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    berichte aus der gesellschaftlichen gletscherlandschaft - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 03.12.03 00:07:35 von
    neuester Beitrag 04.12.03 22:51:01 von
    Beiträge: 15
    ID: 801.093
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      schrieb am 03.12.03 00:07:35
      Beitrag Nr. 1 ()
      Als Toter bekam er einen Namen
      AUS NEULUSSHEIM
      SUSANNE STIEFEL
      Mao geht nicht oft in die Kirche. Anfang November war der Mann mit dem langen Bart gleich zweimal dort. "Wegen dem Hennes", sagt Mao, der nach dem großen chinesischen Vorsitzenden heißt, aber nicht mehr weiß warum. Hennes und Mao, zwei Obdachlose, der Volksmund nennt sie Penner, Mao nennt sich lieber Weltenbummler. Sie haben sich gekannt, wie man sich eben kennt auf der Straße.

      Nun ist Hennes tot. Erschlagen. Von Jugendlichen und Kindern. Und Mao hat eine Kerze gekauft. Dort am Altar der evangelischen Kirche in Neulußheim steht Hennes Fahrrad samt Anhänger, mit dem er immer einkaufen gefahren ist. Direkt hinter dem inzwischen schon berühmten Aufkleber "Ein Herz für Kinder" hat Mao seine Kerze in eine Bierflasche gesteckt und angezündet. "Der Hennes hat Bier geliebt", sagt Mao. Das ist seine Art zu trauern.

      Die Kirche ist brechend voll bei diesem Trauergedenkgottesdienst für Johann Babies, den seine Freunde Hennes nannten. Ganze Schulklassen drängen sich in den Reihen, es werden zusätzliche Bänke aufgestellt. Zwei Wochen sind seit der schrecklichen Tat vergangen, und die Neulußheimer sehnen sich nach klaren Worten und einem Schlussstrich. Doch die Trauerfeier ist erst der Anfang. "Gewalt beginnt im Kopf, mit der Sprache", sagt Bürgermeister Gerhard Greiner in der Kirche, "sie bestimmt über die Medien unsere Alltagswahrnehmung." Jede Erklärung bleibt provisorisch und bruchstückhaft.

      Am späten Nachmittag des 15. Oktober, so das Vernehmungsprotokoll, fährt eine Gruppe von acht Jugendlichen zu der Waldhütte, in der Penner-Paule, wie sie ihn nennen, Unterschlupf gefunden hat. Mit einem mitgebrachten Prügel, herumliegenden Ästen und einem Besenstiel schlagen sie über zwei Stunden lang auf den 54-jährigen Obdachlosen ein. Der Hauptverdächtige ist 19 Jahre alt, die andern zwischen zwölf und 14, auch zwei Mädchen sind dabei. Viele schlagen zu, keiner ruft Nein, das Protokoll spricht von anfeuernden Rufen. Das Opfer lassen sie mit Rippenbrüchen, Frakturen an Armen und Beinen liegen. Johann Babies, genannt Penner-Paule, stirbt an inneren Blutungen und Unterkühlung. Kein Kind vertraut sich den Eltern an, kein Jugendlicher telefoniert um Hilfe. Nicht einmal anonym. Seitdem fragen sich nicht nur die Neulußheimer, was mit ihren Kindern los ist.

      Fast zehn Jahre lang lebte Johann Babies in Neulußheim, einem kleinen Ort bei Hockenheim in Baden-Würtemberg. Viele der 6.000 Einwohner kannten sein Gesicht, doch für die meisten hatte er weder einen Namen noch eine Geschichte. Er saß an der Bushaltestelle vor dem Rathaus, wenn er sein Tagesgeld abgeholt hatte, sein Fahrrad samt Anhänger gehörte zum Ortsbild, sein roter Bart leuchtete. Der Bürgermeister grüßte, der Pfarrer plauderte mit ihm, wenn er zum Essen ins Pfarrhaus kam. Einen Namen bekam Johann Babies erst, als er tot war.

      Mao, der mit ihm auf Platte war, ist wohl der Einzige, der seine Geschichte kennt. Fernfahrer sei er gewesen, viel unterwegs, verheiratet und glücklich, bis ihn seine Frau betrog. "Das war an Weiberfasnet", erzählt Mao, "darüber ist er nie weggekommen. Der Hennes war monogam." Er trank, verlor seinen Führerschein, seine Arbeit, seine Wohnung. Und landete so auf der Straße. "Er war mitten im Ort und doch nicht Teil der Dorfgemeinschaft", sagt der Pfarrer selbstkritisch. Aber auch das erklärt eigentlich nichts.

      Rektor Peter Scholl ist ein ernster Mann. Er ist 54 Jahre alt, die Anspannung der letzten Wochen hat seine Mundwinkel nach unten gebogen. Eines der tatverdächtigen Mädchen ging in seine Schule, bevor sie beurlaubt wurde. Nur eine der Tatverdächtigen, aber auch eine ist zu viel. Sie fiel weder durch besondere Aufmüpfigkeit auf noch dadurch, dass sie außergewöhnlich in sich gekehrt war. Ein normales Mädchen eben, aus einer unauffälligen deutschen Familie, wie die anderen auch. Das erschreckt viele am meisten.

      Peter Scholl hat all die Fernsehteams rausgeworfen, die in seine Schule drängten und Schüler vor die Kameras zerrten. Er hat Schulpsychologen ins Haus geholt, hat diskutiert mit den Schülern. Die müssen damit leben, dass die 13-Jährige, die sie als freundliches Mädchen kennen, mindestens dabei war, als ein wehrloser Mann totgeschlagen wurde. "Mörderin!", beschimpfen sie die einen. "Sie bleibt meine Freundin", sagen die anderen. Nicht nur die Klasse ist zerrissen. "Wir haben versagt", sagt der Schulleiter und meint nicht nur die Schule. "Aber wir wissen nicht wo." An der Schule gibt es Training für Gewaltprävention, Mediatoren und eine Schulordnung, die Gewalt ausdrücklich verurteilt.

      Wie konnte das passieren? Wie konnten sie stundenlang auf jemanden einprügeln, der schon wimmernd am Boden lag? Diese Fragen quälen auch den Rektor. "Manchmal kommt es mir vor, als hätten die Kinder nicht realisiert, was sie da tun", sagt Scholl zögernd, "als ob sie dachten, man könne einfach einen Knopf drücken, und das grausame Spiel ist aus." Doch es war kein Videospiel, das weiß auch der Rektor. Es ist nur ein weiteres Bruchstück.

      Der Waldweg zur Hütte ist nass vom Regen und übersät mit toten, schwarzen Käfern. Er führt dicht vorbei an Johann Babies Zufluchtsort, der zum Tatort wurde. Nur hundert Meter entfernt die Tennishalle und das Waldhaus, wo man italienisch essen kann. Gleich hinter den Bäumen rauscht die befahrene Bundesstraße. Dieser Ort ist nicht am Rand der Welt. An der Hüttenwand klebt die Todesanzeige der Gemeinde: "Unfassbares ist in unserer Gemeinde geschehen. Wir wollen nicht vergessen. Wir erinnern und gedenken Johann Babies." Darunter Gestecke und Töpfe voll Erika und Stiefmütterchen.

      Wo Johann Babies gelebt hat, liegen Müllsäcke voller Bierdosen, eine alte Hose, Holzscheite, das Gerüst eines Fahrrads. Alles liegt durcheinander, übereinander, Dreck, Müll, versiffte Lappen. Meinten die Täter, das Leben eines Menschen, der so lebt, sei nichts wert? Auch das ist nur ein Bruchstück.

      Also wabern viele Gerüchte durch Neulußheim: "Die wollten die Hütte für sich", heißt eines. "Der Ältere, in der Schule nur Sechsen, der wollte doch zur Bundeswehr. Dann hätte er noch rumgeballert", vermuten andere. Ein Gerücht scheint sich inzwischen als wahr herausgestellt zu haben: Schon zwei Tage vor seinem Tod sollen Neulußheimer Jugendliche Johann Barbies brutal zusammengeschlagen haben. Fest steht, dass die Polizei gegen vier weitere 14- und 15-Jährige ermittelt.

      Die Empörung ist groß in Neulußheim. Sie mündet in anonymen Briefen und E-Mails an den Bürgermeister. Der Stammtisch hat die Täter im Blick und fordert harte Strafen für die Kinder. "Was sind das eigentlich für Menschen, die so was machen? Oder sind das überhaupt noch Menschen?", fragt ein Anonymus, der sich selbst als junger Neulußheimer bezeichnet. Vor so viel selbstgerechtem Zorn wird auch dem Bürgermeister kalt. Simple Lösungen ersparen schmerzhaftes Nachdenken.

      Die Familien sollen wegziehen, ist so eine Forderung. "Ratschläge können wie Schläge sein", sagte Pfarrer Uwe Sulger im Trauergottesdienst. Und später im Pfarrhaus fügt er noch hinzu: "Ich will nicht, dass die Leute durchs Dorf gejagt werden." Der 44-Jährige ist ein engagierter Pfarrer, in seiner Jugend war er selbst in einer Art Bande in Mannheim. Er weiß, was Gruppendynamik ist, er kennt Begriffe wie Ehre und Mut.

      Sulger betreut zwei Tatverdächtige und deren Familien, vermittelt therapeutische Hilfe, bietet selbst Gespräche an. "Ich spüre eine Riesenunsicherheit bei den Kindern", sagt Sulger. Die Polizei stellte bei der Vernehmung eher fehlende Betroffenheit fest. Sulger glaubt, die Jugendlichen realisierten erst langsam, was sie getan haben. Aber sie müssten lernen, die Verantwortung zu übernehmen und mit der Schuld zu leben.

      Auch Bürgermeister Greiner will die Jugendlichen nicht verdammen. Seit mehr als zehn Jahren ist er im Amt. Die letzten Wochen waren die schwersten. Auch er sucht nach Erklärungen und findet nur Bruchstücke. Doch als Rathaus-Chef muss er manchmal ganz praktisch denken. Nach Wochen der Lähmung und des Schweigens hätten die Bürger klare Worte erwartet. Mit dem Trauergottesdienst wollte Greiner nicht nur Abschied von dem erschlagenen Obdachlosen nehmen. Er wollte auch die aufgeladene Stimmung im Ort in den Griff bekommen. Das war vor vier Wochen.

      Doch der Bürgermeister will mehr, will wenigstens ein paar der Bruchstücke zu einem Bild zusammenfügen, will gemeinsam mit anderen weiterfragen: "Warum haben Kinder, die in unsere Kindergärten und Schulen gingen, eine so schreckliche Tat begangen? Was ist bei uns falsch gelaufen? Wie kann man verhindern, dass sich eine solche Tat wiederholt?"

      Mit einem runden Tisch vor wenigen Tagen hat die Spurensuche in Neulußheim begonnen. "Wir legen die Sache nicht ad acta, wir haken es nicht ab, wir wollen es aufarbeiten", sagt Greiner. "Wir", das sind Pfarrer Sulger, Schulleiter Scholz, die Jugendarbeiterin und Experten der Polizei. Sie wollen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Sie wollen unbequeme Fragen stellen und vor allem Antworten finden.

      Nicht allen in Neulußheim gefällt dieser Eifer. Viele meinen, einen Anspruch auf ein Stück Normalität zu haben. Viele wollen nicht mehr erinnert werden an eine Tat, für die sie sich nicht mitverantwortlich fühlen wollen. Bis auf einen sind die tatverdächtigen Schüler nach den Herbstferien und vierwöchiger Beurlaubung nicht mehr an ihre alten Schulen zurückgekehrt. Den 14-Jährigen drohen Jugendstrafen, die Jüngeren sind noch nicht strafmündig. Für den 19-Jährigen wird es wohl härter kommen. Er sitzt immer noch in Untersuchungshaft. Bis zum Prozess. Der soll Anfang nächsten Jahres beginnen. Viele hoffen dann auf einen Neuanfang.

      Längst gehen alle in Neulußheim wieder ihren Geschäften nach. Mao hat sein Tagesgeld heute schon abgeholt und steht an der Bushaltestelle, wo auch der Hennes immer saß, und trinkt ein Bier. Längst flackern hier keine Kerzen mehr, die Gestecke und Blumen sind verschwunden. Der Bürgermeister hat den örtlichen Bauhof beauftragt, die Trauerstelle zu räumen.

      taz Nr. 7224 vom 3.12.2003
      Avatar
      schrieb am 03.12.03 07:56:39
      Beitrag Nr. 2 ()
      Ein sehr politischer Artikel. Wirft er doch ein Schlaglicht auf die Auswirkungen des Zustandes unserer Gesellschaft.
      Avatar
      schrieb am 03.12.03 09:02:28
      Beitrag Nr. 3 ()
      Heiße Kaspar!
      Avatar
      schrieb am 03.12.03 22:48:43
      Beitrag Nr. 4 ()


      Im Abseits: Die Zahl der Obdachlosen in Deutschland steigt.

      Dienstag, 2. Dezember 2003
      Anstieg um bis zu 20 Prozent
      Immer mehr Obdachlose

      Der Sparzwang vieler Kommunen und die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt drängt nach Einschätzung des Diakonischen Werks immer mehr Menschen ins soziale Abseits: Die Zahl der Obdachlosen steige, unter den Hilfesuchenden seien mehr junge Menschen und auch mehr Frauen als in den vergangenen Jahren, teilte das Diakonische Werk der EKD mit.

      Rund 400.000 Menschen in Deutschland haben nach Angaben der Diakonie keine feste Bleibe mehr, rund 20.000 leben ganz auf der Straße. Die Zahl der Obdachlosen werde in diesem Jahr um bis zu 20 Prozent steigen.

      Hilfebedürftige immer jünger
      "Der Altersdurchschnitt der Hilfebedürftigen sinkt dramatisch", sagte Wolfgang Gern, Vorsitzender der Evangelischen Obdachlosenhilfe. Waren vor zehn Jahren zumeist über 50-Jährige auf Notunterkünfte angewiesen, seien die Betroffenen heute durchschnittlich 38 Jahre alt. Rund ein Viertel sei sogar jünger als 28 Jahre. Die Gründe dafür sieht Gern in einer restriktiveren Jugendhilfe, dem Mangel an Lehrstellen sowie dem Abbau geschützter Arbeitsplätze.

      Immer sichtbarer im Straßenbild würden auch obdachlose Frauen. Bundesweit wird ihre Zahl auf 2.500 geschätzt.

      Überschuldung, Langzeitarbeitslosigkeit oder Trennungskrisen führen nach Einschätzung der Diakonie häufig in Wohnungs- oder Obdachlosigkeit. Viele kleinere Kommunen strichen ihre Hilfsangebote in Zeiten knapper Haushalte so zusammen, dass Betroffene in die Städte abwanderten. Metropolen wie das hoch verschuldete Berlin könnten diese Entwicklung nicht mehr abfedern: In der Hauptstadt bieten in diesem Winter 60 Institutionen Kältehilfe an - im vergangenen Jahr waren es 83.

      Keine "Wohlstandsinseln" mehr
      Auch "Wohlstandsinseln" wie der Neckarraum sind nach den Beobachtungen der Diakonie inzwischen von sichtbarer Armut betroffen. In Ballungsgebieten wie München, Stuttgart, Hamburg und im Rhein-Main-Gebiet gebe es offene Wohnungsnot. Hier könnten einkommensschwache Haushalte die Mieten nicht mehr bezahlen.

      Mit Blick auf die Zukunft geht die Diakonie von einem weiteren Anstieg der Wohnungslosigkeit aus, weil sich der Bestand an Sozialwohnungen weiter verringere. Die Evangelische Obdachlosenhilfe unterhält bundesweit rund 360 Einrichtungen. Die Diakonie ist nach eigenen Angaben der größte Anbieter von Hilfen für Menschen auf der Straße.
      http://www.n-tv.de/5197354.html
      Avatar
      schrieb am 03.12.03 22:54:28
      Beitrag Nr. 5 ()
      03.12.2003

      Ausland
      Christian Bunke

      Tödliche Jobs

      In Manchester führen elf Elektriker eine Kampagne gegen prekäre Arbeitsverhältnisse

      Seit etwa sechs Monaten gibt es im britischen Manchester eine Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe von Elektrikern und der Firma DAF Electrical, die ein bezeichnendes Licht auf die britische Arbeitswelt wirft. Die insgesamt elf Arbeiter wurden von DAF Electrical im vergangenen Frühsommer kurzerhand entlassen, als sie ausstehende Löhne einforderten, die Anerkennung ihrer Gewerkschaft verlangten und die zunehmende Prekarisierung der Verhältnisse auf britischen Baustellen anprangerten – insbesondere die Praxis von DAF Electrical, ungelernte Arbeitskräfte für hochgefährliche Aufgaben einzusetzen.


      Der Rauswurf hinderte die elf jedoch nicht daran, ihren Protest fortzusetzen. Seit Monaten folgen sie dem Unternehmen von Baustelle zu Baustelle. Im Moment ist dies der Neubau eines Gerichtsgebäudes, der Wert beläuft sich auf 30 Millionen Pfund. An den Bauzäunen hängen große Transparente, die die von DAF Electrical Beschäftigten, auch die in prekären Arbeitsverhältnissen, zur Arbeitsverweigerung aufrufen. Die Kampagne wird durch Spenden aus der örtlichen Gewerkschaftsbewegung und von vorbeilaufenden Passanten am Laufen gehalten. Die Gewerkschaftsführung hat bislang jedoch nichts unternommen. Dem Gewerkschaftsaktivisten Steve Acheson zufolge hat DAF Electrical aufgrund der Kampagne zunehmende Probleme, Arbeitskräfte aus der Region anzuwerben.

      Am heutigen Mittwoch wollen die Elektriker mit einer Protestaktion auf die Gefahren durch die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse hinweisen. 20 000 Unterschriften sollen bei einer Stadtratssitzung eingereicht werden, um die öffentliche Unterstützung aus der Bevölkerung für die Kampagne zu unterstreichen. Sie weisen darauf hin, daß die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse tötet.

      Ein bekanntes Beispiel dafür ist Simon Jones, der 1998 an seinem ersten Arbeitstag auf den Shoreham Docks im südenglischen Brighton 24jährig tödlich verunglückte. Er war arbeitslos und wurde von seinem Arbeitsamt so lange getrieben, bis er bereit war, jeden Job anzunehmen. Er erhielt keinerlei Einweisung für seine neue Arbeitsstelle. Das hat ihn das Leben gekostet. Hätte er den Job nicht angenommen, wäre ihm die Arbeitslosenhilfe gekürzt worden.

      Die Regierung hat schon vor drei Jahren ein Gesetz angekündigt, das die Strafverfolgung von Unternehmen vereinfachen sollte, die gegen Sicherheitsbestimmungen verstoßen. Das Gesetz ist bis heute nicht verabschiedet worden.
      Allein in den vergangenen drei Jahren kamen in Großbritannien 1 800 Menschen bei Arbeitsunfällen ums Leben. In den vergangenen zehn Jahren verunglückten etwa 1 500 Menschen tödlich auf Großbritanniens Baustellen. Es gab 71 Tote im vergangenen Jahr und 26 Tote zwischen April und Juni dieses Jahres. Weitere 4 000 schwere Arbeitsunfälle passieren jedes Jahr auf britischen Baustellen.

      Unterdessen werden der Regierungsbehörde, die für die Überwachung von Sicherheitsstandards auf britischen Arbeitsplätzen zuständig ist, die Mittel gekürzt. Kürzlich wurde ein drastisches Sparprogramm für die Behörde bekanntgegeben, welches mindestens für die kommenden drei Jahre ausgelegt ist. Die Effektivität der Behörde wird sich künftig also noch mehr als bisher in Grenzen halten. In Manchester haben die Behörden bislang keine einzige Inspektion auf den von DAF Electrical betriebenen Baustellen durchgeführt, obwohl die elf entlassenen Elektriker auf illegale Arbeitspraktiken und gravierende Sicherheitsmängel hingewiesen haben. Auch dies ist kein Einzelfall. Im Durchschnitt ermittelt die Behörde nur in einem von 20 Unfällen. Ungefähr 48 000 schwere Unfälle, also solche, die mindestens den Verlust eines Beines, Armes oder Erblindung zur Folge haben, sind bislang unbearbeitet.

      Anne Jones, die Mutter von Simon Jones, fordert ein Gesetz, das es ermöglicht, Unternehmer, die Sicherheitsvorschriften umgehen, wegen Mordes anzuklagen und hinter Gitter zu bringen. In der Blair-Regierung, die ansonsten die Gefängnisse nicht schnell genug vollkriegen kann, gibt es hierfür nur wenig Enthusiasmus. In Anbetracht dieser Umstände ist es nicht verwunderlich, wenn Gewerkschaftsaktivisten immer häufiger vom »Kriegsschauplatz Arbeitsplatz« sprechen.
      jungewelt.de

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      Avatar
      schrieb am 04.12.03 09:00:58
      Beitrag Nr. 6 ()
      Paßt hier in die Gletschelandschaft herein.
      Man lese und staune über die Vorhaben angesichts einer Kappung des Forschungs- und Bildungsetats in diesem Herbst um 155 Millionen Euro und einer weiteren vorgesehenen Streichung in 2004 von 84 Millionen Euro.

      Hier der Text aus der SZ von heute:
      "...Pythagoras für alle

      Kultusminister unterzeichnen Bildungsstandards für Schüler

      Sie sollen die größte und wichtigste Reform des Schulwesens nach dem Pisa-Debakel werden: Die Bildungsstandards – also die konkrete Formulierung dessen, was Schüler einer bestimmten Klasse wissen und können müssen. Am heutigen Donnerstag wird die Kultusministerkonferenz (KMK) in Bonn zusammenkommen und die ersten Standards verabschieden. Sie sollen vom nächsten Schuljahr an gelten.


      Nur wenige Monate, nachdem die schlechten Pisa-Ergebnisse publik geworden waren, beschlossen die Länderminister im Mai 2002, Standards zu entwickeln. Sie sollen eine bessere Leistung der Schulen garantieren und ein wenig Einheitlichkeit in das wild wuchernde föderale Schulsystem Deutschlands bringen. Denn in 16 Bundesländern gibt es 16 unterschiedliche Schulstrukturen, deren einzige Gemeinsamkeit vier Jahre Grundschule ist. Alles andere – ob Schularten, Fremdsprachenfolge, Lehrpläne oder Bücher – variiert so stark von Land zu Land, dass Schüler nach einem Umzug oft ein oder zwei Jahre verlieren.


      Zur Unterzeichnung stehen nun als Erste die Standards für den mittleren Schulabschluss nach der zehnten Klasse in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Weitere sollen im Frühjahr folgen. Drei Fachkommissionen mit Pädagogen und Didaktikern der Länder haben sie erarbeitet. Sie enthalten allgemeine Ziele, konkrete „Leitideen“ sowie Musteraufgaben.


      Im Fach Deutsch zum Beispiel erwartet man von den Schülern eine „solide schriftliche und mündliche Kommunikations- und Darstellungsfähigkeit“. Sie sollen „sprechen und zuhören “ können, was unter anderem bedeutet, Referate mit Hilfe eines Stichwortzettels vortragen zu können oder sich konstruktiv an einem Gespräch zu beteiligen. Beim Schreiben wird erwartet, dass man einen Lebenslauf verfassen oder Thesen zu einem Text formulieren kann. Im Abschnitt Lesen schließlich müssen Schüler wissen, was der Unterschied zwischen einem Roman und einer Novelle ist. Prozent- und Zinsrechnung sind Grundvoraussetzung in Mathematik, ebenso wie der Satz des Pythagoras und die Sinusfunktion.


      Die Erwartungen an die Standards sind hoch, die Kritik hält an. So forderte der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Eckhart Klieme „Mindeststandards“ statt der Regelstandards der KMK. Dahinter steckt mehr als nur ein semantischer Streit. Mindeststandards würden die Schulen eher in die Pflicht nehmen, auch jeden Schüler bis zu diesem Punkt zu fördern, erläuterte Klieme. Bei Regelstandards könnten viele unten durchrutschen. Manche Kritiker wollen auch lieber allgemeiner formulierte „Kompetenzen“ statt konkreter Lerninhalte festschreiben.


      Ob Standards letztlich Wundermittel oder Teufelszeug sind, wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft formuliert hat, wird davon abhängen, wie die Länder sie umsetzen werden und wie ernst man sie an den Schulen nimmt. Vor allem werden die Kultusminister heute auch die Gründung eines Instituts beschließen müssen, das Tests entwickelt, mit denen geprüft wird, ob die Standards auch eingehalten werden. Geplant ist ein wissenschaftliches Institut an einer Universität in München oder Berlin mit einem Jahresetat von 2,5 Millionen Euro. Gute Leistung hat eben ihren Preis.


      Jeanne Rubner.."

      Ja, wat denn nu? Hohe Forderungen - noch höhere Kürzungen
      :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 15:48:23
      Beitrag Nr. 7 ()
      "Die Polizei stellte bei der Vernehmung eher fehlende Betroffenheit fest. Sulger glaubt, die Jugendlichen realisierten erst langsam, was sie getan haben. Aber sie müssten lernen, die Verantwortung zu übernehmen und mit der Schuld zu leben.

      Auch Bürgermeister Greiner will die Jugendlichen nicht verdammen."


      ...tja, verdammen will er sie nicht. Aber irgendwer hätte den Kindern vielleicht mal beibringen können, dass echte Schmerzen weh tun und echte Menschen nach ihrem Tod nicht mir "Aus- und wieder Einschalten" das nächste Leben haben wie in ihren Videospielen - oder was sie sich auch immer vorstellen....
      Moralische Verrohung hat mit Erziehungsdefiziten zu tun. Die sind hier offensichtlich, sonst schlägt man keinen Menschen tot. Die "Kinder" sind Täter, nicht Opfer....:mad:
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 15:58:16
      Beitrag Nr. 8 ()
      Sie sind, wie Du ja selbst aufzeigst, natürlich beides
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 16:33:38
      Beitrag Nr. 9 ()
      Sie sind in erster Linie Täter.

      Natürlich werden in der Erziehung Fehler gemacht, aber sämtliche Exzesse von Tätern immer nur auf die Erziehung und die Herkunft zu schieben, ist dann doch ein wenig einfach.

      In erster Linie ist jeder für sein Handeln selbst verantwortlich. Und dazu sollte insbesondere das brutale geplante stundenlange Totprügeln eines anderen Menschen gehören. Das ist kein Affekt oder ein trauriges Versehen, kein Unfall mehr. Das ist eiskaltes Abschlachten im Blutrausch.
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 18:07:03
      Beitrag Nr. 10 ()
      #9
      Alle Kinder tragen ein Schild mit der Aufschrift: "Ich will ernst genommen werden." Daß niemand dieses Schild beachtet, ist eine der Hauptursachen der vielzitierten Jugendverwahrlosung in unserer Zeit.

      Wie sollen Kinder das Miteinander lernen, wenn ihren Eltern das Gegeneinander aufgezwungen wird?
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 18:46:41
      Beitrag Nr. 11 ()
      #10 MinMacker,

      zwischen Verwahrlosung und dem stundenlangen Hinrichten eines Menschen, der zu Tode geprügelt und getreten wird, liegt noch ein sehr sehr weiter Weg.

      Der Gesellschaft kann vieles angelastet werden, beim brutalen gemeinschaftlichen Lynchen und Massakrieren ist sie aber nicht als Ausrede akzeptabel.

      Unbestritten ist eine Umorientierung unserer Gesellschaft auf mehr Miteinander und Fürsorge notwendig, damit nicht sämtliche moralischen Schranken wie in diesem Vorfalle zugrunde gehen.
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 21:57:39
      Beitrag Nr. 12 ()
      Recht so, mausschubser....es ist ein Unterschied, ob Kinder in Läden klauen, ob sie Autos knacken, ob sie Mitschüler ausrauben oder ob sie Obdachlose ermorden....

      Ich sehe da eine Steigerung. Und eine derartige Verwahrlosung - da ist mit Sicherheit zuletzt "die Gesellschaft" schuld. Jedenfalls nicht im MinMackers Sinne der überharten Konkurrenz. Sondern schon eher in dem Sinne, dass richtig und falsch nicht mehr unterschieden wird - und schon gar keine unterschiedlichen Folgen hat.

      Manchmal scheint es ja soger, als würde "falsch" noch belohnt und "richtig" bestraft, weil der "Falschmacher" ja ein schweres Leben gehabt haben muss - während der Richtigmacher nur davon profitiert, dass er mit dem goldenen Löffel im Mund geboren sein soll....:rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 22:04:39
      Beitrag Nr. 13 ()
      xylo, da kann ich dir absolut zustimmen.
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 22:36:29
      Beitrag Nr. 14 ()
      Ich sehe da eine Steigerung. Und eine derartige Verwahrlosung - da ist mit Sicherheit zuletzt " die Gesellschaft" schuld. Jedenfalls nicht im MinMackers Sinne der überharten Konkurrenz. Sondern schon eher in dem Sinne, dass richtig und falsch nicht mehr unterschieden wird - und schon gar keine unterschiedlichen Folgen hat.

      mir scheint, die herren xylophon und mausschubser denken - wenn überhaupt - zu kurz. was sich da im totschlagen eines wehrlosen ausdruck verschafft, ist in der tat ein gesellschaftliches problem, in dem die kindertäter nichts sind als nachahmer, die einer unkultur ausdruck verschaffen, die auf weltweiter ebene speziell von xylophon beifall und nichts als beifall erhalten hat.

      wenn eine clique unverforener milliardäre durch noch unverfrorenere profitmacher abgesegnet, staatsstreiche und mörderische diktaturen einrichtet, kriege mit millionen toten vom zaum bricht, dann sind das die vorbilder für die kälte, mit der gemordet wird. da gibt es offensichtlich keinen xylophon, der zwischen richtig oder falsch unterscheidet. da eben geht es doch gerade um bestialisch ausgeführten konkurrenzkampf. wer den zusammenhang nicht erkennen kann und einerseits klar täter ermittelt, andererseits in beifall ausbricht, wenn von wirtschaftsseite auftragsgemäss von staatswegen gemordet wird, der lügt sich selbst in die tasche und vergibt sich jede chance, zu begreifen, was vor sich geht.

      zustimmung: was da, in die wege geleitet durch einen gnadenlosen kampf um die letzten ressourcen angestossen worden ist, das ist in der tat eine steigerung, eine unglaubliche verwahrlosung des handelns der sogenannten eliten, die ihre folgen zeitigt und die sich ganz besonders deutlich auch in dem kampf der britischen elektriker gegen eine kriegsmaschinerie zeigt, die längst in der arbeitswelt, d.h. in unser aller alltag angekommen ist.

      warum also sollten diese kinder nicht morden, wie es ihnen jeden tag im angeblichen sinne von demokratie und freiheit vorgemacht und im interesse des shareholder-value in pc-spielen im interesse der grossen mörder dieser welt verkauft wird?
      Avatar
      schrieb am 04.12.03 22:51:01
      Beitrag Nr. 15 ()
      Folter und Mord in Nigeria
      02.12.2003

      In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht beschuldigt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HWR) die nigerianische Regierung, für die Bedrohung, Folter und Ermordung von Kritikern in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich zu sein.

      Die genannten Menschenrechtsverletzungen wurden in dem zum britischen Commonwealth gehörenden Land dem Bericht zufolge hauptsächlich durch die nigerianische Polizei und den Geheimdienst des Landes verübt, um Kritiker zum Schweigen zu bringen.

      In den schlimmsten Fällen sind Menschen erschossen worden, nur weil sie ihr Recht zu demonstrieren ausübten. Im Juli sind bei großen Demonstrationen anläßlich stark gestiegener Benzinpreise in Lagos, in Port Harcourt und in Abuja zwischen 12 und 20 Menschen von Polizisten erschossen worden. Unter den Opfern waren friedliche Demonstranten und Passanten, die nicht einmal an den Demonstrationen beteiligt waren.

      Der Bericht enthält auch die Aussagen mehrerer Menschen, die auf Anordnung höchster Stellen hin gefoltert wurden, nachdem sie im Juli vor der US-Botschaft gegen den Besuch des US-Präsidenten George W. Bush friedlich demonstriert und daraufhin verhaftet worden waren. Anläßlich dieses Besuches hatte der nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo auch eine ganze Reihe von Häusern zerstören lassen, offenbar, um ein "gepflegteres Stadtbild" zu erreichen.

      "Präsident Obajanjos Versprechen von Demokratie haben kaum eine Bedeutung, solange Menschen verhaftet, gefoltert und erschossen werden, nur weil sie gegenüber der Regierung kritische Ansichten äußern", sagte Peter Takirambudde, leitender Direktor der Afrika-Abteilung von HRW.

      Die Unterdrückung Andersdenkender richtet sich dem Bericht zufolge aber nicht nur gegen Demonstranten und andere "einfache Bürger", sondern ebenso gegen Mitglieder von Oppositionsparteien, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten.

      Erst am 21. November ist der Journalist Psaro Yornamue, der für die Zeitung Daily Independent arbeitet, auf dem Weg in sein Büro geschlagen und bedroht worden, offenbar aufgrund eines von ihm verfassten Artikels, in dem er den stellvertretenden Gouverneur des Bundesstaates River der Korruption beschuldigte.


      Vom 5. bis 8. Dezember wird in der Hauptstadt Nigerias, Abuja, ein Treffen der Regierungschefs der Länder des Commonwealth stattfinden.

      "Ausländische Regierungen sind hinsichtlich der Gewalt im Zusammenhang mit den Wahlen sehr schweigsam gewesen, während Verstöße bei den Wahlen in Zimbabwe von vielen Ländern verurteilt wurden", so Takirambudde. "Solange der Commonwealth nicht Verstöße in allen seinen Mitgliedsstaaten behandelt und sie entsprechend verurteilt, wird er weiterhin der Doppelmoral beschuldigt werden und seine Glaubwürdigkeit wird untergraben."

      Ein Grund dafür, daß Verstöße in Nigeria von anderen Ländern eher nachsichtig behandelt werden, dürften die großen Ölvorkommen in dem Land sein. 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stammen aus Ölverkäufen und sogar 95 Prozent der Deviseneinkünfte des Landes.

      Anfang 2002 wurden die Vorkommen Nigerias auf insgesamt 27 Milliarden Barrel geschätzt. Zum gleichen Zeitpunkt wurden die amerikanischen Vorkommen auf 22,45 Milliarden Barrel geschätzt.
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