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    Ein Marschallplan für Nahost? - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 13.02.03 06:30:18 von
    neuester Beitrag 13.02.03 11:06:33 von
    Beiträge: 9
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      schrieb am 13.02.03 06:30:18
      Beitrag Nr. 1 ()
      Er will den Frieden kaufen

      Die Lage in Nahost ist trostloser denn je. Niemand scheint eine Lösung zu finden. Niemand? Der israelische Milliardär Stef Wertheimer hat einen Marshallplan

      von Roland Mischke

      Der Mann ist reich. Sehr reich. Er besitzt ein geschätztes Vermögen von 1,2 Milliarden Dollar. Was das heißt? Es heißt, der Mann erwirtschaftet rund zehn Prozent des israelischen Sozialprodukts. Sogar jetzt in der Krise schafft er Arbeitsplätze. Aber Stef Wertheimer, vor 76 Jahren im badischen Kippenheim bei Freiburg geboren, hat ein Problem. Er fährt gern Auto – und er liebt Opern. Also würde er gern einmal von Tefen, seinem nordisraelischen Wohnort, durch den Libanon, Syrien und die Türkei nach Mailand fahren, um in die Scala zu gehen.


      Keine Chance. Hinter der libanesischen Grenze beginnt Feindesland. Nicht einmal mit dem Hubschrauber, den er, um Zeit zu sparen, bevorzugt, darf er sich der Grenze nähern. Das nervt den Selfmade-Mann, einen Missionar des freien Unternehmertums, dem es unmöglich scheint, dass etwas unmöglich sei. „Ich bin verliebt in Lösungen, nicht in Probleme.“ Als Zehnjähriger nach Palästina emigriert, flog er mit 14 von der Schule. Er hat keinen Abschluss und nie studiert, trotzdem ist er mehrfacher Ehrendoktor. „Ich bin wohl der einzige Analphabet in der Harvard-Chronik.“


      Der junge Einwanderer beginnt optische Geräte und Fotoapparate zu reparieren und erstes gutes Geld zu verdienen. 1944 geht er in den jüdischen Untergrund, zündelt bei der britischen Besatzungsmacht, wird nach dem Krieg vier Monate interniert. Und macht sich mit handwerklichem Geschick im Umgang mit Waffen so unentbehrlich, dass ihn die Engländer in Dienst nehmen. Nicht wissend, dass der Mann inzwischen Offizier des Palmach-Geheimbundes ist. Dessen Ziel: „Die Engländer mussten weg, sie ließen keine Juden nach Palästina.“


      Nach Gründung des Staates Israel gründet der Besitzer einer Schleifmaschine und zweier Lötkolben seinen Betrieb, den er Ethan nennen will, nach seinem Erstgeborenen. „Nein“, sagt seine Frau aus Andernach in der Eifel – klar, Ehesprache Deutsch. Nein, das wäre beleidigend für den Sohn, falls der Laden Pleite ginge. Also heißt der Laden Iscar, und er wächst und wächst und ist heute einer der drei weltweiten Branchenriesen bei Karbidschneidern und Metallfräsen. Ein renommiertes US-Magazin kürte Iscar jüngst zu „einem der zehn interessantesten Unternehmen des 21. Jahrhunderts“. Deutsche, koreanische, brasilianische, amerikanische und Schweizer Firmen gehören dazu und rund 8500 Mitarbeiter, davon 2000 in Israel – unter ihnen ein Drittel Araber.


      Dass das bei ihm funktioniert, hat Wertheimer nach dem 11. September 2001 auf eine Idee gebracht. „Die Mehrzahl der Attentäter kam aus dem Nahen Osten. Also liegt das Problem hier, wir müssen Geld umverteilen.“ Aber nicht, indem man Regierungen Geld gebe, das rasch versickere. Einer wie Wertheimer ist es gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. „Geld muss direkt in Infrastruktur und Industrie investiert werden. Arbeit für alle ist die Lösung.“


      1977 hat er es mit der Politik versucht. Er zog als Abgeordneter ins israelische Parlament und stritt für eine exportorientierte Wirtschaftspolitik. „Ich saß in der Knesset und verstand die Welt nicht mehr.“ Nur militärische Sicherheit habe eine Rolle gespielt, Wirtschaft sei sträflich ignoriert worden. Frustriert nahm er nach vier Jahren den Helikopter ins heimische Galiläa und ließ sich nie wieder in der Knesset blicken.


      Israelis vergleichen ihn mit Henry Ford. Er bietet begehrte Arbeitsplätze, höhere Löhne, duzt jeden und glaubt felsenfest an Learning by Doing. „Wir dürfen Armen keine Fische geben. Sie brauchen Angelruten, um das Fischen zu lernen!“ Dauerhaft gebe es für die Krisenregion keine andere Lösung, als dass Menschen sich selbst helfen. Seine Idee nennt er Marshallplan. Als gebürtiger Teutone verfolgte er, wie nach dem Krieg die Aufbauhilfe von US-Außenminister George Marshall dem verwüsteten Deutschland zum Wirtschaftswunder verhalf. Ähnlich müsse das in Nahost gemacht werden.


      Und er macht es vor. Vier Industrieparks hat er eröffnet, zwei in Israel, einen im jordanischen Akaba, einen in Istanbul. Mit dem geplanten Park im Gazastreifen wurde es wegen der Intifada nichts. Und die Leute in diesen Gründerzentren, wie seine Industrieparks auch heißen, sind erfolgreich. „Wer darauf achten muss, seinen Aufträgen nachzukommen, hat keine Zeit, Steine zu werfen.“ Ein Palästinenser, der im Jahr ab 6000 Dollar verdiene, sei für die Intifada verloren. Der könne seinen Wohlstand mehren, seine Kinder zur Schule schicken, der würde sich nie eine Bombe um den Bauch binden. Der jordanische König Abdullah sehe das genauso, meint Wertheimer. Man habe intensiv diskutiert. „Der Staat Jordanien erwirtschaftet ein Sozialprodukt von 450 Millionen Dollar. Ich mache mit meiner Firma über eine Milliarde Dollar. Da stimmt etwas nicht, und das müssen wir ändern. Die Menschen müssen etwas zu verlieren haben. Dann ist Schluss mit der Gewalt.“


      Der Boss stellt Jungunternehmern mit innovativen Ideen fünf Jahre lang Produktions- und Büroräume zum Selbstkostenpreis. Aber nur für umweltfreundliche Industrien, und der Geschäftsplan muss bis ins Detail ausgearbeitet sein, nur dann gibt es Starthilfe. Das exerziert er im eigenen Betrieb vor. „Manager brauchen wir nicht, nur Verkäufer. Manager kosten viel Geld und machen alles kompliziert.“ Sein erster Industriepark gilt als industrieller Nukleus im agrarisch geprägten Galiläa. „Hier haben wir vorgeführt, wie man Sand nehmen und daraus eine Fabrik machen kann.“ Banken, Regierungsleute und Finanzbehörden sind ihm Störfaktoren. „Die halten uns von der Arbeit ab. Das erledigen wir hier zentral, dann können die Leute in Ruhe ihren Job machen.“ Stimulierend dagegen findet Wertheimer die Kunst – Quelle beständiger Inspiration. Sein Industriepark ist zugleich Israels größter Skulpturenpark, Künstler gehen bei ihm ein und aus, beim Essen diskutiert der Patriarch ihre Entwürfe, eine Jury vergibt Stipendien. Die Gespräche werden im Speisesaal unter besteckklappernden Mitarbeitern geführt – kein eigenes Casino mit gedämpfter Atmosphäre für die Geschäftsführung. „Wir sind ein kapitalistischer Kibbuz“, lacht der Chef. Samt Kindergarten, Grundschule und Einrichtungen, die Frauen ihre Karrieren erleichtern, während der Nachwuchs behütet ist wie in Abrahams Schoß.


      Rigoros, aber unkompliziert, so ist er. Seiner Hose spart er den Gürtel, die zwei oberen Hemdknöpfe stehen offen. Besuchern schaufelt er Humus und Gemüse auf die Teller und schwärmt von Süßspeisen, bei denen er selbst nicht zugreift. Am Nachbartisch speisen zwei Juden, drei Araber, ein Amerikaner und ein Deutscher. Sie fachsimpeln, bis junge weibliche Auszubildende hungrig in den Saal einfallen und die Blicke auf sich ziehen. Der Chef registriert es belustigt. Seine Angestellten begegnen ihm respektvoll, aber nie unterwürfig. Von vielen kennt er die Familiengeschichten, bei Paaren, die sich in seinem Betrieb lieben lernten, war er Hochzeitsgast. Er fragt nach den Kindern, reißt hier einen Witz, wirft da eine aufmunternde Bemerkung ein.


      Geht es aber um seine Herzenssache, wird Wertheimer energisch. Um den Marshallplan durchzupauken, ist er um die halbe Welt gereist. Er war bei PLO-Chef Arafat. „Der Mann versteht nicht, dass 50 Prozent Arbeitslose zwingend Terroristen hervorbringen.“ Helmut Kohl hat er in dessen letztem Amtsjahr besucht. „Er war sehr höflich, hat sich aber nie wieder gemeldet.“ Dafür fand er in Lothar Späth einen Gesprächspartner – die zwei schreiben ein Buch – und in Manfred Hess von der Berufsakademie Stuttgart einen praxisorientierten Aufbauhelfer für sein Jordanien-Projekt. Wertheimer zog in England seine Fäden, sprach vor US-Kongress und Weltbank, insistiert bei der neuen türkischen Regierung, sucht sich Pfade im EU-Dschungel, lässt keine Talkshow aus, redet, redet, redet. In einem Alter, in dem andere Golf spielen, ist er getrieben vom Wunsch, seine Zeit zu nutzen. „Ich habe mit Iscar ein Basismodell gebaut und gezeigt, dass es geht.“


      Der Aufschwung im Nahen Osten braucht nach seiner Berechnung ein Startkapital von 800 Milliarden Dollar. Geld, Know-how und tatkräftige Hilfe müssten von außen kommen, vor allem aus Europa. „Arabische Ölstaaten haben kein Interesse, ihren Brüdern auf die Füße zu helfen. Kommen aber Jordanien und die Türkei auf die Beine, beruhigt sich die Gegend. Auch Ägypten muss schnell industrialisiert werden.“ Israel sei nicht das Problem, auch wenn es derzeit den Eindruck mache. „Wir sitzen in der Mitte, sind wirtschaftlich stark, verteidigen uns.“ Für die Palästinenser sei ihr soziales Elend das Problem.


      So zu denken sei blauäugig, hat einer seiner Kritiker gesagt, der Wirtschaftsprofessor Dan Schoften. Eine Symbiose zwischen Israel und Arabien sei unmöglich: „Die Israelis besetzen das Management, die Araber geben ihre Hände. Das Geld aber bleibt beim Management hängen, und schnell würde es heißen: Die Juden trinken arabisches Blut.“ Schoften meint, das Gros der Araber wolle keine jüdischen Arbeitgeber, für sie zu arbeiten gelte als Schande. Auch dass Wertheimer mitunter recht ungestüm formuliert, irritiert manche. „Ich sage ihnen, ich bin euer Lehrer. Was ihr von mir lernt, müsst ihr in einem Jahr beherrschen.“ In einem Jahrzehnt will er das Sozialprodukt im Nahen Osten verdoppeln; romantisches Wunschdenken, spotten seine Feinde.


      Einen Wertheimer kann das nicht erschüttern. Araber und Juden müssten zusammenkommen, anders kein Wohlstand, ergo kein Frieden. Wichtigstes Argument ist ihm das Bevölkerungswachstum der Region, jedes Jahr drei bis vier Prozent. „Das Angebot neuer Jobs kann mit diesem Wachstum nicht annähernd mithalten. Wir werden die Jugend nicht ruhig halten können, wenn wir ihr keine Arbeit geben.“ Wer das nicht begreife, werde am Ende das Zehnfache für Sicherheit zahlen. „Wir müssen möglichst nahe an den Ölstaaten unabhängige Erfolgsstorys kreieren. Das garantiert wirtschaftliche und politische Stabilität.“ Sagt es und telefoniert mit Akaba. „Jordanien könnte die erste Erfolgsstory werden.“

      Die Welt
      Artikel erschienen am 13. Feb 2003
      Avatar
      schrieb am 13.02.03 08:29:16
      Beitrag Nr. 2 ()
      #1

      gäbe es doch mehr Unternehmer und Politiker von diesem Format auf der Welt, es könnte so schön sein. :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 13.02.03 08:39:12
      Beitrag Nr. 3 ()
      Avatar
      schrieb am 13.02.03 10:26:03
      Beitrag Nr. 4 ()
      eine kleine Hypothese anhand der Fakten im Artikel:

      der Mann hat ein geschätztes Vermögen von 1,2 Milliarden Dollar, nach seiner Meinung werden 800 Millionen Dollar, um seine Ziele umzusetzen, benötigt. Würde er seine Ideen selber finanzieren, blieben ihm noch 400 Millionen.

      Warum macht er es nicht selber???

      Dafür habe ich nur eine Erklärung: Gier frisst Hirn!

      Nicht, dass Ihr mich falsch versteht: ich finde seine Ansätze und Überlegungen richtig, er hätte noch erwähnen können, dass zur Infrastruktur vor allem auch Schulen und Krankenhäuser gehören.

      Tja, vom Reden allein wird sich nichts ändern.

      Grüsse kami
      Avatar
      schrieb am 13.02.03 10:31:54
      Beitrag Nr. 5 ()
      #4

      natürlich wird er nicht zum "Heiligen" mutieren, ein wenig Gewinn will ein Unternehemer natürlich schon bei der Sache haben. :D

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      Avatar
      schrieb am 13.02.03 10:35:38
      Beitrag Nr. 6 ()
      @kami: Leseschwäche frisst auch Hirn:
      er hat 800 Milliarden (!) geschätzt!
      Avatar
      schrieb am 13.02.03 10:40:32
      Beitrag Nr. 7 ()
      @apiru

      Deswegen ist Schröder gegen Krieg, weil die Bahn AG
      in Bagdad bauen will. :mad: :mad:

      Jeder hat seine Interessen und ist sich selbst am
      Nächsten. :confused:
      Avatar
      schrieb am 13.02.03 10:46:31
      Beitrag Nr. 8 ()
      #6

      Die von mir angeführte Summe kam mir gleich etwas niedrig vor, habe dann im Schnelldurchgang den Artikel noch mal durchforstet, aber die Summe nicht mehr gefunden.

      Sorry :kiss:

      kami
      Avatar
      schrieb am 13.02.03 11:06:33
      Beitrag Nr. 9 ()
      @bradwick: klick noch mal den Link an - es ist Satire!:kiss:


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