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    Deutschland hilft beim Wiederaufbau des Irak nicht uneingeschränkt - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 06.04.03 14:46:57 von
    neuester Beitrag 06.04.03 18:45:43 von
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      schrieb am 06.04.03 14:46:57
      Beitrag Nr. 1 ()
      ftd.de, So, 6.4.2003, 12:30, aktualisiert: So, 6.4.2003, 13:20

      Deutschland hilft beim Wiederaufbau des Irak nicht uneingeschränkt

      Die Bundesregierung hat nach den Worten von Verteidigungsminister Peter Struck starke Vorbehalte, sich an einem Wiederaufbau des Irak unter Führung der USA zu beteiligen. Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich für den Wiederaufbau Iraks unter dem Dach der Vereinten Nationen und auf der Basis eines Mandats des Weltsicherheitsrates ausgesprochen.




      "Wenn das Land nicht von der Uno wiederaufgebaut wird, sehe ich keine primäre Verantwortung Deutschlands", sagte Struck der "Frankfurter Rundschau". Die deutschen Vorstellungen seien deckungsgleich mit denen der Europäischen Union: "Die Vereinten Nationen sollten das machen." Zu Meldungen, die Bundeswehr plane bereits die Entsendung von 1500 Soldaten für eine Blauhelm-Mission der Uno nach dem Krieg, sagte Struck: "Solche Planungen gibt es nicht."

      Nach Auffassung der Sicherheitsberaterin von US-Präsident George W. Bush, Condoleezza Rice, steht die Führungsrolle beim Wiederaufbau des Irak nicht der Uno, sondern den USA zu. "Es ist nur natürlich zu erwarten, dass die alliierten Kräfte die leitende Rolle haben werden, nachdem sie sich an der Befreiung des Irak beteiligt und dafür Leben und Blut geopfert haben", zitierten US-Medien die Beraterin am Samstag.


      "Irak ist nicht Ost-Timor, Kosovo und Afghanistan", fügte Rice den Berichten zufolge mit Blick auf die dortige zentrale Rolle der Uno hinzu. Sie ging damit noch über Äußerungen von US-Außenminister Colin Powell hinaus, der in den vergangenen Tagen zumindest von einer Zusammenarbeit der USA mit der Uno beim Aufbau des Nachkriegs-Irak gesprochen hatte.



      Minister: US-Militär soll US-Unternehmen schützen


      Struck nahm in dem Zeitungsinterview auch zu Meldungen Stellung, dass schon US-Unternehmen für den Aufbau ausgesucht worden seien. Wenn sie zuträfen, sei er "erst recht der Auffassung, dass der Aufbau auch von US-Militär abgesichert wird".


      Der Minister glaubt nicht, dass ein baldiger Erfolg der USA den Irak-Krieg zum Präzedenzfall machen könnte. Die Reaktionen in aller Welt, aber "auch die Reaktionen in den USA selbst sollten die US-Regierung zur Einsicht bringen, dass der Irak eine Ausnahme bleiben muss", sagte Struck. "Alle anderen Krisen müssen politisch und diplomatisch gelöst werden." Er könne sich "ernsthaft nicht vorstellen", dass sein US-Kollege Donald Rumsfeld "schon Kriegspläne für Syrien, Iran oder ein anderes Land auf der Erde erarbeiten lässt".


      Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich für den Wiederaufbau Iraks unter dem Dach der Vereinten Nationen und auf der Basis eines klaren Mandats des Weltsicherheitsrates ausgesprochen. Mit dieser Forderung beginnt ein der Nachrichtenagentur Associated Press vorliegendes Zehn-Punkte-Positionspapier, das der außenpolitische Fraktionssprecher Friedbert Pflüger und sein für Entwicklungspolitik zuständiger Kollege Christian Ruck erarbeitet haben.



      Union schlägt "Aufbaupakt Irak" vor


      In dem Papier wird ein "Aufbaupakt Irak" vorgeschlagen, der auf möglichst rasche innere Stabilität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlichen Aufbau hinarbeite. Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend mit den EU-Partnern ein gemeinsames überzeugendes Konzept für den politischen Neubeginn und Aufbau Iraks zu erarbeiten und dafür einzutreten, dass es in den internationalen Beratungen von allen EU-Mitgliedern einmütig vertreten wird.


      Zu den Leitlinien eines solchen Konzepts zählen Pflüger und Ruck die Wahrung der territorialen Integrität Iraks, das Respektieren der Religionen, Traditionen und Sitten sowie den Erhalt des reichen Kulturgutes. Eine Übergangsverwaltung solle die humanitäre Hilfe und die Wiederaufbauaktivitäten koordinieren. Sie sollte sobald wie möglich eine die verschiedenen irakischen Bevölkerungsgruppen, Stämme und Clans ausreichend repräsentierende Versammlung einberufen, die sich auf eine Übergangsregierung und eine verfassungsgebende Versammlung verständige.


      Angestrebt werden sollte ein föderales, rechtsstaatliches, pluralistisches System. Die Rechte der Minderheiten müssten gewahrt werden. Die Übergangsverwaltung sollte die neue Ordnung solange garantieren, bis sie sich als gefestigt erwiesen habe.



      Multinationale Streitkräfte zur Stabilisierung


      Die verschiedenen irakischen Sicherheitsdienste und die Republikanischen Garden sollen dem Papier zufolge aufgelöst, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verfolgt werden. Mit internationaler Unterstützung solle eine nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnde Verwaltung geschaffen werden. Mit der militärischen Stabilisierung könnten nach dem Vorbild der Afghanistan-Schutztruppe Isaf multinationale Streitkräfte unter Beteiligung arabischer Länder beauftragt werden. Die Führung könnte der Nato übertragen werden.


      Für die Lokalisierung, Sicherung und Zerstörung von Massenvernichtungswaffen sowie für die Kontrolle des Expertenwissens könnten nach Auffassung der Unionspolitiker die Uno-Waffeninspekteure und die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO), unterstützt von den US-Streitkräften, verantwortlich sein. Eine internationale Konferenz sollte, "unter Berücksichtigung der möglichen Einnahmen aus der irakischen Ölförderung", einen Finanzierungsplan für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und eine Neuregelung der irakischen Schulden und Reparationsleistungen erarbeiten.


      Nach Ansicht von Pflüger und Ruck hätte ein so gestalteter Wiederaufbau Iraks Ausstrahlung weit über das Land hinaus: "Von einem stabilen und pluralistischen Irak kann ein entscheidender Impuls für die Lösung des Nahost-Konflikts und damit für die Befriedung der gesamten Region ausgehen."



      © 2003 Financial Times Deutschland
      Avatar
      schrieb am 06.04.03 18:45:43
      Beitrag Nr. 2 ()
      Gastkommentar: Unbequeme Lehren aus dem Krieg
      Von Pat Cox

      Europa muss wieder zu einem gleichberechtigten Partner der USA werden. Dazu sind größere Anstrengungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik notwendig.



      Pat Cox


      Wer an den dauerhaften Wert der transatlantischen Beziehungen glaubt, kann vor den ernsten Differenzen, die heute zwischen Europa und den Vereinigten Staaten bestehen, nicht länger die Augen verschließen. Ich hoffe, dass die EU die Fähigkeit entwickeln kann, sich kohärenter zu den strategischen Herausforderungen zu äußern.

      So könnte die seltsame und gelegentlich entwürdigende Prozession verlangsamt werden, in der führende Politiker einer nach dem anderen in Washington vorstellig werden, wobei fast der Eindruck von Unterwürfigkeit entsteht. Mehr Gleichberechtigung in den transatlantischen Beziehungen ist nötig. Die Europäer müssen dazu aus einem Gefühl der gegenseitigen Ergänzung gleichberechtigter Partner handeln.


      Das unschätzbare Kapital einer tief empfundenen europäischen Solidarität mit den Vereinigten Staaten ist leider in den vergangenen 18 Monaten verschleudert worden. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Europäische Union und ihre Institutionen ein leistungsfähiger globaler Partner sind, der ein kohärentes und verlässliches Verhalten an den Tag legt.


      Ich bin stolz, dass wir Europäer es sind, die im Kampf gegen die globale Erwärmung eine effektive Führungsrolle übernommen haben, und dass wir durch die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes sicherstellen, dass diejenigen, die gegen Menschenrechte verstoßen und die Völkermord begehen, vor einem ordentlichen Gericht Rechenschaft ablegen müssen. Das Fehlen von Gerichtsverfahren in Guantanamo Bay halte ich für unverzeihlich. Es verdeutlicht den Unterschied zwischen dem heutigen Europa der Werte und den heutigen USA.



      Einsatz für die Entwicklungsländer


      Solidarität ist kein leeres Wort, sondern sie kennzeichnet das Europa, an das wir glauben. Unsere Europäische Union leistet zur offiziellen Entwicklungshilfe, die nicht auf unseren Nutzen oder auf militärische Hilfe ausgerichtet ist, einen Beitrag, der 2,5-mal so hoch ist wie derjenige der Vereinigten Staaten. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten finanzieren gemeinsam 49 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe, obwohl auf sie nur ein Fünftel des weltweiten Realeinkommens entfallen.


      Wir Europäer leisten fast ein Drittel der gesamten humanitären Hilfe weltweit. Im Nahen Osten geben wir 5 Euro für jeden Euro der Vereinigten Staaten aus, um die Institutionen aufzubauen, die dort für einen dauerhaften Frieden benötigt werden. Ich bin stolz auf dieses Europa der Solidarität und auf die unterschiedlichen Akzente, die wir im Vergleich mit unseren Freunden in den USA gesetzt haben.



      Perspektiven in der Außenpolitik


      Doch es gibt noch eine weitere Perspektive, nämlich die Fähigkeit, die Glaubwürdigkeit und die Kapazität Europas, in den Bereichen der Außenpolitik, der Sicherheit und der Verteidigung zu handeln. Heute betragen die jährlichen Verteidigungsausgaben der USA 375 Mrd. $. Dies ist mehr als doppelt so viel wie die Ausgaben aller 15 EU-Mitgliedsstaaten zusammen. Die Vereinigten Staaten geben heute für die Verteidigung jedes Jahr fünfmal so viel aus wie Frankreich und das Vereinigte Königreich zusammengenommen.


      Ohne auch nur einen Euro mehr für die Verteidigung aufzuwenden, gibt es Einsparungsmöglichkeiten bei der Produktion, der Beschaffung und der Interoperabilität in der Europäischen Union, die bisher noch nicht vollständig ermittelt und genutzt worden sind. Tatsache ist, dass das US Marine Corps derzeit über größere Schwertransport- und Einsatzkapazitäten verfügt als die schnelle Eingreiftruppe der EU.


      Bei den Vereinten Nationen war Europa zuletzt in zwei Lager gespalten, doch das Ziel, das von den beiden Seiten verfolgt wurde, war gerechtfertigt. Die Uno hätte keinen Sinn mehr, wenn sie lediglich die Beschlüsse des mächtigsten Mitglieds im Sicherheitsrat absegnen würden. Ein Uno-Sicherheitsrat, der so automatisch funktioniert, verliert an Wert. Frankreich und Deutschland verteidigten diesen Standpunkt hartnäckig, indem sie automatische Beschlüsse ablehnten.


      Großbritannien und Spanien vertreten einen anderen wesentlichen Wert der Vereinten Nationen: Ein wirksamer Multilateralismus muss im Grenzfall auch bereit sein zu handeln. Wenn die Charta der Vereinten Nationen, die den Frieden unterstützt, auf bloßen Pazifismus reduziert wird, dann verliert sie den Zweck, zu dem sie gegründet wurde. Im Falle Iraks herrschten unterschiedliche Auffassungen in der Frage, wann der richtige Moment gekommen ist, um zu handeln.



      Multilaterale Lösungen


      Die Kluft zwischen den beiden gleichermaßen vertretbaren Standpunkten konnte nicht mehr überbrückt werden. Trotzdem bin ich mir sicher, dass alle EU-Staaten gemeinsam der Überzeugung sind, dass der Multilateralismus wichtig ist und nicht durch die Bildung von Ad-hoc-Koalitionen aus Gründen der Bequemlichkeit in Frage gestellt werden sollte.


      Für die Europäische Union ist es nun an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten und in aller Gelassenheit zu prüfen, wie eine gemeinsame und abgestufte Antwort für den Umgang mit schweren Problemfällen und harten Entscheidungen formuliert werden kann. Wir müssen uns außerdem dringend darum kümmern, Europa im Bereich von Sicherheits- und Verteidigungspolitik komplementär zu den USA zu machen. Wenn wir der transatlantischen Partnerschaft ihre Würde und ihre konkrete Substanz zurückgeben wollen, dann kann dies nicht in einer Partnerschaft geschehen, die durch eine ausgeprägte Ungleichheit gekennzeichnet ist.


      Pat Cox ist Präsident des Europaparlaments.



      © 2003 Financial Times Deutschland , © Illustration: patcox.ie


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