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     1585  1 Kommentar Dominik Bartsch (UNHCR): „Es gibt in Europa keine Flüchtlingskrise, sondern einen Mangel an Solidarität unter den Mitgliedstaaten“

    Herr Bartsch, die Initiative Gesichter der Demokratie möchte zu einem besseren Demokratieverständnis beitragen. Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

     

    Demokratie bietet den Rahmen dafür, dass Menschen miteinander sprechen und gemeinsam Probleme lösen. Nur wenn wir miteinander sprechen, kann es gesellschaftlichen Fortschritt geben. Das gilt insbesondere, wenn Menschen neu in einer Gesellschaft ankommen. Durch persönlichen Kontakt werden Ängste abgebaut und Integration kann gelingen.

     

    UNHCR wird von der Bundesregierung häufig in einem Atemzug mit dem Thema „Fluchtursachenbekämpfung“ genannt. Was kann UNHCR leisten und was nicht?

     

    Mit humanitärer Hilfe können wir die Symptome einer Krise lindern, sprich Menschen in Not unterstützen. Die zugrunde liegenden Konflikte können aber nur politische Akteure lösen. Mit jahrzehntelanger Erfahrung hilft UNHCR dort, wo Staaten Unterstützung brauchen, um das Leben von Millionen Menschen auf der Flucht zu verbessern und für sie Perspektiven zu schaffen. Fluchtursachenbekämpfung ist aber vor allem Konfliktlösung und Konfliktprävention - eine Fähigkeit, die der internationalen Staatengemeinschaft zunehmend abhanden gekommen zu sein scheint.

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    Das gemeinsame europäische Asylsystem wird gerade überarbeitet. Welche Erwartungen haben Sie an diese Reform, wenn Sie an die Erfahrungen von 2015 und 2016 denken?

     

    Bei den Schlagzeilen wird gerne vergessen, dass die Ankunftszahlen in Europa drastisch gesunken sind. Die Krise war und ist woanders. Es gibt in Europa keine Flüchtlingskrise, sondern einen Mangel an Solidarität unter den Mitgliedstaaten. Wir können die Situation in den Griff bekommen, wenn man sich um eine gemeinsame Lösung bemüht und nicht einfachen vermeintlichen Wahrheiten anheimfällt. Europa muss sich auf die Werte besinnen, die es stark gemacht haben. Denn was letztlich hier beschlossen wird, hat Signalwirkung für andere Länder auf der ganzen Welt, die genau beobachten, wie Europa mit dem Thema Flucht und Migration umgeht.

     

    Das Thema Asyl und Migration war Stein des Anstoßes für eine Regierungskrise. Was heißt das für Ihre Arbeit?

     

    Die Debatte muss dringend versachlicht werden. Es ist ohne Frage ein Thema, das viele Menschen zu Recht berührt. Die Sachfragen, an denen sich das Thema entzündet, rechtfertigten aber keine Regierungskrise. Die ist zwar jetzt überstanden, aber ich frage mich, für wie lange. Ich warne generell davor, auf dem Rücken von Schutzsuchenden Politik zu machen. Das schadet nicht nur den Schutzsuchenden, sondern schürt auch Ängste.

     

    Im Jahr 2016 wurden bundesweit 745.545 formelle Asylanträge gestellt. Auch wenn die Zahlen spürbar zurückgegangen sind - was möchten Sie den Menschen in Deutschland sagen, die Angst vor Überfremdung haben?

     

    Wir sind lange davon ausgegangen, dass unsere Werte von allen geteilt werden, dass Flüchtlingsschutz Grundkonsens ist. Aber die Politisierung des Themas hat diffuse Ängste weiter verstärkt und damit die grundlegende Übereinkunft, Schutzsuchenden zu helfen, überlagert. Diese Ängste müssen wir besser verstehen, auch wir als UNHCR müssen besser zuhören. Doch auch Flüchtlinge haben Angst, vor Zurückweisung, Hass, fehlenden Möglichkeiten, enttäuschten Erwartungen und vielem mehr. Ich glaube, auch jetzt können wir noch viele Menschen von dem hohen Gut des Flüchtlingsschutzes überzeugen, indem wir sie zum Dialog über und vor allem mit Flüchtlingen einladen. Der direkte Kontakt ist aus unserer Erfahrung der beste Weg Ängste abzubauen.

     

    In Deutschland werden seit einiger Zeit die sogenannten AnkER-Zentren heftig diskutiert. Was halten Sie davon, Schutzsuchende in diesen Einrichtungen unterzubringen?

     

    Den Ansatz für solche Zentren bewerten wir erst mal positiv, denn schnelle und effiziente Verfahren durch die Bündelung behördlicher Kompetenzen sind begrüßenswert - auch für die Betroffenen. Unsere Befürchtung ist nur, dass Menschen mit unterschiedlicher Bleibeperspektive über lange Zeit gemeinsam untergebracht werden, und dann auch noch ohne Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Das führt zwangsläufig zu Spannungen und Konflikten. Das Konzept für diese Einrichtungen liegt noch nicht vor. UNHCR hat aber dazu eine Reihe von Empfehlungen entwickelt, wie diese Zentren bestmöglich ausgestaltet werden können.

     

    Herr Bartsch, Ihre Amtszeit als Repräsentant des UNHCR in Deutschland dauert noch drei Jahre. Welches berufliche Ziel haben Sie sich bis 2021 gesetzt und was machen Sie in Ihrer Freizeit am liebsten?

     

    Ich würde gerne vermitteln, dass die Integration der Menschen, die in Deutschland Schutz gefunden haben, eine Aufgabe ist, die in kleinen Schritten immer weiter voran geht. Integration ist mehr als die tagespolitischen Scharmützel und Phrasen, die den Blick verengen und das Mantra von Abschottung, Begrenzung und Steuerung beschwören. Gewiss, man kann die Flüchtlinge fordern, aber man sollte vor allem das gemeinsame Miteinander fördern. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten und mithelfen, dass Integration letztlich gelingt, insbesondere in der Arbeitswelt. Ich bin beruflich ziemlich viel herumgekommen, daher bin ich nach einem langen Arbeitstag auch mal für einen guten Wein auf dem Sofa zu haben.

     

    Vielen Dank für das Interview Herr Bartsch!

     

    Quelle: Initiative Gesichter der Demokratie.





    Sven Lilienström
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    Sven Lilienström (43) ist Master of Global Management und Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie. Ziel der Initiative ist es, ein Zeichen zum Schutz und zur Stärkung von Demokratie, Pluralismus und Pressefreiheit zu setzen und auf die zunehmenden Gefahren von Protektionismus und partiellem Nationalismus aufmerksam zu machen.
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    Verfasst von Sven Lilienström
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