checkAd

    Lokalwährung in Berlin mit staatlicher Unterstützung (Freigeld) - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 05.06.04 18:34:17 von
    neuester Beitrag 08.07.04 11:14:41 von
    Beiträge: 5
    ID: 867.447
    Aufrufe heute: 0
    Gesamt: 597
    Aktive User: 0


     Durchsuchen

    Begriffe und/oder Benutzer

     

    Top-Postings

     Ja Nein
      Avatar
      schrieb am 05.06.04 18:34:17
      Beitrag Nr. 1 ()
      Tausche "Berliner" gegen Euro

      Lokalwährungen sollen in der Hauptstadt und andernorts die regionale Wirtschaft stärken

      Thomas H. Wendel


      BERLIN, 4. Juni. Eigentlich ist der Sonntag für Peter Masloch ein Markttag wie jeder andere. Der Weinhändler wird hinter einem der rund 50 Stände stehen, die dann den Berliner Edel-Boulevard Unter den Linden zwischen dem Brandenburger Tor und der Friedrichstraße säumen. Die Naturschutzgruppe Grüne Liga veranstaltet dort ihr "Umweltfestival" - was für Masloch zuerst einmal ein lohnendes Geschäft zu werden verspricht: "Ich rechne schon mit einem Umsatz von rund 1 000 Euro", sagt der Händler, der Öko-Wein aus dem Kaiserstuhl sowie Sangría ausschenken will.

      Kalkulierter Wertverlust

      Und doch wird sich das Fest von anderen Veranstaltungen dieser Art unterscheiden: In Maslochs Kasse wird nämlich neben dem Euro ein zweites Zahlungsmittel liegen - der "Berliner". Der Händler ist einer von rund 25 Standbesitzern, die bei der Premiere der Hauptstadt-Währung dabei sein wollen. Läuft alles nach Plan, wollen die Organisatoren um den Wirtschaftsingenieur Alexander Woitas das Alternativgeld von September an im Stadtteil Prenzlauer Berg dauerhaft in Umlauf setzen. "Kleine Gewerbestrukturen können so unterstützt und regionale Wirtschaftskreisläufe neu belebt werden", sagt Woitas.

      Mit dieser Hoffnung steht Woitas nicht alleine: In 18 deutschen Städten steht die Einführung einer lokalen Konkurrenz zum Euro bevor. Bürger von Bremen, Bad Oldesloe, Gießen sowie der bayerischen Orte Prien und Ainring können bereits mit "Roland", "Justus" oder dem "Chiemgauer" einkaufen gehen.

      Das theoretische Fundament für die Bewegung wurde 1916 gelegt. Der deutsche Geldreformer Silvio Gesell (1862-1930) ortete damals den Kern aller Ausbeutung - anders als Karl Marx - nicht im Privatbesitz an Produktionsmitteln. Vielmehr sei die Vormachtstellung des Geldes im Wirtschaftskreislauf daran Schuld: Während Waren verfaulten, verrotteten oder veralteten, ließen sich Münzen und Banknoten ohne Nennwertverlust horten. Da Geld aber als "Fußball der Volkswirtschaft" (Gesell) ständig zum Warentausch gebraucht werde, könnten Geldbesitzer von allen Arbeitenden - Unternehmern wie Angestellten - Zinsen ohne Gegenleistung erpressen. Und nur vom Vermögen leben.

      Diesen leistungslosen Einkommen wollte Gesell durch periodische Wertverluste der Banknoten beikommen. Geld sollte "rosten". Überzähliges Kapital würde ohne Renditeerwartung auf die Bank getragen, Unternehmer könnten Kredite zu gegen null Prozent fallenden Zinsen aufnehmen, Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und Inflation, so Gesell, würden wie die Kapitalrentner allmählich verschwinden.

      Um die von Gesell propagierte kapitalismusfreie Marktwirtschaft war es trotz einiger Geldexperimente in den dreißiger Jahren ruhig geworden - bis vergangenes Jahr. Da behandelte der Priener Lehrer Christian Gelleri das Thema im Wirtschaftsunterricht seiner Waldorfschule. Sechs Schülerinnen aus der zehnten Klasse waren das Theoretisieren schnell leid - und beschlossen, es selbst mit einem Regionalgeld zu versuchen. War der "Chiemgauer" anfangs nur ein belächeltes Experiment einiger Teenager, so benutzen heute rund 400 Priener die Lokalwährung. Selbst Heilpraktiker, Bauern und ein Technik-Großhandel im nahen Traunstein machen mit. "Jeden Monat werden 12 000 Euro in Chiemgauer getauscht", erzählt Gelleri.

      Dabei ist die Lokalwährung eigentlich schlechtes Geld: Getreu den Vorgaben Gesells verlieren die Alternativ-Banknoten alle drei Monate zwei Prozent ihres Nennwertes. Und auch für einen Rücktausch in den Euro verlangen die Schülerinnen fünf Prozent Gebühren - um damit eigene Kosten zu decken sowie gemeinnützige Projekte zu unterstützen. Dennoch wächst der Zuspruch. Rund 150 Gewerbetreibende akzeptieren die Noten - teils, weil sie damit Kunden an sich binden, teils weil sie selbst etwas zum Erstarken lokaler Wirtschaftskreisläufe beitragen wollen. Selbst ein Einstieg in die Kreditwirtschaft wird vorbereitet: Landwirte sollen bald zinslose Chiemgauer-Darlehen erhalten, um ihre Traktoren auf umweltfreundlichen Pflanzenöl-Betrieb umzurüsten.

      Dass die Schülerinnen bisher unbehelligt von der Finanzaufsicht geblieben sind, verdanken sie wohl auch dem Wegfall des Rabattgesetzes: Handelskonzerne haben Rabattprogramme wie Payback aufgelegt, die Ähnlichkeiten mit den Lokalwährungen aufweisen: "Chiemgauer" und "Berliner" gelten offiziell als Gutscheine. Kunden können sie nur nutzen, wenn sie Mitglied des jeweiligen Trägervereins sind. "Wenn der ,Chiemgauer` Probleme bekäme, hätte die Lufthansa mit Miles & More auch welche", ist Gelleri sicher.

      Zunehmend unterstützt werden die Geldreform-Ideen auch von örtlichen Institutionen. So startet der "Berliner" mit einer Anschubfinanzierung von 10 000 Euro aus Überschüssen der landeseigenen Lottogesellschaft. Gesponsort wird das Projekt auch von der Bundesdruckerei: Das Unternehmen, aus dessen Berliner Produktionshallen die Euro-Noten stammen, sorgt für fälschungssichere "Berliner"-Scheine.

      Im sächsischen Delitzsch wiederum ist das größte Projekt in Planung. Die örtliche Sparkasse will ein elektronisches Zahlungssystem schaffen, über das die regionale Wirtschaft im großen Stil handeln soll. Einen prominenten Fürsprecher hat das Vorhaben schon: Sachsens Ex-Innenminister Klaus Hardraht (CDU). Der Rechtsanwalt hat das Projekt begutachtet und kommt zu dem Schluss: Juristisch machbar.

      Informationen zu Geldprojekten:

      www.regiogeld.de

      www.inwo.de
      ------------------------------------------------------------------------
      aus Berliner Zeitung
      Samstag, 05. Juni 2004
      http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/wirtschaft/34655…
      Avatar
      schrieb am 05.06.04 18:55:50
      Beitrag Nr. 2 ()
      Hmmm...

      wenn das Geld pro Quartal 2% an Wert verliert, sind das im Jahr 8%. Hinzu kommen die `normalen` Preissteigerungen. Warum sollte jemand Euro gegen dieses Inflationsgeld tauschen?
      Avatar
      schrieb am 05.06.04 19:39:52
      Beitrag Nr. 3 ()
      Weil er Heilpraktiker oder Bauer ist:confused::rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 05.06.04 19:42:08
      Beitrag Nr. 4 ()
      Wie jetzt?

      Ich nehme an, den Heilpraktikern oder Bauern ist der Euro lieber. Funny-Money nehmen sie doch nur dann, wenn sie nix anderes bekommen.
      Avatar
      schrieb am 08.07.04 11:14:41
      Beitrag Nr. 5 ()
      Mit Rudolf Steiner gegen den Teuro

      Eine Waldorfschule in Oberbayern gibt den "Chiemgauer" als örtliche Zweitwährung heraus.
      Das Projekt soll die lokale Wirtschaft stärken und den Geldabfluss ins Ausland verringern, doch Ökonomen sehen darin nur schnödes Marketing

      MÜNCHEN taz Es gibt Leute, die gehen gegen die Globalisierung auf die Barrikaden. Und es gibt Leute, die drucken zu diesem Zweck Geld. Eine Initiative im oberbayerischen Prien am Chiemsee hat es auf diese Weise geschafft, viele Menschen zu mobilisieren - indem sie neben dem Euro eine Zweitwährung in Umlauf brachte, den "Chiemgauer".

      Der Lehrer Christian Gelleri von der Waldorfschule Prien hat sich den "Chiemgauer" im Oktober 2002 ausgedacht, unterstützt von seinen Schülern. Pate stand, wie sollte es bei einer Waldorfschule anders sein, der Antroposoph Rudolf Steiner mit seinen Ideen zur "Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben" - und sein Zeitgenosse Silvio Gesell, der vor hundert Jahren die Idee der "Freiwirtschaft" entwickelte. In Deutschland basteln derzeit etwa 35 Initiativen an neuen Währungen. Bremer bezahlen schon mit dem "Roland", in Berlin soll es ab September den "Berliner" geben.

      Wer bei dem Priener Projekt mitmachen will, kann seine Euros zum Kurs von eins zu eins in "Chiemgauer" umtauschen. Mit den bunten Gutscheinen kann er dann Brot, Gemüse, Reifen oder Brillen einkaufen. Allerdings nur bei den 140 beteiligten Händlern der Region. Und das ist der Sinn der Sache: Die Region soll gestärkt werden, die Qualität der Waren wieder zählen. Was wiederum mittelständischen Unternehmen zugute kommen soll.

      Die Teilnehmerzahl hat sich innerhalb des letzten Jahres auf 240 verdoppelt. Derzeit wandern etwa 20.000 "Chiemgauer" pro Monat von Hand zu Hand.

      Das Projekt funktioniert aber nur, wenn die neue Währung auch tatsächlich in Umlauf ist. Deshalb verlieren die Scheine alle drei Monate 2 Prozent ihres Wertes. Eine Konsumflaute kann also gar nicht erst aufkommen, auch das Spekulieren mit Zinsen wird auf diese Weise unterbunden. Will ein Unternehmen die Gutscheine in Euro einlösen, bekommt es nur 95 Prozent des Euro-Wertes. Von den 5 Prozent fließen 3 Prozent in soziale Projekte, mit 2 Prozent werden die Kosten des Schülerunternehmens gedeckt.

      Komplementärwährungen wie der "Chiemgauer" entstanden immer dann, wenn zu wenig Geld in Umlauf war, etwa im Österreich der Dreißigerjahre oder vor zwei Jahren in Argentinien, als das Land in eine tiefe Rezession rutschte. Das oberbayerische Chiemgau zählt zwar nicht zu den Krisengebieten, aber auch hier werden immer häufiger kleine Betriebe verdrängt.

      Herkömmliche Währungen werden auf der Bank deponiert, um Zinsen anzusparen. Dieses Geld fließt aber dahin, wo die höchsten Renditen an den Finanzmärkten zu erwarten sind, im Zweifel also eher nach Asien als zurück in die eigene Region.

      "Mehrere gut funktionierende Regionalwährungen können die Volkswirtschaft stärken", glaubt Lehrer Gelleri. Indem weniger Bankengeld nachgefragt werde, was die Geldmenge dämpfe. Dann könne die Zentralbank die Zinsen senken.

      Der Münchener Makroökonom Gerhard Illing ist da anderer Ansicht. "So eine Währung wird sich immer nur auf die Region auswirken." Alles in allem sieht der Professor den "Chiemgauer" als ein schlichtes Marketinginstrument oder Rabattsystem. Mit den sozialistischen Prinzipien des Ökonomen Gesell habe das Projekt nichts zu tun.

      In Prien lässt man sich von solcher Kritik nicht beirren und plant schon weiter. Der Lehrer Gelleri arbeitet an einem "elektronischen Chiemgauer", etwa in Form einer aufladbaren Karte. Und er sucht die Zusammenarbeit mit Sparkassen. "Sparkassen genießen als Geldexperten großes Vertrauen. Das hätte natürlich Breitenwirkung", so Gelleri. Mittlerweile wird die Initiative sogar von Bürgermeistern und Gemeinderäten unterstützt - parteiübergreifend.

      KATHRIN BURGER

      taz Nr. 7403 vom 8.7.2004, Seite 7, 124 TAZ-Bericht KATHRIN BURGER

      http://www.taz.de/pt/2004/07/08/a0107.nf/text


      Beitrag zu dieser Diskussion schreiben


      Zu dieser Diskussion können keine Beiträge mehr verfasst werden, da der letzte Beitrag vor mehr als zwei Jahren verfasst wurde und die Diskussion daraufhin archiviert wurde.
      Bitte wenden Sie sich an feedback@wallstreet-online.de und erfragen Sie die Reaktivierung der Diskussion oder starten Sie
      hier
      eine neue Diskussion.
      Lokalwährung in Berlin mit staatlicher Unterstützung (Freigeld)