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    Warum die Buschzulage notwendig ist oder Kolonialherren im Ost - Stress - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 06.09.04 11:50:20 von
    neuester Beitrag 07.09.04 21:24:19 von
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      schrieb am 06.09.04 11:50:20
      Beitrag Nr. 1 ()
      Der Osten macht krank!

      Thorsten Stegemann   04.09.2004
      Neue Erkenntnisse über die deutsch-deutsche Befindlichkeit

      Im Zusammenhang mit Hartz IV und den allwöchentlichen Montagsdemonstrationen wird einmal mehr fleißig über das Verhältnis von Ost- und Westdeutschland debattiert. Doch während sich Amtsinhaber, Bürgerrechtler und ein aus der Frühverrentung entwichener Exminister noch um die schönsten und treffendsten Formulierungen streiten, hat die empirische Wissenschaft bereits auf (fast) alle Fragen eine plausible Antwort gefunden.

      Die Studie "Migration in die Depression? - Innerdeutsche Migration und psychische Befindlichkeit", die von Psychologen und Soziologen der Universitäten Leipzig und Ulm erarbeitet wurde, beweist, was alle Besserwessis längst geahnt haben: Der Osten macht krank! Und zwar nicht die vom real existierenden Sozialismus befreiten Ureinwohner, sondern unbescholtene Landsleute, die jenseits des antiimperialistischen Schutzwalls einst fröhlich vor sich hinlebten, dann aber vom Wind of Change in die neuen Bundesländer geweht wurden.

      Da sitzen sie nun und werden endlich einer wissenschaftlichen Begutachtung unterzogen. Denn während die Migranten, die es von Ost- nach Westdeutschland zog, längst statistisch erfasst und psychologisch ausgewertet sind, weiß man über die Menschen, die den umgekehrten Weg hinter sich haben, entweder wenig Gutes oder überhaupt nichts. Höchste Zeit also, um die "psychischen Kosten der innerdeutschen (Binnen-) Migration" zu ermitteln, und mit Hilfe einer "bevölkerungsrepräsentativen Umfrage", der unverzichtbaren "deskriptiv-statistischen Auswertungen" und jener obligatorischen "dreifaktoriellen Varianzanalyse" Licht in das Dunkel persönlicher Dramen und deutsch-deutscher Schicksale zu bringen.

      Die Untersuchung, an der 2066 Personen im Alter von 14 bis 93 Jahren teilgenommen haben, ist ein Beitrag für das Sonderheft "Demographischer Wandel" der Zeitschrift "psychosozial". Sie kommt zu dem Ergebnis, "dass die Migranten depressiver gestimmt sind als die Nicht-Migranten, deren Werte sich auf vergleichbarem Niveau befinden. Bei den Migranten sind die in Westdeutschland aufgewachsenen und nach Ostdeutschland gezogenen Personen stärker belastet als die in Westdeutschland lebenden Ostdeutschen. Sie sind ebenfalls deutlich missmutiger."

      Schlimm genug, aber noch längst nicht das Ende der Fahnenstange:

      Die weiblichen Befragten erzielen in etwa Durchschnittswerte auf gleichem Niveau mit einer Tendenz dahingehend, dass aus dem Westen stammende Frauen im Osten etwas höher belastet sind. Deutlicher gestaltet sich der Unterschied bei den Männern. Männliche Migranten sind belasteter als männliche Nicht-Migranten. Die aus dem Westen stammenden Männer im Osten leiden mehr als ihre aus dem Osten in den Westen migrierten Geschlechtsgenossen.

      Die Probanden bilden "eine vergleichsweise junge, gebildete Gruppe, die überwiegend ohne Partner lebt" - auch das noch! - und klagen über Niedergeschlagenheit, Müdigkeit und - ja, das hatten wir schon - Missmut. Eine Besserung ist nach Ansicht der Forscher kaum in Sicht, auch wenn sie in dieser Frage darauf verzichten, objektivierbare Fakten beizusteuern. Manchmal reicht schließlich der persönliche Eindruck:

      Auhagen und Schwarzer (in dem Aufsatz "Das unsichtbare Netz: Neue Freundschaften" von 1994, Anm. d. Red.) berichten von einem Rückgang von Depression und Ängstlichkeit bei Übersiedlern von Ost- nach Westdeutschland nach dem Aufbau von Freundschaften. Dass solche Beziehungen für Westdeutsche im Osten schwer herzustellen sind, entspricht unserer subjektiven Wahrnehmung aus Gesprächen mit `Wessis im Osten`.

      Warum die Westdeutschen in den neuen Ländern so beträchtliche Umstellungs- und Anpassungsprobleme haben, enthüllt die Studie leider nicht. Prof. Elmar Brähler, Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig [1], der auch an der jüngsten Untersuchung beteiligt ist, hat allerdings schon vor zwei Jahren diverse Problemfelder ausgemacht, die dem ratlosen Betrachter weiterhelfen. In dem Buch "Identität in der Gesellschaft. Beiträge zum besseren Verständnis der Conditio Humana in diesen Zeiten" (Psychosozial-Verlag 2002) beschreibt Brähler "Alltagskulturelle Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschen". Wer könnte dieses Thema auch fachkundiger erörtern als der Leipziger Hochschullehrer, der einst im schönen Fulda geboren wurde und später Honorarprofessor in Gießen war?

      Nach der Lektüre des Aufsatzes sind wir davon überzeugt, dass die alltagskulturellen Differenzen fast zwangsläufig zu mittelschweren Depressionen führen müssen. Denn auch 15 Jahre nach der Wende fragt sich der zugereiste Westdeutsche: Wo bin ich hier gelandet? Beispiel Geld:

      Als Westdeutscher gewohnt, seine Autoreparatur per Rechnung zu bezahlen, erlebt man beim Werkstattbesuch im Osten eine Überraschung. Wer die Rechnung nicht bar bezahlen kann, kann sein Auto nicht mitnehmen. Erst muss das Geld beschafft werden. Dies betrifft auch die Lieferung von teuren Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen. Ohne sofortige Bezahlung läuft im Osten gar nichts.

      Klar. Aber was sind diese Unannehmlichkeiten gegen die absonderlichen Spielarten sozialer Kontaktpflege, die in Deutschlands Osten mitunter in veritable Belagerungszustände ausarten?

      Wenn Westdeutsche beim Abschied äußern, dass sie einen anrufen werden oder dass sie mal vorbeischauen werden, so werden sie dies in den meisten Fällen nicht tun. Der Ostdeutsche meint es bei solchen Ankündigungen durchaus ernst, was dann im Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen zu befremdenden Situationen führen kann, wenn z. B. der Ostdeutsche beim Westdeutschen mit der Familie vor der Tür steht, um einen Kurzurlaub zu verbringen. Mancher Ostdeutsche wartet seit Jahren vergebens auf einen `versprochenen` Besuch.

      Wenn der ausbleibt, könnte das aber auch damit zusammenhängen, dass der Osten restlos überheizt ist, wie Brähler aus eigener Erfahrung zu berichten weiß:

      Ich ging erst fälschlicherweise davon aus, dass dies nur an der Heizmethode ohne Thermostat mit geöffnetem Fenster liege, bis ich feststellte, dass auch bei geregelter Heizung die Wohlfühltemperatur des Ostdeutschen bei ca. 25° C liegt. Eine Relikt aus der Zeit, wo viele Versorgungsengpässe bestanden, aber wenigstens Braunkohle preiswert zur Verfügung stand?

      Das ist gut möglich, denn schließlich herrscht in den neuen Bundesländern kein Mangel an Relikten:

      Bankbeamte haben nach Michael Geyer nach der Wende festgestellt, dass der Abstand in den Schlangen zwischen West- und Ostdeutschen unterschiedlich ist. Der Schlangenabstand ist bei Westdeutschen dreifach so weit. Während der Westdeutsche irritiert den Atem des Hintermannes in der Schlange bei der Post verspürt, fragt sich der Ostdeutsche in Westdeutschland manchmal irritiert an einem Bankschalter, wo denn eigentlich die Schlange beginnt.

      Diese Zustände können nicht ohne Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung bleiben. Das fängt im Kleinen an ...

      Eine Weile musste ich Auswahlgespräche für Medizinstudierende führen. Während die Westdeutschen eloquent Verkaufsgespräche führen und sich geschickt nach außen zu verkaufen versuchen, so warten Ostdeutsche geduldig darauf, bis man ihre verborgenen Qualitäten entdeckt.

      ... und setzt sich in den Chefetagen fort, wo Westdeutsche mit verständlichen Berührungsängsten von händeschüttelnden Ossies gejagt werden.

      Die größte noch beobachtbare alltagskulturelle Differenz betrifft das Händeschütteln, dies ist auch empirisch belegt. Während Westdeutsche sich nur bei förmlichen Anlässen die Hand geben, schüttelt der Ostdeutsche bei der Begrüßung und Verabschiedung jedem die Hand, auch wenn sich mehr als 20 Personen im Raum befinden. (...) Manche berührungsphobische Westdeutsche betreten Gremiensitzungen im Osten oft verspätet, um nicht jedem die Hand schütteln zu müssen.

      Im Licht dieser Erkenntnisse zeigt sich allerdings auch ein Ausweg aus der deutsch-deutschen Gefühls- und Verhaltenskrise. Denn wenn die Menschen in Ostdeutschland fortan auf EC-Karten und Online-Banking setzen, endlich lernen, dass das, was gesagt wird, nicht unbedingt gemeint sein muss, ihre Wohlfühltemperatur um ein paar Grad senken und beim Schlangestehen etwas Platz lassen, Bewerbungsgespräche eine Spur forscher und Geschäftstreffen ein wenig zurückhaltender angehen, bedeutet das jede Menge Antidepressiva für die leidgeplagten Zuwanderer. Und dann wächst vielleicht doch noch zusammen, was ja irgendwie auch zusammengehört.
      Links
      [1] http://www.uni-leipzig.de/~medpsy/x_brae_home.html

      Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/glosse/18263/1.html
      Avatar
      schrieb am 06.09.04 12:30:34
      Beitrag Nr. 2 ()
      Ich unterstelle mal, daß in diesem Artikel die Studie in reißerischer und sinnentstellender Weise von irgendeinem Schmierenjournalisten zusammengefasst wurde, ansonsten würde ich persönlich beim Dienstherren des beamteten Prof. Brähler anregen, dessen Geisteszustand vom Amtsarzt untersuchen zu lassen. :laugh:

      Vielleicht habe ich ja auch nur die Satire nicht erkannt. :rolleyes:
      Avatar
      schrieb am 07.09.04 21:20:37
      Beitrag Nr. 3 ()
      das mit dem Händeschütteln stimmt! Sogar einige meiner Nachbarn begrüßen mich per Handschlag wenn wir uns im Hausflur begegnen :)
      Avatar
      schrieb am 07.09.04 21:24:19
      Beitrag Nr. 4 ()
      und dass man im Osten häufiger als im Westen auch größere Beträge bar bezahlen muss, stimmt auch. :mad:
      Überhaupt ist das Misstrauen größer! Es gibt Geschäfte, die akzeptieren EC-Karte nur gegen Vorlage des Ausweises.


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