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    eröffnet am 20.03.03 22:32:33 von
    neuester Beitrag 20.03.03 22:47:44 von
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      schrieb am 20.03.03 22:32:33
      Beitrag Nr. 1 ()
      Politik

      Sicherheitsrat

      „Ihr seid nicht wichtig“

      Washington hat die Vereinten Nationen auf die Zuschauerbank verbannt. Doch schon bald wird George W. Bush begreifen, dass er die Weltorganisation braucht

      Von Matthias Nass

      Das letzte Ultimatum an Saddam Hussein war das Eingeständnis eines Scheiterns – und der Beginn einer Legendenbildung: Weil der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen „seiner Verantwortung nicht gerecht“ geworden sei, sagte George W. Bush in seiner Fernsehansprache am Montagabend, „werden wir die unsere annehmen“.

      Aber hätten die Vereinten Nationen ihre Verantwortung jemals anders wahrnehmen können als zu den Bedingungen der Vereinigten Staaten?

      Liebe war es nicht, die zwischen Washington und den UN zu Beginn der Amtszeit von George Bush blühte. Unter dem Sohn des ehemaligen UN-Botschafters Bush Sr. brachte die Weltmacht der Weltorganisation höfliches, bisweilen schroffes Desinteresse entgegen. Die Politik der neuen Administration schien alle Befürchtungen zu bestätigen: Ablehnung des Kyoto-Protokolls, Aufkündigung des ABM-Vertrags zur Raketenabwehr, die rabiate Verweigerung jeder Zusammenarbeit mit dem neuen Internationalen Strafgerichtshof: Unilateralismus pur!

      Dann kam der 11. September. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus entdeckte der Präsident plötzlich den Multilateralismus. Der Terror bedrohte alle, und es gelang Bush, eine weltweite Koalition gegen die neue Gefahr zu schmieden. Bei der Intervention in Afghanistan hatte er die Staatengemeinschaft fast geschlossen auf seiner Seite.

      Gegen Amerikas Irak-Politik aber regten sich von Beginn an Zweifel, Bedenken, Widerstand. „Vom 11. September führte eine Autobahn direkt nach Kabul. Aber zeigen Sie mir auch nur den Mauleselpfad, der vom 11. September nach Bagdad führt“, seufzte ein ratloser europäischer Außenminister. Washington vermochte eine Unterstützung von al-Qaida durch Bagdad nicht nachzuweisen. Und war die Bedrohung, die vom Irak ausging, inzwischen nicht viel geringer als vor dem ersten Golfkrieg? Hatte überdies nicht auch Amerika es hingenommen, dass Saddam die ihm in 16 UN-Resolutionen auferlegten Verpflichtungen systematisch verletzte?

      Es war Außenminister Colin Powell, der – wie Bob Woodward es in seinem Buch Bush at War schildert – im vorigen August darauf drängte, sich im Konflikt mit dem Irak der Zustimmung durch die UN zu versichern. Ihn machte die Kriegsrhetorik der forschen Bush-Truppe (Motto: „Holt die Gewehre! Sattelt die Pferde!“) nervös. Gegen den heftigen Widerstand der Falken konnte er Bush dafür gewinnen, vor der UN-Vollversammlung für seine Irak-Politik zu werben. Aber wenn schon eine Rede vor den Vereinten Nationen, dann sollte diese selbst das Thema sein, riet Vize Dick Cheney seinem Präsidenten: „Sagen Sie ihnen, es geht nicht um uns. Es geht um euch. Ihr seid nicht wichtig.“ Die UN, argumentierte Cheney, seien in Gefahr, irrelevant zu werden. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice fühlte sich an den Völkerbund erinnert: ein Debattierclub ohne Zähne.

      Ohne „moralische Mehrheit“

      Bush folgte dem Rat Powells – und der Empfehlung Cheneys. Der Irak sei „eine Bedrohung für die Autorität der Vereinten Nationen und für den Frieden“, rief er den UN-Delegierten am 12. September 2002 in einer leidenschaftlichen Rede zu. Die UN stünden vor der Herausforderung: „Werden die Resolutionen des Sicherheitsrates durchgesetzt, oder werden sie folgenlos beiseite gelegt? Erfüllen die Vereinten Nationen ihren Gründungszweck, oder werden sie irrelevant?“

      Da war es wieder, das Schmähwort, nun auch öffentlich ausgesprochen: Irrelevanz. Und nie, wenn es fortan wieder und wieder zu hören war, klang es, als gäben die USA viel darum, den UN die verlorene Relevanz zurückzuerobern.

      Und doch, es gab einen Augenblick der Hoffnung, einen kleinen multilateralen Triumph der amerikanischen Diplomatie. Am 8. November 2002 nahm der Sicherheitsrat die Resolution 1441 an, die dem Irak die „vollständige, sofortige und bedingungslose“ Abrüstung vorschreibt und auf die sich Bush jetzt stützt (siehe unten). Der Rat nahm sie einstimmig an, fünfzehn zu null, sogar Syriens Botschafter hob zustimmend die Hand.

      Aber zwischen dem November und der am Sonntag auf den Azoren von Bush verkündeten „Stunde der Wahrheit“ zerrann die Illusion vom gemeinsamen Handeln. Weil Franzosen, Deutsche und Russen auf Zeit spielten? Oder doch, weil die Amerikaner ständig wechselnde Gründe für den Krieg nannten: mal die Entwaffnung Saddam Husseins, mal seine Hilfe für al-Qaida, mal die Demokratisierung gleich des gesamten Mittleren Ostens von einem befreiten Irak aus?

      Die Mehrheit im Sicherheitsrat jedenfalls war – wie Joschka Fischer vor der Münchner Sicherheitskonferenz – „nicht überzeugt“. Sie erkannte die, anfangs spärlichen, Erfolge der Inspektionen an, wollte sie fortsetzen, nachdem Chefinspektor Hans Blix von „substanziellen Fortschritten“ berichtet hatte. Selbst kleine, von Amerika abhängige Ratsmitglieder wie Mexiko, Chile und Pakistan widersetzten sich dem beispiellosen Druck, den Washington auf sie ausübte (die Franzosen standen den Amerikanern kaum nach, hatten aber nicht viel zu bieten!). Bush und seine Adjutanten Blair und Aznar konnten nach der Veto-Drohung Frankreichs und Russlands gegen die „zweite“, den Krieg legitimierende Resolution nicht einmal mehr auf die „moralische Mehrheit“ von neun Stimmen setzen. Ein diplomatisches Debakel.

      Hat Colin Powell, wie von den Hardlinern stets geargwöhnt, Amerika naiv, gar zielstrebig in die „UN-Falle“ geführt? Muss er deshalb jetzt als Sündenbock einer gescheiterten Politik herhalten? Bei seinem letzten Auftritt im Sicherheitsrat wirkte er fahrig, müde. „Wir beobachten nicht das Zerbrechen von Zahnstochern“, hatte Hans Blix selbstbewusst die Zerstörung der Al-Samud-Raketen kommentiert. „Ich weiß, das sind keine Zahnstocher“, erwiderte Powell matt.

      Am Vorabend des Blix-Berichts hatte George Bush in seiner von allen Fernsehsendern direkt übertragenen Pressekonferenz noch einmal das Thema angeschlagen, das die Diskussionen seiner engsten Berater schon im vergangenen Sommer bestimmte: die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen. Bush war mit seiner Geduld am Ende, für ihn hatte die „letzte Phase der Diplomatie“ begonnen. „Wenn der Sicherheitsrat spricht, welches Gewicht haben seine Worte?“ Er habe mit den UN zusammengearbeitet, verteidigte sich der Präsident. Aber sein „Job“ sei es, das amerikanische Volk zu schützen. „Und wenn es um unsere Sicherheit geht, dann brauchen wir niemandes Erlaubnis.“

      Cäsarenhafte Anmaßung

      Ist also nur eine gehorsame Uno auch eine gute Uno? Blieb am Ende den Gegnern eines Irak-Krieges bloß die Wahl, die Schlagkraft der Vereinten Nationen durch einen Bruch mit der Supermacht zu schwächen oder ihre Glaubwürdigkeit durch blinde Gefolgschaft zu beschädigen?

      Das „absolute Versagen der Diplomatie“ wirft der Historiker Fritz Stern dem amerikanischen Präsidenten in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vor. Stern hat recht: Die zweite Resolution, die Amerikaner und Briten am Montag zurückzogen, hatte – neben einem Treuedienst Bushs für den um sein politisches Überleben kämpfenden Tony Blair – das Ziel, „die UN auf die Probe zu stellen. Falls das Mandat für eine militärische Intervention nicht zustande kommt, können die UN dann auch als Versager angeprangert werden, die ihre eigenen Forderungen nicht durchsetzen wollen.“

      Es wäre weltfremd, den Kriegsgegnern allein edle Motive zu unterstellen. Franzosen, Russen, Chinesen, Deutsche – sie alle verfolgen auch eine eigene nationale Agenda. Und sicherlich ist der prinzipielle Multilateralismus der Europäer auch ein Ausdruck ihrer Schwäche, so wie Amerikas „Multilateralismus à la carte“ (Richard Haass, der Planungschef im State Department) eine Konsequenz seiner Stärke ist.

      Bushs „Stunde der Wahrheit“, verkündet auf dem einsamen Azoren-Gipfel, sie war ein Ultimatum nicht an Saddam Hussein, sondern an „die Welt“. Amerika ist keine imperiale Macht, da hat Joschka Fischer Recht. Aber dies war eine imperiale Geste, ein Augenblick cäsarenhafter Anmaßung. Die Gemeinschaft der Staaten ist kein Befehlsempfänger, sie will überzeugt werden. Das ist George Bush nicht gelungen. Indem er sie seinem Willen unterwerfen wollte, hat er eine Institution beschädigt, die doch eine durch und durch amerikanische Idee ist. Er wird, wie die New York Times schreibt, einen „Krieg in den Ruinen der Diplomatie“ führen.

      Aber die Geschichte der Vereinten Nationen war immer wieder eine der tapferen Auferstehung aus Ruinen. Fürs Erste liegt die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates unter den Trümmern des Vorkrieges begraben. Dem Treffen an diesem Mittwoch, zu dem sich die Außenminister noch einmal auf den Weg nach New York machten, haftete etwas Verzweifeltes an. Und dass Hans Blix dem Rat ein langfristiges Programm für die „friedliche“ Abrüstung vorlegen wollte – gespenstisch.

      Amerika hat dem Sicherheitsrat das Heft aus der Hand genommen. Aber spätestens nach dem Krieg werden die Vereinigten Staaten sich wieder auf das nützlichste Werkzeug besinnen, das die internationale Politik je erfunden hat. Das den Interessen auch der Großmächte umso besser dient, je weniger sie es instrumentalisieren.

      Wahrscheinlich weiß das auch George Bush. Immerhin ist er dem klugen Rat Colin Powells lange gefolgt. Der gab schon bei den Beratungen im vergangenen August den Falken im Kabinett zum Thema Irak die richtige Antwort: „Es ist nett zu sagen, wir können unilateral handeln. Außer, dass es nicht funktionieren wird.“ Powell dürfte Recht behalten. Ein Trost ist das nicht.
      Avatar
      schrieb am 20.03.03 22:47:44
      Beitrag Nr. 2 ()
      :paty:


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