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    "Spiegel"-Interview mit dem Philosophen Peter Singer - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 25.11.01 20:17:30 von
    neuester Beitrag 01.12.01 12:04:29 von
    Beiträge: 35
    ID: 511.668
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      schrieb am 25.11.01 20:17:30
      Beitrag Nr. 1 ()
      Hallo zusammen,
      in der morgigen Ausgabe des "Spiegel" ist auch ein Interview mit Peter Singer.

      Peter Singer ist DER Philosoph, der logisch begründet hat, wieso Speziesismus analog zu Rassismus und Sexismus ethisch falsch ist.

      Wegen seiner Thesen zur Euthanasie ist er in Deutschland aber sehr umstritten.

      Aber so geht es eigentlich allen, die Speziesismus für falsch halten. Habe ich ja auch hier schon oft genug gemerkt. ;)


      Also, falls Ihr wieder was zum Aufregen braucht, durchlesen. ;)

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 25.11.01 20:23:14
      Beitrag Nr. 2 ()
      SPIEGEL ONLINE - 25. November 2001, 15:13
      URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/0,1518,169606,00.html
      Peter Singer

      Kaltherziger Vordenker

      Wann und wo immer Peter Singer auftritt - er entfacht Furor.

      In seiner Heimat Australien nannte man ihn den "berüchtigten Todesboten"; in England, wo er in Oxford studierte, brandmarkten die Medien ihn als "Mann, der behinderte Babys töten würde"; in Deutschland wurde er öffentlich beschimpft und von Konferenzen ausgeladen - die Veranstalter fürchteten, ihn nicht vor seinen Gegnern schützen zu können.

      Trotzdem berief die amerikanische Eliteuniversität Princeton den umstrittenen Philosophen vor zwei Jahren auf ihren Lehrstuhl für Bioethik des Zentrums für menschliche Werte, der Uni-Präsident rühmt Peter Singer, 55, als "einflussreichsten lebenden Ethiker".

      Als der frisch berufene Professor an einem Regentag im Herbst 1999 zu seinem ersten Seminar schritt, ketteten sich protestierende Rollstuhlfahrer an einen Zaun, andere versuchten, die Treppe zum Hörsaal hochzukriechen. Die Demonstranten verglichen Singer auf Plakaten mit Hitler und skandierten: "Princeton befürwortet den Mord an Behinderten." Der Milliardär Steve Forbes, ehemaliger Student der Vorzeige-Uni, hat seit Singers Berufung sämtliche Spenden storniert.

      Der schlaksige und im Gespräch charmante Mann entfacht Furor, wann und wo immer er auftritt. Drei seiner Großeltern wurden im Holocaust ermordet; dennoch zieht er sich immer wieder den Vorwurf zu, dem Gedankengut der Nazis nahe zu stehen.

      Singers 1975 erschienenes Buch "Befreiung der Tiere" verkaufte sich mehr als eine halbe Million Mal und begründete die Tierrechtsbewegung. In dem Werk plädiert Singer dafür, Tiere und Menschen gleichermaßen nach ihren kognitiven Fähigkeiten zu bewerten. Folgerichtig hält es der Philosoph, der Fleisch verabscheut und keine Schuhe aus Leder trägt, für verwerflicher, einen gesunden Schimpansen zu töten als ein schwer geistig behindertes Kind.

      In seinem Hauptwerk "Praktische Ethik" beruft sich der umstrittene Denker auf die philosophische Schule der Utilitaristen, die jede Handlung danach beurteilen, ob sie das Glück möglichst vieler Individuen erhöht - wozu Singer auch Tiere zählt. Er erklärt zudem nicht das Glück, sondern die Interessen der Einzelnen zum höchsten Gut. Deshalb verdienten vitale Pferde oder Ratten das Leben mehr als Koma-Patienten, die auf Grund ihres Leidens weder Bewusstsein hätten noch eigene Interessen.

      In seinen zwei Dutzend Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt wurden, und in ungezählten Fachaufsätzen beschreibt Singer in kaltherziger Logik, warum er Menschenrechte und Menschenwürde nur solchen Menschen zugesteht, die über ein Bewusstsein verfügen. Aus dieser Sicht heraus verteidigt Singer die Euthanasie und die Tötung missgebildeter Babys. Embryonen für Stammzell-Forschung zu opfern bereitet ihm schon gar keine Probleme.

      Singer denkt seine Gedanken in ungewöhnlicher Radikalität zu Ende - gerade deshalb gilt er vielen als Vordenker einer Welt, in der Menschen zum Objekt einer wachsenden biomedizinischen Industrie werden und ihre Würde immer weniger gilt.
      Avatar
      schrieb am 25.11.01 20:33:29
      Beitrag Nr. 3 ()
      SPIEGEL ONLINE - 25. November 2001, 15:13
      URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/0,1518,169604,00.html
      Gespräch mit Peter Singer

      "Nicht alles Leben ist heilig"

      Philosoph Peter Singer über den moralischen Status von Embryonen, das Lebensrecht von Neugeborenen und die Revolution der westlichen Ethik


      AP

      "Einflussreichster lebender Ethiker": Philosoph Peter Singer


      SPIEGEL: Herr Professor Singer, nehmen wir an, Ihre Tochter wäre schwanger, und der Frauenarzt eröffnet ihr: Das Baby wird unter Hämophilie, der Bluterkrankheit, leiden. Würden Sie ihr zur Abtreibung raten?

      Singer: Meine Tochter ist erwachsen und braucht meinen Rat nicht. Wenn sie entscheidet, dass Hämophilie keine so schwere Krankheit ist und dass sie die Schwangerschaft fortsetzen will - gut. Wenn sie entscheidet, die Schwangerschaft zu beenden, weil sie lieber ein Kind ohne diese Krankheit haben will - auch gut.

      SPIEGEL: Tatsache aber ist: Sie könnte sich heutzutage für beide Möglichkeiten entscheiden ...

      Singer: ... eine Entscheidung, die sie noch vor kurzem nicht hätte fällen können. Das ist richtig. Denn wenn eine neue Technik wie die der Gentests bereitsteht, dann stellt sie uns auch vor neue Entscheidungen.

      SPIEGEL: Ist es diese Wahlfreiheit, die Sie meinten, als Sie einmal von einer "gewaltigen Verschiebung im Fundament westlicher Ethik" sprachen?

      Singer: Ja. Wir fällen Entscheidungen darüber, welche Art von Leben wir fortsetzen wollen und welche nicht.

      SPIEGEL: Und das führt zu einer Revolution der Ethik, die Sie sogar mit der kopernikanischen Wende verglichen haben?

      Singer: Genau. Diese Revolution setzt sich aus vielen Facetten zusammen, beginnend vielleicht mit der Definition des Hirntodes als Tod des Menschen - schon darin liegt eine Abkehr von der Vorstellung, dass jeder atmende, warme menschliche Organismus gleichermaßen wertvoll ist. Zu dieser Entwicklung gehört aber auch die Tatsache, dass wir bei todkranken Patienten erwägen, auf eine weitere Behandlung zu verzichten, oder auch die Debatte um Euthanasie, die kürzlich in den Niederlanden legalisiert wurde - ein Beispiel, dem Belgien vermutlich innerhalb der nächsten Monate folgen wird. Das Entscheidende in all diesen Fällen ist: Das Postulat, dass alles menschliche Leben heilig ist, gilt nicht mehr.


      SPIEGEL: Und was wird an die Stelle dieses Postulats gesetzt?

      Singer: Es gibt nicht mehr die einfachen konkreten Antworten, wie sie uns die alte Ethik bot. Das Leben ist eben zu kompliziert.

      SPIEGEL: Wären nicht aber klare Antworten sehr wünschenswert, wenn es um etwas so Fundamentales geht wie den Tod?

      Singer: Vergessen Sie nicht: Das, wovon ich spreche, geschieht ja längst, in jedem größeren Krankenhaus und jeder Großstadt in der entwickelten Welt. Es gibt Fälle, in denen man entscheidet, dass die Lebensqualität von jemandem, der nie wieder zu Bewusstsein kommen wird, nicht wert ist, erhalten zu werden. Oder dass es besser ist, ein Kind ohne eine bestimmte schwere Krankheit zu haben als eines mit dieser Krankheit. Wir fällen längst Urteile auf der Basis von der Bewertung von Lebensqualität. Ich plädiere nur dafür, dass wir auch offen darüber reden sollten.

      SPIEGEL: Woher bezieht denn dann die neue Ethik, von der Sie sprechen, ihre Maßstäbe?

      Singer: Ich glaube nicht daran, dass uns ein Gott moralische Gesetze auf Steintafeln überreicht hat. Wir müssen uns schon auf uns selbst verlassen und auf die Vernunft setzen, um einen möglichst konsistenten Standpunkt zu entwickeln.

      SPIEGEL: Schon einmal, in der Aufklärung, gab es den Versuch, eine Weltsicht auf die Vernunft zu gründen. Aber damals setzten die Philosophen, anders als Sie, die Würde des Menschen an den Anfang all ihrer Überlegungen.

      Singer: Es stimmt, Sie finden diesen Gedanken Ende des 18. Jahrhunderts in der Erklärung der Menschenrechte. Aber nehmen Sie zum Beispiel Kant: Er sagt, der Mensch sei stets als "Zweck an sich selbst" zu betrachten. Doch wenn Sie sich seine Argumentation genauer ansehen, dann stellen Sie fest, dass er sich auf die Fähigkeit zu Vernunft und Autonomie beruft. Dieser Gedanke ist dann missbraucht worden, um allen menschlichen Wesen diesen Status zuzusprechen - obwohl es keine 30 Sekunden Nachdenken braucht, um sich klar zu machen, dass es durchaus menschliche Wesen gibt, die weder vernunftbegabt noch autonom sind.

      SPIEGEL: Lassen Sie uns versuchen, Ihr Denkmodell auf Embryonen anzuwenden. Zunächst: Wann beginnt in Ihren Augen menschliches Leben?

      Singer: Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen - aber unter ethischem Gesichtspunkt ist es gar nicht furchtbar wichtig, für welche davon man sich entscheidet.

      SPIEGEL: Nein? Über keine Frage wird in der gegenwärtigen Debatte um embryonale Stammzellen so erbittert gestritten wie über diese.

      Singer: Das ist eben falsch. Moralisch wichtig ist doch nicht, ob ein Embryo menschliches Leben ist, sondern einzig die Frage, welche Fähigkeiten und Eigenschaften er hat. Denn auf diese gründet sich sein moralischer Status.

      SPIEGEL: Ein früher Embryo hat aber kaum höhere Fähigkeiten als ein Bakterium oder, sagen wir, eine Kartoffelpflanze. Also steht er mit ihnen auf einer moralischen Stufe?

      Singer: Der Unterschied besteht aber darin, dass der Embryo leibliche Eltern hat, denen dieser Embryo etwas bedeuten könnte. Und die hat eine Kartoffelpflanze nicht.

      SPIEGEL: Solange aber diese Eltern damit einverstanden wären, könnte man diesen Embryo für jeden beliebigen Zweck verwenden - selbst wenn man Embryos zu einer Schönheitscreme oder einem Potenzmittel verarbeiten wollte?

      Singer: Ein ethisches Problem hätte ich damit nicht.


      Ich habe große Bedenken, dass wir Tiere essen und Experimente mit ihnen machen
      SPIEGEL: Dann gilt das Gleiche vermutlich erst recht für die Präimplantationsdiagnostik, die mit dem Töten von Embryonen verbunden ist.

      Singer: Ganz genau. Wenn Sie vor der Implantation an einem Embryo einen Gentest vornehmen und dann entscheiden, dass dies nicht die Art von Embryo ist, die Sie wollen, dann habe ich keinen Einwand dagegen, ihn zu zerstören.

      SPIEGEL: Spielt es in Ihren Augen denn gar keine Rolle, dass dieser Embryo zwar keine Vernunft hat, aber doch immerhin das Potenzial, Vernunft zu entwickeln?

      Singer: Nein - jedenfalls nicht in dieser Welt, in der wir keinen Mangel an Menschen haben. Wir haben ja kein Problem damit, die Weltbevölkerung zu vermehren - wenn überhaupt, dann mit dem Gegenteil.

      SPIEGEL: Wann wachsen dem Embryo denn, nach Ihrer Auffassung, erstmals irgendwelche Rechte zu?

      Singer: Ein wesentlicher Punkt ist das Einsetzen von Schmerzempfinden. Ab diesem Zeitpunkt verdient der Embryo einen gewissen Schutz - ähnlich wie ihn ein Tier auch verdient.

      SPIEGEL: Das heißt: Vorher gleicht der Embryo, ethisch betrachtet, einer Kartoffel, nun steigt er auf zum moralischen Wert einer Ratte?

      Singer: Was den Embryo selbst betrifft, würde ich die Frage mit "Ja" beantworten - allerdings mit der Einschränkung, dass es, wie schon gesagt, eine Sicht der Eltern gibt, die es zu berücksichtigen gilt.

      SPIEGEL: Ändert sich an diesem Status dann etwas durch die Geburt?

      Singer: Nun, die Geburt ist schon von einer gewissen Bedeutung, denn von diesem Zeitpunkt an entscheidet nicht mehr die Mutter allein, ob ein Kind leben soll. Wesentlich ist zudem, dass sich von diesem Zeitpunkt an auch Adoptiv- oder Pflegeeltern des Kindes annehmen können. Trotzdem betrachte ich die Geburt nicht als einen absoluten Wendepunkt, an dem man sagen könnte: Vorher hat der Fötus keinerlei Lebensrecht, nachher hat er dasselbe Lebensrecht wie jeder gesunde erwachsene Mensch.

      SPIEGEL: Verstehen wir Sie richtig? Wenn Sie ein frisch geborenes Baby ethisch gleichsetzen mit Tieren, bedeutet das, dass Babys zu essen moralisch gleichzusetzen wäre mit dem Verzehr eines Rindersteaks?

      Singer: Umgekehrt: Ich habe große ethische Bedenken dagegen, dass wir Tiere essen und medizinische Experimente mit ihnen machen. Nun können wir ja nicht einfach sagen: Wenn wir Tieren Unrecht tun, dürfen wir das auch mit Babys.

      SPIEGEL: Dann stellen wir die Frage anders: Ihre Kollegen hier in Princeton experimentieren mit Ratten und töten sie anschließend. Ist dies moralisch ebenso zu bewerten, wie wenn sie dasselbe mit menschlichen Babys machen würden?



      Singer: Nein. Experimente mit Babys wären wohl kaum in Übereinstimmung zu bringen mit unserem generellen Wunsch, dass sich Menschen um Babys kümmern. Die meisten Eltern wollen gute Eltern sein, Beschützer ihrer Kinder. Und es wäre zu schwierig, ihnen zu erklären, dass völlig normale Kinder zu Experimenten gebraucht und dann umgebracht würden.

      SPIEGEL: Es wäre aber, wenn man Ihre Gedanken zu Ende denkt, folgerichtig.

      SINGER: Vielleicht in einem sehr theoretischen Sinne. Aber Sie müssen vorsichtig sein, ehe Sie daraus politische Schlussfolgerungen ziehen.

      SPIEGEL: Das ist ja sehr beruhigend!

      Singer: Man muss schon berücksichtigen, dass Menschen Babys starke Gefühle entgegenbringen. Diese Gefühle können Sie nicht einfach beiseite werfen ...

      SPIEGEL: ... genau das scheinen Sie aber an anderer Stelle zu tun. Wenn es um Embryonen geht, dann gilt Ihnen die emotionale Beziehung wenig.

      Singer: Die ist ja aber auch viel geringer.

      SPIEGEL: Glauben Sie denn, dass in unserem Urteil über den Wert von Embryonen oder Babys kulturelle Überlieferungen eine wesentliche Rolle spielen?


      Mein Vorschlag war, das volle Lebensrecht erst 28 Tage nach der Geburt in Kraft zu setzen
      Singer: Durchaus. Man könnte sich theoretisch eine Gesellschaft vorstellen, in der die Werte anders wären, eine Gesellschaft, die eine Unterscheidung machen würde zwischen den Babys, die wirklich geliebt und aufgezogen werden, und anderen, die man der Wissenschaft spendet. Man könnte Science-Fiction darüber schreiben ...

      SPIEGEL: ... oder auch in der Wirklichkeit sich die Vorschläge einiger Forscher ansehen. Die ersten haben ja bereits über menschliche Klone nachgedacht, die einzig der Organproduktion dienen. Was halten Sie von solchen Ideen?

      Singer: Man müsste solche Klone ja gar nicht bis zur Geburt reifen lassen. Es würde ja reichen, sie nur bis zu dem Punkt zu kultivieren, bis sich die Organe zu entwickeln beginnen. Dann könnten Sie diese Organe isolieren und weiterentwickeln. Wenn das erst einmal technisch möglich wäre, dann sähe ich darin nichts Schlimmes.

      SPIEGEL: Sie verknüpfen das vollwertige Lebensrecht offenbar mit der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Ab wann können Sie diese Fähigkeit denn bei einem Baby erkennen? Wenn es sechs Monate alt ist? Zwei Jahre? Oder vielleicht erst mit vier?

      Singer: Das ist schwer zu sagen. Es hängt davon ab, was genau Sie unter Selbstbewusstsein verstehen. Ich neige dazu zu sagen, irgendwann im Laufe des ersten Lebensjahres. Bis zu diesem Zeitpunkt mag man das Leben eines sich entwickelnden Kindes auf verschiedene Weise schützen. Trotzdem finde ich, dass man nicht eindeutig sagen kann: Das Vergehen, ein solches Kind zu töten, ist ebenso schwer wie das Vergehen, einen erwachsenen, voll seiner selbst bewussten Menschen zu töten.

      SPIEGEL: Sie koppeln also das Lebensrecht, das höchste aller menschlichen Rechte, an einen Zeitpunkt, den Sie allenfalls sehr vage benennen können?

      Singer: Die menschliche Entwicklung ist ein gradueller Prozess. Da wäre es doch sehr seltsam, wenn dieses Recht ganz plötzlich auftauchen würde. Etwas ganz anderes ist es natürlich, dieses Recht juristisch festzulegen. Da brauchen Sie eine scharfe Trennungslinie.

      SPIEGEL: Und wo soll man die ziehen?

      Singer: Da können Sie sehr unterschiedlich argumentieren. Sie können sagen: Ethisch ist es zwar nicht plausibel, einem Neugeborenen die vollen Rechte zuzusprechen, aber wir entscheiden uns trotzdem dafür, weil die Geburt eine so schön klare Trennungslinie ist. Das ist durchaus eine Möglichkeit ...

      SPIEGEL: ... aber nicht die, die Sie bevorzugen?

      Singer: Ich habe einmal den Vorschlag gemacht, eine Phase von 28 Tagen nach der Geburt festzusetzen, nach der dann das volle Lebensrecht erst in Kraft tritt. Das ist zwar ein sehr willkürlicher Zeitpunkt, den wir einer Idee aus dem antiken Griechenland entlehnt haben. Aber es würde den Eltern Zeit für ihre Entscheidungen geben.

      SPIEGEL: Das heißt, so lange sollen Eltern ihr Kind töten dürfen, einfach nur, weil sie es eben nicht wollen?

      Singer: Das hängt von den Umständen ab. In allen entwickelten Ländern ist die Nachfrage nach halbwegs gesunden Kindern zur Adoption wesentlich größer als das Angebot. Warum also sollten sie ein Kind töten, wenn es Eltern gibt, die es gern adoptieren würden?

      SPIEGEL: Und nicht "halbwegs gesunde" Kinder lässt man dann eben sterben?

      Singer: Das mag sich fundamental unterscheiden von unserer offiziellen christlichen Ethik. Aber in vielen anderen Kulturen wird es keineswegs als grausam betrachtet. Im antiken Griechenland wurde ein Kind erst nach 28 Tagen in die Gesellschaft aufgenommen - vorher durfte man es in den Bergen aussetzen. In Japan war es lange völlig normal, Kinder zu töten, wenn Geburten zu dicht aufeinander folgten.

      SPIEGEL: Dass dies bei uns verboten ist, ist doch eine große humanitäre Errungenschaft.

      Singer: Die Christen pflegen alles, was sie machen, als moralischen Fortschritt zu betrachten. Ich habe da meine Zweifel.

      SPIEGEL: Bisher haben wir weitgehend über gesunde Babys gesprochen. Wie aber steht es mit schwer behinderten Babys, die möglicherweise nie volles Bewusstsein ihrer selbst erlangen werden. Kommen die nie im Laufe ihres Lebens in den Genuss eines vollwertigen Rechts zu leben?

      Singer: In derartigen Fällen bin ich der Auffassung, dass sie selbst kein derartiges Recht haben. Aber sie können Eltern haben, denen sie etwas bedeuten, die ihnen Liebe geben und die sich um sie kümmern.

      SPIEGEL: Und wenn sich die Eltern nicht kümmern? Wer soll denn dann entscheiden? Und nach welchen Maßstäben? Soll es dann einfach heißen: Das Pflegen wird uns zu teuer?

      Singer: Die Gesellschaft trifft doch derartige Entscheidungen längst. Etwa wenn Operationen nicht mehr gemacht werden, die das Leben eines schwerstkranken Babys verlängern würden.

      SPIEGEL: In Deutschland wurde schon einmal entschieden, Geisteskranke und Behinderte zu töten. Das war Ende der dreißiger Jahre, als die Nazis begannen, zu vernichten, was sie "unwertes Leben" nannten.

      Singer: Aber da gibt es wesentliche Unterschiede zu dem, was ich sage. Viele der damals Ermordeten besaßen durchaus Selbstbewusstsein. Außerdem wurden damals die Eltern nicht informiert. Vor allem aber war die Motivation eine ganz andere. Damals wollte man degeneriertes Leben, nutzlose Menschen aussortieren. Ich plädiere nicht dafür, dass der Staat die Entscheidung fällt, sondern die Eltern ...

      SPIEGEL: ... wenn sie sich zu dem Kind bekennen. Wenn nicht, dann entscheidet bei Ihnen offenbar doch der Staat.

      Singer: Sagen wir es so: Wenn Menschen auf einem so niedrigen intellektuellen Entwicklungsstand sind, dass sie ihrer selbst nicht bewusst sind, dann sind wir nicht verpflichtet, sie am Leben zu erhalten. Aber ich halte es für durchaus vernünftig, wenn sich eine wohlhabende Gesellschaft dafür entscheidet, sie zu pflegen und damit unseren Respekt für sie auszudrücken.

      SPIEGEL: Sie wollen sagen: Wir sind nicht verpflichtet, sie umzubringen? Verstehen Sie es eigentlich, wenn Behinderten bei derartigen Worten angst und bange wird?

      Singer: Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Ich habe schon mit sehr vielen Behinderten geredet, zum Beispiel gerade erst vor einem Monat in New Hampshire. Da waren mehrere hundert Leute im Auditorium, und jeder davon war entweder selbst behindert oder er arbeitete mit Behinderten. Und, ja, dort gab es auch einige, die erklärten, sie seien ohnehin schon Opfer von Diskriminierung. Und meine Thesen würden das nur noch verstärken. Aber es gab auch andere, die mir zugestimmt haben und die erklärt haben, sie wollten nicht, dass ihre Kinder unter denselben Behinderungen leiden wie sie selbst. Und dass sie sich, wenn sie die Wahl hätten, für Kinder ohne diese Behinderungen entscheiden würden.


      Ich kann durchaus Menschen verstehen, die sich durch meine Thesen bedroht fühlen
      SPIEGEL: Wie reagieren Sie denn auf diejenigen, die Ihnen Diskriminierung vorwerfen? Die Behinderten-Organisation "Not Dead Yet" hat Sie sogar zum gefährlichsten Mann auf Erden erklärt ...

      Singer: ... na ja!, spätestens seit dem 11. September gibt es hier in Amerika einen anderen aussichtsreichen Kandidaten für diesen Titel. Aber im Ernst: Ja, ich kann Menschen verstehen, die sich beleidigt oder bedroht fühlen durch meinen Standpunkt. Ich verstehe, dass sie darin eine Ablehnung dessen sehen, wofür ihr ganzes Leben stand. Ich verstehe auch die Hingabe, mit der sie ihre Art des Lebens führen. Trotzdem ändert das nichts daran, dass ich sage: Wenn Sie die Wahl haben zwischen einem Leben mit und einem Leben ohne Behinderung, dann ist es sinnvoll, sich für das letztere zu entscheiden.

      SPIEGEL: Herr Professor Singer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
      Avatar
      schrieb am 25.11.01 22:10:23
      Beitrag Nr. 4 ()
      Wahnsinn!
      Möge Gott uns allen beistehen, daß solche Denkweisen immer nur diejenigen weniger Wahnsinniger bleiben, ansonsten ist die Qualität und Wertigkeit menschlichen Lebens (und das sollte doch im Interesse aller recht und billig Denkenden der Fall sein!)akut in Gefahr!
      Es soll ja Singer denken, was er mag, aber es zu verbreiten - und das mit nicht wenig Erfolg, leider - ist ein echtes Gefahrenpotential. Wie kann man sojemanden dann zum Ethikprofessor berufen und auch noch als bedeutendsten Ethiker der Gegenwart bezeichnen - mir ist es ein Rätsel. Und - zugegeben - ein Rätsel, auf das ich nie eine Antwort haben möchte, weil es gar keine geben kann.
      Leuten wie diesen darf man keinen Raum zur Selbstdarstellung geben - es laufen zu viele Menschen durch die Weltgeschichte, die sich von solch abstrusen Ideen gefangen nehmen lassen und zum Gefahrpotential aller Menschen werden!
      Ergo:
      Singer - si tacuisses!!
      i.e.
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 03:03:11
      Beitrag Nr. 5 ()
      @Immo: Wahrscheinlich hättest du auch vor über 2000 Jahren Sokrates den Becher gereicht, weil er zu gefährliche Fragen stellte...

      dipsy

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      Avatar
      schrieb am 26.11.01 06:42:00
      Beitrag Nr. 6 ()
      Dieser Mann steht weit aussen vor mit seinen weltlichen Vorstellungen einer neuen Denkweise der Gesellschaft. Offensichtlich hat er riesigen Spass daran, Menschenschicksale zu fällen, und bis heute ist ihm dabei nicht die Frage in den Sinn gekommen, wer ihn eigentlich mit diesen Befugnissen ausstattet. Er maßt sie sich willkürlich an. Dabei interessiert es mich nicht die Bohne, welche Titel ihm anhaften, oder wieviele Bücher er zum Thema abgefasst hat. Singer ist der blanke Hohn in Menschengestalt. Wer öffentlich über Medien verbreitet, dass er kein ethisches Problem damit hat, menschliche Embryonen zu "Schönhatscremes" zu verarbeiten, wird in unserer Gesellschaft immer alleine in der Ecke stehen. Man stelle sich vor, soetwas findet durch irgendwelche verkorksten Geister einen Zweig "Industrieller Fabrikation". Schließlich wäre ja dann auch soetwas vorstellbar, wenn keine Menschenseele mehr ein ethisches Problem damit hat.

      Singer steht gesellschaftlich mit seinen Thesen in der Ecke und dort steht er zurecht. Zu wünschen bleibt, dass er dort nicht wegkommt.

      Gruß
      Glückspfennig
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 12:34:36
      Beitrag Nr. 7 ()
      Ein Problem aufzuwerfen und zu diskutieren gehört zur Meinungsfreiheit. Sartre (interpretativ): "Ich bin zwar nicht deiner Meinung, aber ich würde bereit sein zu sterben, damit du sie äußern kannst."
      Die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht identisch mit der Freiheit der Lehre und Forschung, die Verantwortlichkeiten beinhaltet und sich der "Meinung" zugunsten von Wissen eher enthalten sollte.
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 12:34:38
      Beitrag Nr. 8 ()
      Ein Problem aufzuwerfen und zu diskutieren gehört zur Meinungsfreiheit. Sartre (interpretativ): "Ich bin zwar nicht deiner Meinung, aber ich würde bereit sein zu sterben, damit du sie äußern kannst."
      Die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht identisch mit der Freiheit der Lehre und Forschung, die Verantwortlichkeiten beinhaltet und sich der "Meinung" zugunsten von Wissen eher enthalten sollte.
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 12:39:42
      Beitrag Nr. 9 ()
      @glückspfennig: In einer Gesellschaft, die kein Problem damit hat, für popelige Schönheitscremes Millionen von Tieren unendliches Leid zuzufügen und auch ihre Leichen darin zu verarbeiten, klingt Deine Antwort in meinen Ohren auch wie Hohn.

      Wie eingebildet ist der "Homo Sapiens" eigentlich, dass wir immer aufheulen, wenn uns jemand mal ein bisschen vom (selbstgebauten) Sockel stößt?

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 12:47:44
      Beitrag Nr. 10 ()
      @Wilma Feuerstein:
      Das Postulat der Werturteilsfreiheit von Max Weber ist sicherlich richtig und wichtig.

      Der Punkt ist aber, dass es in der Ethik immer auch um "Werte" geht. Hier muss also über Werte diskutiert werden.

      In der ethischen Fachdiskussion geht es aber nicht darum, den anderen wegen einer anderen Meinung anzugreifen, sondern Standpunkte zu plausbilisieren oder zu deplausiblisieren (z. B. durch eine logische Herleitung eines Fehlschlusses).

      Hierdurch hat "Bioethik" durchaus ihre Existenzberechtigung als wissenschaftlicher Teilbereich der "Praktischen Philosophie".

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 12:56:05
      Beitrag Nr. 11 ()
      Wenn ich Singer auf das reduziere, was er hier im Interview sagt, dann weiss ich nicht was daran so schlimm sein soll.
      Dass manche Leute da natuerlich Gefahren wittern, ist mir schon klar ... aber haben die dann auch wirklich genau zugehoert ?
      Alles wo es um praenatale Voraussagen und Entscheidungen geht, wird in Wahrheit heute schon genauso paktiziert mit dem Dow-Syndrom.

      technostud ;)
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 15:22:47
      Beitrag Nr. 12 ()
      @dipsy,
      wäre Philosophie ein Lehrberuf, würde ich das Erlernen praktischer Anwendung durchaus befürworten. Es ist aber ein Studiengang und beinhaltet m. W. keinerlei Praktika. Demzufolge hätte sich dieses Fach darauf zu beschränken, Wissen, d. h. speziell in diesem geisteswissenschaftlichen Fach Kenntnisse über Denkweisen von Philosophen und Philosophieschulen zu vermitteln. Selbst zu philosophieren ist nicht Inhalt des Studiengangs.
      Eine Wertung kann insofern nicht erfolgen als beispielsweise Adorno oder Hegel nicht bewertbar sind (wer ist "besser"?). Die Feststellung, welche ethischen Inhalte sich in ihren Philosophien finden lassen, gehört zum Bereich "Wissen", d. i. in diesem Fall Analyse. Letztere kann aber auch nur festellen und nicht werten. Eine Wertung hätte sich an einem Moralkodex zu orientieren, der unabhängig von der Philosophie erstellt zu werden hätte. Dergleichen ist in einem Lande, das geistige Freiheit postuliert, undenkbar, im übrigen ist "Moral/Ethos" eine Eigenschaft, die zwar gefördert oder unterdrückt oder interpretiert, jedoch nicht gelehrt werden kann (ebensowenig wie Intelligenz).
      Unabhängig davon bleibt natürlich die Möglichkeit, Inhalte von Philosophien im Vergleich zur eigenen Denkwelt schulaufsatzmäßig zu verarbeiten. Das gehört jedoch nicht in den Universitätsbetrieb, bleibt - wenn verbal - auf Interessenzirkel beschränkt, die zu bilden unbenommen ist.
      Der Universität obliegt es selbstverständlich, in gewissem Sinne Kontrolle über ihre Lehrorgane auszuüben, dergestalt, daß Lehre sich von Infiltration freizuhalten hat und daß strittige Meinungen vielleicht höheren Semestern vorbehalten bleiben sollten. Die Prägbarkeit des Lernenden bedenkend, muß im mindesten unverkennbar deutlich sein, was Meinung, was sachlicher Lehrinhalt ist. Und: sich zu distanzieren, darf dem Studenten nicht negativ ausgelegt werden. Derlei Probleme umgeht man in der Tat, indem man Lehrkörper mit extremen Meinungen nicht habilitiert. Immerhin ist die Universität auch der Verfassung verpflichtet. Kontrolle von Verfassungstreue ist ein bereits vor längerem diskutiertes Thema ...
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 15:46:42
      Beitrag Nr. 13 ()
      Auszug aus Thomas Nagel, Die Grenzen der Objektivität:

      .. Sollen sich neutrale Gründe ergeben, so müssen Werte zum Ausdruck kommen, die von der Eigenperspektive und dem Präferenzsystem des betreffenden Subjekts unabhängig sind.
      Die allgemeinen Werte von Lust und Unlust, Erfüllung und Enttäuschung von Wünschen haben ...... eine solche Funktion, doch nur insoweit sie vom Wert des Gegenstandes des Wunsches losgelöst werden können, dessen Aneignung oder dessen Verlust das jeweilige subjektive Gefühl erzeugen. Übrigens erklärt sich hierdurch auch, warum der Hedonismus für Konsequentialisten so attraktiv ist, denn schließlich reduziert er alle Werte auf den unpersönlichen gemeinsamen Nenner von Lust und Unlust.
      Meines Erachtens gibt es eines jedoch nicht: Es existiert kein genereller neutraler Wert der Erfüllung von Wünschen und Präferenzen. DieStärke der persönlichen Präferenzen eines Individuums bestimmt im allgemeinen, was zu tun es infolge dieser Präferenzen Grund hat, doch sie legt nicht fest, welcher neutrale Wert der Aneignung dessen, was es sich wünscht, zukommt - und zwar deshalb nicht, weil die Erfüllung persönlicher Präferenzen nur vom Standpunkt der sich in ihnen äußernden Werte üb erhaupt erst einen Wert hat. Es existiert kein unabhängiger Wert der Wunscherfüllung per se, dessen normative Kraft auch aus einer unpersönlichen Perspektive noch wirksam wäre.
      Wir können diese ziemlich strenge Position ein Stück weit modifizieren, indem wir einräumen, daß es eine andere, allgemeinere Ebene gibt, auf der sich, sobald wir den Bereich beliebiger persönlicher Präferenzen objektiv betrachten, durchaus neutrale Werte einstellen. Es handelt sich um die Ebene der Umstände von Entscheidungen, Freiheit und Chancen, die eine Ausbildung und einen Vollzug willentlicher Belange erst möglich machen.
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 19:46:23
      Beitrag Nr. 14 ()
      @Wilma: Doch, eben die angewandte Ethik hat praktische Bedeutung.
      In Deutschland ist zwar dieser Teilbereich noch unterentwickelt (auch hier stecken Interessen dahinter ;) ),
      doch langsam wird es kommen. Philosophen wie Birnbacher, Hoerster oder Ach schreiben z. B. zur angewandten Ethik.

      Wie gesagt, dass hat natürlich nichts mit "gut" oder "schlecht" zu tun. Es geht vielmehr um Grundlagen und ihren Folgerungen.
      Wenn es z. B. "Konsens" ist, dass Rassismus falsch ist, dann müsste man untersuchen, WARUM Rassismus falsch ist. Und wenn man DAS untersucht, kann man zu der Folgerung gelangen, dass dann auch Speziesismus falsch ist.
      Ist die Beweiskette logisch schlüssig, ist dies auch nicht "rein subjektiv". Es ergibt sich aus unseren Grundüberzeugungen.

      Dafür muss ich übrigens kein Konsequenzialist oder Utilitarist sein. Auch als Anhänger deontologischer Theorien könnte man zu diesem Schluss kommen.

      Wie die angelsächsischen Arbeiten der letzten 30 Jahre zeigen, haben sich durch Rede und Gegenrede unheimlich interessante Ansätze ergeben, die nicht ohne die Möglichkeit, sich in etwas neues hineinzutasten, möglich gewesen wäre.

      Auch die Verfassungstreue bedeutet nicht, dass man manche Gesetze für falsch halten kann. Oder glaubst Du, dass unsere Steuergelder nur für Professoren ausgegeben werden sollen, die am Status quo interessiert sind? Wozu dann noch Forschung?

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 20:27:43
      Beitrag Nr. 15 ()
      Na einmal kurz darf ich, gell...

      >Wenn es z. B. "Konsens" ist, dass Rassismus falsch ist, dann müsste man untersuchen, WARUM Rassismus falsch ist. Und wenn man DAS untersucht, kann man zu der Folgerung gelangen, dass dann auch Speziesismus falsch ist.
      Ist die Beweiskette logisch schlüssig, ist dies auch nicht "rein subjektiv". Es ergibt sich aus unseren Grundüberzeugungen.

      Du machst einen trivialen Fehler, dipsy, wenn er auch aus deiner Veganersicht als sinnvoll erscheinen mag:
      Es bringt mir rein garnichts, jemanden wegen seiner Rasse zu diskriminieren, da mir das per se keine Vorteile bringt (Für dich: Ein Afrikaner kann mir genauso Vor-/Nachteile bringen, wie ein "rassisch gleicher" Westeuropäer und ist in dieser Hinsicht nicht differenzerbar. Ein Tier zu essen bringt mir allerdings regelmäßig einen Wohlstandszuwachs durch Diversifizierung (gewünschte) von Nahrung etc..
      Analog Sexismus.
      Du kommst mit deiner krummen Definiererei hier nicht durch, was nicht heißt, es möge nicht moralisch "wertvoll" sein, Tiere nicht zu essen...[Das ist aber eine Definitionsfrage]

      Du solltest einmal deine Argumentation überprüfen; Aber vielleicht kann ich auch als "dummer wbb" deiner Argumentation nicht recht folgen....

      wbb

      ...und wieder weg.
      Avatar
      schrieb am 26.11.01 23:10:03
      Beitrag Nr. 16 ()
      @dipsy:
      was auch immer sokrates gesagt haben mag - auch wenn es sicherlich für seine damalige umwelt ganz neues gedankengut gewesen sein mag - halte ich einen vergleich mit singer dennoch nicht für möglich. sokrates hat vielleicht die menschen an sich und ihre gesellschaft "herausgefordert", aber wohl kaum das leben an sich! Die Sicherheit, Mensch heute sein zu können, ohne sich um die morgige körperliche Existenz grundlegend gedanken machen zu müssen, macht das menschsein doch im gegensatz zum "tiersein" -welche ständig der gefahr der Existenzauslöschung ausgesetzt sind- erst möglich. wie sollte man gedanken an philosopie und höheres verschwenden können, wenn man im nächsten augenblick die "keule" eines Existenzkonkurrenten befürchten muß?
      da landet man doch dann wieder bei survival of the fittest und darwin ... und was lehrt uns die geschichte, wo sowas im schlimmsten fall endet??
      nur so ein paar gedanken von jemandem, der mit fachsimpeleien auf diesem gebiet nicht aufwarten kann.
      nur so ein paar gedanken ... - aber ehrlich und in meinen augen auch ein kleines bißchen human!

      i.e.
      Avatar
      schrieb am 27.11.01 00:21:08
      Beitrag Nr. 17 ()
      "@glückspfennig: In einer Gesellschaft, die kein Problem damit hat, für popelige Schönheitscremes Millionen von Tieren unendliches Leid zuzufügen und auch ihre Leichen darin zu verarbeiten, klingt Deine Antwort in meinen Ohren auch wie Hohn."

      Richtig dipsy, richtig, aber ist Singer mit seinen abstrusen Thesen auch nur einen einzigen Deut besser?? Was ist denn die Schlussfolgerung aus Deiner und Singers Aussage von oben? Etwa wie: Ich nehme das eine himmelschreiende Unrecht (Leid der Tiere) als Rechtfertigung und Ausgangsbasis (woher auch immer), um noch ein weiteres verkommenes Unrecht aufzusatteln. Wo sind hier die Grenzen gesetzt und wer definiert sie? Wenn Schranken und Regeln beliebig nach Gutdünken austauschbar sind, wie kann dann eine Gesellschaft überhaupt noch funktionieren? Und vor allen Dingen: Was ist eine solche Gesellschaft überhaupt noch wert, in ihrer dann gezeigten inhumanen und moralischen Verkommenheit? Ich bin ebenso wenig wie Du in der Lage, dass von Menschenhand zugefügte Tierleid in unserer Welt zu beenden. Aber was für eine "bescheuerte" Logik soll ich denn daraus ziehen - dass ich nun das Gleiche mit dem menschlichen Organismus weiter betreibe?? Ich will es beenden und nicht auf die Spitze treiben. Was geht nur in Deinem Kopf vor???

      Glückspfennig
      Avatar
      schrieb am 27.11.01 00:52:59
      Beitrag Nr. 18 ()
      @WBB:
      WWB: "Es bringt mir rein garnichts, jemanden wegen seiner Rasse zu diskriminieren, da mir das per se keine Vorteile bringt."

      Oje, oje, WBB, wenn das DIE Definition ist, WARUM Rassismus falsch ist, muss man wirklich "dummer WBB" sagen. Aber ich hoffe nochmal, es war nur ein kleiner übereilter Ausrutscher. Die sind ja Deine Spezialität ;)

      (Eigentlich hätte ich etwas mehr erwartet :(

      @immoexpert: du musst nicht mit "fachsimpeleien" aufwarten. Das muss nicht "besser" sein. Gedanken und Diskussion ist IMMER gut (Aha, ich bin ein Popperianer, ihr wisst es ja ;)

      Leider unterstellst Du Singer etwas, was er nicht meint. Personen haben für ihn ja ein Lebensrecht. Also, da jeder, der sich um sein Leben fürchten kann, eine Person sein MUSS, braucht ja keine Person etwas zu befürchten.

      Auch als Utilitarist würde man sehr in die roten Zahlen kommen mit der Lustbilanz, wenn jeder Angst um sein Leben haben müsse ;)

      Dein Einwurf "das ist nicht human" nehme ich zwar Ernst, wirft aber erstmal die Frage auf, was man unter "human" versteht, und dann, was denn eine "humane" Meinung ist.

      Vielleicht ist es ja z. B. human, Menschenrechte für die Großen Menschenaffen zu fordern und Embryonen diese Menschenrechte zu verweigern. Dies kann meiner Meinung nach sehr "human" sein.

      @Glückspfennig:
      Ja, ich glaube wirklich, dass Singer "besser" ist als der Status Quo. Aber d. h. nicht, dass ich in allem mit ihm übereinstimme (z. B. mit seiner recht unkritischen Meinung zur Genforschung) und vielleicht überhaupt mit der ethischen Grundhaltung des Utilitarismus.

      Ich würde Dir gerne mal ans Herz legen, "The Case For Animal Rights" von Tom Regan zu lesen. Erscheint auch bald in deutscher Sprache. Ich glaube, bei ihm wirst Du Dich ganz gut aufgehoben fühlen. Ich neige auch von der Grundüberzeugung eher zu Regan als zu Singer.

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 27.11.01 01:24:22
      Beitrag Nr. 19 ()
      Übrigens muss man auch sehen, dass Singer natürlich bestimmt nicht vorteilhaft zitiert wird im Spiegel. Die stellen das schon gut zusammen, um Singer möglichst als gedankenlosen Herren über Leben und Tod darzustellen.

      Bücher lesen bringt da doch vielmehr:

      Besonders zu empfehlen (vor allem für WBB, glückspfennig und immoexpert)

      "Befreiung der Tiere" von Peter Singer

      war lange vergriffen, gibt es jetzt für nur 8 Euro bei "veganbasics.de". Ach, WBB, wie gut wäre es doch, wenn Du Dich mal überwinden würdest, dieses Buch zu lesen. (Schon der ganzen Missverständnisse wegen)

      Für den ganzen Bioethik-Bereich empfehle ich Singers "Leben und Tod".

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 27.11.01 13:17:22
      Beitrag Nr. 20 ()
      Diese ganze Diskussion ist bis zur Erschöpfung in einem anderen Thread geführt worden, mit dem Ergebnis, daß es keinen Speziesismus gibt, weil es keine Ideologie gibt, die entgegen der Realität Tiere als etwas fundamental anderes als Menschen ansieht. Tiere sind tatsächlich keine Menschen. Daß Rassismus abzulehnen ist, sagt nicht das geringste darüber aus, ob man Tiere geringere Rechte zubilligt als Menschen. Daß Du, dipsy, immer wieder die Gleichung Rassismus = Speziesismus eröffnest, macht die Aussage nicht wahrer. Ich halte übrigens Singers Aussagen zum Schutz des frühen Lebens und zur Euthanasie für durchaus beachtenswert. Es stellt sich dann aber die Frage, wenn ich schon einen Menschen töten darf (als Embryo oder auf Verlangen eines Kranken), warum soll ich dann nicht auch Tiere töten, wenn es einem Zweck dient? Das käme dabei heraus, wenn man Tierrechte mit Menschenrechten verknüpft, was ich allerdings für sinnlos halte.
      Avatar
      schrieb am 27.11.01 16:11:55
      Beitrag Nr. 21 ()
      Ach ja, und ganz besonders for4zim empfehle ich das Buch "Befreiung der Tiere" von Peter Singer über "veganbasics.de" zu bestellen.
      Damit Du ENDLICH auch mal verstehst, was der Begriff WIRKLICH bedeuten soll.

      Wir könnten uns so viel Zeit sparen. Trau Dich ruhig :)
      Die 8 Euro sind es wert.

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 27.11.01 19:15:01
      Beitrag Nr. 22 ()
      @dipsy

      Vielleicht wäre ein anderer Diskussionsansatz hier sinnvoller, nämlich darüber zu diskutieren, ob Menschen überleben können, ohne Tiere zu Nahrungszwecken und zur Herstellung von Cremes zu töten - oder ob sie das nicht können.

      Ich billige einem Pockenvirus, einer Stechmücke, einem Hai oder einem Löwen keinen höheren Wert zu als einem Menschen auf Basis des Vergleichs des Empfindens und der Rationalität dieser Spezies. Denn wenn man dies als Begründung dafür nimmt, darüber zu entscheiden, ob die genannten Lebensformen das Recht haben, ein empfindungsloses Kleinkind / einen behinderten Menschen zu töten, dann negieren wir eine - von mir mal unterstellte - mitmenschliche Verantwortung.

      Mit der Negation dieser Verantwortung können wir auch den vorweihnachtlich in unserem Postfach vorgefundenen Zahlschein für Hilfsorganisationen in Afrika mit gutem Gewissen ignorieren.

      Ebenso existiert m.E. ein fundamentaler Unterschied zwischen
      - dem Töten von Tieren, um ein Heilmittel gegen Krebs zu finden
      (eine Vorgehensweise, die von der Mehrheit der Menschen akzeptiert ist) und
      - dem Töten von Tieren, weil es einfach viele Menschen gibt, die aus Bequemlichkeit und Genußsucht lieber ein Steak statt eines Getreidebratlings essen wollen.

      Damit kann man das Problem vom der fundamentalen (und damit kaum auflösbaren) Entscheidung zur Entscheidung der Grenzziehung machen.

      Denn Singers fundamental fundierte Schwarz-Weiss-Unterscheidung ist für die Mehrheit der Menschen, der Board-Leser (und auch für mich) nicht diskussionsfähig. Und eine Beschränkung darauf könnte dazu führen, daß statt eines großen Schrittes (in eine zweifelhafte, weil kontroverse) Richtung vermutlich einmal gar nichts passiert.


      Und das würde dann nur auf eine Diskussion um der Diskussion willen herauslaufen ... und davon gibt`s im Sofa wahrlich mehr als genug.

      mfg loewe
      Avatar
      schrieb am 28.11.01 15:23:54
      Beitrag Nr. 23 ()
      Nun, "Schwarz-Weiss" denkt Singer nicht. Das Prinzip der gleichen Interessenserwägung ist ja speziell so konstruiert, dass es für verschiedene Fälle verschiedene Lösungsmöglichkeiten bietet.

      "Ein Tier töten, um ein Heilmittel gegen Krebs zu finden", das klingt z. B. schön und logisch, und es könnte sogar (nach der Singerschen Theorie) relativ leicht gerechtfertigt werden.
      Aber nur, wenn WIRKLICH ein Heilmittel gefunden wird, und das Tier NICHT selbstbewusst ist. Sonst wäre es Mord.

      Aber warum denn z. B. nicht menschliche Embryonen töten, um ein Heilmittel zu finden? Hier wäre unsere Interesse genausogroß, der Embryo hat dagegen noch gar keine. Hier wäre also die Abwägung noch leichter (zumindest speziesismusfrei)

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 28.11.01 15:29:44
      Beitrag Nr. 24 ()
      dipsy,
      du hast offensichtlich keine Ahnung, wie der SPIEGEL Interviews führt.

      Die legen jedem, jedem, die Abschrift vor und lassen sich das authorisieren bzw. akzeptieren auch jede Änderung, die der Interviewte am text noch vollzieht. Das ist authentisch und nicht etwa irgendwie zusammengestückelt.

      Man muss die zeitschrift nicht mögen, aber diesbezüglich ist sie 100% korrekt - sie würden sich im übrigen sonst wohl auch das eigene Wasser abgraben, denn sie ist selbst daran interessiert, für alle renommierten gesprächspartner der Welt attraktiv zu sein.
      Avatar
      schrieb am 28.11.01 15:34:11
      Beitrag Nr. 25 ()
      Was übrigens den Inhalt angeht - ich bin weder Philosoph von Biologe noch beschäftige ich mich nebenbei sehr mit solcher Materie - aber gesunden menschenverstand genug hab ich, um den Punkt rauszustellen, der mir missfällt und der notwendige Voraussetzung für einen Standpunkt wie den seinen ist:

      Nämlich das zukünftige Potential eines Menschen zu ignorieren. Ein Baby darf getötet werden, wenn die Eltern sich dazu entscheiden, insofern das bewußtsein noch nicht ausgereift genug oder rudimentär vorhanden ist, wie auch immer. Es sei Entscheidung der Eltern, und der große Unterschied zwischen babys und Tieren sei allenfalls darin zu sehen, dass erstere von besonderem Wert für bewußt denkende Menschen sind.
      Gänzlich weg fällt die Tatsache, dass sie dabei sind, ein Bewußtsein zu entwickeln bzw. dass sie - Tod oder schwere Krankheit mal aussen vor gelassen - dieses Bewußtsein in jedem Fall erlangen würden. Solange sie es nicht haben, haben sie kein eigentliches Recht auf Leben, vom Potential wird abstrahiert.

      Nun ja.
      Avatar
      schrieb am 28.11.01 15:48:20
      Beitrag Nr. 26 ()
      @neemann:
      Natürlich, weiss ich, dass das Interview strenggenommen korrekt ist. Aber wenn Du Singer in Büchern liest, ist es etwas ganz anderes, als diese Fragen praktisch ohne den philosophischen Kontext.

      Vor 10 Jahren waren 2 große Beiträge über Peter Singer im Spiegel (als er in Deutschland "Redeverbot" erhielt), die beide sehr negativ waren.
      Ein Leserbrief von Peter Singer, der einige Ansichten grade rücken wollte, wurde aber aus "Platzmangel" nicht gedruckt.

      Also so ganz ohne sind die auch nicht. Aber immerhin, kleiner Fortschritt :)

      Zum Potenzial-Argument: Dieses wird häufig vertreten, ist aber wirklich schwach, wenn man sich genauer damit befasst.

      Denn auch das befruchtete Ei hat das Potenzial, ja selbst Ei und Samenzelle haben zusammen das Potenzial. Aber sollten Potenziale wirklich RECHTE konstituieren. Überprüfe es:
      Haben zweijährige Kinder das Recht auf einen Führerschein?
      Nein, aber das Potenzial dazu sicherlich, irgendwann ein Auto zu führen.

      Können wir lebende gesunde Menschen wie Tote behandeln?
      Nein, aber irgendwann sind wir sicherlich tot.

      Bei Singer zählt nur die KONSEQUENZ, und die ist, egal ob ich verhüte, abtreibe oder einen Säugling töte, diesselbe: Es entsteht keine Person.

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 28.11.01 16:08:25
      Beitrag Nr. 27 ()
      Also dein Führerscheinbeispiel hinkt ja zweibeinig :D

      Die werden (hoffe ich) noch immer für nachgewiesene Fähigkeiten ausgegeben, und nicht etwa, weil jemand vielleicht mal fahren könnte.

      Du sagst, es zähle nur die Konsequenz, und die sei, es entstehe keine Person. Das ist das gleiche mit anderen Worten: Ist jemand noch keine Person, der das Potential dazu hat?

      Das Potential, mal tot zu sein, heisst doch auch nix. Diie Potential-Betrachtung kann man doch nur als mögliche Begründung für Rechte heranziehen, nicht als Begründung für Rechtsentzug.





      Bzgl. SPIEGEL: Dein Zitat: "Übrigens muss man auch sehen, dass Singer natürlich bestimmt nicht vorteilhaft zitiert wird im Spiegel. Die stellen das schon gut zusammen, um Singer möglichst als gedankenlosen Herren über Leben
      und Tod darzustellen. "
      Es ist jahrzehntelange Praxis des SPIEGEL, den exakten Wortlaut, den sie veröffentlichen, vorher zwecks Autorisierung vorzulegen. Punkt. Nix mit "haben die gelernt" oder so. Und bzgl. Leserbrief - keine Ahnung, mag ja sein, aber das Recht auf Abdruck hat keiner, und wenn ein Princeton-Prof. etwas schreibt, wirds essayähnlichen Umfang haben - wieso muss das dann abgedruckt werden bzw. ist es im schiefen Licht, wenn es nicht geschieht? :confused: Das belibt doch wohl eine völlig autonome Entscheidung des Magazins wie bei allen anderen auch.
      Avatar
      schrieb am 28.11.01 16:21:26
      Beitrag Nr. 28 ()
      Noch was zu deiner Behauptung: Bei Singer zählt nur die Konsequenz; aus dem Interview.

      SPIEGEL: Dann stellen wir die Frage anders: Ihre Kollegen hier in Princeton experimentieren mit Ratten und töten sie anschließend. Ist dies moralisch ebenso zu bewerten, wie wenn sie dasselbe mit menschlichen Babys machen würden?

      Singer: Nein. Experimente mit Babys wären wohl kaum in Übereinstimmung zu bringen mit unserem generellen Wunsch, dass sich Menschen um Babys kümmern. Die meisten Eltern wollen gute Eltern sein, Beschützer ihrer Kinder. Und es wäre zu schwierig, ihnen zu erklären, dass völlig normale Kinder zu Experimenten gebraucht und dann umgebracht würden.

      SPIEGEL: Es wäre aber, wenn man Ihre Gedanken zu Ende denkt, folgerichtig.

      SINGER: Vielleicht in einem sehr theoretischen Sinne. Aber Sie müssen vorsichtig sein, ehe Sie daraus politische Schlussfolgerungen ziehen.

      SPIEGEL: Das ist ja sehr beruhigend!

      Singer: Man muss schon berücksichtigen, dass Menschen Babys starke Gefühle entgegenbringen. Diese Gefühle können Sie nicht einfach beiseite werfen ...


      Wie ist diese Behauptung denn mit diesen Sätzen zu vereinbaren? Da wird doch letztlich die emotionale Bindung anderer an ein Wesen, welches noch keine Person ist, als moralische Begründung dafür, sie anders als Tiere zu behandeln, herangezogen. Sehr konsequent ist das nicht. Oder scheut er in einem öffentlichen Interview inzwischen klare Worte?
      Avatar
      schrieb am 28.11.01 17:03:28
      Beitrag Nr. 29 ()
      @Neeman, folgende Passage deutet darauf hin, dass er nicht wg. Öffentlichkeit taktiert, sondern die Bedeutung fuer andere wirklich Gewicht in seiner Argumentation hat:

      SPIEGEL: Ein früher Embryo hat aber kaum höhere Fähigkeiten als ein Bakterium oder, sagen wir, eine Kartoffelpflanze. Also steht er mit ihnen auf einer moralischen Stufe?

      Singer: Der Unterschied besteht aber darin, dass der Embryo leibliche Eltern hat, denen dieser Embryo etwas bedeuten könnte. Und die hat eine Kartoffelpflanze nicht.

      SPIEGEL: Solange aber diese Eltern damit einverstanden wären, könnte man diesen Embryo für jeden beliebigen Zweck verwenden - selbst wenn man Embryos zu einer Schönheitscreme oder einem Potenzmittel verarbeiten wollte?

      Singer: Ein ethisches Problem hätte ich damit nicht.


      technostud
      Avatar
      schrieb am 29.11.01 08:28:01
      Beitrag Nr. 30 ()
      @technostud - das weiss ich und habs ja auch geschrieben - die emotionale Bindung anderer an ein Wesen, welches noch keine person ist, kein Bewußtsein hat, spielt eine Rolle, nicht die Person selbst. Daher widerspreche ich dispy ja auch, wenn er behauptet, es zähle nur die Konsequenz, die bei der Tötung von Lebewesen ohne Bewußtsein darin bestünde, dass keine Person entstanden sei.
      Offenbar gibts auch andere Kriterien, und die öffnen dann die Tür sehr weit: Da frage ich etwa, wieso nur die Bedeutung, die der Embryo für die Eltern haben mag, zählt - wieso zählt die bedeutung, die er etwa für die moralischen Grundwerte einer Gesellschaft hat, nicht? Weil eine Minderheit oder der konkrete Einzelne die dahinterstehende Religion nicht teilt? Der Umstand, dass die Mehrheit in der gesellschaft der religiösen Auffassung ist, man töte damit einen Menschen, der eine Seele habe, die zählt nicht, wohl aber ggf. die Liebe der Eltern zu Baby allgemein? Denn letzteres zieht er ja als Argument dafür heran, warum man mit neugeborenen, so ihnen denn konkret die Liebe zu ihren Eltern fehlt, nicht genauso umspringen könne wie mit Ratten. Da zieht er nun plötzlich auch moralische Vorstellungen der Gesellschaft heran.
      Avatar
      schrieb am 29.11.01 09:43:59
      Beitrag Nr. 31 ()
      @Neemann:
      Nun, da hast Du mich falsch verstanden. Unter Konsequenz wird alles verstanden, was davon berührt wird.

      Wenn z. B. ein Baum gefällt wird, wäre es einem Utilitaristen egal, weil der Baum keine Empfindungen hat, ABER trotzdem wird ein Utilitarist dagegen sein, wenn viele Menschen deswegen traurig sind. Verstehst Du? So rechnen Utilitaristen ;)

      Deswegen zählen die Gefühle der Eltern so, weil sie ja auch mit am meisten davon betroffen. Ja Singer will ja gerade deshalb die Entscheidungsfreiheit stärken, WEIL sie am meisten betroffen sind (nicht z. B. der Staat).

      Eine Verteidigung, warum Neugeborene ein Recht auf Leben haben sollen, auch wenn sie noch kein intrinsisches Lebensrecht besitzen, findet sich in:
      Norbert Hoerster: "Neugeborene und das Recht auf Leben"

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 29.11.01 10:04:53
      Beitrag Nr. 32 ()
      Aha, dispy: Dein Zitat:
      Bei Singer zählt nur die KONSEQUENZ, und die ist, egal ob ich verhüte, abtreibe oder einen Säugling töte, diesselbe: Es entsteht keine Person.

      Und jetzt sagst du mir, Konsequenz sei alles, was davon berührt wird (so verstehe ich das Wort ja auch) - das ist nicht ganz das gleiche wie zumindest in deinem Zitat suggeriert wird, nicht wahr? ;)

      Und es bleibt mein Einwand #30 und davor: Berührt werden ggf. nicht nur unmittelbar die Eltern, sondern auch die gesellschaft. Auch das räumt Singer ja ein, wenn er auf Babys/Ratten angesprochen wird.
      Er räumt ein, dass es relevant ist, wenn andere in der Gesellschaft berührt werden; andererseits gilt das für Embryonen wieder nicht, obgleich man hier das selbe annehmen könnte.

      Ist mir zu schwammig, aber ich bin ja auch fachfremd ;)
      Avatar
      schrieb am 29.11.01 10:15:00
      Beitrag Nr. 33 ()
      @neemann:
      Weil ich erstere Konsequenz auf Singer bezogen habe, und die zweite auf die utilitaristische Anwendung.

      Ja, über die Gefährlichkeit des Utilitarismus haben schon viele geschrieben und sich gestritten, aber letztlich ist auch die Politik rein utilitarismus-bestimmt.

      Z. B. der Krieg in Afghanistan. Wären die Christen (vor allem die Amis wirklich der Meinung, dass (unschuldiges) menschliches Leben heilig ist, könnten sie nie einen Krieg führen (Zivilisten werden getötet).

      Aber da sie meinen (und wohl auch zurecht), dass die Konsequenzen besser sind, wenn sie einen führen, zählen diese unantastbaren Grundsätze nicht.

      So wird der Utilitarist doch immer wieder bestätigt. (Obwohl ich eigentlich auch keiner bin ;) )

      dipsy
      Avatar
      schrieb am 30.11.01 17:41:28
      Beitrag Nr. 34 ()
      Hey dipsy (zu #15ff), ist doch völlig klar, daß in der Diskussion, warum Menschen wegen Rasse, Geschlecht oder was auch immer nicht zu diskriminieren sind, von mir ganz andere Argumente kommen. Ich denke, du weißt das. Es war letztendlich der Versuch, sich auf deine/eure Argumentationslinie einzulassen.
      [Auch ist das Medium nicht geeignet, einen wirklich umfassenden Gedankenaustausch zu betreiben, so bleibt es meist bei kurzgebundenen Worten.]

      Du versuchst allerdings ständig Rassismus, Sexismus und "Speziesismus" auf eine Stufe zu stellen, um zur Konklusion zu kommen, alles das gleiche, also auch gleich verachtenswürdig. (In wenigen Worten/ Vgl. ehemalige Diskussion). Siehe auch #20

      ansonsten werde ich die Diskussion nicht zigfach führen.

      cu also, zu einem anderem Thema.

      wbb
      Avatar
      schrieb am 01.12.01 12:04:29
      Beitrag Nr. 35 ()
      @WBB: Da ich aber doch wenigstens will, dass du zumindestens weisst, was "Speziesismus" in Grundzügen ist, hier eine kleine Zusammenfassung von "Animal Liberation" (Ich danke dem Verfasser).



      Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere
      Peter Singer

      Vorbemerkung:
      Das Erscheinen Peter Singers „Animal Liberation“ (im Original 1975, in deutscher Übersetzung 1982 im Hirthammer-Verlag) hat eine heftige Debatte um den moralischen Status der Tiere entfacht.
      Die erste Ausgabe des Buches wurde weltweit etwa 500 000 mal verkauft.
      Die zweite, völlig überarbeitete Fassung, erschien im Original 1990, in deutscher Übersetzung 1996.
      Singers Theorie steht auf der Grundlage der großen Theorienfamilie des Konsequentialismus. Konsequentialisten beginnen nicht mit Regeln, sondern mit Zielen. Sie beurteilen Handlungen, nach dem Ausmaß, in dem sie diese Ziele fördern. Die bekannteste konsequentialistische Theorie ist der Utilitarismus.
      Der klassische Utilitarist betrachtet eine Handlung als richtig, wenn sie ebensoviel oder mehr Zuwachs an Glück für alle Betroffenen produziert als jede andere Handlung, und als falsch, wenn sie das nicht tut.


      Zusammenfassung von „Animal Liberation“:

      Inhaltsübersicht:
      1. Alle Tiere sind gleich
      oder warum das ethische Prinzip, auf dem die Gleichheit der Menschen beruht, von uns fordert, die gleiche Berücksichtigung auch auf Tiere auszudehnen
      2. Werkzeuge für die Forschung
      oder wozu Ihre Steuergelder auch verwendet werden
      3. In der Tierfabrik
      oder wie es Ihrem Abendessen erging, als es noch ein Tier war
      4. Die Entscheidung für eine vegetarische Lebensweise
      oder wie wir weniger Leid und mehr Nahrung erzeugen und zugleich den Schaden für die Umwelt verringern können.
      5. Die Herrschaft des Menschen
      Eine kurze Geschichte des Speziesismus
      6. Speziesismus heute
      Abwehr, Rationalisierungen und Einwände gegen die Befreiung der Tiere und die Fortschritte bei deren Überwindung


      Peter Singer versucht in „Animal Liberation“ nachzuweisen, dass der Kampf gegen Rassismus und Sexismus konsequenterweise auch zugunsten der Tiere weitergeführt werden müsse.

      Um diesen Schritt nachzuvollziehen zu können, erklärt Singer, aus welchen Gründen wir Rassismus und Sexismus ablehnen sollten.

      Beim Kampf gegen Sexismus könnte man argumentieren, dass Männer und Frauen ein sehr hohes Maß natürlicher Gleichheit besitzen. Singer gibt jedoch zu bedenken, dass es auch zwischen Männer und Frauen Unterschiede gibt, welche abweichende Rechte begründen können. So könnte das Recht auf Abtreibung zum Beispiel nur für Frauen sinnvoll sein.
      Diese Überlegung führt zu einem wichtigen Grundsatz:

      „Das Grundprinzip der Gleichheit fordert nämlich nicht gleiche oder identische Behandlung, sondern gleiche Berücksichtigung. Die gleiche Berücksichtigung unterschiedlicher Wesen kann aber auch zu unterschiedlicher Behandlung und zu unterschiedlichen Rechten führen.“

      Nach Singer ist es jedoch notwendig, Sexismus und Rassismus durch eine alternative Argumentationsstrategie als moralisch unhaltbar zu erweisen, die nicht auf das Maß der natürlichen Gleichheit abstellt. Eine solche Strategie enthält nämlich zwei gewichtige Schwierigkeiten:
       Jemand könnte sagen, die Interessen all der Menschen mit einem Intelligenzquotienten unter 100 sollten weniger berücksichtigt werden als die Interessen der mit einem Wert von über 100. Diese Ungleichbehandlung könnte durch die natürliche Ungleichheit gerechtfertigt werden.
       Wir können nicht mit absoluter Sicherheit wissen, dass geistige Anlagen und Fähigkeiten gleichmäßig unter allen Menschen verteilt sind, ohne Rücksicht auf Rasse und Geschlecht. Wer die Gleichstellung durch den Hinweis auf die gleichen natürlichen Fähigkeiten zu begründen versucht, müsste im Falle erwiesener Ungleichheiten konsequenterweise eine Abstufung der Berücksichtigung der Interessen akzeptieren.

      Aus diesen Überlegungen folgert Singer:
      „Gleichheit ist eine moralische Vorstellung und keine Tatsachenbehauptung.“
      „Das Prinzip der Gleichheit aller Menschen ist nicht die Beschreibung einer angenommenen tatsächlichen Gleichheit der anderen Menschen, sondern es ist eine Vorschrift, die uns sagt, wie wir andere Menschen behandeln sollen.“

      Welche Eigenschaft ist nun bei der Beantwortung der Frage ausschlaggebend, ob ein Wesen bei einer moralischen Beurteilung unsere Rücksicht verdient?
      Peter Singer zitiert hier die berühmte Passage von Jeremy Bentham von 1780, in der Sklavenhaltung in britischen Gebieten noch üblich war:

      „Der Tag wird kommen, an dem auch den übrigen lebenden Geschöpfen die Rechte gewährt werden, die man ihnen nur durch Tyrannei vorenthalten konnte. Die Franzosen haben bereits erkannt, daß die Schwärze der Haut kein Grund ist, einen Menschen schutzlos den Launen eines Peinigers auszuliefern. Eines Tages wird man erkennen, daß die Zahl der Beine, die Behaarung der Haut und die Endung des Kreuzbeins sämtlich unzureichende Gründe sind, ein empfindendes Lebewesen dem gleichen Schicksal zu überlassen. Aber welches andere Merkmal könnte die unüberwindliche Grenzlinie sein? Ist es die Fähigkeit zu denken oder vielleicht die Fähigkeit zu sprechen? Doch ein erwachsenes Pferd oder ein erwachsener Hund sind weitaus verständiger und mitteilsamer als ein Kind, das einen Tag, eine Woche oder sogar einen Monat alt ist? Doch selbst, wenn es nicht so wäre, was würde das ändern?
      Die Frage ist nicht: Können sie denken? oder: Können sie sprechen?, sondern:
      Können sie leiden?“

      Leidensfähigkeit ist demnach für Singer die notwendige und gleichzeitig hinreichende Eigenschaft, die ein Wesen erfüllen muss, um direkte moralische Berücksichtigung zu verdienen:
      „Die Fähigkeit zu Leiden und Freude ist eine Vorbedingung, um überhaupt Interessen haben zu können, eine Bedingung, die erfüllt sein muß, damit wir überhaupt sinnvoll von Interessen sprechen können.“

      Wenn ein Wesen leidet, kann es für Singer keine moralische Rechtfertigung dafür geben, dieses Leiden nicht zu berücksichtigen. Die Grenze des Empfindungsvermögens ist die einzig vertretbare Grenze, die wir hinsichtlich der Berücksichtigung der Interessen anderer ziehen können.
      Die Rassisten verletzen das Prinzip der Gleichheit, indem sie in Interessenskonflikten zwischen Mitgliedern der eigenen und einer anderen Rasse die Interessen der Mitglieder ihrer eigenen Rasse stärker gewichten. Sexisten verletzen das Prinzip der Gleichheit, indem sie die Interessen des eigenen Geschlechts bevorzugen. Und genauso räumen Speziesisten (in Anlehnung an Rassismus verwendet Singer das Wort „Speziesismus“) den Interessen der eigenen Spezies Vorrang ein vor den stärkeren Interessen von Mitgliedern anderer Spezies. Das Muster ist in jedem dieser Fälle dasselbe.

      Entgegen verschiedenen ökologischen Ansätzen gesteht Singer Flüssen, Landschaften, Kunstwerken und empfindungsunfähigen Lebewesen keinen moralischen Stellenwert zu. Dies bedeutet nicht, dass er etwa die Zerstörung einer Landschaft als moralisch irrelevant einstuft. Unmoralisch ist diese Zerstörung aber nur, weil die Auswirkungen auf die empfindungsfähigen Lebewesen unmoralisch sind, etwa weil den dort lebenden Tieren die Existenzgrundlage entzogen wird.

      Drei Aspekte der Anwendung des Prinzips der gleichen Interessenserwägung werden von Singer erläutert:
       Wenn Wesen unterschiedliche Eigenschaften haben, kann eine unterschiedliche Behandlung legitim sein.
       Die höheren geistigen Fähigkeiten des Menschen können einen gleichen Schaden für den Menschen subjektiv schlimmer gestalten. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Mensch aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten – etwa der Voraussicht eines schlimmen Übels – zusätzlich leidet. Allerdings sind auch Situationen denkbar, welche das Leiden eines Tieres subjektiv schlimmer erscheinen lassen.
       Auch wenn es nicht möglich ist, Empfindungen intersubjektiv zu vergleichen besteht er auf die Möglichkeit grober Vergleiche.

      Singer vertritt die Ansicht, dass das Prinzip der gleichen Interessensabwägung eine ausreichende Basis dafür bilde, alle verbreiteten Missbräuche der Tiere als solche zu identifizieren und anzuprangern.

      Die Frage nach dem Unrecht der Tötung erscheint ihm komplizierter.
      Dies liegt schon daran, dass es selbst unter den Menschen umstritten ist, wann eine Tötung eines Menschen gerechtfertigt sein kann, wie die anhaltenden Debatten über Abtreibung und Euthanasie zeigen. Singer diskutiert die Theorie, nach der es immer falsch sei, ein unschuldiges menschliches Leben zu zerstören, eine Ansicht, die er als Theorie der „Heiligkeit des menschlichen Lebens“ bezeichnet. Wenn wir diese These aus ihrer religiösen Verkleidung herauslösen ist ihr Kern für Singer Ausdruck blanken Speziesismus`.
      Er fragt, wieso das Leben eines schwer hirngeschädigten Kindes wertvoller sei als dasjenige eines Hundes, eines Schimpansen oder eines Schweines, also Tiere, welche in jeder Beziehung über komplexere und reichere Fähigkeiten verfügen.

      Als Antwort bleibt nur der Hinweis, dass das Kind Mitglied der Gattung homo sapiens sei. Dieser Punkt stellt für Singer eine moralisch nicht vertretbare Parteilichkeit dar.
      Singer fordert nicht, dass wir die Tötung eines Hundes gleich bewerten wie die Tötung eines Menschen, aber er behauptet, es sei sicher falsch und speziesistisch, die Grenze eines Tötungsverbots genau der Speziesgrenze entlang zu ziehen.

      In der „Praktischen Ethik“ (nicht in „Animal Liberation) führt Singer ausführlich aus, welche Lebewesen seiner Meinung nach ein „Recht auf Leben“ beanspruchen können. Diese bezeichnet er als „Personen“. Unter „Person“ versteht in Singer in Anlehnung an den Philosophen John Locke „ein denkendes intelligentes Wesen, das Vernunft und Reflexion besitzt und sich als sich selbst denken kann, als das selbende denkende Seiende in verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten.“
      Der Begriff der Person ist für Singer „speziesneutral“. So könnte es Tiere geben, welche die Merkmale einer Person erfüllen, und Menschen, welche keine Personen sind.

      Für die Frage des Vegetarismus ist es aber für Singer auch gar nicht nötig, ein „Recht auf Leben“ für alle empfindungsfähigen Lebewesen zu postulieren. Allein das Prinzip der gleichen Interessensabwägung (z. B. das Leiden der Tiere, der ökologische Schaden für die Menschen) reicht für Singer aus, für den Vegetarismus zu plädieren.



      Schwierigkeiten und Kritik an Singers Position:

      - Singer hält sich in konkreten Entscheidungen nicht strikt am Prinzip der gleichen Interessenserwägung. So hält er es beispielsweise für legitim, dass der Mensch nicht nur seine Gesundheit und Existenz, sondern auch die Qualität seines Lebens (z. B. durch Gefährdung des Wohnraums) verteidigen darf.

      Diese Einschränkung ist zwar pragmatisch sinnvoll, um eine Überforderung der „moralischen Leistungsfähigkeit“ des Menschen zu verhindern. Eine klare Teilung zwischen dem, was aus moralischer Sicht sein soll und dem, was möglich ist, wird aber von Singer nicht vorgenommen.

      - Nichtpersonen werden von Singer vom Standpunkt des idealen moralischen Beobachters aus wie Gefäße für angenehme und unangenehme Gefühle aufgefasst. So wäre unter Umständen für Singer wohl Tierzucht gerechtfertigt, wenn die angenehmen den unangenehmen Gefühlen überwiegen würden. Es ist aber keineswegs evident, dass das Verspüren eines Interesses ein notwendiges Merkmal ist für seine Anerkennung. So könnte man fragen, ob es wirklich unsinnig ist, das Leben eines Kalbes in Freiheit, selbst angesichts des Konflikts mit den Naturkräften, mitsamt den Gefahren und Ängsten als ein reicheres und wertvolleres Dasein zu bezeichnen als das Vegetieren des Kalbes im Stall – selbst wenn dieses sich behaglicher fühlen mag.

      - Singer zieht aus der Tatsache, dass ein Wesen nicht die komplexen geistigen Eigenschaften einer Person aufweist, den fehlerhaften Schluss, diese Wesen hätten überhaupt keine Eigenschaften und geistige Fähigkeiten, die sich nicht hedonistisch reduzieren ließen.

      - Bei der moralischen Beurteilung der Tötung möchte Singer einen objektiven Maßstab anwenden, demzufolge komplexere Lebewesen mehr Wert zukommen soll; entsprechend gilt ihre Tötung als gravierenderes Unrecht. Singer fragt sich aber, ob die Tötung eines bloß bewussten Wesens überhaupt ein Unrecht darstellt.
      Das Eigentümliche, ja Bizarre an Singers Gedankengang tritt in folgender Passage zu Tage: „Diese Art von Wesen ist in gewissem Sinn ‚unpersönlich‘. Vielleicht tut man ihm daher kein persönliches Unrecht, wenn man es tötet, obwohl man die Glücksmenge im Universum verringert. Aber dieses Unrecht, wenn es denn eines ist, kann dadurch ausgeglichen werden, dass man ähnliche Wesen in die Welt setzt, die ein ebenso glückliches Leben haben werden.“

      Diese Passage enthält einen gravierenden logischen Denkfehler, denn entweder stellt die Tötung gar kein Unrecht dar, dann entfällt auch die Notwendigkeit, ein solches auszugleichen oder es ist ein Unrecht, dann ist es schwer einzusehen, wieso es dadurch legitmiert wird, dass anderen Wesen zur Existenz verholfen wird.


      Einige Auszüge (vor allem bei den Kritikpunkten) orientieren sich an:
      Andreas Flury
      Der moralische Status der Tiere: Henry Salt, Peter Singer und Tom Regan
      1999: Alber



      In deutscher Übersetzung erschienene Bücher von oder mit Peter Singer:

      Empfehlungen:

       Peter Singer
      „Animal Liberation – Die Befreiung der Tiere“
      1996: Rohwohlt-Verlag

       Peter Singer / Paola Cavalieri (Hg.)
      „Menschenrechte für die Großen Menschenaffen! – Das Great Ape Projekt“
      1996: Goldmann

       Peter Singer
      „Wie sollen wir leben? Ethik in einer egoistischen Zeit“
      1996: Harald Fischer Verlag
      (auch als Taschenbuch im dtv-Verlag erschienen)

       Peter Singer
      „Leben und Tod – Der Zusammenbruch der traditionellen Ethik“
      1998: Harald Fischer Verlag

      Weiter Bücher:

      Peter Singer: „Praktische Ethik“ 1994: Reclam /// Peter Singer / Helga Kuhse: „Individuen, Menschen, Personen – Fragen des Lebens und Sterbens“ 1999: Academia Verlag ///
      Peter Singer / Helga Kuhse: „Muß dieses Kind am Leben bleiben? Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener“ 1993: Harald Fischer Verlag /// Peter Singer (Hg.):
      „Verteidigt die Tiere – Überlegungen für eine neue Menschlichkeit“ 1988: Ullstein


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