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    Eine qualifizierte Meinung zum Afghanistan-Einsatz der USA - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 26.10.01 17:08:49 von
    neuester Beitrag 26.10.01 19:26:30 von
    Beiträge: 3
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      schrieb am 26.10.01 17:08:49
      Beitrag Nr. 1 ()
      Hier spricht mir ein besonnener Mensch aus der Seele - sachlich und ohne Amerika-Hass!


      Die einzige Antwort auf den Terror (aus der Zeit)

      Bomben auf Kabul, Spezialkommandos, Jagd auf die Taliban: Das dient zuerst dem Wunsch nach Rache für den 11. September. Erfolg aber verheißen nur die Sprache des Rechts und der Richter

      Von Baltasar Garzón



      Wenn dieser Artikel erscheint, haben die Waffen schon geantwortet: auf Afghanistan, das Taliban-Regime, Osama bin Laden und seine Leute. Ob dieser oder jene, scheint ohnehin gleich zu sein. Aber zu dieser militärischen Inszenierung zu schweigen, an der wir selbst als Darsteller beteiligt sind - es geht auch um unsere Zukunft -, wäre ein schwerwiegendes Versäumnis. Denn es bedeutet die Akzeptanz der wiederholt proklamierten Kriegspläne der amerikanischen Regierung und der Forderung der Bürger nach "Rache". Wer dem widerspricht, der wird fast schon als Verräter betrachtet und argwöhnisch beobachtet, ja sogar überwacht.

      Die offizielle westliche Zustimmung durch Schweigen, vor allem seitens der europäischen Länder, trifft mich tief in der Seele und sollte uns alle mit Verzweiflung erfüllen. Man hört große Debatten, man äußert die Übereinstimmung in wichtigen Grundsätzen, aber die Antwort mit Gewalt wird nicht nur geduldet, sondern sogar gutgeheißen.

      Dass die Vereinigten Staaten so reagieren würden, wie sie es angekündigt haben - Invasion Afghanistans, Kommandoaktionen, Bombardements, Geheimoperationen -, war vorauszusehen, nicht aber, dass alle sich dem kopflos unterwerfen würden. Es ist besorgniserregend, dass Länder wie Frankreich oder Spanien nicht die Stimme erhoben haben, um deutlich vernehmbar nein zu sagen; dass sie sich nicht geweigert haben, die gewaltsame Lösung als die einzig mögliche zu akzeptieren; dass sie es versäumt haben, die große Lüge von der "Endlösung" des Terrorismusproblems zu entlarven. Das bedrückt mich sehr.

      Es ist doch wohl kaum möglich, dass mein Land, das unter dem Terrorismus seit mehr als 30 Jahren leidet und in dem täglich gepredigt wird, der Kampf gegen den Terror dürfe nur im Rahmen der Legalität und mit Mitteln des Rechtsstaats geführt werden, dass dieses Land sich jetzt den Stahlhelm aufsetzt und uneingeschränkten Beistand bei einem Bombardement ins Leere, einem Massaker der Armut, einem Angriff auf die elementarste Logik beschlossen hat. Und das, wo hinreichend bekannt ist, dass durch Gewalt wiederum Gewalt gezüchtet wird und die Spirale des Terrorismus, der verschiedenen Arten von Terrorismus, hochgeschraubt wird.

      Denn Terrorismus ist nicht gleich Terrorismus, weder in seiner Entstehung noch seiner Entwicklung oder Zielsetzung. Der Terrorismus nährt sich von der wachsenden Zahl von Toten, egal, welcher Hautfarbe. Diese steigenden Opferzahlen sorgen für die Rechtfertigung der Gewalttaten, ja, sie verschaffen dem Terrorismus sogar die "Legitimität" für die Fortsetzung seiner verbrecherischen Aktionen.

      Jemand hat einmal gesagt, der Terrorismus, besonders der fundamentalistisch-islamische, sei eine diffuse Bedrohung. Vor allem aber ist er schon seit einiger Zeit eine besorgniserregende und grausame Realität. Es handelt sich um ein Phänomen, zu dem besonders die westlichen Länder - auf deren "Überlegenheit" (wie es Italiens Premierminister Berlusconi bedauerlicherweise formuliert hat) man sich nicht verlassen sollte - durch ihre mangelnde Kompromissbereitschaft beigetragen haben. Beigetragen haben wir dazu mit unserem Beharren auf dem Unterschied, auf der Durchsetzung des "unseren" gegen das "andere" und mit der Ablehnung gegen alles, was nicht so ist wie in unserer Kultur oder in unserer "zivilisierten Religion".

      Der Westen und seine politischen, militärischen, sozialen und wirtschaftlichen Hierarchien waren viel zu sehr beschäftigt mit den rücksichtslosen und schamlosen Ritualen der Produktion, Spekulation und Gewinnerzielung, als dass sie sich einer angemessenen Umverteilung des Wohlstandes und des sozialen Ausgleichs hätten widmen können. Statt einer Sozialpolitik, in der Randgruppen gezüchtet werden, hätte man die Integration aller Völker anstreben sollen, unter anderem mit einer fortschrittlichen und solidarischen Einwanderungspolitik. Anstelle der Auslandsverschuldung hätte man für den Aufbau von finanziellen Mitteln sorgen sollen, und zwar für die Länder, die jetzt um Hilfe oder Verständnis gebeten werden, beziehungsweise für die Länder, die jetzt mit Krieg bedroht werden, mit "unendlicher Gerechtigkeit" oder dauerhaftem Frieden. Diese bewussten Versäumnisse haben dazu beigetragen, dass man sich jetzt mit den furchtbaren Folgen einer extrem irrationalen und fanatisch religiösen Gewalt auseinander setzen muss.

      Auf Dauer können Frieden und Freiheit nur durch Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz, Menschenrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erreicht werden. Wie Victor Hugo schon sagte: "Das Recht steht über der Macht." Das Recht muss der Macht den Weg weisen und sie den Respekt vor den Grundwerten lehren, die das Wesen der modernen Zivilisation ausmachen, ihr Form und Gehalt geben. Auf Armut und Unterdrückung lässt sich kein Frieden bauen. Kein Zweifel, der Moment wird kommen, da Rechenschaft gefordert werden wird für diese Unterlassungssünden und für die versäumte Gelegenheit, diese Welt besser und gerechter zu gestalten.

      Ich denke jetzt nicht an die strafrechtliche Verantwortung derjenigen, die die furchtbaren Verbrechen des 11. September geplant und ausgeführt haben. Das ist Sache der nationalen oder internationalen Justiz, der Polizei und der Geheimdienste. Sie müssen die Beweise sammeln und ein gerechtes Urteil fällen. Es geht nicht an zu sagen: "Ich habe die Beweise, aber ich veröffentliche sie nicht, weil ich den Quellen damit schaden könnte." Nein! Das ist nicht seriös. Das ist schlichtweg illegal.

      Sicher, alle haben die eindeutige Schuld von Osama bin Laden festgestellt, und wahrscheinlich ist er auch schuldig: als unbestreitbar oberster Anführer des fundamentalistischen islamischen Terrorismus oder sogar als unmittelbarer Auftraggeber der Verbrechen. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass es sich zwar um ein furchtbares Verbrechen, aber letztlich auch um eine Straftat handelt, die eine Strafverfolgung, eine Gerichtsverhandlung und ein öffentliches Urteil erfordert.

      Tatsache ist indessen, dass seit der Verurteilung des Terrors durch den UN-Sicherheitsrat sämtliche Staaten des Westens die physische Eliminierung von bin Laden und seiner Anhänger als Ziel akzeptiert haben. Das heißt: Es wird Rechtmäßigkeit propagiert und zugleich darauf verzichtet. Begründet wird dies mit der dringenden Notwendigkeit, die Gefahren durch die terroristische Organisation auszuschalten. Gleichzeitig wird vorausgesetzt, dass alle bedingungslos die "Existenz" von Beweisen akzeptieren, die merkwürdigerweise von Politikern analysiert wurden und nicht von Richtern. Auf dieser Grundlage soll entschieden werden, wer "schuldig" ist und wer nicht. Das ist ein starkes Stück.

      Ganz zu schweigen davon, dass man die Sicherheitsdienste, Geheimdienste und die Polizei der USA zur Rechenschaft ziehen könnte, weil sie versäumt haben, das Massaker zu verhindern. Ich nehme an, dass sich das wirkliche Ausmaß dieser Verantwortung früher oder später herausstellen wird und dass dann entsprechend dem Ausmaß der Katastrophe Konsequenzen gezogen werden.

      Die Verantwortung, die ich meine, ist jene, die nicht nur den Taliban mit ihrem Unterdrückungsregime anzulasten ist, sondern auch den westlichen Regierungen, die auf verantwortungslose Weise mithilfe der Medien im afghanischen Volk vor Beginn der Invasion und der absehbaren blutigen Folgen eine Angstpsychose auslösten und weiterhin schüren. Nun sehen sich die Menschen zur Flucht in eine vermeintlich sichere Zone gezwungen. Doch in Wirklichkeit geraten sie in eine sichere menschliche Katastrophe. Wer wird für diese Toten und für die Tatsache der erzwungenen Flucht zur Rechenschaft gezogen? Wahrscheinlich interessiert es von den Verantwortlichen keinen, dass einige tausend Afghanen sterben, weil trotz der großartigen Debatten ihr Schicksal bereits entschieden ist.

      Die Antwort, die ich verlange und von der ich sicher bin, dass das amerikanische Volk und die gesamte zivilisierte Welt sie verlangt, wenn man die Situation hinreichend erklärt, ist natürlich keine militärische. Die gemeinsame Antwort muss sich vielmehr auf dem Recht gründen: Es muss eine internationale Konvention zum Terrorismus ausgearbeitet und eilig ratifiziert werden, eine Konvention, die nicht nur die Begriffe klärt, sondern auch die Regeln der Ermittlung und der polizeilichen und richterlichen Zusammenarbeit bestimmen; sie müsste sämtliche Hindernisse für die Steuerfahndung in Staaten wie in Enklaven mit besonderem Bankgeheimnis, also den "Steueroasen", beseitigen und die Offenlegung von Konten und Guthaben und ihren Inhabern ermöglichen; sie müsste die Regel aufheben, die es verbietet, zweimal für dieselbe Tat zu verurteilen; sie müsste einen einheitlichen, universalen Rechtsraum schaffen - was voraussetzt, dass das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs dringend ratifiziert werden muss; außerdem muss der Terrorismus als Verbrechen gegen die Menschheit nach dem Universalitätsprinzip weltweit strafbar sein; die bisherigen (bilateralen) Auslieferungsprozedere müssen abgeschafft, Verantwortliche einfach ausgehändigt werden; es muss eine echte Gemeinschaft der Aufklärungsdienste entstehen sowie eine internationale Observationseinheit für den Terrorismus; den betroffenen Ländern muss geholfen werden, damit sie eigene Ressourcen aufbauen können, nicht militärische, sondern humanitäre, kulturelle und wirtschaftliche.

      Zwar hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Richtung geäußert, aber was wird am Ende von der anfänglichen Initiative übrig bleiben? Welche Sanktionen wird man den Ländern auferlegen, die nicht mitmachen? Europa ist einen Schritt weiter gegangen, aber es darf sich nicht in unnützen Debatten über die diversen Erscheinungsformen des Terrorismus verlieren.

      Ich glaube, die Zeit ist reif, um die Grundsätze der territorialen Souveränität, der Menschenrechte, der Sicherheit, der Entwicklungszusammenarbeit und der universalen Strafgerichtsbarkeit miteinander zu verknüpfen und zu integrieren. Dieses und nichts anderes muss das Ziel einer großen Koalition der Staaten gegenüber dem Terrorismus sein.

      Wahrscheinlich wird man mir sagen, all das sei eine Utopie oder eine Art Vollkommenheitsillusion. Dennoch bestehe ich darauf, in einer Welt zu leben, in der die Vernunft sich gegen das Absurde durchsetzt; in der endlich das Konzept einer internationalen Gemeinschaft für alle gilt und nicht selektiv und von Fall zu Fall: in der als selbstverständlich gilt, dass die Logik der Gewalt der Vernunft nicht nur nicht zum Durchbruch verhilft, sondern sie vernichtet. Die Nato hat den Bündnisfall beschlossen - sinnloserweise, denn in diesem Fall kommt die Bedrohung durch den Terrorismus nicht von außen, und das gilt besonders für den islamischen Terrorismus. Er entsteht überall und kann überall entstehen, in jedem Land, in dem es den islamischen Dschihad, den Heiligen Krieg, gibt, weil er in einer deformierten Vorstellung von Religion und ihrer Ausübung wurzelt. Trotzdem muss es möglich sein, auf eine andere Lösung als das schlichte Ankurbeln der Kriegsmaschinerie zu hoffen - auf Abkommen oder politische Beschlüsse in dem soeben erläuterten Sinne.

      Jetzt ist der Moment, in dem sich die wahre Gestalt und die historische und ethische Verantwortung unserer Politiker und Regierenden offenbart: Sind sie Staatsmänner oder Marionetten in der Hand von anderen? Wenn etwas seit dem 11. September klar geworden ist, dann, dass es keine sichere Zone in der Welt gibt und dass jedes Land, das dies verkennt, früher oder später die gleichen Konsequenzen erleben wird wie New York und Washington. Für Arroganz und Wut ist hier kein Platz; notwendig ist vielmehr die bescheidene Bereitschaft zu effektiver Zusammenarbeit in sämtlichen Bereichen und vor allem den politischen, polizeilichen und juristischen, um gegen eines der größten Übel des neuen Jahrhunderts Front zu machen: den Terrorismus. Allerdings muss die romantisch-falsche oder pseudoprogressive Vorstellung aufgegeben werden, es gebe böse und gute Arten von Terrorismus: "Nationalisten", die man verteidigen dürfe, und "Extremisten", die man bekämpfen müsse. Denn dies ist eine politische Perversion, genauso falsch wie die Taten der terroristischen Gruppen.

      Das Datum des 11. September 2001 wird aus dem Gedächtnis der Welt nicht mehr zu löschen sein. Die Solidarität mit den Opfern aller Nationen - nicht nur der Amerikaner - wird bestehen bleiben, gerade aufgrund der gewaltigen Dimension dieser Katastrophe. Die Entschlossenheit im Kampf gegen das verbrecherische Phänomen des Terrorismus wird revolutionär sein und sich großzügig dem Friedensgedanken öffnen müssen, den viele religiöse Glaubensrichtungen predigen.

      Wir kennen bereits die Folgen der Gewalt und der Waffen. Versuchen wir jetzt die Macht der gemeinsamen Kräfte für den Frieden, das Recht und gegen den Terrorismus. Dies ist die einzig mögliche Antwort, obwohl es nicht die Antwort ist, die wir erleben.

      Aus dem Spanischen von Heiko Walter
      Avatar
      schrieb am 26.10.01 17:46:06
      Beitrag Nr. 2 ()
      @ stormy
      absolute zustimmung. aber eine anmerkung möchte ich doch nicht unterlassen. keinen unterschied in sachen terrorismus zu machen, damit kann sich kein nachdenkender mensch einverstanden erklären. es gibt ein recht auf widerstand gegen staatsterrorismus. anders ließe sich der widerstand im nationalsozialismus nicht rechtfertigen. für die nazis waren die geschwister scholl terroristen. diese terroristen aber kennzeichnen eine tradition der deutschen geschichte, auf die ich stolz bin. wer dieses widerstandsrecht nicht ausdrücklich ausnimmt und in den allgemeinen topf wirft, der leistet einer denkungsart vorschub, die eben wieder fröhliche urständ feiert unter dem stichwort "ich hab nichts zu verbergen". und meint damit, es sei doch nur recht und billig in zeiten wie diesen (wenn auch nur vorübergehend, wie man uns gerne versichern möchte) als staatsbürger demnächst möglicherweise behandelt zu werden wie ein potentieller straftäter. wer derart dumm daherschwätzt und damit bürgerrechte, um die unsere altvorderen jahrhundertelang gekämpft haben, mit einer lässigen handbewegung wegwischt, der leistet gerade in zeiten, in denen zivilcourage mehr als sonst vonnöten ist, denen vorschub, die klammheimlich abschaffen, was sie zu schützen vorgeben.
      Avatar
      schrieb am 26.10.01 19:26:30
      Beitrag Nr. 3 ()
      @antigone:

      Volle Zustimmung zu den Scholls und anderen Kämpfern gegen die Nazis. Kann man allerdings nicht in einen Topf mit Terroristen werfen, da sie friedlich gegen die Nazi-Barbaren gekämpft haben.
      Problematisch ist die Abgrenzung von Widerstand und Terror. Terror differenziert nicht in der Wahl der Opfer, er richtet sich gegen die Zivilbevölkerung. Er will eben "Terror" verbreiten im Sinne von Angst und Panik. In diesem Sinne waren die Attentäter des 20.Juli 1944 keine Terroristen, da sie direkt gegen Hitler vorgegangen sind. Sie waren Widerstandskämpfer.

      Problematisch ist auch die Frage, gegen welchen Staat man, zur Not auch mit Gewalt, Widerstand leisten kann bzw. soll. Was der eine als "Schweinestaat" bezeichnet, ist für Andere eine mustergültige Demokratie. Siehe Beispiel RAF.

      Da steckt man echt in einem Dilemma, wenn man hier differenzieren soll. Nur in Extremfällen wie bspw. Drittes Reich oder auch Stalinismus, wird man Gewalt als Widerstandsmittel bejahen müssen. Die Mehrzahl der Fälle wird aber zweifelhaft bleiben.


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