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    Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten . for YOU! - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 26.05.02 13:58:03 von
    neuester Beitrag 13.07.02 00:07:21 von
    Beiträge: 45
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      schrieb am 26.05.02 13:58:03
      Beitrag Nr. 1 ()
      Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten

      Zwei Briefe Goethes an Charlotte vom Stein galten bis heute als verschollen: Jetzt sind sie wieder aufgetaucht.


      Was für ein Schatten! Goethe ist begeistert. Der Schweizer Modearzt und Popularphilosoph Johann Georg Zimmermann hatte dem Frankfurter Dichter wie nebenbei den Schattenriß der Weimarer Hofdame Charlotte von Stein gezeigt. Ein Frauenkopf, die Haare hochgebunden, die Augen nach unten gesenkt, kleiner Mund und schmaler Hals, scheinbar unauffällig. Ein Schatten wie viele andere. Das fand Goethe nicht. Er schickte den Schattenriß kurz darauf an seinen Freund, den für seine physiognomischen Studien hochgerühmten Theologen und Schattensammler Johann Caspar Lavater, samt einer ersten Charakteristik: "Festigkeit" will Goethe in dem kleinen schwarzen Bild erkannt haben und "treubleibend", "Behagen in sich selbst", "selbstfliesende Rede", "Wohlwollen" und schließlich: "Siegt mit Nezzen". Vieles daran sollte sich später als wahr erweisen. Lavaters Behauptung, ein Schattenriß zeige das wahrste und getreueste Bild, daß man sich von einem Menschen machen kann, scheint mit dieser Charakteristik Goethes, eine Bestätigung zu finden.


      Was für ein Buch! Frau von Stein liest "Die Leiden des jungen Werthers" und ist erschüttert. Ist das nicht gefährlich? Schreibt Sie fragend an Ihren Bekannten Johann Georg Zimmermann. Schließlich, so habe sie, die Ehefrau des herzoglichen Stallmeisters Baron Friedrich von Stein, gehört, beruhe all dies, die tragische Passion des jungen Liebenden zu jener verheirateten Frau, auf einer wahren Begebenheit. Ist das nicht bedenklich? Und schließlich: Wer ist dieser Goethe? Zimmermann, dessen vierbändiges Werk über die Einsamkeit damals weit verbreitet war, schickt ihr einen Schatten Goethes, einen von Werthers Lotte, einen von Frau von Stein selbst und schreibt dazu: "Arme Freundin, Sie bedenken es nicht. Sie wünschen, ihn zu sehen, und Sie wissen nicht, bis zu welchem Punkt dieser liebenswürdige und bezaubernde Mann Ihnen gefährlich werden könnte." Von einer Frau von Welt, so schreibt er, habe er gehört, Goethe sei "der schönste, lebhafteste, ursprünglichste, feurigste, stürmischste, sanfteste, verführerischste und für ein Frauenherz gefährlichste Mann, den sie in ihrem Leben gesehen habe."


      Das schreibt Zimmermann im Januar 1775. Am 7. November des selben Jahres trifft Goethe in Weimar ein. Vier Tage später begegnet er zum ersten Mal Charlotte von Stein. Zwei Monate später schreibt er ihr: "Und wie ich Ihnen meine Liebe nicht sagen kann, kann ich Ihnen auch meine Freude nicht sagen."


      Er wird sie sagen können, seine Liebe. Später. Er wird sie tausendfach sagen können. In tausend Variationen, Andeutungen, Umschreibungen. Er wird sie sagen können, wie wohl kein Dichter nach ihm seine Liebe gesagt und geschrieben hat. So wie auch Goethe nie mehr von einer Liebe sprechen und schreiben wird. Es ist der Beginn einer der größten Liebesgeschichte aller Zeiten. Der größten Liebesgeschichte in Briefen, die wir kennen. Einer Liebe, die nie Wirklichkeit wurde, einer Liebe als Beschwörung, als Sprachliebe, als Briefliebe, als Schattenliebe. Eine Liebe in Worten. Eine Andeutungsliebe, die sich zu höchster, fast krankhafter Intensität steigern sollte und die dann, nach fast elf Jahren, mit Goethes Italien-Flucht so jäh zu Ende ging.


      Leider kennen wir nur die eine Hälfte. Charlotte von Stein hat nach Goethes wortloser Flucht ihre Briefe zurückgefordert, fast vierzig Jahre aufgehoben und kurz vor ihrem Tode alle verbrannt. Seine Briefe hob sie auf. 1770 Briefe aus fast elf Jahren. 1893 gingen alle an das Weimarer Goethe-und-Schiller-Archiv. Alle bis auf sechs. Die galten als verloren, bis vier von ihnen in den sechziger Jahren in einem versteckten Winkel des Nachlasses noch gefunden wurden. Sie wurden versteigert und gingen damals - Weimar konnte da nicht mithalten - an das Goethe-Museum in Düsseldorf. Fehlten noch zwei. Die sind jetzt, in einem offenbar noch versteckteren Winkel jenes sogenannten "Großkochberger Nachlasses" der Familie Stein (mehr ist nicht zu erfahren) gefunden worden und werden in zwei Wochen in Berlin versteigert.


      Sie sind der Schlußstein einer perfekt kartografierten Liebe. Die letzten Dokumente einer jetzt lückenlos dokumentierten Besessenheit. Es sind nur kleine Billetts, die gefunden wurden. Zettelchen, von denen manchmal vier, fünf Stück am Tag von Haus zu Haus gesendet wurden und von denen Goethe schon im ersten Monat ihres Schreibens scherzhaft fürchtete: "Es wird eine Billetts Kranckheit geben, wenn`s so von Morgen zur Nacht fortgeht." Billetts = Vorläufer der SMS ? Doch in diesen Billetts verbirgt sich das ganze Geheimnis, der ganze Zauber dieser Liebe in Briefen. In diesen Zetteln hat Goethe zu einer Unmittelbarkeit des Stils gefunden wie sonst nirgendwo in seinem Werk. Es sind schriftliche Gespräche, Monologe meist. Alltagsbeschreibungen, wie man sie sonst kaum kennt. Häusliche Ehegespräche eines Paares, das nicht zusammen leben konnte.


      Goethe liebt, Goethe beschwört, Goethe fordert ( "Liebe mich!" "Liebe mich und schreib es mir!" verlangt er sicher hundert mal) und Goethe klagt. Immer wieder klagt er. Er klagt ein Zusammensein ein, von dem er weiß, daß es nicht möglich ist. Ja, von dem er sogar weiß, daß genau jene Unmöglichkeit die Liebe, die sich immer weiter steigernde Liebe erst möglich macht. Ihm, dem Eheverächter, dem Liebesverpflichtungshasser, der schon an Charlottes Schatten die Charaktereigenschaften "treubleibend" und "Festigkeit" erkannt und geschätzt hatte, noch bevor er sie kannte und der deshalb weiß, daß für ihn kein Zusammensein mit Charlotte möglich sein wird. Diese Sehnsucht nach dem Unmöglichen ist Motor seiner Leidenschaft. Und immer wieder Grund zur Klage.


      So auch in den beiden jetzt aufgefundenen Billetts, das vermutlich vom Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre stammt. Ein Handschuh kehrt zu ihm zurück. "In Friede" wie es heißt. Welcher Handschuh? Warum kehrt er zurück? Ist es jener Handschuh, den er bei seiner Aufnahme in die Freimaurerloge erhalten hatte und den er an die wichtigste Frau in seinem Leben weitergeben mußte und den er - natürlich - an Frau von Stein weitergegeben hatte? Der hat nun ausgedient und kehrt zu ihm zurück? Goethe-Biograph Nicholas Boyle ist da skeptisch: "Ich glaube nicht. Es wird einfach ein Handschuh sein. Goethe hat häufig, wenn er Charlotte zu Hause nicht antraf, ein Zeichen für sein vergebliches Kommen hinterlassen. Als Vorwurf vielleicht, vielleicht nur als Erinnerung. Sie war nicht da. Er kam in schlechte Stimmung." Oder wie Goethe schreibt: "Es beherrschten mich nicht freundlichsten Geister."


      Die beherrschen ihn auch beim Schreiben des zweiten Billetts in keiner Weise. Charlotte hatte ihm "Pfirschen" geschickt, er sandte Birnen zurück. Der Austausch von Symbolen, von praktischen Haushaltsdingen oder Speisen war üblich zwischen den beiden. Es war eine Art Hausgemeinschaftssimulation. Sie konnten nicht zusammen leben, da diente der immer wieder neu mit Briefen, Birnen, Scheren, Schüsseln beladene Bote als Scheinehengehilfe. Eine Blume, die Goethe an diesem Morgen pflücken wollte, hat er allerdings umsonst gesucht. Es gibt keine. Der Garten ist verdorrt. Goethe ist traurig, einsam, deprimiert. "Ich habe nirgends hnzugehn, wenn du mir fehlst", schreibt er und schließt: "Viel Freude mit den deinigen." Goethe bleibt allein.


      Die Einsamkeit, die Goethe zuvor immer gesucht hatte, wird ihm mit der Zeit mehr und mehr zur Last. Die Gebundenheit von Charlotte, die einst Antrieb seiner Leidenschaft gewesen ist, quält ihn auf Dauer. Er nennt sich "ehemännischer Liebhaber", behauptet "wir sind wohl verheurathet" und fordert sogar: "Ich wollte, daß es irgend ein Gelübde oder Sakrament gäbe, das mich dir auch sichtlich und gesezlich zu eigen mache, wie werth sollte es mir seyn." Na ja. Ein solches Gelübde oder Sakrament ist durchaus vorgesehen. Es heißt Ehe und Goethe hatte stets erklärt, nichts so sehr zu fliehen und zu fürchten wie eben diese. Jetzt, seit März 1781, als er dies schreibt, ist das anders. Das jetzt gefundene Billet ist, da er Charlotte hier mit Du anspricht, was sie ihm vor jenem März immer wieder streng untersagt hatte, aus der Zeit danach. Herbst 81 vermutlich. Es ist noch kein Abschiedsbrief, noch keine Ankündigung des Endes dieser Liebe. Die größte Intensität, das flehenste Sehnen Goethes sollte erst noch kommen. Eine Liebe, die ihn über einen langen Zeitraum fast alle sozialen Kontakte in Weimar vergessen ließ. Eine Zeit, über die Helmut Koopmann in seinem jüngst erschienen Buch jener Liebe ( "Goethe und Frau von Stein: Geschichte ienr Liebe. Beck Verlag. 2002. 280 Seiten...z) schreibt: "In der Tat: das ist Liebeswahnsinn und Goethe weiß es." Aber die Gründe für den kommenden Abschied, die sind in diesen beiden Billetts schon zu finden. Elf Jahre einen Traum zu leben, ist nicht leicht und muß irgendwann zum Ausbruch führen.


      In der Nacht des 3. September 1786 verläßt Goethe Karlsbad in Richtung Italien. Er hat niemandem etwas gesagt. Auch Charlotte von Stein nicht. Es ist eine Flucht. Vom Brenner aus, so schreibt er, sieht er noch einmal nach ihr zurück. Dann sendet er ihr Briefe und Tagebücher, die so unpersönlich sind, daß er Sie bittet, diese in die Sie-Form zu transferieren und für eine Veröffentlichung vorzubereiten. Er schickt ihr Caffee, den er selbst verabscheut, informiert sie über die hohen Kosten und bittet, Sie möge etwas an die Herders und die Familie des Herzogs auch abgeben, sendet weiter Liebesgrüße, die zu bedeutungslosen Floskeln verkommen sind. Ihr Wiedersehen nach fast zwei Jahren ist eiskalt. Die Liebe ist vorbei. Sie haben sich nichts mehr zu sagen. Nichts mehr zu schreiben. Charlotte von Stein, die liebe Cometenbewohnerin, wie er sie einst genannt hatte, spricht nur noch vom bemitleidenswerthen dicken Herrn Geheimrath und schreibt nur einmal noch an eine Freundin, sie habe "von diesem ausgelöschten Stern geträumt". Und Goethe schreibt in den Xenien: "Ja, ich liebte dich einst, dich wie ich noch keine liebte / Aber wir fanden uns nicht, finden uns ewig nicht mehr."


      Als Charlotte von Stein am 6. Januar 1927 stirbt, war ihre letzte Bitte, ihren Sarg nicht an Goethes Haus vorbeizutragen, wo der vorgeschrioeben Weg verlief. Er haßte den Tod. Sie wußte das. Doch der Leichenzug ging doch an seinem Haus vorbei. Goethe hat nirgends davon berichtet. Er war längst auf einem andren Planeten. Und auch in seinem 1000 seitigen Lebenserinunergsbuch Dichtung un Wahrheit ist Charlotte von Stein mit keinem Wort erwähnt. :eek:
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:07:33
      Beitrag Nr. 2 ()
      was soll ich sagen? :confused:


      Ich hoffe es ist noch nicht krankhaft,
      obwohl ich schon zwei Mal in einer solchen Situation war...



      deswegen muß ich daraus ausbrechen...
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:10:47
      Beitrag Nr. 3 ()
      Solange es nicht elf Jahre dauert, jedesmal ...
      Elf Jahre einen Traum zu leben, ist nicht leicht und muß irgendwann zum Ausbruch führen.
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:12:32
      Beitrag Nr. 4 ()
      nein...


      aber doch prädestiniert...


      woran es liegt? :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:14:25
      Beitrag Nr. 5 ()
      Es liegt an der Liebe zur Virtualität. Das war doch virtuell mit der Frau Stein. Ist einfach billiger :laugh:

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      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:16:46
      Beitrag Nr. 6 ()
      :laugh:


      Ich denke eher:

      total verrannt! ;)







      Schön das Weltliteratur immer Weltliteratur bleiben wird,
      weil sich einige Motive nie verändern! :mad::D
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:18:34
      Beitrag Nr. 7 ()
      meinst die Billetts ?
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:21:20
      Beitrag Nr. 8 ()
      nein alles!

      was bin ich froh das sie kein Handy hat-
      obwohl ich habe mich schon darüber beklagt! :D
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:28:21
      Beitrag Nr. 9 ()
      da bin ich aber auch froh, dass sie kein Handy hat :laugh: Würde mir echt Sorgen machen. Stell dir vor, ihr Mann fragt sie beim Essen: Liebling, du bist so schweigsam, woran denkst du?
      Das Handy klingelt...
      Sittin ruft an: Liebling, ich verzehr mich nach dir...

      Ich denke, sie würde verhungern.
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:33:34
      Beitrag Nr. 10 ()
      wenn du wüßtest wie sehr das hinkommt!

      anrufen tue ich ja schon oft genug,
      sie redet sonst nicht viel in der Woche...


      Immerhin hat sie mich unlängst auch häufiger angerufen,
      aber trotzdem...
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:40:50
      Beitrag Nr. 11 ()
      Was meinst du, soll ich ihr meinen Laptop schenken? Sie könnte hier mitschreiben, und wir müssten uns nicht mehr um dich kümmern :laugh:
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:48:00
      Beitrag Nr. 12 ()
      Bloß nicht! :laugh:


      dann könntest du mal erleben, zu was ich fähig wäre...

      ich kleiner Ersatz-Goethe! :D



      morgain war dagegen ja nur ein netter Flirt,
      und selbst der hat mit 20 Stunden ans Netz gefesselt! ;)


      Obwohl sie will wirklich ins I-Net,
      vor allem wegen Nachforschungen über Geschichte...


      allerdings fürchte ich eine ähnliche dekadente Entwicklung wie bei uns,
      allein aus ihrer Situation begründet...


      :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:54:34
      Beitrag Nr. 13 ()
      Ersatz-Goethe :laugh:

      warum nicht, es gab jetzt lange kein Liebespaar mehr hier `g`


      Statt

      Legend und Fröschlein

      Ersatz-Goethe und Stief-Stein
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 14:58:04
      Beitrag Nr. 14 ()
      Wanderers Nachtlied
      Der du von dem Himmel bist,
      Alles Leid und Schmerzen stillest,
      Den der doppelt elend ist,
      Doppelt mit Erquickung füllest;
      Ach,ich bin des Treibens müde!
      Was soll all der Schmerz und Lust?
      Süßer Friede,
      Komm,ach komm in meine Brust!
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 15:03:31
      Beitrag Nr. 15 ()
      so ich muß jetzt wirklich los! :D:D:D
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 15:04:29
      Beitrag Nr. 16 ()
      Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

      [An Charlotte v. Stein]

      Ach, wie bist du mir,
      Wie bin ich dir geblieben!
      Nein, an der Wahrheit
      Verzweifl ich nicht mehr.
      Ach, wenn du da bist,
      Fühl ich, ich soll dich nicht lieben;
      Ach, wenn du fern bist,
      Fühl ich, ich lieb dich so sehr.
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 15:48:36
      Beitrag Nr. 17 ()
      Charlotte wußte, warum sie ihre Briefe verbrannte-

      hätten sie doch gezeigt, dass sie Goethe niemals entmunterten,
      sie weiter zu lieben...


      Ich will kein zweiter Goethe werden! :D
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 15:53:31
      Beitrag Nr. 18 ()
      Das glaub ich nicht, dass die Stein ihn nicht ermunterte.

      Mach dir aber keine Sorgen, ein zweiter Goethe wird man nicht SO schnell :laugh:


      Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

      [An Charlotte v. Stein]

      Gewiß, ich wäre schon so ferne, ferne,
      So weit die Welt nur offen liegt, gegangen,
      Bezwängen mich nicht übermächtge Sterne,
      Die mein Geschick an deines angehangen,
      Daß ich in dir nun erst mich kennen lerne.
      Mein Dichten, Trachten, Hoffen und Verlangen
      Allein nach dir und deinem Wesen drängt,
      Mein Leben nur an deinem eben hängt.
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 15:58:15
      Beitrag Nr. 19 ()
      wir haben uns denn verstanden miß
      und meinten doch das gleiche!


      Na da bin ja beruhigt!
      Goethe ist mir oftmals zu geschwollen! ;)



      Nichstdestoweniger ist die gute Charlotte
      für Goethes Werden mitverantwortlich...


      übrigens schau dir mal Nietsche an, der hat aus seiner Unmöglichkeit,
      eine Liebe zu finden, einen gewaltigen Hass auf alle Frauen entwickelt...
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 16:00:51
      Beitrag Nr. 20 ()
      Bei Nietzsche ist`s wie mit dem Huhn und dem Ei: was war zuerst da? Der Hass oder die Unfähigkeit eine Liebe zu finden?

      Lies mal den Ersatz-Goethe:


      Gewiß, ich wäre schon so ferne, ferne,

      So weit die Welt nur offen liegt, gegangen,

      Bezwängen mich nicht übermächtge Sterne,

      Die mein Geschick an diesen Laptop hangen,

      Daß ich in ihm nun erst mich kennen lerne.

      Mein Dichten, Posten, Hoffen und Verlangen

      Allein nach ihm und Wallstreet-Online drängt,

      Mein Leben nur an diesen eben hängt.
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 16:03:33
      Beitrag Nr. 21 ()
      Für jede Situation, in der man etwas nicht aufgeben kann/möchte

      würde das passen!


      aber ich verstehe das, dich betreffend!
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 16:05:01
      Beitrag Nr. 22 ()
      das kommt mir auch irgendwie bekannt vor:

      Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

      ABSCHIED

      Zu lieblich ists, ein Wort zu brechen,
      Zu schwer die wohlerkannte Pflicht,
      Und leider kann man nichts versprechen,
      Was unserm Herzen widerspricht.

      Du übst die alten Zauberlieder,
      Du lockst ihn, der kaum ruhig war,
      Zum Schaukelkahn der süßen Torheit wieder,
      Erneust, verdoppelst die Gefahr.

      Was suchst du mir dich zu verstecken!
      Sei offen, flieh nicht meinen Blick!
      Früh oder spät mußt ichs entdecken,
      Und hier hast du dein Wort zurück.

      Was ich gesollt, hab ich vollendet,
      Durch mich sei dir von nun an nichts verwehrt;
      Allein verzeih dem Freund, der sich nun von dir wendet
      Und still in sich zurücke kehrt.
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 16:08:10
      Beitrag Nr. 23 ()
      :cry::cry::cry:
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 16:13:11
      Beitrag Nr. 24 ()
      nicht weinen, hier spricht der Ersatz-Goethe :laugh:

      ABSCHIED

      Zu lieblich ists, an Board zu schreiben,

      Zu schwer die wohlerkannte Pflicht,

      Und leider kann man nichts versprechen,

      Was seinem Herzen widerspricht.


      Es übt die alten Zauberlieder,

      Es lockt mich, der kaum ruhig war,

      Zum ID-Spiel, der Torheit wieder,

      Erneut, verdoppelt die Gefahr.


      Was suchst ich nur mich zu verstecken!

      Sei offen, nicht den Blick verwehrt!

      Früh oder spät werden‘s entdecken,

      Und dann bist du im Nu gespeert.


      Was ich gesollt, hab ich vollendet,

      Durch mich sei euch nichts mehr verwehrt;

      Allein verzeiht dem Nick, dem bösen,

      Der still in sich zurücke kehrt. :laugh:
      Avatar
      schrieb am 26.05.02 16:42:30
      Beitrag Nr. 25 ()
      so, gleich gehts los :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 19:50:51
      Beitrag Nr. 26 ()
      *
      Auf der Rückfahrt von einer Reise in die Schweiz, die seinen Seelenzustand heben sollte (Liebesgeschichte Lili Schönemann) zeigt ihm in Straßburg der Arzt J.G. Zimmermann des Schattenriß einer Frau Charlotte vom Stein in Weimar.
      Goethe schreibt unter die Silhouette „es wäre ein herrliches Schauspiel zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht die Welt, wie sie ist und doch durchs Medium der Liebe. So ist auch Sanftheit der allgemeine Eindruck.“
      Zimmermann konnte nicht ahnen, welches Spiel das Schicksal hier beginnt und er mag im Gespräch mit G. das Bild der Frau vom Stein durch eine genauere Schilderung ergänzen, wie er es an Lavater getan hat: sie habe überaus große schwarze Augen von der höchsten Schönheit. Ihre Stimme sei sanft und bedrückt. Ernst, Sanftmut, Gefälligkeit, leitende Tugend und feine tiefgründige Empfindsamkeit sehe jeder Mann beim ersten Anblick auf ihr Gesicht. Sie habe schwache Nerven und viele Kinder, ihr Wangen seien sehr rot, ihr Haar ganz schwarz, ihre Haut italienisch wie ihre Augen, der Körper mager und ihr ganzes Wesen elegant.

      So spiegelte sich diese Frau in der Vorstellung und Begegnung der Männer, diese Frau, die in die Weltliteratur eingehen sollte wie nur noch Dantes Beatrice und Leonardos MonaLisa.
      ...
      Im Oktober 1774 kommt das jungverheiratete Herzogpaar von Sachsen-Weimar auf der Heimreise von der Hochzeit über Frankfurt und ladet Goethe ein, nach Weimar zu kommen. Der Kammerjunker von Kalb soll ihn abholen; aber diese Ankunft verzögert sich. Goethes Vater sieht sein Mißtrauen gegen fürstliche Versprechungen bestätigt und ermuntert den Sohn nach Italien zu reisen. In Heidelberg ... holt ihn Herr Von Kalb ein. Er kehrt mit ihm um, reist mit ihm nach Weimar, wo er am 7. November 1774 morgens um 5 Uhr eintrifft. Ein kurzer Besuch sollte es werden, und es wurde ein Aufenthalt von – siebenundfünfzig Jahren.
      ...
      ...
      Dies tätige Leben als Minister seines Herzogs hätte er nicht führen können, wenn er nicht aus der ihm eingeborenen Unruhe zu Maß und zur Selbsteinkehr geführt worden wäre.

      Die ihn aber hierzu geführt hat, war die große Liebe zu Frau vom Stein, die die einzige Frau in dem großen Kreis der Frauen seiner Neigungen gewesen ist,
      die ihm mehr gegeben hat als er ihr geben konnte.
      ...
      Überall greift er ein, für Frau vom Stein richtet er eine Wohnung in der Seifengasse ein, die von seinem seit 1782 von ihm bewohnten und ihm vom Herzog (Carl August) geschenkten Haus am Frauenplan zu dem Steinschen Haus am Parkrande führt.
      ...
      Mitte der achtziger Jahre: Viele Umstände haben zu diesem Entschluß beigetragen, sich einmal eine Zeit von Weimar zu trennen....auch das Verhältnis zu Frau vom Stein lockerte sich. Die Seelenehe litt in gegenseitigem Werben, Fordern, Quälen und Belasten.

      Goethe hat viele Reisen unternommen, aber keine Reise hat G. so beglückt und zugleich verwandelt wie die italienische Reise ... „Freut euch mit mir, daß ich glücklich bin, ja, ich kann wohl sagen, ich war es nie in dem Maße"“(Rom 1787)

      Charlotte Freifrau vom Stein stirbt 1827.

      ...

      Edel sei der Mensch,
      hilfreich und gut,
      denn das allein
      unterscheidet ihn
      von allen Wesen, die wir kennen.
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 20:47:10
      Beitrag Nr. 27 ()
      :cry:

      Werther, ein junger geistvoller, empfindsamer Mann, über dessen Herkunft und Beruf der Text keine näheren Angaben macht,
      weilt in einer kleinen Stadt, um eine Erbschaft für seine Mutter zu ordnen. Er will sich zugleich befreien von der Erinnerung an
      ein Mädchen, dessen Empfindungen er halb unbewußt genährt hatte, ohne sie zu erwidern, und er gibt sich nun mit ganzer Seele
      der unaussprechlichen Schönheit der Natur hin, die er in einsamen Wanderungen durch die Wälder, Wiesen und Dörfer der
      Umgebung erlebt. In Begegnungen mit dem einfachen Volk erschließt sich ihm der Reiz dieser kleinen Welt mit ihren naturhaften
      Verhältnissen und Sitten, und besonders die Kinder sind bald seine Freunde. Sein ständiger Begleiter ist ein Band Homer, und
      in seinem Skizzenbuch hält er Bilder dieses stillen, idyllischen Lebens fest. All dies erfährt der Leser durch die Berichte, die er in
      seinen z.T. schwärmerischen Briefen an seinen Freund Wilhelm in der Zeit vom 4.5.1771 bis 23.12.1772 schildert. Auf einem
      ländlichen Ball lernt er Lotte, die Tochter des Amtmannes, kennen und ist sogleich von ihrem Wesen gefangengenommen. In
      der folgenden Zeit benutzt er jede Gelegenheit, sie aufzusuchen und ihr kleine Liebesdienste zu erweisen; er sieht sie im Kreise
      ihrer sechs jüngeren Geschwister, denen sie liebevoll die tote Mutter ersetzt. Sie gestattet ihm, sie auf ihren Spaziergängen und
      Besuchen zu begleiten. Bei dem kranken Pfarrer und der sterbenden Freundin fühlt er besonders stark die Liebe, die sie auf
      ihre Umgebung ausstrahlt. Obwohl Lotte mit Albert so gut wie verlobt ist, empfindet sie doch Zuneigung zu Werther, und dieser
      glaubt beglückt, nur die Stunden zu leben, die er bei ihr verbringen kann. Bald kehrt Albert von seiner Reise zurück, und
      Werther findet in ihm einen gelassenen und strebsamen Menschen, der ihm in Freundschaft zugetan wird. Werther leidet sehr
      unter seiner Liebe und wird sich immer mehr bewußt, daß er Lotte nie für sich gewinnen kann. Daher gibt er dem Drängen
      seines Freundes Wilhelm nach und verläßt die Geliebte, um eine Stelle bei dem Minister anzutreten. Er hat mit einem Gesandten
      zusammenzuarbeiten, dessen bürokratisches Wesen ihn sehr bedrückt. In einer adligen Gesellschaft muß Werther eine ihn sehr
      demütigende Zurücksetzung erfahren, die ihn aufs tiefste erregt. Er bittet um seine Entlassung vom Hofe und nimmt die
      Einladung eines Grafen an. Auf dem Wege zu dessen Gütern reist er durch die Gegenden, wo er seine Kindheit verbrachte, und
      lebt in Erinnerungen an vergangene Tage. Der Graf schätzt seinen Gast sehr, aber Reichtum an Gefühlen bedeutet ihm nichts.
      Werther ist deshalb auch hier nicht glücklich und verläßt bald das gastliche Haus, um wieder in die Nähe seiner Lotte
      zurückzukehren. Diese hat sich inzwischen mit Albert verheiratet. Werthers Liebe wächst zu verzehrender Leidenschaft und
      gleicht einer unheilbaren Krankheit (»Krankheit zum Tode«). Er argwöhnt, daß Albert Lotte gar nicht von ganzem Herzen liebt,
      und so verschlechtert sich das Verhältnis zwischen den beiden Männern immer mehr. Schließlich - all dies erfährt der Leser
      durch den zusammenfassenden Bericht eines »Herausgebers« - sieht Werther keinen Ausweg mehr aus dem Chaos, in dem er
      sich befindet. Daß sie alle drei glücklich zusammenleben könnten, erscheint ihm unmöglich, und er beschließt, sein Leben zu
      beenden. So eilt er zu Lotte, um Abschied zu nehmen. Durch die Lektüre Ossians sind beide sehr erregt, und Werther schließt
      die Geliebte in die Arme. Am anderen Tage schickt er seinen Bedienten, um sich Alberts Pistolen zu einer Reise auszubitten.
      Lotte händigt ihm die Waffen mit zitternder Hand aus. Bange Ahnungen quälen sie. Aber sie findet nicht die Kraft, Albert zu
      berichten, was vorgefallen ist. Am Abend zieht er sich mit einer Flasche Wein in sein Zimmer zurück. Sein Bedienter findet ihn
      am Morgen sterbend. »Von dem Weine hatte er nur ein Glas getrunken. Emilia Galotti lag auf dem Pulte aufgeschlagen.«
      Handwerker tragen den Sarg zu Grabe, »kein Geistlicher hat ihn begleitet«.


      :cry:
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      schrieb am 27.05.02 20:59:20
      Beitrag Nr. 28 ()
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 21:22:01
      Beitrag Nr. 29 ()
      Am 16. Junius

      Warum ich dir nicht schreibe? - Fragst du das und bist doch auch der Gelehrten einer. Du solltest
      raten, daß ich mich wohl befinde, und zwar - kurz und gut, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die
      mein Herz näher angeht. Ich habe - ich weiß nicht.

      Dir in der Ordnung zu erzählen, wie`s zugegangen ist, daß ich eins der liebenswürdigsten Geschöpfe
      habe kennen lernen, wird schwer halten. Ich bin vergnügt und glücklich, und also kein guter
      Historienschreiber.

      Einen Engel! - pfui! Das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht imstande, dir
      zu sagen, wie sie vollkommen ist, warum sie vollkommen ist; genug, sie hat allen meinen Sinn
      gefangengenommen.

      So viel Einfalt bei so viel Verstand, so viel Güte bei so viel Festigkeit, und die Ruhe der Seele bei dem
      wahren Leben und der Tätigkeit.

      - Das ist alles garstiges Gewäsch, was ich da von ihr sage, leidige Abstraktionen, die nicht einen Zug
      ihres Selbst ausdrücken. Ein andermal - nein, nicht ein andermal, jetzt gleich will ich dir`s erzählen. Tu`
      ich `s jetzt nicht, so geschäh` es niemals. Denn, unter uns, seit ich angefangen habe zu schreiben, war
      ich schon dreimal im Begriffe, die Feder niederzulegen, mein Pferd satteln zu lassen und
      hinauszureiten. Und doch schwur ich mir heute früh, nicht hinauszureiten, und gehe doch alle
      Augenblick` ans Fenster, zu sehen, wie hoch die Sonne noch steht.

      - Ich hab`s nicht überwinden können, ich mußte zu ihr hinaus. Da bin ich wieder, Wilhelm, will mein
      Butterbrot zu Nacht essen und dir schreiben. Welch eine Wonne das für meine Seele ist, sie in dem
      Kreise der lieben, muntern Kinder, ihrer acht Geschwister, zu sehen!

      - Wenn ich so fortfahre, wirst du am Ende so klug sein wie am Anfange. Höre denn, ich will mich
      zwingen, ins Detail zu gehen.

      Ich schrieb dir neulich, wie ich den Amtmann S. habe kennen lernen, und wie er mich gebeten habe,
      ihn bald in seiner Einsiedelei oder vielmehr seinem kleinen Königreiche zu besuchen. Ich
      vernachlässigte das, und wäre vielleicht nie hingekommen, hätte mir der Zufall nicht den Schatz
      entdeckt, der in der stillen Gegend verborgen liegt.

      Unsere jungen Leute hatten einen Ball auf dem Lande angestellt, zu dem ich mich denn auch willig
      finden ließ. Ich bot einem hiesigen guten, schönen, übrigens unbedeutenden Mädchen die Hand, und
      es wurde ausgemacht, daß ich eine Kutsche nehmen, mit meiner Tänzerin und ihrer Base nach dem
      Orte der Lustbarkeit hinausfahren und auf dem Wege Charlotten S. mitnehmen sollte. -"Sie werden
      ein schönes Frauenzimmer kennenlernen", sagte meine Gesellschafterin, da wir durch den weiten,
      ausgehauenen Wald nach dem Jagdhause fuhren. -"Nehmen Sie sich in acht", versetzte die Base, "daß
      Sie sich nicht verlieben!" - "Wieso?" sagte ich. -"Sie ist schon vergeben,"antwortete jene,"an einen
      sehr braven Mann, der weggereist ist, seine Sachen in Ordnung zu bringen, weil sein Vater gestorben
      ist, und sich um eine ansehnliche Versorgung zu bewerben". - Die Nachricht war mir ziemlich
      gleichgültig.

      Die Sonne war noch eine Viertelstunde vom Gebirge, als wir vor dem Hoftore anfuhren. Es war sehr
      schwül, und die Frauenzimmer äußerten ihre Besorgnis wegen eines Gewitters, das sich in
      weißgrauen, dumpfichten Wölkchen rings am Horizonte zusammenzuziehen schien. Ich täuschte ihre
      Furcht mit anmaßlicher Wetterkunde, ob mir gleich selbst zu ahnen anfing, unsere Lustbarkeit werde
      einen Stoß leiden.

      Ich war ausgestiegen, und eine Magd, die ans Tor kam, bat uns, einen Augenblick zu verziehen,
      Mamsell Lottchen würde gleich kommen. Ich ging durch den Hof nach dem wohlgebauten Hause,
      und da ich die vorliegenden Treppen hinaufgestiegen war und in die Tür trat, fiel mir das reizendste
      Schauspiel in die Augen, das ich je gesehen habe. in dem Vorsaale wimmelten sechs Kinder von eilf
      zu zwei Jahren um ein Mädchen von schöner Gestalt, mittlerer Größe, die ein simples weißes Kleid,
      mit blaßroten Schleifen an Arm und Brust, anhatte. Sie hielt ein schwarzes Brot und schnitt ihren
      Kleinen rings herum jedem sein Stück nach Proportion ihres Alters und Appetits ab, gab`s jedem mit
      solcher Freundlichkeit, und jedes rief so ungekünstelt sein "danke!", indem es mit den kleinen
      Händchen lange in die Höhe gereicht hatte, ehe es noch abgeschnitten war, und nun mit seinem
      Abendbrote vergnügt entweder wegsprang, oder nach seinem stillern Charakter gelassen davonging
      nach dem Hoftore zu, um die Fremden und die Kutsche zu sehen, darin ihre Lotte wegfahren sollte.
      -"Ich bitte um Vergebung", sagte sie, "daß ich Sie hereinbemühe und die Frauenzimmer warten lasse.
      Über dem Anziehen und allerlei Bestellungen fürs Haus in meiner Abwesenheit habe ich vergessen,
      meinen Kindern ihr Vesperbrot zu geben, und sie wollen von niemanden Brot geschnitten haben als
      von mir".

      Ich machte ihr ein unbedeutendes Kompliment, meine ganze Seele ruhte auf der Gestalt, dem Tone,
      dem Betragen, und ich hatte eben Zeit, mich von der Überraschung zu erholen, als sie in die Stube
      lief, ihre Handschuhe und den Fächer zu holen. Die Kleinen sahen mich in einiger Entfernung so von
      der Seite an, und ich ging auf das jüngste los, das ein Kind von der glücklichsten Gesichtsbildung war.
      Es zog sich zurück, als eben Lotte zur Türe herauskam und sagte:"Louis, gib dem Herrn Vetter eine
      Hand". - das tat der Knabe sehr freimütig, und ich konnte mich nicht enthalten, ihn, ungeachtet seines
      kleinen Rotznäschens, herzlich zu küssen.

      "Vetter?"sagte ich, indem ich ihr die Hand reichte," glauben Sie, daß ich des Glücks wert sei, mit
      Ihnen verwandt zu sein?" -"O", sagte sie mit einem leichtfertigen Lächeln, "unsere Vetterschaft ist sehr
      weitläufig, und es wäre mir leid, wenn Sie der schlimmste drunter sein sollten". - Im Gehen gab sie
      Sophien, der ältesten Schwester nach ihr, einem Mädchen von ungefähr eilf Jahren, den Auftrag, wohl
      auf die Kinder acht zu haben und den Papa zu grüßen, wenn er vom Spazierritte nach Hause käme.
      Den Kleinen sagte sie, sie sollten ihrer Schwester Sophie folgen, als wenn sie`s selber wäre, das denn
      auch einige ausdrücklich versprachen. Eine kleine, naseweise Blondine aber, von ungefähr sechs
      Jahren, sagte: "du bist`s doch nicht, Lottchen, wir haben dich doch lieber". - die zwei ältesten Knaben
      waren hinten auf die Kutsche geklettert, und auf mein Vorbitten erlaubte sie ihnen, bis vor den Wald
      mitzufahren, wenn sie versprächen, sich nicht zu necken und sich recht festzuhalten.

      Wir hatten uns kaum zurecht gesetzt, die Frauenzimmer sich bewillkommt, wechselsweise über den
      Anzug, vorzüglich über die Hüte ihre Anmerkungen gemacht und die Gesellschaft, die man erwartete,
      gehörig durchgezogen, als Lotte den Kutscher halten und ihre Brüder herabsteigen ließ, die noch
      einmal ihre Hand zu küssen begehrten, das denn der älteste mit aller Zärtlichkeit, die dem Alter von
      fünfzehn Jahren eigen sein kann, der andere mit viel Heftigkeit und Leichtsinn tat. Sie ließ die Kleinen
      noch einmal grüßen, und wir fuhren weiter.

      Die Base fragte, ob sie mit dem Buche fertig wäre, das sie ihr neulich geschickt hätte. -"nein", sagte
      Lotte,"es gefällt mir nicht, Sie können`s wiederhaben. Das vorige war auch nicht besser". - Ich
      erstaunte, als ich fragte, was es für Bücher wären, und sie mir antwortete: - ich fand so viel Charakter
      in allem, was sie sagte, ich sah mit jedem Wort neue Reize, neue Strahlen des Geistes aus ihren
      Gesichtszügen hervorbrechen, die sich nach und nach vergnügt zu entfalten schienen, weil sie an mir
      fühlte, daß ich sie verstand.

      "Wie ich jünger war", sagte sie, "liebte ich nichts so sehr als Romane. Weiß Gott, wie wohl mir`s war,
      wenn ich mich Sonntags in so ein Eckchen setzen und mit ganzem Herzen an dem Glück und Unstern
      einer Miß Jonny teilnehmen konnte. Ich leugne auch nicht, daß die Art noch einige Reize für mich hat.
      Doch da ich so selten an ein Buch komme, so muß es auch recht nach meinem Geschmack sein. Und
      der Autor ist mir der liebste, in dem ich meine Welt wiederfinde, bei dem es zugeht wie um mich, und
      dessen Geschichte mir doch so interessant und herzlich wird als mein eigen häuslich Leben, das
      freilich kein Paradies, aber doch im ganzen eine Quelle umsäglicher Glückseligkeit ist".

      Ich bemühte mich, meine Bewegungen über diese Worte zu verbergen. Das ging freilich nicht weit:
      denn da ich sie mit solcher Wahrheit im Vorbeigehen vom Landpriester von Wakefield, vom -- reden
      hörte, kam ich ganz außer mich, sagte ihr alles, was ich mußte, und bemerkte erst nach einiger Zeit,
      da Lotte das Gespräch an die anderen wendete, daß diese die Zeit über mit offenen Augen, als säßen
      sie nicht da, dagesessen hatten. Die Base sah mich mehr als einmal mit einem spöttischen Näschen an,
      daran mir aber nichts gelegen war.

      Das Gespräch fiel aufs Vergnügen am Tanze. -"wenn diese Leidenschaft ein Fehler ist,"sagte Lotte,
      "so gestehe ich Ihnen gern, ich weiß mir nichts übers Tanzen. Und wenn ich was im Kopfe habe und
      mir auf meinem verstimmten Klavier einen Contretanz vortrommle, so ist alles wieder gut".

      Wie ich mich unter dem Gespäche in den schwarzen Augen weidete - wie die lebendigen Lippen und
      die frischen, muntern Wangen meine ganze Seele anzogen - wie ich, in den herrlichen Sinn ihrer Rede
      ganz versunken, oft gar die Worte nicht hörte, mit denen sie sich ausdrückte - davon hast du eine
      Vorstellung, weil du mich kennst. Kurz, ich stieg aus dem Wagen wie ein Träumender, als wir vor
      dem Lusthause stille hielten, und war so in Träumen rings in der dämmernden Welt verloren, daß ich
      auf die Musik kaum achtete, die uns von dem erleuchteten Saal herunter entgegenschallte.

      Die zwei Herren Audran und ein gewisser N. N. - wer behält alle die Namen -, die der Base und
      Lottens Tänzer waren, empfingen uns am Schlage, bemächtigten sich ihrer Frauenzimmer, und ich
      führte das meinige hinauf.

      Wir schlangen uns in Menuetts um einander herum; ich forderte ein Frauenzimmer nach dem andern
      auf, und just die unleidlichsten konnten nicht dazu kommen, einem die Hand zu reichen und ein Ende
      zu machen. Lotte und ihr Tänzer fingen einen Englischen an, und wie wohl mir`s war, als sie auch in
      der Reihe die Figur mit uns anfing, magst du fühlen. Tanzen muß man sie sehen! Siehst du, sie ist so
      mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei, ihr ganzer Körper eine Harmonie, so sorglos, so
      unbefangen, als wenn das eigentlich alles wäre, als wenn sie sonst nichts dächte, nichts empfände; und
      in dem Augenblicke gewiß schwindet alles andere vor ihr.

      Ich bat sie um den zweiten Contretanz; sie sagte mit den dritten zu, und mit der liebenswürdigsten
      Freimütigkeit von der Welt versicherte sie mir, daß sie herzlich gern deutsch tanze. -"Es ist hier so
      Mode,"fuhr sie fort,"daß jedes Paar, das zusammen gehört, beim Deutschen zusammenbleibt, und
      mein Chapeau walzt schlecht und dankt mir`s, wenn ich ihm die Arbeit erlasse. Ihr Frauenzimmer
      kann`s auch nicht und mag nicht, und ich habe im Englischen gesehen, daß Sie gut walzen; wenn Sie
      nun mein sein wollen fürs Deutsche, so gehen Sie und bitten sich`s von meinem Herrn aus, und ich will
      zu Ihrer Dame gehen". - ich gab ihr die Hand darauf, und wir machten aus, daß ihr Tänzer inzwischen
      meine Tänzerin unterhalten sollte.

      Nun ging`s an, und wir ergetzten uns eine Weile an manigfaltigen Schlingungen der Arme. Mit
      welchem Reize, mit welcher Flüchtigkeit bewegte sie sich! Und da wir nun gar ans Walzen kamen und
      wie die Sphären um einander herumrollten, ging`s freilich anfangs, weil`s die wenigsten können, ein
      bißchen bunt durcheinander. Wir waren klug und ließen sie austoben, und als die Ungeschicktesten
      den Plan geräumt hatten, fielen wir ein und hielten mit noch einem Paare, mit Audran und seiner
      Tänzerin, wacker aus. Nie ist mir`s so leicht vom Flecke gegangen. Ich war kein Mensch mehr. Das
      liebenswürdigste Geschöpf in den Armen zu haben und mit ihr herumzufliegen wie Wetter, daß alles
      rings umher verging, und - Wilhelm, um ehrlich zu sein, tat ich aber doch den Schwur, daß ein
      Mädchen, das ich liebte, auf das ich Ansprüche hätte, mir nie mit einem andern walzen sollte als mit
      mir, und wenn ich drüber zugrunde gehen müßte. Du verstehst mich!

      Wir machten einige Touren gehend im Saale, um zu verschnaufen. Dann setzte sie sich, und die
      Orangen, die ich beiseite gebracht hatte, die nun die einzigen noch übrigen waren, taten vortreffliche
      Wirkung, nur daß mir mit jedem Schnittchen, das sie einer unbescheidenen Nachbarin ehrenhalben
      zuteilte, ein Stich durchs Herz ging.

      Beim dritten englischen Tanz waren wir das zweite Paar. Wie wir die Reihe durchtanzten und ich,
      weiß Gott mit wieviel Wonne, an ihrem Arm und Auge hing, das voll vom wahrsten Ausdruck des
      offensten, reinsten Vergnügens war, kommen wir an eine Frau, die mit wegen ihrer liebenswürdigen
      Miene auf einem nicht mehr ganz jungen Gesichte merkwürdig gewesen war. Sie sieht Lotten lächelnd
      an, hebt einen drohenden Finger auf und nennt den Namen Albert zweimal im Vorbeifliegen mit viel
      Bedeutung.

      "wer ist Albert?" sagte ich zu Lotten, "wenn`s nicht Vermessenheit ist zu fragen". - Sie war im Begriff
      zu antworten, als wir uns scheiden mußten, um die große Achte zu machen, und mich dünkte einiges
      Nachdenken auf ihrer Stirn zu sehen, als wir so vor einander vorbeikreuzten. -"Was soll ich`s Ihnen
      leugnen," sagte sie, indem sie mir die Hand zur Promenade bot. "Albert ist ein braver Mensch, dem
      ich so gut als verlobt bin". - nun war mir das nichts Neues (denn die Mädchen hatten mir`s auf dem
      Wege gesagt) und war mir doch so ganz neu, weil ich es noch nicht im Verhältnis auf sie, die mir in so
      wenig Augenblicken so wert geworden war, gedacht hatte. Genug, ich verwirrte mich, vergaß mich
      und kam zwischen das unrechte Paar hinein, daß alles drunter und drüber ging und Lottens ganze
      Gegenwart und Zerren und Ziehen nötig war, um es schnell wieder in Ordnung zu bringen.

      Der Tanz war noch nicht zu Ende, als die Blitze, die wir schon lange am Horizonte leuchten gesehn
      und die ich immer für Wetterkühlen ausgegeben hatte, viel stärker zu werden anfingen und der Donner
      die Musik überstimmte. Drei Frauenzimmer liefen aus der Reihe, denen ihre Herren folgten; die
      Unordnung wurde allgemein, und die Musik hörte auf. Es ist natürlich, wenn uns ein Unglück oder
      etwas Schreckliches im Vergnügen überrascht, daß es stärkere Eindrücke auf uns macht als sonst,
      teils wegen des Gegensatzes, der sich so lebhaft empfinden läßt, teils und noch mehr, weil unsere
      Sinne einmal der Fühlbarkeit geöffnet sind und also desto schneller einen Eindruck annehmen. Diesen
      Ursachen muß ich die wunderbaren Grimassen zuschreiben, in die ich mehrere Frauenzimmer
      ausbrechen sah. Die klügste setzte sich in eine Ecke, mit dem Rücken gegen vor ihr nieder und
      verbarg den Kopf in der ersten Schoß. Eine dritte schob sich zwischen beide hinein und umfaßte ihre
      Schwesterchen mit tausend Tränen. Einige wollten nach Hause; andere, die noch weniger wußten,
      was sie taten, hatten nicht so viel Besinnungskraft, den Keckheiten unserer jungen Schlucker zu
      steuern, die sehr beschäftigt zu sein schienen, alle die ängstlichen Gebete, die dem Himmel bestimmt
      waren, von den Lippen der schönen Bedrängten wegzufangen. Einige unserer Herren hatten sich
      hinabbegeben, um ein Pfeifchen in Ruhe zu rauchen; und die übrige Gesellschaft schlug es nicht aus,
      als die Wirtin auf den klugen Einfall kam, uns ein Zimmer anzuweisen, das Läden und Vorhänge hätte.
      Kaum waren wir da angelangt, als Lotte beschäftigt war, einen Kreis von Stühlen zu stellen und, als
      sich die Gesellschaft auf ihre Bitte gesetzt hatte, den Vortrag zu einem Spiele zu tun.

      Ich sah manchen, der in Hoffnung auf ein saftiges Pfand sein Mäulchen spitzte und seine Glieder
      reckte. -"Wir spielen Zählens!"sagte sie". Nun gebt acht! Ich geh` im Kreise herum von der Rechten
      zur Linken, und so zählt ihr auch rings herum, jeder die Zahl, die an ihn kommt, und das muß gehen
      wie ein Lauffeuer, und wer stockt oder sich irrt, kriegt eine Ohrfeige, und so bis tausend". - nun war
      das lustig anzusehen: sie ging mit ausgestrecktem Arm im Kreise herum. "Eins", fing der erste an, der
      Nachbar "zwei", "drei" der folgende, und so fort. Dann fing sie an, geschwinder zu gehen, immer
      geschwinder; da versah`s einer: Patsch! Eine Ohrfeige, und über das Gelächter der folgende auch:
      Patsch! Und immer geschwinder. Ich selbst kriegte zwei Maulschellen und glaubte mit innigem
      Vergnügen zu bemerken, daß sie stärker seien, als sie den übrigen zuzumessen pflegte. Ein
      allgemeines Gelächter und Geschwärm endigte das Spiel, ehe noch das Tausend ausgezählt war. Die
      Vertrautesten zogen einander beiseite, das Gewitter war vorüber, und ich folgte Lotten in den Saal.
      Unterwegs sagte sie:"über die Ohrfeigen haben sie Wetter und alles vergessen!" - ich konnte ihr nichts
      antworten. -"ich war", fuhr sie fort, "eine der Furchtsamsten, und indem ich mich herzhaft stellte, um
      den andern Mut zu geben, bin ich mutig geworden". - Wir traten ans Fenster. Es donnerte
      abseitwärts, und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erquickendste Wohlgeruch stieg
      in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick
      durchdrang die Gegend; sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre
      Hand auf die meinige und sagte:"Klopstock!" - Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr
      in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich
      ausgoß. Ich ertrug`s nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Tränen.
      Und sah nach ihrem Auge wieder - Edler! Hättest du deine Vergötterung in diesem Blicke gesehen,
      und möcht` ich nun deinen so oft entweihten Namen nie wieder nennen hören!
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 23:09:03
      Beitrag Nr. 30 ()
      Am 13. Julius

      Nein, ich betrüge mich nicht! Ich lese in ihren schwarzen Augen wahre Teilnehmung an mir und
      meinem Schicksal. Ja ich fühle, und darin darf ich meinem Herzen trauen, daß sie - o darf ich, kann
      ich den Himmel in diesen Worten aussprechen? - daß sie mich liebt!

      Mich liebt! - und wie wert ich mir selbst werde, wie ich - dir darf ich`s wohl sagen, du hast Sinn für so
      etwas - wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt!

      Ob das Vermessenheit ist oder Gefühl des wahren Verhältnisses? - ich kenne den Menschen nicht,
      von dem ich etwas in Lottens Herzen fürchtete. Und doch - wenn sie von ihrem Bräutigam spricht, mit
      solcher Wärme, solcher Liebe von ihm spricht - da ist mir`s wie einem, der aller seiner Ehren und
      Würden entsetzt und dem der Degen genommen wird.

      Am 16. Julius

      Ach wie mir das durch alle Adern läuft, wenn mein Finger unversehens den ihrigen berührt, wenn
      unsere Füße sich unter dem Tische begegnen! Ich ziehe zurück wie vom Feuer, und eine geheime
      Kraft zieht mich wieder vorwärts - mir wird`s so schwindelig vor allen Sinnen. - O! Und ihre
      Unschuld, ihre unbefangene Seele fühlt nicht, wie sehr mich die kleinen Vertraulichkeiten peinigen.
      Wenn sie gar im Gespräch ihre Hand auf die meinige legt und im Interesse der Unterredung näher zu
      mir rückt, daß der himmlische Atem ihres Mundes meine Lippen erreichen kann: - ich glaube zu
      versinken, wie vom Wetter gerührt. - und, Wilhelm! Wenn ich mich jemals unterstehe, diesen Himmel,
      dieses Vertrauen -! Du verstehst mich. Nein, mein Herz ist so verderbt nicht! Schwach! Schwach
      genug! - und ist das nicht Verderben?

      - sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart. Ich weiß nie, wie mir ist, wenn ich bei ihr
      bin; es ist, als wenn die Seele sich mir in allen Nerven umkehrte. - sie hat eine Melodie, die sie auf
      dem Klaviere spielet mit der Kraft eines Engels, so simpel und so geistvoll! Es ist ihr Leiblied, und
      mich stellt es von aller Pein, Verwirrung und Grillen her, wenn sie nur die erste Note davon greift.

      Kein Wort von der Zauberkraft der alten Musik ist mir unwahrscheinlich. Wie mich der einfache
      Gesang angreift! Und wie sie ihn anzubringen weiß, oft zur Zeit, wo ich mir eine Kugel vor den Kopf
      schießen möchte! Die Irrung und Finsternis meiner Seele zerstreut sich, und ich atme wieder freier.
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 23:12:55
      Beitrag Nr. 31 ()
      Am 26. Julius

      Ich habe mir schon manchmal vorgenommen, sie nicht so oft zu sehn. Ja wer das halten könnte! Alle
      Tage unterlieg` ich der Versuchung und verspreche mir heilig: morgen willst du einmal wegbleiben.
      Und wenn der Morgen kommt, finde ich doch wieder eine unwiderstehliche Ursache, und ehe ich
      mich`s versehe, bin ich bei ihr. Entweder sie hat des Abends gesagt: "Sie kommen doch morgen?" -
      wer könnte da wegbleiben? Oder sie gibt mir einen Auftrag, und ich finde schicklich, ihr selbst die
      Antwort zu bringen; oder der Tag ist gar zu schön, ich gehe nach Wahlheim, und wenn ich nun da bin,
      ist`s nur noch eine halbe Stunde zu ihr! - ich bin zu nah in der Atmosphäre - zuck! So bin ich dort.
      Meine Großmutter hatte ein Märchen vom Magnetenberg: die Schiffe, die zu nahe kamen, wurden auf
      einmal alles Eisenwerks beraubt, die Nägel flogen dem Berge zu, und die armen Elenden scheiterten
      zwischen den übereinander stürzenden Brettern.


      :cry:
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 23:16:01
      Beitrag Nr. 32 ()
      Am 8. August

      Ich bitte dich, lieber Wilhelm, es war gewiß nicht auf dich geredet, wenn ich die Menschen
      unerträglich schalt, die von uns Ergebung in unvermeidliche Schicksale fordern. Ich dachte wahrlich
      nicht daran, daß du von ähnlicher Meinung sein könntest. Und im Grunde hast du recht. Nur eins,
      mein Bester! In der Welt ist es sehr selten mit dem Entweder-Oder getan; die Empfindungen und
      Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltig, als Abfälle zwischen einer Habichts- und
      Stumpfnase sind.

      Du wirst mir also nicht übelnehmen, wenn ich dir dein ganzes Argument einräume und mich doch
      zwischen dem Entweder-Oder durchzustehlen suche.

      Entweder, sagst du, hast du Hoffnung auf Lotten, oder du hast keine. Gut, im ersten Fall suche sie
      durchzutreiben, suche die Erfüllung deiner Wünsche zu umfassen: im anderen Fall ermanne dich und
      suche einer elenden Empfindung los zu werden, die alle deine Kräfte verzehren muß. - Bester! Das ist
      wohl gesagt, und - bald gesagt.

      Und kannst du von dem Unglücklichen, dessen Leben unter einer schleichenden Krankheit
      unaufhaltsam allmählich abstirbt, kannst du von ihm verlangen, er solle durch einen Dolchstoß der
      Qual auf einmal ein Ende machen? Und raubt das Übel, das ihm die Kräfte verzehrt, ihm nicht auch
      zugleich den Mut, sich davon zu befreien?

      Zwar könntest du mir mit einem verwandten Gleichnisse antworten: wer ließe sich nicht lieber den
      Arm abnehmen, als daß er durch Zaudern und Zagen sein Leben aufs Spiel setzte? - Ich weiß nicht! -
      Und wir wollen uns nicht in Gleichnissen herumbeißen. Genug - ja, Wilhelm, ich habe manchmal so
      einen Augenblick aufspringenden, abschüttelnden Muts, und da - wenn ich nur wüßte wohin, ich ginge
      wohl.
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 23:34:48
      Beitrag Nr. 33 ()
      Am 30. August

      Unglücklicher! Bist du nicht ein Tor? Betriegst du dich nicht selbst? Was soll diese tobende, endlose
      Leidenschaft? Ich habe kein Gebet mehr als an sie; meiner Einbildungskraft erscheint keine andere
      Gestalt als die ihrige, und alles in der Welt um mich her sehe ich nur im Verhältnisse mit ihr. Und das
      macht mir denn so manche glückliche Stunde - bis ich mich wieder von ihr losreißen muß! Ach
      Wilhelm! Wozu mich mein Herz oft drängt! - wenn ich bei ihr gesessen bin, zwei, drei Stunden, und
      mich an ihrer Gestalt, an ihrem Betragen, an dem himmlischen Ausdruck ihrer Worte geweidet habe,
      und nun nach und nach alle meine Sinne aufgespannt werden, mir es düster vor den Augen wird, ich
      kaum noch höre, und es mich an die Gurgel faßt wie ein Meuchelmörder, dann mein Herz in wilden
      Schlägen den bedrängten Sinnen Luft zu machen sucht und ihre Verwirrung nur vermehrt - Wilhelm,
      ich weiß oft nicht, ob ich auf der Welt bin! Und - wenn nicht manchmal die Wehmut das Übergewicht
      nimmt und Lotte mir den elenden Trost erlaubt, auf ihrer Hand meine Beklemmung auszuweinen, - so
      muß ich fort, muß hinaus, und schweife dann weit im Felde umher; einen jähen Berg zu klettern ist
      dann meine Freude, durch einen unwegsamen Wald einen Pfad durchzuarbeiten, durch die Hecken,
      die mich verletzen, durch die Dornen, die mich zerreißen! Da wird mir`s etwas besser! Etwas! Und
      wenn ich vor Müdigkeit und Durst manchmal unterwegs liegen bleibe, manchmal in der tiefen Nacht,
      wenn der hohe Vollmond über mir steht, im einsamen Walde auf einen krumm gewachsenen Baum
      mich setze, um meinen verwundeten Sohlen nur einige Linderung zu verschaffen, und dann in einer
      ermattenden Ruhe in dem Dämmerschein hinschlummre! O Wilhelm! Die einsame Wohnung einer
      Zelle, das härene Gewand und der Stachelgürtel wären Labsale, nach denen meine Seele schmachtet.
      Adieu! Ich sehe dieses Elendes kein Ende als das Grab.

      :eek:
      Avatar
      schrieb am 27.05.02 23:39:18
      Beitrag Nr. 34 ()
      Am 3. September

      Ich muß fort! Ich danke dir, Wilhelm, daß du meinen wankenden Entschluß bestimmt hast. Schon
      vierzehn Tage gehe ich mit dem Gedanken um, sie zu verlassen. Ich muß fort. Sie ist wieder in der
      Stadt bei einer Freundin. Und Albert - und - ich muß fort!

      Am 10. September

      Das war eine Nacht! Wilhelm! Nun überstehe ich alles. Ich werde sie nicht wiedersehn! O daß ich
      nicht an deinen Hals fliegen, dir mit tausend Tränen und Entzückungen ausdrücken kann, mein Bester,
      die Empfindungen, die mein Herz bestürmen. Hier sitze ich und schnappe nach Luft, suche mich zu
      beruhigen, erwarte den Morgen, und mit Sonnenaufgang sind die Pferde bestellt.

      Ach, sie schläft ruhig und denkt nicht, daß sie mich nie wieder sehen wird. Ich habe mich losgerissen,
      bin stark genug gewesen, in einem Gespräch von zwei Stunden mein Vorhaben nicht zu verraten. Und
      Gott, welch ein Gespräch!

      Albert hatte mir versprochen, gleich nach dem Nachtessen mit Lotten im Garten zu sein. Ich stand auf
      der Terrasse unter den hohen Kastanienbäumen und sah der Sonne nach, die mir nun zum letztenmale
      über dem lieblichen Tale, über dem sanften Fluß unterging. So oft hatte ich hier gestanden mit ihr und
      eben dem herrlichen Schauspiele zugesehen, und nun - ich ging in der Allee auf und ab, die mir so lieb
      war; ein geheimer sympathetischer Zug hatte mich hier so oft gehalten, ehe ich noch Lotten kannte,
      und wie freuten wir uns, als wir im Anfang unserer Bekanntschaft die wechselseitige Neigung zu
      diesem Plätzchen entdeckten, das wahrhaftig eins von den romantischsten ist, die ich von der Kunst
      hervorgebracht gesehen habe.

      Erst hast du zwischen den Kastanienbäumen die weite Aussicht - Ach, ich erinnere mich, ich habe dir,
      denk` ich, schon viel davon geschrieben, wie hohe Buchenwände einen endlich einschließen und durch
      ein daranstoßendes Boskett die Allee immer düsterer wird, bis zuletzt alles sich in ein geschlossenes
      Plätzchen endigt, das alle Schauer der Einsamkeit umschweben. Ich fühle es noch, wie heimlich mir`s
      ward, als ich zum erstenmale an einem hohen Mittage hineintrat; ich ahnete ganz leise, was für ein
      Schauplatz das noch werden sollte von Seligkeit und Schmerz.

      Ich hatte mich etwa eine halbe Stunde in den schmachtenden, süßen Gedanken des Abscheidens, des
      Wiedersehens geweidet, als ich sie die Terrasse heraufsteigen hörte. Ich lief ihnen entgegen, mit einem
      Schauer faßte ich ihre Hand und küßte sie. Wir waren eben heraufgetreten, als der Mond hinter dem
      buschigen Hügel aufging; wir redeten mancherlei und kamen unvermerkt dem düstern Kabinette
      näher. Lotte trat hinein und setzte sich, Albert neben sie, ich auch; doch meine Unruhe ließ mich nicht
      lange sitzen; ich stand auf, trat vor sie, ging auf und ab, setzte mich wieder: es war ein ängstlicher
      Zustand. Sie machte uns aufmerksam auf die schöne Wirkung des Mondenlichtes, das am Ende der
      Buchenwände die ganze Terrasse vor uns erleuchtete: ein herrlicher Anblick, der um so viel
      frappanter war, weil uns rings eine tiefe Dämmerung einschloß. Wir waren still, und sie fing nach einer
      Weile an: "niemals gehe ich im Mondenlichte spazieren, niemals, daß mir nicht der Gedanke an meine
      Verstorbenen begegnete, daß nicht das Gefühl von Tod, von Zukunft über mich käme". "Wir werden
      sein!" fuhr sie mit der Stimme des herrlichsten Gefühls fort; "aber, Werther, sollen wir uns wieder
      finden? Wieder erkennen? Was ahnen Sie? Was sagen Sie?"

      "Lotte", sagte ich, indem ich ihr die Hand reichte und mir die Augen voll Tränen wurden,"wir werden
      uns wiedersehn! Hier und dort wiedersehn!"- ich konnte nicht weiter reden - Wilhelm, mußte sie mich
      das fragen, da ich diesen ängstlichen Abschied im Herzen hatte!

      "Und ob die lieben Abgeschiednen von uns wissen", fuhr sie fort, "ob sie fühlen, wann`s uns wohl geht,
      daß wir mit warmer Liebe uns ihrer erinnern? O! Die Gestalt meiner Mutter schwebt immer um mich,
      wenn ich am stillen Abend unter ihren Kindern, unter meinen Kindern sitze und sie um mich
      versammelt sind, wie sie um sie versammelt waren. Wenn ich dann mit einer sehnenden Träne gen
      Himmel sehe und wünsche, daß sie hereinschauen könnte einen Augenblick, wie ich mein Wort halte,
      das ich ihr in der des Todes gab: die Mutter ihrer Kinder zu sein. Mit welcher Empfindung rufe ich
      aus: `verzeihe mir`s, Teuerste, wenn ich ihnen nicht bin, was du ihnen warst. Ach! Tue ich doch alles,
      was ich kann; sind sie doch gekleidet, genährt, ach, und, was mehr ist als das alles, gepflegt und
      geliebt. Könntest du unsere Eintracht sehen, liebe Heilige! Du würdest mit dem heißesten Danke den
      Gott verherrlichen, den du mit den letzten, bittersten Tränen um die Wohlfahrt deiner Kinder batest.`"

      - Sie sagte das! O Wilhelm, wer kann wiederholen, was sie sagte! Wie kann der kalte, tote
      Buchstabe diese himmlische Blüte des Geistes darstellen! Albert fiel ihr sanft in die Rede: "es greift zu
      stark an, liebe Lotte! Ich weiß, Ihre Seele hängt sehr nach diesen Ideen, aber ich bitte Sie". -"O
      Albert", sagte sie, "ich weiß, du vergissest nicht die Abende, da wir zusammensaßen an dem kleinen,
      runden Tischchen, wenn der Papa verreist war, und wir die Kleinen schlafen geschickt hatten. Du
      hattest oft ein gutes Buch und kannst so selten dazu, etwas zu lesen - war der Umgang dieser
      herrlichen Seele nicht mehr als alles? Die schöne, sanfte, muntere und immer tätige Frau! Gott kennt
      meine Tränen, mit denen ich mich oft in meinem Bette vor ihn hinwarf: er möchte mich ihr gleich
      machen".

      "Lotte!" rief ich aus, indem ich mich vor sie hinwarf, ihre Hand nahm und mit tausend Tränen netzte,
      "Lotte! Der Segen Gottes ruht über dir und der Geist deiner Mutter!" "Wenn Sie sie gekannt hätten",
      sagte sie, indem sie mir die Hand drückte, - "sie war wert, von Ihnen gekannt zu sein!"- ich glaubte zu
      vergehen.

      Nie war ein größeres, stolzeres Wort über mich ausgesprochen worden - und sie fuhr fort:"und diese
      Frau mußte in der Blüte ihrer Jahre dahin, da ihr jüngster Sohn nicht sechs Monate alt war! Ihre
      Krankheit dauerte nicht lange; sie war ruhig, hingegeben, nur ihre Kinder taten ihr weh, besonders das
      kleine. Wie es gegen das Ende ging und sie zu mir sagte: `bringe mir sie herauf!` und wie ich sie
      hereinführte, die kleinen, die nicht wußten, und die ältesten, die ohne Sinne waren, wie sie ums Bette
      standen, und wie sie die Hände aufhob und über sie betete, und sie küßte nach einander und sie
      wegschickte und zu mir sagte: `sei ihre Mutter!` - Ich gab ihr die Hand drauf! - `Du versprichst viel,
      meine Tochter`, sagte sie, `das Herz einer Mutter und das Aug` einer Mutter. Ich habe oft an deinen
      dankbaren Tränen gesehen, daß du fühlst, was das sei. Habe es für deine Geschwister, und für deinen
      Vater die Treue und den Gehorsam einer Frau. Du wirst ihn trösten.` - Sie fragte nach ihm, er war
      ausgegangen, um uns den unerträglichen Kummer zu verbergen, den er fühlte, der Mann war ganz
      zerrissen.

      Albert, du warst im Zimmer. Sie hörte jemand gehn und fragte und forderte dich zu sich, und wie sie
      dich ansah und mich, mit dem getrösteten, ruhigen Blicke, daß wir glücklich sein, zusammen glücklich
      sein würden". - Albert fiel ihr um den Hals und küßte sie und rief: "wir sind es! Wir werden es sein!" -
      der ruhige Albert war ganz aus seiner Fassung, und ich wußte nichts von mir selber. "Werther", fing
      sie an, "und diese Frau sollte dahin sein! Gott! Wenn ich manchmal denke, wie man das Liebste
      seines Lebens wegtragen läßt, und niemand als die Kinder das so scharf fühlt, die sich noch lange
      beklagten, die schwarzen Männer hätten die Mama weggetragen! "sie stand auf, und ich ward
      erweckt und erschüttert, blieb sitzen und hielt ihre Hand. -"Wir wollen fort", sagte sie, "es wird Zeit". -
      Sie wollte ihre Hand zurückziehen, und ich hielt sie fester. -"wir werden uns wieder sehen" rief ich,
      "wir werden uns finden, unter allen Gestalten werden wir uns erkennen. Ich gehe", fuhr ich fort, "ich
      gehe willig, und doch, wenn ich sagen sollte auf ewig, ich würde es nicht aushalten. Leb` wohl, Lotte!
      Leb` wohl, Albert! Wir sehn uns wieder". -"Morgen, denke ich", versetzte sie scherzend. - Ich fühlte
      das Morgen! Ach, sie wußte nicht, als sie ihre Hand aus der meinen zog - Sie gingen die Allee hinaus,
      ich stand, sah ihnen nach im Mondscheine und warf mich an die Erde und weinte mich aus und sprang
      auf und lief auf die Terrasse hervor und sah noch dort unten im Schatten der hohen Lindenbäume ihr
      weißes Kleid nach der Gartentür schimmern, ich streckte meine Arme aus, und es verschwand.
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 00:08:59
      Beitrag Nr. 35 ()
      Am 21. November

      Sie sieht nicht, sie fühlt nicht, daß sie ein Gift bereitet, das mich und sie zugrunde richten wird; und ich
      mit voller Wollust schlürfe den Becher aus, den sie mir zu meinem Verderben reicht. Was soll der
      gütige Blick, mit dem sie mich oft - oft? - nein, nicht oft, aber doch manchmal ansieht, die Gefälligkeit,
      womit sie einen unwillkürlichen Ausdruck meines Gefühls aufnimmt, das Mitleiden mit meiner
      Duldung, das sich auf ihrer Stirne zeichnet?

      Gestern, als ich wegging, reichte sie mir die Hand und sagte:"Adieu, lieber Werther!"- lieber Werther!
      Es war das erstemal, daß sie mich Lieber hieß, und es ging mir durch Mark und Bein. Ich habe es mir
      hundertmal wiederholt, und gestern nacht, da ich zu Bette gehen wollte und mit mir selbst allerlei
      schwatzte, sagte ich so auf einmal:"gute Nacht, lieber Werther!"und mußte hernach selbst über mich
      lachen.


      :D
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 00:10:08
      Beitrag Nr. 36 ()
      Am 26. November

      Manchmal sag` ich mir: dein Schicksal ist einzig; preise die übrigen glücklich - so ist noch keiner
      gequält worden. - dann lese ich einen Dichter der Vorzeit, und es ist mir, als säh` ich in mein eignes
      Herz. Ich habe so viel auszustehen! Ach, sind denn Menschen vor mir schon so elend gewesen?
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 00:20:57
      Beitrag Nr. 37 ()
      Aha, Goethe hat eingegriffen...:eek:

      ..mal zwischendurch eine


      Ballade

      Ein Narre schrieb drei Zeichen in Sand,
      Eine bleiche Magd da vor ihm stand.
      Laut sang, o sang das Meer.

      Sie hielt einen Becher in der Hand,
      Der schimmerte bis auf zum Rand,
      Wie Blut so rot und schwer.

      Kein Wort ward gesprochen - die Sonne schwand,
      Da nahm der Narre aus ihrer Hand
      Den Becher und trank ihn leer.

      Da löschte sein Licht in ihrer Hand,
      Der Wind verwehte drei Zeichen im Sand -
      Laut sang, o sang das Meer.


      Georg Trakl (1887-1914)
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 00:29:40
      Beitrag Nr. 38 ()
      Ganz recht, Goethe, und wir nähern uns dem ENDE!


      An demselben Tage, als Werther den zuletzt eingeschalteten Brief an seinen Freund geschrieben, es
      war der Sonntag vor Weihnachten, kam er abends zu Lotten und fand sie allein. Sie beschäftigte sich,
      einige Spielwerke in Ordnung zu bringen, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christgeschenke
      zurecht gemacht hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den
      Zeiten, da einen die unerwartete Öffnung der Tür und die Erscheinung eines aufgeputzten Baumes mit
      Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln in paradiesische Entzückung setzte. -"Sie sollen,"sagte Lotte,
      indem sie ihre Verlegenheit unter ein liebes Lächeln verbarg,"Sie sollen auch beschert kriegen, wenn
      Sie recht geschickt sind; ein Wachsstöckchen und noch was". -"Und was heißen Sie geschickt
      sein?"rief er aus;"wie soll ich sein? Wie kann ich sein? Beste Lotte!"-"Donnerstag abend", sagte
      sie,"ist Weihnachtsabend, da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt jedes das Seinige, da
      kommen Sie auch - aber nicht eher". - Werther stutzte. -"Ich bitte Sie,"fuhr sie fort,"es ist nun einmal
      so, ich bitte um meiner Ruhe willen, es kann nicht, es kann nicht so bleiben". - Er wendete seine
      Augen von ihr und ging in der Stube auf und ab und murmelte das"es kann nicht so bleiben!"zwischen
      den Zähnen. - Lotte, die den schrecklichen Zustand fühlte, worein ihn diese Worte versetzt hatten,
      suchte durch allerlei Fragen seine Gedanken abzulenken, aber vergebens. -"Nein, Lotte,"rief er
      aus,"ich werde Sie nicht wiedersehen!"-"Warum das?"versetzte sie,"Werther, Sie können, Sie müssen
      uns wiedersehen, nur mäßigen Sie sich. O warum mußten Sie mit dieser Heftigkeit, dieser
      unbezwinglich haftenden Leidenschaft für alles, was Sie einmal anfassen, geboren werden! Ich bitte
      Sie,"fuhr sie fort, indem sie ihn bei der Hand nahm,"mäßigen Sie sich! Ihr Geist, Ihre Wissenschaften,
      Ihre Talente, was bieten die Ihnen für mannigfaltige Ergetzungen dar! Sein Sie ein Mann, wenden Sie
      diese traurige Anhänglichkeit von einem Geschöpf, das nichts tun kann als Sie bedauern". - Er knirrte
      mit den Zähnen und sah sie düster an. - Sie hielt seine Hand. "Nur einen Augenblick ruhigen Sinn,
      Werther!"sagte sie". Fühlen Sie nicht, daß Sie sich betriegen, sich mit Willen zugrunde richten! Warum
      denn mich, Werther? Just mich, das Eigentum eines andern? Just das? Ich fürchte, ich fürchte, es ist
      nur die Unmöglichkeit, mich zu besitzen, die Ihnen diesen Wunsch so reizend macht". - Er zog seine
      Hand aus der ihrigen, indem er sie mit einem starren, unwilligen Blick ansah. "Weise!"rief er,"sehr
      weise! Hat vielleicht Albert diese Anmerkung gemacht? Politisch! Sehr politisch!"-"Es kann sie jeder
      machen", versetzte sie drauf, "und sollte denn in der weiten Welt kein Mädchen sein, das die
      Wünsche Ihres Herzens erfüllte? Gewinnen Sie`s über sich, suchen Sie darnach, und ich schwöre
      Ihnen, Sie werden sie finden; denn schon lange ängstigt mich, für Sie und uns, die Einschränkung, in
      die Sie sich diese Zeit her selbst gebannt haben. Gewinnen Sie über sich, eine Reise wird Sie, muß
      Sie zerstreuen! Suchen Sie, finden Sie einen werten Gegenstand Ihrer Liebe, und kehren Sie zurück,
      und lassen Sie uns zusammen die Seligkeit einer wahren Freundschaft genießen". "das könnte man",
      sagte er mit einem kalten Lachen, "drucken lassen und allen Hofmeistern empfehlen. Liebe Lotte!
      Lassen Sie mir noch ein klein wenig Ruh, es wird alles werden!"-"nur das, Werther, daß Sie nicht
      eher kommen als Weihnachtsabend!"- er wollte antworten, und Albert trat in die Stube. Man bot sich
      einen frostigen Guten Abend und ging verlegen im Zimmer neben einander auf und nieder. Werther
      fing einen unbedeutenden Diskurs an, der bald aus war, Albert desgleichen, der sodann seine Frau
      nach gewissen Aufträgen fragte und, als er hörte, sie seien noch nicht ausgerichtet, ihr einige Worte
      sagte, die Werthern kalt, ja gar hart vorkamen. Er wollte gehen, er konnte nicht und zauderte bis acht,
      da sich denn sein Unmut und Unwillen immer vermehrte, bis der Tisch gedeckt wurde, und er Hut und
      Stock nahm. Albert lud ihn zu bleiben, er aber, der nur ein unbedeutendes Kompliment zu hören
      glaubte, dankte kalt dagegen und ging weg.
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 00:37:32
      Beitrag Nr. 39 ()
      Er legte sich zu Bette und schlief lange. Der Bediente fand ihn schreibend, als er ihm den andern
      Morgen auf sein Rufen den Kaffee brachte. Er schrieb folgendes am Briefe an Lotten:

      "Zum letztenmale denn, zum letztenmale schlage ich diese Augen auf. Sie sollen, ach, die Sonne
      nicht mehr sehn, ein trüber, neblichter Tag hält sie bedeckt. So traure denn, Natur! Dein Sohn,
      dein Freund, dein Geliebter naht sich seinem Ende. Lotte, das ist ein Gefühl ohnegleichen, und
      doch kommt es dem dämmernden Traum am nächsten, zu sich zu sagen: das ist der letzte Morgen.
      Der letzte! Lotte, ich habe keinen Sinn für das Wort: der letzte! Stehe ich nicht da in meiner
      ganzen Kraft, und morgen liege ich ausgestreckt und schlaff am Boden. Sterben! Was heißt das?
      Siehe, wir träumen, wenn wir vom Tode reden. Ich habe manchen sterben sehen; aber so
      eingeschränkt ist die Menschheit, daß sie für ihres Daseins Anfang und Ende keinen Sinn hat.
      Jetzt noch mein, dein! Dein, o Geliebte! Und einen Augenblick - getrennt, geschieden - vielleicht
      auf ewig? - nein, Lotte, nein - wie kann ich vergehen? Wie kannst du vergehen? Wir sind ja! -
      vergehen! - was heißt das? Das ist wieder ein Wort, ein leerer Schall, ohne Gefühl für mein Herz.
      - - tot, Lotte! Eingescharrt der kalten Erde, so eng! So finster! - ich hatte eine Freundin, die mein
      alles war meiner hülflosen Jugend; sie starb, und ich folgte ihrer Leiche und stand an dem
      Grabe, wie sie den Sarg hinunterließen und die Seile schnurrend unter ihm weg und wieder
      herauf schnellten, dann die erste Schaufel hinunterschollerte, und die ängstliche Lade einen
      dumpfen Ton wiedergab, und dumpfer und immer dumpfer, und endlich bedeckt war! - ich stürzte
      neben das Grab hin - ergriffen, erschüttert, geängstet, zerrissen mein Innerstes, aber ich wußte
      nicht, wie mir geschah - wie mir geschehen wird - Sterben! Grab! Ich verstehe die Worte nicht!

      O vergib mir! Vergib mir! Gestern! Es hätte der letzte Augenblick meines Lebens sein sollen. O du
      Engel! Zum ersten Male, zum ersten Male ganz ohne Zweifel durch mein innig Innerstes
      durchglühte mich das Wonnegefühl: sie liebt mich! Sie liebt mich! Es brennt noch auf meinen
      Lippen das heilige Feuer, das von den deinigen strömte, neue, warme Wonne ist in meinem
      Herzen. Vergib mir! Vergib mir!

      Ach, ich wußte, daß du mich liebtest, wußte es an den ersten seelenvollen Blicken, an dem ersten
      Händedruck, und doch, wenn ich wieder weg war, wenn ich Alberten an deiner Seite sah,
      verzagte ich wieder in fieberhaften Zweifeln.

      Erinnerst du dich der Blumen, die du mir schicktest, als du in jener fatalen Gesellschaft mir kein
      Wort sagen, keine Hand reichen konntest? O, ich habe die halbe Nacht davor gekniet, und sie
      versiegelten mir deine Liebe. Aber ach! Diese Eindrücke gingen vorüber, wie das Gefühl der
      Gnade seines Gottes allmählich wieder aus der Seele des Gläubigen weicht, die ihm mit ganzer
      Himmelsfülle in heiligen, sichtbaren Zeichen gereicht ward.

      Alles das ist vergänglich, aber keine Ewigkeit soll das glühende Leben auslöschen, das ich
      gestern auf deinen Lippen genoß, das ich in mir fühle! Sie liebt mich! Dieser Arm hat sie umfaßt,
      diese Lippen haben auf ihren Lippen gezittert, dieser Mund hat an dem ihrigen gestammelt. Sie
      ist mein! Du bist mein! Ja, Lotte, auf ewig.

      Und was ist das, daß Albert dein Mann ist? Mann! Das wäre denn für diese Welt - und für diese
      Welt Sünde, daß ich dich liebe, daß ich dich aus seinen Armen in die meinigen reißen möchte?
      Sünde? Gut, und ich strafe mich dafür; ich habe sie in ihrer ganzen Himmelswonne geschmeckt,
      diese Sünde, habe Lebensbalsam und Kraft in mein Herz gesaugt. Du bist von diesem
      Augenblicke mein! Mein, o Lotte! Ich gehe voran! Gehe zu meinem Vater, zu deinem Vater. Dem
      will ich`s klagen, und er wird mich trösten, bis du kommst, und ich fliege dir entgegen und fasse
      dich und bleibe bei dir vor dem Angesichte des Unendlichen in ewigen Umarmungen.

      Ich träume nicht, ich wähne nicht! Nahe am Grabe wird mir es heller. Wir werden sein! Wir
      werden uns wieder sehen! Deine Mutter sehen! Ich werde sie sehen, werde sie finden, ach, und
      vor ihr mein ganzes Herz ausschütten! Deine Mutter, dein Ebenbild".
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 00:51:53
      Beitrag Nr. 40 ()
      Letztes Kapitel:


      Ich trete an das Fenster, meine Beste, und sehe, und sehe noch durch die stürmenden,
      vorüberfliehenden Wolken einzelne Sterne des ewigen Himmels! Nein, ihr werdet nicht fallen!
      Der Ewige trägt euch an seinem Herzen, und mich. Ich sehe die Deichselsterne des Wagens, des
      liebsten unter allen Gestirnen. Wenn ich nachts von dir ging, wie ich aus deinem Tore trat, stand
      er gegen mir über. Mit welcher Trunkenheit habe ich ihn oft angesehen, oft mit aufgehabenen
      Händen ihn zum Zeichen, zum heiligen Merksteine meiner gegenwärtigen Seligkeit gemacht! Und
      noch - o Lotte, was erinnert mich nicht an dich! Umgibst du mich nicht! Und habe ich nicht,
      gleich einem Kinde, ungenügsam allerlei Kleinigkeiten zu mir gerissen, die du Heilige berührt
      hattest!

      Liebes Schatenbild! Ich vermache dir es zurück, Lotte, und bitte dich, es zu ehren. Tausend,
      tausend Küsse habe ich darauf gedrückt, tausend Grüße ihm zugewinkt, wenn ich ausging oder
      nach Hause kam. Ich habe deinen Vater in einem Zettelchen gebeten, meine Leiche zu schützen.
      Auf dem Kirchhofe sind zwei Lindenbäume, hinten in der Ecke nach dem Felde zu; dort wünsche
      ich zu ruhen. Er kann, er wird das für seinen Freund tun. Bitte ihn auch. Ich will frommen
      Christen nicht zumuten, ihren Körper neben einen armen Unglücklichen zu legen. Ach, ich
      wollte, ihr begrübt mich am Wege, oder im einsamen Tale, daß Priester und Levit vor dem
      bezeichneten Steine sich segnend vorübergingen und der Samariter eine Träne weinte.

      Hier, Lotte! Ich schaudre nicht, den kalten, schrecklichen Kelch zu fassen, aus dem ich den
      Taumel des Todes trinken soll! Du reichtest mir ihn, und zage nicht. All! All! So sind alle die
      Wünsche und Hoffnungen meines Lebens erfüllt! So kalt, so starr an der ehernen Pforte des
      Todes anzuklopfen.

      Daß ich des Glückes hätte teilhaftig werden können, für dich zu sterben! Lotte, für dich mich
      hinzugeben! Ich wollte mutig, ich wollte freudig sterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines
      Lebens wiederschaffen könnte. Aber ach! Das ward nur wenigen Edeln gegeben, ihr Blut für die
      Ihrigen zu vergießen und durch ihren Tod ein neues, hundertfältiges Leben ihren Freunden
      anzufachen.

      In diesen Kleidern, Lotte, will ich begraben sein, du hast sie berührt, geheiligt; ich habe auch
      deinen Vater darum gebeten. Meine Seele schwebt über dem Sarge. Man soll meine Taschen
      nicht aussuchen. Diese blaßrote Schleife, die du am Busen hattest, als ich dich zum ersten Male
      unter deinen Kindern fand - o küsse sie tausendmal und erzähle ihnen das Schicksal ihres
      unglücklichen Freundes. Die Lieben! Sie wimmeln um mich. Ach wie ich mich an dich schloß! Seit
      dem ersten Augenblicke dich nicht lassen konnte! - diese Schleife soll mit mir begraben werden.
      An meinem Geburtstage schenktest du sie mir! Wie ich das alles verschlang! - ach, ich dachte
      nicht, daß mich der Weg hierher führen sollte! - - sei ruhig! Ich bitte dich, sei ruhig!

      - Sie sind geladen - es schlägt zwölfe! So sei es denn! - Lotte! Lotte, lebe wohl! Lebe wohl!"

      Ein Nachbar sah den Blick vom Pulver und hörte den Schuß fallen; da aber alles stille blieb,
      achtete er nicht weiter drauf.
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 00:53:10
      Beitrag Nr. 41 ()
      und die Quelle, weil da etwas Mühe drin steckt...


      http://www.marioschumann.de/deu17.htm



      Irgendwie kommt mir so einiges bekannt vor! :O
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 16:05:30
      Beitrag Nr. 42 ()
      So und jetzt will ich DEINE Liebesgeschichte lesen :laugh:

      28.05.2002
      bis
      Avatar
      schrieb am 28.05.02 16:43:28
      Beitrag Nr. 43 ()
      du würdest dich wundern, so etwas gibt es tatsächlich!

      Genau wie bei Goethe in Briefform! ;)


      allerdings- wird die nicht hier und jetzt veröffentlicht! :D
      Avatar
      schrieb am 17.06.02 22:43:36
      Beitrag Nr. 44 ()
      .
      .
      TV: Di., 18.06., 3Sat, 20:15 Uhr, Die Braut .
      .
      .
      J.W.v. Goethe - Christiane Vulpius
      .
      Avatar
      schrieb am 13.07.02 00:07:21
      Beitrag Nr. 45 ()
      zu #44, falls Ihr den Film nicht gesehen haben solltet, so habt Ihr NICHTS verpasst; war einfach schlecht gemacht, nach so guten Vorlagen ?!



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