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    Vollkaskogeneration : Ende der fetten Jahre ? - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 15.01.03 16:40:08 von
    neuester Beitrag 15.01.03 20:33:43 von
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      schrieb am 15.01.03 16:40:08
      Beitrag Nr. 1 ()
      Wie geil ist Geiz?
      Generation Orientierungslos: Wenn Sparsamkeit überlebenswichtig wird
      von Roland Mischke

      Lena Ventzki (21) hat immer gern in Cafés gesessen, mit Freunden geplaudert und dabei einen Latte Macchiato nach dem anderen getrunken. Zurzeit ist kaum ein gewöhnlicher Kaffee drin. „Das geht zu sehr ins Geld“, sagt die Berlinerin. Im Herbst will sie ihr Medizinstudium anfangen, „obwohl es uns an den Kragen geht. Ich kriege keine Jobs oder nur lausig bezahlte. Mein Auto habe ich gerade unter Wert verkauft, damit ich meine Miete bezahlen kann, 280 Euro warm. Und leisten kann ich mir fast gar nichts mehr. Das gab’s in meinem Leben noch nie.“


      Lena kommt aus etablierten Verhältnissen, die Mutter Sängerin, der Vater im Medienbetrieb. „Aber bei denen läuft jobmäßig auch nicht viel, sie müssen ans Ersparte.“ Lenas Jugend bisher: reiten, modische Kleidung, hübsches Moped, Schauspielunterricht, zum 18. Geburtstag eine Lebensversicherungspolice, nach dem Abitur Jobben und Shoppen in New York, ein buntes Autochen – „das alles war normal, das hatten alle in der Klasse. Wir dachten, das würde immer so weitergehen“.


      Blickt Lena ins neue Jahr, öffnet sich kaum eine rosige Perspektive. Lena hat Angst. Existenzangst. „Wir stehen erst am Anfang unseres Lebens, aber manchmal haben wir das Gefühl, es sei alles schon gelaufen. So vieles, was man uns versprochen hat – materielle Sicherheit, die Krankenkasse übernimmt alles, die Rente ist sicher – ist auf einmal nicht gewährleistet. Dinge, die wir früher selbstverständlich gekauft haben, sind beinahe unerschwinglich. Darauf hat uns niemand vorbereitet“, sagt sie.


      Bestandsaufnahme zur Zeitenwende. Eine Generation, die struktureller Arbeitsplatzvernichtung in ungeahntem Ausmaß ausgeliefert ist wie einer Naturkatastrophe, dem Postkapitalismus, Weltwirtschaftsrezession und Regierungsmurkserei – diese Generation sieht sich als Verlierer. Und blickt neidisch zur Vorgänger-Generation Golf. „Ich wäre gern so um 1970 geboren“, mault Lena, „dann hätte ich zehn fette Jahre mehr gehabt. Stattdessen erwartet uns sinkender Lebensstandard. Ich finde das nicht gerecht.“


      Lena und ihr Freund David Roth (22) wohnen bei einer arbeitslosen Mittdreißigerin, die mal in der IT-Branche jemand war und nie geglaubt hätte, ihre stuckverzierte Altbauwohnung im Stadtteil Schöneberg mit unordentlichem Jungvolk teilen zu müssen. Der Alltag ist simpel strukturiert: Man steht früh auf, backt Restbrötchen auf, tunkt noch mal die Rooibush-Teebeutel mit Vanillegeschmack vom letzten Abend in die Tassen und tauscht Tipps in der gemeinsamen Küche aus. Vormittags wird telefoniert: Jobsuche. „Aber weil so viele Jobs brauchen, gehen Anbieter mit der Bezahlung immer weiter runter. 3,50 Euro pro Stunde sind schon normal“, sagt David. Der zukünftige Webdesign-Student hat in einer Schreinerfirma geschuftet, Überstunden nicht berechnet und seinen Abschied bekommen, als er mit dem Chef mal reden wollte. „Der wollte Ruhe. Nach mir konnte er unter 20 Leuten auswählen.“ Lena arbeitet auf Abruf für einen Catering-Service. Ihre Erfahrung: „Sicher ist nichts, ,hire and fire‘ üblich. Die Stimmung ist versaut, alle belauern einander. Als Jobber hat man das Gefühl, überall zu stören und überzogene Ansprüche zu stellen.“


      Zinsnotorische Kontoüberziehungen sind bei dem jungen Paar üblich. Der Bioladen um die Ecke hat beide längst als Kunden verloren. In U- und S-Bahnhöfen steuern beide jene abgerissenen Männer an, die von Fahrgästen Tickets erbetteln, die noch gültig sind und für ein Drittel des Preises weiterverkaufen. „Da lässt sich immer ein Euro sparen.“ Zeitungen werden nicht mehr gekauft, Teile davon liegen in öffentlichen Verkehrsmitteln herum, und man kann einen Rentner, der sein gelesenes Blatt zusammenfaltet, um Weitergabe bitten. „Der freut sich dann und erzählt, dass es nach dem Krieg noch schlimmer war“, sagt Lena. Am meisten gegeizt wird bei der Kleidung. Es kommt nicht mehr darauf an, „stylish“ zu sein, wenn alle ausgeleierten Pullover mit Wollnoppen und Vaters abgelegte Cordhosen auftragen. Parka und Palästinensertuch sind wieder da, obwohl niemand demonstriert. „Viele Freundinnen stricken, um zu sparen“, sagt Lena.
      Geiz ist eine der unedelsten Leidenschaften des Menschen“, schrieb der Freiherr von Knigge. Das ist lange her. „Geiz ist geil“, verkünden jetzt die smarten Werbegurus von Jung van Matt für die Multimediakette Saturn. Pfennigfuchserei gilt als schick, Rabattmarken wie Briefmarken zu sammeln als lustig, Preisnachlässe herauszufeilschen als Gesellschaftsspiel. Selbst die Bahn setzt auf die Geizschiene und hofft, dass sich Bundesbürger aus freien Stücken zwangskollektivieren, um dadurch Mitfahrerrabatte abzugreifen. Kaufhäuser haben den Endlos-Schlussverkauf eingeführt – die Wirtschaft kreiert Geiz als neue Spielform des Hedonismus.


      Die Jungen haben schnell begriffen, dass Leben nicht mehr Sammeln und Zugewinn ist, dass Bildung, Selbstsicherheit und Verantwortung zu übernehmen nicht angemessen verzinst wird – und als Anfänger erfahren sie die Kostendämpfungsmaßnahmengesellschaft am schärfsten. Dasein muss präventiv sein, die Generation mit angeblicher Vollkaskomentalität spart sich die Lust an der Gegenwart weg. Sie hat nie gegen dieses Land aufbegehrt, das sie jetzt verstößt. „Was ist los hier, es ist so düster. Ich krieg langsam Panik“, bekennt Lena.


      Artikel erschienen am 15. Jan 2003



      http://www.welt.de/data/2003/01/15/32969.html?s=2
      Avatar
      schrieb am 15.01.03 20:33:43
      Beitrag Nr. 2 ()
      Tja so kann es gehen wenn Papis und Mamis Geldbörse leer ist. Aber zum Glück gibt es ja Konsumkredite :cool:


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