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    Russland, Putin und die Demokratie - 500 Beiträge pro Seite

    eröffnet am 15.09.04 11:51:11 von
    neuester Beitrag 26.11.04 22:30:44 von
    Beiträge: 17
    ID: 904.163
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      schrieb am 15.09.04 11:51:11
      Beitrag Nr. 1 ()
      „Der Westen hat keine Chance, auf Russland einzuwirken“

      Putin will seine Macht ausweiten. Was muss passieren, damit das Ausland nicht zusehen muss, wie Russland immer autoritärer wird, Herr Rahr?

      Zunächst mal: Putin hat eine Machterweiterung angekündigt, aber ich bezweifle, dass er die so realisieren kann. Denn eines darf man nicht vergessen: In den Regionen wird seit Jahren gewählt, viele Menschen identifizieren sich mit ihren Gouverneuren. Und die örtlichen Machthaber, die mit einer großen Machtfülle ausgestattet sind und die Zustimmung der Bevölkerung genießen, werden sehr viel gegen Putins Reform haben.

      An der Duma wird das Vorhaben nicht scheitern?

      Nein. Putin hat der Duma und den Parteien in der Duma ein großes Geschenk gemacht. Die Direktmandate werden abgeschafft. Künftig kommt nur noch ins Parlament, wen die Parteien auf ihre Liste setzen. Wenn man ehrlich ist, muss man allerdings sagen, dass auch bei uns im Westen wirklich unabhängige Leute kaum den Weg ins Parlament finden.

      Heißt das, die Demokratie nimmt durch die Reform gar keinen Schaden?

      Nicht an diesem Punkt. Putin hat auch Recht, wenn er ankündigt, gegen Korruption und Mafiastrukturen vorgehen zu wollen. Es ist bekannt, dass auf regionaler und lokaler Ebene Parlamentsmandate erkauft werden, ohne dass Moskau da irgendetwas gegen unternehmen kann. Die entscheidende Frage ist aber: Gibt es in Russland überhaupt eine Demokratie? Putin ist angetreten, in Russland für Ordnung zu sorgen. Seine autoritäre Politik soll diesem Ziel dienen. Und 80 Prozent der Bevölkerung tragen diese Politik mit.

      Putin beruft sich bei der Reform auf die Bekämpfung des internationalen Terrors – wie wird das Ausland reagieren?

      Ich habe das Gefühl, dass der Westen und Russland seit Beginn dieses Jahres einen großen Dissens haben. Weniger wegen Tschetschenien, sondern wegen Russlands Entwicklung weg von der Demokratie. Putin kümmert sich nicht um Ermahnungen aus dem Westen, nicht vom Pfad der Demokratie abzuweichen. Er wirft vielmehr seinerseits dem Westen vor, alles daranzusetzen, dass Russland nicht wieder zur Großmacht wird. Das aber ist nun einmal sein Ziel.

      Was kann der Westen tun?

      Der Westen hat keine Chance, auf Russland einzuwirken. In den 90er Jahren haben wir es über die Schuldenpolitik versucht. Doch in der Zwischenzeit ist der Schuldenberg zu einem großen Teil abgebaut. Und es ist vielmehr so, dass wir mehr und mehr vom russischen Öl- und Gasimport abhängig werden. Das vor Augen, und Schröder und Chirac haben das vor Augen, wird der Westen sich hüten, Putin vorzuwerfen, er fahre eine falsche Politik. Worüber man ernsthaft nachdenken muss ist die Frage: Wie kann man es auf einem gemeinsamen europäischen Kontinent schaffen, dass ein halb demokratisches Russland keine Bedrohung für den Rest Europas wird.

      Alexander Rahr ist Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

      Das Gespräch führte Michael Schmidt.
      15.9.04
      http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/15.09.2004/1359055.asp
      Avatar
      schrieb am 15.09.04 11:58:57
      Beitrag Nr. 2 ()
      Russland und Demokratie?? das hat noch nie gepasst und wird auch nie zusammenpassen...

      nur meine meinung

      invest2002
      Avatar
      schrieb am 15.09.04 14:05:34
      Beitrag Nr. 3 ()
      Was will "der Westen" denn? Ein völlig destabilisiertes Rußland (bzw. "Demokratie", wie wir sie im Irak gerade erleben)? Wo die nächsten 25 Jahr Süd-Kirgisien gegen West-Hamudistan und alle gegen Nord-Turkmenistan kämpfen? Oder einen Staatschef, der den Sauladen wenigstens im Griff hat (und genauso demokratisch legitimiert ist wie W. Bush).
      Avatar
      schrieb am 23.09.04 13:25:51
      Beitrag Nr. 4 ()
      World Socialist Web Site (www.wsws.org)

      --------------------------------------------------------------------------------

      www.wsws.org/de/2004/sep2004/russ-s23.shtml

      Pulverfass Kaukasus
      Russische Regierung droht mit internationalen Militäreinsätzen
      Von Peter Schwarz
      23. September 2004
      Die Reaktion der russischen Regierung auf das Geiseldrama von Beslan erinnert mehr und mehr an die Reaktion der amerikanischen Regierung auf die Anschläge vom 11. September 2001. Das grauenhafte Ereignis, das Millionen Menschen auf der ganzen Welt empört und erschüttert hat, dient ihr als Vorwand für eine innenpolitische Offensive gegen elementare demokratische Rechte und für die Verwirklichung eines außenpolitischen Programms, das unweigerlich zu neuen Kriegen führen wird.

      Während die Hintergründe der Ereignisse von Beslan aufgrund der offiziellen Geheimhaltung nach wie vor im Dunkeln liegen und Präsident Wladimir Putin eine unabhängige Untersuchung ablehnt, hat er bereits weitgehende Schlussfolgerungen aus dem Geiseldrama gezogen: Die regionalen Gouverneure sollen in Zukunft nicht mehr vom Volk gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt, das Wahlrecht so geändert werden, dass kleinere, oppositionelle Parteien kaum mehr eine Chance haben.

      Die Macht des Präsidenten, die unter Putin zunehmend autoritäre Züge angenommen hat, wird dadurch weiter gestärkt. Vom "starken Staat mit der eisernen Faust" ist die Rede und es werden Parallelen zur Stalinzeit gezogen. Mit Medien, die vom Kreml gegängelt werden, und einem Parlament, das dem Präsidenten hörig ist, bleiben kaum mehr Möglichkeiten zur demokratischen Kontrolle. Die Bevölkerung kann lediglich noch alle paar Jahre in einem Referendum, das als Wahl ausgegeben wird, einen Präsidenten bestätigen, dessen wirkliche Machtbasis der Geheimdienst- und Militärapparat ist.

      Die außenpolitischen Schlussfolgerungen aus dem Geiseldrama von Beslan hat der Generalstabschef der russischen Streitkräfte verkündet. Russland werde "alle Maßnahmen ergreifen, um die Basen der Terroristen in jeder beliebigen Region der Welt zu liquidieren", drohte Juri Balujewski. Viele Kommentare sahen darin eine Übersetzung der Bush’schen Präventivkriegsdoktrin aus dem Amerikanischen ins Russische. Russland nimmt sich das Recht heraus, andere Länder ohne Deckung des Völkerrechts militärisch anzugreifen. Vor allem die südlichen Anrainerstaaten, die erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion selbständig wurden, empfinden dies als Drohung - allen voran Georgien, das von Moskau wiederholt der Beherbergung tschetschenischer Terroristen bezichtigt wurde.

      Bei allen Parallelen zwischen Bushs Vereinigten Staaten und Putins Russland hat der Vergleich zwischen den beiden aber seine Grenzen. Die Bedrohung der Welt, die von den USA ausgeht, ist ungleich größer. Die Vereinigten Staaten sind eine ökonomische und militärische Großmacht und streben unverhohlen die Welthegemonie an. Russland ist ein ökonomischer Zwerg, mit einer Wirtschaftsleistung von der Größenordnung Hollands. Seine Armee ist marode und könnte, selbst wenn sie es wollte, nicht weit entfernt liegende Länder angreifen, wie dies die USA mit Serbien, Afghanistan und dem Irak getan haben. Russland verfügt allerdings über ein aus Sowjetzeiten ererbtes Atomarsenal, dessen Einsatz Balujewski aber (zumindest vorläufig) ausdrücklich ausschloss.

      Trotz alledem sollte die Bedrohung für den Weltfrieden, die von Balujewskis Ankündigung ausgeht, nicht unterschätzt werden. Zum einen setzt er damit völkerrechtliche Normen außer Kraft, die früher zumindest eine gewisse Hemmschwelle für direkte militärische Aktionen darstellten. "Was die Amerikaner vorgemacht haben, ist nun für Russland normbildend. Die Chinesen und Inder werden auf diesem Weg folgen", kommentierte ein Sprecher der Carnegie-Stiftung in Moskau. Bedeutsamer ist, dass hier eine globale Entwicklung sichtbar wird, die immer deutlicher auf eine militärische Konfrontation zwischen imperialistischen Mächten oder Machtblöcken und damit auf einen Dritten Weltkrieg zusteuert. Zentralasien und die ihm vorgelagerte Kaukasusregion spielen in dieser Hinsicht eine ähnliche Rolle wie der Balkan am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Zusammen mit dem benachbarten Mittleren Osten bilden sie die so genannte "strategische Ellipse", die die umfassendsten Energieressourcen der Welt beherbergt.

      Balkan und Kaukasus

      Die Ermordung des habsburgischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo hatte den Ersten Weltkrieg bekanntlich ausgelöst. Die Ursachen des Kriegs kann das Attentat von Sarajewo - ein historisch eher zweitrangiges Ereignis - allerdings nicht erklären. Sie waren in den explosiven Gegensätzen zwischen den imperialistischen Mächten zu suchen, die sich über Jahrzehnte hinweg angestaut hatten. Letztlich ergab sich der Krieg aus der Unhaltbarkeit des Nationalstaats im Zeitalter der Weltwirtschaft. Vor allem die herrschende Elite Deutschlands war zum Schluss gekommen, dass dieser Widerspruch nur durch die gewaltsame Neuorganisation Europas unter ihrer Vorherrschaft gelöst werden könne. Sie wollte den Krieg.

      Trotzdem war es kein Zufall, dass der Funke, der das Pulverfass schließlich zur Explosion brachte, gerade auf dem Balkan gezündet wurde. Hier stießen die Interessengegensätze der imperialistischen Mächte und Machtblöcke am direktesten aufeinander, hier nahmen sie ihre greifbarste und unmittelbarste Form an, hier war das empfindliche internationale Gleichgewicht am labilsten. Die Loslösung Bosniens von der österreichischen Bevormundung hätte den Zerfall des habsburgischen Vielvölkerstaats nach sich gezogen und die Stellung Serbiens und seiner russischen Schutzmacht auf dem Balkan gestärkt. Dies wiederum hätte Deutschland gegenüber seinen Rivalen England und Frankreich empfindlich geschwächt, die mit Russland verbündet waren. So konnte die Tat eines bosnisch-serbischen Nationalisten die Kette von Ereignissen in Gang setzen, die ganz Europa in ein vierjähriges Blutbad stürzen und sich zu einem Weltbrand ausweiten sollten.

      Die Parallelen zwischen dem Balkan von damals und dem heutigen Zentralasien sind frappierend. Im Kaukasus und Zentralasien prallen nicht nur die Interessen Russlands und der USA direkt aufeinander, auch für Europa - und vor allem für Deutschland - ist die Zukunft der Region von fundamentaler Bedeutung. Dasselbe gilt für die aufstrebenden Mächte China und Indien. Hinzu kommen mit dem Iran und der Türkei zwei Regionalmächte, die bei der Neuauflage des Great Game um Zentralasien mit am Tisch sitzen möchten. Es geht bei diesem "Spiel" vor allem um zwei Dinge: um geostrategische Macht und um den Zugang zu Erdöl und Gas, die angesichts ihrer absehbaren Verknappung für das 21. Jahrhundert von zentraler Bedeutung sind.

      Noch ist die Lage nicht so weit wie 1914, zum Zeitpunkt des Attentats von Sarajewo. Anders als damals sind die Gegensätze, die heute im Kaukasus aufeinanderprallen, erst in Ansätzen sichtbar. Vieles befindet sich noch in Bewegung. Es wird taktiert und manövriert. Internationale Achsen und Blöcke haben sich noch nicht endgültig herausgebildet. Aber die Entwicklung läuft in dieselbe Richtung.

      Ein Anzeichen für die wachsenden Spannungen sind die unterschiedlichen Reaktionen Washingtons und Berlins auf das Geiseldrama von Beslan und seine Folgen. Während Washington Putins Schlussfolgerungen deutlich kritisierte, übte sich Berlin in demonstrativem Schweigen. Ausgerechnet Präsident Bush mahnte Putin öffentlich, im Anti-Terror-Kampf die "Prinzipien der Demokratie" zu wahren. Eine Kritik, die der russische Außenminister Sergej Lawrow umgehend mit einer Standardformulierung aus der Zeit des Kalten Kriegs zurückwies. Es handle sich um eine "innere Angelegenheit Russlands", sagte er und fügte süffisant hinzu: "Wir wissen, dass auch die USA nach dem 11. September ziemlich harte Maßnahmen ergriffen haben."

      Die deutsche Regierung schloss sich der Kritik aus Washington ausdrücklich nicht an. Bundeskanzler Gerhard Schröder pflege einen "sehr vertrauensvollen und intensiven Dialog" mit Putin, begründete dies Regierungssprecher Béla Anda. Bereits vor Beslan hatte Schröder die von Moskau manipulierten tschetschenischen Präsidentenwahlen gutgeheißen, während in Washington Kritik daran laut geworden war.

      Um das wahre Ausmaß der Gegensätze zu verstehen, die im Kaukasus aufeinanderprallen, darf man sich allerdings nicht bei den diplomatischen Sticheleien aufhalten. Man muss die Strategien und Interessen der wichtigsten Akteure in einem größeren historischen und internationalen Zusammenhang untersuchen. Dazu wollen wir hier einen summarischen Überblick geben.

      Der Konflikt zwischen den USA und Russland

      Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind die USA systematisch und zielstrebig in deren früheres Einfluss- und Staatsgebiet vorgedrungen. Der Krieg gegen Jugoslawien diente ebenso diesem Zweck wie die Osterweiterung der Nato und die Besetzung Afghanistans. Die drei baltischen Staaten, einst Teil der Sowjetunion, sind mittlerweile Mitglieder der Nato, ebenso die meisten ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. In Zentralasien unterhalten die USA in mehreren früheren Sowjetrepubliken Militärbasen und unterstützen US-freundliche Regimes.

      In Georgien wurde mit aktiver politischer und finanzieller Hilfe aus den USA ein Regime installiert, das Moskau spinnefeind ist und den Anschluss an die Nato anstrebt. Georgien ist nicht nur aufgrund seiner unmittelbaren Nachbarschaft zum kaukasischen Krisenherd von strategischer Brisanz, es kontrolliert auch den Durchgang vom Kaspischen Becken zum Schwarzen Meer und damit den wichtigsten westlichen Exportkorridor für das zentralasiatische Öl und Erdgas. Außerdem bildet es die Brücke zwischen dem südlichen Russland und Kleinasien.

      Präsident Putin hat sich bisher mit öffentlicher Kritik an Washington zurückgehalten und eine enge persönliche und politische Beziehung zu seinem amerikanischen Amtskollegen gepflegt. Dies geschah zum Teil aufgrund einer realistischen Einschätzung der geringen Chancen, die Moskau in einem offenen Kräftemessen mit Washington hätte, zum andern, weil er sich davon freie Hand für das Vorgehen gegen die separatistischen Bewegungen versprach, die den südlichen Rand des russischen Staates gefährden. Putin war stets bemüht, die tschetschenischen Separatisten als Abteilung des "internationalen Terrorismus" darzustellen, um die internationale Kritik am brutalen Vorgehen der russischen Streitkräfte zu entkräften.

      Es ist aber offensichtlich, dass sich Moskau durch die Umklammerung der USA zunehmend unter Druck gesetzt fühlt. In seiner ersten öffentlichen Fernsehansprache nach dem Massaker von Beslan sprach Putin von einer "direkten Intervention des internationalen Terrorismus gegen Russland" und deutete an, dass dahinter ausländische Mächte steckten - ohne allerdings Namen zu nennen. Er sagte, Russland werde von Terroristen angegriffen, "weil es als eine der weltgrößten Nuklearmächte für jemanden eine Bedrohung darstellt, und daher muss diese Bedrohung beseitigt werden".

      Am folgenden Tag traf er sich auf seinem Landsitz Nowo Ogarjewo zu einem außerordentlich langen und offenen Gespräch mit ausgewählten westlichen Journalisten und Russlandexperten, in dem er noch deutlicher wurde. "Ich habe nicht behauptet, westliche Länder würden den Terrorismus anfachen und dies sei eine gezielte Politik", sagte er. "Aber wir haben Vorfälle beobachtet. Da wird die Mentalität des Kalten Krieges wieder hochgespielt. Es gibt gewisse Leute, die wollen, dass wir mit internen Problemen beschäftigt sind. Sie ziehen hier die Fäden, damit wir international nicht den Kopf heben."

      Erneut nannte Putin keine Namen und lobte ausdrücklich US-Präsident Bush, den er als "berechenbaren und verlässlichen Partner" bezeichnete. Er deutete sogar an, dass er im November gern einen Wahlsieg Bushs über dessen demokratischen Herausforderer Kerry sähe. Offene Kritik übte Putin dagegen an Großbritannien, dem engsten europäischen Verbündeten der USA. Er warf London vor, dass es Achmed Sakajew, dem Europavertreter des tschetschenischen Separatistenführers Aslan Maschadow, politisches Asyl gewähre. Das russische Außenministerium hat inzwischen offiziell Sarkajews Auslieferung verlangt.

      Putin gab seinen westlichen Zuhörern zu verstehen, dass er die Auflösung der Sowjetunion inzwischen bedaure. Er äußerte wiederholt die Befürchtung, im Falle einer Abspaltung Tschetscheniens werde auch Russland auseinanderbrechen, und sprach in diesem Zusammenhang von einem "Dominoeffekt".

      Diese Befürchtung ist nicht unbegründet. Ein weiteres Ausfransen des russischen Staatsgebiets am südlichen Rand könnte in der Tat dessen völligen Zerfall auslösen, entsprechende zentrifugale Kräfte gibt genug. An einer solchen Entwicklung wäre nichts Fortschrittliches. Sie würde eine Welle von Vertreibungen, ethnischen Säuberungen und regionalen Konflikten nach sich ziehen. Neu entstehende Staaten wären weder selbstbestimmt noch demokratisch, sondern von den Intrigen der Großmächte abhängig und rivalisierenden, halbkriminellen Herrschercliquen ausgeliefert. Kurz, die Ereignisse, die in den neunziger Jahren Jugoslawien verwüstet haben, würden sich im großen Maßstab wiederholen.

      Auch der Verdacht, eine solche Entwicklung werde von westlichen Kreisen gezielt geschürt, ist nicht aus der Luft gegriffen. Während sich das offizielle Washington in der Tschetschenienfrage zurückhält, um Putins Unterstützung für die Besetzung es Irak nicht zu gefährden, werben die so genannten Neokonservativen, die im außenpolitischen Establishment der USA eine maßgebliche Rolle spielen, offen für die tschetschenische Sache. Dieselben Leute, die bei der propagandistischen Vorbereitung des Irakkriegs eine führende Rolle spielten, finden sich an prominenter Stelle im Amerikanischen Komitee für Frieden in Tschetschenien (ACPC) wieder, einer pro-tschetschenischen Lobby-Gruppe.

      John Laughland, Mitglied des britischen Helsinki-Komitees, nennt in einem Beitrag für den britischen Guardian folgende Namen: "Zu ihnen gehören Richard Perle, der berüchtigte Pentagon-Berater; Elliott Abrams, bekannt durch den Iran-Contra-Skandal; Kenneth Adelman, der frühere amerikanische UN-Botschafter, der die Irakinvasion anstachelte, indem er sie als ‚Spaziergang‘ bezeichnete; Midge Decter, Biograf Donald Rumsfelds und Direktor der rechten Heritage Foundation; Frank Gaffney vom militaristischen Centre for Security Policy; Bruce Jackson, früherer US-Geheimdienstoffizier, einstiger Vizepräsident von Lockheed Martin und jetziger Präsident des US Committee on Nato; Michael Ledeen vom American Enterprise Institute, ein ehemaliger Bewunderer des italienischen Faschismus und heutiger Wortführer für einen Regimewechsel im Iran; und R. James Woolsey, der Ex-CIA-Direktor, der begeistert Bushs Pläne unterstützt, die moslemische Welt nach US-Plänen umzuformen." (Guardian 8. 9. 2004)

      Laughland gelangt zum Schluss: "Die APAC-Mitglieder stammen aus beiden Parteien und stellen das Rückgrat des außenpolitischen Establishments der USA dar. Ihre Ansichten sind in Wirklichkeit die der US-Administration."

      Putins Reaktion

      Putins Antwort auf die amerikanische Einkreisung - die gewaltsame Unterdrückung des tschetschenischen Widerstands, die Stärkung des autoritären Zentralstaats und die Drohung mit Militärschlägen im Ausland - ist ebenso reaktionär wie kontraproduktiv. Sie entspricht den Interessen der gesellschaftlichen Klasse, die er vertritt - der neuen russischen Elite, die nach der Auflösung der Sowjetunion das staatliche Eigentum geplündert und sich dabei auf Kosten der großen Masse der Bevölkerung schamlos bereichert hat.

      Unter Putins Vorgänger Boris Jelzin, der im Dezember 1991 das Ende der Sowjetunion besiegelt hatte, hatte sich diese Plünderung noch in chaotischer und ungezügelter Form vollzogen. Milliardenbeträge wurden ins Ausland transferiert, die staatlichen Konzerne - insbesondere der lukrative Energiesektor - mit Gangstermethoden "privatisiert", Korruption und Kriminalität blühten. Der russische Staat drohte zu zerfallen und zu einem Spielball in den Händen der westlichen Großmächte zu werden.

      Mit der Machtübernahme Putins, der noch von Jelzin persönlich zu seinem Nachfolger erkoren und von den führenden Oligarchen unterstützt wurde, fand eine begrenzte Kurskorrektur statt. Die neue Elite war zum Schluss gelangt, dass sie zur Absicherung ihres Reichtums und ihrer Macht eines starken Staates und der Fähigkeit bedurfte, im internationalen Konzert der Großmächte mitzuspielen.

      Putin, der selbst auf eine lange Karriere im sowjetischen Geheimdienst KGB zurückblickt, besetzte zu diesem Zweck die Schlüsselstellen in Politik und Verwaltung mit Geheimdienstveteranen. Der KGB, der schon dem stalinistischen Regime als eine Art Prätorianergarde gedient hatte, eignet sich für diese Aufgabe, weil er bereits zu Sowjetzeiten dem großrussischen Chauvinismus verpflichtet war, den Stalin in den dreißiger und vierziger Jahren neu belebt hatte. Unter "Verteidigung der Sowjetunion" verstand der KGB nicht die Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften der Oktoberrevolution, sondern die Verteidigung der inneren und äußeren Macht des Staates.

      Putin konsolidierte die Macht der neuen kapitalistischen Elite, indem er den Zentralstaat gegenüber den Regionen stärkte, den Polizei- und Geheimdienstapparat ausbaute, die Presse- und Meinungsfreiheit einschränkte und schließlich, in diesem Sommer, mit einem Schlag die zahlreichen, staatlich finanzierten sozialen Leistungen abschaffte, die noch aus Sowjetzeiten stammten. Jelzin hatte einen solchen Schritt nicht gewagt, weil er unkontrollierbare Reaktionen der Bevölkerung fürchtete.

      Außenpolitisch bemühte sich Putin, den Wiederaufstieg Russlands zur Großmacht in die Wege zu leiten. Zu diesem Zweck ging er mit äußerster Brutalität gegen die separatistischen Bestrebungen im Kaukasus vor. Noch bevor er das Präsidentenamt antrat, löste er Ende 1999 den zweiten Tschetschenienkrieg aus, der bis heute andauert, Tschetschenien weitgehend zerstört und jede Aussicht auf eine friedliche Lösung zunichte gemacht hat. Dieser Krieg diente gleichzeitig dazu, den wachsenden Unmut über die soziale Katastrophe in Russland zu ersticken und die Aufrüstung des Staatsapparats zu rechtfertigen.

      Mit einigem Erfolg war es Putin gelungen, den Tschetschenienkonflikt als Folge ausländischer Einmischung darzustellen und an nationalistische Stimmungen zu appellieren. Dies fiel ihm umso leichter, als die "kommunistische" Opposition ihn dabei voll unterstützte, während die so genannte "demokratische" Opposition den Tschetschenienkrieg zwar kritisierte, dafür aber den Kurs der marktwirtschaftlichen Reformen befürwortete, eng mit westlichen Regierungen zusammenarbeitete und sich finanziell von den Oligarchen aushalten ließ, die mit Putin über Kreuz liegen. Die Schwäche der russischen "Demokraten" ist erst in zweiter Linie darauf zurückzuführen, dass der Kreml ein Monopol über die Medien ausübt. Der eigentliche Grund ist ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik, die den sozialen Interessen der Bevölkerung diametral entgegenläuft.

      Putin bemühte sich auch, die Staaten der GUS durch eine Mischung aus ökonomischem, militärischem und diplomatischem Druck wieder enger an Russland zu binden. Das ist insbesondere mit Weißrussland und der Ukraine der Fall. Im Kaukasus unterstützt Moskau Armenien gegen Aserbaidschan, das zunehmend unter westlichen Einfluss gerät. In abtrünnigen Gebieten Georgiens unterhält es eigene Truppen. In Zentralasien strebt Moskau ein strategisches Bündnis mit den beiden wichtigsten Energieproduzenten an, mit Kasachstan und Turkmenistan.

      Der Energiesektor spielt eine Schlüsselrolle in Putins Großmachtplänen. Er macht 40 Prozent der staatlichen Steuereinnahmen, 55 Prozent der Exportgewinne und 20 Prozent der russischen Wirtschaft aus. In der Ukraine, in Georgien und in Kasachtsan kaufen dem Kreml nahestehende russische Unternehmen Gas- und Ölkonzerne auf.

      Der Konflikt zwischen dem Kreml und einigen Oligarchen dreht sich darum, wer in diesem Bereich das Sagen hat. Der Staat, schreibt der deutsche Russland-Experte Alexander Rahr, werde "es nicht zulassen, dass dieser Sektor, von dem der Wiederaufstieg Russlands zur Großmacht abhängt, von Partikularinteressen profitsüchtiger Oligarchen beherrscht wird oder unter die Kontrolle von ausländischen transnationalen Unternehmen gerät". Putin wolle die in den neunziger Jahren privatisierten Ölkonzerne zwar nicht wieder verstaatlichen, sie müssten "sich aber in das neue Regelwerk des Kremls einfügen, ansonsten droht ihnen das Schicksal von ‚Jukos’, an dem gerade ein Exempel statuiert wird." (GUS-Barometer, September 2004)

      In diesen beiden Schlüsselfragen - der Kontrolle über die immensen Energiereserven Russlands und Zentralasiens sowie der Vormacht über die Nachfolgestaaten der Sowjetunion in Osteuropa, dem Kaukasus und Zentralasien - stoßen Interessengegensätze aufeinander, die sich auf lange Sicht nicht friedlich versöhnen lassen. Sie bieten nicht nur Anlass zu ständigen Spannungen zwischen Russland auf der einen und den USA und Europa auf der anderen Seite, auch die strategischen Ziele der USA, der europäischen Mächte und langfristig Chinas stoßen hier unversöhnlich aufeinander. Das macht Zentralasien und den Kaukasus zu einem Pulverfass für zukünftige Konfrontationen.

      Europäische Interessen

      Wie schon in der Frage des Irakkriegs ist die europäische Außenpolitik auch in ihrer Haltung gegenüber Russland tief gespalten. Die Osterweiterung der Europäischen Union, von Deutschland und Frankreich aus wirtschaftlichen Gründen vorangetrieben, erweist sich als entscheidendes Hindernis für eine gemeinsame Außenpolitik.

      Deutschland und Frankreich streben mit Unterstützung Italiens eine strategische Partnerschaft mit Russland an. Berlin, Paris und Moskau hatten bereits am Vorabend des Irakkriegs eng zusammengearbeitet, um eine Kriegsresolution in der UNO zu verhindern. Seither kommt es zu regelmäßigen Zusammentreffen zwischen Putin, Schröder und Chirac. Das letzte fand unmittelbar vor dem Geiseldrama von Beslan in Sotschi am Schwarzen Meer statt.

      Für Deutschland steht neben dem Bemühen, ein Gegengewicht zur amerikanischen Hegemonie zu schaffen und den russischen Absatzmarkt zu erschließen, die Energiefrage im Mittelpunkt des Interesses an Russland. Da es, abgesehen von der enorm aufwändigen Kohle, über keine eigenen Energiereserven verfügt, ist es in hohem Maße von russischen Gas- und Öllieferungen abhängig. Dies umso mehr, als die Vorräte der Nordsee, die bisher gut ein Drittel der deutschen Ölversorgung deckten, in absehbarer Zeit erschöpft sein werden.

      Schon jetzt kommt Russland für 35 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs auf. Dieser Anteil kann in den kommenden 20 Jahren auf über 50 Prozent wachsen. Deutsche Energiekonzerne, die enge personelle Kontakte zum Kanzleramt pflegen, beteiligen sich an staatsnahen russischen Unternehmen und investieren Milliarden in die Erschließung neuer sibirischer Gasfelder. In Planung ist auch eine neue Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland durch die Ostsee.

      Während der jüngsten Krise im Kaukasus hat sich die deutsche Regierung demonstrativ hinter Putin gestellt. Bundeskanzler Schröder erklärte am 8. September in seiner Haushaltsrede vor dem Bundestag, Deutschland könne kein Interesse daran haben, dass die territoriale Integrität Russlands in Frage gestellt werde. Zwei Tage später veröffentlichten Putin und Schröder eine gemeinsame Erklärung, in der sie eine enge Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung vereinbarten. Auch Außenminister Joscha Fischer wandte sich öffentlich gegen tschetschenische Unabhängigkeitsbestrebungen. Dies könne "keine Lösung sein, denn die Auflösung Russlands würde dann weiter gehen, mit desaströsen Folgen für die ganze Region und für die Sicherheit auf der Welt", sagte er der Märkischen Allgemeinen.

      Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich, die eine Partnerschaft mit Russland befürworten, treten die neuen EU-Mitglieder, die bis 1989 zum Warschauer Pakt gehörten, für dessen Eindämmung ein. Insbesondere in Warschau löst die enge Beziehungen zwischen Berlin und Moskau nach wie vor Alpträume aus. Kommt es in Fragen der Russlandpolitik zu Meinungsverschiedenheiten mit Washington, so stehen diese Staaten fast automatisch auf Seiten der USA.

      Trotz dem engen Verhältnis zu Deutschland, Frankreich und Italien sind die russischen Beziehungen zur Europäischen Union insgesamt eher gespannt. Die Brüsseler EU-Kommission hat die russische Tschetschenienpolitik wiederholt scharf kritisiert und nach der Osterweiterung in bilateralen Streitfragen eine für Moskau unerwartet harte Haltung an den Tag gelegt. So verlangt sie Visen für russische Transitreisende nach Kaliningrad, das nach dem EU-Betritt der baltischen Staaten zur Enklave geworden ist, und hat Beschränkungen für russische Importe in die neuen, osteuropäischen Mitgliedsländer verhängt. Misstrauen erregt in Moskau auch das intensive europäischen Werben um die Ukraine, Weißrussland, Moldawien und Georgien, die Russland als sein Einflussgebiet betrachtet.

      Bei allem Interesse an einer strategischen Partnerschaft mit Moskau und am russischen Erdöl und Gas sind auch Berlin und Paris nicht bereit, sich im Kaukasus und Zentralasien den russischen Ansprüchen unterzuordnen. Deutschland ist neben den USA zum wichtigsten Handelspartner in Zentralasien geworden und teilt das US-Interesse an einem Transportkorridor, der Europa und Asien verbindet und außerhalb des russischen Hoheitsgebiets durch Georgien und Aserbaidschan verläuft. Berlin und Paris entwickeln daher ihre eigenen Beziehungen zu den lokalen Machthabern in der Region, auch wenn deren Verhältnis zu Moskau gespannt ist.

      Hinzu kommt, dass Schröders Nähe zu Putin auch innerhalb Deutschlands heftig umstritten ist. Es haben sich zwar mehrere Veteranen der deutschen Außenpolitik aus dem Regierungs- und Oppositionslager öffentlich hinter Schröder gestellt - darunter Wolfgang Schäuble (CDU), Karl Lamers (CDU), Egon Bahr (SPD) und Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). Aus beiden Lagern und den Medien kommt aber auch scharfe Kritik. Schröder wird vorgeworfen, dass er durch sein Schweigen zu den Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik im Nahen Osten und in Afrika unterhöhle und die gemeinsame europäische Außenpolitik untergrabe. Andere Stimmen warnen davor, sich zu eng an Putins Person zu klammern, dessen Stellung durch den letztlich nicht zu gewinnenden Tschetschenienkrieg zunehmend ins Wanken gerate.

      Bei der gegenwärtig wohl explosivsten Frage in der Region - dem iranischen Atomprogramm - arbeiten Deutschland, Frankreich und Russland aber eng zusammen. Der Iran war ein zentrales Thema auf dem letzten Dreiergipfel in Sotschi. Schröder, Chirac und Putin vereinbarten, gemeinsam Druck auf Teheran auszuüben, damit es die Herstellung von angereichertem Uran einstellt. Sie wollen damit einer Eskalation des Konflikts zwischen dem Iran und den USA zuvorkommen. Russland unterhält gute Beziehungen zu Teheran und beliefert den Iran mit Atomtechnologie, und die EU befürwortet im Gegensatz zu den USA eine energiewirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Land.

      Europäische Beobachter befürchten, dass die USA nach einem Wahlsieg Bushs den Druck auf den Iran erhöhen werden, dessen Regierung sich weigert, auf die Herstellung von angereichertem Uran zu verzichten. "Ein soeben wiedergewählter US-Präsident Bush wird wohl kaum zögern, militärische Schläge anzudrohen", meint der Spiegel.

      Auch ein Präventivschlag Israels, das schon 1981 einen irakischen Atomreaktor zerstört hatte, wird für möglich gehalten. Die USA haben Israel soeben die Lieferung von 500 so genannten "Bunker-Brechern" zugesagt, die für den Einsatz gegen den Iran oder möglicherweise Syrien bestimmt sind, wie israelische Sicherheitskreise unumwunden eingestehen. Die tonnenschweren Präzisionsbomben können tief in den Untergrund eindringen und zwei Meter dicke Betonmauern durchschlagen.

      Das taktische Kalkül der Europäer könnte allerdings daneben gehen, wie schon das Beispiel des Irak gezeigt hat. Auch das Regime in Bagdad war von europäischer Seite bedrängt worden, den amerikanischen Abrüstungsforderungen nachzugeben, um damit einem Krieg zuvorzukommen. Bagdad gab nach und zerstörte seine Waffen und Raketen - doch die USA griffen trotzdem an.

      Was tun?

      Der Kriegsgefahr, die mit der Eskalation der Konflikte im Kaukasus, in Zentralasien und dem Mittleren Osten droht, kann nicht durch die Unterstützung der einen imperialistischen Gruppierung gegen die andere - der schwächeren gegen die stärkere, oder der "friedliebenderen" gegen die aggressivere - begegnet werden.

      Es steht außer Zweifel, dass der amerikanische Imperialismus heute der gefährlichste und aggressivste Faktor in der Weltpolitik ist. Daran würde auch ein Machtwechsel in Washington nicht ändern. Aber bereits der Irakkrieg hat die völlige Unfähigkeit der europäischen Regierungen vor Augen geführt, dieser Gefahr entgegenzutreten. Selbst jene, die den Krieg ablehnten, taten dies nur halbherzig und sanktionierten nachträglich die Besetzung des Irak. Sie vermieden es sorgfältig, sich auf die mächtige Antikriegsbewegung zu stützen, die sich weltweit - einschließlich den USA selbst - gegen den Irakkrieg entwickelte.

      Letztlich war ihre "Ablehnung" des Irakkriegs durch die eigenen imperialistischen Interessen in der Region motiviert. Sie reagierten auf den Krieg, indem sie die eigenen militärischen Apparate für internationale Interventionen ausbauten und gleichzeitig die Angriffe auf die sozialen und demokratischen Errungenschaften der Bevölkerung verschärften, um im globalen Kampf um wirtschaftliche und strategische Macht bestehen zu können. Es besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem wachsenden Militarismus auf der einen und den Angriffen auf soziale und demokratische Rechte auf der anderen Seite.

      Dasselbe gilt für Russland, wo die Arbeiterklasse für Putins Großmachtstreben mit sozialer Verelendung und dem Verlust demokratischer Rechte bezahlt.

      Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Kriegsgefahr und gegen die Angriffe der eigenen Regierung, der sich überall auf der Welt entwickelt, muss mit einer internationalen sozialistischen Perspektive befruchtet werden. Das ist die einzige tragfähige Grundlage, um die Gefahr eines neuen Weltbrands zu stoppen. Wie 1914 lautet die Alternative auch heute wieder: Sozialismus oder Barbarei.




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      schrieb am 27.09.04 12:25:18
      Beitrag Nr. 5 ()
      Financial Times Deutschland
      Agenda:
      Putins klare Ansage

      Donnerstag 16. September 2004

      Er sitzt wie ein Tier in einem Käfig. Das Haar ist kurz geschoren. Er trägt Jeans, ein einfaches schwarzes Hemd und dunkle Schuhe aus Kunststoff - damit der Metalldetektor am Eingang des Gerichtssaals nicht piept. In einem Schulheft macht Michail Chodorkowskij, Russlands reichster Unternehmer und Ex-Chef des Ölkonzerns Yukos, Notizen zum Verlauf der Gerichtsverhandlung.

      Der einst mächtigste Oligarch des Landes ist der Steuerhinterziehung, des Betrugs und der Unterschlagung angeklagt. Seit Anzeige

      über zwei Monaten läuft sein Prozess. Mit einem Urteil wird frühestens zum Jahresende gerechnet. Zerknirscht blickt Chodorkowskij zu seiner Frau hinüber, die an manchen Tagen zur Verhandlung kommt. "Tut mir Leid", scheint er zu sagen. Sonst wirkt der Angeklagte, der seit elf Monaten in Untersuchungshaft sitzt, munter und entschlossen, auch wenn er selbst nicht mehr an einen Freispruch glaubt.

      Kontrolle über heimische Schlüsselindustrien

      Kritiker des Präsidenten haben in Russland keine Chance mehr. Ebenso wie er den Querulanten Chodorkowskij bekämpft, entmachtet Wladimir Putin nach und nach all diejenigen, die dem Kreml nicht unbedingten Gehorsam leisten. Regionalgouverneure will der Staatschef künftig selbst benennen, Abgeordnete nur über Parteilisten wählen lassen. Diese Maßnahmen "werden in Putins Hand eine Macht konzentrieren, von der Peter der Große nur träumen konnte", sagt der frühere Duma-Abgeordnete Boris Nemzow.

      Zugleich reißt der Kreml die Kontrolle der heimischen Schlüsselindustrien an sich. Die Zusammenlegung des Gasmonopolisten Gasprom und des Ölkonzerns Rosneft verschafft Moskau die Kontrollmehrheit an einem Giganten, der künftig den Takt im russischen Energiesektor vorgeben dürfte. Von einer Zerschlagung ineffizienter Monopole ist keine Rede mehr. "Die Rückkehr zur Staatskontrolle in verschiedenen Sektoren ist eine echte Gefahr für die russische Wirtschaft", warnt der Ökonom Anders Aslund, der vor zwei Jahren Putins Reformen lobte.

      "Russland bewegt sich auf einen Staatskapitalismus zu"

      Der Kreml dreht die Uhr zurück. Vor zwei Monaten wurden 1063 Betriebe zu strategischem Besitz erklärt, dessen Privatisierung nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Staates möglich sei. In den Aufsichtsräten der wichtigsten staatlichen Rüstungs- und Energiekonzernen, beim Pipelinebetreiber, bei der Eisenbahn, in Banken und Telekomunternehmen geben Putins Freunde und Ex-KGB-Agenten den Ton an.

      "Russland bewegt sich auf einen Staatskapitalismus zu, in dem die Bürokratie mehr zu sagen hat als der Privatunternehmer", warnt Alexander Radygin, Ökonom am Moskauer Institut für Wirtschaft in der Transformation. Der Staat mache die Unternehmen von sich abhängig und sichere sich weitgehende Mitspracherechte. "Der Kreml will entscheiden, wer in Russland investieren kann und wer nicht", sagt Radygin.

      Harte Hand des Präsidenten lockt Unternehmen ins Land

      Was die einen als unbotmäßige Machterweiterung empfinden, werten die anderen als Zugewinn an Stabilität. Gerade ausländischen Investoren ist ein starker Mann an der Spitze Russlands durchaus willkommen. Das System der "gelenkten Demokratie", heißt es im jüngsten Jahresbericht des Verbandes der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation (VDW), erweise sich "nahezu ausschließlich als positiv für die wirtschaftliche Zusammenarbeit".

      Die harte Hand des Präsidenten lockt Jahr für Jahr mehr Unternehmen ins russische Riesenreich: "Die Rahmenbedingungen für Investoren haben sich unter Putin deutlich verbessert", sagt Max Gutbrod, Vorstandsmitglied des Verbandes. "Was früher war, erscheint uns heute wie ein böses Märchen." Daran habe der Fall Chodorkowskij nichts geändert. "Yukos hat nichts mit ausländischem Kapital zu tun. Der Fall zeigt vor allem, dass private Politik nicht erfolgreich sein kann."

      Investoren und Kreditgeber sind sich einig: "Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein ausländisches Institut wegen Yukos die Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen beendet hat", sagt Allan Hirst, der Chef der Citibank in Russland. "Im Gegenteil: Immer mehr Spieler drängen in den Markt."

      Russlands Markt kann man nicht ignorieren

      Die Firmen werden von den exorbitanten Gewinnen angelockt, die sich in Russland noch immer erwirtschaften lassen. An einem Kredit für den Ölkonzern Sibneft könne man 40-mal so viel verdienen wie an einem Kredit für Shell, verrät ein europäischer Banker in Moskau. Das Risiko sei jedoch nur vier- bis fünfmal so hoch. Die hohen Ölpreise seit Anfang 2000 stürzten das Land überdies in einen beispiellosen Konsumrausch.

      Ein Zuwachs der Verkaufszahlen von 20 bis 50 Prozent jährlich wie bei Procter & Gamble ist keine Seltenheit. "Nirgends steigt der Umsatz schneller als in Russland", sagt Lennart Dahlgren, Generaldirektor von Ikea Russland. Der schwedische Möbelkonzern betreibt bereits sechs Großmärkte in Moskau, Petersburg und Kasan. "Russland ist ein viel zu großer und wichtiger Markt, als dass man ihn ignorieren könnte", schwärmt Bill Browder, Chef des Investmentfonds Hermitage Capital, der 1,2 Mrd. Euro zwischen Wyborg und Wladiwostok investiert hat.

      Russland erscheint als zweites China

      Die fortschreitende Einschränkung der Demokratie durch Putin schade dieser Entwicklung kaum, heißt es in Wirtschaftskreisen. Im Gegenteil. "Der Unabhängigkeit der Gouverneure weinen die Investoren keine Träne nach", sagt VDW-Vorstand Gutbrod. "Sie haben sich oft den föderalen Gesetzen widersetzt und Investoren behindert."

      Auch auf Russlands Kreditwürdigkeit wird sich der Staatsumbau wohl nicht negativ auswirken. "Beim letzten Rating haben wir die Möglichkeit berücksichtigt, dass einige Teilnehmer des politischen Prozesses - wie Gouverneure - künftig eine begrenzte Rolle spielen", sagt Helena Hessel von Standard & Poor’s. Die Zentralisierung lasse Russland in den Augen der Investoren wie ein zweites China erscheinen, urteilt James Fenkner, Chefanalyst des Investmentfonds Troika Dialog. Das dortige Investitionsklima gelte als hervorragend.

      Die Wirtschaftsführer wollen klare Regeln

      Die gibt ihnen Putin. Hier ist die Gas- und Ölgesellschaft unter der Kontrolle des Staates. Und dort ist der Rest, der für Investoren offen steht. Wie man im neuen Russland Geschäfte macht, demonstrierte im Juli James Mulva, Chef des Ölkonzerns ConocoPhillips. Er holte sich im Kreml Putins Segen, bevor er verkündete, dass sein Unternehmen die Staatsanteile am russischen Lukoil-Konzern (7,6 Prozent) kaufen wolle.

      Nicht nur die ausländischen Investoren, auch die nun handzahmen russischen Oligarchen sehen im Staatskapitalismus keine Bedrohung ihrer Interessen. Zumindest wollen sie es nicht zugeben. "Der Präsident will die Verwaltung des Landes nach dem Prinzip eines vertikal integrierten Unternehmens organisieren", doziert Viktor Wekselberg, 4 Mrd. $ schwerer Miteigentümer des Ölkonzerns TNK-BP (London: BP.L - Nachrichten) und des Aluminiumimperiums Sual. "Im Geschäft werden durch solche Maßnahmen die Lenkbarkeit erhöht und die Unkosten reduziert. Vielleicht klappt das ja auch auf Staatsebene."

      Verständnis allerorten

      Die Wirtschaft, darunter deutsche Investoren, bedauern zwar die Abwesenheit einer Zivilgesellschaft in Russland. Sie wissen von Restriktionen der Versammlungsfreiheit und vom zunehmenden Druck auf Nichtregierungsorganisationen. Aber: "Man soll Geschäft und Politik nicht leichtfertig vermengen", sagt Gutbrod. Er unterstütze die leisen Töne von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der in der Öffentlichkeit zu Putin steht. "Die Chancen für die deutsche Wirtschaft in Russland sind heute gigantisch", schwärmt Gutbrod, und sie könnten weiter wachsen, wenn die Kooperation zwischen Deutschland und Russland nicht durch Dissonanzen gestört würde. "Wir helfen niemandem mit unbedachter Kritik."

      http://de.biz.yahoo.com/040916/345/47l3e.html

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      Avatar
      schrieb am 27.09.04 12:27:13
      Beitrag Nr. 6 ()
      Interview: Keine Wende

      Von Leo Klimm

      Klaus Mangold, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, leitete als Vorstand von DaimlerChrysler (Xetra: 710000.DE - Nachrichten - Forum) das Russland-Geschäft.

      FTD Moskau will die Restriktionen lockern, denen Ausländer beim Kauf von Gasprom-Aktien bisher unterlagen. Was bedeutet das?

      Klaus Mangold Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Liberalisierung des Aktienrechts und des Kapitalmarkts. Jetzt entfallen endlich die teuren Umweggeschäfte, die ausländische Investoren bisher machen mussten, um sich an Gasprom zu beteiligen.

      FTD Der russische Energieminister hat die Ankündigungen inzwischen relativiert. Können Sie es akzeptieren, wenn bei Großkonzernen wie Gasprom die Macht im Kreml verbleibt?

      Mangold In der Energiebranche kann ich das für eine Übergangsphase akzeptieren. Diese Ressourcen sind ein Gut von nationalem Interesse, sie sind die Kronjuwelen des Landes.

      FTD Immer wieder klagen deutsche Unternehmer über willkürliche Behandlung in den russischen Regionen. Begrüßen Sie es, dass Putin die Macht über die Gouverneure an sich zieht?

      Mangold Die Folgen dieser Zentralisierung sind noch nicht absehbar. Natürlich bedeutet sie Machtzuwachs für den Präsidenten, aber auch eine dramatisch gesteigerte Verantwortung.

      FTD Die USA und die EU haben Moskau nach dem Geiseldrama von Beslan vor einer Beschneidung der Grundrechte gewarnt. Fürchten Sie auch um die Demokratie in Russland?

      Mangold Ich kann nicht erkennen, dass ein Wendepunkt erreicht ist. Andere Länder haben in ähnlicher Lage ähnliche Maßnahmen getroffen. Das ist eine Ausnahmesituation, auf die der Staat mit Stärke reagiert.

      http://de.biz.yahoo.com/040916/345/47l3e.html
      Avatar
      schrieb am 26.10.04 17:45:52
      Beitrag Nr. 7 ()
      In der russischen Bevölkerung gilt die Gunst eher dem Herausforderer John Kerry

      Zumindest Kreml-Chef Putin drückt Bush die Daumen

      Von Stefan Voß

      Diesen Versprecher dürfte der Kreml dem US-Präsidentschaftskandidaten John Kerry übel genommen haben: In Moskau habe er einst das Gebäude des KGB an der »Treblinka« besichtigt, sagte Kerry in einer der Fernsehdebatten mit Amtsinhaber George W. Bush.


      Gemeint war aber nicht das Konzentrationslager der Nazis, sondern die Geheimdienstzentrale am »Lubjanka«-Platz. Dieser Lapsus ist nicht der einzige Grund, weshalb der einstige Geheimdienstagent und heutige russische Präsident Wladimir Putin am 2. November Amtsinhaber Bush die Daumen drückt.

      Zu den Besonderheiten des frühen 21. Jahrhunderts zählt, dass der Kreml in den vergangenen Jahren harmonisch mit einem Republikaner im Weißen Haus zusammenarbeiten konnte, dem die Vormachtstellung der USA über alles ging. Die Freundschaft zwischen Putin und Bush begann mit den Anschlägen vom 11. September 2001.

      Als einer der ersten Staatschefs weltweit sicherte Putin den USA Hilfe im Kampf gegen den internationalen Terror zu.

      Ebenso wie Bush sieht Putin sein Land von Terrororganisationen wie El Kaida und deren Verbündeten bedroht. Ohne Murren akzeptierte der Kreml die Stationierung von US-Soldaten im ehemals sowjetischen Zentralasien an der Grenze zu Afghanistan.

      Im Gegenzug verstummte die bis dahin deutliche Kritik am russischen Vorgehen in Tschetschenien.

      Potenzielle Streitthemen gab es in den vergangenen Jahren zwischen den USA und Russland genug.

      Von der Fertigstellung eines Atomkraftwerks in Iran durch russische Unternehmen über die Nato-Osterweiterung bis zum Justizskandal um den von US-Ölmultis umworbenen Konzern Yukos reichte die Bandbreite.

      Doch die Freundschaft und das Vertrauen zwischen Bush und Putin hielten.
      »Er ist ein prima Kerl, mit dem man eine gute Zeit verbringen kann«, lobte Bush seinen russischen Amtskollegen im vergangenen Herbst.

      Der US-Präsident nahm Putin selbst dessen Widerstand gegen den Irak-Krieg nicht übel.
      Der Kreml-Chef versuchte zwischenzeitlich, aus der gemeinsamen Irak-Haltung mit Deutschland und Frankreich eine »Troika« zu bilden. Den Ärger der USA bekamen letztlich nicht die Russen, sondern die Verbündeten Deutschland und Frankreich ab.

      Ohne sich um die international übliche Neutralität vor Wahlen zu kümmern, ließ Putin zuletzt mehrfach deutlich seine Präferenzen durchblicken.

      Der Terror im Irak sei vor allem darauf ausgerichtet, eine Wiederwahl Bushs zu verhindern, behauptete Putin Mitte Oktober in Tadschikistan. Wenn Bush scheitere, erhalte der Terrorismus Aufwind und werde sich in immer mehr Ländern ausbreiten, sagte Putin.



      Die Mehrheit der russischen Bevölkerung äußert dagegen in Umfragen ihre Sympathie für den Herausforderer Kerry. Über dessen Haltung zu Russland ist in Moskau wenig bekannt.

      Allgemein herrscht im Kreml aber auch die Sorge, ein Demokrat im Weißen Haus könnte wieder kritischer mit den Themen Demokratie und Menschenrechte in Russland umgehen.
      (dpa)

      http://www.netecho.info/schlagzeilen/rubrik.asp?a=%7B38B0F0D…
      Avatar
      schrieb am 13.11.04 17:07:23
      Beitrag Nr. 8 ()
      13. November 2004, 02:13, Neue Zürcher Zeitung

      Wladimir Putin - ein «wohlwollender Diktator»?
      Beunruhigender Kurswechsel Richtung Kommando-Kapitalismus in Russland
      Eben noch erschien Präsident Putin als Reformer, der Russland mit einer Hinwendung zum Westen und mit liberalen Reformen in eine bessere Zukunft führt. Doch seit gut einem Jahr vergiftet die Yukos-Krise das Klima; es häufen sich autoritäre, national- chauvinistische Tendenzen. Beobachter fürchten einen korporatistischen Kommando- Kapitalismus und fragen mit zunehmender Sorge: «Wer ist Wladimir Putin wirklich?»

      Von unserem Wirtschaftskorrespondenten in Moskau, Peter A. Fischer

      Moskau, Anfang November

      «Das müssen Sie selber herausfinden», erwiderte der Präsident vor einigen Jahren lächelnd, als er, relativ frisch in Amt und Würden stehend, an einer Kreml-Pressekonferenz gefragt wurde, was denn nun Wladimir Putin für ein Mensch sei. Viele staunten in den darauf folgenden Monaten nicht schlecht: Der Ex-Spion erweckte den Eindruck, offen, dem Westen gegenüber aufgeschlossen und reformfreudig zu sein; es herrschte Aufbruchstimmung im Land.

      Beachtliche Reformleistungen
      Wladimir Putin überraschte in seiner ersten Amtszeit damit, dass er nach dem 11. September 2001 den USA die Hand zu verstärkter Zusammenarbeit reichte und gegen eine Präsenz des einstigen Feindes im «russischen Hinterhof» Zentralasien nichts einzuwenden hatte. Er bemühte sich um eine bessere Integration der russischen Wirtschaft in den Westen, indem er ernsthaft den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO vorantrieb, eine institutionalisierte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU forcierte und mit den USA und der EU in einen Energiedialog trat. Der Kremlchef betonte verschiedentlich, sein Team habe aus den Fehlern der Sowjetunion gelernt und wolle, dass Russland eine normale Wirtschaft werde, in der sich in- und ausländische Investoren und Unternehmer wohl fühlen könnten.

      Putin machte Schluss mit der Schuldenwirtschaft und verpflichtete die Regierung auf eine stabilitätsorientierte Makropolitik. Liberale marktwirtschaftliche Programmatik dominierte. Steuern und Zölle wurden gesenkt und vereinfacht, das Unternehmertum behindernde Vorschriften dereguliert, das Altersvorsorgesystem reformiert, eine Liberalisierung des Elektrizitätssektors an die Hand genommen, das oft missbrauchte Konkursrecht revidiert und die Regulierung des Finanzsektors anlegerfreundlicher organisiert. Justizreformen sollten für unabhängigere und kompetentere Gerichte sorgen, die Rechte der Verteidigung stärken und die Zahl der wegen geringer Vergehen inhaftierten Personen reduzieren.

      Primat der Politik über die Wirtschaft
      Dass es bei all den Reformen in den ersten Jahren von Putins Amtszeit häufig noch mit der Umsetzung haperte, liess sich mit der jahrhundertelangen Tradition bürokratischen Widerstands erklären. Hauptsache, die Richtung an der Spitze stimmte, der Rest schien eine Frage der Zeit. Doch seit gut einem Jahr erschüttert das offensichtlich vom Kreml gesteuerte Vorgehen gegen Russlands reichsten Mann und dessen modernsten Erdölkonzern diese Hoffnung gründlich. Der Erdöl-Tycoon Chodorkowski dürfte einiges zu verantworten haben, für das ihm auch im Westen der Prozess gemacht werden könnte. Dennoch hat die Art, wie Staatsorgane im Einklang mit Gerichten seit über einem Jahr ausschliesslich gegen den Erdölkonzern Yukos vorgehen, wie Recht gebogen und missliebige Richter schnellstens ersetzt werden, das keimende Vertrauen in die Rechtssicherheit und in eine Hinwendung Russlands zu freiheitlichen Werten gründlich geknickt. Stattdessen scheint die sowjetische «Telefonjustiz» wieder aufzublühen, bei der sich Gerichte als verlängerter Arm der Exekutive verstehen und entscheiden, was ihnen telefonisch vorgegeben wird.

      Mit dem Yukos-Fall hat der Kreml den Eindruck korrigiert, Putin wolle zwar politische Stabilität und Kontrolle, aber gleichzeitig eine in liberaler Freiheit prosperierende Wirtschaft. Stattdessen scheint er nun auch in Wirtschaftsangelegenheiten das letzte Wort für sich zu beanspruchen. Da unter den gegebenen Umständen der Staat und seine Organe bei praktisch jedem privaten Unternehmen Wege und Mittel finden können, um seine Existenz in Frage zu stellen, ist die Aufbruchstimmung unter Russlands Unternehmern gegenwärtig Unsicherheit und Angst gewichen. Ausgenommen davon sind höchstens einige in- und ausländische Grosse, die sich auf spezielle Beziehungen zum Kremlherrn verlassen zu können glauben. Doch längerfristige Planungssicherheit vermittelt auch das nicht, denn Kremlherren können bekanntlich wechseln. Gleichzeitig erhebt der Kreml immer unverhohlener den Anspruch, «Schlüsselindustrien von nationalem Interesse» wie den Energie- und Rohstoffsektor oder für die Verteidigungsindustrie relevante Sektoren zu kontrollieren und möglichst direkt mehrheitlich zu besitzen. Das Vorhaben, Monopole aufzubrechen und für Wettbewerb zu sorgen, ist dabei in den Hintergrund getreten. Stattdessen gilt wieder «Big is beautiful», wie der Versuch zeigt, Gazprom zu einem integrierten, staatlich kontrollierten Energiekonzern auszubauen.

      Zweifelhafte «Vertikale der Macht»
      In den «goldenen Reformjahren» allzu leicht übersehen wurde vielleicht auch, wie systematisch Putin und seine Leute daran gingen, ihre Kontrolle über fast alle Bereiche von Politik und Gesellschaft zu verstärken. Ihr Vorgehen gegen die Medienmoguln Beresowski und Gusinski ermöglichte die Rückeroberung der Kontrolle über alle nationalen Fernsehsender. Als ob es die Zeit der «Glasnost» nie gegeben hätte, gleichen diese inzwischen wieder reinen Propagandainstrumenten und haben kritische oder oppositionelle Stimmen fast zum Verstummen gebracht. Die übrigen Medien sind zwar noch nicht völlig kontrolliert, aber doch deutlich stärkerem Druck ausgesetzt. Trotz allen Lippenbekenntnissen über die Bedeutung einer Zivilgesellschaft sind unabhängige Bürger- und Menschenrechtsgruppen unter zunehmenden Druck geraten. In seiner letzten Rede zur Lage der Nation ging Putin so weit, die Existenzberechtigung von Nichtregierungsorganisationen in Frage zu stellen, die häufig vom Ausland finanziert und unpatriotisch gesinnt seien.

      Politisch wurde die sogenannte «Vertikale der Macht» zum neuen Leitmotiv erhoben. Diese hat unter dem Vorwand, ein Auseinanderbrechen Russlands verhindern zu wollen, ursprünglich föderalistische Bestrebungen in ihr Gegenteil verkehrt. Der Föderationsrat, welcher die regionalen Interessen vertritt, wurde praktisch zu einer repräsentativen parlamentarischen Instanz degradiert. Putins Vertraute zogen die Strippen bei der Gründung der Partei Einheitliches Russland (ER), in der sich die meisten relevanten politischen Kräfte mit dem wohl einzigen Ziel versammelten, an der Macht zu partizipieren. Seit ihre Vertreter dank aktiver Wahlunterstützung der Administration und der vom Kreml kontrollierten Medien über eine Zweidrittelmehrheit in der Duma verfügen, hat das russische Parlament die Funktion einer Kontrollinstanz faktisch eingebüsst. Dafür ist ER dabei, eine Funktionärsorganisation zu werden, die wie einst Posten und Privilegien vergibt. Wenn künftig - angeblich zur besseren Terrorismusbekämpfung - auch die Gouverneure von Putin eingesetzt statt vom Volk gewählt werden und der Kreml womöglich das Recht erhält, missliebige Richter abzusetzen, wird die Kontrolle Putins und seiner Getreuen über fast alle Bereiche von Politik und Gesellschaft Ausmasse annehmen, die an totalitäre Zustände gemahnen.

      Glaube an übergeordnetes Staatsinteresse
      Nimmt man Putins Biografie und frühere Aussagen zum Massstab, kann die auf den ersten Blick widersprüchliche Verwandlung vom westlichen Reformer zum östlichen Autokraten nicht völlig überraschen. So berichtet Putin, dass er bereits als Bub in Sankt Petersburgs Hinterhöfen der Schiedsrichter mit dem letzten Wort sein wollte. Die frühzeitige Ausrichtung seiner Ausbildung auf eine Karriere beim Geheimdienst und sein schneller Aufstieg dort dürften mit einem in der russischen Geschichte tief verankerten Glauben an ein «übergeordnetes Staatsinteresse» zu tun haben, welches über individuellen Rechten steht und dessen Zweck oft die Mittel heiligt. Auch wird von Putin kolportiert, er sei ein ausgeprägter Patriot und habe seit je empfindlich reagiert, wenn die Grösse Russlands hinterfragt oder Russisches kritisiert worden sei. Umso mehr hat es ihn im KGB-Einsatz in Ostdeutschland offenbar getroffen, dass beim Zusammenbruch der DDR die russische Staatsgewalt versagte und er allein gelassen zusehen musste, wie Russland seinen Einfluss verlor.

      Vieles deutet darauf hin, dass Putin aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion - den er wiederholt als Tragödie bezeichnete - zwar gelernt hat, dass ein starkes Russland eine starke Wirtschaft braucht. Darin dürfte sein Wille wurzeln, auf Ökonomen, denen er vertraut, zu hören und der Wirtschaft eine Reformkur zu verpassen, Russland ökonomisch in die Weltwirtschaft zu integrieren und aus dem Westen zu importieren. Er verspricht sich davon wohl einen Beitrag zu schnellem Wirtschaftswachstum. Doch das letzte Ziel des Ökonomischen scheint für Putin nicht in der materiellen Besserstellung eines jeden Einzelnen zu liegen, sondern in der Wiederherstellung eines politisch starken Russland.

      Akzeptierte Politik der starken Hand
      Mit seiner Politik stösst der Kremlherr bei einer Mehrheit seiner Wähler weiterhin auf Zustimmung. Nach jahrzehntelanger, in letzter Zeit wieder erneuerter Gehirnwäsche ist bei vielen Russen das Misstrauen gegen individuellen wirtschaftlichen Erfolg und persönlichen Reichtum nach wie vor gross. Dazu hat auch beigetragen, dass manche sehr reiche Russen dank guten Beziehungen und der Fähigkeit, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, zu enormem Reichtum gelangt sind, es aber am Bemühen fehlen liessen, die Akzeptanz des Erreichten durch entsprechendes persönliches Verhalten zu sichern. Stattdessen stiessen sie die weniger Glücklichen mit Exzessen vor den Kopf. Gerade die Verlierer der Transformation trauern - oft vermeintlicher - vergangener Grösse nach und sind empfänglich für chauvinistische Parolen. Liberale Werte wie Freiheit oder der Vorrang des Individuums vor dem Kollektiv werden dagegen in einem Russland, das unter den Zaren die Zeit der Aufklärung verpasst hat, nur von einer Minderheit hochgehalten. Das zeigt sich nicht nur daran, dass liberale Parteien die Wiederwahl in das russische Parlament verfehlt haben. Auch eine Umfrage des renommierten Levada-Zentrums belegt dies. So gaben 60% der Befragten an, zum Schutz vor Terrorismus gerne auf verfassungsrechtliche Freiheiten wie das Recht, ins Ausland zu fahren, zu verzichten. 59% waren der Ansicht, Nichtregierungsorganisationen und Publikationen, die Putins Anti-Terror- Politik anzweifeln, sollten verboten werden.

      Es gibt kenntnisreiche Beobachter im In- und Ausland, die Putins neue Politik durchaus befürworten und argumentieren, Russland sei für eine Demokratie und eine liberale, freie Wirtschaft westlichen Zuschnitts (noch) nicht reif, sondern brauche eine Politik der starken Hand. Sie führen an, dass «das Kapital» in der Vergangenheit zu einseitig seine Interessen habe durchsetzen können und dass kriminelle Strukturen sogar Gouverneursposten gekauft hätten. Die unbefriedigende Umsetzung von Reformen zeige, dass liberale, föderalistische Strukturen in Russland nichts taugten. Damit staatliche Institutionen funktionieren und effiziente ordnungspolitische Rahmenbedingungen garantieren könnten, brauche es klarere, zentralisierte Machtverhältnisse. Nur eine korporatistische Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte unter dem Regime eines «guten Zaren» oder aufgeklärten «wohlwollenden Diktators» könne das Land modernisieren und auf einen forcierten Wachstumskurs bringen.

      Sieben Gründe gegen einen russischen Kommando-Kapitalismus
      Bekanntlich kann man durchaus die Meinung haben, ein wohlwollend-autoritäres Regime könne unter bestimmten Umständen die Aussichten auf wirtschaftliches Wachstum eines Landes verbessern. Auf Putins Variante des Autoritarismus dürfte diese Ansicht jedoch mit einiger Sicherheit nicht zutreffen. Wirtschaftlich gesehen leidet der neuerdings postulierte korporatistische Kommando-Kapitalismus russischer Prägung nämlich unter mindestens sieben zentralen Defiziten:

      1. Ineffiziente Korruptions-Kultur in der Bürokratie.
      Autoritäre Systeme mögen funktionieren, wo sie sich
      auf einen einigermassen effizienten Beamtenstab
      oder ein unkorrumpiertes Militär verlassen können.
      Doch Russlands Staatsdienern fehlt es nicht an
      Macht, sondern am Verständnis für öffentliche
      Dienstleistungen. Sie schützen nicht den Bürger,
      sondern die Vertreter der Macht vor dem Ärger ihrer
      Bürger. Daneben dienen Russlands Bürokraten seit
      je - und in letzter Zeit sogar noch verstärkt - ihren
      eigenen pekuniären Interessen. Manche Vertreter
      von Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdienst
      haben sich mit «mafiaähnlichen» Methoden in
      zwischen ganze Wirtschaftsimperien aufgebaut. Un
      ter diesen Umständen hat eine noch so gut gemeinte
      «Vertikale der Macht» wenig Chancen, sich durchzu
      setzen. Stattdessen wird sie erst recht im Sumpf von
      Vetternwirtschaft und Korruption versinken.
      2. Staatsbetriebe als Selbstbedienungsladen. Wegen der
      Korruptions-Kultur im öffentlichen Dienst sind
      Staatsbetriebe in Russland notorisch ineffizient und
      unprofitabel. Während im Ausland Betriebe ge
      legentlich zwar in Staatsbesitz verbleiben, aber wie
      privatwirtschaftliche Unternehmen geführt werden,
      versteht in Russland das Management eines Staats
      betriebes seine Führungsfunktion meist als Auffor
      derung zur Selbstbedienung und zum Verteilen
      schwarzer Einkünfte an Funktionäre.
      3. Zerstörung institutioneller Korrekturmechanismen.
      Der Versuch, allgegenwärtige Kontrolle und Kon
      zentration der Macht in einer Hand zu schaffen, zer
      stört das in Russland sowieso erst schwach ausgebil
      dete System unabhängiger Kontrollen und Gegen
      gewichte («Checks and Balances»), das Korruption,
      Amtsmissbrauch und Ineffizienz reduzieren könnte.
      4. Rent-seeking statt Unternehmertum. Die Konzentra
      tion von Macht und Kontrolle in der Politik ent
      mutigt fähige Köpfe, ihre Energie in den Aufbau
      neuer Unternehmen zu stecken. Stattdessen werden
      politische Posten attraktiver. Es entstehen enorme
      Anreize, in politische Beziehungen zu investieren,
      die sich gewinnbringend umsetzen lassen (politi
      sches Rent-seeking). Im Gegensatz zu den freien
      Unternehmern ist der politischen Elite ein (Korrup
      tions-)Einkommen aus den reichlichen Rohstoff-
      Einnahmen sicher. Für Wirtschaftsführer gilt, «je
      staatsnaher, desto besser». Eine marktorientierte
      Diversifikation und Modernisierung der russischen
      Wirtschaft kann so nicht gelingen.
      5. Mangel an innovativem Wettbewerb. Wie überall auf
      der Welt verspricht das in Russland wieder so popu
      läre Schaffen von lokalen und staatlichen Monopo
      len einigen wenigen Menschen leichte, reichliche
      Einkünfte. Diese machen träge und verhindern Leis
      tung und Innovation. Das gilt nicht nur in der Wirt
      schaft, sondern genauso im gesellschaftlichen Leben
      und in der Politik. Wo der freie Wettbewerb von Ge
      danken und Ideen nicht zugelassen wird, droht das
      erneute Versinken in selbstgefällige Stagnation.
      6. Fehlende Verantwortung. Wo alles zentral entschie
      den und von oben kommandiert wird, trägt lokal
      niemand Verantwortung. Die bis hinein in die russi
      sche Wirtschaft verbreitete, schwerfällige Bürokra
      ten-Kultur, in der ausser dem fernen Chef niemand
      Entscheide fällen und Verantwortung übernehmen
      will und muss, droht erneut Urständ zu feiern. So
      wird wertvolle Zeit vergeudet; dynamische Anpas
      sungen werden verhindert.
      7. Ungesund verkürzter Zeithorizont. Unter den neuen
      Verhältnissen in Russland verbreiten sich Angst und
      Unsicherheit, die zu ökonomisch ineffizienten Ent
      scheiden führen. Wer dauernd fürchten muss, mit
      der Gunst des Kremls gleich auch noch sein erarbei
      tetes Vermögen zu verlieren, investiert nicht langfris
      tig. Stattdessen dominieren ein ungesund verkürzter
      Zeithorizont und die Jagd nach dem schnellen Geld.
      Zudem droht eine dauernde Emigration der Erfolg
      reichen, die sich vom Gang ins sichere Ausland die
      Rettung des Erarbeiteten erhoffen.


      Manche Kommentatoren sehen in Putins neuesten Reformen die Offenbarung des wahren Charakters eines Mannes, der in verschwörerischem Kreise schon lange die Rückeroberung der Macht durch einen kleinen Kreis von Geheimdienstfunktionären und Vertretern der Machtorgane (den sogenannten «Silowiki») geplant und vorangetrieben hat. Dem muss allerdings keineswegs so sein. Möglich ist auch, dass Putins neueste Massnahmen tatsächlich aus einem Gefühl der Ohnmacht und Ungeduld gegenüber der terroristischen Bedrohung und dem verbreiteten Unvermögen des Staates entstanden sind. Vielleicht will Putin ernsthaft Russland als «guter Zar» oder «wohlwollender Diktator» zu neuer Stärke und zu wirtschaftlichem Aufschwung führen. Doch dem System, das er derzeit zu schaffen gewillt zu sein scheint, fehlen jegliche «Checks and Balances». Es wird damit geradezu zu einer Einladung an eigennützige Machteliten. Bereits heute kursieren zahlreiche Gerüchte und Hinweise auf Spitzenfunktionäre in Putins Umkreis, die dieses System eigennützig missbrauchen sollen.

      Die Frage, ob Putin ein «wohlwollender Diktator» ist oder nicht, verliert damit an Bedeutung. Beunruhigend scheint vielmehr, dass Putins Kurswechsel statt Freiheit und marktwirtschaftlicher Effizienz Missbrauch und Ineffizienz Vorschub leistet. Überrascht der Kremlherr nicht erneut und wirft das Steuer in letzter Minute herum, wird vom grossen Reformer im westlichen, liberalen Sinn, der Russland zu ökonomischer Prosperität führte, nicht viel übrig bleiben. Stattdessen droht Wladimir Putin dann zu dem Mann zu werden, der eine historische Chance verpasst und sein Land in wirtschaftliche Stagnation sowie in Misswirtschaft und Korruption lateinamerikanischer Prägung gelenkt hat.



      Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter: http://www.nzz.ch/2004/11/13/fw/page-article9ZGJE.html
      Avatar
      schrieb am 22.11.04 20:45:25
      Beitrag Nr. 9 ()
      Käufer der Yukos-Tochter erhielt Staatsgarantien


      Der potentielle Käufer des Unternehmens Yuganskneftegas, das größte Förderunternehmen der Ölgesellschaft Yukos, hat die ersten öffentlichen Garantien der Anerkennung der Rechte auf das erworbene Eigentum durch den Staat erhalten, schreibt „Kommersant" am Montag.

      Am Vortag erklärte der Chef des Naturnutzungsministeriums, Juri Trutnew, seine Behörde fordert weiterhin die Beseitigung aller Verstöße gegen die Lizenzabkommen, die die Ölfirma begangen hat, sie wäre aber bereit, mit dem neuen Besitzer „Termine auszumachen".

      Trutnews Behörde, so das Blatt, droht damit, dem Unternehmen Yuganskneftegas die Lizenzen schon im Januar wegzunehmen. Die Vorwürfe des Ministeriums beziehen sich auf die Verweigerung der Steuer für die Förderung von Bodenschätzen durch Yuganskneftegas. „Wir werden die Forderungen hinsichtlich der Beseitigung der Regelverstöße in den Lizenzen zwar nicht zurücknehmen, das bedeutet aber nicht, dass dem neuen Eigentümer sofort die Rechte auf die Nutzung der Bodenschätze aberkannt würden. Offenbar werden wir uns mit seinen Vertretern zusammentreffen und eine Einigung erzielen müssen, innerhalb welchen Zeitraums er unsere Forderungen erfüllen wird", erklärte Herr Trutnew.

      Der Käufer von Yuganskneftegas soll bei einer Auktion am 19. Dezember ermittelt werden, der Startpreis für die angebotenen Stimmaktien des Unternehmens beträgt 8,65 Mrd. Dollar).

      In seiner Stellungnahme zum Beschluss über den Verkauf von Yuganskneftegas erklärte Andrej Illarionow, Wirtschaftsberater des Präsidenten, dieser Tage, dies sei „ein Raubüberfall am hellichten Tag". Nach seiner Auffassung „hat die Gesellschaft den Wunsch bekundet, die Steuern zu zahlen und tut das auch, insofern besteht keine Notwendigkeit in einem Verkauf jeglicher Aktiva zur Deckung der Steuerschulden".

      Russlands Minister für Wirtschaftsentwicklung, German Gref, erklärte am Sonnabend, für eine russische Firma wird es kompliziert sein, das notwendige Geld für die Teilnahme an der Auktion aufzutreiben. Nach Ansicht von Marktteilnehmern sind Surgutneftegas und Gasprom die wahrscheinlichsten Anwärter auf den Erwerb von Yuganskneftegas. Dabei wird Gasprom in einer Allianz mit E.ON Ruhrgas oder dem italienischen Unternehmen Eni agieren. (RIA)

      http://russlandonline.ru/ruwir0010/morenews.php?iditem=2544
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      HANDELSBLATT, Montag, 22. November 2004, 16:02 Uhr


      Laut Interview in der ARD-Sendung "Beckmann"


      Schröder hält Putin für lupenreinen Demokraten


      Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat Russlands Präsident Wladimir Putin vor Vorwürfen in Schutz genommen, dieser missachte demokratische Grundsätze.


      HB BERLIN. Schröder sagte in der ARD-Sendung „Beckmann“ laut am Montag vorab veröffentlichten Interview-Auszügen auf die Frage, ob Putin ein lupenreiner Demokrat sei: „Ja, ich bin überzeugt, dass er das ist.“ Er sei sicher, dass Putin Russland „zu einer ordentlichen Demokratie machen will und machen wird“. Das Land habe 75 Jahre kommunistischer Herrschaft hinter sich sowie zehn Jahre, in denen alle Staatlichkeit zerfallen sei. „Putin schafft es jetzt, den Staat wieder in seine Funktion zu setzen.“ Es sei klar, dass dabei nicht alles idealtypisch laufe. Schröder sagte zudem, zwischen ihm und Putin bestehe ein Grundvertrauen. Dies beinhalte, „dass man einander die Wahrheit sagt“.

      Putin, der die Präsidentschaft vor fünf Jahren übernommen hat, hat sich die Kontrolle über wichtige staatliche Institutionen gesichert und die Neubildung politischer Parteien erschwert. Unabhängige Abgeordnete wurden aus dem Parlament ausgeschlossen. Kritiker auch aus westlichen Staaten sowie die EU haben sich besorgt über den Zustand der Demokratie in Russland geäußert. In der Koalition war Schröder vorgeworfen worden, Probleme der Politik Putins nicht offen anzusprechen.

      Putin hatte vergangene Woche erklärt, Russland sei auf der Suche nach einer Form der Demokratie, die zu den Traditionen des Landes passe.

      http://www.handelsblatt.com/pshb/fn/relhbi/sfn/buildhbi/cn/G…
      Avatar
      schrieb am 23.11.04 15:38:46
      Beitrag Nr. 10 ()
      Schröder hält Putin für lupenreinen Demokraten:laugh::laugh::laugh::laugh:

      Der ist sowas von Demokrat, dass er seine Brüder im Geiste schon mal als erster zum Wahlsieg gratuliert:

      ...Positiv äußerte sich hingegen der russische Präsident Wladimir Putin. Er gratulierte nach Angabe der Nachrichtenagentur Interfax dem vermeintlichen Gewinner Janukowitsch. Putin habe den pro-russischen Kandidaten angerufen, hieß es. Er habe gesagt: "Die Schlacht war hart aber ehrlich. Der Sieg ist überzeugend."
      Quelle: Spiegelonline.de

      Derweil siehts nicht gut aus für seinen Vasallen:

      In der Ukraine demonstrieren Hunderttausende gegen das Regime von Präsident Kutschma und dessen Nachfolgekandidaten Janukowitsch. Truppen ziehen sich um und in der Hauptstadt zusammen.

      mehr unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,329305,00.html
      Avatar
      schrieb am 23.11.04 16:13:28
      Beitrag Nr. 11 ()
      #10 von Steinpilz
      Denke an Ostberlin 1953
      Ungarn 1956,
      Mauerbau 1961,
      CSSR 1968

      Der Westen hat immer gekniffen.
      Avatar
      schrieb am 23.11.04 16:25:19
      Beitrag Nr. 12 ()
      Der kalte Krieg ist vorbei!
      Avatar
      schrieb am 23.11.04 21:12:59
      Beitrag Nr. 13 ()
      #12 von Steinpilz
      Der kalte Krieg ist vorbei!

      Aber einige liegen schon wieder in den Schützengräben des kalten Krieges:

      junge Welt vom 24.11.2004


      Titel
      Bushs Männer in Kiew

      Drohungen des Westens gegen ukrainische Regierung. Auseinandersetzung um die zukünftige Präsidentschaft spitzt sich zu. Szenario nach georgischem Vorbild

      Gerd Schumann

      Der Westen zieht alle Register, um den Kandidaten seines Vertrauens in der Ukraine als Präsidenten durchzusetzen. Am Dienstag gingen USA und EU zu offenen Drohungen über. Dabei preschte Joseph Fischer als EU-Sprecher vor, als er am Rande der Irak-Konferenz im ägyptischen Scharm el Scheich von der Ukraine eine Überprüfung der Wählerlisten sowie eine Neuauszählung der Stimmen forderte. Der deutsche Außenminister meinte, sich mit dem Hinweis auf »begründete Zweifel an den amtlichen Ergebnissen« in die inneren Angelegenheiten des EU-Nachbarn aggressiv einmischen zu müssen. Die Union schloß sich dem an. Dem Vernehmen nach bestellten alle 25 Mitgliedsländer den jeweiligen ukrainischen Botschafter am Dienstag ein.

      Die USA präsentierten sich derweil offen vor Ort. Der Senator von Virginia und Vorsitzende des außenpolitischen Senatsausschusses, Richard G. Lugar, war persönlich von George W. Bush mit der Entsendung nach Kiew »geehrt« worden – so der als Stimme seines Herrn und Verfechter einer aggressiven Außenpolitik berüchtigte Präsidentenvertreter. Er sprach dann auch von einem »konzertierten und energischen Programm des Betrugs und Mißbrauchs am Wahltag«. Die Manipulationen seien entweder von oben befohlen oder in Zusammenarbeit mit den Regierungsbehörden begangen worden, erklärte der Redneck, der als strenger Verfechter einer NATO-Expansion über Polen, Tschechien und Ungarn hinaus ebenso bekannt geworden ist, wie als Einpeitscher im Jugoslawien-Krieg 1999. Lugar am 1.4.1999: »Die Entsendung von NATO-Bodentruppen muß sofort geplant werden.«

      Indes kürte sich der nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis von 49,42 zu 46,69 Prozent dem derzeitigen Premier Viktor Janukowitsch unterlegende Präsidentenkandidat Viktor Juschtschenko selbst zum Wahlsieger. Er verlangte von den Regierungen der Welt, ihn als solchen anzuerkennen und appellierte an seine Freunde vornehmlich in den westlichen Hochburgen des Kapitals, »den Willen des ukrainischen Volkes und sein Streben nach einer Rückkehr zur Demokratie zu unterstützen«. Bejubelt von nach Agenturmeldungen über hunderttausend Anhängern in Kiew, die in einer wahren Busarmada aus allen Teilen des Landes in die Hauptstadt gekommen waren, hatte Juschtschenko zunächst auf dem Platz der Unabhängigkeit, dann vor dem Parlament von den zeitgleich im Gebäude tagenden Abgeordneten gefordert, das Wahlergebnis für »ungültig« zu erklären. Allerdings war die von Juschtschenkos Oppositionsblock »Unsere Ukraine« einberufene Sondersitzung lediglich von 191 der insgesamt 450 Mandatsträger besucht worden, so daß eine Beschlußfassung ausfiel.

      Nicht von ungefähr erinnerte das Szenario an die »Rosenrevolution« in Tbilissi vor genau einem Jahr, als der Präsident Eduard Schewardnadse fluchtartig Parlament und Titel aufgeben mußte. In Kiew wurden nun georgische Fahnen geschwenkt und Juschtschenko trug als erklärter Freund von Schewardnadse-Beerber Michail Saakaschwili eine Rose in der Hand. Jim Heintz, Korrespondent der Agentur AP, konstatierte, daß sich in beiden Fällen die westlich orientierte Opposition »von Aktivisten aus Serbien« habe »beraten lassen«, von jenen, »die den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic stürzten«.

      Derweil entsprach der polnische Katholik und ehemalige Präsident Lech Walesa der Bitte Juschtschenkos, »für einen endgültigen Sieg der Demokratie« nach Kiew zu reisen. Die USA warnten vor einer »Eskalation der Gewalt«. US-Bürger sollten sich von Demonstrationen fernhalten. Richard G. Lugar war nicht gemeint.


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      Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/11-24/001.php

      junge Welt vom 24.11.2004

      Kommentar
      G8 minus 1
      Westen will in Kiew gewinnen
      Werner Pirker

      Joseph Fischer hat – wie alle anderen Außenminister der EU-Staaten – den ukrainischen Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt. Er fordert eine Neuauszählung der Stimmen und eine Überprüfung der Wahllisten. Unter grober Mißachtung des Nichteinmischungsgebotes hat die Achse Washington–Brüssel von Beginn an Partei für jene Partei ergriffen, die Partei für den Westen ergreift. Sie hat die ukrainischen Präsidentschaftswahlen zur Schicksalswahl zwischen dem Westen und Rußland erklärt. Und sie will diese Wahl unter keinen Umständen verlieren.

      Schon vor der Stimmenauszählung stand fest: Gewinnt der Günstling des Hegemonialkartells, dann hat die Demokratie über den Autoritarismus obsiegt. Verliert er, ist von einer groben Verfälschung des Wählerwillens auszugehen. Wahlen mit offenem Ausgang in Staaten, die noch nicht voll dem neoliberalen Globalisierungsdiktat unterworfen sind und deshalb als »demokratiepolitische Problemländern« gelten, sind von der Weltdemokratie-Zentrale offenbar nicht mehr vorgesehen. Nach deren Logik hat das Wahlergebnis gefälligst von der prowestlichen Partei und in deren Dienst gestellten Meinungsforschungsinstituten, nicht aber von der staatlichen Wahlkommission ermittelt zu werden. Selbst wenn es bei der Stimmauszählung tatsächlich zu Manipulationen gekommen sein sollte, wäre das nicht so gravierend wie Wahlen, deren Ausgang von der Definitionsmacht einer der wahlwerbenden Parteien bestimmt wird. Denn das bedeutet nicht nur den Zerfall der bürgerlichen Demokratie, sondern auch der Staatlichkeit. Ist die unabhängige Staatlichkeit zerstört, bestimmt das imperialistische »State buildung«-Programm die Agenda.

      Naturgemäß kommen die gröbsten Ausfälle gegen die ukrainische Staatsführung aus Washington. Sollte der Ausgang der Wahlen nicht korrigiert werden, ließ das Weiße Haus wissen, drohe Kiew »eine Veränderung der Beziehungen zu den USA«. Diese dürften sich in drei Worten zusammenfassen lassen: Sanktionen, Sanktionen, Sanktionen.

      Paradoxer Weise galt die Ukraine nach westlicher Lesart als einziges einigermaßen demokratisches Land unter den Nachfolgestaaten der UdSSR. Und dennoch setzte der Westen alles auf einen »demokratischen« Machtwechsel in Kiew. Es dürfte deshalb keineswegs um die Demokratie gehen, sondern um die außenpolitische Orientierung des Landes. Die »Prorussen« sind von der Macht zu entfernen, um den »Cordon Sanitaire« gegen Rußland weiter auszubauen. Als letzte Lücke bliebe dann nur noch die Republik Belarus.

      In der Hauptsache, der Festigung der hierarchischen Weltordnung nach der Formel G8 minus 1, sind sich Brüssel und Washington durchaus einig.

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      Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/11-24/002.php
      Avatar
      schrieb am 25.11.04 07:46:21
      Beitrag Nr. 14 ()
      Schröder: "Putin ist lupenreiner Demokrat"


      Berlin - Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat Rußlands Präsident Wladimir Putin vor Vorwürfen in Schutz genommen, demokratische Grundsätze zu mißachten. Schröder antwortete in der ARD-Sendung "Beckmann" laut vorab veröffentlichten Interview-Auszügen auf die Frage, ob Putin ein lupenreiner Demokrat sei: "Ja, ich bin überzeugt, daß er das ist."

      Er sei sicher, daß Putin Rußland "zu einer ordentlichen Demokratie machen will und machen wird", meinte Schröder. Das Land habe 75 Jahre kommunistischer Herrschaft hinter sich sowie zehn Jahre, in denen alle Staatlichkeit zerfallen sei. "Putin schafft es jetzt, den Staat wieder in seine Funktion zu setzen." Es sei klar, "daß dabei nicht alles idealtypisch laufe".

      Der Kanzler sagte zudem, zwischen ihm und Putin bestehe ein Grundvertrauen. Dies beinhalte, "daß man einander die Wahrheit sagt". Putin, seit fünf Jahren im Amt, hat sich die Kontrolle über alle wichtigen staatlichen Institutionen gesichert und die Neubildung politischer Parteien erschwert. Unabhängige Abgeordnete wurden aus dem Parlament ausgeschlossen.

      Kritiker auch aus westlichen Staaten sowie die Europäische Union haben sich besorgt über den Zustand der Demokratie in Rußland geäußert. rtr/HA

      erschienen am 23. November 2004 in Politik
      http://www.abendblatt.de/daten/2004/11/23/367535.html

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      Berliner Zeitung
      Donnerstag, 25. November 2004



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      Selbst Angehörige werden eingeschüchtert
      FDP-Politikerin prangert Willkür im Yukos-Prozess an
      Frank Herold
      BERLIN, 24. November. Dem schwer erkrankten Angeklagten Platon Lebedjew wird seit über einem Jahr medizinische Behandlung von unabhängigen Ärzten versagt. Die Räume der Anwälte des Angeklagten Michail Chodorkowski sind mehrfach durchsucht worden, Akten wurden willkürlich beschlagnahmt und Verfahren zum Entzug der Anwaltszulassung eingeleitet. Vor der Schule der Kinder Chodorkowskis ziehen immer wieder schwer bewaffnete Spezialeinheiten auf, um die Familie des Angeklagten einzuschüchtern. Minutenlang listet Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Mittwoch in Berlin die schweren Verfahrensmängel in dem so genannten Yukos-Prozess auf, der gegenwärtig in Moskau läuft.

      Die frühere deutsche Justizministerin war vom Europarat beauftragt worden, das Verfahren gegen einige der einst reichsten Bürger Russlands zu beobachten. Ihr Fazit: Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die Europäische Menschenrechtskonvention werden massiv verletzt. "Gegen keinen anderen russischen Konzern wurde oder wird in vergleichbarer Weise vorgegangen", heißt es in ihrem Bericht an den Europarat. "Das Vorgehen gegen Yukos, Chodorkowski und andere ist ein Fall selektiven willkürlichen Vorgehens und verletzt das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz."

      Letztlich, so ist die Politikerin nach zahlreichen Gesprächen in Moskau überzeugt, gehe es nicht um die Steuernachforderungen, sondern darum erklärte politische Gegner zu schwächen und andere reiche Bürger einzuschüchtern. Außerdem wolle die Regierung "die Kontrolle über strategisch wichtiges Wirtschaftsvermögen zurückzugewinnen". Dass es sich bei dem Prozess um ein konzertiertes Vorgehen verschiedenster staatlicher Behörden handelt, unterliegt für Leutheusser-Schnarrenberger keinem Zweifel. Von der Unabhängigkeit der Gerichte könne jedenfalls keine Rede sein.

      Nicht zu vereinbaren mit allgemein gültigen Rechtsnormen sei beispielsweise, dass Steuergesetze auf Jahre rückwirkend angewandt würden. Das sei jedoch eine der wichtigsten Grundlagen für den gesamten Yukos-Prozess. Das Gericht habe die anderswo in Europa üblichen Möglichkeiten der Verteidigung rigoros eingeschränkt. Unüblich, so die Politikerin, sei es darüber hinaus, dass Angeklagte wegen Wirtschaftsdelikten in Haft gehalten würden.

      Der Bericht ist bereits vom Rechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarates behandelt und gebilligt worden. Einzig die russischen Vertreter stimmten nicht zu. Im Januar soll er in der Parlamentarischen Versammlung behandelt werden.

      Die europäische Politik müsse Konsequenzen aus ihrem Bericht ziehen, forderte Leutheusser-Schnarrenberger. "Es reicht nicht, das Thema Menschenrechte auf die Agenda des EU-Russland-Gipfels zu setzen." Der Yukos-Prozess sei ein "aufrüttelndes Signal einer bedenklichen Entwicklung: der Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland".

      Sie habe Bundeskanzler Schröder ein Exemplar ihres Berichtes zugestellt, sagte die Politikerin. Sie forderte den Kanzler auf, bei seinem Treffen mit Putin an diesem Donnerstag "deutlich Verbesserungen einzufordern". Optimistisch ist sie jedoch nicht. "Ich befürchte vielmehr, dass man in diesem laufenden Verfahren nicht mehr viel machen kann."

      http://www.BerlinOnline.de/berliner-zeitung/politik/397997.h…
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      Aus der FTD vom 25.11.2004
      Yukos-Führung flieht aus Russland
      Von Arkady Ostrovsky, Moskau, und Michael Gassmann, Düsseldorf

      Die gesamte Führung des russischen Ölkonzerns Yukos ist aus Angst vor Verfolgung durch die Moskauer Justiz aus dem Land geflohen. Die russischen Behörden hatten ihr Vorgehen gegen Yukos jüngst verschärft.


      "Im Moment ist nicht ein einziges Mitglied des Vorstands in Russland", sagte eine mit der Situation vertraute Person der FT. Der Konzern, den die Regierung in Moskau zerschlagen will, werde faktisch aus dem Ausland gesteuert. Yukos-Finanzchef Bruce Misamore, ein Amerikaner, hält sich in London auf. Er sagte der FT, er werde nicht nach Russland zurückkehren, solange er sich nicht sicher sei, dass "meine Freiheit und meine Sicherheit nicht in Gefahr sind".

      Die russischen Behörden hatten ihr Vorgehen gegen Yukos jüngst verschärft. So soll die Ölfördertochter Yuganskneftegas, der Kern des Konzerns, zwangsversteigert werden - angeblich um Steuerschulden von 20 Mrd. $ einzutreiben. Außerdem wurden Büros und Privathäuser von Mitarbeitern durchsucht sowie ein Manager verhaftet; gegen zwei weitere wurde Haftbefehl erlassen. Der frühere Yukos-Chef Michail Chodorkowskij sitzt bereits seit über einem Jahr in Haft; ihm wird ein Prozess wegen Betrugs und Steuerhinterziehung gemacht.


      Misamore sagte, auch Büros des jetzigen Konzernchefs Steven Theedy seien durchsucht worden. Theedy soll ebenfalls in London sein.



      Eon prüft Russland-Engagement


      Der deutsche Energiekonzern Eon zeigte Interesse an den Gasaktivitäten von Yukos. "Falls sie auf den Markt kämen, könnten wir sie uns anschauen", sagte Eon-Chef Wulf Bernotat der FTD. Allerdings gehe man an das Thema mit großer Vorsicht heran: "Alles, was mit Yukos zusammenhängt, ist erheblichen rechtlichen Risiken unterworfen. Wir müssten daher sehr genau prüfen, ob wir uns damit beschäftigen wollen."


      Scharfe Kritik am Vorgehen des russischen Saates gegen Yukos übte der Europarat. Ziel seien offenbar die "Schwächung eines potenziellen Konkurrenten" und die "Kontrolle über wichtige Rohstoffquellen".


      URL des Artikels: http://www.ftd.de/ub/in/1100940005485.html
      Avatar
      schrieb am 25.11.04 20:03:52
      Beitrag Nr. 15 ()
      Russland-Experte Rahr: "Einseitige Unterstützung verhindert Lösung"
      Deutscher Regierungsberater kritisiert Ukraine-Politik der EU-Staaten und der USA

      Der Russland-Experte Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kritisiert im STANDARD-Gespräch die Parteinahme der EU-Staaten und der Vereinigten Staaten für den ukrainischen Oppositionsführer Viktor Juschtschenko. "Die einseitige Unterstützung ist vorschnell, nicht überdacht und verhindert Lösungen. Denn das andere Lager muss in einen Kompromiss eingebunden werden. Die halbe Ukraine hat einen anderen Kandidaten gewählt."

      Nach der Unterstützungserklärung von US-Außenminister Colin Powell seien die Chancen für eine Vermittlung endgültig vertan worden, meint der für Russland und die GUS-Staaten zuständige Programmdirektor. "Jetzt steht Juschtschenko als moralischer Sieger da aufgrund der vehementen Unterstützung des Westens." Dies sei strategisch nicht klug gewesen. "Janukowitsch wird einen Teufel tun, seine Macht ganz abzugeben, weil er weiß, dass viele Ukrainer für ihn gestimmt haben, auch wenn viele Stimmen gefälscht waren. Ob das dem Westen gefällt oder nicht."

      Der deutsche Regierungsberater befürchtet eine Eskalation der Lage in der Ukraine. Er sieht nur einen Ausweg: Verhandlungen über die Machtverteilung. "Das Präsidentenamt auf eine eher repräsentative Funktion herunterstutzen und die Aufgaben der Verteidigung, der Wirtschafts-und Reformpolitik in die Hände Juschtschenkos legen. Damit könnten Janukowitsch und Juschtschenko leben. Dafür müssen sich aber auch der Westen und Russland von den sturen Positionen lösen."

      Rahr kritisiert auch die bisherige Ukraine-Politik der EU. "Man hat dem Land nicht einmal eine langfristige Beitrittsperspektive geboten, die Ukraine nach Asien weggedrückt und damit in die Arme Russlands. Jetzt, wo Teile der Bevölkerung gegen das Oligarchenregime aufbegehren, erinnert sich plötzlich der Westen an die Ukraine."

      Rahr befürchtet eine Konfrontation zwischen Russland und der EU. "Wir steuern mehr und mehr in einen kalten Frieden. Man hat eigentlich Frieden miteinander geschlossen und es gibt keine größeren Konfliktpotenziale. Aber die kleineren Konflikte können sich zu einem größeren entwickeln." (DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2004)

      http://derstandard.at/?url=/?id=1871031
      Avatar
      schrieb am 26.11.04 14:52:41
      Beitrag Nr. 16 ()
      Presseschau
      Freitag, 26. November 2004 12:50 Uhr

      Die ukrainische Zeitung FAKTY I KOMMENTARII schreibt zur Lage im eigenen Land: "Es gibt mehrere Varianten, einen Ausweg aus der derzeitigen Situation zu finden. Möglicherweise wird jedoch keine die Zustimmung im Regierungslager oder in der Opposition finden: Variante eins - Verhandlungen ohne jegliche Vorbedingungen. Variante zwei - Oppositionsführer Juschtschenko erkennt den Wahlsieg von Regierungschef Janukowitschs an und wird im Gegenzug zum Premierminister ernannt, wodurch politische Reformen möglich werden. Variante drei - Wiederholung des zweiten Wahlgangs oder gleich der gesamten Wahl. Variante vier Schaffung einer unabhängigen Kommission, die die Wählerstimmen in einigen Bezirken neu auszählt. Bislang gibt es für keine dieser Varianten eine rechtliche Grundlage. Es ist nun die Aufgabe des Parlaments, diese Grundlage zu schaffen", findet FAKTY I KOMMENTARII aus Kiew.


      Nach Ansicht der norwegischen Zeitung DAGSAVISEN gibt es keine Alternative zu Neuwahlen: "Die Dokumentation über Wahlbetrug ist so umfassend und eindeutig, dass eine Wiederholung der Abstimmung notwendig ist. Bei der wichtigen Rolle, die die internationale Zusammenarbeit heute spielt, kann sich die Ukraine keine vier Jahre mit einem Regime leisten, das kein Vertrauen im Ausland und keine Legitimität im Inland genießt. Zum ersten Mal seit 15 Jahren stehen Europa und die USA in einer Machtfrage vereint gegen Russland. Wird hier nicht mit dem notwendigen diplomatischen Fingerspitzengefühl agiert, droht im schlimmsten Fall ein neuer Kalter Krieg. Es liegt in niemandes Interesse, wenn die Demonstrationen in der Ukraine gewaltsam niedergeschlagen werden und Russland dies unterstützt. Darum wären Neuwahlen das Beste", urteilt DAGSAVISEN aus Oslo.


      Die Moskauer Zeitung ISWESTIJA kritisiert Oppositionsführer Juschtschenko: "Eigentlich will Juschtschenko gar nicht Präsident werden; und er unternimmt alles, um es nicht zu werden. Sein eigenmächtiger Eid war völlig illegal und verfassungswidrig. Damit hat er einen Teil des Wohlwollens verloren; vielleicht noch nicht bei seinen Anhängern. Kritischer werden hingegen Juschtschenkos Unterstützer in der EU reagieren. Natürlich ist die Wahl nicht ideal verlaufen, aber schlimmer ist die Missachtung der Verfassung. Juschtschenko schadet damit sich selbst und anderen", unterstreicht die russische ISWESTIJA.


      Die römische Zeitung LA REPUBBLICA fragt: "Kann die samtene Revolution nochmal in Europa triumphieren? Während die ukrainischen Demonstranten in den eisigen Straßen von Kiew Nelken in die Löcher der Schutzschilder der Polizei stecken, schicken sie uns zwei verzweifelte aber noble Botschaften: `Wir wollen Teil Europas sein` und `Wir wollen dies auf europäische Weise tun`. Friedlich also. Wenn die Europäische Union diese Demonstranten nicht umgehend unterstützt, verrät es seine hehren Ideale", mahnt das italienische Blatt LA REPUBBLICA.


      Mit dem gestrigen Treffen zwischen Putin und der neuen EU-Kommission befassen sich LES ECHOS aus Paris: "Sicherlich, das `Njet` der EU wurde bei dem Gipfeltreffen in Den Haag in zurückhaltender Form zum Ausdruck gebracht. Aber zu oft wurde der EU vorgehalten, zu schüchtern zu sein, wenn es um ihre Beziehungen zu Russland geht. Deshalb ist das `Njet` an sich nur zu begrüßen. Die 25 EU-Staaten haben ihre Rolle erfüllt, indem sie sich Wladimir Putin gegenüber in der Frage der ukrainischen Krise unbeugsam zeigten. Sie haben an die grundlegenden Spielregeln der Demokratie erinnert - gegenüber einem russischen Präsidenten, der bereit ist, diese bei sich zu Hause und in seiner Einflusszone mit den Füßen zu treten."
      Sie hörten ein Zitat aus der französischen Zeitung LES ECHOS.


      Die EU könnte eine wichtige Vermittlerrolle übernehmen, heißt es in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Bei den anzustrebenden Verhandlungen mit den beiden Lagern in der Ukraine kann es realistischerweise nicht um eine Entscheidung darüber gehen, welche Seite nun die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Es geht zunächst um eine Verständigung, wie die Wahlresultate glaubwürdig überprüft werden können und in welchem Ausmaß der Wahlgang wiederholt werden muss. Bei der Lösung all dieser Fragen hätte die EU Gelegenheit, ihre oft beschworene außenpolitische Handlungsfähigkeit konstruktiv unter Beweis zu stellen", ist die NEUE ZÜRCHER ZÜRCHER überzeugt.


      Die Europäische Union stehe vor ihrer bisher größten geopolitischen Bewährungsprobe, notiert DER STANDARD aus Wien. "Die EU muss jeden auch nur rhetorischen Rückfall in den Kalten Krieg vermeiden, aber auf den unverhandelbaren Werten bestehen, die eine dauerhafte europäische Friedensordnung begründen. Diese Rolle als `sanfte Großmacht` muss der EU umso leichter fallen, als sie ohnedies nicht über glaubwürdige Sanktionsmöglichkeiten gegen Russland verfügt. Im Gegenteil: Russland könnte seinerseits die europäische Wirtschaft empfindlich stören, wenn es den Erdgashahn abdrehte. Dass die russische Volkswirtschaft ohne die Erlöse aus dem Gasexport ein riesiges Problem bekäme, unterstreicht die wechselseitige Abhängigkeit", ist im österreichischen STANDARD zu lesen.


      Die kolumbianische Zeitung EL TIEMPO resümiert: "Der russische Bär hat noch nicht seine Stärke verloren, wenn es darum geht, seine Nachbarländer zu kontrollieren. Das ist eine der Lektionen, die wir aus der Zeit nach der Auflösung der Sowjetunion gelernt haben, und sie bewahrheitet sich jetzt wieder in der Ukraine. Mit rund 50 Millionen Einwohnern ist sie nach Russland die bevölkerungsreichste ehemalige Sowjetrepublik, und Präsident Kutschma hat die Ukraine in den letzten zehn Jahren als treuer Verbündeter Moskaus regiert. Die Spannungen in dem Land und die Zerbrechlichkeit seiner Demokratie lassen jetzt aber auch außerhalb seiner Grenzen im Westen die Alarmglocken schrillen. Auf dem Spiel steht nicht nur eine drohende Destabilisierung der Ukraine, sondern auch die Beziehungen Russlands zum Westen", mahnt EL TIEMPO aus Bogota.


      Die Beziehungen Europas und der USA mit Russland befänden sich auf den Prüfstand, glaubt die britische FINANCIAL TIMES: "Es ist der Punkt erreicht, an dem jede Seite ihre Seele offenbaren muss. Schriftliche Einwände und öffentliche Proteste gegen die Unterdrückung der Demokratie in der Ukraine haben keine Wirkung gehabt. Auch scheinen Washington, Rom, Berlin und Paris nicht bereit zu sein, die Beziehungen mit Russland zu überdenken. Der russische Präsident ist ein Meister darin, seine Verbündeten zu spalten. Jetzt zeigt sich, dass die Stellung der Europäer dadurch geschwächt worden ist", meint die FINANCIAL TIMES aus London.


      Die estnische Zeitung EESTI PÄEVALEHT erwartet: "Weil Putin sich so massiv in die Wahlen eingemischt hat, ist dem Kreml nun auch ein Gesichtsverlust so gut wie sicher. Warum hat Putin so viel aufs Spiel gesetzt? Wohl weil er glaubte, dass die Zukunft Russlands davon abhängt, ob es die Ukraine kontrolliert oder nicht. Nun verliert Putin für das Ukraine-Abenteuer seine Autorität im In- und Ausland. Auch wenn er wahrscheinlich schon neue Schritte plant, so ist er doch geschwächt, ob das nun einen Glücksfall bedeutet oder nicht", heißt es in EESTI PÄEVALEHT aus Tallinn.


      Putin sei in der Zwickmühle, meint die kroatische Zeitung VJESNIK: "Unabhängig davon, wie der Streit um die Präsidentschaftswahl in der Ukraine beigelegt wird, kann man vermuten, dass keine Lösung Putin gefallen wird. Sollten die Demonstranten und ihr Oppositionskandidat Juschtschenko siegen, wird die Ukraine in Richtung Westen und EU abdriften. Hält sich Regierungschef Janukovic trotz der Betrugsvorwürfe, wird Putin große Probleme haben, seine europäischen und amerikanischen Freunde zu beruhigen", prophezeit VJESNIK aus Zagreb.


      Die Warschauer Zeitung RZECZPOSPOLITA spricht von einem neuen Kapitel in der Geschichte der polnisch-ukrainischen Beziehungen: "Polen beginnt in der Ukraine, eine bedeutende Vermittlerrolle zu spielen. Ungeachtet der bewegten Geschichte haben die beiden Staaten heute gemeinsame Interessen. Unter anderem ist ihnen an einer Einschränkung des russischen Imperialismus gelegen, von der die Souveränität der Ukraine direkt abhängt. Die Solidarität der Polen mit den Demokratisierungsbemühungen der Ukrainer ist das beste Fundament für gute nachbarschaftliche Beziehungen."
      Mit diesem Kommentar aus dem polnischen Blatt RZECZPOSPOLITA endet die internationale Presseschau.

      : http://www.dradio.de/presseschau/200411261200/
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      schrieb am 26.11.04 22:30:44
      Beitrag Nr. 17 ()
      "Schröders Kopf ist etwas zugestoßen"

      | 26.11.04 |
      Russlands Opposition ist empört über den Bundeskanzler. Der Vorwurf: Mit seiner Russland-Politik belüge Gerhard Schröder die Deutschen. Von Boris Reitschuster, Kiew

      Auslöser der Proteste: Schröder hat Präsident Putin kürzlich in einer TV-Talkshow bestätigt, ein „lupenreiner Demokrat“ zu sein. „Entweder, das ist ein schlechter Scherz, oder Schröders Kopf ist etwas zugestoßen", ärgert sich der frühere Vize-Premier und Chef der „Union rechter Kräfte", Boris Nemzow.

      „Was der Bundeskanzler tut, ist nicht nur falsch, sondern gefährlich, für Russland und für Deutschland", sagt Sergej Kowaljow, Russlands bekanntester Menschenrechtler: „Man kann sich nur schwer ausmalen, was für ein Schlag solche Äußerungen für die ohnehin geschwächte, an die Wand gedrückte russische Opposition bedeuten.“

      Schröder opfert Grundwerte

      Kowaljow wirft Schröder vor, die Öffentlichkeit in Deutschland zu belügen und die Menschen in Russland zu verraten. Der Kanzler sei prinzipienlos, so der frühere Mitstreiter von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow: „Er opfert Grundwerte wie die Menschenrechte und Demokratie“ vermeintlichen Geschäftsinteressen.

      Schröders Behauptung, Putin wolle nur die Staatlichkeit in Russland wiederherstellen, ist nach Ansicht Kowaljows auf tragische Weise richtig: „Putin stellt die Sowjetunion wieder her, nur etwas modernisiert. Eine Großmacht, wo der Mensch nichts, und der Staat alles bedeutet.“ Diese Entwicklung sei für Europa sehr gefährlich, wie Putins Ankündigung zeige, neue Superwaffen zu entwickeln.

      „Verachtung gegenüber den Russen“

      Schröders Argument, nur leise Kritik bringe Erfolg, sei falsch, sagt Kowaljow. Wie schon Sacharow zu Sowjetzeiten sagte, wirke im Kreml nur Druck. „Russland kann heute nicht mehr zurück zur Isolation, wenn der Westen nicht schweigen würde, müsste Putin reagieren.“

      Schröders Haltung zeuge von Verachtung gegenüber den Menschen in Russland, glaubt Andrej Piontkowskij, Leiter des Zentrums für strategische Forschung in Moskau: „Viele im Westen glauben, wir seien unfähig zur Demokratie. Aber nur wenige trauen sich das offen zu sagen wie Schröder.“ Der Bundeskanzler sei die „fünfte Kolonne“ Putins, so der bekannte Politologe: „Früher musste Putin beim KGB Ausländer anwerben; mit Schröder hat er sein Meisterstück geleistet.“

      „Fast tragikomisch“

      Putin nutze die Unterstützung Schröder auch in der Innenpolitik und weise Kritik mit dem Hinweis zurück, der Bundeskanzler stehe hinter ihm. Angesichts der Unruhen in Kiew nutzte das russische Staatsfernsehen entstellte Zitate Schröders, um den Eindruck zu erwecken, der Bundeskanzler sei gegen die demokratischen Demonstrationen. „Das ist die Folge, wenn Schröder klare Worte meidet", kritisierte Piontkowskij.

      Alexej Jawlinskij, Chef der liberalen Jabloko-Partei, bezeichnete die Aussagen Schröders als „fast tragikomisch“. Der Kanzler stünde in der Tradition seines Vorgängers und seiner westlichen Kollegen, die bereits Boris Jelzins „kriminell-oligarchisches System des wilden Kapitalismus“ und die Wahlfälschungen 1996 als Demokratie durchgehen ließen – und damit die westlichen Werte in Russland diskreditieren.

      Putin als „lupenreiner Demokrat“

      Anders als Jelzin habe Putin faktisch alle bürgerlichen Freiheiten beseitigt, sagte Jawlinskij: Weder die Massenmedien noch das Parlament und das Gerichtssystem seien unabhängig, die Wahlen unfair. „Und das Resultat: Jelzin nannte man einen Demokraten, Putin einen lupenreinen Demokraten", empört sich Jawlinskij.

      http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=8…


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      Russland, Putin und die Demokratie