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    Börsenpsychologie  5602  0 Kommentare
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    Der Dispositionseffekt

     

    eine Erläuterung von Kerstin Franzisi, Chefredaktion Der Privatinvestor

     

    In den letzten Jahren ist mit der Behavioral Finance ein blühendes Forschungsgebiet entstanden, das zu ergründen versucht, wie sich Privatanleger wirklich verhalten.

    Psychologen und Finanzwissenschaftler haben durch Studien bereits einige psychologische Effekte beobachten können, die zeigen, dass Investoren ihren Nutzen oft nicht anhand einer objektiven Nutzenfunktion einschätzen, sondern irrational handeln.

    Einer dieser Effekte wird Dispositionseffekt genannt. Lassen Sie uns zur Veranschaulichung ein kleines Gedankenexperiment durchführen:

     

    Stellen Sie sich vor, ich biete Ihnen zwei Glücksspiele an

    Spiel 1: Sie erhalten 30.000 Euro. Das Geld gehört Ihnen. Dann werden Sie aufgefordert, zwischen den beiden folgenden Möglichkeiten zu wählen:

    (A) Sie erhalten zusätzlich garantierte 10.000 Euro.

    (B) Sie werfen eine Münze: Wenn sie Kopf zeigt, erhalten Sie zusätzlich 20.000 Euro. Wenn sie auf Zahl zeigt, bekommen Sie nichts.

    Spiel 2: Sie erhalten 50.000 Euro. Dann werden Sie aufgefordert, zwischen den beiden folgenden Möglichkeiten zu wählen:

    (C) Ein garantierter Verlust von 10.000 Euro.

    (D) Sie werfen eine Münze: Wenn sie Kopf zeigt, verlieren Sie 20.000 Euro. Wenn sie Zahl zeigt, verlieren Sie nichts.

    Welche Möglichkeit würden Sie in Spiel 1 wählen? A oder B?

    Und welche Möglichkeit würden Sie in Spiel 2 wählen? C oder D?

     

     

    Wenn Sie (A) im ersten Spiel und (D) im zweiten Spiel gewählt haben, befinden Sie sich in sehr guter Gesellschaft: Dieses Paar ist die in Experimenten am häufigsten gewählte Kombination.

    Beachten Sie jedoch, dass die Ergebnisse in der Kombination (A) und (C) identisch sind:  In beiden Fällen verlassen Sie das Spiel mit 40.000 Euro.

    Auch (B) und (D) sind identisch: Zusammen erzeugen sie eine 50-prozentige Chance auf entweder 30.000 oder 50.000 Euro.

    Warum aber wechseln so viele Probanden zwischen Spiel 1 und Spiel 2 ihre Wahl? Wenn sie (A) in Spiel 1 gewählt haben, warum bleiben sie dann nicht bei (C) in Spiel 2?

     

    Genau dies ist der Dispositionseffekt

    Die Tendenz, Risiko einzugehen, wenn Verluste drohen, diese aber zu vermeiden, wenn Gewinne in Gefahr geraten. An der Börse führt der Dispositionseffekt dazu, dass wir dazu neigen, Verliereraktien zu lange zu halten und Gewinneraktien zu früh zu verkaufen. Auch hier rechnen Anleger nicht mit „vernünftigen“ Wahrscheinlichkeiten, sondern konstruieren sich ihre Wahrscheinlichkeiten anhand weniger Erfahrungswerte.

     

    Solche Verhaltensmuster lassen sich auch mit der Nutzenfunktion aus der Prospect Theory erklären, die zum einen einen abnehmenden Grenznutzen voraussetzt (Standardannahme der Mikroökonomie), zum anderen Verluste stärker bewertet als Gewinne. 

     

    Der zusätzliche Nutzen (Schaden) nimmt je zusätzlicher Einheit Gewinn (Verlust) ab. Die Nutzenfunktion ist konkav (in der Gewinnzone) oder konvex (im Verlustbereich). Wenn Sie zum Beispiel sehr durstig sind, hat das erste Glas Wasser einen sehr hohen Nutzen, das zweite einen hohen, und danach nimmt der unmittelbare Nutzen sehr schnell ab. Wenn also ein Anleger eine Aktie zu einem bestimmten Kurs gekauft hat und dieser Kurs den Referenzpunkt darstellt, mag er versucht sein, nach 20, 30 oder 40 Prozent Gewinn zu verkaufen, da dann ein Großteil des – subjektiven – Nutzens erreicht ist.

     

    Wenn Sie aber bei einer IPO eine Aktie zum Preis von 60 Euro erhielten und dann innerhalb eines halben Jahres einen Verlust von 50 Prozent hinnehmen müssen, sind Sie vielleicht geneigt, die Aktie zu halten: Jeder Kursanstieg würde Ihnen einen erheblichen (subjektiven) Nutzen bringen, jeder weitere Kursverfall nur noch einen (subjektiv) relativ geringen Schaden.

     

     

    „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben.“

    Dieser Börsenspruch ist einer der gefährlichsten unter vielen Sprüchen, Weisheiten und Halbwahrheiten, die es gibt. Zu früh realisierte Gewinne können viel Rendite kosten. Halten Sie sich lieber an diese, unter uns Value-Investoren sehr beliebte, Weisheit:

    „Take care of the downside and the upside will take care of itself.“

     

    So schlüssig, wie der Satz im Englischen daherkommt, lässt er sich nicht ins Deutsche übersetzen. Eine Möglichkeit wäre: Achten Sie darauf, die Verlustrisiken einzugrenzen, und die Gewinne werden von selbst kommen.

    Wenn Sie wirklich mit einer Aktie keine Verluste machen wollen, müssen Sie die Branche, das Unternehmen und die Bewertung auf das Genaueste kennen und zudem viel Geduld haben, wenn die Börse einmal in die andere Richtung läuft. Halten Sie durch. Sie werden belohnt werden.

     

    Auf gute Investments,

    Ihre

    Kerstin Franzisi,
    Chefredaktion Der Privatinvestor

     

    P.S.: Auf unserem Blog bringen wir mittlerweile täglich neue Analysen und Kommentare, vermitteln Börsenwissen und Anlagestrategien. Es lohnt sich, regelmäßig vorbeizuschauen!



    Professor Max Otte
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    "Ihre Geldanlage ist Chefsache - und zwar Ihre eigene" (Prof. Dr. Max Otte). Nach diesem Grundsatz unterstützt der Fachbuchautor* Prof. Dr. Max Otte seit mehr als zehn Jahren Privatanleger bei ihrem eigenverantwortlichen Vermögensaufbau. Er agiert dabei unabhängig von Banken und Finanzdienstleistern nach den Prinzipien der wertorientierten Kapitalanlage (Value Investing). Weitere Informationen finden Sie unter: www.privatinvestor.de

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    Verfasst von Professor Max Otte
    Börsenpsychologie Der Dispositionseffekt In den letzten Jahren ist mit der Behavioral Finance ein blühendes Forschungsgebiet entstanden, das zu ergründen versucht, wie sich Privatanleger wirklich verhalten. Psychologen und Finanzwissenschaftler haben durch Studien bereits einige psychologische Effekte beobachten können, die zeigen, dass Investoren ihren Nutzen oft nicht anhand einer objektiven Nutzenfunktion einschätzen, sondern irrational handeln. Einer dieser Effekte wird Dispositionseffekt genannt...