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    Das! waren meine Wohnungen - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 05.10.02 03:52:03 von
    neuester Beitrag 05.12.02 06:25:13 von
    Beiträge: 37
    ID: 642.471
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      schrieb am 05.10.02 03:52:03
      Beitrag Nr. 1 ()
      Die meisten von uns, die jetzt hier lesen, befinden sich zu Hause in ihren trauten Wohnumgebungen. Nur wenige werden sich in Internetcafes oder an Bahnhöfen aufhalten, aber auch das gibt es.
      Die Fragen des Stils und des guten Geschmacks waren von je her wichtig, keine Frage. Umso erstaunlicher für mich, dass hier, obwohl wir uns doch alle zu Hause befinden, solche Themen nur selten zur Sprache kommen. Ich frage mich jetzt nicht woran das liegt, es soll mir egal sein.
      Stattdessen bearbeite ich dieses Thema und möchte gleich aus meinem unermeßlichen Erfahrungsreichtum einige Perlen zum Besten geben.
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      schrieb am 05.10.02 04:03:31
      Beitrag Nr. 2 ()
      Als Schauspieler bin ich natürlich viel in der Welt unterwegs und so möchte ich mit der Beschreibung meiner Wohnungen beginnen, als ich von einem ebensolchen Auslandsaufenthalt zurückkehrte nach Deutschland. Genauer gesagt in die Stadt J.
      Über meine Auslandswohnungen gibt es nicht viel zu sagen. Höchstens dass ich monatelang im 13. Stock eines Towers wie in einem Gefängnis wohnte und der Mieter des Zimmers vor mir einen Selbstmordversuch aus eben jenem Stockwerk und Zimmer versuchte und - man höre und staune - ihm dies mißlang. Zwar gab es auch Zimmermädchen, die auf Wunsch die Zimmer in Ordnung hielten, aber sie waren alt und unansehnlich und lieber ließ man das Zimmer dreckig und unaufgeräumt, als sich von den alten Schachteln etwas hinterher räumen zu lassen. Da meine Vorstellungen besser wurden konnte ich nach kurzer Zeit in ein separates Haus mit Garten ziehen, der allerdings sehr klein dafür aber vorhanden war. Die Wände waren sehr hellhörig und man konnte im zweiten Stock des Hauses - wo sich mein Zimmer befand - die übrigen Mitbewohner furzen oder husten hören.
      Von da ging ich dann, wie gesagt, direkt in die Stadt J.
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      schrieb am 05.10.02 04:31:02
      Beitrag Nr. 3 ()
      Ein Handelsreisender

      Ein Handelsreisender kommt in eine kleine Stadt mit nur einem Hotel. Er nimmt sich ein Zimmer in dem Hotel und fragt auch gleich den Wirt: "Sagen Sie mal, haben Sie auch Frauen zum Poppen hier?"

      „Nö," sagt der Wirt, "wir haben nur unseren Kurt!"

      Der Handelsreisende guckt ein wenig verwirrt und meint: "Ach, lassen Sie mal lieber dann."

      Abends liegt er im Bett und sein Trieb wird immer stärker. Schliesslich kann er sich kaum noch beherrschen und geht wieder zum Wirt runter. "Wissen Sie was, rufen Sie doch den Kurt an, er soll kommen. Was nimmt der denn so?" fragte der Handelsreisende den Wirt.

      Der Wirt: "Tja, es kostet 80 EURO!"

      Der Handelsreisende daraufhin: "Na gut, und wie läuft es dann ab? Ich gebe Kurt die 80,EURO und dann wird gepoppt?"

      Der Wirt: "Nein, nicht ganz, 40 EURO bekommt unser Bürgermeister, es ist seine Stadt und er hat es eigentlich nicht so gerne. Dann ist er beruhigt und sagt auch nix."

      "Naja," meint der Handelsreisende, "dann bekommt Kurt eben nur noch 40, EURO, mir egal."

      Der Wirt: "Hmmm..., auch das nicht. 20 EURO kriege ich, das hier ist mein Hotel und ich habe es auch nicht so gerne!"

      Der Handelsreisende: "Mir soll es Recht sein, wenn Kurt dann mit einem Zwanziger einverstanden ist...! Also gebe ich Kurt die 20 EURO und dann geht es los, ja?"

      Der Wirt: "Schon wieder falsch, die letzten 20 EURO teilen sich Michael und Stefan, die halten Kurt fest, der hat es nämlich auch nicht so gerne!"

      :D
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      schrieb am 05.10.02 04:53:02
      Beitrag Nr. 4 ()
      In J. angekommen fand ich nach einigem Suchen ein mir meinem Geldbeutel angepasstes Appartment. Der Hauseingang ist jetzt - wenn zwischenzeitlich kein Sanierung stattgefunden hat - zugenagelt, ebenso wie die Fenster der ersten Etage bzw. des Erdgeschosses, in dem ich mich aufzuhalten beliebte. Die Wohnung war ein ausgesprochenes Dreckloch. Aber eins von der Sorte, das man nicht sauber bekommt, weil das erstens nicht möglich ist und es zweitens immer noch dreckig gewesen wäre, wenn man vom Fußboden hätte essen können. Im Hausflur stützten überdimensionale Balken eine klapprige Treppe. Die Balken gehörten nicht etwa zur Treppe sondern wurden nachträglich unter die Treppe gekeilt, damit das wackelnde Ding nicht die Scheißhäuser unter sich begrub, auf die wir - d.h. ich und die anderen Bewohner - zum Scheißen und Pissen gehen mussten. Unglücklicherweise verbrachte ich in dieser Wohnung einen Winter. Unglücklich deshalb, weil ein Bad in der Wohnung fehlte. Es gab eine Dusche, die in der Küche stand. Aber nicht nur das Bad fehlte, es fehlte auch das warme Wasser und eine Heizung in der Küche. Nicht, weil das irgendwie kaputt war, nein, das war gar nicht vorgesehen und deshalb gab es das auch nicht.
      Ich will jetzt nichts verklären und sagen, dass es schön war. Nein, es war nicht schön. Der Winter war sehr kalt und auf dem Plumpsklo ohne Wasser war es nicht möglich scheißen zu gehen, ohne sich dabei eine Lungenentzündung zu holen. Wenn schon die Küche nicht beheizt werden konnte, gab es auf dem Klo, das sich außerhalb der Wohnung auf halber Treppe befand erst recht kein Ding namens `Heizung`. Also pissen und dann schnell wieder in die genauso kalte Wohnung. Zum Glück gab es Kohlen im Keller, mit denen ich den Kachelofen in meinem Zimmer beheizen konnte. Zwar brauchte der immer zwei bis drei Stunden, bis er das Zimmer aufgeheizt hatte, aber wenigstens war es danach warm. Natürlich bewohnte ich eine WG. Die Wohnung hatte drei Zimmer, aber sie war so billig, dass wir locker zu zweit darin wohnen konnten und einen Raum als Abstellraum an andere Schauspieler vermieten konnten. Zum Glück war die andere Person, die mit mir die Wohnung teilte nicht oft da. Eigentlich hatte ich ja ihr Zimmer und sie lag mir dauernd in den Ohren, wir sollten jemand für das andere Zimmer suchen. Zum Kotzen. Sie hatte blonde lange Haare aber das war das einzige an ihr, das schön war. Sonst sah sie aus wie eine Hexe und ihre Stimme klang in etwa so, als ob man mit einer Gabel am Fenster kratzt. Ok sie war jung, aber wer war das nicht? Sie ging mir dermaßen mit Miete und dem ganzen Scheißdreck auf die Ketten, dass ich ihr am liebsten mit einer Ohrfeige die Brille vom Kopf gepfeffert hätte, wenn sie schon auf mich zuging und ihren Mund aufmachte und eigentlich sprach sie mich auf nichts anderes an. Dabei bekam sie jedesmal absolut pünktlich ihre verfickte Miete.
      Ihr seht schon, dass ich nur Untermieter war, aber ich war zufrieden. Nur, wo war sie denn, als im Keller der Wasserabfluss zugefroren ist und ich den ganzen Dreck am Hals gehabt hab? Die Zustände waren einfach unbeschreiblich. Die Abflüsse und Zuflüsse des Hauses waren im Keller zugefroren oder verstopft oder beides. So lernte ich schon nach kurzer Zeit die anderen Mieter bzw. Schauspieler des Hauses kennen. Denn unglücklicherweise wohnte ich im Erdgeschoß.
      Am Anfang waren nur die Abflüsse im Keller des Hauses verstopft, d.h. es konnten keine Abwässer abfließen, wohl aber noch Wasser in die Wohnungen und durch die Wasserhähne zufließen. Schließlich muß man sich ja waschen und Zähneputzen und so. Dazu braucht man Wasser. Das dreckige Wasser fließt dann in den Abfluß und verschwindet im Normalfall auf Nimmerwiedersehen. Soweit die zivilisierte Version. Wenn das Wasser nicht abfließen kann, weil es sich im Keller staut, von oben aber ständig neues dreckiges Wasser nachfließt, wird es irgendwo nach den Gesetzen der Physik überlaufen wollen. Das hat es dann auch gemacht und die Brühe ist bis zu meinem Waschbecken in der unbeheizten Küche hochgestiegen und läuft dort mir nichts dir nichts übel blubbernd raus. Nichts erinnert mich bei diesem Brei noch an Wasser. So schwarz, so dickflüssig und gottverdammt stinkend kann kein Wasser sein. Es breitet sich auf dem Boden der Küche aus und als ich aus meinem beheizten Zimmer dazukomme um nachzuschauen, was aus meinem Waschbecken plätschert, steigt auch in mir eine Brühe hoch.
      Avatar
      schrieb am 05.10.02 05:21:55
      Beitrag Nr. 5 ()
      Schon wieder zum Kotzen. Wahrscheinlich wird in den oberen Stockwerken geduscht. Duschen! Daran kann ich gar nicht denken. Die Hexe hat gesagt im 3. Stock hätte jemand einen Boiler. Blitzschnell peile ich die Lage und renne die drei anderen Stockwerke hoch und sage auf jeder Etage Bescheid, dass ab jetzt kein Wasser mehr die Abflüsse entlang laufen darf, DENN DIE SCHEISSBRÜHE LÄUFT NICHT AB UND KOMMT IN UNSERER KÜCHE RAUS. Man versteht mich. Ich wische würgend meine Küche sauber. Ab jetzt steht im Keller ein elektrisches Heizgerät, dass für tropische Temperaturen sorgt. Kein Leichtes, denn die Kellertür ist im Arsch und lässt sich nicht schließen, aber es ist mir egal. Vielleicht taut dann auch wieder die Waschmaschine auf, deren Trommel in einem großen Eisblock fixiert ist. Natürlich, wenn ich nicht da bin, geht die Scheiße wieder von vorne los. Jemand hat sich gewaschen oder was weiß ich. Das Abwasser läuft nicht ab und ich muß alles vom Fußboden abwischen und aus dem Waschbecken schöpfen. Alles ist dabei: Haare, Gekotztes, Gespucktes, Altes, das sich von den Wänden der Rohre gelöst hat und mit Sicherheit seit Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hat.
      Die Abwasserleitung führt direkt neben meinem Waschbecken entlang und ist aus Kunststoff. Ich säge ein Stück Rohr heraus. Ungefähr einen Meter lang. Dann hänge ich einen Eimer unter die Leitung und sage in den anderen Wohnungen über mir Bescheid, dass ab sofort nur noch wenig Wasser benutzt wird. Wenn nicht drohe ich damit, den Eimer in der jeweiligen Wohnung auszuschütten. Sie gehen alle sehr sparsam mit Wasser um und ich kann raten wozu das Wasser benutzt wurde. Einmal gabs Spagetti, meistens ist es Zähneputzwasser. Der Frost kommt mir zu Hilfe, jetzt sind auch die Zuleitungen eingefroren.

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      schrieb am 05.10.02 07:05:30
      Beitrag Nr. 6 ()
      Heines letzte Worte bevor er auf dem Sterbebett dahinschied waren: "Blumen....Blumen....".
      Während ich das Heizen mit Kohlen lerne, baue ich aus Balken und Brettern ein Bett. Es ist kalt und so lege ich, weil es kalt ist, viele Kohlen aufs Feuer. Nachts schwitze ich dann, weil der Kachelofen unheimlich träge ist und nur in Intervallen von drei Stunden reagiert. Diesen Fehler werde ich immer wieder begehen. Das Bett habe ich heute noch, wenn auch nicht in voller Höhe von damals zwei Metern sondern die Beine sind jetzt abgesägt. Unter meinem fertigen Hochbett baue ich Blumen an. Ich brauche Blumen wie die Luft zum atmen. Ich muß sehen, wie sie wachsen, muß sie riechen, muss wissen, dass sie da sind, nur um von mir angeschaut und gerochen zu werden. In Kästen baue ich alles an: Rosen, Primeln, Stiefmütterchen, Tulpen, Astern sogar Rhododendron und einige Frühblüher. Weil es zu dunkel in meinem Zimmer für meine Blumen ist, befestige ich eine Lampe unter meinem Bett. Neben meinen Blumen ist diese Lampe ein Segen. Sie ist heller als die Sonne und die Farbe ihres Lichts erinnert mich an die Farbe des Lichts, das aus dem Koffer in Pulp Fiction heraus scheint. Ich verfolge meine Blumen genau, weil mich fasziniert, was da passiert. Ich sehe, wie sie ihre kleinen Köpfchen aus der Erde herausstrecken, noch jung und zart aber doch schon seltsam kräftig, um sich dann in ihrer Schönheit voll zu entfalten. Nächtelang sitze ich bei meinen Blumen unter dem Licht der Lampe und sauge alles in mich ein: Licht, Wärme, Wachstum, Duft. Ich wachse mit ihnen, während es draußen schneit.
      Avatar
      schrieb am 05.10.02 07:42:21
      Beitrag Nr. 7 ()
      Nächtelang sitze ich bei meinen Blumen unter dem Licht der Lampe

      das kann sich auch nur ein Schauspieler erlauben, normale Leute müssen morgens raus zur Maloche
      Avatar
      schrieb am 05.10.02 09:43:25
      Beitrag Nr. 8 ()
      #7
      Immer das alte Lied.
      Auch Schauspieler und Künstler etc. sind normale Leute.
      Das ist ein Beruf wie jeder andere auch.
      Hat genausoviel Stress usw.
      Aber mit Deinem biederen Kleinhirn kannst Du das wahrscheinlich nicht verstehen und pflegst Deine Vorurteile.
      Ich wette du gehst bestimmt gerne ins Kino.
      Und was siehst Du da? Schauspieler.
      Avatar
      schrieb am 05.10.02 09:48:37
      Beitrag Nr. 9 ()
      ich geh nicht ins Kino.ist mir viel zu öde,ich geh in die Spielbank um zu zocken..außerdem bin ich selbst ein Schauspieler,genau wie du mit deinem Gesülze :D
      Avatar
      schrieb am 05.10.02 09:55:06
      Beitrag Nr. 10 ()
      Ich liebe Sülze!
      Avatar
      schrieb am 06.10.02 08:34:28
      Beitrag Nr. 11 ()
      Veilchen! Wie konnte ich nur meine Veilchen vergessen! Hoffentlich werden sie es mir verzeihen, meine lieben blauen, gelben, roten Veilchen, dass ich sie nicht neben all meinen anderen Lieblingen erwähnt habe. Als kein Wasser mehr aus den Leitungen lief, hatte ich natürlich ein Problem meine Blumen zu bewässern. Scheiß auf das ganze Waschen und Abwaschen, dachte ich bei mir. Das konnte ich auch vor oder nach den Vorstellungen in den Waschräumen und Klos erledigen. Seit geraumer Zeit benutzte ich ohnehin diese Anlagen zur körperlichen Erleichterung. Nur meine Blumen, die brauchten ihr Wasser. So holte ich den restlichen Eimer Spülwasser aus unserem Plumpsklo, das zum Nachschütten gedacht war. Es war ein einziger Eisblock und von oben bis unten zugefroren. In meinem Zimmer stellte ich es vor den heißen Ofen und so hatte ich für eine geraume Zeit wieder Wasser. Dann schmolz ich Schneewasser, aber heraus kam nur Dreck. Zwischenzeitlich war die gesamte Elektrizität des Hauses lahmgelegt, weil der Lüfter im Keller durchschmorte. Jetzt standen zwei kleinere an seinem unnützen Platz.
      Aber es war nicht nur die Farbenpracht, der Duft und die Schönheit, die mich am Wachsen meiner Blumen faszinierte. Als ich zusah, wie ihre Schönheit verdorrte, fühlte ich mich zu ihnen so hingezogen und verspürte ein so großes Verlangen nach ihrer Nähe, dass ich auf die Idee kam sie in mich aufzunehmen, so lange sie noch nicht vollkommen welk waren. Ich wollte, dass ihre Schönheit mir nicht nur durch Augen und Nase flutete, sondern sie sollte durch mich hindurch fließen, in meinem Blut zirkulieren, auf meiner Zunge zerschmelzen, von meinen Därmen zersetzt werden. So besessen war ich von der Schönheit meiner Blumen, dass ich wie in einem Anfall von wilder Raserei und so, als ob ich sie mit aller Macht vor dem Welktod bewahren, ja irgendwohin hinüberretten wollte, dass ich sie "erntete" und ihre lieblichen Blütenblätter kochte, briet, buk, garte, grillte, schmorte, zu feinen Soßen und Salaten verarbeitete und sie schließlich genüßlich in kleinen Festmahlen verspeiste. Ich spürte die Hingabe, die mir meinen Blumen bei all diesen Prozeduren entgegenbrachten. So, als ob sie mir sagen wollten: wir sind gar nicht zum Essen gedacht sondern bloß zum reinen Betrachten und Beriechen aber für dich machen wir eine Ausnahme und schmecken auch noch ausgezeichnet. Sie haben Wort gehalten und nichts in der Welt hat mir bisher besser geschmeckt. Die Dornen an den Stengeln der Rosen habe ich abgeschnitten, in eine Pfeife gesteckt und allesamt geraucht. Zwei Tage bin ich dann mit Blumen im Blut durch J. gewandelt.
      Avatar
      schrieb am 08.10.02 02:28:29
      Beitrag Nr. 12 ()
      [Viele Leser des sofa-forums werden keine Zeit haben hier zu lesen, weil sie mit wichtigeren Dingen beschäftigt sind. Das macht nichts. Auch sie wohnen irgendwo und ich wage einmal zu behaupten, dass alles was sie schreiben bzw. posten nur ein Abdruck ihrer Wohnumgebung ist. Kein Wunder also, dass das Wohnen selbst nur wenig thematisiert wird, obwohl es doch so ein wichtiges Thema ist. Oder nein, eigentlich könnte man sich auch ganz gehörig darüber wundern. Aber egal. Viele versuchen jedenfalls hier ihrer Langenweile zu entkommen, merken dabei aber nicht, dass sie nur solche verbreiten. Aber was will man auch schon von einer 2-Zimmer-Wohnung mit Golf GTI im Keller erwarten?]

      Ich fahre fort mit der Beschreibung meiner Wohnungen. Noch immer verharre ich bei der Beschreibung meiner ersten Wohnung in J. Obwohl ich, dass muss dazu gesagt werden, schon vor meinem Auslandsaufenthalt dort wohnte. Allerdings in einer Art unerwähnenswertem Hühner-KZ. Nicht dass ich selbst ein Huhn wäre, aber ich kann nicht ausschließen, dass ich zu einem geworden wäre, hätte ich weiterhin dort gewohnt.

      Eines Nachts, als ich auf meinem Hochbett wiedereinmal wegen der von mir produzierten Hitze nicht schlafen konnte, passierte mir etwas sehr merkwürdiges. Die unendliche Vielfalt meiner Beschäftigungen führte mich am Abend zuvor auf das mir fremde Gebiet der Physik, genauer gesagt, zu einem gewissen Herrn Boltzmann. Obwohl ich eigentlich eine Menge Texte zu lernen hatte, konnte ich nicht von der Materie ablassen und verschlang jede Information wie im Fieber. Herr Boltzmann ist, so habe ich mir im Nachhinein sagen lassen, noch immer eine wissenschaftliche Persönlichkeit höchsten Ranges. Seine Erkenntnisse ließen mich nicht schlafen und bescherten mir den seltsamsten Zustand eines Nichtwissens, den ich bisher nicht kannte. Jemand mußte mir meinen Arm oder meine Hand abgehackt haben, denn ich konnte sie nicht mehr bewegen. Sicher, wenn ich gewollt hätte, hätte ich sie bewegen können, aber ich wusste nicht, ob ich wollte. Zutiefst bestürzt über die Unkenntnis meines eigenen Körpers, vertiefte ich mich in das vorliegende Problem, versuchte sachlich zu bleiben und die Situation zu analysieren. Zum einen gab es da meine Hand und ich musste irgendwie auf die Idee gekommen sein, sie von da wegzubewegen, wo sie sich gerade befand. Meine Bestürzung nahm zu, denn eigentlich, so konnte ich mich ziemlich gut erinnern, war es mir bzw. meiner Hand zu warm unter dem Kopfkissen. Warum wollte meine Hand sich nicht von da wegbewegen? War es ihr etwa dort nicht zu warm? Seit wann übernehmen meine Hände anstehende Entscheidungen für mich? Entwickeln jetzt vielleicht noch mehr Organe von mir ein Eigenleben und wollen Dinge für sich entscheiden? Möchte demnächst vielleicht mein linker Fuß lieber da bleiben wo er ist, anstatt dort mit hinzugehen, wo ich das für richtig halte? Soll ich vielleicht anfangen mit meiner Hand zu sprechen, sie eventuell höflich bitten, ob sie nicht lieber von da verschwinden möge, wo sie sich befindet, weil es mir - ihrem Besitzer - dort zu heiß ist?
      Da lag nun meine Hand immer noch, wo sie war und ich merkte, wie sie sich ein bisschen schuldig fühlte, weil sie mir nicht gehorchte und ich ihr meine gesamte Aufmerksamkeit zugewandt hatte. Kleinlaut kam sie unter dem Kopfkissen hervor und wenn sie einen Mund und eine Zunge gehabt hätte, sicherlich hätte sie einige Worte der Entschuldigung gestammelt. Aber so weit kommts noch!, dachte ich bei mir, dass sich meine eigene Hand bei mir entschuldigt!
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      schrieb am 09.10.02 05:52:49
      Beitrag Nr. 13 ()
      Es gibt Kohlen, weil die Kohlen im Keller alle geworden sind. Wir kaufen sie jetzt, im Winter, da haben sie das höchste Preisniveau. Mit ihrem schwarz verschmierten Gesicht gefällt mir die Blonde richtig. Ein Anblick, an den ich mich gewöhnen könnte. Ich sage ihr natürlich nicht, dass sie mir ausnahmsweise gefällt. Schon gar nicht, weil sie gerade mit dem Hereinschaufeln der Kohlen fertig geworden ist, als ich von irgendwo her wiederkomme. Aus ihrem Mund keift sie giftige Worte, die mich wie Pfeile treffen wollen. Doch ich bleibe ernst und fange nicht an zu lachen.
      Obwohl mich ganz andere Dinge beschäftigen schafft sie es später doch noch, mich sauer zu machen, so dass ich ausraste. Wahrscheinlich habe ich ihr die Situation nicht ernst genug genommen. Weil mir die Alte dermaßen auf den Sack geht, bombardiere ich sie mit der Logik ihres eigenen Verhaltens. Ich wette sie hat sich extra mit dem Schaufeln der Kohlen beeilt, damit sie mich hinterher zur Rede stellen kann, warum ich ihr nicht geholfen habe. Das ist so ein giftiges Miststück. Ich verstehe ihr Theater nicht. Warum hat sie nicht vorher Bescheid gegeben? Soll ich vielleicht riechen, dass Kohlen kommen? Ein Glück reist sie morgen wieder irgendwohin ab. Wenn sie nicht da ist, ist es richtig schön in der Wohnung.
      Dann lerne ich eine andere Schauspielerin kennen. Sie wohnt in E. und ist schlank wie eine Gerte. Auf Anhieb mag sie meine Blumen, die ich neu ausgesät habe und wir lernen zusammen Texte, obwohl wir nicht zusammen auftreten. Ihre Stimme berührt mich im Mark und als wir später in L. für ein paar Monate zusammen wohnen und auftreten werden, lerne ich auch die Abgründe meiner eigenen Stimme kennen, dass es mich nur so schaudert. Im Frühjahr ziehe ich bei der Hexe aus. Ich habe die Schnauze voll und es bietet sich eine viel bessere Möglichkeit in J. zu wohnen. Die Eigenwilligkeit meiner Hand beschäftigt mich immer noch.
      Avatar
      schrieb am 12.10.02 23:15:52
      Beitrag Nr. 14 ()
      Das Haus in das ich einziehen werde, ist groß. Auch die Wohungen darin sind groß, die Zimmer hoch und weit und was das Beste ist: sie sind hell. Die Flure sind so riesig, dass man darin bequem Fußballspielen oder Radfahren kann. Beides wird gemacht, weil die Wohnungen von Schauspielern bewohnt werden. Noch nicht alle, aber bald. Drei Etagen besitzt dieses Haus. Auch hier wieder Kohleheizungen, d.h Öfen, und eine abgebröckelte Fassade. Noch ist nur die mittlere Etage von sieben Schauspielern bewohnt, die darin bequem Platz finden. Ich treibe mich öfters dort herum, weil in der Küche immer was los ist, auch wenn die Zustände absolut chaotisch sind. Irgendjemand feiert irgendwas, irgendjemand ist zu Besuch, immer sind Leute da. Eine junge Schauspielerin kenne ich genauer. Sie ist dort eingezogen, nachdem wir am selben Theater aber in unterschiedlichen Stücken aufgetreten sind. Oft habe ich bei ihr schon übernachtet.
      Jetzt wird die Wohnung im Erdgeschoß frei und ich ziehe ins Schlafzimmer der Rechtsanwaltsfamilie, die vorher dort gewohnt hat. Die ganze Bude stinkt nach Krankenhaus und überall verstreut liegen Binden in meinem neuen Zimmer umher. Weiß der Geier, was die damit gemacht haben. Überhaupt sehr dubios diese Familie. Der 40jährige Sohn hat noch immer bei seiner Mutter gewohnt und mir kommt es langsam so vor, als hätten die beiden auch zusammen in diesem Zimmer genächtigt. Scheiß drauf. Das große Bett, was noch im Raum steht wird kleingehackt und zu Brennholz gemacht.
      Die Wände meines neuen Zimmers sind weiß und mit einer ekligen Relieftapete beklebt. Mir macht es riesigen Spaß mit einer Sprühdose in roter Farbe und riesigen Buchstaben den Spruch "Brett Allen is innocent" an die größte Wand so zu sprühen, dass die Farbe an den einzelnen Buchstaben herunterläuft und alles so aussieht, als wäre es mit Blut geschrieben. Den Spruch habe ich vorher irgendwo aufgeschnappt. Ich werde zukünftig in jedem Zimmer in dem ich wohne solche überdimensionalen Sprüche an die Wände malen, weil es mir Spaß macht später darüber nachzudenken, warum mir das so wichtig war.
      Noch ist kein Ofen in meinem Zimmer, also hacke ich ein Loch in die Wand, wo sich ein Schornstein befinden muss und zum Glück findet sich ein malerischer Kachelofen an, der groß genug ist, meinen Raum zu beheizen. Aber jetzt ist ohnehin erst mal Frühling!
      Ich stelle mein Hochbett mitten ins Zimmer, nur mit dem Kopfende an der Wand gegenüber dem Spruch festgemacht. Am liebsten hätte ich es mitten in den freien Raum gestellt, aber dann hätte es zu wenig Halt gehabt. Obwohl mein Bett zwei Meter hoch ist, kann ich mich daraufstellen ohne mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Und ich bin kein Lilliput! Als ich mich das erste Mal darauf schlafen lege, gähnt neben mir die Tiefe und ich fühle mich wie ein toter Indianerhäuptling, der irgendwo hoch in den Bäumen auf einer Bahre zum Verrotten bestattet wurde. Ich schlafe herrlich. Es gibt so viele Zimmer in dieser Wohnung, dass sich sogar ein klitzekleiner Raum für meine Blumen findet, ohne die ich nicht leben kann.
      Jetzt wird es abgedreht! Einer der Schauspieler, und zwar der, der im größten Raum mit Anschluß an eine Art Terasse wohnt, hat soviel Platz, dass bequem ein Billiardtisch hineinpasst. Ab jetzt wird zu jeder Tages- und Nachtzeit gespielt. Im Sommer wird es ein Turnier mit der mittleren Etage geben und zum ersten Mal werden Partys veranstaltet, die sich im Haus über zwei Etagen erstrecken. Aber auch ohne veranstaltete Partys, zu denen weit über zweihundert Menschen kommen, mehrere Live-bands aufspielen und bereits bis Mitternacht über fünfzig Kisten Bier weggetrunken sind, ist immer was los. Entweder wird Billiard gespielt oder in einer der beiden Küchen bis in die Morgenstunden oder über Tage hinweg philosophiert, politisiert, psychologisiert, Texte geprobt oder einfach nur spontan geschauspielert.
      Der Familie in der dritten Etage wird es zuviel. Das Verhältnis war ohnehin immer sehr angespannt...
      Avatar
      schrieb am 15.10.02 12:55:04
      Beitrag Nr. 15 ()
      Fazit: Ich wohne mit Chaoten zusammen und werde langsam selber einer. Weil ich das so will. Weil mir das Spass macht. Wir sind so ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Chaoten, dass er sich jeder Beschreibung entzieht. Am schlimmsten sind die, die schon immer da wohnen.
      Am Haus selbst grenzt ein größeres Grunstück an, das ungenutzt ist und in früheren Zeiten ein Abstellplatz für irgendeine Baufirma war. Ziemlich ungewöhnlich für ein Wohnhaus so nah am Zentrum. Im Sommer wird da Tischtennis gespielt, Basketball, Federball, Lagerfeuer werden entzündet, Bands treten auf bis dämliche Bullen vorbeikommen und sich über die Lautstärke aufregen, weil sich Anwohner aufgeregt haben, obwohl wir alle eingeladen bzw. die Aktion angekündigt haben.
      Ich lasse mir einen Vollbart wachsen, meine Haare lasse ich mir schon seit zwei Jahren nicht mehr schneiden und binde sie zu einem Zopf zusammen. Auf dem Grundstück sammeln sich nach und nach allerhand Schrottautos an. Ein Ford Transit, ein Ford Granada, ein alter Wartburg, ein Volvo, ein englischer Campingbus, unzählige Opels und alte Passats. Wenn wir gezwungen werden aus dem Haus auszuziehen, werden es über 14 sein. Einer der Chaoten - für ihn ist die Bezeichnung Chaot noch viel zu harmlos - glaubt jedesmal ein Schnäppchen zu machen, wenn er die Kisten kauft. Er hat keine Ahnung von Autotechnik und fährt die Dinger so lange, bis sie irgendwann stehen bleiben. Der Autochaot lebt tatsächlich in dem Wahn ein kleines Vermögen auf dem freien
      Grundstück angesammelt zu haben. An jedem Auto ist ja nur wenig zu tun, damit es wieder läuft. In Wahrheit türmt sich für ihn ein riesiger Schuldenberg auf. Außerdem schlägt bei jedem Sperrmüll, der in J. veranstaltet wird, seine Sammler- und Antiquitätsader durch und er verfrachtet ungezählte Singer-Nähmaschinen und Röhrenradios in einem seiner Autos, das er gerade fährt in die Räume des Dachbodens und in die Kellerräume. Mittlerweile ist alles vollgestopft mit dem Krempel. Auch hier vermutet er sich unheimlich vermögend. Er weiß nicht, dass es einfach nur Schrott ist, was er sammelt.
      Das Haus liegt an einer vielbefahrenen Straße und direkt an einer Bahnlinie. Einer der drei Bahnhöfe von J. liegt so nah, dass man jedesmal das bis ins Mark gehende Quietschen der Bremsen der regionalen Züge hört, nachdem sie eingefahren sind.
      Noch wohne ich im Erdgeschoß und noch wohnt im 3.Stock die Familie, die so viele Kinder hat, dass man sie gar nicht zählen kann. Ich erlebe eine wunderbare Zeit mit der Gerte, die sich so graziös im Leben biegt, dass ich vor dem Wunder ihrer Existenz jedesmal vergesse meinen Mund zu schließen, wenn ich sie anstaunen muss. Sie durchstömt mich mit Glück und so viel Zuversicht in mich selbst, dass ich es kaum ertragen kann. Wir besuchen uns gegenseitig so oft es geht, ich fahre mit dem Auto nach E. oder sie kommt mit dem Zug nach J. Ich breite auf dem Fußboden meines Zimmers eine überdimensionale Matraze aus, weil sie Angst hat in der luftigen Höhe meines Hochbetts zu schlafen. Wenn sie nicht da ist, schlafe ich auf dem blanken Holz, weil ich meine Schlafstatt so unbequem wie möglich machen möchte. Jede Minute ohne sie im Bett ist vertane Zeit für mich. Dieser Frühling ist einfach unbeschreiblich und ich wachse und blühe mit all den grünen und bunten Pflanzen draußen in der Natur. Wenn wir eng umschlungen zusammen die anbrechenden Tage erleben, verstehe ich den Gesang der Vögel besser, als ich je das Geplapper der Menschen verstanden habe.
      Zum ersten mal aber denke ich, was ich einen `werdenden Gedanken` nenne. Ich weiß, dass ich mich von ihr trennen werde. Und das nur, weil ich daran denke! Was mir zu diesem Zeitpunkt auch vollkommen bewusst ist und meinen Empfindungen die seltsamsten Krämpfe beschert und mein Körper sich unter der Tragik windet. Sie bemerkt, was ich fühle, doch ich kann zu ihr nicht darüber sprechen, weil ich das Gefühl habe, den ganzen Prozeß damit nur noch zu beschleunigen, was ich überhaupt nicht will. Wahrscheinlich ahnt sie jedoch alles.
      Avatar
      schrieb am 16.10.02 12:34:40
      Beitrag Nr. 16 ()
      Jetzt ist die Assi-Familie aus dem dritten Stock ausgezogen. Der Grund: Mietschulden ohne Ende. Offenbar war der arbeitslose Alki nicht in der Lage Kindergeld oder Wohngeld zu beantragen. Sie hätten davon leben können, wie die Fürsten. Vielleicht ist ihnen das Haus auch ein bisschen zu `strange` geworden. Als wir gerade - mittlerweile ist es Sommer geworden - zu einer 3-Tages-Party ansetzen, verlässt die ganze Bande fluchtartig mit Einkaufstüten bepackt das Haus Richtung Straßenbahnhaltestelle. Am Tag vorher haben sie ihr ganzes armseliges Hab und Gut auf einen kleinen Laster geladen. Sehr zugänglich waren sie nicht, besonders der Alte hat im Suff immer ziemlich rumgesponnen und rumgeschrien, dass es nur so gepoltert und gekracht hat.
      Die Assis sitzen wahrscheinlich noch mit ihren Taschen in der Straßenbahn, als wir, weil wir nicht darauf warten können die Wohnung zu sehen, die Eingangstür im dritten Stock aufbrechen.
      Obwohl es stinkt wie die Pest erlebe ich diesen Moment sehr feierlich. Vor uns erstrecken sich vollkommen unbewohnte 140 Quadratmeter! Und obschon der Geruch unerträglich ist, weiß ich: hier werde ich wohnen! Der Balkon ist erste Sahne, auch wenn er wackelt, wenn man auf ihm steht und er wahrscheinlich baufällig ist. Im Erdgeschoß gibt es nur eine Treasse, im zweiten Stock ist der Balkon bis auf wenige Reste abgefallen, aber hier! - hier gibt es einen richtigen Balkon in Höhe der Bäume, die mit ihren beblätterten Kronen das Dach des Hauses küssen wollen. Die Sonne scheint auf die Böden der Zimmer und am liebsten wollte ich sofort mit der schlanken Gerte zwei Zimmer bewohnen, die nur durch eine Glastür voneinander getrennt sind. Jetzt gefällt mir sogar der Geruch! Das Verlangen, mich auf einen der Fußböden in die Sonne zu legen und mich dort auszustrecken ist stark. Es ist nicht zu glauben! - Diese Wohnung ist die hellste von allen!
      Meine Euphorie legt sich nur langsam und ich spüre, dass auch die anderen Schauspieler in euphorischen und träumerischen Stimmungen sind. Ohne Euphorie sieht man jedoch, dass alles nur verspeckt und verdreckt ist. Es ist nicht zu fassen, wie man mit einem solchen Geruch nur leben kann! Der Mensch kann sich wirklich an alles gewöhnen, am seltsamsten vermutlich ist das mit den Gerüchen. Jede Ritze und jede Ecke dampft und atmet einen langen Aufenthalt in der Abgeschiedenheit. Ich habe Probleme mir vorzustellen, dass bis vor kurzem hier Menschen gewohnt haben sollen. Ein paar dämliche Aufkleber an den Fenstern zeugen hier und da jedoch davon. Fenster! Ja macht die Fenster auf, bevor wir hier alle ersticken! Eine warme sommerliche Frische erfüllt die Räume, die Wohnung beginnt zu atmen! Der abgestandene Geruch verfliegt und auch die Gedanken beginnen erneut zu fliegen. Es lässt sich hervorragend fantasieren, Pläne werden gemacht, Verwertbares eingeschätzt und aufgeteilt. Man glaubt es nicht, aber die Wohnung verfügt über eine Zentralheizung und zwei Bäder. Ich habe zwar selten etwas dämlicheres gesehen, aber wenn es funktioniert, warum auch nicht. In der Küche steht ein Ofen, von dem aus man die ganze Etage beheizen kann. Eine kleine Pumpe versorgt dann jeden Raum, der über einen Heizkörper verfügt mit warmem Wasser natürlich nur, wenn der Ofen brennt. Dass im Winter der Ofen raucht und die ganze Asche durch die Küche fliegt, wissen wir noch nicht, denn es ist Gott sei dank Sommer.
      Wir schließen die Wohnungstür wieder zu und stellen erfreut fest, dass sie keinen Schaden genommen hat, als eine andere Schauspielerin uns im Treppenhaus mit dem passenden Schlüssel entgegekommt. Die Assis haben ihn ordnungsgemäß bei ihr abgegeben. Was solls. Jetzt wird erstmal gefeiert!
      Avatar
      schrieb am 16.10.02 13:18:49
      Beitrag Nr. 17 ()
      Ein Haus zu bauen liegt in der Natur des Menschen.





      Miete zahlen nicht.




      :D

      g4
      Avatar
      schrieb am 16.10.02 13:26:57
      Beitrag Nr. 18 ()
      :D
      Avatar
      schrieb am 19.10.02 19:11:46
      Beitrag Nr. 19 ()
      Das gab es bisher noch nicht. Die drei Tage am Stück waren aufreibend und intensiv. Noch immer schlafen draußen am Lagerfeuer ein paar Punker die von irgendwoher angereist sind. Beide Wohnungen sind ein einziger Saustall, denn niemand hat sich ums Aufräumen bemüht, weil alle gefeiert haben. Überall klebt es, überall liegen Essensreste, irgendwelche schlafenden Menschen oder engumschlungene Pärchen herum, leere Bierdosen, Bierflaschen, Weinflaschen, Schnapsflaschen, Zigarettenkippen wohin man schaut. Du wirst von Menschen angesprochen, die dich begrüßen, als hättest du jahrelang mit ihnen in irgendeiner abgeschiedenen Bergwelt Schweine gehütet, doch du kennst sie nicht und siehst sie zum ersten Mal. Dementsprechend tiefgründig müssen die Gespräche gewesen sein. Der Schlaf und die Ermattung sitzt allen in den Gliedern. Am liebsten würde jeder schlafen gehen doch die Zimmer wurden allesamt mitbenutzt und obwohl die Müdigkeit groß ist, will keiner in dem Dreck schlafen. Das heißt also: erst aufräumen. Noch bevor das gemeinschaftliche Aufräumen los geht, ist allen klar: nicht noch einmal! Ein Tag reicht. Danke!
      Irgendein Drummer von irgendeiner Band, der irgendein Mädchen kennt, die auch in dem Haus wohnt, hat dringend eine Bleibe gesucht und wohnt mittlerweile schon in der Wohnung im dritten Stock. Er ist Totalverweigerer, d.h. er drückt sich sogar vor dem Zivildienst und will nicht gefunden werden. Er spielt alle möglichen Instrumente und wird später mal mit seiner Band Filmmusik machen. Mich kotzt sein gezwungenes und doch selbstgefälliges Grinsen an. Am schlimmsten ist für mich aber, dass mir die Musik seiner Band gefällt, obwohl er mir unsympatisch ist.
      Ruck Zuck sind die Zimmer der Wohnung im dritten Stock aufgeteilt. Der Grinser wird rausgeschmissen. Der Chaot mit dem Billiardtisch in seinem Zimmer nimmt es persönlich, dass ich aus dem Erdgeschoß, d.h. aus seiner Wohnung, ausziehen will. Aber er nimmt ohnehin alles persönlich, weil er verkappter Christ ist. Seine Eltern haben vor seiner Geburt fünf Jahre für ihn gebetet. Dass mit dem was nicht stimmt, merkt jeder auf dreißig Schritt Entfernung. Ich packe also meine sieben Sachen und verfrachte alles zwei Stockwerke höher. Jetzt können neue Chaoten nachrücken und meinen Platz einnehmen. Ich räume mein neues Zimmer nicht ein, sondern stelle den Krempel einfach ab. Er wird dort drei Monate so stehen bleiben. Das Zimmer ist jetzt viel kleiner, genauso wie meine Miete. Ansonsten wird hier das normale Gesindel wohnen: Musiker, Maler und Schauspieler in einem ausgewogenen geschlechtlichen Verhältnis. Die nächste Zeit werde ich nicht in J. sein sondern habe Vorstellungen in L. zu denen meine liebliche Gerte hinzustoßen wird.
      Nicht, dass es uns nach L. zieht, aber wir brauchen beide das Geld.
      Avatar
      schrieb am 21.10.02 19:07:25
      Beitrag Nr. 20 ()
      Meine erste Wohnung in L. war seit Jahren unbewohnt. Zusammen mit einem anderen Schauspieler, der auch heute noch in L. wohnt, so wie ich auch, machen wir sie bewohnbar. Wir beide haben nur Nebenrollen und er spielt lustigerweise in unserem Stück einen Gärtner, der gleichzeitig auch der Mörder ist. Wir spielen jeden Scheiß, wenn wir nur Geld dafür bekommen, ich jedenfalls. Das Haus mit seinen sechs Geschossen ist bis auf die Wohnung im Erdgeschoss unbewohnt. Wir bezahlen keine Miete, weil wir die einzigen Bewohner kennen. Dort gehen wir auch nach unseren anstrengenden Vorstellungen duschen. Die Straße, in der wir wohnen ist voll von solchen Häusern. Die Fassaden sind vollkommen im Eimer, lassen aber erahnen, dass sie mal sehr schön gewesen sind. Aufwendige Verzierungen sind abgebröckelt, das Mauerwerk liegt teilweise brach. Unser Treppenflur ist auffallend geräumig und die Treppe selber ist mit einem wunderschönen Treppengeländer aus gedrechseltem Holz eingefasst. In unserer Wohnung gibt es sogar Strom und fließendes Wasser. Wir können es nicht fassen, als wir sogar einen funktionierenden Staubsauger in einem der Zimmer finden und benutzen ihn gleich, um auch den feineren Dreck zu beseitigen. Die Wohnung sieht nicht schlimm aus und nach ein bis zwei Stunden können wir uns schon wohl fühlen. Anfangs hatten wir vor, auch die Küche mitzubenutzen. Als wir uns aber daran machen, den Wasserhahn über der Spüle aufzudrehen müssen wir feststellen, dass das Becken keinen Abfluss besitzt, sondern alles Wasser in ein darunter befindliches Gefäß fließen muss, das sich in einem verschlossenem Schrank befindet. Ich öffne den Schrank, dessen Tür sich nur schwer bewegen lässt, weil sie verklemmt ist. Ich bin noch mit dem Öffnen der Tür beschäftigt, als sich der Mörder schon würgend aus dem Staub macht. Jetzt habe ich endlich die Tür geöffnet und sehe vor mir einen Eimer. Über ihm sehe ich das Rohr des Abflusses, aus dem langsam restliches Wasser nach unten in den Eimer tropft, als auch mir zuerst schlecht und dann schwindlig wird. Ich sehe noch, wie sich ein Tropfen vom Abflussrohr löst und in den Eimer tropfen will....

      Keiner will den Eimer in der Küche wegräumen. Eigentlich dachte ich, dass Wasser verdunsten würde und nicht jahrelang in irgendwelchen Eimern fernab jeglicher Zivilisation verschimmeln könnte. Der Mörder ist aufs Klo gegegangen und hat gekotzt. Ich habe mich rückwärts laufend und geistesgegenwärtig aus triebhafter Selbsterhaltung auf allen vieren wie ein Krebs aus der Küche retten können. Anblick und Geruch dieses Eimers bieten allen Sinnen ein wahrhaftes Grauen, vor dem man sich so schnell wie möglich retten möchte. Wir beratschlagen vor verschlossener Küchentür: der Eimer muss weg! Mit so einem Elend kann man sich nicht die Wohnung teilen, auch wenn es nur für wenige Wochen sein wird. Nach langem Abwägen und Diskutieren sind wir so weit und haben eine Strategie gefunden, nach der wir handeln können, ohne uns dabei zu zerstören. Wie ein Polizeikommando stürmen wir die Küche. Der Mörder reißt das Fenster auf, um dem Ungeheuer mit frischer Luft paroli zu bieten. Beide halten wir die Luft an. Ich habe meine Augen nur einen Spalt weit geöffnet, damit ich nur die Konturen erkennen kann und nicht dem vollen Ausmaß des Grauens entgegenblicken muss. Mit einem Handschuh bewaffnet schnappe ich mir das Gerät und trage es in Bruchteilen von Sekunden aus der Wohnung heraus. Draußen angekommen stelle ich es ab, weil mir schon wieder ganz schwindlig geworden ist. Und das, obwohl ich weder seinen Gestank eingeatmet habe, noch mir das Übel genauer angesehen habe. Meine Neugier hat sich dennoch ein Bild von den Konturen gemacht und hat es sich nicht nehmen lassen, durch meine Augen zu spähen. Jetzt ist der Gärtner dran. Er hat das Ding noch nicht einmal angefasst und muss es jetzt zum Klo tragen, das sich gottlob im Treppenflur befindet. Ich höre ihn schon wieder kotzen, als er versucht den Brei wegzuschütten. Als es ihm nicht richtig gelingen will, landet der Eimer in hohem Bogen aus dem Fenster des Treppenhauses. Vermutlich liegt er jetzt noch in dem von wilden Bäumen und Sträuchern verwachsenen Garten hinter dem Haus, der zu einer stillgelegten Fabrik gehört.
      Wir betäuben unsere Sinne mit Büchsenbier, denn die Aktion war nervenzehrender als jeder Auftritt, den wir zusammen hatten. Zum Glück ist schönes Wetter draußen und es ist warm. Aus einer Steckdose kommender Strom versorgt unser altes Radio. Es spielt daraufhin irgendeine Musik.
      Avatar
      schrieb am 23.10.02 05:34:43
      Beitrag Nr. 21 ()
      Dann endlich ist es soweit. Ich wohne mit der Gerte zusammen. Wir haben einen Balkon und ganz L. liegt uns zu Füßen. Unser Zimmer ist leer. Es befindet sich nur eine Matraze darin, die vollkommen im Zentrum des Raums liegt, dauernd mit uns darauf. Wenn uns danach ist, steigen wir durch unser Fenster auf den Balkon oder sitzen einfach auf der Fensterbank in der Sonne. Wir dringen ununterbrochen in uns ein, ich in sie und sie in mich. Tagelang, wochenlang, und es wird immer intensiver! Wir schauspielern ganz nebenbei mit großem Erfolg. Aber unsere Gespräche machen mir langsam Anxt. Es ist, als ob wir uns etwas zuwerfen, einen Ball vielleicht. Als ich einmal nicht mehr weiß, was ich sage, mich aber dennoch mit ihr unterhalte, wird mir alles zuviel. Ein Wunder, dass mir das überhaupt aufgefallen ist! Später weiß ich: Ein weiterer Moment unserer Trennung war gekommen, so wie noch viele weitere kommen sollten.
      Avatar
      schrieb am 24.10.02 16:16:09
      Beitrag Nr. 22 ()
      Der Sommer in L. vergeht. Die Vorstellungen waren gut und wir haben genug Geld verdient. Als ich zurück nach J. komme, ist in unserer Wohnung der Strom abgestellt. Aus den unteren Etagen werden Verlängerungskabel nach oben gelegt, um der Situation Abhilfe zu schaffen. Die ganze Wohnung ist mit Kerzen erleuchtet. Ich habe wichtige Auftritte in J., während meine Gerte nach B. gegangen ist.
      Ich habe Zeit und stöbere ein wenig in dem Haus herum, auf dem Dachboden, im Keller. Teilweise liegen dort Dinge umher, die seit 1920 kein Mensch angefasst hat. Privates, Briefe, Belangloses. Im Keller gibt es einen Raum, der seit langer Zeit verschlossen ist. Das Klima ist feucht, weil seit dem letzten Hochwasser von vor drei Jahren hier unten nichts getrocknet ist. Meine Neugier treibt mich und ich öffne das verrostete Schloss mit einem kräftigen Ruck. Es ist vollkommen dunkel in dem schmalen Raum und es riecht abgestanden. Mit einem Feuerzeug mache ich mir Licht und stelle mit Erstaunen fest, dass hier unten Mücken leben!! Was zum Geier sind das für Mücken, die hier unten leben!! Der Raum ist seit Jahren verschlossen, ein Fenster gibt es nicht - was machen also diese Mücken hier? Die Sache ist mir unheimlich. Auf keinen Fall will ich, dass mich diese Viecher stechen. In dem schwachen Schein des Feuerzeugs erkenne ich ein schief hängendes Holzkreuz. Ein Wunder, dass es nicht herunterfällt, so schief wie es da nur auf einem Nagel aufliegt. Auf dem Boden stehen Kisten mit alten Flaschen darin, die vollkommen verdreckt und versandet sind. Die Flaschen sind so alt, dass nicht mal ihre Form mir bekannt ist. Ich weiß nicht, wie es riecht, auf jeden Fall nicht gut. Und dann diese verdammten Mücken! Ich verbrenne mir meine Finger an dem glühend heiß gewordenen Feuerzeug und werfe es im Affekt weg. Vor lauter Schmerz schicke ich noch einen Fluch hinther. Jetzt ist es absolut dunkel und ich stehe mitten in diesem Raum. Ich muss aufpassen, dass ich nicht hinfalle, als ich den Weg zu dem dünnen Lichtspalt suche, der mir die Tür anzeigt. Der Boden ist immer noch schlammig und rutschig und eklig. Ihh jetzt fliegen mir die Viecher auch noch mitten vor meiner Fresse umher, in meinen Mund, in meine Augen, in meine Ohren - haut bloß ab! Ich wedle wie wild mit meinen Armen in der Gegend umher. Ich bin an der Grenze zu einer Panik, auch dadurch hervorgerufen, dass ich das Gefühl habe, mich auf dem schmierigen Schlamm nicht von der Stelle bewegen zu können. Ich laufe und rutsche und laufe und rutsche...

      Auf dem Dachboden gibt es auch eine verschlossene Kammer! Hier gibt es sogar einen Schlüssel und als ich die Kammer betrete, weiß ich, dass ich in ihr wohnen werde. Die Fenster sind klein, fast zu klein. Es gibt eine winzige Dachluke, aus der gerade so mein Kopf herauslugen kann, wenn ich mich auf einen Stuhl stelle. Das andere Fenster ist genauso klein und liegt knapp über dem Fußboden. Aus ihm kann ich die Straße und die Eisenbahnlinie einsehen. Mein pitoresker Kachelofen aus der Erdgeschoß wird hoch geschleppt, und das Spiel beginnt von vorn: Loch in den Kamin schlagen und hoffen, dass genügend Zug vorhanden ist, der ein Feuer zum Brennen bringt. Es klappt. Jetzt kann es Winter werden. Schöne helle Farben an die Wand gemalt und den ganzen Wohnkram aus meinem ohnehin unbewohnten Zimmer aus der dritten Etage noch ein Stockwerk höher verfrachtet - direkt unters Dach. Mein Hochbett ist für die Kammer zu groß, deshalb säge ich die Beine ab und stelle es direkt unter die kleine Dachluke, dass ich aus ihr heraussehen kann, wenn ich vor dem Einschlafen bin. Das andere Fenster deutet genau nach Osten, so dass ich jeden Morgen den Sonnenaufgang sehen kann. Hier oben wohne ich bis auf Strom und Wasser praktisch kostenlos. Einziges Manko: direkt unter mir wohnt ein Blues-Gitarrist, der mir mit seinem Geklimper und Gezupfe auf die Nerven geht. Es ist nicht laut, aber wenn ich keine Musik laufen habe, höre ich ihn, wenn er spielt. Er übt immer das gleiche Stück und ich wundere mich, dass ihm das nicht genauso zum Hals raushängen soll, wie mir.
      Pikanterweise hat er dem Gärtner ein Mädchen ausgespannt, bzw. sie hat sich von dem Blueser ausspannen lassen. Das Mädchen hat echte Probleme und ihr Wesen entspricht dem, das man bestenfalls einer veränderlichen Fratze zuschreiben würde. Als der Gärtner und die Fratze mich in J. besuchen - beide sind zusammen in L. geblieben, wo sie sich auch kennen gelernt hatten - bleibt sie kurzerhand in J. und wohnt ab sofort unter mir mit dem Klimpermann zusammen. Wie soll ich ihr nur klar machen, dass ich nichts von ihr will? Als sie in meinem neuen Dach-Zimmer ihren jungen und durchaus sehr ansehnlichen Körper vor mir entkleidet um zu masturbieren, sehe ich ihr gelassen zu und sage ihr mitten ins Gesicht, dass sie es nicht schafft, sich zum Höhepunkt zu bringen, wenn ich ihr dabei in die Augen sehe. Sie hat wie immer die große Klappe und zieht sich danach kleinlaut wieder an. Eigentlich hätte ich sie viel lieber `große Klappe` nennen sollen, als Fratze. Sie hat kapiert und spart sich demnächst ihre verzerrten Gesichtsausdrücke mir gegenüber. Sie wird auch Schauspielerin und ihr zuliebe trete ich mit ihr sogar in ein paar Stücken nebenher auf.
      Dann wird ein Gerät angeschafft, das eine ganz neue Dynamik in unser Haus bringt....
      Avatar
      schrieb am 29.10.02 20:17:42
      Beitrag Nr. 23 ()
      Das Gerät ist der Renner. Es ist ein Spielgerät und funktioniert mit glänzenden Kugeln. Die Kugeln muß man schießen. Am besten trifft man mit ihnen blinkende und leuchtende Ziele. Geld erhält man nicht, nur Punkte. Der Autochaot wird süchtig, ich bin es schon. Auch der Klimpermann kann sich nicht zurückhalten und will unbedingt besser sein als ich. Es entstehen heiße Kämpfe, das Gerät ist praktisch immer in Benutzung, auch wenn es einen Höllenlärm macht, morgens, abends, nachts. Der Zufall ist das entscheidende Element bei dem ganzen Spiel und wie man ihm Herr werden kann. Man kann. Der Billardspinner sieht ein, dass er nicht mithalten kann und gibt sich notgedrungen dezent im Hintergrund.
      Avatar
      schrieb am 03.11.02 06:12:31
      Beitrag Nr. 24 ()
      Noch vor Weihnachten wird an der Vorderfront des Hauses ein Gerüst aufgestellt. Der Verkauf ist jetzt so gut wie sicher. In den letzten anderthalb Jahren und auch schon davor hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass nach einem Käufer gesucht wird. Jetzt ist es so weit und alle drei Etagen haben ein Kündigungsschreiben erhalten. Die Bahnlinie erhält ICE-anschluss, der 100m entfernt liegende Bahnhof wird ausgebaut und schlagartig verbessert sich der Wert der Immobilie. Unser Anwalt lacht, als er sich die Kündigungsschreiben durchliest. Er weiß, dass die Wohnungen groß sind und Abfindungen nach Quadratmeterpreisen bezahlt werden. Er schüttelt über die Vorgehensweise nur seinen Kopf und sagt, für wesentlich kleinere Wohnungen werden 20 000 Mark bezahlt. Ich habe noch nie einen bleicheren Menschen gesehen als der Verwalter es ist. Nicht nur, dass er kreidebleich ist, wenn er Architekten oder Gutachter durchs Haus führt. Nein, er schwitzt auch noch. Er sagt uns: mit dem neuen Käufer ist nicht zu spaßen. Wer der neue Käufer ist, sagt er nicht. Später stellt sich heraus, dass das Arschloch von Verwalter bei der Stasi war. Er hat einen schönen Wintergarten, einen großen bissigen Hund und fährt einen nagelneuen Jeep, der so groß wie ein Panzer ist und immer blitzeblank glänzt. Warum er die ganze Zeit kreidebleich ist und schwitzt, werden wir bald erfahren. Dann nämlich, als Pflastersteine durch die Fenster der ersten und zweiten Etage fliegen. Danach klettern Menschen auf das Gerüst und treten von den Scheiben ein, was die Steine übriggelassen haben. Einer der Russen wird gefangen. Er war der Letzte beim Herunterklettern. Die arme Sau wird ins Haus gezerrt und dort mit Fäusten bearbeitet, die von Köpfen gelenkt werden, die die Steine auf sich zufliegend gesehen haben.
      Avatar
      schrieb am 03.11.02 07:27:48
      Beitrag Nr. 25 ()
      Avatar
      schrieb am 03.11.02 20:28:27
      Beitrag Nr. 26 ()
      Die Russenschweine können natürlich nichts dazu. Irgendeine deutsche Drecksau wird ihnen ein bisschen Geld dafür gegeben haben. Vielleicht der, der nach dem Anschlag mit seinem fetten BMW vor unserem Haus auf- und abfährt, um zu nachzuschauen, wie groß der Schaden ist. Als die Bullen endlich kommen, verdrückt sich auch der weiße Kleinbus, der unweit unseres Hauses geparkt hat. Die Russen haben auf ihren Gefährten gewartet. So lerne ich das Recht des Stärkeren kennen, von dem ich bisher geglaubt hatte, dass es nur in der Natur existiert. Diese Aktion hat mir neue Gefühle geimpft: einen eiskalt geschüttelten Cocktail aus Wut, Empörung, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ohnmächtigkeit, Größenwahn und berechneter Niedertracht. Einer der Schauspieler - er nimmt heute nur noch Rollen als Regierungsinspektor an - geht mit auf die Polizeistation um dort eine Zeugenaussage zu machen. Der Russe wird mitgenommen und verlässt das Gebäude noch vor ihm. Ein paar mal werden sie noch vereinzelt kommen und mit Steinen werfen und auch einen Kopf treffen. Diesmal wohl eher aus persönlicher Rache, denn die Aktionen sind zurückhaltend und tragen keine organisierte Handschrift.
      Jetzt grassiert die Angst im Haus, vor allem unter den Mädchen. Die Fenster im Erdgeschoß werden mit Spanplatten verschraubt. Wer sich im Haus bewegt, hat immer einen Stock oder irgendein anderes Schlaggerät zur Hand. Wie weit wird der Terror noch gehen? Werden sie so brutal sein und gewaltsam in unser Haus eindringen? Wenn das schmierige Stück Scheiße von Hausverwalter uns jetzt besucht, ist er nicht nur kreidebleich und schwitzt, er kann uns das obendrein alles gar nicht erklären. Dass der sich überhaupt noch in unser Haus traut und uns freche Angebote unterbreitet, wundert mich bis zum höchsten Erstaunen. Als sich dann ein neues Chaoskapitel des Autochaoten öffnet, wundert mich gar nichts mehr. Jahrelang standen die beiden in persönlichem Kontakt. Der Autochaot hat nicht nur eine ganze Menge Schrott auf dem Hof und überall im Haus stehen, sondern auch eine riesige Latte an Mietschulden. Unser Anwalt lacht immer noch und winkt ab als er das Angebot von 5000 Mark pro Wohnung liest. Wir lachen nicht, denn wir hatten die Russen im Haus. Er sagt, man müsse nur ein bisschen aushalten, dann kann niemand anfangen zu bauen. Klar muß das Haus saniert werden! Und klar ist auch, dass wir das nicht finanzieren können. Zuviele Versuche dahingehend haben nicht gefruchtet. Die Hausverwalterdrecksau fleht uns an, wir sollen um Himmelswillen das Angebot annehmen. Die Baufirma des Herrn Kluge würde auf keinen Fall mehr bezahlen wollen und sonst das Haus nicht kaufen. Naja, bei den kargen Gagen, die wir haben, käme das bisschen extra Geld schon gut gelegen. Mir geht da was ganz gewaltig gegen den Strich, als ich spüre, wie die Leute schon mental aus ihren Zimmern ausziehen. "Was seid ihr? Vieh, das die Köpfe einzieht, wenn irgendein Dahergelaufener mit der Peitsche knallt?" - möchte ich ihnen den lieben langen Tag zurufen.
      Aber ich finde mich damit ab und der Tag des Auszugs rückt näher.
      Avatar
      schrieb am 04.11.02 18:29:36
      Beitrag Nr. 27 ()
      Am großen Tag sind alle da. Aber so groß ist der Tag gar nicht. Der Kauf ist zu Stande gekommen. Herr Kluge mit Bodyguard, der Hausverwalter und ein paar Rechtsanwälte sind auch da. Alte Möbel fliegen aus den Fenstern, die Wohnungen müssen besenrein übergeben werden, was an sich schon ein Witz ist. Im Hof hinter dem Haus türmt sich ein riesiger Berg aus Stühlen, Sofas, Tischen, Betten und Hockern so hoch, dass man von ihm aus fast in die mittlere Etage steigen kann. Offenbar bin ich der einzige, der wütend darüber ist, dass wir den Scheiß auch noch in bereitgestellte Container verfrachten müssen. Mir geht der Hut hoch und ich besuche die Herren, die sich unter dem Dach aufhalten. Ich wünsche allen einen guten Tag und frage in die Runde, wer auf die bescheuerte Idee mit den Containern gekommen ist. Die ganze Sache könnte man doch auch viel billiger haben. Ich fixiere Kluge als ich den Vorschlag mache, man könnte den ganzen Haufen doch einfach anzünden und sehe aus den Augenwinkeln, wie der Hausverwalter dabei stirbt. Der Mann scheint tatsächlich keinerlei schlechtes Gewissen zu haben, dabei ist er oder der Hausverwalter für die Russen verantwortlich. Für ihn ist das offenbar ein ganz normaler Vorgang. Dem flehenden und bittenden Stasi-Einwand, das Haus könnte dabei Feuer fangen, entgegne ich kühl: "wenn man das ein bisschen vom Haus wegräumt, wird schon nichts passieren." Diesen finalen Schuß hat auch Kluge gehört und seine Baufirma übernimmt den Scheiß. Bei der Geldübergabe mit großem Tamtam frage ich Kluge ob er zufrieden mit dem Geschäft ist. Er vermittelt mir recht glaubhaft, nicht zu wissen von was ich spreche. Wahrscheinlich plagt ihn manchmal noch das Gefühl, zu viel bezahlt zu haben. Er und seine Firma haben jetzt genau da ein Büro, wo früher der Billiardtisch stand. Alle darüberliegenden Wohnungen wurden zerstückelt. Wo eine Wohnung war, sind jetzt drei. Jetzt, wo es zu spät ist, werden viele Chaoten emotional und irrational. Von Anschlägen mit Steinen auf das fertig sanierte Haus wird gesprochen. Ich kann diesen Praktiken nichts abgewinnen, denn ich weiß, dass der Zug abgefahren ist und die Zeit nicht zurückgedreht werden kann. Ich kann aber auch verstehen, dass so ein Stein am Kopf sehr schmerzhaft ist, und so gehen erneut Fensterscheiben zu Bruch, diesmal von sehr neuen Fenstern und ohne dass sich jemand in dem Haus aufhält. Anschläge mit Farben auf die neu restaurierte Fassade vervollkommnen dann vermutlich auf beiden Seiten das Bild, das man voneinander hat. Mich widern die hilflosen Versuche, Vergangenes unvergangen zu machen an. Vielleicht, weil ich sie viel zu gut verstehen kann.
      Wo ich ab jetzt in J. wohne, teile ich niemandem mit, den ich kenne. So verleihe ich meinem weiteren Leben in J. den Hauch eines Geheimnisses.
      Avatar
      schrieb am 12.11.02 17:09:39
      Beitrag Nr. 28 ()
      So traurig, wie es ist: die paar Kröten der Abfindung sind schnell verballert. Bei allen. Ich arbeite jetzt in J. an einem Stück das ein volles Jahr Vorbereitungszeit braucht, damit es nur ein einziges mal aufgeführt werden kann und wohne nur noch in Puppenstuben. Das ist einerseits billiger, andererseits gibt es nichts anderes mehr, weil die Preise aller Wohnungen in die Höhe geschossen sind. Die Küche meiner nächsten Wohunung ist so klein, dass sich darin maximal nur drei Personen stehend aufhalten können. Sitzen kann man gar nicht. Die Türen der einzelnen Zimmer öffnen sich auf den Flur, der so klein ist, dass sich die Türgriffe schwer ineinander verhaken können, wenn das gleichzeitig geschieht. Ich wohne wieder mal Erdgeschoß und kann genau die Bauarbeiten verfolgen, die draußen vor der Tür die Straße verbessern. Als die Puppe, mit der ich zusammenwohne ihre blonden Haare öffnet, weiß ich, dass ich sie durch die ganze Wohnung ficken werde. Die ganze Zeit hatte sie ihre Haare zu einem Zopf gebunden, der sie wie eine 40-jährige Hausfrau hat aussehen lassen. Jetzt sieht sie aus wie 20 und hat die Ausstrahlung einer ägyptischen Sexgöttin. Wir stellen einen Fernseher in ihrem Zimmer auf, weil sie die größere Matratze hat und ich erscheine jeden Tag pünktlich zur Mittagszeit bei den Proben. Ich weiß, dass sie die ganze Zeit an mich denkt, wenn ich nicht bei ihr bin. Wenn ich dann abends nach den Proben die Tür hinter mir schließe, liegt sie schon nackt im Bett und wartet auf mich. Weil die Wohnung so klein ist, gibt es keinen Ort in ihr, an dem wir es noch nicht getrieben haben. Morgens bildet sich immer ein Pulk von Bauarbeitern vor unseren beiden Fenstern. Wenn ich dann die Wohnung verlasse tun sie so, als ob sie mich kennen würden und reden mich an, als wäre ich ihr bester Kumpel. Auch die Puppe finden sie ziemlich gut.
      Mein Stück, das ich probe, kotzt mich an, weil es ein Monolog ist. Mein Idealismus kocht auf Sparflamme, denn es ist das Stück, für das ich das meiste Geld bekomme. Hamlets sind schon lange nicht mehr so gut bezahlt (als seien sie Prinzen) und einen Faust kann heutzutage jeder Hausmeister eines besseren Theaters spielen. Mein Stück ist sehr komplex und im Grunde genommen stinklangweilig. Das weiß sogar ich. Erschwerend kommt noch hinzu, dass mir die Hausmeister und Hamlets an unserem Theater meine freie Zeiteinteilung übelnehmen, die natürlich mir und der Puppe zu Gute kommt. Die Typen sind so was von schizophren, dass man ihnen laute Rasseln an Köpfen und Händen einpflanzen sollte, damit sie jeder normale Mensch von weither hörbar erkennen kann. Denn sie waren es, die mir einen Vertrag mit freier Zeiteinteilung angeboten hatten.
      Trotzdem macht das Stück schöne Fortschritte und ich fühle mich gut dabei. Schließlich wird es ohnehin nur einem ausgewählten Publikum vorgeführt werden.
      Avatar
      schrieb am 12.11.02 18:25:45
      Beitrag Nr. 29 ()
      Dann ist es so weit: die große Aufführung! Ich habe das Stück komplett umgeschrieben und will meine Puppe mit zur Aufführung nehmen. Prinzipiell ist das erlaubt, doch diesmal aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen nicht. Ich will mich natürlich nicht unmittelbar vor der Aufführung mit meinem Publikum streiten, das übrigens nur aus 2 Professoren besteht. Die Putzfrau in unserem Theater hat mir schon gesteckt, dass über mich gelacht wird, weil meine Ausdrucksweise der "eines alten Lehrbuchs" gleicht und überhaupt nicht dem Zeitgeist entspricht. Eine andere hat mir gesagt, es wäre wohl "viel zu blumig" und überhaupt "nicht exakt". Na gut, ich bin mit den zwei Professoren allein. Den alten rasierten mit den grauen kurzen Haaren und der Silberbrille kenne ich aus dem Schauspielerverband. Wir haben dort vor längerer Zeit über wichtige finanzielle Belange unser Theater betreffend entschieden. Daher weiß ich, dass er viel mehr Geld für die Bühnentechnik ausgeben möchte, als er eigentlich bekommt. Nach der Aufführung fragt er mich nach der Durchbiegung von Stiften und ich gebe ihm zu Erkennen, dass ich leider nicht viel von seinen Fragen halte. Er fuchtelt wild mit den Armen in der Luft. Wie ein kleines Kind, dem man eben seinen Lutscher-Schnuller aus dem Mund gezogen hat. Der andere ist jünger und hat einen dichten schwarzen Vollbart, dessen millimeterdicke Haare in langen geraden Fäden aus dem Professoren-Gesicht hängen. Er beschäftigt sich eigentlich nur mit Licht und inszeniert selbst hervorragende Stücke. Er weiß noch nicht, dass er einen Witz gemacht hat, als ich über das lache, was er in ernstem Ton zu mir sagt. Aber er hat verstanden, worum es geht. Das muß ich ihm absolut zu Gute halten. Was er mir sagt, ist mir nicht neu. Ich kenne eine Menge seiner Angestellten, mit denen ich im Keller unseres Theaters viel Spaß hatte. Dort stehen alte Apparaturen herum, aus denen wir die modernsten Sachen herausgekitzelt haben.
      Als beide Professoren ihre Schilder hoch halten, steht auf dem alten Schild eine 4 und auf dem mit Bart eine 1. Jetzt weiß ich auch, warum der alte kein Geld bekommt. Soll er doch weiter seine Stifte biegen! Die Puppe wartet auf dem Flur des Theaters auf mich und als die Tür hinter mir zufällt und ich mit ihr auf dem Gang stehe, habe ich die dämliche Aufführung schon vergessen...
      Avatar
      schrieb am 13.11.02 05:05:49
      Beitrag Nr. 30 ()
      Heute ist Sonnenfinsternis angesagt! Direkt aus dem Flur stürzen wir ins Freie und nageln unseren Blick am Himmel fest: Wolken, Wolken, Wolken wohin der Kopf sich wendet. Ich weiß, wo keine Wolken sind. Fünf Stunden Autofahrt werden uns hinbringen. Ich nehme gleich eine Bücherkiste mit, weil ich aus J. wegziehen will - endlich! Ich will in ein anderes Land, und zwar nach T. Auf dem Weg dorthin werden die Puppe und ich eine Sonnenfinsternis sehen. Ich rase wie der Wind vorbei an Straßenkreuzungen und über Schlaglöcher und Grenzen hinweg. Meine Mine verfinstert sich, als wir rechtzeitig im Land U. ankommen und auch dort Wolken sind. Doch langsame Geisterwinde fegen den Himmel frei, bis er so blau strahlt, wie ich das vermutet hatte. Dort - ein Feld! Ein Berg! Das ist der richtige Platz! Wir breiten eine Decke aus und entkleiden uns splitternackt, weil wir die Sonnenfinsternis kopulierend erleben wollen. Weit kann man von unserem Hügel in das Land schauen und viele viele Schaulustige treiben sich auf den Wiesen und an den Waldrändern herum, alle wollen sie dem Naturschauspiel beiwohnen. Die Stimmung der Menschen ist so seltsam, dass ich an den alten Dichtervater Goethe denken muss. Es ist zwar nicht Ostern, aber viele der Menschen führen einfach nur ihren neugierigen Blick spazieren. Ein auf ein Blatt kritzelnder Notizenschreiber würde in dieser Menge nicht die geringste Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Alle Augen richten sich gen Himmel und gegen die Sonne. Der Rest interessiert nicht. Außer einem Spanner, der sich für uns interessiert. Der hat zwar ein starkes Fernglas, was aber anscheinend nicht genug vergrößert, da er sich immer näher an uns heranpirscht. Mir ist der Typ egal, soll er doch auch seinen Spaß haben.
      Langsam wird das Licht so, als ob es Abend wird. Mit komischen Sicherheitsbrillen, die Tage vorher in einer unglaublichen Hysterie verkauft wurden, kann man schon den runden Schatten sehen, der die Sonne Stück für Stück unweigerlich verdunkelt. Das soll der Mond sein! Ich kann es nicht glauben, dass er die ganze Sonne verdunkeln soll.
      Avatar
      schrieb am 13.11.02 05:35:03
      Beitrag Nr. 31 ()
      Eine dunkle Kälte treibt uns immer mehr in unsere Klamotten zurück. Außerdem ist der Spanner inzwischen so nah gekommen, dass ich ihn ohne weiteres bespucken könnte. Gut, dass wir uns angezogen haben, denn nachts kann man nicht nackt auf irgendwelchen Hügeln kopulierend herumliegen. Nicht in diesen Breiten. die Sonne hat jetzt die Helligkeit einer Glühbirne, die viel zu schwach dimensioniert ist. 30 Watt - heller ist sie nicht! Irgendjemand scheint jetzt den Strom abzuschalten, denn selbst die 30 Watt werden immer weniger. Alles um uns herum wird sehr unwirklich. Sogar der Spanner erscheint jetzt in einem anderen Licht. Dann sehe ich den Mond. Er ist eine leicht glänzende Kugel, von der ich nicht sagen kann, ob sie so groß ist, weil ich so klein bin oder ob sie deshalb so klein ist, weil sie so weit von mir entfernt ist. Zu sehen ist der Nachthimmel mit seinen leuchtenden Sternen wie sonst in der Nacht auch, nur diesmal um einen mondgroßen Ring aus Feuer reicher, der sich bei näherer Betrachtung als eine von hinten angestrahlte Kugel erweist. Eigentlich ist es keine Kugel, es ist eher eine Art Felsbrocken, der vor mir aus unerfindlichen Gründen im Raum schwebt. Ich kann Berge auf dem Felsbrocken erkennen und Täler, ganze Landschaften. Eine zweite, viel rauhere Erde. Was ich sehe, überwältigt mich unendlich.
      Avatar
      schrieb am 14.11.02 04:07:43
      Beitrag Nr. 32 ()
      Als der erste Lichtstrahl am Mond vorbei in mein Auge fällt, ist der gesamte Himmel bereits wieder hell. Es sieht so aus, als würde der Brocken, der unmittelbar vor unseren Gesichtern schwebt, anfangen zu glänzen. Seitlich mogelt sich das Tageslicht am Mond vorbei. Einen Moment denke ich, der Mond stünde in Flammen. Jetzt geht es schnell und es wird immer heller. Viel schneller als es vorher ging. Es wird auch wieder warm und für mich sieht es so aus, als flüchten die Menschen wieder dahin zurück, wo sie alle her gekommen sind. Selbst der Spanner packt weit entfernt seine 7 Sachen.....als ich von weiter Ferne mächtiges Hufgetrappel höre. Erst sehe ich nur einen Kopf. Dann zwei, dann drei, vier...es werden immer mehr! Das sind Kühe verdammt nochmal!! Oder Bullen oder Ochsen!! Scheiße, und wie viele das sind!! Und erst das Tempo, dass die drauf haben! Die rennen! Die gallopieren! Die Puppe hat sie noch nicht gesehen und ich muss blitzschnell handeln. Schließlich ist die Herde, die durch das Nadelöhr unweit des kleinen Baches strömt, nur ca. 50-70 Meter weit entfernt. Tendenz: Stark fallend! Ich werde so hektisch, wie in meinem ganzen Leben noch nicht. Aber ich bemerke auch, wie mich die Hektik in dem bremst, was zu tun gilt:
      1. vollständig anziehen
      2. Decke, Bücher, Futtereien von der Wiese nehmen
      3. den ganzen Kram so schnell wie möglich ins Auto
      4. Heckklappe zu und los los los los
      Als der Motor anspringt, sind die Viecher auf gleicher Höhe. Die Puppe fällt aus allen Wolken und begreift endlich, warum ich so eine Hektik gemacht habe. Dass ich es so eilig habe, versteht sie trotzdem nicht. Klar, wenn nur eine einzige Wespe vorbeigeflogen wäre, hätte sie einen größeren Aufstand gemacht. Zum Glück sind wir aber entkommen.
      Avatar
      schrieb am 17.11.02 06:16:55
      Beitrag Nr. 33 ()
      Dann fahren wir weiter. Habe ich schon geschrieben, dass wir eine Bücherkiste mitgenommen haben? Egal, wir haben eine Bücherkiste mit den wichtigsten Büchern dabei, ohne die ich zur damaligen Zeit keinen längeren Aufenthalt irgendwo gewagt hätte. Wahrscheinlich hätte ich damals wie ein Alkohliker auf Entzug angefangen zu zittern, ohne die sichere Möglichkeit etwas wichtiges in ihnen nachschlagen zu können. Die Straßen sind verdammt schlecht und Scheiße, denn wir sind immer noch in U. Sie werden noch schlechter und noch beschissener werden, wenn wir erst im Land T. sind. Ich streite mich mit der Puppe während wir fahren. Ihr Vater ist Arzt und hat natürlich um die Gesundheit seiner Tochter zu schützen genauso übertrieben in die Sonnenfinsternissbetrachtungsschutzhysteriekerbe hineingehauen. Sie hat mich durch ihre ängstlich flehenden Einwürfe davon abgehalten das Schauspiel in voller Pracht zu bewundern. Ich frage sie, wo die ganzen Blinden sind, von all den früheren Sonnenfinsternissen. Jetzt wünsche ich mir, ich hätte meinen Blick auf dieses Ereignis nicht dauernd wegen ihren Warnungen unterbrochen. Es war so schön, ich hätte gerne mein Augenlicht für die gänzliche Betrachtung hergegeben. Erst später werden wir erfahren, dass zum Zeitpunkt der totalen Dunkelheit eine Betrachtung vollkommen gefahrlos ist, zumal durch die bescheuerten Brillen ohnehin zu diesem Zeitpunkt nichts sichtbar war.
      Na gut, wir fahren nicht gleich nach T. sondern bleiben ein bisschen an dem großen See, der gerade in der Nähe ist. Sie will es so und ich habe nichts dagegen. Schließlich ist gerade Sommer und die Sonne und das Wasser locken ungemein.
      Meine Schuhe! Jetzt stelle ich fest, dass ich meine Schuhe nicht mehr habe! Ich muss sie während des schnellen Aufbruchs wegen der hereinbrechenden Rindviehgefahr vergessen haben. Tatsächlich - ich suche das ganze Auto ab, doch sie sind nicht mehr da. Zurückfahren oder nicht? Ich hasse solche Probleme, denn wahrscheinlich würden die Spritkosten exakt dem Preis der Schuhe entsprechen, so weit sind wir schon von der Kuhherde entfernt, vielleicht sogar noch weiter. Wieder kommt mir das Eigenleben meiner Hand in den Sinn, denn da war es genauso. Genervt knalle ich alle Türen meines Autos zu und als ich wieder hinter dem Steuer sitze, habe ich mich schon mit dem Gedanken angefreudet, mir neue Schuhe zuzulegen. Zwischenzeitlich bin ich eben barfuß unterwegs, denn für den Kurztrip habe ich nicht an die Möglichkeit eines Verlusts meiner Schuhe gedacht und ein zweites Paar mitgenommen. Würde ich nicht so viel barfuß durch die Gegend kutschen, wäre mir das früher aufgefallen, aber was hätte ich auch in der Eile machen sollen. Ich spüre, dass das alles nichts bringt und vergesse den ganzen Kram. Kaufe ich mir eben bessere Schuhe hier in U., wo vieles wesentlich billiger ist.
      An dem großen flachen See herrscht, wie überall wo viele Urlauber unterwegs sind, Jahrmarktatmosphäre. Man merkt den Menschen an, dass ihnen die einzigen freien Tage im Jahr viel bedeuten. Bis mich ihre Bedeutungen ankotzen, genieße ich mit ihnen und verlebe mit der Puppe ein paar schöne Tage im Wasser und die Abende in köstlichen Restaurants, von denen sie nie genug bekommen kann. In herrlicher Erinnerung ist mir da vor allem ein Tretbootausflug. Alles in allem ist ein Tretboot kein prädestinierter Ort fürs Ficken, weshalb wir auf hohe See hinaus treten und uns dort für Stunden treiben lassen. Als wir das Ufer nach langer Suche gefunden haben, warten horrende Tretbootrechnungen und Hautschmerzen wegen Sonnenbrand auf uns - aber es hat sich gelohnt!
      Weil ich darauf dränge, nach T. abzureisen, nörgelt die Puppe rum. Bis zum Ende unseres Trips wird sie das leider nicht mehr abstellen. Als wir in B., der Hauptstadt von U., sind, wird mir das Theater zu bunt und ich biete ihr an, sie zum Bahnhof zu fahren. Großspurig, wie ich sie kenne, willigt sie ein. Erst als ich mich am Schalter nach fahrenden Zügen erkundige, bekommt sie kalte Füße. Naja, wenigstens ist gleich in der Nähe ein Schuhladen, damit ich nicht mehr barfuß durch die Gegend laufen muss.
      Dann! Es ist nicht zu fassen! Ich frage sie noch: Hast du auch deinen Reisepass mit? Jetzt, an der Grenze, die wir überqueren müssen: brauch ich den denn? Ja, den brauchst du, aber mal sehen, vielleicht gehts auch so. Es geht natürlich nicht so und wir werden zurückgewiesen. Jetzt überlegen wir, die Grenze illegal zu passieren und suchen im Atlas nach Straßen, oder Feldwegen, die uns das ermöglichen. Wir haben keine Ahnung, wie die Grenzanlagen frequentiert sind, ob und wie sie bewacht sind. Jetzt suchen wir nicht mehr im Atlas nach Wegen sondern wenige Kilometer von einem Grenzübergang entfernt in der Landschaft. Mir wird klar, dass wir auch zurück wieder auf einem solchen Weg die Grenze passieren müssen, denn irgendein beknackter Zettel oder Stempel wird fehlen, die die Uniformierten immer so wichtig nehmen. Je näher wir dem Ort kommen, wo wir die Grenze wähnen, umso mehr leuchtet uns ein, dass wir es nochmal auf regulärem Weg, nur an einem anderen Übergang probieren sollten. Ich bin Schauspieler und sie meine Puppe - irgendwas wird uns schon einfallen, wenn ich ihr die richtigen Anleitungen gebe.
      Wir haben auch schon einen Plan: Sobald uns der verantwortliche Grenzoffizier sagen will, dass eine Passage unmöglich für sie ist, weil sie keinen Reisepass dabei hat, werden wir ein Drama auslösen.
      Als wir die Grenze passiert haben, wundere ich mich, wie weit es weibliche Wesen mit ihren Tränen schaffen können. Jetzt staunt sie natürlich darüber dass sie geweint hat und es steht ihr die Freude im Gesicht, dass wir es überhaupt geschafft haben. Meine Wut darüber, dass sie ihren Reisepass nicht mitgenommen hatte, hätte mich noch viel lauter werden lassen können - ich hatte große Lust dazu! -, aber der ältere Offizier mit Hut schritt ein und sagte irgendwas von "Regierung" und "Telefon" als er mit unseren Papieren verschwand. Und tatsächlich: die Tränen waren noch nicht vertrocknet, da hielt sie schon ein Ausnahmevisum in ihren Händen! Ich war, was sag ich - wir waren beide stark beeindruckt!
      Noch wenige Stunden und wir sollten in S. ankommen, der Stadt, die mein Ziel war und im Land T. lag.
      Avatar
      schrieb am 25.11.02 03:03:27
      Beitrag Nr. 34 ()
      Jetzt wohne ich mit meiner Bücherkiste in dem neuen Zimmer, das in der Stadt S. liegt, mitten im Land T. Ich wohne fernab jeglichen Lebens in einer Umgebung, die man sich nicht ausdenken kann - so seltsam wirkt das Gemisch aus Realität und Wunschtraum auf mich. Die Puppe kann nicht verstehen, warum ich hier bin, genauso wenig wie meine neue Haushälterin. Ich habe weder Lust, es der einen, noch der anderen zu erklären, sondern gebe immer nur Antworten, die mir für kurze Zeit Ruhe bescheren. Ich weiß selbst nicht genau, warum ich hier bin. Ich will wohl nur suchen und finden. Wenn es so sein sollte, werde ich beides getan haben.
      Bis zum Schluß wollte die Puppe nicht, dass ich für längere Zeit hier wohne. Trotzdem konnte ich Bewunderung in ihren Augen lesen, weil das ein Schritt ist, den sie selbst nie gewagt hätte. Nach ein paar Tagen des Wohnens beschert mir eine unglaubliche Erkenntnis ungeahnte Hochgefühle: Ich habe Zeit. Mehr noch: Ich habe alle Zeit der Welt. Was ich feststelle, ist eigentlich logisch: Menschen, die Zeit haben, geben Menschen, die keine haben, Rätsel auf. Das geschieht ganz unwillkürlich und ohne, dass sie das eigentlich wollen. Das kann so weit gehen, dass die zeitlosen Menschen an nichts anderes mehr denken und deswegen keine Zeit mehr haben.
      Mein Zimmer hat eine gewölbte Decke und die Wände sind ungelogen über anderthalb Meter dick. Um 12 Uhr klopft meine Haushälterin an die Glastür und weckt mich zum Mittagessen. Ihr Mann, der am Mittagstisch sitzt, spricht eine andere Sprache und hat eine merkwürdige Krankheit, wie sich bald herausstellt. Er ist genauso alt wie sie, deswegen lohnt sich eine Heilung nicht, wenn so etwas überhaupt möglich ist. Er muß dauernd grundlos lachen und es sieht nicht so aus, als ob es ihm angenehme Gefühle beschert. Ich esse `Armer Ritter` den sie gemacht hat oder andere Dinge, meist Suppen. Dann mache ich Spaziergänge, durch den Wald, durch die Stadt, durch die Altstadt, in der ich wohne. Wenn ich zurück komme, schlage ich meine Bücher auf. Meist ist es schon dunkel. Es sind schlafende Riesen, die mich wach halten. Morgens warte ich, bis die Sonne in mein Bett scheint. Erst dann schließe ich meine Augen und schlafe ein.
      Meine Haushälterin speise ich auf die Frage, was ich denn eigentlich mache, damit ab, dass ich Schauspieler sei und Texte zu lernen hätte. Aber das stimmt nur zum Teil. Längst verfasse ich meine eigenen Texte. Ich muß das tun, denn die Riesen wollen es so. Nein, vielmehr will ich das so - ich will, dass die Riesen weiter schlafen. Ihr Atem ist der Wind, den ich auf meiner Haut spüre, die Betrachtung ihrer Unschuld der Sinn meiner Augen. Denn obwohl die Riesen schlafen und kein Wort ihren Mund verlässt, wachsen sie.
      Avatar
      schrieb am 27.11.02 03:24:34
      Beitrag Nr. 35 ()
      Ich wundere mich natürlich, warum ich auf eimal so viel Zeit habe. Hatte ich die vorher auch schon und mir ist es nur nicht aufgefallen? Wenn das so ist - warum habe ich das erst jetzt mitbekommen? Oder habe ich von irgendwoher auf einmal viel Zeit bekommen? Und wenn es so ist - woher?
      Das gibt mir Rätsel auf. Und je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr stelle ich fest, dass ich mehr und mehr Zeit zum Lösen des Rätsels benötige. Es erscheint immer schwieriger und komplexer, eine Lösung rückt in immer entferntere Bereiche meines Denkens. Immer weitreichendere Vorbereitungen müssen getroffen werden, wenn ich es irgendwann lösen will. Handfeste Pläne müssen geschmiedet, Konzepte erarbeitet werden. Es wird vermutlich allein schon Jahre dauern das Gebiet der Lösungen einzuschränken, in dem die richtige zu finden sein wird. Doch es nicht daran zu denken, dass dadurch mein Zeitreservoir auch nur im geringsten angeschöpft wäre. Bald wird mir klar, dass ich so viel Zeit habe, dass ich gar nicht alles von ihr aufbrauchen kann. Eigentlich wird mir immer klarer, dass so gut wie alles davon übrig bleiben wird, ungenutzt von mir. So viel von meiner Zeit wird übrig bleiben, dass gar nicht ins Gewicht fallen wird, was ich von ihr weggenommen habe. So klein ist der Anteil, den ich davon nehmen kann, dass ich mir schon Gedanken darüber gemacht habe, wie ich das messen könnte. Aber die Situation ist vollkommen absurd. Es ist ungefähr so, als ob ich mit einem Lineal das Absinken des Meeresspiegels messen wollte, nachdem ich den riesigen Weltmeeren einen einzigen Tropfen Wasser entnommen habe. Klar, in den Ozeanen ist ohne den Tropfen nun mal weniger Wasser und der Wasserspiegel wird sinken, doch wo zum Kuckuck soll ich mein Lineal anlegen, um das zu messen? Wie fein müsste die Skaleneinteilung meines Lineals sein und wie lange müsste ich auf die benötigte Windstille warten, damit keine Wellen mein Experiment unmöglich machen? Und was ist mit dem Mond, mit Ebbe und Flut....das müsste ich ja alles mit einberechnen....!!
      Wenn die Uhr des Stundturms schlägt, der in Sichtweite jede abgeschlossene Viertelstunde verkündet, werde ich wieder in die Realität gerissen. Doch was für eine Realität ist das!? Er reißt mich in keine Realität zurück, im Gegenteil. Nichts ist hier real, in der Stadt S. im Land T. Nicht die gotisch gewölbte Decke meines Zimmers in dem ich wohne, kann real sein. Auch nicht die auffallend vielen Spiegel, die in den Restaurants dieser Gegend herumhängen, genausowenig, wie die dutzenden Knoblauchzöpfe, die auf allen Märkten der Stadt im Überfluss feilgeboten werden. Wo bin ich hier gelandet? Was ist das für ein Land? Liegt das an dieser Gegend, dass ich auf einmal so viel Zeit habe?
      Avatar
      schrieb am 27.11.02 05:17:19
      Beitrag Nr. 36 ()
      Manchmal steige ich morgens, wenn es noch dunkel ist, auf einen der beiden Berge, die mitten in S. liegen. Auf dem einen befindet sich die Altstadt, in der ich wohne, umringt von einer hohen Mauer mit Türmen und Toren. Und obwohl die Altstadt schon höher als die restliche Stadt liegt, ragt in ihr noch mal ein Berg zum Himmel. Eine lange Tunneltreppe führt zur Schule, einer Kirche und zu einem Friedhof. Aber nicht zu diesem Berg zieht es mich....
      Ich muss hinab in die Stadt steigen, dann wieder in die Höhe. Mein Berg ist, außer von Wiese, unbewachsen und unbebaut. Kilometerweit kann man von ihm ins Land sehen, während Häuser und Straßen sich um die Füße meines Bergs drängen. Wenn dann mehr und mehr das Sonnenlicht die Dunkelheit vertreibt und den Himmel errötet, erwacht die Stadt vollends. Hundegebell und anschwellender Autolärm lassen die unnötig gewordenen Lichter erlöschen - die Zivilisation beginnt zu atmen! Wenn ich dann Mond und Sonne gleichzeitig am Himmel sehe, verstehe ich für einen kurzen Moment, dass selbst die Erde auf der ich stehe, nur ein Wassertropfen im großen Ozean des Universums ist. Ich friere dann und weiß nicht genau, ob das an den kalten Winden oder an den Gedanken liegt, die mich umgeben. Auf dem dunklen Weg zu meinem Berg drängen sich die Leute an den Haltestellen der Busse, die sie abholen werden. Ich laufe an Menschen und Bussen vorbei, wie an Außerirdischen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Menschen befriedigt, was sie tun. Der Gedanke, mich zu ihnen zu stellen und gemeinsam mit ihnen auf einen Bus zu warten, erscheint mir so irreal, dass er mir erst jetzt, Jahre später, in den Kopf kommen soll. Wenn ich sie so stehen und warten sehe, breitet sich vor mir - ohne dass ich etwas dagegen tun kann - ihre ganze zukünftige Lebensgeschichte aus. Erschreckend wenig breitet sich da vor mir aus und ich fürchte, sie könnten sehen, was ich sehe und den Bus zum Teufel fahren lassen und sich mir anschließen. `Zum Teufel...` so denke ich mir `vielleicht gehe ich ja dahin und nicht sie...?` Aber es ist mir egal. Vielleicht hängen wegen mir in allen Gaststätten Spiegel herum und viellicht wird wegen mir so viel Knoblauch auf den Märkten verkauft. Keine 30 Meter von meinem gewölbten Zimmer entfernt, wurde lange bevor ich geboren wurde ein Fürst geboren, der ohne sein Wissen eine unvergängliche Gestalt erzeugt hat, die nicht aufhören kann in den Köpfen der Menschen herumzuwandern, solang es Menschen gibt. Wenn ich das nächste mal in einer solchen Gastätte bin, werde ich in einem der vielen Spiegel nachsehen, ob ich mich darin erkennen kann.

      Auf einer meiner vielen Erkundungsreisen mit dem Zug durch das Land passiert mir etwas merkwürdiges. Die Sonne scheint in den Zug, als sich eine schwere Gestalt zu mir in das sonst leere Abteil schiebt und mir gegenüber nach höflichem Fragen Platz nimmt. Es dauert nicht lange, da kommt eine wesentlich leichtere Gestalt und nimmt mir auch gegenüber neben der anderen Platz. Der schwere Brocken - ist ein Brocken! - breitet jetzt eine Zeitung vor mir aus und holt Spielkarten aus seiner Tasche und nickt mir die ganze Zeit dabei aufmunternd zu. Es interessiert mich, denn ich bemerke, dass er mir etwas zeigen will. Ich verstehe nach kurzer Zeit. Er will mich mit seinen drei Karten, zwei Zehnen und einer Pik-Dame bescheißen. Obwohl ich kein Wort von der Sprache verstehe, in der er redet, verstehe ich was er von mir will. Ich soll mir ganz einfach merken, was wo ist, wenn er die verdeckten Karten hin und herschiebt, nachdem er sie mir offen gezeigt hat. Wenn ich mir gemerkt habe, wo die Dame ist, habe ich gewonnen. Natürlich trickst er und genau das ist es, wofür ich mich interessiere. Am besten, ich könnte den Trick gleich mitlernen, denn ich mag es, kleine verblüffende Fingerfertigkeiten zu erlernen. Aber er versteht mein Gebaren nicht, will es nicht verstehen. Stattdessen spielt er mit mir. Na gut, ich spiele mit. Ich bringe ihn zur Weißglut, als er feststellt, dass ich mir gar nichts merken kann. Die einfachsten Dinge nicht. Er erklärt sich den Mund fusslig und ist nur mit seinen Karten beschäftigt. Er versucht es mir so einfach wie möglich zu machen, damit ich erraten kann, wo die Dame ist. Ich weiß nicht wo sie ist. Es interessiert mich auch nicht. Vielmehr interessiert mich die Mühe, die er sich macht, mir das Spiel zu erklären. Als er feststellt, dass ich gar nicht auf die Bewegungen der Karten und die seiner Hände schaue, sondern ihm stattdessen die ganze Zeit ins Gesicht, bleibt sein Redefluss abrupt stehen. Er gibt auf und beschimpft mich sichtlich verärgert als `Bandit`. Das einzige Wort, das er in meiner Sprache sprechen kann. Ich reagiere überhaupt nicht auf sein Gerede, was die Stimmung im Abteil auf einen Kulminationspunkt bringt. Offenbar gewinnt jetzt die leichte Gestalt an Einfluss, denn sie beginnt sich für mich zu interessieren. Ich habe sie die ganze lange Kartenspielerzeit gar nicht wahrgenommen. Die schwere Gestalt ärgert sich müde und beginnt in eine Ecke gekauert zu schlafen, während der Leichte und ich in angeregtem Austausch stehen. Ich verstehe, was er will - er will mich seine Sprache lehren! Wir verstehen uns prächtig und ich lerne alle Zahlen, die es in seiner Sprache gibt. Ich bin froh, dass der Schwere schläft und irgendwie glaube ich, dass er die immer gleich plätschernde Stimme des Leichten zum Schlafen braucht. Ich bin davon überzeugt, dass er sofort aufwachen würde, wenn der Leichte auch nur für einen kurzen Moment schweigt. Ich weiß nicht warum, aber ich fürchte mich vor dem, der da eingeschlafen ist und will, dass er nicht aufwacht. So lerne ich bereitwillig und schnell alles, nur damit der Leichte nicht aufhört zu reden und seine Erfolgserlebnisse hat, die ihn begreifen lassen, dass ich begreife, und die ihn redend halten. Als ich alle Zahlen kann, fährt der Zug in den Zielbahnhof der beiden Reisegefährten ein. Der Schwere ist aufgewacht und scheint ein anderer Mensch zu sein, gar nicht mehr so schwer. Das wenige, was er sagt, liegt in der selben Tonlage, wie der des Leichten und wir verabschieden uns leicht voneinander.
      Den Trick habe ich nicht mitbekommen, aber ich bin trotzdem froh jetzt wieder allein in meinem Abteil zu fahren und durch mein Fenster den Blick auf die weite sonnenbeschienene Landschaft zu genießen.
      Beinahe wäre ich Hütchenspielern zum Opfer gefallen.
      Avatar
      schrieb am 05.12.02 06:25:13
      Beitrag Nr. 37 ()


      Aus dem Inhalt:

      Tafel zu einem verpönten Buch

      O Leser, Freund der Hirtenlieder,
      Der biedersinnig tut das Rechte,
      Wirf weg! Dies Buch singt dunkle Mächte,
      Das Taumelfest und drückt dich nieder.

      Hat dich nicht Satan unterrichtet
      Im letzten Schuljahr, zäh verschlagen,
      Wirf weg dies Buch! du wirst verzagen
      Und hältst für krank den, der`s gedichtet.

      Doch taucht dein Auge in die Fernen
      Der Schlünde, ohne zu versteinen,
      So lies! Du sollst mich lieben lernen...

      Neugierige Seele, die in Peinen
      Nach ihrem Paradiese sucht,
      Beklage mich - sonst sei verflucht!



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