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     2052  0 Kommentare Was ist schon normal?

    Häufig sagt das, was wir als “normal“ bezeichnen mehr über uns aus als über das, was wir versuchen zu beschreiben. „Normal“ ist kein Begriff, der einen Zustand eindeutig und zweifelsfrei definiert. Gleichwohl sind gewisse Dinge normiert wie der Meeresspiegel bei Normal Null oder dass Wasser normalerweise bei 0°Grad gefriert. Ein normale Temperatur oder Höhe über NN definiert sich darüber aber nicht. Stattdessen leitet sich „normal“ entweder aus dem ab, was wir gewöhnt sind, oder was wir für wünschenswert oder ethisch akzeptabel halten. Das eine ist die positive Sicht, das andere die normative. Im ersteren Fall beschreibt normal, was in der Vergangenheit die höchste Wahrscheinlichkeit hatte. Beispiele dafür sind 37°Grad Körpertemperatur – sonst wären wir krank, ein fliegender Vogel – sonst wäre es kein Vogel, niedrigere Temperaturen im Winter. Beispiele für den normativen Fall wären „normale Eltern kümmern sich um ihre Kinder“ oder anderes Wohlgefallen.

    Spannend wird es wenn sich normative und positive Herangehensweisen überlappen. Bei Zinsen ist das häufig der Fall. Historisch gesehen waren tatsächlich meist Zinsen über 0% zu beobachten. Ein bis 1694 reichender Datensatz der Bank of England zeigt, dass die Leitzinsen über mehr als 250 Jahre vor der Ölkrise lediglich zwischen 2% und 10% und mehrheitlich um 4% geschwankt haben. Diese Niveaus halten viele Investoren auch aus normativen Gründen für normal – da sie eine Kompensation für den Konsumverzicht und damit eine Belohnung für die Tugend der Sparsamkeit also für Wohlgefallen darstellen. Anders liesse sich der gegenteilige Begriff der „Strafzinsen“ nicht erklären. Dieser macht aus geldpolitischer Sicht leider gar keinen Sinn. Weder bestrafen Zentralbanken, noch belohnen sie. Sie senken ihre Leitzinsen unter den neutralen Zins, wenn sie Investitions- und Konsumanreize geben wollen, da die Inflation zu niedrig ist. Sie erhöhen ihre Leitzinsen über den neutralen Zins, wenn sie Investitionen bremsen und zum Sparen anreizen wollen. Fallen die neutralen Zinsen nun in einer Rezession stark, so sollten auch die Leitzinsen stark fallen. Wie der neue Gouverneur der New York Fed, Williams, und zwei Koautoren in einer viel beachteten Studie zeigen, sind die neutralen Realzinsen in den USA und dem Euroraum mit der Finanzkrise um zwei Prozentpunkte eingebrochen. In der Währungsunion sind sie in der Staatsschuldenkrise dann sogar in den negativen Bereich gefallen. Leitzinsen, die die Wirtschaft tatsächlich stimulieren, mussten also ebenfalls im negativen Bereich liegen, da zusätzlich die Inflation unter anderem dank des Rohstoffpreisrückgangs ebenfalls nahe Null oder darunter lag.


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    Dr. Karsten Junius
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    Dr. Karsten Junius ist seit dem 1. April 2014 Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin AG und hat die Leitung des Economic Research inne. Bevor er zur Bank J. Safra Sarasin stiess, war Dr. Junius beim Internationalen Währungsfonds als „Principal Economist“ tätig. In vorgängigen Positionen arbeitete er als Leiter Kapitalmarkt- und Immobilien Research bei Deka Bank und als Ökonom bei Metzler Asset Management GmbH. Davor war er Ökonom am Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel. Dr. Karsten Junius ist CFA Charterholder und doktorierte in Volkswirtschaft an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.
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    Verfasst von Dr. Karsten Junius
    Was ist schon normal? Häufig sagt das, was wir als “normal“ bezeichnen mehr über uns aus als über das, was wir versuchen zu beschreiben. „Normal“ ist kein Begriff, der einen Zustand eindeutig und zweifelsfrei definiert. Gleichwohl sind gewisse Dinge normiert wie der …

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