uns auch wissen lassen, daß sie ihre Aufgabe als Auftrag zur Manipulation begreifen: Vertrauensbildung und Management von Trauer und Leid. Politik, die Politik einer Demokratie - die Uneinigkeit und Widerspruch zur Folge hat und Offenheit fördert, ist durch Psychotherapie abgelöst worden. Laßt uns gemeinsam trauern. Aber laßt nicht zu, daß wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben. Ein Körnchen historischen Bewußtseins könnte uns dabei helfen, das Geschehene und das Kommende zu verstehen. "Unser Land ist stark", wird uns wieder und wieder gesagt. Ich finde dies nicht unbedingt tröstlich. Wer könnte bezweifeln, daß Amerika stark ist? Aber Stärke ist nicht alles, was Amerika jetzt zeigen muß.

      Aus dem Amerikanischen von Julika Griem.

      Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag, Jahrgang 1933, wurde durch ihre Essaysammlung "Against Interpretation" (1966) bekannt. Im letzten Jahr erschien ihr Roman "In America". Sie gehört derzeit zu den Gästen der American Academy in Berlin, wo sie sich am 11. September aufhielt. Während sie auf die Möglichkeit, nach New York zurückzureisen, wartet, hat sie ihre Eindrücke zusammengefaßt.




      Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2001, Nr. 215 / Seite 45
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      schrieb am 16.09.01 16:16:48
      Beitrag Nr. 2 ()
      @ burakiye

      Türkiye seninle gurur duyuyor.........
      Avatar
      schrieb am 16.09.01 16:21:33
      Beitrag Nr. 3 ()
      Eloy, bitte freundlichst um Übersetzung. Danke.
      Avatar
      schrieb am 16.09.01 16:22:32
      Beitrag Nr. 4 ()
      WÖRTER-SEE - Das wöchentliche Glossar der Politik

      Lafontainment

      Das Unaussprechliche
      Wörter-See
      Gott
      Von Ralf Bartoleit

      14. Sep. 2001 Wir sehen etwas, können es aber nicht beschreiben. Wir verstehen etwas, können es aber nicht begreifen. Das Ringen um Worte für das Unfassbare der Anschläge von New York und Washington hinterlässt eine Leerstelle.

      Menschen suchen seit den Ereignissen des 11. September 2001 nach Worten, nach einer Definition für das Unbeschreibliche. Und suchen Zuflucht. Am Ende füllt die Leerstelle in diesen Tagen sehr oft nur ein Ruf. Der Ruf nach Gott.

      Dass die reine Beschreibung des Geschehenen vermutlich nicht ausreicht, um das Geschehene mehr als „in der Tat“ zu beschreiben, machen die Aufmacher der Tageszeitungen vom nachfolgenden Tag deutlich.

      „Angriff auf Amerika“

      „Angriff auf Amerika“ titeln deutsch- wie englischsprachige Blätter, um die gewaltige politische Dimension - der Kamikaze-Angriffe mit entführten Passagierflugzeugen als fliegende Bomben auf das World Trade Center und das Pentagon - zu erfassen.

      „Angriff auf die USA“, „Angriff auf Amerika“ - der seltene Fall, dass die gemeinhin um Worte nicht verlegene „tageszeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nahezu wortgleich aufmachen. Doch als Beleg für die verbale Ohnmacht angesichts der Dramatik unterlegt die sonst bilderlose FAZ die Überschrift mit zwei übermächtigen Bildern.

      „Zweites Pearl Harbor“

      Die „International Herald Tribune“ dagegen belässt es bei einer fast schon unwirklichen und irritierenden Sachlichkeit: „World Trade Center bei Terroristen-Attacke zusammengebrochen“. Selbst die sonst nach schlichter Ratio strebende „Neue Zürcher Zeitung“ spricht von „barbarischen Terrorangriffen gegen Nervenzentren der USA“.

      Um die historische Dimension bemüht, titelt die „Financial Times Deutschland“: „Das ist ein zweites Pearl Harbour.“ „Das“? In diesem „Das“ liegt das Wesentliche verborgen: „Das“ als Ausdruck einer Leerstelle.

      „Großer Gott steh uns bei!“

      Allein die „Bild“-Zeitung, das an normalen Tagen nach brutaler Faktizität, nach sensationellen Superlativen lechzende Boulevardblatt, transportiert den Menschen vom ersten Moment an das Metaphysische der Situation. Die Blattmacher bemühen sich gar nicht erst, in ihrer Überschrift das Unerklärliche mit Worten erklärbar zu machen. Statt dessen titeln sie: „Großer Gott steh uns bei!“.

      Erst im Kleingedruckten erfährt der Leser wobei: „Es ist der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte der Menschheit.“ Dazu scheint Gott allein der ultimative Superlativ. Und auch am zweiten Tag der Katastrophe vertraut „Bild“ der Beschreibungskraft der Worte nicht und titelt knapp: „Der Tag danach“. Wonach eigentlich?

      „Tore zur Hölle“

      Vom „Bösen schlechthin“, sprach der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz. „Es war, als ob sich die Tore zur Hölle geöffnet hätten“, bemühte sich David Theall, ein Zivilangestellter des Pentagon, Worte für den Augenblick zu finden, als „die Mauern zerkrümelten wie Papier“. „Wir haben uns angewöhnt, nicht mehr an die Hölle zu glauben“, kommentierte aus der Ferne der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner, „ nun bekommen wir eine bittere Lektion, dass es die Hölle in unserer Mitte gibt.“

      Angesichts der zunächst in der Tat unfassbaren und ebenso nicht fassbaren „Mächte aus dem Dunkel“ suchte auch der amerikanische Präsident George W. Bush für sich und seine Mitbürger Halt im Glauben, als er Psalm 23 (Der Herr ist mein Hirte) zitierte: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unheil: Denn du bis bei mir.“ Als Antwort auf dieses Urereignis des 21. Jahrhunderts beteten auch die amerikanischen Bischöfe mit den Worten des Psalmisten: „Zu Dir, Gott, nehme ich Zuflucht.“

      „Monumentaler Kampf“

      Von einer „Prüfung“ sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder - der erste Kanzler, der den Weltkrieg nicht mehr bewusst miterlebt hat (geboren 1944) - in seiner Regierungserklärung und sicherte den Vereinigten Staaten Solidarität zu.

      Vom Pathos des ersten Schocks, der Lähmung und der nahezu starren Ohnmacht war es am „Tag danach“ jedoch ein gefährlich kurzer Weg zum Pathos der Rache und Strafe: Einen „monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse“ kündigte Amerikas Präsident an.

      „Es gibt in dieser Situation keine Regierungsparteien und Oppositionsparteien; in dieser Situation gibt es nur deutsche Verantwortung“, erklärte der FDP-Parteivorsitzende Guido Westerwelle. Doch Pathos sollte nicht blind machen für historische Parallelen. Was jetzt nicht weiterhilft, ist ein Burgfrieden des Denkens und des Nachdenkens.




      Text: @bar
      Bildmaterial: FEM Grafik, dpa
      Avatar
      schrieb am 16.09.01 16:23:49
      Beitrag Nr. 5 ()
      Neuer Terrorismus: Symbolische Ziele

      Anschlag auf die amerikanische Botschaft in Nairobi 1998
      Terrorismus
      „Der Terrorakt ist der Erfolg"


      13. Sep. 2001 Ein Ziel haben die Angriffe auf die Nervenzentren der Vereinigten Staaten USA nach Ansicht von Terrorismusexperten erreicht: Das öffentliche Leben der Amerikaner ist weitgehend gelähmt, und Millionen Menschen in aller Welt haben Angst.

      Anders als bei den Terroristen alten Stils mit eher konkreten politischen Zielen handelt es sich bei den Tätern von New York und Washington um Terroristen einer neuen Generation, die vor allem religiös motiviert und bereit sind, für eine symbolische Tat den Tod auf sich zu
      nehmen.

      „Terroristen setzen die Drohung mit oder die Anwendung von Gewalt dazu ein, Angst auszulösen - und genau das ist es, was sie jetzt getan haben“, sagt der Direktor des Martin-Instituts für Friedensforschung und Konfliktlösung an der Universität von Idaho, Rand Lewis.

      „Neuer Terrorismus“

      „Sie haben die Vereinigten Staaten stillgelegt, das war ihr Ziel, und das haben sie erreicht.“ Auch Dan Benjamin, Terrorismusexperte am Washingtoner Zentrum für Strategische und Internationale Studien, ist der Ansicht, dass „sie fühlen, dass sie einen großen Sieg erzielt haben“ - wer auch immer hinter den Anschlägen stecke. „Sie werden den Krieg nicht gewinnen, aber sie haben sicherlich riesigen Schaden angerichtet.“

      Anzeichen für einen „neuen Terrorismus“ macht Ian Lesser aus, der sich am kalifornischen Rand-Institut auf internationale Sicherheitsfragen spezialisiert hat. „Dem alten Terrorismus ging es um spezifische politische Themen“, erklärt Lesser. „Ihre Taten gingen mit einer Bekennererklärung einher, und ihre Taktik war sehr traditionell - das Gewehr und die Bombe.“ Der neue Terrorismus sei tödlicher und konzentriere sich auf Schläge gegen Orte mit hoher Symbolkraft. Die neuen Terroristen seien weniger straff organisiert als vielmehr in lockeren Netzwerken miteinander verbunden.

      „Der Terrorakt selbst ist der Erfolg“

      Auch ist der Terrorakt nicht mehr Mittel zum Zweck, um die politische Entwicklung in eine bestimmte Richtung zu lenken. „Der Terrorakt selbst ist der Erfolg“, erklärt Lesser die Motive der Täter von New York und Washington. Deshalb würden die Anschläge auch vermehrt von Selbstmordattentätern ausgehen.

      Lewis sieht in den Angriffen vom Dienstag auf Grund von Größe, Planung und erforderlichen Mitteln „einen bedeutenden Wandel im modernen Terrorismus“. Die Terrorismusexperten betonen aber, dass es für eine endgültige Schuldzuschreibung noch zu früh sei. Die Öffentlichkeit müsse den Ermittlungsbehörden Zeit lassen, bis der Täterkreis zweifelsfrei bestimmt sei.

      Nicht unbedingt Ibn Ladin selbst

      Der meist genannte Verdacht richtet sich gegen Terroristen im Nahen Osten, wie auch Anthony Cordesman vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien bestätigt. Möglicherweise handle es sich um eine Gruppe mit Verbindungen zu dem mutmaßlichen saudischen Terroristen Usama Bin Ladin. Aber dieser habe so weit reichende Beziehungen, dass er nicht unbedingt in die Angriffe vom Dienstag verwickelt gewesen sein müsse.

      Cordesman erinnert daran, dass sich voreilige Schuldzuweisungen bei früheren Terroranschlägen als falsch herausgestellt hätten. So habe man beim Anschlag auf das Behördenzentrum von Oklahoma City solange von islamischen Radikalen als Tätern gesprochen, bis sich ein Amerikaner als Täter herausgestellt habe.

      Weniger persönliche Rechte für mehr Sicherheit?

      Lewis traut Bin Ladin und seinen Gefolgsleuten zu, mit Hilfe eines internationalen Netzwerks die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon koordiniert zu haben. In jedem Fall aber sagt er voraus, dass die Terrorakte die Art und Weise ändern werden, wie die Amerikaner leben und Geschäfte machen werden. „Das wird sehr schwierig, weil mit der Straffung von Sicherheitsmaßnahmen auch Abstriche bei den persönlichen Rechten einher gehen.“




      Text: @bar, mit Material von AP
      Bildmaterial: AP, dpa

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      schrieb am 16.09.01 17:18:11
      Beitrag Nr. 6 ()
      @ Klippenspringer

      Nicht das ich ein Geheimnis hätte oder so,aber würde ich Dir das übersetzen,würdest Du den Spass eh nicht verstehen.
      Verstehe mich nicht falsch,ansonsten gerne.

      Grüsse

      eloy........one............


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