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    nur Unehrlichkeit der Politiker kann uns helfen - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 13.08.02 12:42:56 von
    neuester Beitrag 16.09.02 11:29:19 von
    Beiträge: 82
    ID: 619.473
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      schrieb am 13.08.02 12:42:56
      Beitrag Nr. 1 ()
      Es mag ja traurig sein, aber der Autor des folgenden, heute in der FAZ erschienenen Artikels hat Recht.

      Weitestgehend gedeckt werden diese Ausführungen durch die "Neue politische Ökonomie", einer wirtschaftswissenschaftlich geprägten Disziplin, die die Anreiz-Mechanismen in einer Demokratie untersucht.

      Treffend zum Thema vielleicht der herrliche Spruch von G. B. Shaw:

      "Demokratie ist die Staatsform, die garantiert, das die Bürger nicht besser regiert werden, als sie es verdienen."

      :laugh:



      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.08.2002, Nr. 186 / Seite 9

      Die üblichen Unschuldigen

      Warum wir uns um unsere Zukunft nicht zu sorgen brauchen / Von Dr. Heinz-Georg Macioszek


      I

      Jetzt, wo die fetten Jahre unwiderruflich vorbei sind, wird allenthalben der Ruf nach Reformen laut. Wie heikel die Angelegenheit ist, zeigt schon das Wort. Wie die Bezeichnung "Finaler Rettungsschuß", bei dem es sich weniger um eine Rettung als um eine Erschießung handelt, ist auch das Wort "Reform" ein Euphemismus, der aber verzeihlich ist, weil anderenfalls der Adressat unnötig aufgeschreckt und verstört würde.

      So wie Ärzte sich bei der Aufdeckung von Fehlern ihrer Kollegen zurückhalten, um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zu beschädigen, bemühen sich Politiker, ihre Wähler nicht schon durch eine untaugliche Vokabel auf beunruhigende Umstände aufmerksam zu machen.

      Unter den führenden Politikern aller Parteien besteht Einigkeit darüber, daß zur Reform des Arbeitsmarktes die Aufhebung des Kündigungsschutzes bei gleichzeitiger Senkung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gehört und daß die Reform des Gesundheitswesens für den Patienten höhere Zahlung aus eigener Tasche bedeuten würde. Einigkeit besteht auch darüber, daß die Verfechter solcher Programme schnell Gelegenheit hätten, sich über ein Leben nach der Politik Gedanken zu machen.

      II

      Wähler reagieren in der Regel sehr ungehalten, wenn ihnen geringere Zuwendungen bei größerer Unsicherheit und bei größerer Anstrengung versprochen werden. Sie lassen sich einen augenblicklichen Nutzen ungern mit dem Hinweis auf einen späteren Schaden verleiden. So sahen sich die Kumpels zu Ausschreitungen gezwungen, als Helmut Kohl die Subventionen für den Bergbau kürzen wollte. Unter den vielen Schwächen, mit denen wir geschlagen sind, nimmt die Neigung, das Ende nicht zu bedenken, einen herausragenden Platz ein. Daß viele Menschen unverbesserliche Optimisten und kurzfristige Hedonisten sind, zeigen Raucher, Trinker und Untergebene, die ihrem Chef die Meinung sagen. Nach Nietzsche ist der Mensch nur ein mittelmäßiger Egoist, dem seine Gewohnheiten und Vorlieben wichtiger sind als sein Vorteil - womit Nietzsche wohl den langfristigen Vorteil gemeint hat.

      III

      Politiker beachten diesen Zusammenhang und verzichten weise darauf, vor der Wahl Irritierendes zu äußern. Da analog zum Fußball nach der Wahl vor der Wahl ist, bleibt ihnen gar keine andere Entscheidung, als auf Reformprogramme dauerhaft zu verzichten.

      So spricht die Hartz-Kommission von "Umgestaltung der Sozialleistungen" und beweist damit, daß sie aus den Erfahrungen von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine gelernt hat.

      Als Schröder noch Regierungschef in Niedersachsen war, erklärte er einmal in einem selbstmörderischen Anfall von Wahrheitsliebe, der von seiner Partei erwogene Sozialumbau sei natürlich tatsächlich Sozialabbau. Die Reaktion auf seine Äußerung hat ihm die Wahrheitsliebe bis auf den heutigen Tag vergällt.

      Ähnliches widerfuhr dem Kanzlerkandidaten Lafontaine mit seiner Warnung, die Wiedervereinigung werde eine teure Angelegenheit. Er löste damit weit weniger Begeisterung aus als sein Gegner mit der Verheißung blühender Landschaften und bestand hinfort nicht mehr darauf, die Bevölkerung mit seiner Aufrichtigkeit zu verprellen.

      Der erfahrene Kandidat geht noch einen Schritt weiter und propagiert Veränderungen, die den Wähler spirituell in die Zeit des Wirtschaftswunders zurückversetzen. So hat Edmund Stoiber angekündigt, er werde die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verbessern, eine Reformidee, für die selbst der PDS bisher der Mut gefehlt hat.

      IV

      Politiker, die offen und unverbrämt einschneidende, schmerzhafte Veränderungen propagieren, werden nicht gewählt. Wer solche Programme von Politikern fordert, verlangt von ihnen die politische Selbstentleibung. Der Kandidat, der eine solche Wahnsinnstat begeht, wird in der Erinnerung eines Häufleins von Häretikern als Märtyrer fortleben und der Mehrheit als verwirrt und gefährlich gelten. Bewirken wird er nichts.

      Wie andere Menschen auch, verhalten sich Politiker entsprechend den Anreizen, die sie vorfinden. Ein Arbeitsloser, der ohne Arbeit annähernd das gleiche Einkommen erzielt wie mit Arbeit, ist nicht drückebergerisch, sondern vernünftig, wenn er auf Arbeit verzichtet. Er wird sein Verhalten ändern, wenn ihn die Umstände dazu zwingen, nicht wenn er Appelle an seinen Gemeinsinn erfährt, mithin an einen sektiererischen, am Rande der Gesellschaft beheimateten Irrglauben.

      Genau so vernünftig handelt ein Politiker, der sich nicht gegen grundlegende Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur auflehnt und statt dessen sein Handeln im Einklang mit einem Kernsatz der Sozialpsychologie einrichtet, wonach der Führer der Unfreieste seiner Gruppe ist.

      Wirtschaftspolitisch sind alle deutschen Politiker zu Recht Populisten. Es fliegen nur deshalb keine Steine, weil alle im Glashaus sitzen. Verantwortlich für den Reformstau sind aber nicht die Politiker, sondern die Wähler.

      Wie die Geschichte der DDR zeigt, muß eine grundlegende Konstruktionsschwäche nicht sofort zum Zusammenbruch eines Systems führen. Die unvergleichlich reichere Bundesrepublik kann noch eine ganze Reihe von Jahren verstreichen lassen, bis sich die Folgen einer fehlerhaften Wirtschafts- und Gesundheitspolitik im täglichen Leben direkt und schmerzhaft bemerkbar machen.

      V

      Wer sich damit nicht abfinden mag, kann seine Hoffnungen auf zwei Manöver setzen, die weltweit allerdings bisher nur wenige Male gelungen sind.

      Das erste: Wahlbetrug. Die siegreiche Partei verwirklicht eine Politik, über die sie im Wahlkampf den Mantel des Schweigens gebreitet hat, weil es zur sicheren Niederlage geführt hätte, wenn die Sieger ihre wahren Absichten vorher angekündigt hätten.

      Das Manöver verlangt an der Spitze der Partei schauspielerisch begabte Psychopathen und Gesinnungstäter, die unbekümmert um ihr Ansehen, ihre Gesundheit und ihre Wiederwahl gegen die zornentbrannte Mehrheit der Bevölkerung regieren.

      Obwohl gelegentlich hier und da ein hoffnungsvoller Ansatz zu erkennen ist, wird dieser Ausweg wohl aus Mangel an tauglichem Personal verschlossen bleiben.

      Die zweite Möglichkeit: Katastrophe. Ereignisse wie Erdbeben, Atom-Gau oder Terroranschlag - heftige Regenfälle reichen nicht - erlauben jeder Regierung, wenn sie nur schnell handelt, einschneidende Veränderungen auch in den Bereichen durchzusetzen, die mit der akuten Notlage nicht zusammenhängen und die von der Bevölkerung in ruhigen Zeiten nicht hingenommen würden. Katastrophen vermindern zwar nicht die Vorliebe der Bevölkerung für kurzfristigen Gewinn, untergraben aber vorübergehend ihre Widerstandskraft.

      VI

      Da Wahlbetrug und Katastrophen nicht leicht zu bewerkstelligen sind, wird der Politikwandel in Deutschland noch einige Zeit auf sich warten lassen. Aber selbst wenn es zu argentinischen Verhältnissen oder Schlimmerem kommen sollte, haben wir keinen Grund zu verzagen.

      Wie aus gewöhnlich gut informierten Kreisen verlautet, hält sich für diesen Fall Disney mit einem Angebot bereit, dem die Deutschen nicht widerstehen werden: Disneyland erwirbt Deutschland. Germany wird zum größten Vergnügungspark der Welt, in dem possierliche Ureinwohner vor entzückten Zuschauern Staat und Gesellschaft spielen.

      Der Kaufpreis macht es den Deutschen leicht, ihre Selbständigkeit nachträglich als Bürde zu empfinden. Disneyland übernimmt alle Schulden, tauscht das Geld 1:1 - einen Eurocent gegen einen Dollar - und garantiert die lebenslange, kostenlose Versorgung mit amerikanischen Qualitätserzeugnissen wie Koffeinbrause und Fleischbratklopsen.

      Wer wollte da noch kleinmütig Reformen anmahnen?

      *

      Der Verfasser ist Unternehmensberater.

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.08.2002, Nr. 186 / Seite 9
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 12:59:23
      Beitrag Nr. 2 ()
      Ausgezeichnet!

      Kurz zusammengefasst: Wir haben genau die Politiker (und auch die Politik), die wir verdienen.
      Nein, schlimmer noch: Wir wollen genau diese Politik.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 13:18:50
      Beitrag Nr. 3 ()
      Wäre lustig wenns nicht leider wahr wäre
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 13:23:01
      Beitrag Nr. 4 ()
      Sehr genau beobachtet ... :D

      Schade, daß ich den Artikel nicht in meiner Threadsammlung habe ... :D
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 13:33:56
      Beitrag Nr. 5 ()
      zu #1

      "Unter den führenden Politikern aller Parteien besteht Einigkeit darüber, daß zur Reform des Arbeitsmarktes die Aufhebung des Kündigungsschutzes bei gleichzeitiger Senkung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gehört und daß die Reform des Gesundheitswesens für den Patienten höhere Zahlung aus eigener Tasche bedeuten würde. Einigkeit besteht auch darüber, daß die Verfechter solcher Programme schnell Gelegenheit hätten, sich über ein Leben nach der Politik Gedanken zu machen."

      --------------------------------------------

      Das wären aber dann süsse Gedanken, diejenigen für das Leben nach der Politik! ;) Denn die so Geschaßten sind was? Richtig, werte Zeitgenossen mit der Ausstattung eines garantierten und gesicherten Kündigungsschutzes, halt Beamtenstatus! :D

      Die Kunst besteht nun einfach darin, den widerlichen Kündigungsschutz der Einen zu kippen und gleichzeitig den eigenen Kündigungsschutz zu bewahren. :laugh: Und das Ganze dann dem dämlichen Wahlvolk als Reform (Wendung zum Besseren), zu verscherbeln.

      Warum ist denn meine Halsschlagader wieder so fett? :mad:

      TT

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      schrieb am 13.08.02 13:39:49
      Beitrag Nr. 6 ()
      TT ... du scheinst kein Beamter zu sein ... :D
      vielleicht deswegen ...? :eek: :D :eek:
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 13:41:40
      Beitrag Nr. 7 ()
      Vorschlag für das Unwort des Jahres 2002: REFORM!
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 13:59:53
      Beitrag Nr. 8 ()
      ein wirklich interessanter artikel, der implizite auch gleich feststellt, wohin der hase zu laufen hat und zu wessen gunsten die republik umzugestalten ist:


      Unter den vielen Schwächen, mit denen wir geschlagen sind, nimmt die Neigung, das Ende nicht zu bedenken, einen herausragenden Platz ein. Daß viele Menschen unverbesserliche Optimisten und kurzfristige Hedonisten sind, zeigen Raucher, Trinker und Untergebene, die ihrem Chef die Meinung sagen.

      stimmt, dem chef, auch wenns angebracht ist, die meinung zu sagen, das ist sogar schlimmer als rauchen und trinken, und dabei noch nicht mal ein beitrag zum bruttosozialprodukt. also schnauze! eine gesellschaft, deren wirtschaft jenseits der wahrheit boomt, wozu offiziell gelogen wird, dass sich die balken biegen, und im angesicht der tatsachen vor allem die einen bluten läßt, kann sich unter keinen umständen unverbesserliche optimisten ausserhalb dieses verordneten optimismus derjenigen erlauben, die allen grund dazu haben, ....

      Ein Arbeitsloser, der ohne Arbeit annähernd das gleiche Einkommen erzielt wie mit Arbeit, ist nicht drückebergerisch, sondern vernünftig, wenn er auf Arbeit verzichtet. Er wird sein Verhalten ändern, wenn ihn die Umstände dazu zwingen, nicht wenn er Appelle an seinen Gemeinsinn erfährt, mithin an einen sektiererischen, am Rande der Gesellschaft beheimateten Irrglauben.

      kein wunder auch, wenn gänzlich unerwähnt bleibt, dass das arbeitslosengeld inzwischen innerhalb kürzester zeit bei 60% des ehemaligen nettoeinkommens liegt, also soweit abgesenkt worden ist, dass man sich der sozialhilfe nähert. fast die hälfte des bisherigen nettoeinkommens erlaubt nämlich die fettlebe schlechthin, also ist es nur gerecht, die unternehmenssteuern bis zum bankrott der städte abzusenken, als ausgleich sozusagen. daraus beim momentanen stand der arbeitslosigkeit zynische schlussfolgerungen zu ziehen, ist allerdings nur jemandem möglich, der sein sektierertum gut aufgehoben sieht im kreise derjenigen, die von diesen verhältnissen immer noch profitieren. verständlich, denn....

      Der Verfasser ist Unternehmensberater und schreibt nur eben mal seine objekitve meinung in der neutralen faz.

      was stattfindet, ist ein verteilungskampf, der mit allen bandagen geführt wurde und wird. der kuchen, der zu verteilen ist, steht zur disposition ... wie die herren in den oberen etagen der wirtschaft und in der politik (im verhältnis aber dann doch eher bescheiden) sich bedient haben und bedienen wollen, konnte und kann man jeden tag nachlesen. und der herr unternehmensberater weiss, mit welchen wölfen er zu heulen hat. aber auch für ihn trifft zu, womit in diesem falle natürlich nur die im lager der uneinsichtigen, d.h. die anderen gemeint sind: Nach Nietzsche ist der Mensch nur ein mittelmäßiger Egoist, dem seine Gewohnheiten und Vorlieben wichtiger sind als sein Vorteil - womit Nietzsche wohl den langfristigen Vorteil gemeint hat.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 14:03:46
      Beitrag Nr. 9 ()
      Interessant, wie schnell hier die Aussagen in #1 bestätigt werden. Traurig.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 14:12:31
      Beitrag Nr. 10 ()
      antigone, exakte und wunderbare Kommentierung des Artikels. Meine Zustimmung!
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 16:56:10
      Beitrag Nr. 11 ()
      @antigone

      im gegensatz zu timetunnel halte ich deine kommentierung für völlig an der sache vorbei gehend.

      du lamentierst emotional über eine vermeintliche verteilungsungerechtigkeit.
      von den erkenntnissen der wohlfahrtsökonomik aber hast du anscheinend noch nicht so viel gehört, denn sonst wüßtest du um die wohlfahrtsökonomisch kontraproduktive wirkung vieler vordergründich als "sozial" oder "moralisch" anmutender positionen.



      der autor des artikels thematisiert demgegenüber ein völlig anderes, sehr wichtiges und viel zu wenig diskutiertes thema:

      die spieltheoretisch und strategisch sehr ungünstige konstellation der spieler "politiker" und "wähler" in einer demokratie in dem fall, daß wähler so wählen und reagieren, wie dies der autor beschrieben hat und wie dies wohl in der realität auch zu großen teilen zutrifft.
      die politiker verhalten sich nur folgerichtig und hätten bei mehr ehrlichkeit leider keine chance.

      denn eine nachhaltigere politik (sustainability) berechnet nun einmal die zukünftig entstehenden höheren sozialen kosten kurzfristiger "wahlgeschenke" an die bürger ein.
      damit würde eine solche nachhaltige politik notwendig in der tendenz zu einer "gerechteren" verteilung von jetzigem und zukünftigem nutzen führen. hieraus folgen für das "heute" unpopulärere entscheidungen, als dies bei der aus wählersicht alternativen politikvariante der kurzfristigen nutzenmaximierung der fall ist.
      da wähler kurzfristig orientiert sind, hat diese politik aber keine chance und es werden weiter im heute 100,- DM-Geschenke verteilt und verschwiegen, daß in zehn jahren eine 1000,- DM-Steuer eingeführt werden muß, um diese geschenke zu finanzieren.

      interessant wäre es jetzt, konstruktiv darüber zu diskutieren, ob man in einem demokratie-system einen mechanismus oder eine institution einführen kann, der (die) dieses problem abfedert.

      dieser mechanismus müsste anreize für wähler und politiker bieten, sich von diesem verhalten zu lösen.

      vorschläge erbeten
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 17:51:51
      Beitrag Nr. 12 ()
      du lamentierst emotional über eine vermeintliche verteilungsungerechtigkeit. :laugh::laugh::laugh:

      im umkehrschluss folgere ich, dass du die tatsache der real existierenden verteilungsgerechtigkeit nicht genügend berücksichtigt findest? :laugh::laugh::laugh::laugh::laugh::laugh::laugh::laugh::laugh::laugh:

      ein richtig guter witz, gell?

      von der art von wohlfahrtsökonomie hab ich allerdings noch nichts gehört und auch du musst bei einigermaßen klarem verstand feststellen, dass dieses vokabel im angesprochenen zusammenhang mehr mit vernebelung als mit der realität zu tun hat. die begriffe "sozial" und "moralisch" erschliessen sich mir selbst hintergründich nicht, wenn von abbau der arbeitnehmerrechte im grossen stil die rede ist.

      die spieltheoretisch und strategisch sehr ungünstige konstellation der spieler "politiker" und "wähler" in einer demokratie in dem fall, daß wähler so wählen und reagieren, wie dies der autor beschrieben hat und wie dies wohl in der realität auch zu großen teilen zutrifft.

      schlecht verborgen bleibt bei deiner wissenschaftlich getarnten sprache, dass demokratie - rein spieltheoretisch, versteht sich - als organisationsform einer gesellschaft in gewissen zeiten wegen der ihr eigenen mangelhaftigkeit, nämlich der herstellung von gesellschaftlichem konsens - besser zur disposition gestellt wird, da ein teil der "spieler" aus der sicht von megaplayern sich so uneinsichtig verhält. wie uns die geschichte lehrt, werden von ganz grossen spielern in solchen umbruchzeiten andere orangisationsformen bevorzugt.

      mein vorschlag lautet daher: führen wir doch gleich in einer art grossem zapfenstreich verhältnisse ein, die es den überlegenen playern ermöglichen, ihre spielregeln endlich ohne wenn und aber durchzusetzen. rein spieltheoretisch ausgedrückt wäre das ein nachhaltiger patriot act. oder, ums politisch auf den begriff zu bringen: ein autoritärer staat, natrülich keine diktatur, nur ein staat, in dem endlich wieder autorität herrscht und dessen verfassung mit brutalstmöglicher ehrlichkeit aufzeigt, was man im neusprech unter zuhilfenahme einer lupe und einiger anstrengung möglicherweise bei genauerem hinsehen noch als bürgerrechte erkennen kann. dann haben wir das reich des heils erreicht, nämlich den zukünftigen weltbürger, der als zukünftiger flexible leiharbeiter in der endlich global gewordenen gesellschaft keinerlei ansprüche zu stellen hat, der dumme träumer.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 19:01:38
      Beitrag Nr. 13 ()
      also, ich möchte nicht zu den von diesem Unternehmensberater heimgesuchten Unternehmen gehören:

      "Ein Arbeitsloser, der ohne Arbeit annähernd das gleiche Einkommen erzielt wie mit Arbeit, ist nicht drückebergerisch, sondern vernünftig, wenn er auf Arbeit verzichtet. Er wird sein Verhalten ändern, wenn ihn die Umstände dazu zwingen, nicht wenn er Appelle an seinen Gemeinsinn erfährt, mithin an einen sektiererischen, am Rande der Gesellschaft beheimateten Irrglauben."

      Tja, ist eben total vernünftig, mit einem nahezu halbierten Nettoeinkommen ( 60% des letzten Netto, höchstens jedoch 60% des Nettos der Bemessungsgrenze) zu leben. Aber nur, wenn er Einkommensmäßig unterhalb der Bemessungsgrenzen lag. Ansonsten könnte es auch mal nur noch 10 oder 20 Prozent des nettogehaltes sein. "Wer möchte da noch arbeiten? "

      Es "lohnt sich" deswegen in Deutschland nicht, "zu arbeiten" , weil in den letzten 20 JAhren bereits die Sozialleistungen für AL radikal abgebaut wurden (Beispiel: Senkung der AL-Gelder von 80% auf 60% des letzten nettos)
      In Dänemark z.B. bekommt ein AL 90% des letzten Nettos.

      DA kann sich ein AL auch auf eine Umschulung oder Suche in Ruhe und ohne Not konzentrieren, weil er einfach nicht in den Strudel der finanziellen Not gerät. Er ist einfach sozial abgesichert und kann ruhig un dohne Existenzangst schlafen.

      Nach der zweifelhaften Logik des "Unternehmensberaters" müsste folgerichtig die AL-Quote und auch die Dauer der AL in Dänemark gigantisch hoch sein - denn es würde sich dort ja WIRKLICH kaum "lohnen", zu arbeiten.

      Dem ist aber genau nicht so: Die AL-Quote ist niedrig, die AL-Dauer ebenfalls.

      Das durchschnittliche Arbeitslosengeld (wohlgemerkt: inclusive der Familienväter! ) beträgt in Deutschland nur ein paar Euro mehr als Tausend Euro.

      Da hat der tolle Untrenehmensberater wohl nicht richtig nachgedacht.....

      bei der derzeitigen Höhe des AL-geldes bedarf es keinerlei Appellen an den Gemeinsinn, da reichen schon die Besuche des Gerichtsvollziehers, um in den allermeisten Fällen verzweifelt Arbeit zu suchen.
      Immer häufiger werden die privaten Insolvenzen. Weil´s "vernünftiger" als Arbeiten ist?

      Der Unternehmensberater meidet wohl Kontakt mit normalen Menschen. Auf jeden Fall sind ihm die Lebensverhältnisse von Arbeitslosen gänzlich fremd.

      Heute wurde gemeldet, daß in NRW die Zahl der Insolvenzen um fast 50% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist.

      Und das bestimmt nicht, weil es so geil ist, eine Eidesstattliche Versicherung abzugeben.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 19:07:18
      Beitrag Nr. 14 ()
      MAl davon abgesehen: Der Artikel ist eine Glosse ohne nennenswerte Tiefe.

      Er geht z.B. allen Ernstes davon aus, daß Wähler in Deutschland die Wahl haben.

      Absurder kann man wirklich nicht mehr argumentieren.... :laugh:

      Und er geht davon aus, daß Wähler nicht lernfähig sind.
      Was 1998 widerlegt wurde.

      Und 2002 erneut widerlegt wird, was die Abwahl der Regierung anbelangt.

      Und 1998 wie auch 2002 waren/werden mangels Wählbaren Parteien/Kandidaten nur Ab-Wahlen, nicht Wahlen.

      Wenn Lafontaine´s (einmalige) Ehrlichkeit jemals belohnt werden würde, dann im Wahljahr 2002.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 19:47:05
      Beitrag Nr. 15 ()
      @antigone
      im umkehrschluss folgere ich, dass du die tatsache der real existierenden verteilungsgerechtigkeit nicht genügend berücksichtigt findest


      nein, ich halte schlicht das in diesem sinne verstandene konzept der verteilungsgerechtigkeit für ein hirngespinst.

      Spontane Handelnsordnungen in einem marktwirtschaftlich organisierten system sind nicht sozial „gerecht“ oder „ungerecht“.
      Wohl aber die Spielregeln (formale Gerechtigkeit universalisierbarer „Regeln gerechten Verhaltens“).

      als analogie würde man sich bei einem schachspiel, dass regelgerecht ablief, hinterher auch nicht beschweren, daß es jetzt aber "ungerecht" sei, daß der eine verloren und der andere gewonnen hat.

      viel wichtiger: wenn das "Ergebnis des Spiels" im nachhinein in starkem maße umverteilt wird, macht das spielen keinen sinn mehr, da kein anreiz zum gewinn des spiels - "besser-sein" - mehr besteht. auf die marktwirtschaft übertragen, gibt es dann keine motivierten spieler mehr, demnach keine leistungsanreize und auf lange sicht nichts, was du noch umverteilen könntest.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 21:42:15
      Beitrag Nr. 16 ()
      @ leary99

      Du fröhnst dem Hirngespinst eines allseits freien und intakten Marktes.... jedenfalls in weiten Bereichen existiert ein solcher nicht.
      Es gibt sicherlich eine ganze reihe von Bereichen, wo man nicht von einem intakten und freiem Markt ausgehen kann, sondern von Marktversagen bzw. extrem reglementierten Märkten.

      Zum "angemessenen Verdienen" ist zu sagen, daß hier in Deutschland teilweise abstruse Schieflagen existieren.
      Das sage ich übrigens ohne Neid, sondern einfach, weil es in der Tat Ungerechtigkeiten gibt. Die der allseits gepriesene Markt eben nicht zu beseitigen in der Lage ist.

      Sondern eher sogar schafft.
      Avatar
      schrieb am 13.08.02 23:36:36
      Beitrag Nr. 17 ()
      @ keary
      kannst du mir mal erklären, wovon du eigentlich sprichst?

      weder die organisation von gesellschaften noch handelsordnungen haben mit spontaneität zu tun, auch nicht in marktwirtschaftlich organisierten systemen. die art und weise, wie gesellschaften die verteilung ihrer erwirtschafteten reichtümer vornehmen, ist resultat von historischen prozessen, in denen verschiedene gesellschaftliche gruppen ihre ansprüche am anteil mehr oder weniger erfolgreich durchsetz(t)en. sozialer friede, der durch eine annähernd als gerecht empfundene verteilung zustandekommt, ist selbst ein faktor, der von hoher bedeutung für das wirtschafts- bzw. gesellschaftssystem und seinen erfolg ist. und nichts davon ist statisch.

      `sinn` oder `unsinn` komplexer zusammenhänge auf schachspiele und "nachträgliche" (???????????) starke umverteilung (?????????????) sprichst du vom börsencrash? von irgendeinem putsch? von revolutionen? von kriegsgewinnlern? zu simplifizieren, und mit worthülsen wie `leistungsanreizen" zu würzen, macht nichts klarer, auch nicht dir selbst.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 00:56:46
      Beitrag Nr. 18 ()
      @Deep Thought
      Du fröhnst dem Hirngespinst eines allseits freien und intakten Marktes.... jedenfalls in weiten Bereichen existiert ein solcher nicht.
      Es gibt sicherlich eine ganze reihe von Bereichen, wo man nicht von einem intakten und freiem Markt ausgehen kann, sondern von Marktversagen bzw. extrem reglementierten Märkten.


      bestreite ich gar nicht - ich sage nur - wahrscheinlich im gegensatz zu dir - ,daß es dann im allgemeinen besser und wohlfahrtsfördernder wäre, diese marktversagen oder reglementierungen zu beseitigen.

      Zum "angemessenen Verdienen" ist zu sagen, daß hier in Deutschland teilweise abstruse Schieflagen existieren.

      wer soll nach welchen maßstäben entscheiden, wo "angemessenes" verdienen aufhört und "unangemessenes" verdienen anfängt? volkswirtschaftlich gesprochen sind große einkommen, die du wahrscheinlich als unangemessen bezeichnen würdest, für die optimale und wohlfahrtssteigernd wirkende allokation von produktionsfaktoren in den bereichen, in denen große nachfrage herrscht, förderlich. die kappung von hohen einkommen in diesen bereichen würde nur dazu führen, den kapazitätsaufbau in diesen bereichen zu behindern und wäre demnach eher hinderlich als nützlich.


      @antigone

      weder die organisation von gesellschaften noch handelsordnungen haben mit spontaneität zu tun, auch nicht in marktwirtschaftlich organisierten systemen.

      doch haben sie. marktergebnisse sind geradezu ein paradebeispiel für spontane ordnungen. sie sind deshalb spontan, weil sie auf den simultanen, individuell nutzenmaximierenden entscheidungen unzähliger wirtschaftssubjekte beruhen und ein allokatives ergebnis eben nicht vorhersagbar ist. deshalb nicht, weil kein individuum oder irgendeine planstelle "schlauer sein kann als der markt" , der aus den präferenzen aller marktbeteiligten besteht.

      die art und weise, wie gesellschaften die verteilung ihrer erwirtschafteten reichtümer vornehmen, ist resultat von historischen prozessen

      die verteilung erwirtschafteter reichtümer ist in nicht marktwirtschaftlich organisierten gesellschaften viel stärker resultat von politischen und historischen prozessen. die marktwirtschaft ist noch am ehesten dazu in der lage, volkswirtschaftlich ineffektiv genutzte reichtümer zu vernichten und in kürzester zeit reichtümer in bereichen zu schaffen, die konsumenten hohen nutzen versprechen.

      von der art von wohlfahrtsökonomie hab ich allerdings noch nichts gehört und auch du musst bei einigermaßen klarem verstand feststellen, dass dieses vokabel im angesprochenen zusammenhang mehr mit vernebelung als mit der realität zu tun hat.

      empfehle die lektüre von mankiw "grundzüge der volkswirtschaftslehre"; kann jeder nicht-ökonom verstehen.
      ansonsten jegliche volkswirtschaftlichen lehrbücher zur "wohlfahrtsökonomie", "umweltökonomie" und - um vielleicht zum thema zurückzukommen - zur "neuen politischen ökonomie".

      wenn man sich in die materie etwas einarbeitet erkennt man schnell, das eher der öffentlich diskurs über diese themen mit vernebelnden schlachtrufen wie "soziale gerechtigkeit", etc. gespickt ist und die von dir abgelehnte nutzung des standardvokabulars eher in der lage ist, klarheit in das thema zu bringen.

      kannst du mir mal erklären, wovon du eigentlich sprichst? "nachträgliche" (???????????) starke umverteilung (?????????????) sprichst du vom börsencrash? von irgendeinem putsch? von revolutionen? von kriegsgewinnlern?

      mit nachträglicher zu starker umverteilung meine ich das Ausmaß des unterschieds zwischen Brutto-Gewinnen/-Löhnen und Netto-Gewinnen/-Löhnen. Dieser Unterschiedsbetrag ist der betrag, der "nachträglich", d.h. nach dem ergebnis von angebot/nachfrage auf märkten umverteilt wird und für transferzahlungen genutzt wird. ich bestreite nicht, daß geld für ein funktionierendes rechtssystem, infrastruktur, etc. zur verfügung stehen muß.
      jedoch wirkt der wunsch nach hoher verteilungsgerechtigkeit dahin, daß das anreizsystem - der grund, weshalb eine marktwirtschaft so effektiv ist - nach und nach kaputt geht und am ende durch einen sozialen pathos eher die allgemeine wohlfahrt vermindert, denn vermehrt wird.
      Ein "Leistungsanreiz" ist schon deshalb keine worthülse, weil damit der wohl entscheidende und machtvollste faktor jedes wirtschaftlichen handels überhaupt benannt wird.



      schade, daß wir vom thema abgekommen sind.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 09:21:34
      Beitrag Nr. 19 ()
      leary, wirtschaftswissenschaft samt ihrer axiome liefert paradebeispiele für ein weltverständnis, das vor allem sich selbst `erklärt`. ich liebe diese gestanzten formeln, die so herrlich nichtssagend und dabei aufgeladen an bedeutung sind, dass nur noch ehrfurcht bleibt:

      marktergebnisse sind geradezu ein paradebeispiel für spontane ordnungen. sie sind deshalb spontan, weil sie auf den simultanen, individuell nutzenmaximierenden entscheidungen unzähliger wirtschaftssubjekte beruhen und ein allokatives ergebnis eben nicht vorhersagbar ist. deshalb nicht, weil kein individuum oder irgendeine planstelle "schlauer sein kann als der markt" , der aus den präferenzen aller marktbeteiligten besteht.

      oder kurz auf den punkt gebracht: spontan ist, wenn wir nachher klüger sind als vorher. insofern sind wir sogar beim thema geblieben ;)
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 10:14:44
      Beitrag Nr. 20 ()
      Was ist denn, bitteschön, eine "gerechte" Verteilung?

      Ist es "gerecht", dass Gold mehr kostet als Silber? Und deswegen ein Goldminenbesitzer bei gleicher Kapazität mehr verdient als ein Silberminenbesitzer?

      Oder hat das etwa mit der Knappheit der Güter zu tun? Und der Nachfrage nach diesen Gütern?

      Ist es "gerecht", dass ein Arzt mehr verdient als ein Bauarbeiter? "Leistet" er mehr? Oder liegt es vielleicht einfach nur daran, dass wegen der harten Ausbildung (Studium etc.) das Angebot an Ärzten kleiner ist als das Angebot an Bauarbeitern? Mal abgesehen davon, dass ziemlich jeder als Bauarbeiter arbeiten kann, während für den Arztberuf nicht unerhebliche intellektuelle Voraussetzungen notwendig sind.

      Ist es "gerecht", dass rund 40% der niedergelassenen Rechtsanwälte am Existenzminimum leben, nebenher Taxi fahren etc.? Oder liegt es daran, dass es einfach zu viele Anwälte gibt? Soll man in diese Verteilung staatlicherseits eingreifen?

      Der Markt regelt nicht alles, schon klar. Aber wir geben ihm ja nicht mal eine Chance.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 11:24:30
      Beitrag Nr. 21 ()
      @D.T. #14:

      Schön wär`s. Von wegen "Lernfähigkeit" der Wähler.
      Allein, mir fehlt der Glaube daran. Warum wohl drückt sich Stoiber vor klaren Aussagen zu notwendigen Reformen? Weil er dann keine Chance auf einen Wahlsieg hätte.

      Es ist schon so, dass wir die Politiker haben, die wir verdienen.

      Zeigt sich doch auch in der Diskussion hier in diesem Thread. Reformen, ja bitte. Aber niemandem dabei wehtun, okay? Zumindest nicht mir. Immer schön bei den anderen.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 17:38:24
      Beitrag Nr. 22 ()
      @ rainer
      das sind in der tat die fragen, die sich stellen....

      jedenfalls in einer welt, in der reichtum und armut so drastisch verteilt sind, wie in unserer. mir hat es beinahe den atem verschlagen, als ich vor jahren las, dass 90% des amerikanischen volksvermögens in der hand von einem prozent der amerikanischen bevölkerung konzentriert sind. ich nehme mal an, dass die tendenz ;) zur verteilungsungerechtigkeit inzwischen nicht abgenommen, sondern eher zugenommen hat. und ich kenne die zahlen für die brd nicht, könnte man nachgucken.... sie werden nicht ganz so dramatisch sein...

      was den bauarbeiter und den arzt anbelangt, so stelle ich mal ganz ketzerisch die frage, wer von den beiden eigentlich das öffentlich finanzierte schul- bzw. hochschulsystem mehr in anspruch nimmt und damit auch dieser öffentlichkeit mehr verpflichtet ist? ich weiss nicht, wie sich das in der entlohnung niederschlagen sollte, aber müsste es nicht berücksichtigung finden? oder ein anderer gedanke, der nicht von der hand zu weisen ist, wenn er denn zutrifft, d.h. die arbeit in der tat einen hohen grad an befriedigung verspricht - das ist doch eigentlich das, was wir alle wollen, oder?

      Gerechter Lohn

      "Man hört oft gegen den Anspruch der Lohnarbeiter auf VERKÜRZUNG IHRER ARBEITSZEIT mit dem Argument protestieren, daß ja viele in der Gesellschaft, die nicht Lohnarbeiter sind, ebenso lange und noch viel länger arbeiten [...]. Bei einer solchen Art zu argumentieren ignoriert man aber, daß der Arbeiter ja nur um den Lohn arbeitet, während die [...], die sich ihren Beruf frei wählen können, eine Arbeit haben, die sie [...] unmittelbar befriedigt.

      Während die sogenannten höheren Berufe unmittelbar zur inneren Ausbildung und damit zum Wert des Lebens beitragen, kann sich der Lohnarbeiter nur außerhalb seiner Arbeitszeit seiner geistigen Ausbildung widmen und seinem Leben einen Wert geben.

      Wir können sagen, daß die Arbeit in dem Maße, als sie nur als Mittel dient, um in den Besitz der zur Interessenbefriedigung erforderlichen Güter zu gelangen, ihrerseits eine Interessenverletzung und also eine negative Interessenbefriedigung darstellt. Wir erhalten dann als allgemeines Ergebnis den Satz, daß die Arbeit im umgekehrten Verhältnis zu der an sich schon durch sie gewährten Befriedigung zu entlohnen ist."

      (Leonard Nelson, Gesammelte Schriften, Band VI, S. 302.304)

      wenn unseren gesellschaften die bezahlte - nicht die unbezahlte - arbeit auszugehen scheint, ist es umso dringlicher, sich darüber gedanken zu machen. ebenso wie über die frage, wie es sich in solchen gesellschaften leben läßt bzw. wie diese gesellschaften dann zu organisieren sind.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 18:06:26
      Beitrag Nr. 23 ()
      @antigone:

      Zunächst danke für die ernsthafte Antwort.

      90% gehören 1%? Mag sein. Diese Verteilung ist sehr ungleich. Ist sie deswegen ungerecht? Diese beiden Begriffe werden leider sehr oft synonym verwendet, was zu Missverständnissen führt.

      Um es klarzustellen: Ich bin für eine gewisse Umverteilung, weil ich sie aus vielerlei Gründen für notwendig, für sinnvoll halte. Umverteilung ist aber nie gerecht.

      Krasses Beispiel: Ist es gerecht, dass ein geistig Behinderter Unterstützung bekommt? Nein, gerecht ist es nicht. Es ist human, es ist für uns alle gut, wenn es so ist, aber es ist eben nicht gerecht.

      Zum Bauarbeiter und dem Arzt: Deine Argumentation könnte eine höhere Steuerbelastung des Arztes rechtfertigen. Wobei dann aber die Frage zu stellen ist, warum der Bauarbeiter, der sich mit einer Baufirma selbständig macht und eben so viel verdient, wie der Arzt, die gleichen Steuern bezahlen muss. Das ist aber ein ganz anderes Thema. Ich wollte darauf hinaus, dass es so etwas wie einen "gerechten Lohn" einfach nicht gibt, nicht geben kann.
      Wenn man den Gedanken von Nelson zu Ende führt, müsste der Arzt ja weniger verdienen als der Arbeiter, weil nur der Arzt den "Zusatznutzen" (Befriedigung bei der Arbeit) hat. Genau das war im Sozialismus der Fall. Über die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen und die Wirtschaft im Allgemeinen müssen wir wohl nicht diskutieren. Außerdem scheint mir hier bei Nelson ein Arbeiterbild zugrunde zu liegen, das nicht mehr ganz aktuell ist. Passt eher in den Frühkapitalismus.

      Und, wenn Du konsequent bist, müsstest Du für Studiengebühren oder eine Bildungssteuer sein, damit der Arzt an den Kosten seiner Ausbildung beteiligt wird und sich nicht sein Studium durch den Bauarbeiter finanzieren lässt. Aber auch dies ist ein anderes Thema.

      Arbeitszeitverkürzung lehne ich ab. Wenn auch aus ganz anderen Gründen. Wir haben zu wenig Arbeitsplätze. Die Lösung des Problems kann nicht darin liegen, den Faktor Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung noch weiter zu verteuern. Es ist ja nicht so, dass wir zu wenig Arbeit haben. Sie ist einfach nur zu teuer. Die Arbeit geht uns also keineswegs aus. Du arbeitest, wenn ich das richtig verstanden habe, im sozialen Bereich. Hast Du den Eindruck, dass uns dort die Arbeit ausgeht? Das Gegenteil dürfte der Fall sein.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 18:14:20
      Beitrag Nr. 24 ()
      nochmal zu #22

      Eine Verteilungsgerschtigkeit gründet sich auf die Idee, daß die Verteilung "sozial gerecht" sein soll.
      Was bezweckt man eigentlich mit dem Zusatz „sozial“? Ohne ihn ist „Gerechtigkeit“recht klar definierbar. Es handelt sich um ein universelles Prinzip, an dem alles politische Handeln gemessen und auf seine moralische Legitimität hin überprüft werden kann. Dies setzt u.a. gleiche Regeln für alle voraus. Gerade dies will der Verfechter der „sozialen Gerechtigkeit“ in der Politik nicht. Er will nicht, dass jeder gemäß einer gleich angewandten Regel behandelt wird, sondern er will in irgendeiner Form materiell umverteilen. Dies kann er nur, wenn er ungleich behandelt. Im Gegensatz zu jenen, die sich aus Menschlichkeit für die Linderung von Not und Leid einsetzen, suggeriert der Verfechter einer „sozialen Gerechtigkeit“, es gebe einen umfassenden moralischen Maßstab für seine Umverteilungsabsichten. Jeder soll das an den Gütern dieser Welt bekommen, was ihm zusteht. Einen solchen Maßstab gibt es aber, wie z.B. Hayek zu Recht meint, nicht.
      „Niemand hat bis jetzt eine einzige allgemeine Regel herausgefunden, aus der wir für alle Einzelfälle, auf die sie anzuwenden wäre, ableiten könnten, was ‚sozial gerecht‘ ist.“
      Was genau steht denn jedem zu? Nicht wenige glauben, dass irgendwie jeder einen ihm persönlich oder als Kollektivmitglied zukommenden Anteil an allen materiellen Gütern haben müsse. Der Umfang des Unheils, das so angerichtet wird, ist kaum zu überschätzen. Soll der Faule den gleichen Anteil bekommen wie der Fleißige? Oder nicht? Um wieviel größer oder kleiner soll sein Anspruch sein? Kein menschliches Wissen hat bisher diese Fragen präzise beantworten können. Was blieb, war entweder die Hoffnung auf eine jenseitige göttliche Gerechtigkeit oder – hier auf Erden – willkürlich gewählte Ansprüche, denen meist mit politischer Macht Nachdruck verliehen wurde. Denn dadurch, dass eine solche "soziale Gerechtigkeit" kein definierbares Ideal ist, erlaubt sie einen fast unbegrenzten Spielraum des Transfers von einer gesellschaftlichen Gruppe zur anderen. Jeder kann nehmen, jeder kann geben (oder realistischer formuliert: Jeder kann zum Geben gezwungen werden). Zufrieden ist eigentlich keiner, weil es keinen definierbaren Endzustand gibt, in dem die "soziale Gerechtigkeit" verwirklicht sein könnte.
      Hat die eine Gruppe ein Privileg zugeteilt bekommen, so muss es auch die nächste Gruppe bekommen. Dies funktioniert durch Ausgrenzung (man denke an die Arbeitslosen, die Opfer des staatlich gewollten Tarifkartells sind), durch Leben auf Kosten künftiger Generationen oder durch ausufernde öffentliche Verschuldung.
      Alle Vorstellungen von sozialer "Verteilungsgerechtigkeit" führen zu einer Zunahme der Bevormundung in einer Gesellschaft.
      Gerechtigkeit als universeller Maßstab dessen, was jedem gebührt, macht nur Sinn, wenn nicht willkürliche Ansprüche an andere gemeint sind, sondern das formale Recht auf Schutz dessen, was als das „Eigene“ erworben wurde. Das, was dem Menschen gebührt, ist das, was er ohne Verletzung der Rechte anderer erworben hat.
      Jeder Mensch hat das gleiche unveräußerliche Recht, sich selbst und sein Eigentum geschützt zu sehen. Dies ist die liberale Vorstellung von Gerechtigkeit. Ihr Anspruch ist human bescheiden, weil sie das menschliche Wissen nicht überfordert. Nur eine an diese Gerechtigkeitsvorstellung gebundene Politik schützt die Freiheit des einzelnen vor Zwang und Gewalt.
      Aber ist eine solche Gerechtigkeit nicht der Ausdruck ärgster Herzlosigkeit, wie oft von Nicht-Liberalen vermutet wird?
      Keineswegs! Mit dem Grundsatz des Schutzes individueller Eigentumsrechte hat der Liberalismus auch zugleich einen Schutz vor gewaltsamer Ausbeutung geschaffen, die sich fast immer politischer Machtmittel bedient. Fast alle großen Armuts- und Hungerkatastrophen der Weltgeschichte sind durch rücksichtslose Anwendung staatlicher Macht entstanden – nicht durch zuviel Freiheit im liberalen Sinne. Der Sieg über die Not ist einer der großen Triumphe des Liberalismus. Insofern können auch Liberale (Hayek zum Trotz) für sich reklamieren, dass ihre Gerechtigkeit eine „soziale Gerechtigkeit“ ist.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 18:21:40
      Beitrag Nr. 25 ()
      @leary:

      Klarstellend: Wer den Begriff der "Sozialen Gerechtigkeit" als Worthülse ablehnt, wie ich es tue, lehnt nicht zwingend auch die Umverteilung an sich ab. Ich habe keine Probleme damit, dass mit meinen Steuerzahlungen Menschen geholfen wird, die unverschuldet in Not geraten sind.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 18:27:12
      Beitrag Nr. 26 ()
      Ein paar Sätze AN unsere Politvorbilder

      Raffe, raffe, Schlösser baue`,
      und auf die Moral net schaue`,
      wer ehrlich ist, muß blöde sein,
      bleibt zeitlebens armes Schwein,
      kriegt sein Fett, doch keine Butter,
      dient den Haien nur als Futter.
      Wenn Betrug und Korruption
      vorbildlich ganz oben schon
      anerkannt, Erfolg verspricht,
      übt bald keiner mehr Verzicht
      auf die schnelle Mark im Dunkeln,
      wo`s bekanntlich gut zu munkeln.
      Gewissen gibt es dann nicht mehr,
      das ganze Volk ein Gaunerheer.
      Jeder muß den Vorteil suchen,
      will `was haben von dem Kuchen,
      notfalls mit Gewalt und Tücke,
      listig nutzend jede Lücke.
      Nur Erfolg und Macht und Geld
      zählt noch `was auf dieser Welt,
      Bescheidenheit und Ehrlichkeit
      wird verlacht, kommt nicht sehr weit.
      Ob Steuergeld, Versicherung,
      kaum einer kommt darum herum,
      Betrugsverluste auszugleichen,
      es trifft die Armen wie die Reichen.
      Nur die, die nicht betrügen,
      zahlen mit für die, die lügen.
      Avatar
      schrieb am 14.08.02 21:40:14
      Beitrag Nr. 27 ()
      Pressemitteilung vom 21.5.1999
      "Mit Billiglöhnen und schlechten Sozialstandards läßt sich die Zukunft nicht meistern". IAT-Vizepräsident Prof. Dr. Gerhard Bosch zu Tendenzen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen im Ländervergleich - Kosten der Deregulierung

      Billiglöhne und Abbau des Sozialstaats können in Deutschland und anderen Industrieländern wenig zur Lösung des Beschäftigungsproblems beitragen. Wie internationale vergleichende Studien der OECD zeigen ist "mehr als zweifelhaft, ob Niedriglöhne tatsächlich positive Beschäftigungseffekte bringen", so der Arbeitsmarktexperte Prof. Dr. Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen). Die negativen Auswirkungen einer solchen Strategie sind gravierend: schon kurzfristig werden Ausbildungs- und Weiterbildungsanstrengungen geschwächt, langfristig sind Fachkräftemangel, verlängerte Arbeitszeiten bei denen, die Arbeit haben, und soziale Zerfallserscheinungen an unteren Ende der Einkommensskala bis hin zu Schattenwirtschaft und Kriminalität die Folgen.

      "Die Thesen, die eine Lösung des Beschäftigungsproblems durch Abbau des Sozialstaats und Abschaffung der Tarifverträge versprechen, sind ökonomisch verfehlt", meint Bosch. Nach den OECD-Daten hat die Deregulierung des Arbeitsmarktes beispielsweise in Großbritannien und den USA zu großen Ungleichheiten in der Einkommensverteilung geführt, während in Deutschland, Belgien und Norwegen mit Tarifverträgen, Mindestlohnregelungen und einem ausgebauten Sozialstaat in den letzten zehn Jahren die Einkommensungleichheit weiter verringert wurde. Nach amerikanischer Einkommensverteilung müßten beispielsweise in Deutschland die Einkommen von Verkäuferinnen von 2000 DM monatlich auf 1000 DM sinken. Daß die Absenkung der unteren Einkommen zu mehr Beschäftigung führen könnte, belegen die Zahlen keineswegs. In den USA wurden vor allem in den oberen Einkommenssegmenten zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Und die dürftige britische Beschäftigungsbilanz läßt sich kaum als Beleg für die Vorteile von mehr Ungleichheit heranziehen.

      Zunehmende Lohndifferenzierung erleichtert auch nicht den Einstieg in besser bezahlte Tätigkeiten. Beim Vergleich der Einkommensmobilität - dem Auf- oder Abstieg in der Einkommenshierarchie eines Landes -, waren in Deutschland von den 1986 Niedrigverdienenden 26 Prozent auch sechs Jahre später noch in dieser Einkommensklasse. In Großbritannien lag die entsprechende Quote bei 39 Prozent und in den USA sogar bei 55,8 Prozent. "Mit zunehmender Armut erhöht sich also die Wahrscheinlichkeit, arm zu bleiben. Daran ändert auch der eine oder andere ehemalige Tellerwäscher in der Vorstandsetage eines Unternehmens wenig", so Prof. Dr. Gerhard Bosch.

      Während die Arbeitsmärkte in den USA und in Großbritannien nach oben hin weniger durchlässig als der deutsche sind, ist deren Abwärtsmobilität deutlicher ausgeprägt. Unter den 1991 gering Verdienenden hatten in den USA 1986 noch 12,3 Prozent mehr als 95 Prozent des mittleren Einkommens verdient, in Großbritannien 11,6 Prozent und in Deutschland 5,4 Prozent. "Mit wachsender sozialer Ungleichheit erhöht sich also nicht nur die Gefahr arm zu bleiben, sondern auch die, arm zu werden", so Prof. Bosch.

      "Mit Billiglöhnen und schlechten Sozialstandards kann man die Zukunft nicht meistern. Positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt sind unsicher. Wenn sie aufträten, wären sie ein Strohfeuer, da zu wenig in Bildung, also in die Zukunft investiert wird", so Prof. Dr. Bosch. Während eine komprimierte Lohnstruktur und ausgebauter Kündigungsschutz den Unternehmen große Anreize bieten, in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten zu investieren, schwinden bei sinkenden Löhnen die Qualifizierungsanstrengungen. Hohe Leistung und Motivation kann man nur von Beschäftigten verlangen, die auch angemessen bezahlt, behandelt und ausgebildet werden.

      Vor allem wird übersehen, daß in fast allen Industrieländern die Nachfrage nach gering qualifizierter Arbeit in den letzten Jahren regelrecht kollabiert ist. Qualifizierte Arbeit ist eine der Voraussetzungen dafür, daß sich unsere Wirtschaft durch die innovative Weiterentwicklung ihrer wissensintensiven Produktpalette auf den globalen Exportmärkten behaupten konnte. So sind die deutschen Exportpreise zwischen 1980 und 1990 um 40,4 Prozent angestiegen, die Importpreise hingegen nur um 20,2 Prozent.

      "Wir müssen mehr auf Qualifikation und moderne und effiziente Formen der Arbeitsorganisation setzten, wozu auch flexible Arbeitszeiten gehören," so Bosch. "Wenn die für eine effiziente Wirtschaft notwendige Flexibilität nicht innerhalb unseres Tarif- und Sozialsystems geregelt wird, etabliert sie sich außerhalb dieses Systems und höhlt es langsam aus"....

      http://www.iatge.de/index.html?aktuell/presse/990521-2.html

      @ leary

      Alle Vorstellungen von sozialer "Verteilungsgerechtigkeit" führen zu einer Zunahme der Bevormundung in einer Gesellschaft.
      Gerechtigkeit als universeller Maßstab dessen, was jedem gebührt, macht nur Sinn, wenn nicht willkürliche Ansprüche an andere gemeint sind, sondern das formale Recht auf Schutz dessen, was als das „Eigene“ erworben wurde. Das, was dem Menschen gebührt, ist das, was er ohne Verletzung der Rechte anderer erworben hat. Jeder Mensch hat das gleiche unveräußerliche Recht, sich selbst und sein Eigentum geschützt zu sehen. Dies ist die liberale Vorstellung von Gerechtigkeit. Ihr Anspruch ist human bescheiden, weil sie das menschliche Wissen nicht überfordert. Nur eine an diese Gerechtigkeitsvorstellung gebundene Politik schützt die Freiheit des einzelnen vor Zwang und Gewalt.


      die frage nach der bevormundung stellt sich im unternehmen gar nicht, sie spielt allerdings in der gesellschaft eine rolle, die sich demokratisch verfasst hat. wie in modernen gesellschaften durch medial hergestellte öffentlichkeit beeinflussung im sinne von bevormundung herstellt, dafür ist die berichterstattung zum gipfel in genua ein hervorragendes beispiel...


      besonders hervorzuheben in deinem beitrag ist das formale Recht auf Schutz dessen, was als das „Eigene“ erworben wurde. Das, was dem Menschen gebührt, ist das, was er ohne Verletzung der Rechte anderer erworben hat. wie diese vermögen in anbetracht meiner bemerkung zu der verteilung des volksvermögens in den usa - als beispiel - zustandegekommen sind - nicht nur nach enron, halliburton usw., sondern auch in anbetracht der verschiebung der zusammengeraubten vermögen aus der ns-zeit insbesondere auch vor dem hintergrund der verquickungen mit grossfinanziers bzw. banken wie schroders und anderen profiteuren wie ford und anderen geldgebern aus den usa, nicht zu vergessen die mobutos dieser welt - dürfte allerdings eine interessante fragestellung sein. ohne (massive) verletzung der rechte anderer sind sie jedenfalls nicht erworben worden.

      fraglich bleibt vor diesem hintergrund des weiteren, ob die schlussfolgerung: Nur eine an diese Gerechtigkeitsvorstellung gebundene Politik schützt die Freiheit des einzelnen vor Zwang und Gewalt. vor dem hintergrund auch nur die geringeste berechtigung hat. oder anders formuliert: wessen rechte werden hier eigentlich zu wessen ungunsten geschützt?
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 09:46:14
      Beitrag Nr. 28 ()
      @antigone

      zu #27 (Deine Antowrt an leary): Da ist was dran. Man denke auch an das gewaltige Vermögen, das der Adel noch immer hat. Hier kann man sicher nicht davon sprechen, dass es ohne die Verletzung der Rechte Dritter erworben wurde.
      Wessen Rechte ich allerdings verletzt habe, ist mir nicht klar.

      und noch ein Nachtrag zu #22 bzw. 23: Hatte ich gestern vergessen: Der Effekt, den Du ansprichst (Zufriedenheit mit der Arbeit) ist doch in den Löhnen bereits eingepreist. Schlimm nur für denjenigen, dem ein bestimmter Job überhaupt keinen Spaß macht, wenn dieser Job von der Mehrheit der Leute als befriedigend angesehen und deswegen relativ niedrig bezahlt wird.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 11:22:15
      Beitrag Nr. 29 ()
      @Rainer

      Darf und kann man innere Zufriedenheit im Job nur über die Größe "Entlohnung" definieren? Meine Wenigkeit selbst sucht da vorrangig eher die Identifikation mit dem beruflichen Tun. Immerhin verspeist dieses Tun eine gehörige Portion Lebenszeit von uns allen. Zum Vergeuden habe ich aber nichts über, schon gar nicht einen Teil meiner Lebenszeit. Ja, und nun muß man einfach feststellen und zur Kenntnis nehmen, daß viele Menschen in unseren Reihen eine andere Gebundenheit im Job haben. Sie sind abhängig Beschäftigte in der Weise, daß es für sie ein Zwangsverhältnis beschreibt, da Auswahl, Chancengleichheit u. Bildungsmöglichkeiten aus den vielfältisten Gründen ihnen nie zum Angebot des Annehmens vorlagen, aber eben die verdammte Abhängigkeit zum Faktor Lohn besteht, damit die eigene Familie versorgt ist. Bei solcher Zweckgebundenheit stellt sich ganz sicher keine innere Zufriedenheit ein und sie werden so leicht zum Spielball einer Verhandlungsmasse im Jonglieren heutiger wirtschaftlicher Gepflogenheiten. Alles nur deshalb möglich, weil der Faktor Lohn (als Lebensunterhalt) Macht ausüben kann, was nun auch zur Genüge breite Anwendung finden soll (Hartz & Co.).

      TT
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 16:28:11
      Beitrag Nr. 30 ()
      Die erste wirklich interessante Diskussion hier im Politikforum, die ich gelesen habe!

      Besonders amüsant an der Diskussion ist, dass sie eines der Grudnprobleme, das wir in Deutschland haben, ganz kompakt in einer Diskussion zweier Kontrahenten (antigone, leary) darstellt, das aber symptomatisch für die heutige deutsche Situation ist:
      Der (oder die?) eine (antigone) diskutiert prozesspolitisch (Verteilungsgerechtigkeit steht hier im Mittelpunkt der Argumentation), der andere (leary) ordnungspolitisch (die Stichworte seiner Beiträge sind "Regeln", "Ordnung" etc).
      Beides sind zwei sich gegenseitig ausschließende Lehren, bleibt also jeder bei der seinen, werdet ihr per defintion nicht zu einem Ergebnis kommen können.

      Das wirklich interessante (und entlarvende) erschließt sich dem aufmerksamen Leser, wenn er die Fragezeichen der Beiträge der beiden zählt: Hier liegt eindeutig antigone vorn und das ist symptomatisch auch für die wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen in diesem unseren Lande.
      Die Prozesspolitiker verstehen die Ordnungspolitiker einfach nicht (was von antigone immer wieder explizit geäußert wird) und sie kommen zu dem Schluß Menschen ordnungspolitischem Bewußtseins würden wirres Zeug reden (stellvertretend sei folgenderv Satz von antigone angeführt, ich zitiere: "`sinn` oder `unsinn` komplexer zusammenhänge auf schachspiele und "nachträgliche" (???????????) starke umverteilung (?????????????) sprichst du vom börsencrash? von irgendeinem putsch? von revolutionen? von kriegsgewinnlern? zu simplifizieren, und mit worthülsen wie `leistungsanreizen" zu würzen, macht nichts klarer, auch nicht dir selbst"), weshalb ordnugs- und prozesspolitisch motivierte Menschen in der Regel (leider) schlichtweg aneinander vorbei reden.

      Für mich ist die Diskussion nicht in den Teilen interessant, wo ihr über konkrete Maßnahmen diskutiert, sondern dort wo euer unterwschiedlicher wissenschaftlicher Kenntnisstand deutlich wird. Ohne für konkrete Aussagen von leary Partei nehmen zu wollen, kann ich an die Adresse von antigone nur sagen, dass Deine Vorwürfe (vgl obiges Zitat) an leary nicht berechtigt sind, vielmehr machen Deine Postings deutlich, dass Du Dích mit ordnungspolitischen Lehren befassen solltest, um anschließend in diese Diskussion zurückzukehren, ich denke dann werdet Ihr näher beisammen sein, denn wer die ordnungspolitischen Schriften genossen hat, der wird nicht umhinkommen, sich zumindest ein Teil davon anzueignen (jedenfalls solange er sich auf sie einlässt und nicht ideologisch an gezimmerten Weltbildern festhält.)

      Wie gesagt: Genau das ist auch ein wesentliches deutsches Problem: Das mangelnde ordnungspolitische Bewußtsein. Fritz Kuhn von den Grünen ist ein prominentes Beispiel (unter vielen, von fast allen deutschen Parteien, ich möchte hier keine Parteipolitik oder Wahlkampf betreiben, dafür gibt es genug langweilige Threads) dafür. Keiner redet z.zt. soviel von "Sozialer Marktwirtschaft" wie er und kaum einer weiß eigentlich so wenig davon, denn "Soziale Marktwirtschaft" bedeutet nicht "prozesspolische Vergewaltigung des Marktes", wie es Kuhn meint, wenn er mal konkret wird und explizit sagt was er unter dem Wort "sozial" versteht.
      Vielmehr ist sie geboren worden als politscher Ausfluß des deutschen Ordoliberalismus, für den das Wort "sozial" nicht primär eine verteilungspolische Bedeutung hat.
      Der politische Vater dieses Modells (Erhard) würde sich genauso wie seine wissenschaftlichen Väter wohl im Grabe umdrehen, würden sie sehen, wer heute alles diesen Begriff im Munde führt und für seine persönlichen Zwecke mißbraucht (auch die CDU/Merkel sei hier mit ihrem unsäglichen Begriff der "NEUEN sozialen Marktwirtschaft" genannt.

      Ich würde mich gerne auch inhaltlich weiter an der Diskussion beteiligen, leider fehlt mir momentan die Zeit.

      Auf jeden Fall ist dieser Therad einer der wenigen wirklich interessanten. Weiter so.


      mfg
      w
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 17:13:45
      Beitrag Nr. 31 ()
      @ westler
      das ist ja ein interessanter beitrag. ich komme nicht aus dem wirtschaftswissenschaftlichen bereich, sondern aus dem sozialwissenschaftlichen. mit ordnungspolitschen faktoren habe ich mich nur einmal am rande beschäftigt und zwar im zusammenhang mit ihrer herkunft aus der katholischen sozial- bzw. staatstheorie. das liegt aber einige zeit zurück.

      in absoluter kürze, was darunter zu verstehen ist: diese theorie ist - anders könnte es kaum sein, gefährdete sie ansonsten doch die je schon vorgegebene `göttliche` ordnung - wesentlich orientiert daran, dass die aufrechterhaltung der gesellschaftsordnung und die verwirklichung dessen, was dort unter gemeinwohl verstanden wird (und was die katholische kirche darunter versteht ist quasi selbsterklärend ;) ) nicht denkbar ohne die lückenlose durchformung des gesamten menschlichen lebenszusammenhangs durch organisationen. charakteristikum der organisation ist neben der koordinations- und lenkungsfunktion die befehlserteilung und -befolgung, d.h. daraus folgt ein korporativer staat. die institutionelle befehlsgewalt ist legitimiert durch autorität, die zustimmung erwartet, obwohl die richtigkeit der gelehrten wahrheit oder der erteilten weisung dem untergeordneten nicht unmittelbar evident oder logisch zwingend sein muss. autorität erwartet im horizont der katholischen staatstheorie bindung in vertrauen.... führung ist ihr "naturrechtliche notwendigkeit". womit übrigens - ganz nebenbei gesagt - das naturrecht auf den kopf gestellt bzw. ausser kraft gesetzt wird.

      das menschenbild der katholischen ordolehre entwickelt eine anthropologie des beherrschten, zu der nicht nur die unterwerfung unter ihm undurchsichtige zwecke gehört, sondern auch seine verfügbarkeit als instrument in den händen der sachwalter des sogenannten gemeinwohls, wobei diese berechtigt sind, ihm durch zwang zur richtigen einsicht zu verhelfen. der freiheitsbegriff dieser lehre ist entlarvend: freiheit reduziert sich auf die ausführung der dem menschen zugewiesenen tätigkeit. das ist die fixierung des menschen auf je schon als vorgegeben betrachtete gesellschaftliche verhältnisse.

      vor dem hintergrund sehe ich es allerdings als absolut notwendig an, solche theoreme nicht blind als gegeben hinzunehmen. ihre historische entwicklung, ihre vorbilder sind zu benennen, um ihre nützlichkeit vor allem für die zu benennen, die ein interesse daran haben müssen, sie als unbezweifelbare, "wissenschaftliche" wahrheit zu behaupten.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 17:43:45
      Beitrag Nr. 32 ()
      @ rainer
      was die grossen vermögen anbelangt, so kann ich dir einen "krimi" empfehlen, der das am beispiel des belgischen königshauses verdeutlicht. adam hochschild: schatten über dem kongo. übrigens auch ein glänzendes beispiel für gezielte desinformation und die bedeutung, die aufmerksamkeit und soziales engagement bewirken kann.

      was den `zufriedenheitseffekt` anbelangt, so habe ich das anders verstanden. die, die vorwiegend mechanische arbeit verrichten, müssten demnach besser bezahlt werden, als die, die sich im beruf `verwirklichen` können. wobei sich allerdings die frage stellt, in welchen bereichen man sich tatsächlich `verwirklichen` kann... wie timetunnel schon anmerkte :)

      jedenfalls zeigt sich schon... es gibt eine menge zu bedenken....
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 17:58:34
      Beitrag Nr. 33 ()
      @ leary, rainer,

      gute beiträge zum thema.

      rainer,

      Und, wenn Du konsequent bist, müsstest Du für Studiengebühren oder eine Bildungssteuer sein, damit der Arzt an den Kosten seiner Ausbildung beteiligt wird und sich nicht sein Studium durch den Bauarbeiter finanzieren lässt. Aber auch dies ist ein anderes Thema.

      so weit würde ich allerdings nicht gehen, übt doch der akademiker während seiner längeren ausbildung gehaltsverzicht aus, während der "lehrberufler" vom ersten tag an verdient (und teils schon vermögen anspart), der akademiker aber - im gegenzug - keine garantie auf ein späteres höheres gehalt hat (und oftmals zum berufstart schon nen haufen bafög-schulden hat). viele bauarbeiter verdienen heute weit mehr als so mancher arzt.

      @antigone,

      kannst du eigentlich einmal ein thema angehen, ohne gleich die halbe menschheitsgeschichte ideologisch aufzuarbeiten?


      den begriff "sozial" hat mal ein bekannter banker (komm grade nicht drauf wer´s war) auf den punkt gebracht:

      "sozial ist nicht derjenige, der das geld anderer leute (füge hinzu: wie auch immer) verteilt, sondern derjenige, der dafür sorgt, dass es etwas zu verteilen gibt!"

      mfg
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 18:05:08
      Beitrag Nr. 34 ()
      @ ospower
      dur wirst schon erlauben, dass ich so vorgehe, wie ich es für richtig halte. deine banker-sprüche sind nach den vorkommnissen der letzten zeit ganz besonders einsichtig.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 18:07:46
      Beitrag Nr. 35 ()
      und natürlich absolut ideologiefrei :laugh::laugh::laugh:
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 18:18:38
      Beitrag Nr. 36 ()
      Ist es nicht so, daß - wie sich eigentlich stets in allen Bereichen des Lebens zeigt - keine Lehre wirklich schlüssige und nachhaltige Lösungen aufzeigt, wenn sie (bzw. ihre Jünger) den Anspruch auf eine "ausschließliche Wahrheit" erhebt?

      Ordnungspolitische Ansätze im Sinne eines rein marktorientierten Vorgehens haben doch nur Sinn, wenn das Gleichgewicht der verschiedensten Kräfte eine Ausrichtung des MArktes ermöglichen.

      Ist es nicht vielmehr so, daß die enormen Konzentrationsprozese in der Weltwirtschaft eigentlich die MArktlehre in ihrer "reinen" Form als eine gestrige erscheinen lassen?

      Es entstehen doch immer mehr Oligopole und Monopole.
      Zu Zeiten der Entwicklung der MArktlehre - so meine ich als Wirtschaftlicher Laie - waren doch gebilde wie Microsoft oder die Gigantischen Pharmakomplexe, die sich erst in den letzten JAhren gebildet haben, völlig undenkbar, oder?

      Gleichzeitig hat die Wirtschaft immer mehr das Heft des HAndelns und der Bestimmung des faktischen politisch noch möglichen in die Hand genommen.

      Die Politik gleicht doch einem Fährmann, der auf einer Fähre von gewaltigen Wassermassen mitgerissen wurde und hilflos versucht, wieder stromauf zu rudern.
      Die Handlungsspielräume der Politik sind fast gleich null.

      Bei Arbeitsplätzen und den meisten brenneden Themen diser Gesellschaft sind sie doch (selbstverschuldet durch jahrzehntelanges Nichtstun und Vergeudung der Ressourcen) am Katzentisch der Wirtschaft, die in Wirklichkeit bestimmt, wo es lang geht.

      Politik auf staatlicher Ebene ist zur Farce verkommen.

      Dabei müsste der Staat als Regulativ in diesen Fällen des Marktversagens eingreifen. Doch er ist definitiv erpressbar geworden.

      Gleichzeitig wird der Markt oftmals auch an einer durchaus möglichen Effizienz gehindert.


      Zur Entlohnung von Arbeit:
      Auch hier ist eher selten eine freie Orientierung möglich.

      Zum Schluß möchte ich noch auf den Verwandten Thread

      Thread: Mehr Körperschaftsteuerausgaben als Einnahmen

      aufmerksam machen, der eigentlich ebenfalls interesant war und leider vorläufig verstummte.


      Gruß

      D.T.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 18:19:39
      Beitrag Nr. 37 ()
      @antigone

      falls dich das ausmaß der ungleichverteilung interessiert, könnten dich die lorenzkurven, bzw. gini-koeffizienten verscheidener länder im zeitablauf interessieren.

      siehe z.B. :



      bzw.

      http://www.econweb.com/texts/current/Mansions/inequality-mea…

      http://www.panix.com/~dhenwood/Gini_supplement.html


      zu deiner kritik:
      der freiheitsbegriff dieser lehre ist entlarvend: freiheit reduziert sich auf die ausführung der dem menschen zugewiesenen tätigkeit.

      werden berufe in marktwirtschaften den individuen zugewiesen?
      Es gibt keinen, der zuweist.
      siehe Art. 2 und 12 des Grundgesetzes, die meiner Meinung nach tatsächlich Ernst genommen werden und auch so bestehen.
      das individuum wählt nach seinen präferenzen, höchstens limitiert durch seine fähigkeiten und begabungen.


      @westler

      ich kann deiner einteilung der unterschiedlichen positionen von antigone und mir nur zustimmen. es gibt wenig theoretische berührungspunkte.

      erhellend vielleicht auch noch die einteilung von nozick:
      er teilt die normativen verteilungstheorien (wie SOLL die Verteilung sein?) in solche ein, denen
      a) historische Grundsätze (leary) der Verteilungsgerechtigkeit oder
      b) Endzustandsgrundsätze (antigone) der Verteilungsgerechtigkeit zugrunde liegen.

      Bei den historische Grundsätzen kommt es für die Beurteilung der Gerechtigkeit der Verteilung darauf an, wie die verteilung zustande gekommen ist.

      Endzustandsgrundsätze der Verteilungsgerechtigkeit liegen vor, wenn die gerechtigkeit der Verteilung unabhängig von der Geschichte ihrer Entstehung beurteilt wird. Diese Gerechtigkeit ist immer strukturell, da die Gerechtigkeit der Güterverteilung daran gemessen wird, ob sie mit der Struktur einer bestimmten anderen verteilung übereinstimmt. Diese andere Verteilung ist dann die, die das "Ideal" ausmacht (z.B. Verteilung nach der Höhe der Bedürfnisse, der Grenzprodukte, des arbeitseinsatzes, oder anderer von irgendeiner instanz für "gerecht" gehaltener bewertungskriterien).

      da für mich die "legalität" des erworbenen vermögens über die gerechtig-/ungerechtigkeit entscheidet, trifft mich die folgende kritik antigones

      " besonders hervorzuheben in deinem beitrag ist das formale Recht auf Schutz dessen, was als das „Eigene“ erworben wurde. Das, was dem Menschen gebührt, ist das, was er ohne Verletzung der Rechte anderer erworben hat. wie diese vermögen in anbetracht meiner bemerkung zu der verteilung des volksvermögens in den usa - als beispiel - zustandegekommen sind - nicht nur nach enron, halliburton usw., sondern auch in anbetracht der verschiebung der zusammengeraubten vermögen aus der ns-zeit insbesondere auch vor dem hintergrund der verquickungen mit grossfinanziers bzw. banken wie schroders und anderen profiteuren wie ford und anderen geldgebern aus den usa, nicht zu vergessen die mobutos dieser welt - dürfte allerdings eine interessante fragestellung sein. ohne (massive) verletzung der rechte anderer sind sie jedenfalls nicht erworben worden.

      nicht.
      Denn damit stimme ich voll überein. hier sind durch betrug und undemokratische staatsverbrechen unrechtmäßige vermögen entstanden. wenn so etwas ohne sanktion passiert, liegt insofern eine lücke oder ineffektivität im regelwerk vor. Solch eine lücke wird z.B. in den USA in Fällen des Kapitalbetrugs (siehe ENRON) durch jetzt schärfere strafen zum teil beseitigt, da das persönliche risiko eines solchen betrugs für die täter durch höhere, angemessenere strafen stark steigt und somit der sanktionsmechanismus wieder funtioniert. das chance/risiko-profil eines solchen betruges wird hoffentlich in der zukunft zu schlecht sein.
      für unrechtmäßige staatliche vermögensmassen müssen ausgleich- oder entschädigungsfonds geschaffen werden, was ja für die ns-zeit zumindest teilweise geschaffen wurde, wobei man auch hier die rechtssicherheit im auge behalten muß.

      diese ineffizienzen müssen beseitigt werden, klar.
      Aber das geht auch, ohne generell die individuellen freiheitsrechte weiter einschränken zu müssen.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 18:22:16
      Beitrag Nr. 38 ()
      antigone,

      von welchen vorkommnissen (mit oder ohne ideologie ) ist es abhängig, dass das (wie auch immer) zu verteilende zunächst geschaffen werden muss??

      vielleicht gibt´s dafür ja nen passenden soziologen-spruch? wenn er gut ist, mach ihn mir auch zueigen.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 19:45:50
      Beitrag Nr. 39 ()
      @antigone # 32:

      Da hast Du mich missverstanden. Derjenige, der keine Erfüllung in seinem Job findet, wird bereits besser bezahlt als jemand, der sich erfüllen kann.
      Natürlich ist das aber nicht der einzige Effekt bei der Bildung von Löhnen. Gegenläufig und oft weit überkompensierend wirk der Effekt von Angebot und Nachfrage.

      Ein etwas einfaches Beispiel: Angenommen, es seinen für 2 Jobs die gleichen Qualifikationen notwendig. Der eine Job ist ätzend, der andere (wenigstens teilweise) erfüllend. Beispielsweise Müllabfuhr und Handwerk (letzteres kann durchaus eine gewisse Erfüllung bieten, ersteres wohl kaum). Selbstverständlich wird der Müllwerker mehr verdienen als der Handwerker, da sonst niemand mehr zur Müllabfuhr geht.

      Nun kommt aber in der Realität, abweichend zu meinem Beispiel, der Effekt zum tragen, dass die Anforderungen an diese beiden Jobs doch nicht gleich sind. Nicht jeder, der Mülltonnen leeren kann, ist auch ein guter Handwerker. Das Angebot an guten Handwerkern ist einfach kleiner als das Angebot an (potenziellen) Müllmännern. Jeder gute Handwerker könnte ja auch Mülltonnen leeren, andersherum aber nicht.
      Bei (angenommener) gleicher Nachfrage nach beiden Leistungen wird also nun doch der Handwerker wieder mehr verdienen. Ist die Nachfrage nach Handwerkern größer, vergrößert sich auch der Gehaltsabstand.
      Der Lohn des Müllmanns wird aber nie ein gewisses Mindestmaß unterschreiten, da sonst niemand mehr zur Müllabfuhr geht.

      Nun weiter angenommen, das Angebot an Handwerkern explodiert. Jetzt kann es dazu kommen, dass ein Handwerker weniger verdient als ein Müllmann. Weil eine ganze Reihe von handwerkern eben bereit ist, zu einem geringeren Gehalt zu arbeiten, wenn sie dafür keine Mülltonnen leeren müssen.

      Der Effekt lässt sich in der Realität oft beobachten. 40% der selbständigen Rechtsanwälte verdienen weniger als ein normaler Arbeiter. Und arbeiten dennoch als Anwälte.

      Das meinte ich mit der Aussage, dass die "Erfüllung" (wie auch immer definiert, das ist wohl individuell unterschiedlich) "eingepreist" ist. Die "Erfüllung" ist aber nun mal nicht der einzige Effekt, der auf die Preisbildung (hier: Lohnbildung) wirkt. Dazu kommt eben noch der (meistens viel stärkere) Effekt von Angebot und Nachfrage.

      Kurz zusammengefasst: Der Müllmann verdient wegen der fehlenden Erfüllung in seinem Job mehr als in einem ähnlichen Job, der ihn erfüllen würde. Er kann aber nicht mehr verdienen als in einem Job, bei dem das Angebot an Arbeitskräften viel kleiner ist als die Nachfrage danach.

      jetzt klarer, wie ich das gemeint habe?

      @ospower: Haben wir zwei nicht schon mal das Thema Studiengebühren diskutiert?

      @Deep Thought:
      Das Gleichgewicht ist vorhanden. Die Arbeitnehmer haben fast unbegrenzte Macht. Bekommen sie nicht das, was sie wollen, müssen sie ja nicht bei dem betreffenden Unternehmen arbeiten. Zumindest dann nicht, so lange nicht ein Anderer für weniger Geld arbeiten will (hier oder sonstwo auf der Welt) und dafür nicht wesentlich schlechter ist.
      Wenn ich aber eine Leistung anbiete, die der Abnehmer woanders zu einem geringeren Preis bekommt, dann habe ich ein Problem. Das erlebt jeder unternehmer täglich.

      Es mag aus moralischen Gesichtspunkten verwerflich sein, die Arbeit (und damit wohl auch den Menschen) als Produktionsfaktor, als Ware anzusehen. Wegdiskutieren lassen sich diese Wirkungsmechanismen aber nun mal nicht.

      Und zu Microsoft etc.: Wohl niemals wieder gab es so viele Kartelle wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die ganze Wettbewerbspolitik (Kartellamt etc.) haben da ihre Wurzeln.

      Warum wohl hatten die Frühkapitalisten eine so unglaubliche Machtposition? Weil es erheblich mehr Arbeiter als Arbeitsplätze gab.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 20:01:25
      Beitrag Nr. 40 ()
      @rainer,

      deine meinung dazu hab ich schon mal an anderer stelle gelesen. selbst hab ich mich zu studiengebühren soweit ich weis noch nicht geäussert und dies somit nachgeholt.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 20:19:08
      Beitrag Nr. 41 ()
      ospower
      banker sind als besonders sozial bekannt. die sorgen tagtäglich dafür, dass es was zu verteilen gibt - in die eigenen taschen. und zwar das geld anderer leute. insofern weiss der mann wie kein anderer, wovon er spricht.


      leary
      klasse antwort ;)
      differenzen zwischen theorie und praxis sind dir noch nicht untergekommen im leben?
      oder sagen wir mal: zwischen buchstaben im lehrbuch und dem wirklichen leben?
      auch ist ja bekanntermassen das grundgesetz 1:1 in die realität umgesetzt.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 20:32:42
      Beitrag Nr. 42 ()
      @ antigone,

      war das thema moral der banker?? hab ich behauptet dass banken soziale einrichtungen sind?? willst mir erklären wie marktwirtschaft/kapitalismus funktioniert, oder dass die welt böse ist??

      ne einfache antwort auf ne einfache frage geht offensichtlich nicht.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 20:54:19
      Beitrag Nr. 43 ()
      @antigone

      1.

      differenzen zwischen theorie und praxis sind dir noch nicht untergekommen im leben?


      wie sollten sie? um konkret beim thema zu bleiben: entweder ist für mich ein von dir als wahrscheinlich ungerecht bestehendes großes vermögen bei einer einzelperson legal (incl. Glück: Erbschaft, etc.) oder illegal enstanden. wenn es legal entstanden ist, ist es für mich i.O.

      Bei Illegalität bin ich selbstverständlich dafür, es wegzusanktionieren. dafür haben wir gesetze.
      und wenn gesetze umgangen werden oder ineffektiv sind, müssen wir bessere gesetze schaffen, bzw. bestehende besser durchsetzen.

      wo soll hier eine differenz sein?

      2.
      der freiheitsbegriff dieser lehre ist entlarvend: freiheit reduziert sich auf die ausführung der dem menschen zugewiesenen tätigkeit.
      ...
      auch ist ja bekanntermassen das grundgesetz 1:1 in die realität umgesetzt.


      wieso so unkonkret?
      wird in deutschland irgendjemand daran gehindert, seine freie berufswahl zu verfolgen? (Beispiel?)
      wer hat z.B. dir deine arbeit "zugewiesen"?


      3.
      nochmal zu ospowers "sozial ist nicht derjenige, der das geld anderer leute (füge hinzu: wie auch immer) verteilt, sondern derjenige, der dafür sorgt, dass es etwas zu verteilen gibt!"

      denk dir dochmal kurz weg, daß es einer aus deiner ideologischen feindgruppe "banker" gesagt hat.

      deine inhaltliche kritik des obigen satzes würde mich schon interessieren!?
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 22:07:06
      Beitrag Nr. 44 ()
      @ leary und ospower
      ich bemerke nur, dass es unendlich mühsam ist, sich überhaupt zu verständigen und dass ich keine lust mehr habe, es zu versuchen...

      um`s mal an ospowers "sozial ist nicht derjenige, der das geld anderer leute (füge hinzu: wie auch immer) verteilt, sondern derjenige, der dafür sorgt, dass es etwas zu verteilen gibt!".. deutlich zu machen:

      gehen wir mal davon aus, dass dieser satz so erstmal richtig ist, dann sagt er aus: man muss etwas haben, um etwas verteilen zu können. da könnte ich zustimmen. aber das ist ein derart einfältiger satz, dass niemand auf die idee kommt, ihn ernsthaft in einer diskussion zu verwenden.

      schaun wir uns dieser satz genauer an. was sagt er also? der satz intendiert, dass sozialität vor allem dort auftritt, wo es darum geht, das geld anderer leute zu verteilen. derjenige, der ans soziale appelliert, so sagt dieser satz, handelt also quasi schon enteignend. er meint nämlich nicht sein geld, so unterstellt der satz, er meint immer schon das geld anderer. und der satz intendiert, dass es im gegensatz zu dem, der vorgeblich das soziale will, andere - und gemeint sind hier die schwer arbeitenden banker bzw. eben eine andere gesellschaftliche gruppe als die ersteren gibt, die dafür sorgen, dass erstmal verdient werden muss, was die vorgeblich sozialen ihnen wegnehmen und verteilen wollen. ..

      das ist der sinn dieses satzes. und er ist damit absolut ideologisch.

      vor dem hintergrund, dass die banken in den letzten jahren milliardengewinne gemacht haben, während sie kaum steuern bezahlen und gleichzeitig leute massenweise entlassen und vor dem hintergrund, dass das steueraufkommen der lohnabhängigen dagegen im gleichen zeitraum eine starke steigerungsrate erfahren hat, ist der satz, so wie er von ospower zitiert worden ist, aber nicht nur ideologisch, weil er das gegenteil behauptet. er ist zudem unglaublich zynisch.

      interessant ist, dass dies gar nicht auffällt. das brainwashing scheint soweit fortgeschritten zu sein, dass ideologien nur dort vermutet werden, wo jemand einem banker nicht jeden satz als bahre münze und objektive wahrheit abnimmt.

      tut mir leid, ospower, dass ich es für dich nicht in einem satz zusammenfassen konnte. ich hoffe, dich nicht überfordert zu haben.

      ähnlich verhält es sich mit den anderen `missverständnissen`.
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 23:42:06
      Beitrag Nr. 45 ()
      @antigone,

      ich bemerke nur, dass es unendlich mühsam ist, sich überhaupt zu verständigen und dass ich keine lust mehr habe, es zu versuchen...

      auf die idee, dass es anderen ob deiner episch breiten abhandlungen nicht ebenso gehen könnte kommst du wohl nicht?


      gehen wir mal davon aus, dass dieser satz so erstmal richtig ist, dann sagt er aus: man muss etwas haben, um etwas verteilen zu können. da könnte ich zustimmen.

      ... und um etwas zu haben muss jemand es erarbeitet haben ...

      das hätte als erste erkenntnis in einem satz ja schon mal genügt. sicherlich auf den ersten blick trivial ...

      schaun wir uns dieser satz genauer an. was sagt er also? der satz intendiert, dass sozialität vor allem dort auftritt, wo es darum geht, das geld anderer leute zu verteilen.

      sozialität tritt im politischen sinne dadurch in erscheinung, das geld anderer leute (der steuerzahler/beitragszahler) zu verteilen. (sozial)politik erschafft selbst nix, kann lediglich den rahmen schaffen, dass möglichst viel geschaffen wird.

      ein sozialpolitiker der (jetzt mal extrem überspitzt) die gewinne der deutschen bank direkt der caritas zuführt, sorgt nicht für volle kassen bei der caritas (oder höchstens einmal), sondern dafür, dass es die deutsche bank nicht mehr gibt.

      derjenige, der ans soziale appelliert, so sagt dieser satz, handelt also quasi schon enteignend. er meint nämlich nicht sein geld, so unterstellt der satz, er meint immer schon das geld anderer

      wer nur daran appelliert oder gar diktiert (und nichts selbst erschafft um es zu geben) handelt auch so. ob dies aus übergeordneten gründen dennoch gerechtfertigt ist, ist ne andere diskussion.

      und der satz intendiert, dass es im gegensatz zu dem, der vorgeblich das soziale will, andere - und gemeint sind hier die schwer arbeitenden banker bzw. eben eine andere gesellschaftliche gruppe als die ersteren gibt, die dafür sorgen, dass erstmal verdient werden muss, was die vorgeblich sozialen ihnen wegnehmen und verteilen wollen. ..

      irgend jemanden müssen es die sozialen (politiker) wegnehmen. im ideologiefreien sinne des satzes sind also diejenigen sozial, die es erschaffen haben. wer auch immer das sein mag.

      das ist der sinn dieses satzes. und er ist damit absolut ideologisch.

      das war der sinn, wie du ihn ihm gegeben hast.

      vor dem hintergrund, dass die banken in den letzten jahren milliardengewinne gemacht haben, während sie kaum steuern bezahlen und gleichzeitig leute massenweise entlassen und vor dem hintergrund, dass das steueraufkommen der lohnabhängigen dagegen im gleichen zeitraum eine starke steigerungsrate erfahren hat,

      das gegenteil hab ich nie behauptet. musst du jedesmal nen pappkameraden aufbauen, um deine gesinnung zu untermauern und wie ne monstranz vor dir herzutragen?

      ist der satz, so wie er von ospower zitiert worden ist, aber nicht nur ideologisch, weil er das gegenteil behauptet. er ist zudem unglaublich zynisch.

      zur erinnerung: die ideologische interpretation, also das gegenteil, war von dir, nicht von mir.

      tut mir leid, ospower, dass ich es für dich nicht in einem satz zusammenfassen konnte. ich hoffe, dich nicht überfordert zu haben.

      ... ist ja schon als fortschritt zu werten, dass du nicht bei der heiligen inquisition begonnen hast und über vietnam zur eigentlichen frage gekommen bist. dazu hab ich nämlich keine lust!
      Avatar
      schrieb am 15.08.02 23:47:16
      Beitrag Nr. 46 ()
      na, dann ist ja alles klar.
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 12:12:17
      Beitrag Nr. 47 ()
      um nochmal zum Anfangsthema zurückzukommen:

      Aus der FTD vom 16.8.2002

      Kolumne: Wer vor der Wahl nicht trickst, gewinnt nicht
      Von Thomas Fricke

      Selten hat eine Regierung so wenig dafür getan wie Rot-Grün, um kurz vor der Wahl zumindest scheinbar gute Wirtschaftsdaten präsentieren zu können. Dabei hätte dies Schröder sogar retten können.



      Zahl der Arbeits- beschaffungs- maßnahmen


      Die Regierung zeigt sich stolz, auch bei mehr als vier Millionen Arbeitslosen. Immerhin habe Rot-Grün die Statistik vor den Wahlen nicht aufpoliert, anders als seinerzeit Helmut Kohl, sagt der Kanzler. Bravo! Nach den aktuellen Umfragen dürfte er am 22. September dafür untergehen.



      Mag sein, dass Politologen den rot-grünen Absturz der vergangenen zwölf Monate einmal mit so tiefsinnigen Phänomenen erklären werden wie dem globalen Rechtsruck nach dem Terror des 11. September oder den vielen Skandalen und Rücktritten kurz vor der Wahl. Als viel entscheidender könnte es sich indes erweisen, dass die Regierung auf wundersam naive Weise unfähig war, das aktuelle Wirtschaftsbild anständig aufzupolieren - so wie es andere längst gemacht hätten.



      Nebensächliche Wahlprogramme


      Empirische Studien lassen darauf schließen, dass Wahlen stark von Konjunkturdaten beeinflusst werden - und weniger dadurch, was von den Parteien in Zukunft programmatisch zu erwarten ist. Die Popularität einer Regierung werde stark von der Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Konsumentenstimmung beeinflusst, fand Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) jetzt heraus. Ähnliches zeigt die Entwicklung des K-Index, den die FTD monatlich berechnet und der das Wohlbefinden der Wähler anhand von wichtigen Wirtschaftsdaten spiegelt.



      K-Index und Zustimmung zur Regierung


      Laut der Tests des ZEW-Ökonomen beeinflusst selbst der Kurs des Euro die Regierungswerte. Spätestens das zeige, dass der Wähler "eben nicht so rational und zukunftsgerichtet" handele, wie es die Theorie annehme.




      Umso merkwürdiger wirkt das, was die Bundesregierung vor den Wahlen gerade macht - beziehungsweise nicht macht. Helmut Kohl ließ während seiner beiden letzten Wahlkämpfe die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) drastisch ausweiten - was Rot-Grün nicht tut. Im Gegenteil: Im Juli lag die Zahl der ABM sogar um 40.000 niedriger als ein Jahr zuvor.


      Zu den Kuriositäten rot-grüner Politökonomie gehört ebenso, dass Finanzminister Hans Eichel die Stufen seiner Steuerreform einst auf die Jahre 2001 und 2003 terminierte - genau so, dass von der ersten Stufe im September 2002 keiner mehr etwas spürt, während die zweite erst drei Monate später in Kraft tritt. Zudem dürften die Deutschen 2002 zu den Einzigen auf der Welt zählen, deren Regierung mit Verweis auf das Dogma der "ruhigen Hand" nicht nur auf konjunkturstützende Maßnahmen verzichtete, sondern das Gegenteil tut: Zu Beginn des Wahljahres und mitten in einer der heikelsten Konjunkturphasen der vergangenen Jahrzehnte ließ Berlin Öko-, Versicherung- und Tabaksteuern sowie Beiträge zur Krankenversicherung steigen.


      Ehrlich oder blöde?

      Den Kurs mag man als ehrlich, gewissenhaft und moralisch höchst wertvoll einstufen. Oder als ziemlich blöde. Denn zum einen gefällt die Politik der vermeintlich ruhigen Hand natürlich vor allem orthodoxen Ökonomen, die ohnehin nie SPD wählen würden. Zum anderen trugen höhere Steuern und Abgaben dazu bei, dass sich die Krise im Einzelhandel zuspitzte und die Konjunktur noch ein Stück weiter abflaute. Nun hat Sparkommissar Eichel weder Wachstum, noch konnte er seine Defizitversprechen in Brüssel einhalten.




      Deutsche Verbraucherpreise zum Vorjahr


      Überhaupt: Warum sollte eine rational handelnde Regierung nicht tricksen, wenn die Wähler offenbar weniger nach Programm entscheiden als nach jenen Wirtschaftsdaten, für die eine Regierung in der Regel nur begrenzt verantwortlich ist? In Großbritannien revidierte Margaret Thatcher die Statistik, bis selbst Experten nicht mehr wussten, wie viele Briten wirklich arbeitslos waren. Die Niederländer machten Arbeitslose per Statut zu Invaliden. Und in Frankreich wurden Langzeitarbeitslose vor Wahlen schon einmal auf Seminare geschickt - wonach sie keine Langzeitarbeitslosen mehr waren. "Konservative sind bei so etwas meist raubeiniger", sagt Ullrich Heilemann vom RWI-Institut in Essen.



      Für Exkanzler Helmut Kohl mag das Tricksen 1998 nicht mehr gereicht haben, 1994 sorgte es dafür, dass die Arbeitslosigkeit zwei Monate vor der Wahl unter die damalige Symbolmarke von 3,5 Millionen Jobsuchenden sank. Hätte Rot-Grün sich jetzt auf ähnlichem Wege retten können? Womöglich ja. Immerhin galt es bis zum Konjunkturabsturz 2001 noch als Common Sense, die Regierung für Steuer-, Renten- und Haushaltspolitik zu loben - ob zu Recht oder nicht.



      Weniger als vier Millionen Arbeitslose


      Relativ einfach hätte Schröder zumindest jene Daten aufbessern können, die laut K-Index oder ZEW-Studie die Wahl beeinflussen. Wären seit Januar so viele neue ABM geschaffen worden wie unter Kohl 1998, läge die Arbeitslosigkeit derzeit weder saisonbereinigt noch unbereinigt über vier Millionen. Wären die indirekten Steuern nicht angehoben worden, läge die Inflation bei 0,6 statt bei 1,0 Prozent. Beides hätte den Abschwung gebremst: Der K-Index läge nur knapp unter dem längerfristigen Schnitt, statt wie jetzt auf Rekordtief.


      Der Nachteil wäre gewesen, dass Rot-Grün nicht mehr als eine der bravsten Regierung aller Zeiten in die Geschichte hätte eingehen können, dafür aber als eine politisch erfolgreichere. Der Vorteil hätte für alle darin gelegen, dass im Wahlkampf mehr über Konzepte als über die vermeintlich Schuldigen der Konjunkturkrise diskutiert worden wäre.


      Noch könnte sich die Stimmung wieder zu Gunsten Schröders wenden. Dem Amtsinhaber bleiben Kanzlerbonus und hohe Sympathiewerte. Die größte Chance auf die eigene Wiederwahl hat er aber verpasst.



      © 2002 Financial Times Deutschland , © Illustrationen: FTD, Quelle: Bundesanstalt für Arbeit, FTD, Quelle: Eigene Berechnungen, Forschungsgruppe Wahlen, FTD, Quelle: TF Datastream, eigene Berechnungen
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 12:48:47
      Beitrag Nr. 48 ()
      @antigone

      um sofort wieder vom thema abzuweichen:

      könnte es sein, daß du, um zu beurteilen ob jemand sozial handelt oder nicht, wert darauf legst, daß seine gesinnung sozial ist? D.h. daß er bereitwillig den Armen gebend in einer altruistischen Absicht das wohl der menschheit im kopf hat?
      Dann verstehe ich, daß Du den Banker, der "raffgierig" nur seinen eigenen Vorteil verfolgt und Millionen für seinen eigenen vorteil scheffeln will, moralisch verurteilst. Weil er ein purer Egoist ist, der sich um das Wohl der anderen an sich, wenig schert.

      Dieser gesinnungsethische Ansatz ist zwar verständlich, nur sind m.E. die "guten Absichten" ein sehr schlechter Indikator für das tatsächliche Wohl, das aus den Handlungen, die in "guter Absicht" getan werden, folgt. Man denke an sämtliche Religionskriege, die Kreuzzüge, die kirchlich-inquisitorische Vertreibung des Bösen durch allerlei Folterungen und Verbrennungen, den (mich erschreckenden) Alleingeltungsanspruch der islamischen Religion, der noch einiges Zündfeuer beinhalten mag, etc. Sogar Hitler hatte (aus seiner Sicht) "gute Absichten", nämlich die "Krebsgeschwüre" vom deutschen Volkskörper zu entfernen.

      soziale, gute Absichten zur Förderung der Allgemeinheit bei einem individuum führen nicht unbedingt wirklich zum guten.

      das erstaunliche für die erheblichen wohlfahrtswirkungen auf freien märkten ist doch gerade, daß ein raffgieriger mensch, der nur auf seinen eigenen vorteil bedacht ist (in deinem sinne wahrscheinlich asozial zu nennen ist), durch den marktmechanismus zu wohlfahrtssteigernden handlungen gebracht wird. denn um "fette gewinne" zu machen muß er produkte anbieten, die leute kaufen wollen, d.h. ihren nutzen/ ihre wohlfahrt steigern.

      der heilige mag nur das höchste im sinn haben, er kann im ergebnis eine absolute katastrophe verursachen.
      der unternehmer mag ein flacher und machtgieriger mensch sein, im ergebnis erhöht er bei all denen nutzen, die seine produkte kaufen. (bei arbeitnehmern dazu, die lohn beziehen, wie auch beim staat, der steuern einnehmen kann)

      was spricht dagegen, den allgemeinen nutzenzuwachs, den jemand (unabhängig von seinen idealen!)in einer gesellschaft durch sein handeln auf märkten bei anderen bewirkt, ihm als soziale Pluspunkte anzurechnen?
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 13:48:32
      Beitrag Nr. 49 ()
      @leary99
      @ ospower

      Sprüche sind manchmal doch platter als man denkt...


      Slogan aus Nazizeit

      CSU wirbt mit Wahlkampfparole, die der von Hitlers Wegbereiter Hugenberg ähnelt.
      Partei wehrt sich gegen den Vorwurf des Plagiats

      MÜNCHEN taz In Bayern prangt überall weiß auf blau: "Sozial ist, was Arbeit schafft." Darunter das CSU-Logo. Damit plakatiert die CSU in diesem Bundestagswahlkampf einen Slogan, den 1933 die "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" prägte. Die zentrale programmatische Wahllosung von Edmund Stoibers Partei stammt - bis auf ein Wort - von Hitlers Wegbereiter Alfred Hugenberg. Der Nationalist warb im Februar 1933 in Zeitungsanzeigen für seine Kampffront mit der Parole: "Sozial ist, wer Arbeit schafft." Diese Ähnlichkeit schlüsselte der Vorsitzende der Geschichtswerkstatt München-Neuhausen, Günther Baumann, in einem taz-Gespräch auf.

      Der Pressemogul Hugenberg unterstützte in seiner Funktion als Vorsitzender der rechtsradikalen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933. Daraufhin wurde er dessen Wirtschaftsminister. Für die letzte Reichstagswahl am 5. März 1933 schloss sich Hugenbergs DNVP mit dem Frontsoldatenbund "Stahlhelm" zur "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" zusammen, benannt nach den Nationalfarben des Deutschen Reichs bis 1918.

      "Es ist traurig, dass nach siebzig Jahren immer noch dieselben Parolen gelten", klagt Baumann. "Der CSU-Slogan ist nicht weit weg von dem Spruch über den KZ-Toren ,Arbeit macht frei`." Auch die SPD habe vor vier Jahren ähnlich inhaltsleer plakatiert: "Arbeit. Arbeit. Arbeit."

      Die CSU bestreitet, dass sie ihren Slogan bei Hugenberg abgekupfert hat. "Das hat nichts miteinander zu tun", versicherte ein Parteisprecher der taz. Woher kommt dann die Ähnlichkeit? "Von uns nicht", sagt er. Der Spruch stamme von der CSU-Landtagsfraktion. Diese hatte auf ihrer Januar-Klausurtagung einen Entschließungsantrag zur Beschäftigungspolitik mit "Sozial ist, was Arbeit schafft" überschrieben. In dem Antrag fordert sie unter anderem: "Überzogenes Versorgungsdenken muss zurückgefahren werden."

      Der Kampffront bescherte ihre Parole 1933 übrigens keinen Erfolg. Sie landete nur bei 8 Prozent. Vielleicht hat die Partei des Unions-Kanzlerkandidaten davon Wind bekommen. Denn inzwischen überklebt die CSU den Slogan in München zum Teil schon mit dem Plakat "Die Stoibers". Darauf stützt sich ein kleiner Edmund auf seine große Karin. OLIVER HINZ

      taz Nr. 6828 vom 16.8.2002, Seite 2, 78 TAZ-Bericht OLIVER HINZ
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 13:48:47
      Beitrag Nr. 50 ()
      @ leary
      kann es sein, dass du mit schlagworten um dich wirfst, was dein geschichtliches wissen anbelangt? sonst könntest du nämlich nicht kraut mit rüben vergleichen.... das legt nämlich nahe, dass du keine ahnung hast, wovon du sprichst.
      insbesondere was hitler anbelangt, so war er kein unfall der geschichte, sondern gesponsert von der industrie und den banken, speziell auch us-amerikanischen finanziers, u.a. grossvater bush.

      und hast du dir schon mal überlegt, dass kriege nicht von einfachen leuten, sondern von mächtigen angezettelt werden? wer also meint, davon vorteile zu haben? hast du dir darüber hinaus schon mal überlegt, wer am krieg verdient und wer draufzahlt?

      soweit zum altruismus und zur moral der puren egoisten.
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 15:03:50
      Beitrag Nr. 51 ()
      @antigone

      diese katholische Ordolehre war mir nicht bekannt, hat aber nicht im geringesten Berührungspunkte mit dem Ordoliberalismus, von dem ich sprach und der das theoretische Grundgerüst für die "soziale Marktwirtschaft" darstellt (wobei ich nochmals betonen möchte, dass diese ursprüngliche Konzeption der "sozialen Marktwirtschaft" wenig mit dem zu tun hat, was heutige Politiker, insbesondere von den beiden Volksparteien sowie den Grünen, darunter verstehen).
      Die wirtschaftswissenschaftliche Ordnungspolitik ist untrennbar mit dem Liberalismus verbunden und steht somit im Gegensatz zu jeglichem Autoritärem.
      Erste Anfänge findet man bereits bei den "alten" Liberalen (Adam Smith u.a.), wirklich entwickelt, erdacht und mit den von mir genannten Begriffen versehen, wurde der Ordoliberalismus aber zum Ende der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts von deutschen Wissenschaftlern der sogenannten Freiburger Schule (noch heute fühlt sich die Freiburger Universität als einzige dieser Lehre explizit verpflichtet), teilweise aus dem Exil heraus, teilweise im Verborgenen, da sie aufgrund ihrer Lehren von den Nazis verfolgt wurden. Glücklicherweise wurde keiner der bedeutenden Wissenschaftlern ermordet, sodass sie sich aktiv dem Aufbau der Nachkriegs-BRD widmen konnten.
      Erhard übernahm dann ihre Lehren nach dem Krieg und setzte sie in der jungen BRD um und legte damit den Grundstein für das legendäre Wirtschaftwunder.
      Der Ordoliberalismus verknüpft auf intelligente Weise die wissenschaftlich nicht bestreitbaren Vorteile einer freien Marktwirtschaft und Lösungsansätze für Probleme, die im real existierenden Liberalismus (Manchester-Kapitalismus) aufgetreten sind.
      Leider hat sich die deutsche Politik Ende der 60er Jahre nach den großen Erfolgen dieses Modells mehr und mehr zugunsten etatistischer Politik von der Sozialen Marktwirtschaft verabschiedet mit der Folge, dass sich mit zunhemender Entfernung von diesem Modell auch die wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitische Probleme mehrten.
      Aus meiner Sicht stellt der ursprüngliche Ordoliberalismus ein unschlagbares Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell dar. Die BRD wird ihre Probleme nicht durch Hartz-Papiere oder Stoiber/Späth-Programme lösen können, sondern nur durch eine Rückkehr zu den Ursprüngen der Sozialen Marktwirtschaft. Diesem Prozess muss aber eine vermehrte Zunahme ordnungspolitischen Bewußtseins in der BRD vorangehen, viele Politiker und Intellektuelle aber auch die Bürger dieses Landes müßten diejenigen Schriften lesen, die Deutschland groß gemacht haben.

      Allen Interessierten empfehle ich die wichtigsten Denker des Ordoliberalismus zu lesen: Armack, Röpke und besonders Eucken (aus meiner Sicht der bedeutenste Autor in diesem wissenschaftlichen Feld). All diese Autoren sind leider schon verstorben, heute denkt und verbreitet besonders die Ludwig-Erhard-Stiftung (http://www.ludwig-erhard-stiftung.de) ordoliberales Gedankengut.


      Ich hoffe mein Beitrag trug etwas zur Positionsbestimmung des Ordoliberalismus bei,

      in diesem Sinne,

      mfg
      w
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 15:18:18
      Beitrag Nr. 52 ()
      @antigone,

      und hast du dir schon mal überlegt, dass kriege nicht von einfachen leuten, sondern von mächtigen angezettelt werden?

      wenn du´s nicht gesagt hättest, wäre von selbst sicher keiner drauf gekommen.

      kriege werden von banken mitfinanziert ... was schlägst du vor, sie abzuschaffen?

      d.t.,

      dass wahlkampfparolen plattitüden sind, liegt in der natur der sache.

      der begriff "arbeit" kam in "meinem" spruch übrigens überhaupt nicht vor ... irgenwie scheint´s nicht zu gehen, ohne die ganze weltgeschichte in einen topf zu schmeissen.
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 15:29:26
      Beitrag Nr. 53 ()
      @dt
      @antigone

      warum ist es denn immer entscheidend, wer diesen spruch auch schon mal irgendwann gesagt hat?

      warum äußert ihr euch nicht darüber, ob es inhaltlich stimmt oder nicht?

      mit dem vorwurf, "schlagworte" zu benutzen, sowie negativer namedropping-propaganda kann man zwar versuchen, eine person ins schlechte licht zu rücken "oh, das hat irgendwer zur zeit des 3. reiches auch schon mal so ähnlich gesagt", der eigenen inhaltlichen argumentation geht man so nur aus dem weg.
      meiner meinung nach greift man umso mehr zu dieser art von konfiktaustragung, je weniger man inhaltlich noch argumentieren kann.

      ihr wißt genau, daß die von mir angeführten Beispiele nur Beispiele dafür waren, daß eine aus der 1.Person-Perspektive altruistische Absicht nichts mit einer wohlfahrtssteigernden Wirkung zu tun hat. Insofern waren die Beispiele auch korrekt, es waren aber nur Beispiele.

      um nun vom 3. reich wieder zum thema zurückzukehren: was spricht nun inhaltlich dagegen, den allgemeinen nutzenzuwachs, den jemand (unabhängig von seinen idealen!)in einer gesellschaft durch sein handeln auf märkten bei anderen bewirkt, ihm als soziale Pluspunkte anzurechnen?
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 16:12:45
      Beitrag Nr. 54 ()
      @ leary99

      Es ist eben KEIN ZUFALL, daß die gleichen Sprüche jetzt wie damals existierten.

      In beiden Fällen wird eine Ideologie mit scheinbar griffigen Sprüchen unterstützt, die einzig auf Sozialabbau setzt.

      Ähnlich wie unser Bundesschwätzkanzler gleichermaßen populistisch wie zynisch davon sprach, es gäbe "kein Recht auf Faulheit" , um von eigenem versagen abzulenken, so zielen diese dämlichen Sprüche wie die zitierten 70 Jahre alten Sprüche dazu, JEDEN Sozialabbau zu rechtfertigen und ihn sogar als "sozial" zu bezeichnen.

      Und - um auf den konkreten Spruch einzugehen - wird Wert durch ARBEIT geschaffen oder nicht?

      Und - ist Besitz oder Arbeit "sozialer" ???

      Ich will hier keinen Salon-Klassenkampf beginnen - ich bin auch alles andere als ein Salonkommunist - aber man wird ja wohl einmal anmerken dürfen, daß auch ein Herr Erhardt damals die Vision hatte, Lohnbestandteile in Eigentum an Unternehmen ( = Aktien) auszuzahlen und somit im Grund eine TATSÄCHLICHE SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT zu begründen, wenn ich mich nicht täusche, oder?

      Ich habe nichts gegen Besitzgewichtungen, aber gegen extreme Konzentrationen von wirtschaftlicher Macht, die IMMER zu Ohnmacht und Elend auf der Gegenseite führen...

      Im Grunde reden wir aneinander vorbei - Du betreibst die Verkündung einer völlig idealisierten "Reinen Wirtschaftslehre" und hast irgendwie etwas Fundamentalistisches.

      Antigone ( so, wie ich sie verstehe) und ich argumentieren aber nicht dagegen, daß Marktwirtschaft dort, wo sie funktioniert, auch herrschen soll, sondern das Machtverhältnisse, die eher an den Dschungel erinnern, eingedämmt gehören.
      Dafür gibt es gewisse Gebilde, die - obwohl nicht Wirtschaftlich - gerade deswegen SOZIAL genannt werden.

      Du stellst die Wirtschaftswissenschaft hier so dar, als wenn sie so klar und "rein" gesetzmäßig wäre wie die Naturwissenschaften.
      Sind sie m.E. jedoch nicht.
      Auch dort gibt es ja wohl wechselhafte wissenschaftliche Modeerscheinungen, die sich mit dem Lauf der Geschichte als falsche Theorien herausstellen, oder?

      Allein die fast täglich wechselnden Methoden der "Management-Schulen", die immer wieder neue Säue ( = "Ideale Konzernführungsmethoden" ) durch´s Dorf jagen, zeigen doch, daß Wirtschaften irgendwie mehr ist als die Grundrechenarten, oder? ;)

      Du erscheinst mir ebenso extrem wie meine ärztlichen Berufskollegen, die so tun, als wenn Medizin eine Naturwissenschaft ist.
      Sie ist es jedoch nicht.
      Auch, wenn sehr stark naturwissenschaftliche Elemente und Statistik wesentlich zum Fortschritt beitragen, so ist Medizin nicht weniger, sondern mehr.
      Vielleicht zeigen solche Menschen wie Alan Greenspan das sogar manchmal als "Wirtschaftler"

      Und ebenso ist das, was man Gesellschaft nennt, mehr als nur die Summe wirtschaftlicher Einzelprozesse, auf die man dieses komplexen Gebilde in äusserst Modellhaft-idealisierter Art und Weise versucht, herunterzubrechen, um es wenigstens (im wahrsten Sinne des Wortes) annähernd begreifen zu können.

      Märkte brauchen Regeln.
      Und das kann nicht nur das Darwinistische Prinzip sein... eine Gesellschaft braucht weit mehr, um "sozial" zu sein.
      Auch mehr, als nur Arbeitsplätze.
      Wie man jetzt sieht.
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 16:34:21
      Beitrag Nr. 55 ()
      Vielleicht verstehst Du mich besser, wenn ich den folgenden Artikel hier reinstelle...

      In Südafrika iat ja auch nur ein "Markt" existent gewesen, oder?

      Aber waren die Arbeitsplätze dort "Sozial" ?

      Bitte versuche die bewußt überspitztende Methode von mir, mit der ich dieses Extrembeispielhier angebe, einmal in Ruhe und ganz allmählich auf europäische verhältnisse zu aproximieren.

      Wo genau ist - Deiner meinung nach - die berühmte "Grenze" ???

      Man kann sie eben nicht genau definieren!

      Aber - um bei einem Modewort zu bleiben - man kann sie "fühlen".

      Das ist der Unterschied z.B. zwischen "external" und "internal Evidence"...

      Und genau das ist es, worüber wir hier diskutieren.
      Es ist nicht in Zahlen zu fassen.

      Weiteres Beispiel:

      Die Euro-bedingte Inflation wurde von den Menschen hier im Lande ERST Gefühlt und DANN statistisch erfasst.

      Weil die statistische Pseudo-"Realität" der ZAhlen bzw. eines fiktiven Warenkorbes eben nicht der faktischen Realität des Bürgers entspricht.

      Viele Fachgebiete flüchten sich in Ihrer Hilflosigkeit geradezu in Statistik, wenn sie klare Trends, die jedoch (noch) unterhalb der statistischen Signifikanz liegen, leugnen wollen.


      Nun zum Artikel, auf den sich der erste teil meines postings bezieht:



      Ein Geschichtszeichen

      Opfer des südafrikanischen Apartheidregimes drohen deutschen und Schweizer Großbanken mit Sammelklagen. Das bietet die Chance, Unrecht künftig zu verhindern
      Der amerikanische Rechtsanwalt Ed Fagan droht zwei Schweizer und mehreren deutschen Großbanken, die bis 1985 stark im Südafrikageschäft engagiert waren, mit Sammelklagen für die Entschädigung der Opfer des Apartheidregimes. Geklagt wird in New York, weil solche Klagen anderswo ziemlich aussichtslos sind.

      Das Vorhaben birgt juristische, ökonomische und politisch-moralische Fragen. Die juristischen und ökonomischen liegen auf der Hand: Welches Gericht ist auf welcher Rechtsgrundlage zuständig? Wer ist Opfer? Wer ist klageberechtigt? Wer ist Täter? Wie werden welche Taten erfasst? Wie sehen die von den Banken verursachten Schäden aus? Wie werden sie finanziell beziffert? Diese Fragen sind wichtig, sollen jedoch hier nicht behandelt werden.


      Auch die Integrität und Vertrauenswürdigkeit des amerikanischen Staranwalts und seiner einschlägig bekannten Kollegen in München und Zürich stehen hier nicht zur Debatte. Alle diese Opferanwälte drapieren sich gerne mit dem glänzenden Glorienschein von humanitären Wohltätern, die für die Ansprüche der Opfer kämpfen. Tatsächlich sind Sammelklagen weltweit längst auch zu einem lukrativen Business geworden, an dem Anwälte mit geringem eigenem Risiko Millionen verdienen. Interessant an der Drohung mit den Sammelklagen ist aber vor allem der politisch-moralische Aspekt.

      Selbst wenn die Anwälte nur aus borniertem Egoismus handelten und die Klagen juristisch haltlos und ökonomisch unsinnig wären, behielte schon die Drohung mit Sammelklagen ein unbestreitbares doppeltes Verdienst. Die Diskussion über die Klage ruft nämlich den weitgehend vergessenen Skandal in Erinnerung, dass die "freie Welt", wie es damals hieß, im Zeichen des Kalten Krieges gegen den Kommunismus ein offen rassistisches Regime nicht nur nicht bekämpfte, sondern duldete und unterstützte. Den Opfern dieses Regimes ist heute juristisch und materiell nur noch unzulänglich zu helfen. Aber man kann sie wenigstens in Erinnerung behalten und sie zusammen mit dem Skandal selbst dem Vergessen entreißen.


      Die Politik des südafrikanischen Apartheidregimes, im euphemistischen offiziellen Jargon "getrennte Entwicklung" genannt, war nach den völkerrechtlichen Standards der UNO-Charta von 1948 eindeutig als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Doch erst 1973 ächtete eine internationale Konvention die Apartheidpolitik als Verbrechen. Dieser Konvention folgten 1977 ein Waffenembargo sowie die Empfehlung eines Ölembargos im Namen der Vereinten Nationen. An eine strikte Anwendung und Überwachung der Embargos sowie an eine scharfe Sanktionierung von Verstößen dachte freilich niemand ernsthaft. Die Embargos wurden umgangen und die vermeintlich "normalen Geschäfte" - mit Gold, Edelsteinen, Staatskrediten, Industrieanlagen, Autos und Rohstoffen - gingen weiter unter dem Schein, legal und dadurch "sauber" zu sein.

      In Europa engagierten sich nur wenige kirchliche und linke Gruppierungen für eine solidarische Entwicklungspolitik in Afrika und protestierten öffentlich gegen die "sauberen" Geschäfte mit dem rassistischen Regime. Selbst die Ausrüstung der brutalen Polizeikräfte mit schweizerischen Erzeugnissen wurde damit gerechtfertigt, es handle sich um zivile und nicht um militärische Güter. Eines der wenigen zählbaren Ergebnisse dieses Protests war, dass in linken Wohngemeinschaften die weltbeste Marmelade aus Bitterorangen boykottiert wurde, weil sie aus Südafrika stammte.

      In dem Maße, wie jetzt im Windschatten der Debatte über die Sammelklagen die "sauberen" Geschäfte mit dem rassistischen Regime an die Öffentlichkeit kommen, in dem Ausmaß werden auch der moralisch-politische Skandal und die darin verstrickten Branchen und Firmen sichtbar. Diese Verstrickung begründet wahrscheinlich keine juristische Schuld, denn es war alles legal - wohl aber moralisch-politische Verantwortung. Und dieser kann die Öffentlichkeit der westlichen Industriestaaten gerecht werden, indem sie die Opfer in Erinnerung behält und sich für die Entwicklungschancen des Landes engagiert. Damit das alles in Gang kommt, sollte eine gemischte Untersuchungskommission eingesetzt werden, die den Skandal so akribisch und in allen Facetten dokumentiert, wie dies die Bergier-Kommission für die schweizerische Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik zwischen 1933 und 1945 vorgemacht hat: 25 Einzelstudien von über 10.000 Seiten Gesamtumfang beleuchten die Praktiken in der Vergangenheit zwar spät, aber akribisch.

      Bezieht sich das erste Verdienst der Drohung mit der Sammelklage auf die Vergangenheit, so das zweite auf die Zukunft. Mit der Dokumentation der "sauberen" Praktiken im Südafrikageschäft und mit der Übernahme der politisch-moralischen Verantwortung würden die schweizerische wie die deutsche Wirtschaft und Politik ein Zeichen setzen, an dem sich zukünftiges wirtschaftliches Denken und Handeln orientieren müsste. Mit einem Land, in dem menschen- und völkerrechtliche Normen systematisch verletzt werden, darf es keine "sauberen" Geschäfte geben - und sei es allein aus dem Grund, dass man dafür später zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, vor dem Politiker und Militärs, die Menschen- und Völkerrechte verletzten, angeklagt werden können, erhöht das Risiko für die potenziellen Täter und schützt mögliche Opfer. Kurz - das allgemeine Berufsrisiko für Diktatoren und Generäle steigt mit der Einrichtung des Gerichts in Den Haag. Die Diskussion und Dokumentation der "sauberen" Geschäfte im Zuge der Debatte über die Sammelklagen könnte auf Manager, Banker und Geschäftsleute eine ähnliche präventive Wirkung haben. Erinnerung, Dokumentation und Debatte würden so - noch vor materiellen Entschädigungsleistungen - zum "Geschichtszeichen".

      Kant meinte damit das mehr oder weniger spontane Hervortreten der "Denkungsart der Zuschauer", die sich bei "großen Umwandlungen öffentlich verrät". In der "uneigennützigen Teilnehmung" von Menschen außerhalb Frankreichs an der Französischen Revolution entdeckte Kant eine Orientierung am "Menschengeschlecht im Ganzen" und damit einen universellen "moralischen Charakter". Der beweise - "wenigstens in der Anlage", wie Kant vorsichtig hinzufügt -, dass "das Fortschreiten zum Besseren nicht allein hoffen lässt, sondern selbst schon ein solches ist". Das primär interessengeleitete Unternehmen Fagans könnte - unbeabsichtigt und durch die Hintertür - die Chancen für eine neue Denkungsart der zuschauenden Citoyens und für ein anderes Handeln von Wirtschaft und Politik verbessern. Wenn in Europa eine seriöse historische Aufarbeitung und eine politische Debatte über die Südafrikageschäfte zustande käme, wäre das mit Kant als "Geschichtszeichen" auf "etwas Moralisches im Grundsatze" zu deuten. RUDOLF WALTHER

      taz Nr. 6828 vom 16.8.2002, Seite 10, 241 Kommentar RUDOLF WALTHER, taz-Debatte

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      Avatar
      schrieb am 16.08.02 16:45:54
      Beitrag Nr. 56 ()
      Schade, dass wir vom eigentlichen Thema des Threads weggekommen sind. Und uns so nur an einem Nebensatz des Autors hochziehen.
      Die eigentliche Kernbotschaft ist doch eine ganz andere.

      @D.T.: Bist Du aufrichtig der Meinung, dass in unserem sozialen Sicherungssystem (Rente, Krankenversicherung, Sozialhilfe etc.) keine grundlegenden Reformen notwendig sind?
      Und bestreitest Du, dass diese Reformen (wie auch immer sie im Detail aussehen mögen) aus Angst vor Popularitätsverlust nicht angepackt werden?

      Da habe ich Dich in anderen Diskussionen, wo Du "mutige Politiker" gefordert hast, aber völlig anders interpretiert.
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 16:58:49
      Beitrag Nr. 57 ()
      @ rainer

      Natürlich brauchen wir mutige Staatsmänner (kann allerdings nirgendwo welche sehen) und moderne, zukunftssichere und sozialverträgliche Konzepte (kann sie jedoch bei keiner PArtei erkennen).

      Aber ich weiß eben zwischen "Mut mit Verantwortungsvollem HAndeln" und "Lobby-gestützter Besitzstandswahrung" zu unterscheiden.

      Was wir brauchen, sind eine gerechte Verteilung der im Moment existierenden Arbeitsplätze und "Wirtschaftswachstum"

      Aber eben nicht den sozialen KAhlschlag.

      Wir haben andernorts bereits darüber diskutiert und hatten eigentlich viele Übereinstimmungen.

      Eigentlich - so finde ich - ist es garnicht so schwierig langfristiges Wirtschaftswachstum zu erzielen:

      Man muss wieder Hochinnovativ und Zukunftsorientiert sein.

      Ich hatte dies bereits alles ausgeführt.
      Deswegen hier nur einige wenige Beispiele und Schlagworte:

      Raschestmöglicher Abbau der Kohle-Subventionen, Massive Investitionen in Bildung. Förderung von wirtschaftsnaher, aber auch Grundlagenorientierter Forschung in Nanotechnologie, Umwelttechnologien ( nicht nur erneuerbare Energien, das bedeutet viel, viel mehr), verantwortbare Biotechnologien, IT-Entwicklungen, Gesundheitsmärkte ( 8. Kondratieff-Zyklus) etc. etc. etc.

      DORT sind derart viele Arbeitsplätze in 10 JAhren, daß man sich die Augen reiben mag, wenn man das Versagen der Visonären Fähigkeiten unserer Politik sieht.
      Avatar
      schrieb am 16.08.02 17:36:28
      Beitrag Nr. 58 ()
      Mit lobbygestützter Besitzstandswahrung meinst Du vermutlich vor allem die Gewerkschaften, oder?

      Alle regen sich über die (zweifellos etwas dubiosen) Geschäfte von Hunzinger auf. Böse Industrielobbyisten.

      Die Tatsache, dass die Mehrzahl der SPD-Abgeordneten Gewerkschaftsmitglieder bzw. -funktionäre sind, scheint keinen zu stören.

      Welche Lobby habe ich denn, als relativ gut verdienender Angestellter?

      Für Arbeitslose, "sozial Schwache" etc. machen sich viele stark. Für mich niemand.

      Musst mich jetzt trotzdem nicht bemitleiden :D

      Einfach mal als Denkanstoß, ob die Machtverhältnisse in unserem Land nicht eigentlich ganz anders verteilt sind, als oft angenommen.

      "Sozialer Kahlschlag" ist doch nur ein Kampfbegriff, eine Worthülse. Zwischen der Beibehaltung des Status Quo und einer völligen Abschaffung jeglicher sozialer Sicherung gibt es viele Zwischenstufen. Und es ist m.E. eine der Krankheiten unseres Systems, dass wirklich Bedürftige oft durch die Maschen fallen, während Faulenzer unterstützt werden. Geht man gegen die Faulenzer nicht vor, so schafft man automatisch in der Bevölkerung eine Stimmung, die gefährlich ist. Gefährlich für die (wenigen) wirklich Bedürftigen.

      Die Innovationskraft einer Gesellschaft ist nicht völlig unabhängig vom Grad der sozialen Sicherung. Warum sind die Schwaben historisch so innovativ gewesen? Nicht, weil sie schlauer als der Rest der Deutschen waren, sondern weil das Elend (verursacht durch die Realteilung) sie dazu gezwungen hat.
      Avatar
      schrieb am 17.08.02 14:16:09
      Beitrag Nr. 59 ()
      @ rainer6767

      Mit Besitzstandswahrer meine ich auch, aber nicht nur die Gewerkschaften.

      Ich meine damit ALLE Menschen/Organisationen, die veraltete, überholte Strukturen aus Bequemlichkeit und Unbeweglichkeit, aus Verweigerung gegenüber derzeitigen und zukünftigen Herausforderungen trotz klarer Evidenz der Notwendigkeit aktiv und passiv blockieren.

      Neben der LAndwirtschaft (ich habe erst neulich die sagenhafte durchschnittliche Subventionssumme PRO LANDWIRT von 300.000 € pro Jahr -jährlich EU-weit über 50.000.000.000 €uro - muss man sich einmal vorstellen) gibt es viele, viele negative Beispiele direkt aus der verkrusteten Industrie:

      Nur EIN konkretes Beispie) z.B. die RAG, die hochdefizitäre Gruben am Tropf öffentlicher Subventionen läßt (pro JAhr insgesamt sagenhafte 28 Milliarden, also 5% des gesamten Gesundheitsmarktes) das Geld für lächerliche 40.000 Arbeitsplätze einsackt, die soeben eines der seltenen modernsten und PROFITABLEN Bergwerke STILL LEGTE, und sich in den USA ( ! ) soeben mit den ergaunerten Milliarden in Bergwerke einkauft. Ob das wohl hierzulande Arbeitsplätze bringt?

      Klasse, was?

      Mit den 28 Milliarden könnten unter anderen im Gesundheitswesen dringend nötige Optimierungen der Strukturen bezahlt werden. Und vieles, vieles mehr, was sich enorm rechnet.
      Nicht nur durch verbesserte Versorgung, sondern niedrigere Folgekosten über lange Jahre.

      Zum Beispiel im Bereich der Förderung der von mir in früheren postings genannten, zukunftsträchtigen Technologien, in Forschung und Entwicklung, Bildung.

      Anstatt dessen verrotten bei lebendigem leib in Wegschließanstalten namens Altersheimen zeitgleich pflegebedürftige Menschen, die ihr Leben lang diese Republik aufbauten und nun um eine lebenswürdige Schlußphase gebracht werden.

      Die Pflegeversicherungen werden von den Krankenkassen für sachfremde Aufgaben mit stillschweigendem Einverständnis der Politik geplündert, Gelder einfach nicht für Pflege freigegeben.
      Hier könnte man viele Zehntausend Menschen (ein vielfaches der RAG-Arbeitsplätze) , die zuhause in Arbeitslosigkeit ihre Hoffnung verlieren, in kürzester zeit und langfristig sinnvoll wieder in Lohn und Brot bringen.

      Im Übrigen bin ich der Meinung, daß die Gewerkschaften in den vergangenen Jahren nicht extrem, aber viel Weitsicht bewiesen haben. Nur hat das entgegen den Versprechungen der Industrie nicht nenneswerte Verbesserungen am Arbeitsmarkt gebracht.

      Die Leier der Industrie ist ja immer die Gleiche:

      Ist Hochkonjunktur, soll sie nicht durch hohe Lohnabschlüsse gefährdet werden (hohe Dividenden und märchenhafte Managergehälter tun das anscheinend in wundersamer Art und Weise nicht? )

      Ist man im Abschwung, werden die Leute einfach "freigesetzt" .

      Womit wir erneut bei dem eher weltanschaulichen Problem der Lohngerechtigkeit wären.

      Hier gibt es zweifellos vieles an Raffmentalität zu bestrafen:

      Beispiel: die sensationelle Erhöhung der Gehälter bei der Dt. Telekom, die faktische Umschichtung von Unternehmensvermögen in die Privat-Schatulle von sogenanten "TOP-Managern", die mit ihren teilweise dreisteligen Mio-Beträgen absolut inadäquat ist.

      Der Verrat am eigenen Unternehmen, wie möglicherweise der FAll Esser/Mannesmann zeigte, sicher jedoch der FAll Lederer.

      Oder die Vernichtung von Unternehmensmilliarden durch abgehobene Egomanen wie Reuter und Schrempp, die sich noch langjährig feiren lassen und eine bizarre Form von selbstverwirklichung mit dem Budget der Aktionäre durchziehen. Die eben praktisch KEINE persönliche, erst recht keine existenzielle Risikobeteiligung haben.

      Allesamt Beispiele, wie der berühmte "alles regulierende MArkt" eben NICHT FUNKTIONIERT.

      Wir brauchen m.E. auch keine breitflächige "Deregulierung", sondern faire und zukunftssichere, Klare Regeln.

      Jemand, der andere um Millionen betrügt, darf eben nicht als "Clever" gelten, sondern als "kriminell" .

      Und ab einer gewissen Einkommensstufe sollte die Höhe des Gehaltes zum Nutzen und zum Schutz der Unternehmen vor Ausplünderung ( ! ) nicht mehr steigen.

      Es gibt ja mittlerweile auch Mangement-Literatur, die aufzeigt, das Incentives selten die Motivation langfristig fördern.

      Ein Manager, der Geld als führendes Kriterium für seine Motivation bei der Tätigkeit hat, ist m.E. derart um sich selbst kreisend, daß er langfristig eher eine Gefahr für das Unternehmen ist. DA ist ein MAnager nicht anders als ein "normaler" Mitarbeiter.

      Bevor wir uns mißverstehen: ich bin ein glühender Verfechter der leistungsbezogenen Entlohnung.

      Aber auch ein Verfechter der der maßvollen Entlohnung.

      Im MOment scheint Trend dahingehend zu existieren, daß sich Vorstandsvorsitzende eher als Raider des Arbeitgebers in eigenem Auftrag verstehen.

      So - jetzt lockt das gute Wetter.

      Gruß

      D.T.
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 03:39:21
      Beitrag Nr. 60 ()
      d.t. #54

      Ich will hier keinen Salon-Klassenkampf beginnen

      ... klang aber so an, deswegen mein einwand
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 04:18:33
      Beitrag Nr. 61 ()
      was - wie ich denke - jetzt wohl ausgeräumt ist.. :D ;)
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 13:38:31
      Beitrag Nr. 62 ()
      @dt

      viele deiner vorschläge klingen gut und einige würde ich auch befürworten (Abschaffung Agrarsubventionen).

      Vieles sind aber nur moralische Aussagen, die jeder unterschreiben würde, die aber leider nicht weiter führen.
      z.B.
      "Bevor wir uns mißverstehen: ich bin ein glühender Verfechter der leistungsbezogenen Entlohnung.
      Aber auch ein Verfechter der der maßvollen Entlohnung.
      "

      Bei einigen Aussagen - so denke ich - führt der moralisch hochstehende Anspruch zu mehr Ineffektivität, als das er nützt. Dies ist dann volkswirtschaftlich nicht durchdacht. Ein beispiel:

      Und ab einer gewissen Einkommensstufe sollte die Höhe des Gehaltes zum Nutzen und zum Schutz der Unternehmen vor Ausplünderung ( ! ) nicht mehr steigen.

      nähmen wir an, diese regelung würde eingeführt. nehmen wir an, ca. 1000 Manager in Deutschland erreichten diese Höhe, so daß sie alle gleich viel verdienen würden. nehmen wir an, dein unternehmen wird von einem dieser 1000 geleitet, den du aber nur für den 500.fähigsten dieser 1000 hälst. Du willst nun den aus deiner sicht fähigsten überhaupt für dein unternehmen holen, der allerdings auch unter diesen 1000 zu finden ist. damit er kommt, braucht er einen anreiz. dieser müßte mindestens darin bestehen, ein höheres gehalt zu beziehen als bisher, sonst wechselt er nicht das unternehmen. dies ist aber "verboten", da er ja schon das höchstgehalt kassiert und du nicht mehr bieten darfst. du bleibst also auf deiner schlechten führungskraft sitzen, da der preismechanismus auf dem arbeitsmarkt für top-führungskräfte gesetzlich ausgehebelt wurde. dies führt zu den bekannten ineffizienzen und rationierungsproblemen. es bietet zudem einen anreiz zu kriminellen verhalten. denn vielleicht bist du versucht, an der bilanzwahrheit vorbei, ihm doch irgendwie etwas mehr zu bieten, was offiziell nur nicht auffallen darf.
      Weiterhin gibt es für keinen der 1000 einen anreiz, besser zu sein als die anderen 999, da er ja auch nie besser entlohnt werden kann. er muß nur aufpassen, daß er unter den 1000 bleibt und hat darüber hinaus keinen anreiz zu topleistungen.

      noch zu einem anderen punkt:es ist auf jeden fall wahr, daß eine prozentual (an der gesamtentlohnung der führungskräfte gemessene) hohe quote an aktienoptionen, die kurzfristig (1-2 jahre)fällig wird, dazu führt, daß die führungskräfte einen extremen anreiz zu kurzfristiger kurssteigerung der aktien haben und dies u.U. sogar durch bilanzunwahrheiten zu erreichen versuchen. dies ist ein riesenproblem und meinetwegen kann man es als marktversagen bezeichnen; dies kann aber durch veränderung der anreizstrukturen (wie jetzt z.B. in einem ersten Schritt in den USA durch drakonische strafen passiert)und nicht durch einführung von Höchstlöhnen gelöst werden. Gute politik besteht für mich nicht aus moralischen appellen an wirtschaftssubjekte, z.B. "die unternehmen müssen auch ihre soziale verantwortung in der gesellschaft erfüllen und nicht nur soziale kälte walten lassen und ihre gewinne maximieren und gleichzeitig leute entlassen". dies ist zwar schön und richtig und für sonntagsreden geeignet, aber durch moralische appelle ändert man kein verhalten. gute politik besteht doch daraus, daß auf intelligente weise die anreizstrukturen so verändert werden, daß auch rein egoistische marktteilnehmer im eigenen interesse so handeln, daß "die allgemeine wohlfahrt" steigt. das dies tatsächlich durch geeignete ökonomische maßnahmen geht, zeigt z.B. die umweltökonomie. um zum ausgangsthema zurückzukommen: das problem besteht nur daraus, daß die umsetzung und einführung dieser mechanismen auf erhebliche widerstände stoßen kann und es deshalb für einen politiker nicht stimmenmaximierend ist, sich volkswirtschaftlich rational und wohlfahrtsmaximierend zu verhalten. diese mechanismen werden in der neuen politischen ökonomie beschrieben. und der autor von #1 hat mit leicht sarkastischem unterton ganz gut gezeigt, daß dies natürlich letztlich nur am wahlverhalten der wähler liegt.

      kleines schmankerl noch zu a. smith:
      Adam Smith war nicht nur der Erfinder der legendären "unsichtbaren Hand", die auf zunächst wundersam erscheinende Weise dafür sorgt, daß sich die Summe des Eigeninteresses von Individuen auf dem Markt mit dem Gemeinwohl deckt. Smith hatte eine Professur für Logik und Moralphilosophie inne; die Beschäftigung mit der Nationalökonomie war für ihn kein Widerspruch, sondern logisches Nebenprodukt seines Fachs.

      "Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von deren Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse." Nach Smith ist dies alles andere als die Heiligung des Egoismus, sondern ein Gebot der Klugheit. Indem jeder einzelne "sein eigenes Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft wirksamer, als wenn er sich tatsächlich vornimmt, es zu fördern." Voraussetzung dafür ist das Privateigentum: "Weil das Eigentum jedes Menschen an seiner eigenen Arbeitskraft ursprüngliche Grundlage allen anderen Eigentums ist, ist es auch vor allem anderen heilig und unverletzlich." Eine weitere Bedingung ist der Wettbewerb: "In der Regel gilt, jeder Erwerbszweig und jede Arbeitsteilung, die für die Allgemeinheit vorteilhaft sind, werden es immer um so mehr sein, je freier und umfassender der Wettbewerb ist."
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 13:56:17
      Beitrag Nr. 63 ()
      @leary:

      Nur ergänzend: Man sollte auch nicht vergessen, dass Optionspläne durch die Hauptversammlung genehmigt werden müssen. Die Hauptversammlung wählt auch (zur Hälfte) den Aufsichtsrat, der wiederum die Vorstände bestellt und deren Vergütung festlegt. Die anderen 50% des Aufsichtsrats werden durch Arbeitnehmer gewählt.

      Warum beklagen sich nun Kleinaktionäre (die ihrer Bank das Depotstimmrecht übertragen haben) und Arbeitnehmer (die irgendwelche Gewerkschaftsbonzen in den AR gewählt haben) über die hohe Vorstandsvergütung? Werden die Aufsichtsräte der Telekom in der nächsten HV abgewählt? Verlieren die Gewerkschaftsbonzen die nächsten Wahlen zum Aufsichtsrat bei der Telekom?

      Da hat etwas versagt, keine Frage. Aber nicht der Markt.
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 14:19:07
      Beitrag Nr. 64 ()
      es handelt sich natürlich nicht um ein martversagen, wie es in der ökonomischen theorie definiert wird. ich wollte nur deepthought nicht in eine diskussion über die nomenklatur verstricken und habe ihm sozusagen die Diagnose nicht bestritten, daß wie er schreibt "der berühmte "alles regulierende MArkt" eben NICHT FUNKTIONIERT". Ich verstehe es nicht als Marktversagen im engeren Sinne, sondern eher so, daß die faktischen ergebnisse von HV+AR-Beschlüssen falsche anreize gesetzt haben. Daß die, die das abgesegnet haben mitverantwortlich sind, sehe ich ebenso und kann über deren nachträgliche öffentlich zur schau gestellte heuchelei nur den kopf schütteln. da sich dort aber wahrscheiblich wenig ändern wird, halte ich für absolut richtig, die kapitalbetrugs- und bilanzfälschungs-gesetzgebung und -rechtsprechung zu verschärfen, um fehlverhalten risikoreicher zu machen.

      zum ursprünglichen thema:
      denkst du, daß man eine demokratie vielleicht auch zu einer staatsform machen kann, die garantiert, das die Bürger doch besser regiert werden, als sie es verdienen?
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 14:37:31
      Beitrag Nr. 65 ()
      @leary99:

      Zur abschließenden Frage: Da habe ich wenig Hoffnung. Es mag arrogant klingen, aber ich halte rund 80% der Bevölkerung (jedes beliebigen Landes) für ziemlich dumm.

      Das sind bspw. die Leute, die immmer SPD bzw. CDU wählen werden. Egal, wie deren Politik ist.

      Schröder kann den größten Mist machen, er wird trotzdem mind. 35% holen.
      Schröder kann der beste Kanzler aller Zeiten sein, er wird dennoch nie mehr als 50% holen.

      Du verstehst, was ich meine? Rund 80% der Bevölkerung üben ihre demokratischen Rechte gar nicht aus, auch wenn sie zur Wahl gehen. Weil sie völlig hirnlos abstimmen.

      Ich habe da auch keine Patentlösung. Ich teile jedenfalls die Hoffnung von Deep Thought, dass ein mutiger Politiker Erfolg haben könnte, nicht. So sehr ich mir das auch wünschen würde.

      @D.T.: Wobei Du, ehrlich gesagt, wohl auch nicht der Typ Wähler bist, bei dem man als Politiker großen Mut zu Reformen entwickeln würde. Die erfolgreichen Sozialreformen in Neuseeland, Schweden etc. hättest Du doch wahrscheinlich auch als "sozialen Kahlschlag" bezeichnet, oder?
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 18:03:09
      Beitrag Nr. 66 ()
      Rund 80% einer beliebigen Bevölkerung mit dem Status "Dumm" abzuledern, klingt allerdings recht arrogant! Was kann dieser, nicht unerhebliche Bevölkerungsteil denn tun, um dieser misslichen Klassifizierung zu entgehen? "...die immer SPD bzw. CDU wählen." Wo sind die Alternativen? Gab es überhaupt jemals eine davon abweichende Alternative, mit anderer politischer Ausrichtung, als die, die uns allen von Kindesbeinen an mit einer immer gleichbleibenden Flut von Informationen eingeboren wurde?? Die Grünen sind mal angetreten mit völlig neuen und frischen Ideen, herzerfrischend in der Andersartigkeit ihrer Konzepte. Regelrechter Hoffnungsschimmer keimte damals auf, und viele Wähler der alteingessenen Volksparteien wanderten ab zu den Grünen. Wo stehen die Grünen heute mit ihren Ansprüchen von damals?? Nichts mehr mit Alternative! Einheitsbrei mit System hat sich geformt!

      Wo sind also die verdammten Alternativen zu Schröder/Stoiber, die 80% der Dummen wieder schlau machen können? FDP? Westerwelle & Co.? :laugh::laugh::laugh: 2/3 ihres Wahlprogramms kann man getrost als undurchführbar in die Tonne drücken. Sie wissen es und verkaufen es trotzdem als durchführbar! Alternative in der Unglaubwürdigkeit und Verlogenheit suchen??

      Also Rainer, erzähl, welche Instrumentarien nimmst Du persönlich zur Hand, um zum erlauchten Kreis der verbliebenen 20% zu gehören? Und was wählst Du dann?;) Wo sind Deine Alternativen, die Dich erhaben abheben lassen vom Gros der Wahlmasse?

      Es gibt sie nicht in der Position, in der sie auch nur andeutungsweise hoffen könnten, jemals irgendwelche Mehrheiten in diesem Land erzielen zu können, kleingehalten mit allerlei ausgefeilten Maßnahmen der gr. Volksparteien, die dann ihre Felle davon schwimmen sehen würden.

      Fakten will ich auf den Tisch! Unverblümte Wahrheiten, schonungslos in ihrer Offenheit, will ich auf den Tisch! Ich will den Istzustand endlich präsentiert bekommen, und nicht einen propagierten Traumzustand, der ewige Träumerei bleiben wird.

      Zeig mir die Politiker, die so vorgehen, die das verdammte Kreuz haben, Konzepte exakt für diesen nackten Wahrheiten zu entwickeln und zu präsentieren. Sie, und nur sie wären wählbar! Bis zur dieser "echten" Wahl werde ich auch zu Deinem Dummvolk der 80% gehören!

      TT
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 18:21:46
      Beitrag Nr. 67 ()
      @TT:

      Da hast Du mich gründlich missverstanden. Ich hätte die Liste (CDU, SPD) auch um FDP, Grüne, PDS, NPD oder sonstige Parteien erweitern können.
      Mir ging es nur darum, dass viele Menschen überhaupt nicht darüber nachdenken, was sie wählen.

      Wollte also keineswegs den Eindruck erwecken, dass jeder, der bspw. FDP wählt, intelligenter ist. Gegenbeispiele gibt es ja hier im Board genügend (Thierri, LauraG. etc.).

      Ich wähle FDP, weil sie meine Interessen am Besten vertritt. Und schon deswegen gehöre ich wohl zu einer kleinen Elite von Wählern, die ihre Wahlentscheidung bewusst fällt. :D Dass ich mit dieser Entscheidung gleichzeitig Kröten schlucken muss (Westerwelle, Möllemann), ist mir völlig bewusst. Es ist eine Entscheidung für das (aus meiner Sicht) kleinste Übel. Und diese Entscheidung treffe ich vor jeder Wahl neu. Außer den Grünen habe ich in der Tat schon alle demokratischen Parteien gewählt.

      Ich wollte das ganze Thema aber wirklich nicht parteipolitisch behandeln.

      Warum haben wir wohl keine Alternativen? Weil alle zur "Mitte" streben. Weil man nur auf die Weise, die Du und ich wohl übereinstimmend kritisieren, die Stimmen der dummen Masse holen kann.

      Die FDP ist übrigens dafür auch ein hervorragendes Beispiel. Seit sie das Ziel verfolgt, eine Volkspartei (18%) zu werden, wird ihr Programm auch immer blöder.

      Zu den Grünen habe ich übrigens eine etwas andere Meinung als Du. Diese Partei war noch nie so gut wie heute. Was die Grünen zu Oppositionszeiten gefordert haben, waren doch Utopien unreifer Kinder (Abschaffung der Bundeswehr etc.). Mit der Regierungsverantwortung sind sie erwachsen geworden. Was die unreifen Kinder unter ihren Anhängern natürlich als Verrat bezeichnen. Was wiederum dazu führt, dass nun ausgerechnet Joschka Fischer mit Eiern beworfen wird.
      Avatar
      schrieb am 19.08.02 18:50:08
      Beitrag Nr. 68 ()
      @rainer
      Die FDP ist übrigens dafür auch ein hervorragendes Beispiel. Seit sie das Ziel verfolgt, eine Volkspartei (18%) zu werden, wird ihr Programm auch immer blöder.

      ich glaube eher, daß die wahlpropaganda und die marketingabteilung zu immer "blöderen" aktionen greift, um mehr wähler "anzusprechen". weil sie mehr stimmen haben wollen, müssen sie populistischer auftreten. da hängt man sein fähnchen eben in den wind und zieht mit zweifelhaften aktionen - jeden inhalts beraubt - das interesse der fun-generation auf sich. so lange sich an der programmatik darunter nichts ändert, die dann mit mehr wählerstimmen besser durchgesetzt werden kann, solls mir recht sein.
      mit fakten kann man eben heute keinen wahlkampf betreiben, schon gar nicht, wenn man sich zur "volkspartei" entwickeln will, die die ganze masse ansprechen will.

      insofern beherzigt die fdp inzwischen wie die anderen parteien auch die in #1 beschriebenen mechanismen. ich glaube (und hoffe) allerdings, daß die fdp eher im "verkaufen" (wahlkampf-marketing) aktiv ist, als das sie ihr "produkt" (parteiprogramm) ändert.

      genau das wäre übrigens nach #1 nötig: ein meisterwerk des verkaufens populistischer wahlsprüche (ohne das jemand merkt, daß diese eigentlich im widerspruch zum parteiprogramm stehen), womit eine wahl gewonnen wird.
      anschließend das brechen aller wahlversprechen (unter verweis auf das parteiprogramm) und möglichst gleich großen und schnellen "einschnitten" bei allen bevölkerungsgruppen. dann könnten vier jahre wartezeit ausreichen, um die vwl-daten eine eindeutige (positive) sprache sprechen zu lassen.
      Avatar
      schrieb am 26.08.02 13:58:22
      Beitrag Nr. 69 ()
      hier nochmal ein Vorschlag, wie das unter #1 beschriebene Problem gelöst werden könnte:
      (siehe fett markierte Stellen)




      Individuelle Freiheit und Gleichheit

      Zur politischen Verfassung einer freien Gesellschaft - Ein neuer Band in der deutschen Hayek-Edition


      Friedrich A. von Hayek: Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung. Aufsätze zur Politischen Philosophie und Theorie. Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, Band 5, herausgegeben von Viktor Vanberg, Verlag Mohr Siebeck 2002, 322 Seiten, 64 Euro.

      Die Herausgeber der im Erscheinen begriffenen deutschen Hayek-Edition haben sich zum Ziel gesetzt, dem Leser das monumentale Werk ihres Autors unter systematischen Gesichtspunkten näherzubringen. Der jetzt von Viktor Vanberg vorgelegte Band faßt das in zahlreichen, oft schwer zugänglichen Publikationen verstreute Werk Hayeks zur Verfassung einer freien Gesellschaft geschickt zusammen und liefert somit einen guten Überblick über die Hayekschen Auffassungen zur Sozialphilosophie, Rechtstheorie und Ordnungspolitik.

      Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß Hayeks Ansichten zur Stabilität freiheitlich-demokratischer Ordnungen von den Ereignissen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt worden sind. Schließlich war er als Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, als junger Student und später als Wissenschaftler Zeuge des Zusammenbruchs liberaler Gesellschaftssysteme in vielen europäischen Ländern und deren Umwandlung in Diktaturen oder autoritär regierte Gemeinwesen.

      Diese Erfahrung mag ihn nach dem Zweiten Weltkrieg - aus dieser Zeit stammen die hier versammelten Aufsätze - mit der Sorge erfüllt haben, daß eine freiheitliche Ordnung stets gefährdet ist. Trotz aller Erfolge der westlichen politischen und wirtschaftlichen Ordnung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist diese Sorge nicht unberechtigt. Der heute vielfach unkritisch hingenommene Anspruch der Allzuständigkeit des demokratischen Wohlfahrtsstaates entfaltet eine Dynamik, welche die Freiheitsbereiche des einzelnen erheblich einschnürt. Zwar ist oft die Rede vom Siegeszug des liberalen Modells zunächst im westlichen Europa und dann seit 1989 in vielen ehemals sozialistischen Ländern. Hayeks Sorge um den Fortbestand freiheitlicher Ordnungen ist gleichwohl auch aus heutiger Sicht wohlbegründet.

      Was aber ist Hayeks Maßstab für die Beurteilung heutiger Fehlentwicklungen in freiheitlichen Ordnungen? Nicht der Entwurf more geometrico eines neuen idealen Gesellschaftsmodells in der Tradition der Sozialutopien früherer Jahrhunderte, sondern die sorgfältige Aufarbeitung der großen theoretischen Beiträge zur freiheitlichen Ordnungspolitik, vor allem der Klassiker des liberalen Denkens wie David Hume, Lord Acton und Alexis de Tocqueville. An den von diesen Gelehrten gesetzten Maßstäben orientiert Hayek seine Kritik heutiger Erscheinungsformen liberal-demokratischer Staaten. Vor diesem Hintergrund versucht er Fehlentwicklungen zu diagnostizieren und darüber nachzudenken, wie sich individuelle Freiheit und Gleichheit in einer mehr und mehr egalitären Welt miteinander verbinden lassen.

      Von zentraler Bedeutung sind Hayeks theoretische Positionen, die den Rahmen beschreiben, innerhalb dessen politisches Handeln auf der Grundlage unseres Wissens überhaupt sinnvoll möglich ist. Diesen Rahmen zieht er entschieden enger als die meisten Politiker, Gesellschaftsingenieure und Interventionisten heutiger Prägung. Zwar bedarf eine moderne freiheitliche Gesellschaft nach Hayek des Ordnungs- und des Leistungsstaates, der öffentliche Güter bereitstellt. Aber dies sei kein Grund, moderne Gesellschaften als im Ganzen planbar anzusehen und demokratischen Instanzen unbeschränkte Befugnisse einzuräumen. In Wilhelm von Humboldts Sprache ausgedrückt: die "Grenzen der Wirksamkeit des Staates" sind im Gegensatz zum Glauben an staatliche Allmacht und grenzenlose Fürsorge nach wie vor zentraler Gegenstand jeder Befassung mit der Grundordnung einer freiheitlichen Gesellschaft.

      Wie ein roter Faden zieht sich durch den Aufsatzband die Sorge, daß die weithin kritiklos angewendete Mehrheitsregel zur "unbeschränkten Demokratie", zu einer neuen Art demokratisch verbrämten Despotismus, führen könne. Institutionell ist diese Fehlentwicklung nach Hayek nicht durch die handelnden Personen bedingt, sondern durch die Regeln, unter denen diese stehen. Den entscheidenden Defekt sieht Hayek in der Doppelaufgabe heutiger Parlamente, sowohl Gesetzgeber als auch Teil des Regierungsapparates zu sein. Dadurch wird die Gesetzgebung zur Magd des Regierungsinteresses. Die Regeln menschlichen Zusammenlebens werden von den demokratischen Körperschaften nicht länger nach Gesichtspunkten der Gerechtigkeit formuliert, wie es die geistigen Väter der freiheitlichen Gesellschaft anstrebten. Vielmehr bewirkt die Notwendigkeit, Wählermehrheiten zu gewinnen, in Verbindung mit dem Druck zahlloser Interessenverbände, daß der Gesetzgebungsprozeß ein Verfahren zur Bedienung partieller statt allgemeiner Interessen wird.

      Diese Kritik ist vielfach geäußert worden. Was aber ist zu tun? Verfassungen und Verfassungsgerichte sind die Antworten in vielen Ländern. Hayek, ein Vorläufer der Institutionenökonomie, entwickelt einen anderen Vorschlag. Anknüpfend an Hume plädiert er für ein Zweikammersystem mit getrennten Funktionen. Die erste Kammer ist auf die reine Gesetzgebung beschränkt; ihre Mitglieder werden demokratisch gewählt, aber nicht im Rahmen heutiger Parteienwahlkämpfe. Die zweite Kammer hat Regierungsfunktionen. Sie wählt die Regierung und kontrolliert sie, hat aber keinerlei Gesetzgebungskompetenzen. In einem solchen institutionellen Arrangement dürften nach Hayek Lobbyisten nur geringe Chancen haben, die Gesetzgebung zugunsten ihrer Partialinteressen zu verbiegen. Eine Reorientierung der Gesetzgebung an den allen Bürgern gemeinsamen Interessen soll so eine bessere Chance bekommen.


      Hayeks Vorschlag trifft einen schweren Mangel heutiger repräsentativer Demokratien. Denkt man an die Diskussionen über die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zurück, so ist es verwunderlich, daß der ungleich wichtigeren Frage, wie eine freiheitliche Ordnung im Ganzen zu sichern sei, keine größere Aufmerksamkeit zuteil wird. Neue Aktualität gewinnt die Hayeksche Position mit Blick auf den Europäischen Konvent.

      CHRISTIAN WATRIN

      (Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln)

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.08.2002, Nr. 197 / Seite 12
      Avatar
      schrieb am 26.08.02 15:02:12
      Beitrag Nr. 70 ()
      Gestern abend das "Duell" war auch wieder mal bezeichnend. Keiner hat klare Antworten gegeben, weil beide sich völlig darüber bewusst sind, dass die Wahrheit sie den Sieg kosten würde.
      Avatar
      schrieb am 27.08.02 12:25:43
      Beitrag Nr. 71 ()
      # 69

      ziemlich pfiffiger Vorschlag.

      Hier eine brilliante, beißende Kommentierung des sogenannten Duells in der FAZ, die mir aus der Seele spricht:


      Spiegeleien oder: Das Duell zweier Kanzler-Testbilder


      Gute Produkte in Kunst, Zauberei und Warenwelt verbergen ihr Produziertsein, lassen die Regeln ihrer Herstellung allenfalls ahnen. Das politische TV-Duell der Bewerber ums nächste Kanzleramt erinnerte von Anfang an an frühere, weniger raffinierte Zeiten massenmedialer Darstellung.
      Denn alles begann damit, daß die Regeln, denen das dann Gezeigte folgte, erklärt wurden; zweimal erklärt, weil an diesem Abend schlechterdings alles mindestens zweimal erklärt wurde. Die zugelassene Höchstzeit für erste und die für weitere Antworten, das Überziehungskonto, die Frequenz der Fragen und die Abfolge des Rederechts - gute Verfahren demokratischer Entscheidungsfindung, so heißt es, legen ihre Regeln dem Publikum offen. So gesehen mag die strikte Verfahrensordnung, zuvor zwischen den Fernsehsendern und den Wahlkampfberatern beider Seiten ausgehandelt, nicht nur zur Disziplinierung der Redner bestimmt gewesen sein. Sie wollte wohl auch markieren, daß es sich hier um eine Veranstaltung im Dienste der parlamentarischen Demokratie handeln sollte, um die wie immer originelle Neuzusammenstellung eines Verfahrens aus ihren ältesten semantischen Beständen: öffentliche Diskussion, Balance zwischen Regierung und Opposition, transparente, ausnahmslos und ohne Ansehen der Person geltende Gesetze.

      Und doch mußte sich der solcherart informierte Zuschauer in einem entscheidenden Punkt alleingelassen sehen. Denn es blieb völlig unerläutert, weil es offenbar für völlig selbstverständlich gehalten wurde, welche Art von Sendung diese Regeln denn regelten. Gewöhnlich unterscheidet das Publikum im Fernsehen ja die Berichterstattung von Unterhaltungssendungen und diese von ihrer Unterbrechung durch die Werbung. Niemand erklärt, nach welchen Regeln die Tagesthemen, der Musikantenstadl oder Reklame für Nachtcremes hergestellt werden, aber wie zum Ausgleich dieses Nichtwissens fühlt sich der Betrachter wenigstens darin sicher, anhand von Eigenschaften des Gesehenen das eine und das andere im Normalfall auseinanderhalten zu können.

      Das TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber führte die Umkehrung dieses Normalfalls vor. Wer wollte sagen, ob es politische Information, Unterhaltung oder Reklame war, was wir sahen? Für politische Information sprach zwar die Auswahl der Themen und der Beteiligten, einschließlich der Nachrichtenredakteure als Zeitnehmer und Stichwortgeber. Doch wie alle Nachbetrachter mindestens zweimal feststellten und wie es vom Politologen Jürgen Falter als diensthabendem Bestätiger dessen, was alle schon zweimal gesagt haben und sowieso jeder weiß, dann noch einmal gesagt wurde: Die politische Information war keine, war bekannt und so schon oft gehört. :laugh: Das Mitgeteilte informierte allenfalls über die Gedächtnisleistungen vielbeschäftigter Spitzenkräfte, die sich auch unter Streß an Versatzstücke ihrer Wahlkampfreden erinnern können. Folgerichtig bestanden die Kommentatorenrunden aus bereits lange pensioniertem politischem Personal, Frisören und Trendberatern. Aber Unterhaltung war es auch nicht. Zwar sorgte die Redundanz des Mitgeteilten dafür, daß sich das Wahrnehmungsinteresse, vom Sinn im engeren Sinne entlastet, sogleich auf ästhetische Merkmale der Darbietung konzentrierte. Man mochte die Bräunungszustände, die verschiedenen Grade an Souveränität oder die Frequenz der Wendung "im übrigen" vergleichen und war dazu durch die Erwartung, Stoiber sei Schröder rhetorisch völlig unterlegen, ja auch voreingestellt. Doch wenn Unterhaltung irgendetwas mit Spiel und Überraschung und Virtuosität zu tun hat, war es gewiß keine. Noch nie dürfte Interaktion unter Abwesenden von zwei Anwesenden so konsequent dargestellt worden sein. Daß Edmund Stoiber offensichtlich die Regel zuvor nicht mitgeteilt worden war, seinen Kontrahenten durchaus anblicken zu dürfen, führte insofern zu einer durchaus folgerichtigen Selbstdarstellung: Der Kandidat sprach, als stehe er vor einem Spiegel, als memoriere er nur, und das war seine Art, es einem Kanzler gleichzutun, der stets so spricht, als stünde er vor einer Kamera, weil er das ja auch ziemlich häufig tut.

      War es also aus Mangel an Spannung, Emotion, Witz und Raffinesse keine Unterhaltungssendung, bliebe als letzte Möglichkeit die Reklame. Zum Produktvergleich war das Publikum durchaus angeregt. Die Promptheit, mit der im Anschluß repräsentative Stichproben in allen Dimensionen Punktwerte abwarfen, mochte ebenfalls an den Warenkunden als Testbatterie des Marketing erinnern - bei einem Sender pulsierte sogar ständig eine Art Thermometer mit Zustimmungswerten irgendeiner ausgewählten Zuschauerschaft. Aber solche pseudowissenschaftlichen Punktwerte suggerierten doch nur, daß hier eine räsonnable Kaufentscheidung durch Produktinformation vorbereitet wurde. Denn wer könnte Nachtarbeitszuschläge mit Spitzensteuersätzen vergleichen, die Förderung des Mittelstands mit der Solidarität gegenüber Flutopfern, Veräußerungsgewinnbesteuerung mit Bundesbankgewinnumwidmung? Niemand könnte also überhaupt nur sagen, was genau hier beworben werden sollte. Nicht informativ, nicht unterhaltend, nicht werbend - wir wurden Zeugen der Geburt eines neuen Sendeformats: Man könnte es das politische Testbild nennen.

      JÜRGEN KAUBE

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.08.2002, Nr. 198 / Seite 31
      Avatar
      schrieb am 27.08.02 14:25:52
      Beitrag Nr. 72 ()
      schöne Formulierung in einem spiegel-online-Artikel:

      "Die Journalisten Peter Limbourg und Peter Kloeppel finden Fragen zu den vorformulierten Antworten. "
      Avatar
      schrieb am 06.09.02 15:01:11
      Beitrag Nr. 73 ()
      Hans Barbier stellt die gleiche Diagnose wie #1, bleibt aber bei der Empfehlung an die Politiker : "Versucht es doch einmal mit dem Mut zur ordnungspolitischen Wahrheit!"
      In der Hoffnung, daß schon nach 4 Jahren das Ergebnis für sich sprechen könnte.



      I did it my way

      VON HANS D. BARBIER


      Oh, sagten sie doch, was sie denken! Oder denken sie wirklich, was sie sagen? Wohl kaum. Gerhard Schröder weiß, daß die Vorschläge der Hartz-Kommission kein Jota an den machtbedingten Fehlsteuerungen des Arbeitsmarktes ändern. Öffentlich aber feiert er sie als Masterplan des Durchbruchs zu einer "Neuen Ordnung" des Arbeitsmarktes. Auch Edmund Stoiber weiß, daß im Zentrum der sozial schädlichen Machtstruktur des Arbeitsmarktes die Gewerkschaften sitzen und daß sich nichts bessern kann, solange die Politik auf deren Regelungsansprüche Rücksicht nimmt. Aber er sagt das nicht. Einen zielführenden Wettbewerb der Ideen zur Besserung der Zustände gibt es schon deshalb nicht, weil bereits der Befund wortreich vernebelt wird. Und das gilt nicht nur für den Arbeitsmarkt.

      Die Wahrheit über die Qualität ökonomischer Steuerungsmechanismen hat keinen Anwalt in den Büros der Redenschreiber der Politik. Der Umweltminister weiß, daß die Ökosteuer schon wegen der Schonung der Großverbraucher kein geeignetes Mittel für die Verbesserung der Umwelt ist. Aber den Grünen und den zum Wahltag hin Grünverdächtigen redet er sie als großen Erfolg ein. Der Sozialminister weiß, daß es keine dauerhafte Lösung ist, die Rentenansprüche auf eine Ökosteuer zu gründen, die entweder für die Umwelt oder für die Renten nichts bringt. Doch er verteidigt diese Fehlkonstruktion. Das sind nur Beispiele, und es gibt schlimmere. Manche verlieren jedes Gefühl für ihre Verrenkungen. Die intellektuelle Dürftigkeit ihrer aufs Verdrehen getrimmten Argumente ist ihnen zur Natur geworden; sie leiden nicht einmal mehr unter dem, was sie zur Sicherung ihres Portiönchens Macht aus sich gemacht haben.

      Der marktwirtschaftlich orientierten Ordnungspolitik schadet die Angst der Akteure vor dem Aussprechen der Wahrheit. Es mag ja für Politiker reflexhaft naheliegen, sich den Zuspruch von Gruppenvertretungen zu sichern, denen es - wie etwa den Gewerkschaften - gelungen ist, ihren Machtanspruch mit dem Dignitätsanschein tätiger Sorge um die sozial Schwachen zu verbinden. Aber ein Politiker, der sich um ein Mandat bewirbt und in Regierungsämter strebt, muß doch eigentlich sagen wollen und sagen dürfen, daß eine Politik für mehr Beschäftigung die Entmachtung derer voraussetzt, die den Arbeitsmarkt zu ihrer sozial drapierten Beute gemacht haben. Damit läge auch die Agenda auf der Hand: betriebsnahe Lohnfindung ohne die Genehmigung durch die Gewerkschaften; flexiblere Verträge ohne die Zwischenschaltung von Staatsagenturen, Verringerung der Lohnnebenkosten durch Reformen der Sicherungseinrichtungen.

      Warum geschieht nichts, oder warum geschieht nur das, was mächtige Gruppenvertreter zur Sicherung der Gruppenmacht gerade noch dulden? Viele, die sich jetzt um ein Bundestagsmandat neu oder wiederum bewerben, haben Ausbildungen absolviert oder Erfahrungen gemacht, die es ihnen durchaus ermöglichten, gute von schlechter Ordnungspolitik zu unterscheiden. Der demokratische Prozeß schwemmt nicht systematisch nur die Uneinsichtigen ins Parlament. Doch das Bestreben, Macht und Amt über möglichst viele Wahlperioden hinweg zu behalten, hindert sie am aufrechten Gang. Anders ist es nicht vorstellbar, daß es eine so auffallend große Kluft zwischen den ordnungspolitischen Ratschlägen der intellektuellen Elite und den Handlungen der politischen Elite der gleichen Gesellschaft gibt.

      Denen, die sich nun um ein Mandat bewerben, möchte man zurufen: Versucht es doch einmal mit dem Mut zur ordnungspolitischen Wahrheit! Man möchte sie fragen: Reizt es euch nicht, am Ende der kommenden vier Jahre mit Frank Sinatra zu singen: "I did it my way"? Nur zu: Es muß dies dann nicht das Lied vom letzten Vorhang sein.

      Der Autorist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.09.2002, Nr. 207 / Seite 15
      Avatar
      schrieb am 13.09.02 21:51:58
      Beitrag Nr. 74 ()
      Programmtip passend zum Thread heute im WDR von 23:15 - 01:15:

      "Will das Volk betrogen sein?" - Wahlkampfgeschichten
      Avatar
      schrieb am 13.09.02 21:55:03
      Beitrag Nr. 75 ()
      Programminfo von WDR: http://www.wdr.de/tv/nachtkulturundgeschichtszeit/gzwahlkamp…

      Freitag, 13. September 2002, 23.00 bis ca. 2.00 Uhr:
      Will das Volk betrogen sein?
      Wahlkampfgeschichte(n)
      Moderation: Sabine Scholt und Andreas Ernst
      Redaktion: Lorenz Beckhardt und Beate Schlanstein



      Die WDR-GeschichtsNacht blickt eine Woche vor der Bundestagswahl auf vierzehn Bundestagswahlkämpfe und auf den ersten und letzten Volkskammerwahlkampf der DDR zurück und beschäftigt sich unter anderem mit folgenden Themenschwerpunkten und Fragen:



      50 Jahre Wahlversprechen und was aus ihnen wurde

      Der erste Bundestagswahlkampf 1949 - mit welchen Argumenten wurde damals gekämpft?

      Erstwähler der Wahlkämpfe 1953,1972 und 1990 erinnern sich, wie um ihre Stimme geworben wurde

      Erstwähler des Jahres 2002 beurteilen die Methoden vergangener Wahlkämpfe

      Wie und mit welchen Folgen haben sich Demoskopie und Auszähltechnik in 50 Jahren verändert?

      Grass und Lenz, Vogts und Rehagel - Prominente kämpfen Wahl

      Beherrschten die Werbestrategen schon immer die Wahlkämpfe?
      Welche Rolle spielen die Frauen der Kandidaten?

      Aus dem WDR-Archiv tauchen längst vergessene, komische und traurige Wahlspots auf.

      Wir haben Gäste in die Sendung eingeladen: Hans-Jochen Vogel (SPD-Kanzlerkandidat 1983, SPD-Vorsitzender 1987-1991), Heiner Geißler (CDU-Generalsekretär 1977 - 1989), Hartmut Palmer (seit 1969 Bonner Korrespondent div. Tageszeitungen, seit 1983 für den SPIEGEL), Frank Lüdecke (Kabarettist) und Ursula Reimers (Werbefachfrau).

      Anschließend sehen Sie ab ca. 1.00 Uhr die Dokumentation Schmutz im Wahlkampf - Beobachtungen vor der Bundestagswahl aus dem Jahr 1980.
      Avatar
      schrieb am 13.09.02 22:13:19
      Beitrag Nr. 76 ()
      @ leary99

      Danke für den Tip! :kiss:

      ist sicherlich interessant.
      Avatar
      schrieb am 13.09.02 23:00:52
      Beitrag Nr. 77 ()
      up.

      jetzt wdr einschalten
      Avatar
      schrieb am 13.09.02 23:06:27
      Beitrag Nr. 78 ()
      kommt erst um 23:15 Uhr
      Avatar
      schrieb am 14.09.02 00:34:56
      Beitrag Nr. 79 ()
      Das ist die dämlichstmögliche Sendung zu einem extrem spannenden Thema.. :mad:

      Schade - ich halte es vor genervtheit nicht mehr aus....

      Die sendung hat keine Struktur, keinen Pep und die Moderatoren sind Schlaftabletten.

      *gähn*
      Avatar
      schrieb am 14.09.02 01:02:24
      Beitrag Nr. 80 ()
      muß Dir zustimmen; die Zuammensetzung der Gäste ist einfach nur traurig - niemand kommt über Gemeinplätze hinaus.

      2 Politiker, die noch aufpassen müssen, was sie sagen;
      dazu 3 Leute (eine PR-Beraterin, ein Journalist ein Kabarettist), die keinen einzigen Satz mit irgendeinem Informationsgehalt absondern konnten.

      Für ein Publikum, das Lust hat, sich Samstag Nachts sowas anzugucken, muß man einfach mehr Inhalt wagen.
      Avatar
      schrieb am 14.09.02 10:38:10
      Beitrag Nr. 81 ()
      Es WAR EINFACH NUR SCHEISSE; WAS DA GEBOTEN WURDE:

      Am besten war, daß Geissler den Gentleman gab, als es um die unnötigen primitiven und demagogischen Demontagen des Politischen Gegners ging.

      Zwar hat die Moderatorin gaaaaaanz vorsichtig daran erinnert, daß er selber den Anlaß für die erste Rüge im zuständigen Ausschuss war, aber das war derart zaghaft, daß ich mich nur wundern konnte.

      Auch wenn Geißler heutzutage sicherlich der "Elder Statesman" ist und geläutert, damals war gerade er einer der übelsten Tiefschläger im PArlament. seine Wortmeldungen und Zwischenrufe gehörten DAMALS teilweise zum Primitivsten, was der Bundestag zu bieten hatte.


      DAnach war klar: Diese Politiker haben NULL Selbstkritik, die Werbetante will weiter Aufträge bekommen und wird sich hüten, etwas aus dem Nähkästchen zu plaudern, der "Kabarettist" war viertklassig und die Moderatoren kommen aus einer beschützenden Werkstatt.

      Vielleicht kommt zu dem Theman ja mal was vernünftiges auf Arte oder 3Satoder Phoenix.... gestern jedenfalls hat sich der WDR bis auf die Knochen blamiert. DAs war Schülerzeitungsniveau.
      Avatar
      schrieb am 16.09.02 11:29:19
      Beitrag Nr. 82 ()
      brilliantes Gegenbeispiel:

      Die Phoenix-sendung mit:

      Horst Teltschik
      Egon Bahr
      Fr. Prof. Hohler (?)
      Gerhardt (FDP)
      Lafontaine

      Absolute TRAUMBESETZUNG war extrem interessant und fruchtbar.

      Aber eben in einem Sender, der nur 0,01% der Wähler erreicht... :(


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