Brexit-Durchbruch voller Ungereimtheiten
Die EU-Kommission hat den Durchbruch bei den Brexit-Gesprächen verkündet. EU-Kommissionspräsident Juncker und die britische Premierministerin May empfehlen, nun in die zweite Phase der
Verhandlungen einzusteigen.
Wichtige Streitpunkte seien ausgeräumt, erklärten May und Juncker in Brüssel. Doch aus Sicht des cep ist vieles weiterhin unklar. Das belegen die sehr vagen und zum Teil widersprüchlichen
Formulierungen des von beiden Seiten vereinbarten „Gemeinsamen Berichts“:
Die zukünftige Rolle des EuGHs ist unklar. Laut des Gemeinsamen Berichts soll die Vereinbarung über die Rechte der EU- und UK-Bürger in Übereinstimmung mit derjenigen Rechtsprechung des EuGHs
interpretiert werden, die bis zum Tag des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs ergangen ist. An anderer Stelle heißt es, dass die britischen Gerichte die Rechtsprechung des EuGHs angemessen
berücksichtigen müssen („shall have due regard“), ohne dass diese Pflicht zeitlich eingegrenzt wird. Man könnte die letztgenannte Bestimmung als bloßen Verweis auf die erstgenannte Bestimmung
verstehen. Man könnte die beiden Bestimmungen allerdings auch so interpretieren, dass die Rechtsprechung des EuGHs, die vor dem Austrittsdatum ergangen ist, zwingend zu beachten ist, während die
spätere Rechtsprechung nur „gebührend zu berücksichtigen“ ist – eine Art gestufte Verbindlichkeit. Eine ähnliche Formulierung verpflichtet auch den EFTA-Gerichtshof, der für Norwegen und die
anderen EWR-Staaten zuständig ist, die Rechtsprechung des EuGHs zu berücksichtigen. In jedem Fall lassen die beiden Bestimmungen unterschiedliche Lesarten zu. Allein die Möglichkeit britischer
Gerichte dem EuGH Fragen vorzulegen, wird eindeutig auf acht Jahre begrenzt.
Auch die Nordirlandfrage bleibt offen. Zwar soll eine „harte Grenze“ zwischen Nordirland und der Republik Irland grundsätzlich verhindert werden. Der Gemeinsame Bericht zieht allerdings auch die
Möglichkeit in Betracht, dass sich eine solche harte Grenze nicht verhindern lässt. In diesem Fall soll das Vereinigte Königreich notfalls die Regeln des Binnenmarkts und der Zollunion anwenden,
allerdings nur soweit diese die Kooperation zwischen Nordirland und der Republik Irland unterstützen. Was dies bedeutet, ist vollkommen offen. Gleichzeit sollen aber auch keine regulatorischen
Hindernisse zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs entstehen. Das würde bedeuten, dass die zwischen Nordirland und der Republik Irland angewendeten Regeln des Binnenmarkts und
der Zollunion grundsätzlich auch zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs gelten müssten. Insoweit sollen allerdings abweichende Vereinbarungen zwischen Nordirland und dem Rest
des Vereinigten Königreichs möglich sein. Die Lösung des Nordirlandproblems ist also noch nicht gelungen, sondern lediglich in die Zukunft verschoben.
Alles in allem ist der Gemeinsame Bericht nicht die Quadratur des Kreises, sondern eine fromme Absichtserklärung voller Ungereimtheiten. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass beide Seiten vor
allem Zuversicht verbreiten und die zweite Phase der Verhandlungen eröffnen wollen.
Allein ein Punkt des Gemeinsamen Berichts scheint zum jetzigen Zeitpunkt wirklich sicher zu sein: Dass nichts vereinbart ist, bis alles vereinbart ist.
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Diese Nachricht stammt vom Centrum für Europäische Politik. (cep)