FTD : Die Bundesrepublik braucht Zuwanderung - 500 Beiträge pro Seite
eröffnet am 15.09.02 22:03:16 von
neuester Beitrag 16.09.02 10:09:41 von
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Gesellschaftspolitik: Deutschland öffnen
Gesellschaftspolitik wird zu den weichen Themen gezählt, doch hier werden die härtesten politischen Auseinandersetzungen ausgetragen. Das gilt vor allem für die Frage, wie Deutschland mit der Zuwanderung und Integration von Ausländern umgehen soll.
Die Bundesrepublik braucht Zuwanderung, wenn sie kurzfristig mit der Internationalisierung Schritt halten und in Branchen mit Arbeitskräfteknappheit wettbewerbsfähig bleiben will. Mittel- und längerfristig ist die dauerhafte Einwanderung von Ausländern in beträchtlichen Größenordnungen nötig, um wenigstens einen Teil der demographischen Probleme lösen zu können.
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat mit den bis dahin geltenden Bestimmungen gebrochen, die noch aus vordemokratischer Zeit stammten. Mit der Greencard und dem Zuwanderungsgesetz hat die Bundesregierung das jahrzehntelang gepflegte Vorurteil widerlegt, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Dennoch ist die Bundesrepublik noch nicht auf der Höhe der Zeit.
Die Union ist Sturm gelaufen gegen das neue Staatsangehörigkeits- und Zuwanderungsrecht. Die SPD hat, je näher der Wahlkampf rückte, Angst vor der eigenen Courage bekommen und beim Begriffspaar "Zuwanderung" und "Begrenzung" das letzte Wort sehr viel stärker betont. In welchem Umfang die Möglichkeiten des neuen Rechts tatsächlich genutzt werden, ist weitgehend offen.
Die politische Trennungslinie in dieser Frage verläuft jedoch vor allem zwischen der Union auf der einen, SPD, Grünen und FDP auf der anderen Seite. Die Union fordert in ihrem "Regierungsprogramm 2002/2006", die Zuwanderung stärker zu begrenzen als bisher. Sie könne kein Ausweg aus den demographischen Veränderungen sein. "Wir erteilen einer Ausweitung der Zuwanderung aus Drittstaaten eine klare Absage, denn sie würde die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft überfordern."
Union stellt sich gegen gesellschaftlichen Konsens
Die Union geht nicht so weit, den illusionären Anspruch zu wiederholen, Deutschland sei kein Zuwanderungsland. Allerdings betont sie, dass die Bundesrepublik "kein klassisches Einwanderungsland werden" könne. Das mit den Stimmen der FDP verabschiedete Zuwanderungsgesetz wollen CDU/CSU nach einem Wahlsieg "unverzüglich" ändern. Damit stellt sich die Union gegen einen gesellschaftlichen Konsens, der von den Kirchen bis zu den Arbeitgeberverbänden reicht und in Zukunft eher mehr Zuwanderung für nötig hält - allerdings abgestimmt mit der Situation am Arbeitsmarkt.
Dabei hat es keinen Sinn darüber zu debattieren, ob die Qualifizierung einheimischer Arbeitskräfte wichtiger ist als die Anwerbung ausländischer. Die Haltung von SPD und Union, der Qualifizierung "deutscher" Arbeitnehmer absoluten Vorrang einzuräumen und Arbeitsplätze nur dann mit ausländischen Bewerbern zu besetzen, wenn sich kein einheimischer findet, führt in die Irre. Qualifizierung und Weiterbildung sind notwendig, aber sie konkurrieren nicht mit der Öffnung des Arbeitsmarktes für qualifizierte Ausländer.
Deutschland muss von der schulischen Bildung bis zur ständigen beruflichen Weiterbildung besser werden. Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte steht dazu nicht im Widerspruch, sondern wirkt ergänzend. Nur wer ein Umfeld bietet, das auch auf die fähigsten Leute aus dem Ausland attraktiv wirkt, kann einen Qualifikationsstandard erreichen, der international mithält. Internationalisierung kann für Deutschland nicht allein im Export von Gütern und Kapital bestehen, sie muss auch zu einer größeren Präsenz von ausländischen Fachleuten führen.
Bei allen Einschränkungen zeigt die SPD sich in ihrem Programm offener als die Union: "Im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe geht es nicht um das ‚Ob‘ von Zuwanderung, sondern darum, wie sie im Interesse Deutschlands gesteuert werden kann." Anders als die Sozialdemokraten sehen die Grünen und die FDP Zuwanderung richtigerweise auch als Mittel, um einen Beitrag zur Lösung der demographischen Probleme zu leisten.
Die einzige Partei, die versucht, eine stärkere Integration von Ausländern mit Maßnahmen gegen Rassismus und Antisemitismus zu verbinden, sind die Grünen. Obwohl der Rechtsradikalismus in Teilen des Landes zur Jugendkultur geworden ist und wenige Missstände dem Ansehen Deutschlands so schaden wie dieser, ist es dagegen bei den großen Parteien sehr ruhig geworden um den "Aufstand der Anständigen" aus dem Jahr 2000. Ein eigenes Problem dagegen hat die FDP - mit Jürgen Möllemann und seinem Spiel mit antisemitischen Klischees.
© 2002 Financial Times Deutschland
Gesellschaftspolitik wird zu den weichen Themen gezählt, doch hier werden die härtesten politischen Auseinandersetzungen ausgetragen. Das gilt vor allem für die Frage, wie Deutschland mit der Zuwanderung und Integration von Ausländern umgehen soll.
Die Bundesrepublik braucht Zuwanderung, wenn sie kurzfristig mit der Internationalisierung Schritt halten und in Branchen mit Arbeitskräfteknappheit wettbewerbsfähig bleiben will. Mittel- und längerfristig ist die dauerhafte Einwanderung von Ausländern in beträchtlichen Größenordnungen nötig, um wenigstens einen Teil der demographischen Probleme lösen zu können.
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat mit den bis dahin geltenden Bestimmungen gebrochen, die noch aus vordemokratischer Zeit stammten. Mit der Greencard und dem Zuwanderungsgesetz hat die Bundesregierung das jahrzehntelang gepflegte Vorurteil widerlegt, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Dennoch ist die Bundesrepublik noch nicht auf der Höhe der Zeit.
Die Union ist Sturm gelaufen gegen das neue Staatsangehörigkeits- und Zuwanderungsrecht. Die SPD hat, je näher der Wahlkampf rückte, Angst vor der eigenen Courage bekommen und beim Begriffspaar "Zuwanderung" und "Begrenzung" das letzte Wort sehr viel stärker betont. In welchem Umfang die Möglichkeiten des neuen Rechts tatsächlich genutzt werden, ist weitgehend offen.
Die politische Trennungslinie in dieser Frage verläuft jedoch vor allem zwischen der Union auf der einen, SPD, Grünen und FDP auf der anderen Seite. Die Union fordert in ihrem "Regierungsprogramm 2002/2006", die Zuwanderung stärker zu begrenzen als bisher. Sie könne kein Ausweg aus den demographischen Veränderungen sein. "Wir erteilen einer Ausweitung der Zuwanderung aus Drittstaaten eine klare Absage, denn sie würde die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft überfordern."
Union stellt sich gegen gesellschaftlichen Konsens
Die Union geht nicht so weit, den illusionären Anspruch zu wiederholen, Deutschland sei kein Zuwanderungsland. Allerdings betont sie, dass die Bundesrepublik "kein klassisches Einwanderungsland werden" könne. Das mit den Stimmen der FDP verabschiedete Zuwanderungsgesetz wollen CDU/CSU nach einem Wahlsieg "unverzüglich" ändern. Damit stellt sich die Union gegen einen gesellschaftlichen Konsens, der von den Kirchen bis zu den Arbeitgeberverbänden reicht und in Zukunft eher mehr Zuwanderung für nötig hält - allerdings abgestimmt mit der Situation am Arbeitsmarkt.
Dabei hat es keinen Sinn darüber zu debattieren, ob die Qualifizierung einheimischer Arbeitskräfte wichtiger ist als die Anwerbung ausländischer. Die Haltung von SPD und Union, der Qualifizierung "deutscher" Arbeitnehmer absoluten Vorrang einzuräumen und Arbeitsplätze nur dann mit ausländischen Bewerbern zu besetzen, wenn sich kein einheimischer findet, führt in die Irre. Qualifizierung und Weiterbildung sind notwendig, aber sie konkurrieren nicht mit der Öffnung des Arbeitsmarktes für qualifizierte Ausländer.
Deutschland muss von der schulischen Bildung bis zur ständigen beruflichen Weiterbildung besser werden. Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte steht dazu nicht im Widerspruch, sondern wirkt ergänzend. Nur wer ein Umfeld bietet, das auch auf die fähigsten Leute aus dem Ausland attraktiv wirkt, kann einen Qualifikationsstandard erreichen, der international mithält. Internationalisierung kann für Deutschland nicht allein im Export von Gütern und Kapital bestehen, sie muss auch zu einer größeren Präsenz von ausländischen Fachleuten führen.
Bei allen Einschränkungen zeigt die SPD sich in ihrem Programm offener als die Union: "Im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe geht es nicht um das ‚Ob‘ von Zuwanderung, sondern darum, wie sie im Interesse Deutschlands gesteuert werden kann." Anders als die Sozialdemokraten sehen die Grünen und die FDP Zuwanderung richtigerweise auch als Mittel, um einen Beitrag zur Lösung der demographischen Probleme zu leisten.
Die einzige Partei, die versucht, eine stärkere Integration von Ausländern mit Maßnahmen gegen Rassismus und Antisemitismus zu verbinden, sind die Grünen. Obwohl der Rechtsradikalismus in Teilen des Landes zur Jugendkultur geworden ist und wenige Missstände dem Ansehen Deutschlands so schaden wie dieser, ist es dagegen bei den großen Parteien sehr ruhig geworden um den "Aufstand der Anständigen" aus dem Jahr 2000. Ein eigenes Problem dagegen hat die FDP - mit Jürgen Möllemann und seinem Spiel mit antisemitischen Klischees.
© 2002 Financial Times Deutschland
...tja, so ist es eben tatsächlich...!
So weit, so gut.
Wenn es, wie im Artikel gesagt, um "die Anwerbung ausländischer Fachkräfte" geht.
Wenn es um Zuwanderung von ausländischen Sozialhilfeempfängern geht, sieht die Sache
freilich ganz anders aus.
Die Grünen, die da so lobend erwähnt werden,
machen da aber keinen Unterschied.
Sie sehen Zuwanderung auch nicht unter dem
wirtschaftlichen sondern unter dem moralischen Aspekt.
Das heisst: Die Reichen müssen den Armen helfen.
Das aber ist gefährliche Sozialromantik.
Wenn es, wie im Artikel gesagt, um "die Anwerbung ausländischer Fachkräfte" geht.
Wenn es um Zuwanderung von ausländischen Sozialhilfeempfängern geht, sieht die Sache
freilich ganz anders aus.
Die Grünen, die da so lobend erwähnt werden,
machen da aber keinen Unterschied.
Sie sehen Zuwanderung auch nicht unter dem
wirtschaftlichen sondern unter dem moralischen Aspekt.
Das heisst: Die Reichen müssen den Armen helfen.
Das aber ist gefährliche Sozialromantik.
Machen die dann morgen auf Seite 1 auf mit:
Deutschland braucht Zuwanderung
und deshalb
CDU/CSU wählen???
Deutschland braucht Zuwanderung
und deshalb
CDU/CSU wählen???
@4: Sie machen auf mit: "Wir brauchen Zuwanderung, Rot/Grün steht für Zuwanderung..."
Geschickt, nicht war?
Geschickt, nicht war?
@#3:
ja, die Reichen helfen den Armen... das ist in der Tat romantisch...!
and romance is always dangerous, isn`t it?
ja, die Reichen helfen den Armen... das ist in der Tat romantisch...!
and romance is always dangerous, isn`t it?
@5: welch Tücke und Hinterlist!
Deutschland steckt in der demographischen Falle.
Die Zuwanderung, die nötig wäre, um die Lücke des Geburtenrückgangs zu schließen, ginge in die Hunderttausende jedes Jahr.
Seit rund 30 Jahren, als der Geburtenrückgang einsetzte, hat es die Politik in unbegreiflicher Verblendung versäumt, wenigstens gegenzusteuern, was zum Beispiel Frankreich getan hat: dort werden 1,7 Kinder pro Familie geboren (auch wenn diese Zahl zur "Bestandserhaltung" ebenfalls nicht ganz ausreicht), in Deutschland dagegen nur 1,2. Frankreich zeigt, daß der Staat durchaus einiges tun kann, und es besteht ein himmelweiter ( ! ) Unterschied zwischen diesen beiden Zahlen!
Einiges mehr dazu ist in Thread: Deutschlands Zukunft: mögliche Szenarien, Optionen, Prognosen zu lesen.
Ob es einige zehntausend Fachkräfte als Zuwanderer geben wird, ist marginal im Verhältnis zu diesen Zahlen.
Sollte sich Deutschland entschließen, tatsächlich Einwanderer in großem Umfang ins Land zu holen, dann sage ich voraus, daß dieses Land schon in einer Generation sein Gesicht völlig verändern wird. Anders als in vergangenen Jahrhunderten werden die Menschen nicht mehr aus europäischen Ländern kommen (Hugenotten, Polen), denn auch die EU-Staaten und Osteuropa haben die gleichen Probleme, sondern aus Nordafrika und dem Nahen Osten.
Und diese Menschen lassen sich nicht - schon gar nicht in dieser Größenordnung - integrieren, sondern werden ihre Lebensweise und Kultur hier durchsetzen.
DAS Deutschland, wie wir es zur Zeit noch kennen, wird es nicht mehr geben.
So sieht´s aus, ihr Politiker (besonders die der Grünen)!
Vicco
Die Zuwanderung, die nötig wäre, um die Lücke des Geburtenrückgangs zu schließen, ginge in die Hunderttausende jedes Jahr.
Seit rund 30 Jahren, als der Geburtenrückgang einsetzte, hat es die Politik in unbegreiflicher Verblendung versäumt, wenigstens gegenzusteuern, was zum Beispiel Frankreich getan hat: dort werden 1,7 Kinder pro Familie geboren (auch wenn diese Zahl zur "Bestandserhaltung" ebenfalls nicht ganz ausreicht), in Deutschland dagegen nur 1,2. Frankreich zeigt, daß der Staat durchaus einiges tun kann, und es besteht ein himmelweiter ( ! ) Unterschied zwischen diesen beiden Zahlen!
Einiges mehr dazu ist in Thread: Deutschlands Zukunft: mögliche Szenarien, Optionen, Prognosen zu lesen.
Ob es einige zehntausend Fachkräfte als Zuwanderer geben wird, ist marginal im Verhältnis zu diesen Zahlen.
Sollte sich Deutschland entschließen, tatsächlich Einwanderer in großem Umfang ins Land zu holen, dann sage ich voraus, daß dieses Land schon in einer Generation sein Gesicht völlig verändern wird. Anders als in vergangenen Jahrhunderten werden die Menschen nicht mehr aus europäischen Ländern kommen (Hugenotten, Polen), denn auch die EU-Staaten und Osteuropa haben die gleichen Probleme, sondern aus Nordafrika und dem Nahen Osten.
Und diese Menschen lassen sich nicht - schon gar nicht in dieser Größenordnung - integrieren, sondern werden ihre Lebensweise und Kultur hier durchsetzen.
DAS Deutschland, wie wir es zur Zeit noch kennen, wird es nicht mehr geben.
So sieht´s aus, ihr Politiker (besonders die der Grünen)!
Vicco
@#7:
Eine Verschwörung gegen die Roten...
Eine Verschwörung gegen die Roten...
Ist zwar ein ziemlicher Eumel, aber immer wieder
lesenswert. Insbesondere, was das
KONFLIKTPOTENZIAL der Zuwanderung betrifft.
Institut für Staatspolitik · Alte Frankfurter Str. 54 · 61118 Bad Vilbel
Tel/Fax: 06101/50 11 20 www.staatspolitik.de
2
Inhalt
Einleitung
I. Konfliktpotentiale
A. Massenzuwanderung
B. Ghettoisierung
C. Polarisierung
D. Mobilisierung
II. Die Mythen der Zuwanderung
A. Der Verjüngungsmythos
B. Der Bereicherungsmythos
1. Kulturelle Bereicherung
2. Ökonomisch-fiskalische Bereicherung
III. Multikulturalismus
IV. Denkfehler und verhärtete Ideologie
A. Integrationsfortschritt durch Globalisierung
B. Integrationsfortschritt als unumkehrbarer Gewinn
C. Die USA als Erfolgsmodell und Vorbild
V. Denkfehler in Korrekturmodellen
A. Verständnis durch Kontakt
B. Regulierung durch ökonomische Maßnahmen
1. Einfluß von Kultur auf ökonomische Entwicklungen
2. Inhärenter Wettbewerb im ökonomischen Alltag
VI. Die Zukunft: Eigenschaften der neuen Gesellschaft
VII. Literatur
VIII. Anmerkungen
IX. Graphiken
Alle Rechte vorbehalten. Auszugsweise photomechanische Vervielfältigung ist zu
wissenschaftlichen Zwecken gestattet.
3
Einleitung
Diese Studie befaßt sich mit den übertriebenen Erwartungen und dem
unterschätzten Konfliktpotential in einer zunehmend multikulturellen
Gesellschaft. Sie beruft sich dabei auf internationale Erfahrungen, Quellen und
Experten, vor allem aus dem angelsächsischen Raum. Die Debatte über mögliche
Fehleinschätzungen und übertriebene Erwartungen wird dort realistischer geführt
als in Deutschland. Denn Zuwanderung kann positive Auswirkungen haben, aber
auch Länder destabilisieren.
Die aktuelle Debatte in Deutschland darüber, ob Einwanderung überhaupt zu
einem Kernthema der Politik gemacht werden darf, beweist Defizite im Umgang
mit einem existentiell wichtigen Thema. Begriffe wie " kulturelle Kompatibilität"
oder " Ethnonationalismus" sind noch nicht in die Argumentationen
aufgenommen worden.
Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich Deutschland zum bedeutendsten
Einwanderungsland der Welt entwickelt und hat mehr Einwanderung pro Kopf
der Bevölkerung aufzuweisen als die traditionellen Einwanderungsländer USA,
Kanada oder Australien.1
Schwerpunkt der folgenden Ausführungen ist die Auswirkung der
Einwanderung nach Deutschland. Über die Ursachen ist in den letzten Jahren
doch eine Art Konsens entstanden, sie werden nicht thematisiert. Diese Studie
stellt vielmehr die Frage, ob die Folgen dieser Migration auf Dauer den
Menschen, Einheimischen wie Eingewanderten, eine bessere Zukunft ermöglicht.
4
1. Konfliktpotentiale
Zuwanderung, Assimilation und Integration laufen nicht konfliktfrei ab.
Konflikte, die aus Wanderungsbewegungen entstehen, zeigen regelmäßig
bestimmte Verlaufsformen. Ihre Ansätze sind auch in Deutschland sichtbar:
1.1. Massenzuwanderung
Entscheidend für das Verhalten von Einwanderergruppen im Gastland ist zuerst
die zahlenmäßige Stärke im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung, denn
Einstellungen und Verhalten der Einwanderer wie auch der Einheimischen ändern
sich im direkten Verhältnis zur demographischen Entwicklung.2
Hinzu treten Probleme der kulturellen Inkompatibilität: Zuwanderung führt
anfangs zum relativen, oft auf den Arbeitsplatz beschränkten kulturellen
Austausch, dann jedoch meist zu gegenseitiger Ablehnung, wenn die
grundsätzliche Übereinstimmung in Wertefragen (Rechte und Pflichten,
prinzipielle Gleichstellung der Geschlechter, Trennung von Religion und Staat,
Verhältnis zum Eigentum) nicht gegeben ist.
1.2. Ghettoisierung
Wenn Wertesysteme so unterschiedlich sind, daß der Integrationswille
beiderseits nicht zustande kommen kann oder die Ausnahme bleibt, ist
Ghettoisierung unvermeidlich. Ethnisierung der Großstädte ist eine Konsequenz.
So verzeichnet ein Artikel in der tageszeitung, daß in Deutschlands Städten
inzwischen sogar der linksalternative Mittelstand die Flucht aus den
innenstädtischen Gebieten ergriffen hat.3
Oft sind Einwanderungsgruppen aufgrund wirtschaftlicher Faktoren besonders
in den sozial schwächeren Stadtteilen angesiedelt. Ethnisch geschlossene
Wohngebiete und Siedlungsmuster sind ein Merkmal aller multiethnischen
Staaten und bisher immun gegen Versuche der Auflösung geblieben.
1.3. Polarisierung
Polarisierung entsteht, wenn es im Wettbewerb um Arbeitsplätze, Wohnungen
und Sozialleistungen zu Gefühlen der Bedrängnis, der Benachteiligung oder zu
Interessengegensätzen kommt. Auch hier protokolliert bereits das traditionell
linke Spektrum ein Unbehagen unter Einheimischen darüber, daß Einwanderer
das Straßenbild bestimmen und mit ihren Werten dominieren. Die
unterschiedliche demographische Entwicklung der Deutschen im Vergleich etwa
zur größten Ausländergruppe der Türken beschleunigt Verschiebungen der
psychologischen Machtsverhältnisse und Einflußsphären.
1.4. Mobilisierung
5
Die Ethnisierung oder ethnische Mobilisierung entsteht aus dem Bewußtsein
inkompatibler Ziele der jeweiligen Gruppen im Wettbewerb um Ressourcen.
Insgesamt ist die ethnische Mobilisierung unter den Türken in Deutschland höher
als unter der deutschen Bevölkerung. Außerdem findet sich in der türkischen
Gruppe auch mehr Zustimmung für radikales, religiöses oder nationalistisches
Gedankengut.4. Dies hängt mit der " psychologischen Geographie" der
Einwanderungsgruppen zusammen und kann zu dem Wunsch führen, dem von der
eigenen Gruppe besiedelten Teil des Gastlandes als " neuer Heimat" verstärkt die
Kernwerte der " alten Heimat" zu verpassen.
Im Falle der türkischen Diaspora in Deutschland ist man schon im
problematischen Stadium der Entwicklung. Wurde Europa anfangs nicht als
Gebiet des Islam (Dar al-Islam) betrachtet, so hat sich das jetzt geändert: Muslime
fühlen sich heimisch in Deutschland und wollen dennoch stärker nach ihrem
Recht, der Schariah, leben als bisher. Zu dieser Auswirkung einer veränderten
psychologischen Geographie gehört auch der Ruf nach " islamisch befreiten
Zonen" in den Großstädten Deutschlands.5 Die Mitgliederbestand in
extremistischen Ausländerorganisationen ist nicht nur sehr hoch (etwa 60 000,
davon etwa 31 000 islamische Fundamentalisten), sondern stellt, laut US
Terrorismusexperte Walter Laqueur,6 ein weitaus vielfältigeres Konfliktpotential
dar als die Extremismen der Deutschen.
In diesen Zusammenhang gehört auch der Transfer von Konflikten.7 Die
Entwicklung fördert ethnische Enklaven und berührt Loyalitätsfragen von
nationalem Interesse. Radikale Kurden entscheiden sich im Ernstfall nicht für den
deutschen Rechtsstaat, sondern für den verlagerten Kampf ihrer Nation. Das
entspricht internationaler Erfahrung. Der Glaube, daß dies in Deutschland anders
sein könnte, grenzt an multikulturelle Endsiegmentalität und widerspricht den
internationalen Erfahrungen mit ethnischen Konflikten.
6
2. Die Mythen der Zuwanderung
Zuwanderung verläuft nicht konfliktfrei. Deshalb muß es gewichtige Vorteile
geben, die den Versuch einer massenhaften Integration rechtfertigen. Es gibt viele
Mythen, die von Befürwortern der Zuwanderung vorgebracht werden. Zwei
herausragende sind:
1. Der Verjüngungsmythos
2. Der Bereicherungsmythos
2.1. Der Verjüngungsmythos
Der sogenannte " demographische Faktor" , also das Altern der Deutschen und
der dadurch herbeigeführte Kollaps der Rentenstrukturen wird oft als
Rechtfertigung weiterer Zuwanderung vorgetragen. Die Zuwanderung führt aber
kaum zur " Verjüngung" einer rapide alternden Bevölkerung, wie oft behauptet
wird. Auch fünfzehn Millionen Zuwanderer bis 2040 (statt der geschätzten zehn
Millionen) würden laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes das
Durchschnittsalter in Deutschland lediglich von 68 auf 65 vermindern.
Darüber hinaus muß klar sein, daß die Entscheidung für einen Ausgleich durch
Zuwanderung nicht einen einmaligen, sondern einen jährlichen Zuzug notwendig
macht. Der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid weist darauf
hin, daß demographischer " Ersatz" zwecks Ausgleich der Alterstruktur von
seinem Quantum her weder zu administrieren noch zu integrieren sei.8 Auch der
Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg von der Universität Bielefeld erteilt
Vorstellungen von der Verjüngung durch Zuwanderung eine Absage: " Zu
glauben, Migration sei langfristig ein wirksames Mittel gegen den
Bevölkerungsschwund, ist ein Trugschluß. Einzig und allein höhere
Geburtenraten dienen langfristig als wirksames Mittel gegen die Überalterung der
Bevölkerung. " 9
Um die Sozial- und Rentenkassen stützen zu können, müßten die Zuwanderer
sich im gleichen Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil (und gemessen an der
Beschäftigungsquote der Deutschen) in sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsverhältnisse befinden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Waren im Jahre 1970,
bei einer ausländischen Wohnbevölkerung von 2 976 000, insgesamt 1 839 000
Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so waren es im Jahre 1999
lediglich 2 015 000, bei einer Wohnbevölkerung die inzwischen auf rund 7 344
000 angestiegen ist.10
Die Belebung des Arbeitsmarktes hat 1999 zu keinem Anstieg der
sozialversicherten Beschäftigung unter Ausländer geführt, nachdem seit 1995 die
Zahl der erwerbstätigen Ausländer ständig gesunken ist. Der momentane
Rückgang der allgemeinen Arbeitslosenzahlen ist bei Ausländern weniger
ausgeprägt als bei Deutschen. Dies führt zu einem spürbaren Anstieg der relativen
Differenz zwischen der Arbeitslosenquote insgesamt und der der Ausländer. Diese
erreicht mit 109 % derzeit einen neuen Rekordwert.11
7
2.2. Der Bereicherungsmythos
Der Bereicherungsmythos geht davon aus, daß die einheimische Bevölkerung
von der Gegenwart vieler Zuwanderer profitiert. Der Zugewinn erfolgt demnach
1. im kulturellen,
2. im wirtschaftlich-fiskalischen Bereich.
Beide Dimensionen halten jedoch einer kritischen Analyse nicht stand.
2.2.1. Kulturelle Bereicherung
Die Geschichte der Menschheit als kultureller Daueraustausch dient oft als
Beweis für positive Auswirkungen der fortgesetzten Zuwanderung. Diese These
beruht auf einem einseitigen Geschichtsbild: Die Massenmigration der Europäer
in die USA verlief aus eurozentristischer Sicht erfolgreich, während sich die
Bereicherungserfahrung für die Ureinwohner in Grenzen hielt. Zum anderen
drückt diese These die Erfahrungen einer schmalen Intellektuellenschicht aus: Im
universitären Bereich, in Wissenschaft und Forschung, war interkultureller
Austausch nie ein Problem.
Man darf in diesem Zusammenhang " Multa" und " Multum" nicht
verwechseln: Die Gegenwart vieler Kulturen bedeutet nicht automatisch die
Gegenwart von viel Kultur. Die nachhaltig positiven Aspekte der relativen
Homogenität werden genauso wenig in die Diskussion einbezogen, wie die
nachhaltig negativen Realitäten multikultureller Gesellschaften, in denen die
emotionale Distanz zwischen den Gruppen sich an deren kultureller Distanz
orientiert.12
Das Zusammenspiel im Kulturaustausch wird nicht ausschließlich dadurch
bestimmt, was eine Kultur einer anderen anbieten kann. Genauso muß gefragt
werden, was anzunehmen eine Kultur bereit und - aufgrund ihrer eigenen Prägung
- in der Lage ist. Die Problematik der Entwicklungspolitik bietet in dieser
Hinsicht sehr viele Beispiele, die über die Grenzen der " Bereicherung"
hinausführen. Der afroamerikanische Ökonom Thomas Sowell benutzt das
Beispiel Britanniens unter römischer Imperialherrschaft und erklärt den
gesellschaftlichen Zusammenbruch nach Abzug der Römer folgendermaßen:
" These Britons learnt from Rome not the lessons she was able to teach but the
lessons their previous teaching enabled them to learn." (Die Briten lernten von
Rom nicht das, was Rom lehren konnte, sondern die Lektionen, die aufgrund des
kulturellen Stands erlernbar waren.)13
Wie ungleich Wertesysteme und Kulturen tatsächlich sein können, zeigt eine
Studie über 50 Länder, in der die wichtigsten Werte einer Gesellschaft nach
Prioritäten geordnet wurden. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß die
typisch westliche Werte in der restlichen Welt weniger wichtig sind, daß dagegen
kollektives Bewußtsein weltweit hoch geschätzt wird.14 " Individualismus" wurde
nur in den 19 westlichen Staaten als wichtiger Faktor betrachtet.
Solche Sachverhalte müssen in der Diskussion um eine mögliche kulturelle
Bereicherung verstärkt berücksichtigt werden. Realitätsfremd ist es, Faktoren zu
unterschätzen, die kollektive Verhaltensmuster und Einstellungen prägen.
Beispiele sind ethnische Identität, religiöse und familiäre Bindung,
geschlechtstypische Rollenwahrnehmung, Lebensstil, Loyalitätserwartungen,
Staats- bzw. Demokratieverständnis.
8
Werte- oder Kulturinkompatibilität führt zu gesellschaftlichen
Funktionsstörungen die sich anhand bestimmter Symptome bemerkbar machen.
Dies sind vor allem Ethnisierungstendenzen entsprechend den Siedlungsmustern,
kollektive Leistungsdiskrepanzen, ethnische Mobilisierung oder
Ausländerkriminalität. Für diese Phänomene muß eine Vielzahl von
Erklärungsfaktoren herangezogen werden. Kulturelle Unterschiede werden dabei -
wie gesagt - oftmals vernachlässigt.
Jedenfalls läßt sich an der Tatsache nichts ändern, daß es kaum ein Delikt der
Schwer- und Schwerstkriminalität gibt, an dem Ausländer nicht mindestens
dreimal häufiger beteiligt sind, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht (vgl.
Graphik 1). Insgesamt lag 1998 der Anteil Tatverdächtiger Ausländer bei 27,1%,
bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 9%. Auch hier läßt sich für den
Integrationserfolg eine rückläufige Tendenz belegen. 1977 waren 6,4% Ausländer
für 12,1% der Straftaten tatverdächtig. Wichtig ist dabei, die jahrzehnte lang
ansässigen, meist integrierten und strafrechtlich unauffälligen Ausländer zu
unterscheiden von der Gruppe der Asylbewerber, der Flüchtlinge und der illegal
Eingereisten.
Weil oft pauschal von " Ausländerkriminalität" gesprochen wird, entgehen dem
Beobachter aufschlußreiche ethnokulturelle Details. Der PKS-Bericht 15 stellt
einen signifikanten Unterschied im kriminellen Verhalten der EU- und Nicht-EU-
Ausländer fest (vgl. Graphiken 2 und 3): " EU-Inländer sind vergleichsweise
unauffällig, d.h. die Staatsangehörigkeiten aus den 14 weiteren Mitgliedsstaaten
der Europäischen Union, die sich in ihrer sozialen Zusammensetzung und
kulturell von den Deutschen relativ wenig unterscheiden" . 1998 machte ihr Anteil
an der ausländischen Kriminalstatistik 11,4 % aus, verglichen mit den 25 % aus
dem Jahr 1984.16
Besonders auffällig ist die Entwicklung im Bereich der Jugendgewalt. Bereits
für die Jugendkriminalität liegt der Anteil ausländischer Tatverdächtiger bei
31,6%. Die Pfeifferstudie vom Kriminologischen Institut Niedersachsen
bestätigte, daß kulturelle Wertesysteme von zugewanderten " Machokulturen"
sich enorm auf die Jugendgewaltstatistik in Deutschland auswirken. Die ethnische
Gruppe, die unter den Jugendlichen und Heranwachsenden am seltensten, auch in
der Gesamtopferrate, Verbrechensopfer wird, ist u.a. die Türkische, während sie
gleichzeitig in der Tätergruppe einen dominanten Anteil an den betreffenden
Straftaten hat17, mit 15,1 % die mehr als dreifache Rate aktiver Intensiv- bzw.
Wiederholungstäter, verglichen mit nur 5 % unter Deutschen. Eingebürgerte
Deutsche liegen in diesem Vergleich mit 12,5 % an zweiter Stelle, gefolgt von
Ausländern aus dem ehemaligen Jugoslawien (12,2 %). Südeuropäische
Ausländer haben einen Anteil von 11,9 %, andere Ausländer 9,2 %. Aussiedler
aus der ehemaligen UdSSR bilden das Schlußlicht mit 4,5 %. Streng nach
ethnischer Zugehörigkeit geordnet stehen die türkischen Jugendlichen in der
Täterquote den deutschen Heranwachsenden im Verhältnis 3,9 zu 1 gegenüber,
auch wenn in absoluten Zahlen ausgedrückt die Deutschen aufgrund ihrer
zahlenmäßigen Überlegenheit 1997 in der Dunkelziffer bei Selbstangaben für 57
% der gesamten Gewaltdelikte verantwortlich waren. In der Hellziffer dominieren
jedoch Ausländer mit einem Anteil über 65 % die Gewaltstatistik.18
Dieses Phänomen ist nicht nur mit der stärkeren Pazifizierung der Deutschen zu
erklären. Es wird vielmehr durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt. Nicht
zuletzt wirkt sich dabei die Tatsache aus, daß auf dem Schulhof und in den
Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil das Gewaltmonopol unter Jugendlichen de
facto bei den Zugewanderten liegt. Deutsche meiden Stadtbezirken mit hohem
Ausländeranteil. Tatsächlich fallen die Deutschen viel mehr dadurch auf, daß sie
9
in der Opferrate weitaus überrepräsentiert sind. Deutsche Jugendliche befinden
sich in der Position des bevorzugten Opfers der " Machokultur" , weil bei ihnen
mit relativ wenig Widerstand zu rechnen ist. So gaben kurdische Jugendliche in
Celle offen zu, daß sie Deutsche nicht nur als Opfer bevorzugen sondern auch
verachten, weil diese sich in der Regel nicht wehren.19 Eine weitere Studie über
das Problemverhalten von Kindern kam zu der Schlußfolgerung, daß deutsche
Jugendliche im Vergleich zu den Kindern aus anderen Ländern weniger aggressiv
sind.20 Daraus läßt sich schließen, daß das erhöhte Aggressionspotential
ausländischer Jugendlicher kaum auf ein besonders gewaltbereites deutsches
Umfeld oder ein xenophobes Gesellschaftsklima zurückzuführen ist.
Vielmehr hat dieses Verhaltensmuster seinen Ursprung darin, daß Menschen
nicht automatisch zur Integration neigen, geschweige denn ihre Wertesysteme an
die Gastkultur anpassen. Es entstehen kulturelle Konfliktpunkte, wenn Ausländer
in Deutschland das Verhalten ihrer Ursprungsländer beibehalten und nicht über
die zur Integration notwendigen kompatiblen Wertesysteme verfügen. Dies zeigt
sich vor allem in den Konfliktverhaltensformen vieler Ausländer aus
" Machokulturen" , die gerade in Gewaltdelikten zur " Verteidigung der Ehre"
besonders stark vertreten sind. Die erzieherische Antworten des Staates, z.B.
durch " Anti-Machokurse" und ähnliches, zeigen minimale Resultate, weil ein
selbstbezogener pazifistischer Ansatz nicht die kulturspezifischen Mindestnenner
wie " Männlichkeit" oder " Respekt" einbezieht und daher am moralischen
Koordinatensystem der Zielgruppe vorbeigeht. So vertreten 41% der türkischen
Jugendlichen in Deutschland im Alter 15 bis 21 die Ansicht, daß Gewalt als Mittel
zur Durchsetzung religiöser Ziele für sie akzeptabel wäre.21 Eine Garantie für eine
nachhaltige Änderung des Konfliktverhaltens gibt es auch deshalb nicht, weil die
Verschiebung der Wertekonflikte vom sogenannten " äußeren Wertekonflikt"
(Lösung von Konflikten nach den Sitten und Gebräuchen des Ursprungslandes)
durch Widerstand im unmittelbaren Umfeld zum " inneren Wertekonflikt" werden
kann.22 Mangelnde Wertkompatibilität ist so das stärkste Argument gegen den
immer wieder vorgebrachten Bereicherungsmythos auf kultureller Ebene.
10
2.2.2. Ökonomisch-fiskalische Bereicherung
Diese These wird im wesentlichen mit zwei Argumenten begründet.
a) Die Zuwanderer tragen zum Wohlstand bei.
Die Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für
Wirtschaftsforschung (RWI) weisen einen zuwanderungsbedingten Überschuß für
den Staat von etwa 30 Mrd. DM jährlich aus. Grundlage ist die Differenz
zwischen der von Ausländern erwirtschafteten Steuern und Abgaben und den in
Anspruch genommenen staatlichen Leistungen.23
Diese Berechnung enthält nicht die versteckten Kosten der Zuwanderung.
Thomas Sowell weißt diesbezüglich darauf hin, daß die Bemühungen,
inkompatible Kulturen zu assimilieren, diese Gruppen im versteckten Bereich sehr
teuer machen. Die indirekten Kosten, die auf den Staat und die Gesellschaft
zukommen, verteilen sich beispielsweise auf Schulen, Justiz und Verwaltung.24
1967 wurden 1,3 % des Sozialhilfebudgets für Ausländer aufgewendet, 1998
bereits 23,3 % (bei 7% Wohnbevölkerung).25
b) Ersatzzuwanderung zur Sicherung des Sozialsystems
Dieses Zahlenspiel sieht " Rentenzahler" , " Steuerzahler" und " Arbeitnehmer" ,
wo es um Menschen, Kulturen und Völker geht. Ziel ist der Erhalt der
Bevölkerungszahl in Deutschland. Solche Rechnungen legen quantitative
Maßstäbe an und gehen von einem mehr oder weniger einheitliche Humankapital
aus.26 Die UNO berechnet den Bedarf an Ersatzmigration nach Deutschland auf
jährlich rund 500 000 Menschen pro Jahr.27 Im Jahre 2030 würden bereits 30
Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus Nichtdeutschen bestehen.28
Die Instabilität von heterogenen Gesellschaften in Krisenzeiten ist noch nicht
ausreichend thematisiert worden. Insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Flaute
kümmern sich unterschiedliche ethnische Gruppen um die Sicherung ihrer
eigenen Interessen. Der Wettbewerb um begrenzte Ressourcen (Arbeitsplätze/
Sozialleistungen) wird nicht nur individuell, sondern auch kollektiv geführt. In
Gesellschaften mit größeren Bevölkerungsgruppen, die aus sogenannten
Schuldzuweisungskulturen (" blame cultures" ) stammen, entsteht in Krisenzeiten
viel schneller die Frage " Wer hat uns dies angetan?" anstelle von " Was haben
wir falsch gemacht?" . Der Verlust an Konsensfähigkeit bedroht somit auch die
Grundvoraussetzung für eine zukünftig erfolgreiche Wirtschaft, nämlich die
dauerhafte politische Stabilität.
Die hohe Arbeitslosigkeit der Ausländer insgesamt und insbesondere ganz
bestimmter ethnischer Gruppen kann in vielen Bereichen gerade auf
kulturspezifische Auffassungen zurückgeführt werden: Leistungs- zu
Belohnungsverhältnis, Bildungs- und Berufsziele, Integrationshürden
unterschiedlichster Art.
- Sprachdefizite, als wesentlicher Bestimmungsfaktor in Bildungs- und
Berufswesen, sind unter der dritten Generation der Türken stärker vertreten als
11
unter den vorherigen, obwohl das Integrationsangebot für die Jüngeren weitaus
umfangreicher ist.
- Zuwanderer der zweiten und dritten Generationen zeigen wenig berufliche
Mobilität. Viele Angehörigen dieser Generationen möchten nach wie vor
ähnliche Berufe wie ihre Eltern auszuüben.29 Diese Berufe sind jedoch die der
" Rust economy" , gehören also aufgrund des Strukturwandels eher der
Vergangenheit an und bieten daher in Zukunft immer weniger
Berufsmöglichkeiten.
- In der Berufswahl ist deutlich weniger individuelle Entscheidung bei manchen
Kulturgruppen zu beobachten. Im Gegensatz zu den Deutschen spielen hier
noch immer die Erwartungen der Familie und der eigenen Kultur eine
wesentliche Rolle.
- Dazu kommt das niedrigen Niveau der Schulabschlüsse vieler Jugendliche
ausländischer Herkunft, der Abstand zu den deutschen Jugendlichen hat sich
nicht verringert.30
Auch hier ist der Begriff " Ausländer" in der Untersuchung eine unzulässige
oder zumindest unzureichende Verallgemeinerung. Schon das Bildungsverhalten
zeigt starke nationale Unterschiede, und allein dadurch ist die Tendenz vieler
Kommentatoren, ungünstige Entwicklungen grundsätzlich einer strukturellen
Benachteiligung zuzuschreiben, nicht richtig.31 Ethnische Unterschiede bestehen
beispielsweise auch in der Arbeitslosenquote, wo Türken (23,6 %)32, Marokkaner
(18 %), Griechen (17,8 %) und Italiener (17,7 %) die dominanten Gruppen
ausmachen. Ein Vergleich der EU- und Nicht-EU-Ausländer ergibt sich eine
Arbeitslosenquote von 15, 2 % zu 22,8 %.33
Erfahrungen aus den USA verweisen auf mögliche unerwünschte
Entwicklungen, etwa auf die Bildung einer Unterschicht, die ethischen Kriterien
folgt, so in den von lateinamerikanischer und mexikanischer Zuwanderung
betroffene Staaten wie Kalifornien.34 Auch hier findet sich oft noch die Erklärung
einer " strukturellen Benachteiligung" . Francis Fukuyama faßt jedoch drei
Jahrzehnte der Forschung in diesem Bereich mit anderem Schwerpunkt
zusammen: " Die Wurzeln von wirtschaftlichen Verhalten liegt im Bereich des
Bewußtseins und Kultur" , wobei Fukuyama zur Stützung diese These noch
hinzufügt: " Man muss nicht weiter schauen als bis zu den Leistungen der
vietnamesischen Einwanderer im US-Schulsystem im Vergleich zu ihren
schwarzen oder hispanischen Klassenkameraden, um zu erkennen, daß Kultur und
Bewußtsein absolut entscheidend sind in der Erklärung nicht nur wirtschaftlichem
Verhaltens." 35
Daß die Zuwanderung ungebildeter Arbeitskräfte für eine
Hochtechnologiegesellschaft nicht unbedingt von Vorteil ist, wird mittlerweile in
Politik und Wirtschaft breit diskutiert und auch von überzeugten
Marktwirtschaftlern bestätigt. Die " Green-Card" für ausländische
Computerspezialisten ist nichts anderes als eine Forderung nach selektiver
Zuwanderung. In der Praxis bedeutet das aber auch, daß herangebildete
Fachkräfte aus den Entwicklungsländern herausgezogen werden, obwohl sie
gerade dort dringend gebraucht werden. Diese Entwicklung wird daher nicht ganz
zu Unrecht von manchen als " die neue Ausplünderung der Dritten Welt"
beschrieben.36
Hinzu kommt, daß sich deutsche Firmen ihrer sozialen Verantwortung einer
Berufsausbildung entziehen und sich dem billigeren externen Arbeitsmarkt
zuwenden.37
12
Von Bereicherung durch Migration kann in der gegenwärtigen Situation nur
gesprochen werden, wenn damit ganz besonders erfolgreiche ethnische Gruppen
gemeint sind. Beispiele sind die Sikhs in Kanada oder die Inder, Chinesen und
Koreaner in den USA. Es ist wichtig, auch in dieser Frage differenziert mit dem
Begriff Zuwanderung umzugehen.
Außerdem müssen längerfristige Maßstäbe zu Beurteilung angelegt werden. So
kann man bei den Türken in Deutschland das aktivste Existenzgründerverhalten
unter allen Einwanderungsgruppen beobachten.38 Während dies oft positive
Betonung findet, wird selten darauf hingewiesen, daß die wirtschaftliche
Partizipation am Wohlstandsverhalten nicht zwangsläufig der Integration
gleichzustellen ist. Im Gegenteil, es gibt Anzeichen dafür, daß wirtschaftliche
Aktivität nur beschränkt integrative Eigenschaften fördert. Denn ein signifikanter
Teil des türkischen Unternehmertums ist in Gewerbebereichen vorzufinden, deren
primären Markt die eigene Ethnie darstellt. Außerdem werden auch Arbeitsplätze
ethnisch besetzt. Man kann es unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten
begrüßen, daß sich die Zahl ausländischer Selbstständiger in den letzten 30 Jahren
versiebenfacht hat. Vom Standpunkt der Integration aus muß man feststellen,daß
die Tätigkeitsbereiche erstens schwerpunktmäßig angesiedelt sind (mit Tendenzen
zur Ghettoisierung), und daß zweitens die Neugründung von Unternehmen auch
eine Steigerung der Nachfrage nach Personal aus der eigenen Ethnie nach sich
zieht.39
Künftig wird sich zeigen, ob der wirtschaftliche Beitrag der türkischen
Diasporagemeinde in Deutschland wirklich als positiver Faktor gewertet werden
kann. Die wachsende Anzahl türkischer Unternehmen, die - wie die Yimpas-Kette
- nach islamischen Prinzipien wirtschaftet und deren Zielgruppe gläubige
Muslime sind40, kann zwar kurzfristig und wirtschaftlich positiv bewertet werden.
Sie enthält allerdings - wie bereits gezeigt - Konfliktpotential und können mittel-
bis langfristig die wirtschaftlichen Spielregeln beeinflussen oder als " Verstärker"
für zukünftige ethnonationalistischen Forderungen dienen.
In allen bereits genannten Bereichen finden sich kaum Anzeichen einer
nachhaltigen Bereicherung für das Einwanderungsland.Es bleibt die Frage, ob
vielleicht nicht doch, und dies vor allem im Kontext der heutigen Globalisierung,
Vorteile in der wachsenden Vielfalt liegen. Ist nicht gerade die kulturelle Vielfalt
der USA mit ein Grund für deren globalen Vorrangstatus?
Die Kosten des sogenannten " Diversity Managements" betragen jährlich für
US- Staat und Privatsektor zusammengerechnet 130 Milliarden US-Dollar. Darin
sind Integrationsprogramme und soziale Experimente jeglicher Art enthalten,
deren ausgesprochenes Ziel es ist, das Konfliktpotential am Arbeitsplatz und in
der Schule zwischen den jeweiligen Gruppen zu reduzieren. Diese Summe wäre
dann eine wirkliche Zukunftsinvestition, wenn entsprechende Fortschritte
beobachtet werden könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Langzeitstudien
belegen, daß sich die Beziehungen zwischen den Rassen und Ethnien in den USA
zwischen 1970 und 2000 verschlechtert haben,41 oftmals gerade wegen der
aufgezwungenen Integrationsmaßnahmen. Daraus läßt sich schlußfolgern: Wo
solche Maßnahmen benötigt werden, ist die Integration bereits gescheitert.
Die Hoffnung auf Zuwanderung als " Impuls" beruht auf Wunschdenken und
kurzfristigen Vorteilen. Solche Vorteile schöpft die US-Wirtschaft vor allem seit
dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ab, indem sie die Migranten aussiebt,
und so der Anteil der hochqualifizierten Zuwanderer zwischen 1995 und 1998
immerhin 24% betrug.42
13
Das endgültige Resultat der Zuwanderung wird jedoch weniger an den
konjunkturellen Boom-Zeiten gemessen als an den wirtschaftlichen Flauten und
Krisen. So erklärt der Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeldt: " Es gibt die schöne
Idee, daß Immigranten ihre Kultur behalten und sich als deutsche Türken oder
deutsche Nigerianer fühlen sollen, weil das unsere Kultur bereichert. Das ist sehr
naiv. In Krisenzeiten hat man dann Solidargemeinschaften, die ihre
Eigeninteressen vertreten und um begrenzte Ressourcen wie Sozialleistungen,
Wohnungen oder Arbeitsplätze konkurrieren. Das stört natürlich den inneren
Frieden." 43
Bestätigt wird diese Auffassung durch die Asienkrise 1998: Im homogenen
Südkorea reagierte die Bevölkerung auf die Krise, indem sie durch freiwilliges
Spenden des Familienschmucks die Landeswährung stützte. Im heterogenen
Indonesien brachen soziale Unruhen aus: Dort war die wirtschaftlich erfolgreiche
chinesische Minderheit zunächst wieder einmal der Gewalt der Restbevölkerung
ausgesetzt. Alte ethnische Bruchlinien erwiesen sich als sehr langlebig, dies trotz
des als vorbildlich bezeichneten Wirtschaftsaufschwungs des Vielvölkerstaates. In
den wirtschaftlich schlechten Zeiten neigen multikulturelle Staaten zur Instabilität
und Desintegration. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß Deutschland
diesbezüglich eine Ausnahme bilden könnte.
14
3. Multikulturalismus
In Deutschland löst bereits der Begriff einer " Leitkultur" Streit mit Vorwürfen
bis hin zum Faschismusbedacht aus. Die Punkte 1. und 2. dieser Studie haben aber
gezeigt, daß eine realistische Einschätzung der Situation aus staatspoliticher Sicht
dringend notwendig ist. Im Weg steht einer sachlichen Diskussion bisher noch
immer der ideologische Umgang mit dem Begriff " Multikulturalismus" .
Der Begriff wird insgesamt in drei Varianten verwendet:
a* beschreibend stellt er das Vorhandenseins verschiedener ethnischer Gruppen
innerhalb desselben Staates fest.
b* programmatisch deutet er auf bestimmte Initiativen hin, deren Ziel es ist,
bestehende ethnische Spannungen in einem Staat zu entschärfen.
c* ideologisch umfaßt er alle sozialen Theorien und moralischen Suggestionen,
bei denen Gruppen- und Individualrechte auf einer Stufe stehen und auf einen
die verschiedenen Ethnien übergreifenden werte- und verfassungspatriotischen
Konsens abzielen.44
In der Praxishat das eine völlig unterschiedliche Handhabung des
Multikulturalismus zur Folge. In den USA treten Multikulturalisten inzwischen
nicht nur gegen kulturelle Assimilation auf, sondern auch gegen die Integration.45
In Europa sehen viele Multikulturalisten die Integration zugewanderter Ethnien
mittlerweile als problematisch an, teilweise, weil sie offensichtlich gescheitert
ist46. Während das Entstehen einer neuen Mischidentität zumindest noch als
wünschenswert erachtet wird, lehnen die davon betroffenen Migranten diese zum
Schutz der eigenen Kollektividentität oft energisch ab.47
Zu den ironischen Seiten der Ideologie des Multikulturalismus gehört es, daß
ihre Toleranzvorstellungen zum integralen und singulären Bestandteil einer
bestimmten Kultur gehören, nämlich der modernen, westlich-abendländischen.
Das multikulturelle Denken ist deshalb selbst zutiefst eurozentristisch und setzt
einen Grad an Toleranz voraus, der ein spezifisches Produkt der europäischen
Entwicklung von fünf Jahrhunderten ist.
Auf die von ihnen nicht erwarteten Konfliktsituationen und -potentiale reagieren
die Anhänger des Multikulturalismus auf zwei unterschiedliche Arten: Der
ideologisch verhärtete Teil streitet solche negativen Auswirkungen kategorisch
ab. Eine andere Gruppe behält ebenfalls die ideologische Ausrichtung bei, macht
jedoch angesichts der offensichtlichen Probleme inzwischen Lösungsvorschläge.
15
4. Denkfehler und verhärtete Ideologie
Der Bereich des ideologisch Glaubens an den bereits eingetretenen Erfolg des
eigenen Modells ist wissenschaftlich wenig interessant, da die Argumente und
Gegenargumente längst ausgetauscht sind. Umso verblüffender ist die
Hartnäckigkeit, mit der gewünschte Entwicklungen in die Wirklichkeit
hineingelesen und als Erfolg gewertet werden. Die vorliegende Studie
konzentriert sich daher auf die weiter fortgeschrittene Diskussion zu Fragen der
Korrigierbarkeit von offensichtlichen Fehlentwicklungen. Auf die ideologisch
verhärteten Argumente sei nur kurz eingegangen.
4.1. Integrationsfortschritt durch Globalisierung
4.2. Integrationsfortschritt als unumkehrbarer Gewinn.
4.3. Die USA als Erfolgsmodell und Vorbild
4.1. Integrationsfortschritt durch Globalisierung
Die These, daß der technologische Fortschritt, vor allem dessen Einwirkung auf
die Kommunikationswege, die Welt zusammenbringt und das Verständnis für den
anderen fördert, enthält eine selten erwähnte Schattenseite. In der Tat ermöglichen
es gerade diese technologischen Fortschritte ethnischen Minderheiten, den
Kontakt zur eigenen Volks- und Kulturgruppe nachhaltiger zu pflegen als dies
früher möglich war. Dies wirkt sich aber als integrationsfeindlicher Faktor aus, da
Nachrichten und politische Entwicklungen des Ursprungslandes besser und
häufiger wahrgenommen werden können als bisher. Untersuchungen des
Zentrums für Türkeistudien zufolge schauen türkische Jugendliche in Deutschland
via Kabel und Satellitenfernsehen fast ausschließlich türkische Programme.48 Die
deutschen Sprachkenntnisse der dritten und vierten Generation Türken in
Deutschland sind - wie erwähnt - schlechter als die der zweiten Generation.
4.2. Integrationsfortschritt als unumkehrbarer Gewinn
Kulturell homogene Gesellschaften können sich auf die stabilisierenden
Eigenschaften des solidargemeinschaftlichen Gefühls der " nationalen Familie"
berufen, in denen die Unterschiede relativ klein bleiben. Global betrachtet sind sie
auch erfolgreicher. Die Gegenwart inkompatibler Minderheiten reduziert die
Entscheidungskompetenz einer Regierung, und zwar im Rahmen von
Legitimationskrisen, die durch den ethnischen Selbstbestimmungsdrang entstehen.
Die Entfaltung der jeweiligen kulturellen Gruppe kann nur noch mit Rücksicht auf
die anderen geschehen. Dies erhöht das Konfliktpotential allein dadurch, daß
normale Sachfragen durch die einzelnen Volksgruppen interessenpolitisch
beurteilt und aufgewertet werden. Der Staat wird gezwungen, immer wieder den
Forderungen und Gegenforderungen unterschiedlicher Gruppen mit
konfliktregulierenden Ordnungsmaßnahmen entgegenzutreten. Frustration bei
staatlichen Stellen und Radikalisierung innerhalb der Ethnien können die Folge
sein.
Resistent gegen solche Erfahrungen sind ideologisch voreingenommene
Wissenschaftler und gesellschaftliche Meinungsmacher, die das gewünschte Ideal
16
unbedingt für realisierbar halten. Dieses Eintreten für eine multikulturelle Zukunft
wird begleitet von einer Weigerung, Gegenargumente zu hören und an der
Wirklichkeit zu überprüfen. Wer Thesen zu den Themen Kulturkampf oder
Inkompatibilität aufstellt oder über die fortgeschrittene Ethnisierung der
deutschen Großstädte schreibt, hört den Vorwurf, daß dadurch erst polarisiert
werde, ethnische und kulturelle Fronten also erst geschaffen würden.
Selbst die Formulierung einer Leitkultur, in die hineinintegriert werden könnte,
steht noch aus oder wird von Multikulturalisten wie Rudolf Burger als " falsche
Wärme" disqualifiziert, weil ein Teil dieses Bekenntnisses automatisch
abgrenzend wirkt. Selbstdefinition ist jedoch ein Merkmal jeder Gruppe, natürlich
liegt darin schon die Ausgrenzung. Auch die Familie grenzt andere aus, und Eibl-
Eibesfeldt stellt zurecht die Frage, ob man dann auch hier von " falscher Wärme"
sprechen wolle.49
In der Praxis verweisen Multikulturalisten oft sogenannte " multikulturelle
Wohngebiete" als Beweis für eine mögliche und friedliche Koexistenz.
Tatsächlich sind solche Gebiete nicht nur verhältnismäßig instabil, sondern
befinden sich auch meist im Umbruch, spiegeln eine Transformationsphase
wieder, an deren Ende die zahlenmäßig dominante Gruppe den " Charakter" d.h.
das kulturelle Klima der Gegend bestimmt. Die sehr gut dokumentierte
Stadtflucht durch die Rassendynamik in den USA, auch dort als " White flight"
bekannt, ist inzwischen auch in europäischen Ländern weitverbreitet, in ihrer
Folge bilden sich immer mehr Ghettos trotz ein Vielzahl sozialer Experimente.
Auch bereits erfolgte Assimilation und Integration kann sich zurückbilden. So
verfügen inter-ethnische Freundschaften, Ehen und politisch bewußt multi-
kulturell orientierte Gruppierungen offenbar nicht über genügend Einfluß, um
Radikalisierung, Polarisierung und das allgemein vorhandene Konfliktpotential
nennenswert zu verringern. So betrug beispielsweise der Anteil der Mischehen in
Sarajevo vor dem Ausbruch der Gewalt immerhin 25 %. Multi-ethnische
Verbände wie das " Civic forum" hielten Friedensdemonstrationen ab und
betonten vergebens die gegenseitige Abhängigkeit und den Willen zur Toleranz.50
In Ruanda spaltete sich selbst die Katholische Kirche nach ethnischen
Gesichtspunkten auf. Katholische Priester waren am Massenmord der Tutsi
Minderheit aktiv beteiligt, ohne dabei von der integrativen Macht einer multi-
ethnischen Religion wie dem Christentum abgehalten zu werden.51 Ethnische
Loyalitäten durchdringen alle gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen.
Aufgrund der Erfahrungen mit ethnischen Konflikten wird inzwischen auch von
Befürwortern multikultureller Gesellschaften akzeptiert, daß eine anscheinend
gelungene Integration in Krisenzeiten entlang ethnischer Linien aufbrechen
kann.52
4.3. Die USA als Erfolgsmodell und Vorbild
Die USA dienen weniger den Befürwortern als den Kritikern der
multikulturellen Gesellschaft als Beispiel. Ethnische Siedlungsmuster und
Arbeitsteilung oder ethnisches Wählerverhalten gehören zum Alltag der USA.
Rassengewalt, vor allem gegen Koreaner und Juden, geht - entgegen dem
gängigen Medienbild - sehr stark von der afroamerikanischen
Bevölkerungsgruppe aus. Die Mitgliederschaft der radikalen " Nation of Islam"
übertrifft die gesamte Mitgliedschaft aller anderen radikalen Bewegungen in den
17
USA. Insgesamt gehören etwa 8000 Weiße einer sogenannten " Haßgruppe"
(" hate group" ) an, während es auf afroamerikanischer Seite 150 000 Personen
sind. 1992 stellte eine Umfrage der Anti-Defamation League fest, dass 17 % der
weißen US-Bürger antisemitische Ansichten vertreten, unter Afroamerikanern
hingegen diese Zahl bei 37% liegt. Während unter Weißen diese Quote über Jahre
hinweg konstant sinkt, ist unter Afroamerikaner genau das Gegenteil der Fall, der
Antisemitismus steigt kontinuierlich.53
Diese antisemitische Einstellung ist zumindest teilweise eine der ungewollten
Nebenwirkungen linker Erklärungsmuster: Wer von struktureller Benachteiligung
ganzer Bevölkerungsgruppen spricht, weckt zum einen die Bereitschaft, das
eigene Scheitern immer anhand des Erfolgs anderer zu erklären. Desweiteren wird
so eine Konkurrenzsituationon entlang ethnischer Linien zementiert. Die andere
Bevölkerungsgruppe ist dann nicht durch Fleiß und Selbstdisziplin zum Erfolg
gekommen, sondern grundsätzlich nur auf Kosten anderer. Weil amerikanische
Juden in den Bereichen der Medizin, Justiz und Unternehmerschaft
überrepräsentiert sind, wird ihnen hier unfairer Vorteil unterstellt.
Auch Koreaner wurden nicht erst durch die Unruhen in Los Angeles 1992 das
Ziel schwarzer Gewalttäter. Schon 1988 und 1990 boykottierten Afroamerikaner
koreanische Geschäfte in Brooklyn mit der Parole " Pass them by, let them die.
Koreans out of Bed-Stuy." Der wirtschaftliche Erfolg der Koreaner wurde bei
solchen Anlässen auch als " Rassismus" bezeichnet. Terror gegen Koreaner
betrifft auch andere Großstädte wie Washington D.C., Philadelphia und Chicago.
Tatsächlich standen 1987 schon 350 000 asiatische US Unternehmen mit $ 33
Milliarden Umsatz den 420 000 afroamerikanischen Unternehmen mit $ 19
Milliarden Umsatz gegenüber. Bemerkenswert scheint dabei die Tatsache, dass
Asiaten zu dem Zeitpunkt lediglich 3% der Bevölkerung ausmachten und 60% der
schwarzen Unternehmen fast ausschließlich auf Regierungsverträge rechneten.54
Nach Angaben des US-Justizministeriums sind rund 20% der Gewaltstraftaten
rassisch motivierte Taten. Fast 90% der Opfer von Rassengewalt sind jedoch
weiß, so eine Studie über den Zeitraum 1973 bis 1993. Zwischen 1964 und 1995
fanden in den USA insgesamt 25 Millionen gewaltsame, interethnische Straftaten
mit insgesamt 45 000 Toten statt. 55 Dabei werden laut Justizministerium 85 %
aller Rassengewalt in den USA von Afroamerikanern verübt.56
Nicht nur die Gewaltstatistik zeigt ein zunehmend uneiniges Amerika. Auch die
Leistungsdiskrepanz im Bildungsbereich, vor allem bei den Maßnahmen zum
Ausgleich, verweist auf die Probleme einer multikulturellen Gesellschaft: Sie
verlaufen deutlich entlang ethnischer Gruppen. Das allgemeine Bildungsniveau,
das dem kleinsten gemeinsamen Nenner folgt, entfernt sich immer weiter von
seinem westlichen Ursprung und damit vor allem vom Leistungsdenken.57 Seit
Anfang der sechziger Jahre fallen die erreichten Punkte auf dem Scholastic
Apitude Test (SAT) nicht nur kontinuierlich, der Test selbst ist inzwischen
wiederum in den Verdacht geraten " eurozentrisch" zu sein, obwohl Asiaten in
ihm am besten abschneiden. Weder das Bildungsbudget noch die Klassengrößen
kommen als Ursachen in Frage. Die Schüler Südkoreas standen unter 45 Ländern
an zweiter Stelle in Mathematik, obwohl dort die Schulklassen über 40 Schüler
umfassen.58 Dies führt wiederum zu der Schlußfolgerung, dass kulturell bestimmte
Einstellungen zum Thema Bildung wichtiger sind als die Ressourcen, die zur
Verfügung stehen.
18
Viele amerikanische Innenstädte befinden sich im Verfall, die Wohngebiete sind
am Ende des 2O. Jahrhunderts stark segregiert (also nach ethnischer
Zugehörigkeit aufgeteilt). Hochhäuser haben Sicherheitssysteme, die als
" Belagerungsarchitektur" gelten.59 Der Umsatz der Sicherheitsindustrie liegt bei
ungefähr $ 100 Milliarden, 1,6 Millionen Sicherheitsleute übertreffen die aktive
Truppenstärke des US-Militärs.60 Die USA zeigen sich so insgesamt als ein
Musterbeispiel fortgeschrittener Desintegration.
19
5. Denkfehler in Korrekturmodellen
Obwohl die Erwartungen an die multikulturelle Gesellschaft in großem Umfang
nicht eingetreten sind und die negativen Folgen der massenhaften Zuwanderung
selbst von ihren Befürwortern wahrgenommen werden, wird das Denkmodell
insgesamt nicht in Frage gestellt. Vielmehr suchen die weniger othodoxen
Anhänger des Multikulturalismus nach Korrekturmodellen. Sie prägen die
täglichen Bemühungen um ein friedensbewahrendes " social engineering" . Die
Finanzierung dieses Dauermanagements gehört zur Kategorie der versteckten
Kosten des multikulturellen Experiments. Zwei Modelle werden kurz beleuchtet:
5.1. Mehr persönlicher Kontakt soll zu größerem Verständnis
zwischen den Gruppen führen.
5.2. Ökonomische Maßnahmen sollen ethnische Konflikte
verhindern oder regulieren.
5.1. Verständnis durch Kontakt
Versuche, mittels Erhöhung der Zahl der persönlichen Kontakte zwischen
Mitgliedern der unterschiedlichen Gruppen eine permanente Besserung der
Beziehungen zu bewirken, haben meist zum Gegenteil, nämlich einer weiteren
Verschlechterung, geführt. Der Abbau von Vorurteilen wurde zwar erreicht,
jedoch meist im gegnteiligen Sinn: Vorurteile erwiesen sich als zutreffend und
verstärkten sich, wurden dann als Erfahrung abgebucht und führten so zu einem
Zuwachs an Legitimation.61 Eine Steigerung der Konfliktbereitschaft zwischen
Serben und Kroaten, Flamen und Wallonen, Quebecois und Anglokanadiern
wurde in Untersuchungen nach einer Förderung von Kontakten zum Zweck des
Abbaus von gegenseitigem Mißtrauen beobachtet.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang wiederum, daß nicht die Meinung der
Bürger in den Nobelvierteln oder der Studenten auf den Universitäten
ausschlaggebend ist für das Gelingen einer Integration. Viel mehr sind es die
Arbeiterschichten, die sich in der Rolle der Integratoren befinden62.
5.2. Regulierung durch ökonomische Maßnahmen
Der Konfliktforscher Walker Connor vertritt die Auffassung, daß
marktwirtschaftliche Kräfte einen wichtigen Gegenpol zu ethnonationalistischer
Dynamik bilden können: Zusammenhörigkeitsgefühle werden durch persönlich-
materialistisch orientierte Ziele ersetzt. 63 Ökonomischer Fortschritt überbrückt
demzufolge kulturelle Unterschiede und Staatsgrenzen, bringt unterschiedliche
Menschen und Völker zusammen im gemeinsamen Streben nach Wohlstand und
wirtschaftlichem Fortschritt.64 Diese Annahme überschätzt den Einfluß des
Materiellen auf die Menschheit. Bereits die darin enthaltene Annahme ist falsch,
daß die Ursachen ethnischer Spannungen fast ausschließlich in ökonomischen
Ursachen wurzeln.
Wenigstens zwei wichtige Faktoren dürfen dabei nicht vergessen werden:
5.2.1. Einfluß der Kultur auf ökonomische Entwicklungen,
5.2.2. iInhärenter Wettbewerb im ökonomischen Alltag.
20
5.2.1. Einfluß von Kultur auf ökonomische Entwicklungen
Historisch betrachtet ist es nicht überall üblich, daß Menschen aufgrund von
objektiven Leistungskriterien ihren gesellschaftlichen Status erlangen. Vor allem
entlang der Entwicklungsperipherie ist es vielmehr meist eine Frage des vererbten
Status. Viele solcher Gruppen, die inzwischen im Entwicklungskern angesiedelt
sind, wehren sich sogar zunehmend gegen die in den entwickelten Ländern
überwiegenden objektiven Auswahl- und Belohnungskriterien. Sie empfinden dies
oft als ungerecht oder sehen die höhere soziale Mobilität anderer Gruppen als
Bestätigung ihrer vermeintlichen Benachteiligung und Diskriminierung an.65
Maßnahmen wie Quotenregelungen und andere sogenannte " Affirmative
Action" -Programme, die eine künstliche Gleichheit herstellen sollen, werden
immer stärker eingesetzt in Ländern, in denen ethnische Gruppen politischen
Druck ausüben, um leichten Zugang zu Ressourcen zu erzwingen. Dadurch
werden objektive Leistungs- und Fähigkeitskriterien immer stärker als
" eurozentrisch" abgestempelt. So werden beispielsweise standardisierte
Qualifikationstests angegriffen, weil sie auf kollektive Unterschiede in
Fähigkeiten und Leistungen verweisen.66 Quotenforderungen in den USA werden
fast ausschließlich von und für Afro- und Lateinamerikaner gefordert, während
Amerikaner asiatischer Abstammung mühelos die vermeintlich " eurozentrischen"
Leistungskriterien erfüllen und in den naturwissenschaftlichen Fakultäten sogar
Vorreiterpositionen einzunehmen beginnen.
Insofern wirken sich die Unterschiede zwischen Leistungs- und Statuskultur bis
in die Schulsysteme der Einwanderungsländer aus.
21
5.2.2. Inhärenter Wettbewerb im ökonomischen Alltag
Ethnische Gruppen verfügen über unterschiedliche Auffassungen zu Themen
wie Zeit, Zielvorstellung und Prioritätensetzung. Im wirtschaftlichen Wettbewerb
kann dies zu entscheidenden Nachteilen oder besseren Startbedingungen führen.
Gerade der Umgang mit dem Faktor Zeit und dem damit zusammenhängenden
Dringlichkeitsgefühl beeinflußt nachhaltig die Produktivität und markiert damit
immer wieder Bruchlinien zwischen Gruppen. Einige Kulturen betonen in ihren
jeweiligen Zeitbegriffe soziale Beziehungen (Teile Afrikas), andere betonen
religiöse Interessen (Islam), während andere Kulturen wiederum ihren Begriff von
Zeit auf Fortschritt und damit Ökonomie beziehen.67
Interethnische Kontakte zwischen Gruppen, die in der sehr
wettbewerbsintensiven ökonomischen Marktwirtschaft konkurrieren, können auf
Dauer die Gruppenbeziehungen nur verschlechtern. Deshalb sind es gerade multi-
ethnische Staaten, in denen wirtschaftliche Krisen leicht zu ethnischen Konflikten
führen. Experten wie Eible-Eibesfeldt und Hettne deuten auch immer wieder auf
die vergleichsweise hohe Intensität und Nachhaltigkeit solcher Konflikte hin.68
6. Die Zukunft: Eigenschaften der neuen Gesellschaft
Städte wie München und Frankfurt am Main werden in absehbarer Zeit, bis zum
Jahre 2030 nämlich, eine deutsche Minderheit haben und daher auch die
Symptome einer Konfliktgesellschaft tragen. Starke ethnische Gruppen berufen
sich dabei im Wettbewerb um die Innenstädte auf Werte wie Toleranz und
Demokratie, obwohl manche von ihnen den damit verbundenen und aus ihrer
Sicht " weichen" Eigenschaften traditionell eher ablehnend gegenüber stehen.
Jedoch wird der hohe Stellenwert dieser Prinzipien im Einwanderungsland richtig
eingeschätzt und als taktisches Mittel genutzt. Auch deswegen ist Deutschland ein
besonders beliebtes Zielland der Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge: Sie erwarten
nicht nur eine relativ großzügige materielle Ausstattung, sondern auch
weitreichende Möglichkeiten zur politischen Mobilisierung. Während der
Kosovokrise war Deutschland das bevorzugte Ziel der Vertriebenen, während das
großzügige Aufnahmeangebot der Türkei nicht beachtet wurde. Die meisten Flüge
für Flüchtlinge in die Türkei und nach Rumänien mußten wegen geringen
Interesses gestrichen werden.69
Für Deutschland ist zu erwarten:
- Destabilisierung des eigenen Staates durch zahlenmäßig wachsende ethnische
Minderheiten mit teilweise inkompatiblen Wertesystemen, vor allem in
Bereichen wie politischer Kultur, Gewaltbereitschaft und Rechtsstaatlichkeit.
Daraus entsteht eine Gefahr für die Demokratie durch Minderheiten, die aus
ihren ethnisierten Enklaven heraus Ansprüche auf " Anteile" artikulieren und
22
nicht durch Aufrufe zum " Verfassungspatriotismus" zu beeindrucken sind.
Denn auch " Verfassungspatriotismus" ist nicht wertneutral, beruft sich
vielmehr auf ein spezifisch westliches Staats- und Demokratieverständnis.
Verfassungspatriotismus kann somit die Wertebruchlinien kaum überbrücken.
- Transfer von Konflikten: Moderne multikulturelle Staaten sehen sich immer
stärker genötigt, ihre Ressourcen nicht nur in entfernte ethnische Krisenherde
zu investieren, sondern dieselben Konflikte auch im Innern zu managen, wobei
der Aufwand sich an der demographischen Zusammensetzung messen muß. In
europäischen Ländern sind Konflikte zwischen separatistischen Kurden und
Türken oder Serben und Albanern keine Zukunftsszenarien mehr.
- Schwindende Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik: Multi-ethnische Staaten
im westlichen Raum, vor allem die USA als Großmacht, werden zunehmend
gezwungen sein, ihre Außenpolitik mit der inneren ethnischen Situation
abzugleichen. Die Haltung zu Themen wie Palästina oder Kurdistan kann
direkt von starken Minderheiten im eigenen Land beeinflußt werden.
Außerdem organisieren solche ethnischen Gruppen immer stärker aktive
Unterstützung aus dem Gastland für ihre Heimatländer.70 Ein Beispiel dafür,
wie dies die westlichen Normen und das Staatsverständnis beeinflussen kann,
ist der Fall Öcalan. Trotz eines Haftbefehls verzichtete die Bundesregierung
auf die Auslieferung, die Furcht vor innerstaatlichem Krawall kurdischer
Gruppen führte zu dieser Entscheidung.
- Senkung des Bildungsniveaus: Statistiken im Bereich Jugendgewalt deuten
nicht nur auf eine zunehmende Polarisierung entlang ethnischer Linien hin. Sie
verweisen indirekt auch auf eine Senkung des Bildungsniveaus. Mangelnde
Sprachkenntnisse erschweren den Unterricht. Die Dynamik sogenannter
" Ghettoschulen" bietet für viele Schüler ein Klima der Unruhe und Angst.
Erklärungen für Probleme im Bildungsbereich finden sich daher viel häufiger
im demographischen Wandel als in Fragen des Bildungsetats oder der
Klassengrößen. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland, der traditionell sein
Humankapital als Ausgleich für bescheidene natürliche Ressourcen betrachtet,
ist bestmöglichen Bildung eine zentrale Zukunftsfrage, die nicht ohne
Hinzuziehung aller wichtiger Faktoren beantwortet werden kann.
lesenswert. Insbesondere, was das
KONFLIKTPOTENZIAL der Zuwanderung betrifft.
Institut für Staatspolitik · Alte Frankfurter Str. 54 · 61118 Bad Vilbel
Tel/Fax: 06101/50 11 20 www.staatspolitik.de
2
Inhalt
Einleitung
I. Konfliktpotentiale
A. Massenzuwanderung
B. Ghettoisierung
C. Polarisierung
D. Mobilisierung
II. Die Mythen der Zuwanderung
A. Der Verjüngungsmythos
B. Der Bereicherungsmythos
1. Kulturelle Bereicherung
2. Ökonomisch-fiskalische Bereicherung
III. Multikulturalismus
IV. Denkfehler und verhärtete Ideologie
A. Integrationsfortschritt durch Globalisierung
B. Integrationsfortschritt als unumkehrbarer Gewinn
C. Die USA als Erfolgsmodell und Vorbild
V. Denkfehler in Korrekturmodellen
A. Verständnis durch Kontakt
B. Regulierung durch ökonomische Maßnahmen
1. Einfluß von Kultur auf ökonomische Entwicklungen
2. Inhärenter Wettbewerb im ökonomischen Alltag
VI. Die Zukunft: Eigenschaften der neuen Gesellschaft
VII. Literatur
VIII. Anmerkungen
IX. Graphiken
Alle Rechte vorbehalten. Auszugsweise photomechanische Vervielfältigung ist zu
wissenschaftlichen Zwecken gestattet.
3
Einleitung
Diese Studie befaßt sich mit den übertriebenen Erwartungen und dem
unterschätzten Konfliktpotential in einer zunehmend multikulturellen
Gesellschaft. Sie beruft sich dabei auf internationale Erfahrungen, Quellen und
Experten, vor allem aus dem angelsächsischen Raum. Die Debatte über mögliche
Fehleinschätzungen und übertriebene Erwartungen wird dort realistischer geführt
als in Deutschland. Denn Zuwanderung kann positive Auswirkungen haben, aber
auch Länder destabilisieren.
Die aktuelle Debatte in Deutschland darüber, ob Einwanderung überhaupt zu
einem Kernthema der Politik gemacht werden darf, beweist Defizite im Umgang
mit einem existentiell wichtigen Thema. Begriffe wie " kulturelle Kompatibilität"
oder " Ethnonationalismus" sind noch nicht in die Argumentationen
aufgenommen worden.
Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich Deutschland zum bedeutendsten
Einwanderungsland der Welt entwickelt und hat mehr Einwanderung pro Kopf
der Bevölkerung aufzuweisen als die traditionellen Einwanderungsländer USA,
Kanada oder Australien.1
Schwerpunkt der folgenden Ausführungen ist die Auswirkung der
Einwanderung nach Deutschland. Über die Ursachen ist in den letzten Jahren
doch eine Art Konsens entstanden, sie werden nicht thematisiert. Diese Studie
stellt vielmehr die Frage, ob die Folgen dieser Migration auf Dauer den
Menschen, Einheimischen wie Eingewanderten, eine bessere Zukunft ermöglicht.
4
1. Konfliktpotentiale
Zuwanderung, Assimilation und Integration laufen nicht konfliktfrei ab.
Konflikte, die aus Wanderungsbewegungen entstehen, zeigen regelmäßig
bestimmte Verlaufsformen. Ihre Ansätze sind auch in Deutschland sichtbar:
1.1. Massenzuwanderung
Entscheidend für das Verhalten von Einwanderergruppen im Gastland ist zuerst
die zahlenmäßige Stärke im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung, denn
Einstellungen und Verhalten der Einwanderer wie auch der Einheimischen ändern
sich im direkten Verhältnis zur demographischen Entwicklung.2
Hinzu treten Probleme der kulturellen Inkompatibilität: Zuwanderung führt
anfangs zum relativen, oft auf den Arbeitsplatz beschränkten kulturellen
Austausch, dann jedoch meist zu gegenseitiger Ablehnung, wenn die
grundsätzliche Übereinstimmung in Wertefragen (Rechte und Pflichten,
prinzipielle Gleichstellung der Geschlechter, Trennung von Religion und Staat,
Verhältnis zum Eigentum) nicht gegeben ist.
1.2. Ghettoisierung
Wenn Wertesysteme so unterschiedlich sind, daß der Integrationswille
beiderseits nicht zustande kommen kann oder die Ausnahme bleibt, ist
Ghettoisierung unvermeidlich. Ethnisierung der Großstädte ist eine Konsequenz.
So verzeichnet ein Artikel in der tageszeitung, daß in Deutschlands Städten
inzwischen sogar der linksalternative Mittelstand die Flucht aus den
innenstädtischen Gebieten ergriffen hat.3
Oft sind Einwanderungsgruppen aufgrund wirtschaftlicher Faktoren besonders
in den sozial schwächeren Stadtteilen angesiedelt. Ethnisch geschlossene
Wohngebiete und Siedlungsmuster sind ein Merkmal aller multiethnischen
Staaten und bisher immun gegen Versuche der Auflösung geblieben.
1.3. Polarisierung
Polarisierung entsteht, wenn es im Wettbewerb um Arbeitsplätze, Wohnungen
und Sozialleistungen zu Gefühlen der Bedrängnis, der Benachteiligung oder zu
Interessengegensätzen kommt. Auch hier protokolliert bereits das traditionell
linke Spektrum ein Unbehagen unter Einheimischen darüber, daß Einwanderer
das Straßenbild bestimmen und mit ihren Werten dominieren. Die
unterschiedliche demographische Entwicklung der Deutschen im Vergleich etwa
zur größten Ausländergruppe der Türken beschleunigt Verschiebungen der
psychologischen Machtsverhältnisse und Einflußsphären.
1.4. Mobilisierung
5
Die Ethnisierung oder ethnische Mobilisierung entsteht aus dem Bewußtsein
inkompatibler Ziele der jeweiligen Gruppen im Wettbewerb um Ressourcen.
Insgesamt ist die ethnische Mobilisierung unter den Türken in Deutschland höher
als unter der deutschen Bevölkerung. Außerdem findet sich in der türkischen
Gruppe auch mehr Zustimmung für radikales, religiöses oder nationalistisches
Gedankengut.4. Dies hängt mit der " psychologischen Geographie" der
Einwanderungsgruppen zusammen und kann zu dem Wunsch führen, dem von der
eigenen Gruppe besiedelten Teil des Gastlandes als " neuer Heimat" verstärkt die
Kernwerte der " alten Heimat" zu verpassen.
Im Falle der türkischen Diaspora in Deutschland ist man schon im
problematischen Stadium der Entwicklung. Wurde Europa anfangs nicht als
Gebiet des Islam (Dar al-Islam) betrachtet, so hat sich das jetzt geändert: Muslime
fühlen sich heimisch in Deutschland und wollen dennoch stärker nach ihrem
Recht, der Schariah, leben als bisher. Zu dieser Auswirkung einer veränderten
psychologischen Geographie gehört auch der Ruf nach " islamisch befreiten
Zonen" in den Großstädten Deutschlands.5 Die Mitgliederbestand in
extremistischen Ausländerorganisationen ist nicht nur sehr hoch (etwa 60 000,
davon etwa 31 000 islamische Fundamentalisten), sondern stellt, laut US
Terrorismusexperte Walter Laqueur,6 ein weitaus vielfältigeres Konfliktpotential
dar als die Extremismen der Deutschen.
In diesen Zusammenhang gehört auch der Transfer von Konflikten.7 Die
Entwicklung fördert ethnische Enklaven und berührt Loyalitätsfragen von
nationalem Interesse. Radikale Kurden entscheiden sich im Ernstfall nicht für den
deutschen Rechtsstaat, sondern für den verlagerten Kampf ihrer Nation. Das
entspricht internationaler Erfahrung. Der Glaube, daß dies in Deutschland anders
sein könnte, grenzt an multikulturelle Endsiegmentalität und widerspricht den
internationalen Erfahrungen mit ethnischen Konflikten.
6
2. Die Mythen der Zuwanderung
Zuwanderung verläuft nicht konfliktfrei. Deshalb muß es gewichtige Vorteile
geben, die den Versuch einer massenhaften Integration rechtfertigen. Es gibt viele
Mythen, die von Befürwortern der Zuwanderung vorgebracht werden. Zwei
herausragende sind:
1. Der Verjüngungsmythos
2. Der Bereicherungsmythos
2.1. Der Verjüngungsmythos
Der sogenannte " demographische Faktor" , also das Altern der Deutschen und
der dadurch herbeigeführte Kollaps der Rentenstrukturen wird oft als
Rechtfertigung weiterer Zuwanderung vorgetragen. Die Zuwanderung führt aber
kaum zur " Verjüngung" einer rapide alternden Bevölkerung, wie oft behauptet
wird. Auch fünfzehn Millionen Zuwanderer bis 2040 (statt der geschätzten zehn
Millionen) würden laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes das
Durchschnittsalter in Deutschland lediglich von 68 auf 65 vermindern.
Darüber hinaus muß klar sein, daß die Entscheidung für einen Ausgleich durch
Zuwanderung nicht einen einmaligen, sondern einen jährlichen Zuzug notwendig
macht. Der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid weist darauf
hin, daß demographischer " Ersatz" zwecks Ausgleich der Alterstruktur von
seinem Quantum her weder zu administrieren noch zu integrieren sei.8 Auch der
Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg von der Universität Bielefeld erteilt
Vorstellungen von der Verjüngung durch Zuwanderung eine Absage: " Zu
glauben, Migration sei langfristig ein wirksames Mittel gegen den
Bevölkerungsschwund, ist ein Trugschluß. Einzig und allein höhere
Geburtenraten dienen langfristig als wirksames Mittel gegen die Überalterung der
Bevölkerung. " 9
Um die Sozial- und Rentenkassen stützen zu können, müßten die Zuwanderer
sich im gleichen Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil (und gemessen an der
Beschäftigungsquote der Deutschen) in sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsverhältnisse befinden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Waren im Jahre 1970,
bei einer ausländischen Wohnbevölkerung von 2 976 000, insgesamt 1 839 000
Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so waren es im Jahre 1999
lediglich 2 015 000, bei einer Wohnbevölkerung die inzwischen auf rund 7 344
000 angestiegen ist.10
Die Belebung des Arbeitsmarktes hat 1999 zu keinem Anstieg der
sozialversicherten Beschäftigung unter Ausländer geführt, nachdem seit 1995 die
Zahl der erwerbstätigen Ausländer ständig gesunken ist. Der momentane
Rückgang der allgemeinen Arbeitslosenzahlen ist bei Ausländern weniger
ausgeprägt als bei Deutschen. Dies führt zu einem spürbaren Anstieg der relativen
Differenz zwischen der Arbeitslosenquote insgesamt und der der Ausländer. Diese
erreicht mit 109 % derzeit einen neuen Rekordwert.11
7
2.2. Der Bereicherungsmythos
Der Bereicherungsmythos geht davon aus, daß die einheimische Bevölkerung
von der Gegenwart vieler Zuwanderer profitiert. Der Zugewinn erfolgt demnach
1. im kulturellen,
2. im wirtschaftlich-fiskalischen Bereich.
Beide Dimensionen halten jedoch einer kritischen Analyse nicht stand.
2.2.1. Kulturelle Bereicherung
Die Geschichte der Menschheit als kultureller Daueraustausch dient oft als
Beweis für positive Auswirkungen der fortgesetzten Zuwanderung. Diese These
beruht auf einem einseitigen Geschichtsbild: Die Massenmigration der Europäer
in die USA verlief aus eurozentristischer Sicht erfolgreich, während sich die
Bereicherungserfahrung für die Ureinwohner in Grenzen hielt. Zum anderen
drückt diese These die Erfahrungen einer schmalen Intellektuellenschicht aus: Im
universitären Bereich, in Wissenschaft und Forschung, war interkultureller
Austausch nie ein Problem.
Man darf in diesem Zusammenhang " Multa" und " Multum" nicht
verwechseln: Die Gegenwart vieler Kulturen bedeutet nicht automatisch die
Gegenwart von viel Kultur. Die nachhaltig positiven Aspekte der relativen
Homogenität werden genauso wenig in die Diskussion einbezogen, wie die
nachhaltig negativen Realitäten multikultureller Gesellschaften, in denen die
emotionale Distanz zwischen den Gruppen sich an deren kultureller Distanz
orientiert.12
Das Zusammenspiel im Kulturaustausch wird nicht ausschließlich dadurch
bestimmt, was eine Kultur einer anderen anbieten kann. Genauso muß gefragt
werden, was anzunehmen eine Kultur bereit und - aufgrund ihrer eigenen Prägung
- in der Lage ist. Die Problematik der Entwicklungspolitik bietet in dieser
Hinsicht sehr viele Beispiele, die über die Grenzen der " Bereicherung"
hinausführen. Der afroamerikanische Ökonom Thomas Sowell benutzt das
Beispiel Britanniens unter römischer Imperialherrschaft und erklärt den
gesellschaftlichen Zusammenbruch nach Abzug der Römer folgendermaßen:
" These Britons learnt from Rome not the lessons she was able to teach but the
lessons their previous teaching enabled them to learn." (Die Briten lernten von
Rom nicht das, was Rom lehren konnte, sondern die Lektionen, die aufgrund des
kulturellen Stands erlernbar waren.)13
Wie ungleich Wertesysteme und Kulturen tatsächlich sein können, zeigt eine
Studie über 50 Länder, in der die wichtigsten Werte einer Gesellschaft nach
Prioritäten geordnet wurden. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß die
typisch westliche Werte in der restlichen Welt weniger wichtig sind, daß dagegen
kollektives Bewußtsein weltweit hoch geschätzt wird.14 " Individualismus" wurde
nur in den 19 westlichen Staaten als wichtiger Faktor betrachtet.
Solche Sachverhalte müssen in der Diskussion um eine mögliche kulturelle
Bereicherung verstärkt berücksichtigt werden. Realitätsfremd ist es, Faktoren zu
unterschätzen, die kollektive Verhaltensmuster und Einstellungen prägen.
Beispiele sind ethnische Identität, religiöse und familiäre Bindung,
geschlechtstypische Rollenwahrnehmung, Lebensstil, Loyalitätserwartungen,
Staats- bzw. Demokratieverständnis.
8
Werte- oder Kulturinkompatibilität führt zu gesellschaftlichen
Funktionsstörungen die sich anhand bestimmter Symptome bemerkbar machen.
Dies sind vor allem Ethnisierungstendenzen entsprechend den Siedlungsmustern,
kollektive Leistungsdiskrepanzen, ethnische Mobilisierung oder
Ausländerkriminalität. Für diese Phänomene muß eine Vielzahl von
Erklärungsfaktoren herangezogen werden. Kulturelle Unterschiede werden dabei -
wie gesagt - oftmals vernachlässigt.
Jedenfalls läßt sich an der Tatsache nichts ändern, daß es kaum ein Delikt der
Schwer- und Schwerstkriminalität gibt, an dem Ausländer nicht mindestens
dreimal häufiger beteiligt sind, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht (vgl.
Graphik 1). Insgesamt lag 1998 der Anteil Tatverdächtiger Ausländer bei 27,1%,
bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 9%. Auch hier läßt sich für den
Integrationserfolg eine rückläufige Tendenz belegen. 1977 waren 6,4% Ausländer
für 12,1% der Straftaten tatverdächtig. Wichtig ist dabei, die jahrzehnte lang
ansässigen, meist integrierten und strafrechtlich unauffälligen Ausländer zu
unterscheiden von der Gruppe der Asylbewerber, der Flüchtlinge und der illegal
Eingereisten.
Weil oft pauschal von " Ausländerkriminalität" gesprochen wird, entgehen dem
Beobachter aufschlußreiche ethnokulturelle Details. Der PKS-Bericht 15 stellt
einen signifikanten Unterschied im kriminellen Verhalten der EU- und Nicht-EU-
Ausländer fest (vgl. Graphiken 2 und 3): " EU-Inländer sind vergleichsweise
unauffällig, d.h. die Staatsangehörigkeiten aus den 14 weiteren Mitgliedsstaaten
der Europäischen Union, die sich in ihrer sozialen Zusammensetzung und
kulturell von den Deutschen relativ wenig unterscheiden" . 1998 machte ihr Anteil
an der ausländischen Kriminalstatistik 11,4 % aus, verglichen mit den 25 % aus
dem Jahr 1984.16
Besonders auffällig ist die Entwicklung im Bereich der Jugendgewalt. Bereits
für die Jugendkriminalität liegt der Anteil ausländischer Tatverdächtiger bei
31,6%. Die Pfeifferstudie vom Kriminologischen Institut Niedersachsen
bestätigte, daß kulturelle Wertesysteme von zugewanderten " Machokulturen"
sich enorm auf die Jugendgewaltstatistik in Deutschland auswirken. Die ethnische
Gruppe, die unter den Jugendlichen und Heranwachsenden am seltensten, auch in
der Gesamtopferrate, Verbrechensopfer wird, ist u.a. die Türkische, während sie
gleichzeitig in der Tätergruppe einen dominanten Anteil an den betreffenden
Straftaten hat17, mit 15,1 % die mehr als dreifache Rate aktiver Intensiv- bzw.
Wiederholungstäter, verglichen mit nur 5 % unter Deutschen. Eingebürgerte
Deutsche liegen in diesem Vergleich mit 12,5 % an zweiter Stelle, gefolgt von
Ausländern aus dem ehemaligen Jugoslawien (12,2 %). Südeuropäische
Ausländer haben einen Anteil von 11,9 %, andere Ausländer 9,2 %. Aussiedler
aus der ehemaligen UdSSR bilden das Schlußlicht mit 4,5 %. Streng nach
ethnischer Zugehörigkeit geordnet stehen die türkischen Jugendlichen in der
Täterquote den deutschen Heranwachsenden im Verhältnis 3,9 zu 1 gegenüber,
auch wenn in absoluten Zahlen ausgedrückt die Deutschen aufgrund ihrer
zahlenmäßigen Überlegenheit 1997 in der Dunkelziffer bei Selbstangaben für 57
% der gesamten Gewaltdelikte verantwortlich waren. In der Hellziffer dominieren
jedoch Ausländer mit einem Anteil über 65 % die Gewaltstatistik.18
Dieses Phänomen ist nicht nur mit der stärkeren Pazifizierung der Deutschen zu
erklären. Es wird vielmehr durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt. Nicht
zuletzt wirkt sich dabei die Tatsache aus, daß auf dem Schulhof und in den
Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil das Gewaltmonopol unter Jugendlichen de
facto bei den Zugewanderten liegt. Deutsche meiden Stadtbezirken mit hohem
Ausländeranteil. Tatsächlich fallen die Deutschen viel mehr dadurch auf, daß sie
9
in der Opferrate weitaus überrepräsentiert sind. Deutsche Jugendliche befinden
sich in der Position des bevorzugten Opfers der " Machokultur" , weil bei ihnen
mit relativ wenig Widerstand zu rechnen ist. So gaben kurdische Jugendliche in
Celle offen zu, daß sie Deutsche nicht nur als Opfer bevorzugen sondern auch
verachten, weil diese sich in der Regel nicht wehren.19 Eine weitere Studie über
das Problemverhalten von Kindern kam zu der Schlußfolgerung, daß deutsche
Jugendliche im Vergleich zu den Kindern aus anderen Ländern weniger aggressiv
sind.20 Daraus läßt sich schließen, daß das erhöhte Aggressionspotential
ausländischer Jugendlicher kaum auf ein besonders gewaltbereites deutsches
Umfeld oder ein xenophobes Gesellschaftsklima zurückzuführen ist.
Vielmehr hat dieses Verhaltensmuster seinen Ursprung darin, daß Menschen
nicht automatisch zur Integration neigen, geschweige denn ihre Wertesysteme an
die Gastkultur anpassen. Es entstehen kulturelle Konfliktpunkte, wenn Ausländer
in Deutschland das Verhalten ihrer Ursprungsländer beibehalten und nicht über
die zur Integration notwendigen kompatiblen Wertesysteme verfügen. Dies zeigt
sich vor allem in den Konfliktverhaltensformen vieler Ausländer aus
" Machokulturen" , die gerade in Gewaltdelikten zur " Verteidigung der Ehre"
besonders stark vertreten sind. Die erzieherische Antworten des Staates, z.B.
durch " Anti-Machokurse" und ähnliches, zeigen minimale Resultate, weil ein
selbstbezogener pazifistischer Ansatz nicht die kulturspezifischen Mindestnenner
wie " Männlichkeit" oder " Respekt" einbezieht und daher am moralischen
Koordinatensystem der Zielgruppe vorbeigeht. So vertreten 41% der türkischen
Jugendlichen in Deutschland im Alter 15 bis 21 die Ansicht, daß Gewalt als Mittel
zur Durchsetzung religiöser Ziele für sie akzeptabel wäre.21 Eine Garantie für eine
nachhaltige Änderung des Konfliktverhaltens gibt es auch deshalb nicht, weil die
Verschiebung der Wertekonflikte vom sogenannten " äußeren Wertekonflikt"
(Lösung von Konflikten nach den Sitten und Gebräuchen des Ursprungslandes)
durch Widerstand im unmittelbaren Umfeld zum " inneren Wertekonflikt" werden
kann.22 Mangelnde Wertkompatibilität ist so das stärkste Argument gegen den
immer wieder vorgebrachten Bereicherungsmythos auf kultureller Ebene.
10
2.2.2. Ökonomisch-fiskalische Bereicherung
Diese These wird im wesentlichen mit zwei Argumenten begründet.
a) Die Zuwanderer tragen zum Wohlstand bei.
Die Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für
Wirtschaftsforschung (RWI) weisen einen zuwanderungsbedingten Überschuß für
den Staat von etwa 30 Mrd. DM jährlich aus. Grundlage ist die Differenz
zwischen der von Ausländern erwirtschafteten Steuern und Abgaben und den in
Anspruch genommenen staatlichen Leistungen.23
Diese Berechnung enthält nicht die versteckten Kosten der Zuwanderung.
Thomas Sowell weißt diesbezüglich darauf hin, daß die Bemühungen,
inkompatible Kulturen zu assimilieren, diese Gruppen im versteckten Bereich sehr
teuer machen. Die indirekten Kosten, die auf den Staat und die Gesellschaft
zukommen, verteilen sich beispielsweise auf Schulen, Justiz und Verwaltung.24
1967 wurden 1,3 % des Sozialhilfebudgets für Ausländer aufgewendet, 1998
bereits 23,3 % (bei 7% Wohnbevölkerung).25
b) Ersatzzuwanderung zur Sicherung des Sozialsystems
Dieses Zahlenspiel sieht " Rentenzahler" , " Steuerzahler" und " Arbeitnehmer" ,
wo es um Menschen, Kulturen und Völker geht. Ziel ist der Erhalt der
Bevölkerungszahl in Deutschland. Solche Rechnungen legen quantitative
Maßstäbe an und gehen von einem mehr oder weniger einheitliche Humankapital
aus.26 Die UNO berechnet den Bedarf an Ersatzmigration nach Deutschland auf
jährlich rund 500 000 Menschen pro Jahr.27 Im Jahre 2030 würden bereits 30
Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus Nichtdeutschen bestehen.28
Die Instabilität von heterogenen Gesellschaften in Krisenzeiten ist noch nicht
ausreichend thematisiert worden. Insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Flaute
kümmern sich unterschiedliche ethnische Gruppen um die Sicherung ihrer
eigenen Interessen. Der Wettbewerb um begrenzte Ressourcen (Arbeitsplätze/
Sozialleistungen) wird nicht nur individuell, sondern auch kollektiv geführt. In
Gesellschaften mit größeren Bevölkerungsgruppen, die aus sogenannten
Schuldzuweisungskulturen (" blame cultures" ) stammen, entsteht in Krisenzeiten
viel schneller die Frage " Wer hat uns dies angetan?" anstelle von " Was haben
wir falsch gemacht?" . Der Verlust an Konsensfähigkeit bedroht somit auch die
Grundvoraussetzung für eine zukünftig erfolgreiche Wirtschaft, nämlich die
dauerhafte politische Stabilität.
Die hohe Arbeitslosigkeit der Ausländer insgesamt und insbesondere ganz
bestimmter ethnischer Gruppen kann in vielen Bereichen gerade auf
kulturspezifische Auffassungen zurückgeführt werden: Leistungs- zu
Belohnungsverhältnis, Bildungs- und Berufsziele, Integrationshürden
unterschiedlichster Art.
- Sprachdefizite, als wesentlicher Bestimmungsfaktor in Bildungs- und
Berufswesen, sind unter der dritten Generation der Türken stärker vertreten als
11
unter den vorherigen, obwohl das Integrationsangebot für die Jüngeren weitaus
umfangreicher ist.
- Zuwanderer der zweiten und dritten Generationen zeigen wenig berufliche
Mobilität. Viele Angehörigen dieser Generationen möchten nach wie vor
ähnliche Berufe wie ihre Eltern auszuüben.29 Diese Berufe sind jedoch die der
" Rust economy" , gehören also aufgrund des Strukturwandels eher der
Vergangenheit an und bieten daher in Zukunft immer weniger
Berufsmöglichkeiten.
- In der Berufswahl ist deutlich weniger individuelle Entscheidung bei manchen
Kulturgruppen zu beobachten. Im Gegensatz zu den Deutschen spielen hier
noch immer die Erwartungen der Familie und der eigenen Kultur eine
wesentliche Rolle.
- Dazu kommt das niedrigen Niveau der Schulabschlüsse vieler Jugendliche
ausländischer Herkunft, der Abstand zu den deutschen Jugendlichen hat sich
nicht verringert.30
Auch hier ist der Begriff " Ausländer" in der Untersuchung eine unzulässige
oder zumindest unzureichende Verallgemeinerung. Schon das Bildungsverhalten
zeigt starke nationale Unterschiede, und allein dadurch ist die Tendenz vieler
Kommentatoren, ungünstige Entwicklungen grundsätzlich einer strukturellen
Benachteiligung zuzuschreiben, nicht richtig.31 Ethnische Unterschiede bestehen
beispielsweise auch in der Arbeitslosenquote, wo Türken (23,6 %)32, Marokkaner
(18 %), Griechen (17,8 %) und Italiener (17,7 %) die dominanten Gruppen
ausmachen. Ein Vergleich der EU- und Nicht-EU-Ausländer ergibt sich eine
Arbeitslosenquote von 15, 2 % zu 22,8 %.33
Erfahrungen aus den USA verweisen auf mögliche unerwünschte
Entwicklungen, etwa auf die Bildung einer Unterschicht, die ethischen Kriterien
folgt, so in den von lateinamerikanischer und mexikanischer Zuwanderung
betroffene Staaten wie Kalifornien.34 Auch hier findet sich oft noch die Erklärung
einer " strukturellen Benachteiligung" . Francis Fukuyama faßt jedoch drei
Jahrzehnte der Forschung in diesem Bereich mit anderem Schwerpunkt
zusammen: " Die Wurzeln von wirtschaftlichen Verhalten liegt im Bereich des
Bewußtseins und Kultur" , wobei Fukuyama zur Stützung diese These noch
hinzufügt: " Man muss nicht weiter schauen als bis zu den Leistungen der
vietnamesischen Einwanderer im US-Schulsystem im Vergleich zu ihren
schwarzen oder hispanischen Klassenkameraden, um zu erkennen, daß Kultur und
Bewußtsein absolut entscheidend sind in der Erklärung nicht nur wirtschaftlichem
Verhaltens." 35
Daß die Zuwanderung ungebildeter Arbeitskräfte für eine
Hochtechnologiegesellschaft nicht unbedingt von Vorteil ist, wird mittlerweile in
Politik und Wirtschaft breit diskutiert und auch von überzeugten
Marktwirtschaftlern bestätigt. Die " Green-Card" für ausländische
Computerspezialisten ist nichts anderes als eine Forderung nach selektiver
Zuwanderung. In der Praxis bedeutet das aber auch, daß herangebildete
Fachkräfte aus den Entwicklungsländern herausgezogen werden, obwohl sie
gerade dort dringend gebraucht werden. Diese Entwicklung wird daher nicht ganz
zu Unrecht von manchen als " die neue Ausplünderung der Dritten Welt"
beschrieben.36
Hinzu kommt, daß sich deutsche Firmen ihrer sozialen Verantwortung einer
Berufsausbildung entziehen und sich dem billigeren externen Arbeitsmarkt
zuwenden.37
12
Von Bereicherung durch Migration kann in der gegenwärtigen Situation nur
gesprochen werden, wenn damit ganz besonders erfolgreiche ethnische Gruppen
gemeint sind. Beispiele sind die Sikhs in Kanada oder die Inder, Chinesen und
Koreaner in den USA. Es ist wichtig, auch in dieser Frage differenziert mit dem
Begriff Zuwanderung umzugehen.
Außerdem müssen längerfristige Maßstäbe zu Beurteilung angelegt werden. So
kann man bei den Türken in Deutschland das aktivste Existenzgründerverhalten
unter allen Einwanderungsgruppen beobachten.38 Während dies oft positive
Betonung findet, wird selten darauf hingewiesen, daß die wirtschaftliche
Partizipation am Wohlstandsverhalten nicht zwangsläufig der Integration
gleichzustellen ist. Im Gegenteil, es gibt Anzeichen dafür, daß wirtschaftliche
Aktivität nur beschränkt integrative Eigenschaften fördert. Denn ein signifikanter
Teil des türkischen Unternehmertums ist in Gewerbebereichen vorzufinden, deren
primären Markt die eigene Ethnie darstellt. Außerdem werden auch Arbeitsplätze
ethnisch besetzt. Man kann es unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten
begrüßen, daß sich die Zahl ausländischer Selbstständiger in den letzten 30 Jahren
versiebenfacht hat. Vom Standpunkt der Integration aus muß man feststellen,daß
die Tätigkeitsbereiche erstens schwerpunktmäßig angesiedelt sind (mit Tendenzen
zur Ghettoisierung), und daß zweitens die Neugründung von Unternehmen auch
eine Steigerung der Nachfrage nach Personal aus der eigenen Ethnie nach sich
zieht.39
Künftig wird sich zeigen, ob der wirtschaftliche Beitrag der türkischen
Diasporagemeinde in Deutschland wirklich als positiver Faktor gewertet werden
kann. Die wachsende Anzahl türkischer Unternehmen, die - wie die Yimpas-Kette
- nach islamischen Prinzipien wirtschaftet und deren Zielgruppe gläubige
Muslime sind40, kann zwar kurzfristig und wirtschaftlich positiv bewertet werden.
Sie enthält allerdings - wie bereits gezeigt - Konfliktpotential und können mittel-
bis langfristig die wirtschaftlichen Spielregeln beeinflussen oder als " Verstärker"
für zukünftige ethnonationalistischen Forderungen dienen.
In allen bereits genannten Bereichen finden sich kaum Anzeichen einer
nachhaltigen Bereicherung für das Einwanderungsland.Es bleibt die Frage, ob
vielleicht nicht doch, und dies vor allem im Kontext der heutigen Globalisierung,
Vorteile in der wachsenden Vielfalt liegen. Ist nicht gerade die kulturelle Vielfalt
der USA mit ein Grund für deren globalen Vorrangstatus?
Die Kosten des sogenannten " Diversity Managements" betragen jährlich für
US- Staat und Privatsektor zusammengerechnet 130 Milliarden US-Dollar. Darin
sind Integrationsprogramme und soziale Experimente jeglicher Art enthalten,
deren ausgesprochenes Ziel es ist, das Konfliktpotential am Arbeitsplatz und in
der Schule zwischen den jeweiligen Gruppen zu reduzieren. Diese Summe wäre
dann eine wirkliche Zukunftsinvestition, wenn entsprechende Fortschritte
beobachtet werden könnten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Langzeitstudien
belegen, daß sich die Beziehungen zwischen den Rassen und Ethnien in den USA
zwischen 1970 und 2000 verschlechtert haben,41 oftmals gerade wegen der
aufgezwungenen Integrationsmaßnahmen. Daraus läßt sich schlußfolgern: Wo
solche Maßnahmen benötigt werden, ist die Integration bereits gescheitert.
Die Hoffnung auf Zuwanderung als " Impuls" beruht auf Wunschdenken und
kurzfristigen Vorteilen. Solche Vorteile schöpft die US-Wirtschaft vor allem seit
dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ab, indem sie die Migranten aussiebt,
und so der Anteil der hochqualifizierten Zuwanderer zwischen 1995 und 1998
immerhin 24% betrug.42
13
Das endgültige Resultat der Zuwanderung wird jedoch weniger an den
konjunkturellen Boom-Zeiten gemessen als an den wirtschaftlichen Flauten und
Krisen. So erklärt der Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeldt: " Es gibt die schöne
Idee, daß Immigranten ihre Kultur behalten und sich als deutsche Türken oder
deutsche Nigerianer fühlen sollen, weil das unsere Kultur bereichert. Das ist sehr
naiv. In Krisenzeiten hat man dann Solidargemeinschaften, die ihre
Eigeninteressen vertreten und um begrenzte Ressourcen wie Sozialleistungen,
Wohnungen oder Arbeitsplätze konkurrieren. Das stört natürlich den inneren
Frieden." 43
Bestätigt wird diese Auffassung durch die Asienkrise 1998: Im homogenen
Südkorea reagierte die Bevölkerung auf die Krise, indem sie durch freiwilliges
Spenden des Familienschmucks die Landeswährung stützte. Im heterogenen
Indonesien brachen soziale Unruhen aus: Dort war die wirtschaftlich erfolgreiche
chinesische Minderheit zunächst wieder einmal der Gewalt der Restbevölkerung
ausgesetzt. Alte ethnische Bruchlinien erwiesen sich als sehr langlebig, dies trotz
des als vorbildlich bezeichneten Wirtschaftsaufschwungs des Vielvölkerstaates. In
den wirtschaftlich schlechten Zeiten neigen multikulturelle Staaten zur Instabilität
und Desintegration. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß Deutschland
diesbezüglich eine Ausnahme bilden könnte.
14
3. Multikulturalismus
In Deutschland löst bereits der Begriff einer " Leitkultur" Streit mit Vorwürfen
bis hin zum Faschismusbedacht aus. Die Punkte 1. und 2. dieser Studie haben aber
gezeigt, daß eine realistische Einschätzung der Situation aus staatspoliticher Sicht
dringend notwendig ist. Im Weg steht einer sachlichen Diskussion bisher noch
immer der ideologische Umgang mit dem Begriff " Multikulturalismus" .
Der Begriff wird insgesamt in drei Varianten verwendet:
a* beschreibend stellt er das Vorhandenseins verschiedener ethnischer Gruppen
innerhalb desselben Staates fest.
b* programmatisch deutet er auf bestimmte Initiativen hin, deren Ziel es ist,
bestehende ethnische Spannungen in einem Staat zu entschärfen.
c* ideologisch umfaßt er alle sozialen Theorien und moralischen Suggestionen,
bei denen Gruppen- und Individualrechte auf einer Stufe stehen und auf einen
die verschiedenen Ethnien übergreifenden werte- und verfassungspatriotischen
Konsens abzielen.44
In der Praxishat das eine völlig unterschiedliche Handhabung des
Multikulturalismus zur Folge. In den USA treten Multikulturalisten inzwischen
nicht nur gegen kulturelle Assimilation auf, sondern auch gegen die Integration.45
In Europa sehen viele Multikulturalisten die Integration zugewanderter Ethnien
mittlerweile als problematisch an, teilweise, weil sie offensichtlich gescheitert
ist46. Während das Entstehen einer neuen Mischidentität zumindest noch als
wünschenswert erachtet wird, lehnen die davon betroffenen Migranten diese zum
Schutz der eigenen Kollektividentität oft energisch ab.47
Zu den ironischen Seiten der Ideologie des Multikulturalismus gehört es, daß
ihre Toleranzvorstellungen zum integralen und singulären Bestandteil einer
bestimmten Kultur gehören, nämlich der modernen, westlich-abendländischen.
Das multikulturelle Denken ist deshalb selbst zutiefst eurozentristisch und setzt
einen Grad an Toleranz voraus, der ein spezifisches Produkt der europäischen
Entwicklung von fünf Jahrhunderten ist.
Auf die von ihnen nicht erwarteten Konfliktsituationen und -potentiale reagieren
die Anhänger des Multikulturalismus auf zwei unterschiedliche Arten: Der
ideologisch verhärtete Teil streitet solche negativen Auswirkungen kategorisch
ab. Eine andere Gruppe behält ebenfalls die ideologische Ausrichtung bei, macht
jedoch angesichts der offensichtlichen Probleme inzwischen Lösungsvorschläge.
15
4. Denkfehler und verhärtete Ideologie
Der Bereich des ideologisch Glaubens an den bereits eingetretenen Erfolg des
eigenen Modells ist wissenschaftlich wenig interessant, da die Argumente und
Gegenargumente längst ausgetauscht sind. Umso verblüffender ist die
Hartnäckigkeit, mit der gewünschte Entwicklungen in die Wirklichkeit
hineingelesen und als Erfolg gewertet werden. Die vorliegende Studie
konzentriert sich daher auf die weiter fortgeschrittene Diskussion zu Fragen der
Korrigierbarkeit von offensichtlichen Fehlentwicklungen. Auf die ideologisch
verhärteten Argumente sei nur kurz eingegangen.
4.1. Integrationsfortschritt durch Globalisierung
4.2. Integrationsfortschritt als unumkehrbarer Gewinn.
4.3. Die USA als Erfolgsmodell und Vorbild
4.1. Integrationsfortschritt durch Globalisierung
Die These, daß der technologische Fortschritt, vor allem dessen Einwirkung auf
die Kommunikationswege, die Welt zusammenbringt und das Verständnis für den
anderen fördert, enthält eine selten erwähnte Schattenseite. In der Tat ermöglichen
es gerade diese technologischen Fortschritte ethnischen Minderheiten, den
Kontakt zur eigenen Volks- und Kulturgruppe nachhaltiger zu pflegen als dies
früher möglich war. Dies wirkt sich aber als integrationsfeindlicher Faktor aus, da
Nachrichten und politische Entwicklungen des Ursprungslandes besser und
häufiger wahrgenommen werden können als bisher. Untersuchungen des
Zentrums für Türkeistudien zufolge schauen türkische Jugendliche in Deutschland
via Kabel und Satellitenfernsehen fast ausschließlich türkische Programme.48 Die
deutschen Sprachkenntnisse der dritten und vierten Generation Türken in
Deutschland sind - wie erwähnt - schlechter als die der zweiten Generation.
4.2. Integrationsfortschritt als unumkehrbarer Gewinn
Kulturell homogene Gesellschaften können sich auf die stabilisierenden
Eigenschaften des solidargemeinschaftlichen Gefühls der " nationalen Familie"
berufen, in denen die Unterschiede relativ klein bleiben. Global betrachtet sind sie
auch erfolgreicher. Die Gegenwart inkompatibler Minderheiten reduziert die
Entscheidungskompetenz einer Regierung, und zwar im Rahmen von
Legitimationskrisen, die durch den ethnischen Selbstbestimmungsdrang entstehen.
Die Entfaltung der jeweiligen kulturellen Gruppe kann nur noch mit Rücksicht auf
die anderen geschehen. Dies erhöht das Konfliktpotential allein dadurch, daß
normale Sachfragen durch die einzelnen Volksgruppen interessenpolitisch
beurteilt und aufgewertet werden. Der Staat wird gezwungen, immer wieder den
Forderungen und Gegenforderungen unterschiedlicher Gruppen mit
konfliktregulierenden Ordnungsmaßnahmen entgegenzutreten. Frustration bei
staatlichen Stellen und Radikalisierung innerhalb der Ethnien können die Folge
sein.
Resistent gegen solche Erfahrungen sind ideologisch voreingenommene
Wissenschaftler und gesellschaftliche Meinungsmacher, die das gewünschte Ideal
16
unbedingt für realisierbar halten. Dieses Eintreten für eine multikulturelle Zukunft
wird begleitet von einer Weigerung, Gegenargumente zu hören und an der
Wirklichkeit zu überprüfen. Wer Thesen zu den Themen Kulturkampf oder
Inkompatibilität aufstellt oder über die fortgeschrittene Ethnisierung der
deutschen Großstädte schreibt, hört den Vorwurf, daß dadurch erst polarisiert
werde, ethnische und kulturelle Fronten also erst geschaffen würden.
Selbst die Formulierung einer Leitkultur, in die hineinintegriert werden könnte,
steht noch aus oder wird von Multikulturalisten wie Rudolf Burger als " falsche
Wärme" disqualifiziert, weil ein Teil dieses Bekenntnisses automatisch
abgrenzend wirkt. Selbstdefinition ist jedoch ein Merkmal jeder Gruppe, natürlich
liegt darin schon die Ausgrenzung. Auch die Familie grenzt andere aus, und Eibl-
Eibesfeldt stellt zurecht die Frage, ob man dann auch hier von " falscher Wärme"
sprechen wolle.49
In der Praxis verweisen Multikulturalisten oft sogenannte " multikulturelle
Wohngebiete" als Beweis für eine mögliche und friedliche Koexistenz.
Tatsächlich sind solche Gebiete nicht nur verhältnismäßig instabil, sondern
befinden sich auch meist im Umbruch, spiegeln eine Transformationsphase
wieder, an deren Ende die zahlenmäßig dominante Gruppe den " Charakter" d.h.
das kulturelle Klima der Gegend bestimmt. Die sehr gut dokumentierte
Stadtflucht durch die Rassendynamik in den USA, auch dort als " White flight"
bekannt, ist inzwischen auch in europäischen Ländern weitverbreitet, in ihrer
Folge bilden sich immer mehr Ghettos trotz ein Vielzahl sozialer Experimente.
Auch bereits erfolgte Assimilation und Integration kann sich zurückbilden. So
verfügen inter-ethnische Freundschaften, Ehen und politisch bewußt multi-
kulturell orientierte Gruppierungen offenbar nicht über genügend Einfluß, um
Radikalisierung, Polarisierung und das allgemein vorhandene Konfliktpotential
nennenswert zu verringern. So betrug beispielsweise der Anteil der Mischehen in
Sarajevo vor dem Ausbruch der Gewalt immerhin 25 %. Multi-ethnische
Verbände wie das " Civic forum" hielten Friedensdemonstrationen ab und
betonten vergebens die gegenseitige Abhängigkeit und den Willen zur Toleranz.50
In Ruanda spaltete sich selbst die Katholische Kirche nach ethnischen
Gesichtspunkten auf. Katholische Priester waren am Massenmord der Tutsi
Minderheit aktiv beteiligt, ohne dabei von der integrativen Macht einer multi-
ethnischen Religion wie dem Christentum abgehalten zu werden.51 Ethnische
Loyalitäten durchdringen alle gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen.
Aufgrund der Erfahrungen mit ethnischen Konflikten wird inzwischen auch von
Befürwortern multikultureller Gesellschaften akzeptiert, daß eine anscheinend
gelungene Integration in Krisenzeiten entlang ethnischer Linien aufbrechen
kann.52
4.3. Die USA als Erfolgsmodell und Vorbild
Die USA dienen weniger den Befürwortern als den Kritikern der
multikulturellen Gesellschaft als Beispiel. Ethnische Siedlungsmuster und
Arbeitsteilung oder ethnisches Wählerverhalten gehören zum Alltag der USA.
Rassengewalt, vor allem gegen Koreaner und Juden, geht - entgegen dem
gängigen Medienbild - sehr stark von der afroamerikanischen
Bevölkerungsgruppe aus. Die Mitgliederschaft der radikalen " Nation of Islam"
übertrifft die gesamte Mitgliedschaft aller anderen radikalen Bewegungen in den
17
USA. Insgesamt gehören etwa 8000 Weiße einer sogenannten " Haßgruppe"
(" hate group" ) an, während es auf afroamerikanischer Seite 150 000 Personen
sind. 1992 stellte eine Umfrage der Anti-Defamation League fest, dass 17 % der
weißen US-Bürger antisemitische Ansichten vertreten, unter Afroamerikanern
hingegen diese Zahl bei 37% liegt. Während unter Weißen diese Quote über Jahre
hinweg konstant sinkt, ist unter Afroamerikaner genau das Gegenteil der Fall, der
Antisemitismus steigt kontinuierlich.53
Diese antisemitische Einstellung ist zumindest teilweise eine der ungewollten
Nebenwirkungen linker Erklärungsmuster: Wer von struktureller Benachteiligung
ganzer Bevölkerungsgruppen spricht, weckt zum einen die Bereitschaft, das
eigene Scheitern immer anhand des Erfolgs anderer zu erklären. Desweiteren wird
so eine Konkurrenzsituationon entlang ethnischer Linien zementiert. Die andere
Bevölkerungsgruppe ist dann nicht durch Fleiß und Selbstdisziplin zum Erfolg
gekommen, sondern grundsätzlich nur auf Kosten anderer. Weil amerikanische
Juden in den Bereichen der Medizin, Justiz und Unternehmerschaft
überrepräsentiert sind, wird ihnen hier unfairer Vorteil unterstellt.
Auch Koreaner wurden nicht erst durch die Unruhen in Los Angeles 1992 das
Ziel schwarzer Gewalttäter. Schon 1988 und 1990 boykottierten Afroamerikaner
koreanische Geschäfte in Brooklyn mit der Parole " Pass them by, let them die.
Koreans out of Bed-Stuy." Der wirtschaftliche Erfolg der Koreaner wurde bei
solchen Anlässen auch als " Rassismus" bezeichnet. Terror gegen Koreaner
betrifft auch andere Großstädte wie Washington D.C., Philadelphia und Chicago.
Tatsächlich standen 1987 schon 350 000 asiatische US Unternehmen mit $ 33
Milliarden Umsatz den 420 000 afroamerikanischen Unternehmen mit $ 19
Milliarden Umsatz gegenüber. Bemerkenswert scheint dabei die Tatsache, dass
Asiaten zu dem Zeitpunkt lediglich 3% der Bevölkerung ausmachten und 60% der
schwarzen Unternehmen fast ausschließlich auf Regierungsverträge rechneten.54
Nach Angaben des US-Justizministeriums sind rund 20% der Gewaltstraftaten
rassisch motivierte Taten. Fast 90% der Opfer von Rassengewalt sind jedoch
weiß, so eine Studie über den Zeitraum 1973 bis 1993. Zwischen 1964 und 1995
fanden in den USA insgesamt 25 Millionen gewaltsame, interethnische Straftaten
mit insgesamt 45 000 Toten statt. 55 Dabei werden laut Justizministerium 85 %
aller Rassengewalt in den USA von Afroamerikanern verübt.56
Nicht nur die Gewaltstatistik zeigt ein zunehmend uneiniges Amerika. Auch die
Leistungsdiskrepanz im Bildungsbereich, vor allem bei den Maßnahmen zum
Ausgleich, verweist auf die Probleme einer multikulturellen Gesellschaft: Sie
verlaufen deutlich entlang ethnischer Gruppen. Das allgemeine Bildungsniveau,
das dem kleinsten gemeinsamen Nenner folgt, entfernt sich immer weiter von
seinem westlichen Ursprung und damit vor allem vom Leistungsdenken.57 Seit
Anfang der sechziger Jahre fallen die erreichten Punkte auf dem Scholastic
Apitude Test (SAT) nicht nur kontinuierlich, der Test selbst ist inzwischen
wiederum in den Verdacht geraten " eurozentrisch" zu sein, obwohl Asiaten in
ihm am besten abschneiden. Weder das Bildungsbudget noch die Klassengrößen
kommen als Ursachen in Frage. Die Schüler Südkoreas standen unter 45 Ländern
an zweiter Stelle in Mathematik, obwohl dort die Schulklassen über 40 Schüler
umfassen.58 Dies führt wiederum zu der Schlußfolgerung, dass kulturell bestimmte
Einstellungen zum Thema Bildung wichtiger sind als die Ressourcen, die zur
Verfügung stehen.
18
Viele amerikanische Innenstädte befinden sich im Verfall, die Wohngebiete sind
am Ende des 2O. Jahrhunderts stark segregiert (also nach ethnischer
Zugehörigkeit aufgeteilt). Hochhäuser haben Sicherheitssysteme, die als
" Belagerungsarchitektur" gelten.59 Der Umsatz der Sicherheitsindustrie liegt bei
ungefähr $ 100 Milliarden, 1,6 Millionen Sicherheitsleute übertreffen die aktive
Truppenstärke des US-Militärs.60 Die USA zeigen sich so insgesamt als ein
Musterbeispiel fortgeschrittener Desintegration.
19
5. Denkfehler in Korrekturmodellen
Obwohl die Erwartungen an die multikulturelle Gesellschaft in großem Umfang
nicht eingetreten sind und die negativen Folgen der massenhaften Zuwanderung
selbst von ihren Befürwortern wahrgenommen werden, wird das Denkmodell
insgesamt nicht in Frage gestellt. Vielmehr suchen die weniger othodoxen
Anhänger des Multikulturalismus nach Korrekturmodellen. Sie prägen die
täglichen Bemühungen um ein friedensbewahrendes " social engineering" . Die
Finanzierung dieses Dauermanagements gehört zur Kategorie der versteckten
Kosten des multikulturellen Experiments. Zwei Modelle werden kurz beleuchtet:
5.1. Mehr persönlicher Kontakt soll zu größerem Verständnis
zwischen den Gruppen führen.
5.2. Ökonomische Maßnahmen sollen ethnische Konflikte
verhindern oder regulieren.
5.1. Verständnis durch Kontakt
Versuche, mittels Erhöhung der Zahl der persönlichen Kontakte zwischen
Mitgliedern der unterschiedlichen Gruppen eine permanente Besserung der
Beziehungen zu bewirken, haben meist zum Gegenteil, nämlich einer weiteren
Verschlechterung, geführt. Der Abbau von Vorurteilen wurde zwar erreicht,
jedoch meist im gegnteiligen Sinn: Vorurteile erwiesen sich als zutreffend und
verstärkten sich, wurden dann als Erfahrung abgebucht und führten so zu einem
Zuwachs an Legitimation.61 Eine Steigerung der Konfliktbereitschaft zwischen
Serben und Kroaten, Flamen und Wallonen, Quebecois und Anglokanadiern
wurde in Untersuchungen nach einer Förderung von Kontakten zum Zweck des
Abbaus von gegenseitigem Mißtrauen beobachtet.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang wiederum, daß nicht die Meinung der
Bürger in den Nobelvierteln oder der Studenten auf den Universitäten
ausschlaggebend ist für das Gelingen einer Integration. Viel mehr sind es die
Arbeiterschichten, die sich in der Rolle der Integratoren befinden62.
5.2. Regulierung durch ökonomische Maßnahmen
Der Konfliktforscher Walker Connor vertritt die Auffassung, daß
marktwirtschaftliche Kräfte einen wichtigen Gegenpol zu ethnonationalistischer
Dynamik bilden können: Zusammenhörigkeitsgefühle werden durch persönlich-
materialistisch orientierte Ziele ersetzt. 63 Ökonomischer Fortschritt überbrückt
demzufolge kulturelle Unterschiede und Staatsgrenzen, bringt unterschiedliche
Menschen und Völker zusammen im gemeinsamen Streben nach Wohlstand und
wirtschaftlichem Fortschritt.64 Diese Annahme überschätzt den Einfluß des
Materiellen auf die Menschheit. Bereits die darin enthaltene Annahme ist falsch,
daß die Ursachen ethnischer Spannungen fast ausschließlich in ökonomischen
Ursachen wurzeln.
Wenigstens zwei wichtige Faktoren dürfen dabei nicht vergessen werden:
5.2.1. Einfluß der Kultur auf ökonomische Entwicklungen,
5.2.2. iInhärenter Wettbewerb im ökonomischen Alltag.
20
5.2.1. Einfluß von Kultur auf ökonomische Entwicklungen
Historisch betrachtet ist es nicht überall üblich, daß Menschen aufgrund von
objektiven Leistungskriterien ihren gesellschaftlichen Status erlangen. Vor allem
entlang der Entwicklungsperipherie ist es vielmehr meist eine Frage des vererbten
Status. Viele solcher Gruppen, die inzwischen im Entwicklungskern angesiedelt
sind, wehren sich sogar zunehmend gegen die in den entwickelten Ländern
überwiegenden objektiven Auswahl- und Belohnungskriterien. Sie empfinden dies
oft als ungerecht oder sehen die höhere soziale Mobilität anderer Gruppen als
Bestätigung ihrer vermeintlichen Benachteiligung und Diskriminierung an.65
Maßnahmen wie Quotenregelungen und andere sogenannte " Affirmative
Action" -Programme, die eine künstliche Gleichheit herstellen sollen, werden
immer stärker eingesetzt in Ländern, in denen ethnische Gruppen politischen
Druck ausüben, um leichten Zugang zu Ressourcen zu erzwingen. Dadurch
werden objektive Leistungs- und Fähigkeitskriterien immer stärker als
" eurozentrisch" abgestempelt. So werden beispielsweise standardisierte
Qualifikationstests angegriffen, weil sie auf kollektive Unterschiede in
Fähigkeiten und Leistungen verweisen.66 Quotenforderungen in den USA werden
fast ausschließlich von und für Afro- und Lateinamerikaner gefordert, während
Amerikaner asiatischer Abstammung mühelos die vermeintlich " eurozentrischen"
Leistungskriterien erfüllen und in den naturwissenschaftlichen Fakultäten sogar
Vorreiterpositionen einzunehmen beginnen.
Insofern wirken sich die Unterschiede zwischen Leistungs- und Statuskultur bis
in die Schulsysteme der Einwanderungsländer aus.
21
5.2.2. Inhärenter Wettbewerb im ökonomischen Alltag
Ethnische Gruppen verfügen über unterschiedliche Auffassungen zu Themen
wie Zeit, Zielvorstellung und Prioritätensetzung. Im wirtschaftlichen Wettbewerb
kann dies zu entscheidenden Nachteilen oder besseren Startbedingungen führen.
Gerade der Umgang mit dem Faktor Zeit und dem damit zusammenhängenden
Dringlichkeitsgefühl beeinflußt nachhaltig die Produktivität und markiert damit
immer wieder Bruchlinien zwischen Gruppen. Einige Kulturen betonen in ihren
jeweiligen Zeitbegriffe soziale Beziehungen (Teile Afrikas), andere betonen
religiöse Interessen (Islam), während andere Kulturen wiederum ihren Begriff von
Zeit auf Fortschritt und damit Ökonomie beziehen.67
Interethnische Kontakte zwischen Gruppen, die in der sehr
wettbewerbsintensiven ökonomischen Marktwirtschaft konkurrieren, können auf
Dauer die Gruppenbeziehungen nur verschlechtern. Deshalb sind es gerade multi-
ethnische Staaten, in denen wirtschaftliche Krisen leicht zu ethnischen Konflikten
führen. Experten wie Eible-Eibesfeldt und Hettne deuten auch immer wieder auf
die vergleichsweise hohe Intensität und Nachhaltigkeit solcher Konflikte hin.68
6. Die Zukunft: Eigenschaften der neuen Gesellschaft
Städte wie München und Frankfurt am Main werden in absehbarer Zeit, bis zum
Jahre 2030 nämlich, eine deutsche Minderheit haben und daher auch die
Symptome einer Konfliktgesellschaft tragen. Starke ethnische Gruppen berufen
sich dabei im Wettbewerb um die Innenstädte auf Werte wie Toleranz und
Demokratie, obwohl manche von ihnen den damit verbundenen und aus ihrer
Sicht " weichen" Eigenschaften traditionell eher ablehnend gegenüber stehen.
Jedoch wird der hohe Stellenwert dieser Prinzipien im Einwanderungsland richtig
eingeschätzt und als taktisches Mittel genutzt. Auch deswegen ist Deutschland ein
besonders beliebtes Zielland der Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge: Sie erwarten
nicht nur eine relativ großzügige materielle Ausstattung, sondern auch
weitreichende Möglichkeiten zur politischen Mobilisierung. Während der
Kosovokrise war Deutschland das bevorzugte Ziel der Vertriebenen, während das
großzügige Aufnahmeangebot der Türkei nicht beachtet wurde. Die meisten Flüge
für Flüchtlinge in die Türkei und nach Rumänien mußten wegen geringen
Interesses gestrichen werden.69
Für Deutschland ist zu erwarten:
- Destabilisierung des eigenen Staates durch zahlenmäßig wachsende ethnische
Minderheiten mit teilweise inkompatiblen Wertesystemen, vor allem in
Bereichen wie politischer Kultur, Gewaltbereitschaft und Rechtsstaatlichkeit.
Daraus entsteht eine Gefahr für die Demokratie durch Minderheiten, die aus
ihren ethnisierten Enklaven heraus Ansprüche auf " Anteile" artikulieren und
22
nicht durch Aufrufe zum " Verfassungspatriotismus" zu beeindrucken sind.
Denn auch " Verfassungspatriotismus" ist nicht wertneutral, beruft sich
vielmehr auf ein spezifisch westliches Staats- und Demokratieverständnis.
Verfassungspatriotismus kann somit die Wertebruchlinien kaum überbrücken.
- Transfer von Konflikten: Moderne multikulturelle Staaten sehen sich immer
stärker genötigt, ihre Ressourcen nicht nur in entfernte ethnische Krisenherde
zu investieren, sondern dieselben Konflikte auch im Innern zu managen, wobei
der Aufwand sich an der demographischen Zusammensetzung messen muß. In
europäischen Ländern sind Konflikte zwischen separatistischen Kurden und
Türken oder Serben und Albanern keine Zukunftsszenarien mehr.
- Schwindende Handlungsfähigkeit in der Außenpolitik: Multi-ethnische Staaten
im westlichen Raum, vor allem die USA als Großmacht, werden zunehmend
gezwungen sein, ihre Außenpolitik mit der inneren ethnischen Situation
abzugleichen. Die Haltung zu Themen wie Palästina oder Kurdistan kann
direkt von starken Minderheiten im eigenen Land beeinflußt werden.
Außerdem organisieren solche ethnischen Gruppen immer stärker aktive
Unterstützung aus dem Gastland für ihre Heimatländer.70 Ein Beispiel dafür,
wie dies die westlichen Normen und das Staatsverständnis beeinflussen kann,
ist der Fall Öcalan. Trotz eines Haftbefehls verzichtete die Bundesregierung
auf die Auslieferung, die Furcht vor innerstaatlichem Krawall kurdischer
Gruppen führte zu dieser Entscheidung.
- Senkung des Bildungsniveaus: Statistiken im Bereich Jugendgewalt deuten
nicht nur auf eine zunehmende Polarisierung entlang ethnischer Linien hin. Sie
verweisen indirekt auch auf eine Senkung des Bildungsniveaus. Mangelnde
Sprachkenntnisse erschweren den Unterricht. Die Dynamik sogenannter
" Ghettoschulen" bietet für viele Schüler ein Klima der Unruhe und Angst.
Erklärungen für Probleme im Bildungsbereich finden sich daher viel häufiger
im demographischen Wandel als in Fragen des Bildungsetats oder der
Klassengrößen. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland, der traditionell sein
Humankapital als Ausgleich für bescheidene natürliche Ressourcen betrachtet,
ist bestmöglichen Bildung eine zentrale Zukunftsfrage, die nicht ohne
Hinzuziehung aller wichtiger Faktoren beantwortet werden kann.
@7.
Ich beantrage diesen thread wg. Verbreitung von Verschörungstheorien zu schliessen
Ich beantrage diesen thread wg. Verbreitung von Verschörungstheorien zu schliessen
http://www.ftd.de/sp/ak/1032113049900.html?nv=tn-rs
Leitartikel: Trumpfkarte Zuwanderung
Die von den Umfragen signalisierte Wahlniederlage im Blick, spucken die Christsozialen nun die zuvor gefressene Kreide wieder aus - und stürzen sich gezielt genau auf das Thema, mit dem auf den letzten Metern des Wahlkampfs die maximale populistische Ausbeute zu machen ist: die Zuwanderung.
Der im Unions-Kompetenzteam für Innenpolitik zuständige bayerische Innenminister Günther Eckstein wird am Montag klarmachen, dass die Union die Idee einer multikulturellen Gesellschaft nicht akzeptiert. Auch wird sie die allgemein anerkannte These ablehnen, dass Zuwanderung den Druck einer schrumpfenden Bevölkerung auf die Wirtschaft und auf die Sozialsysteme mildern kann.
Schon Ersteres ist außerordentlich bedenklich und zeigt, dass CDU/CSU nicht bereit sind, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland. Letzteres aber ist sogar gefährlich, weil es das wirtschaftliche Wachstumspotenzial der kommenden Jahre bedroht. Damit konterkariert die Union den zentralen Ansatz ihres eigenen Wahlkampfs, dem zufolge sie sich vor allem für Arbeit und Wachstum stark machen will.
Zudem wollen die Unionsparteien mit dem Punktesystem ausgerechnet den Teil des Gesetzes kippen, der sich in vielen Ländern als Instrument zur Zuwanderungssteuerung bewährt hat und sicherstellt, dass qualifizierte Ausländer kommen. Das sind jedoch gerade diejenigen, die keinem Deutschen den Job wegnehmen, sondern Arbeitsplätze schaffen: Ohne sie könnten viele Aufträge nicht erledigt werden; wichtige Wachstumschancen blieben ungenutzt.
Weitere Leitartikel zu den Themen "Rede aus dem Abseits" und "Klappe, die dritte" in der FTD-Ausgabe vom 16.09.2002.
© 2002 Financial Times Deutschland
Leitartikel: Trumpfkarte Zuwanderung
Die von den Umfragen signalisierte Wahlniederlage im Blick, spucken die Christsozialen nun die zuvor gefressene Kreide wieder aus - und stürzen sich gezielt genau auf das Thema, mit dem auf den letzten Metern des Wahlkampfs die maximale populistische Ausbeute zu machen ist: die Zuwanderung.
Der im Unions-Kompetenzteam für Innenpolitik zuständige bayerische Innenminister Günther Eckstein wird am Montag klarmachen, dass die Union die Idee einer multikulturellen Gesellschaft nicht akzeptiert. Auch wird sie die allgemein anerkannte These ablehnen, dass Zuwanderung den Druck einer schrumpfenden Bevölkerung auf die Wirtschaft und auf die Sozialsysteme mildern kann.
Schon Ersteres ist außerordentlich bedenklich und zeigt, dass CDU/CSU nicht bereit sind, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland. Letzteres aber ist sogar gefährlich, weil es das wirtschaftliche Wachstumspotenzial der kommenden Jahre bedroht. Damit konterkariert die Union den zentralen Ansatz ihres eigenen Wahlkampfs, dem zufolge sie sich vor allem für Arbeit und Wachstum stark machen will.
Zudem wollen die Unionsparteien mit dem Punktesystem ausgerechnet den Teil des Gesetzes kippen, der sich in vielen Ländern als Instrument zur Zuwanderungssteuerung bewährt hat und sicherstellt, dass qualifizierte Ausländer kommen. Das sind jedoch gerade diejenigen, die keinem Deutschen den Job wegnehmen, sondern Arbeitsplätze schaffen: Ohne sie könnten viele Aufträge nicht erledigt werden; wichtige Wachstumschancen blieben ungenutzt.
Weitere Leitartikel zu den Themen "Rede aus dem Abseits" und "Klappe, die dritte" in der FTD-Ausgabe vom 16.09.2002.
© 2002 Financial Times Deutschland
Der Fokus auf dem neuen Thema Zuwanderung ist auch eine Reaktion auf die Wahlumfragen, die inzwischen mehrheitlich Rot-Grün vorn liegen sehen. Drei der sechs großen Umfragegesellschaften wollen noch in dieser Woche letzte Erhebungen veröffentlichen. Im Auftrag des Fernsehsenders N-TV will Emnid am Dienstag und Donnerstag Prognosen vorstellen; das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der FAZ am Mittwoch. Die letzte Erhebung wird voraussichtlich erst zwei Tage vor der Wahl kommen: Der TV-Sender RTL will am Freitag Zahlen der Meinungsforscher von Forsa senden.
#3
viele wissen wohl nicht das es einen unterschied zwischen "fachkräften und sozialhilfeempfängern" gibt!!!!!
viele wissen wohl nicht das es einen unterschied zwischen "fachkräften und sozialhilfeempfängern" gibt!!!!!
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