Türkei-Krise:
Wird Deutschland die Türkei retten?
Wie kann sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan aus der massiven Wirtschaftskrise seines Landes befreien? Erdoğan könnte auf deutsche Hilfe hoffen.
Rund um den Globus diskutieren Wirtschaftsexperten die Folgen und Lösungen der Wirtschafts- und Währungskrise, die in der Türkei voll ausgebrochen ist. Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts,
fordert in einem Interview mit "Handelsblatt"-Journalisten von Erdoğan einen radikalen Politikwechsel. Fuest macht gleichzeitig klar, dass es ohne europäische Hilfen für die Türkei nicht gehen
wird.
"Es liegt im Interesse Europas, einen wirtschaftlichen Absturz der Türkei zu verhindern. Die Türkei ist ein wichtiger Handelspartner, trotz aller Konflikte Nato-Mitglied und ein wichtiger Faktor
für die politische Stabilität im Nahen Osten. Europa sollte gleichzeitig klarmachen, dass Unterstützung bei der Überwindung der Krise einhergehen muss mit besserer Zusammenarbeit und politischen
Veränderungen in der Türkei, unter anderem der besseren Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Standards", so Fuest.
Der Chef eines der größten Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschlands rät dem türkischen Präsidenten auch zu einem Gang nach Canossa: "Die Türkei sollte Hilfe beim Internationalen Währungsfonds
(IWF) beantragen. Die Europäer sollten diesen Weg unterstützen", meint der Wirtschaftsprofessor.
Der IWF und die Weltbank werden von US-amerikanischen Interessen entscheidend geprägt. Die USA verschärfen aber gerade ihre Sanktionen und Strafzölle für die Türkei. Insofern sind beide, IWF und
Weltbank, nicht die ersten Adressen für Erdoğans Bittgänge. Hier kommen Europa und Deutschland als größte Wirtschaftsmacht der EU ins Spiel.
"Theoretisch könnten die europäischen Staaten der Türkei mit Euro-Darlehen helfen und dafür Bedingungen formulieren. Der weitaus bessere Weg wäre aber ein IWF-Programm. Angesichts der autoritären
Politik Erdogans dürfte es in Europa unpopulär sein, ihm in dieser Krise zu helfen. Man sollte aber nicht außer Acht lassen, dass die aktuelle Krise auch eine Chance sein könnte, die Beziehungen
zwischen der Türkei und den EU-Staaten auf eine neue Basis zu stellen. Die Türkei ist wichtig für Europa, und die Türkei ist mehr als Erdogan", argumentiert Clemens Fuest.
Ins gleiche Horn stößt Rainer Hermann, Politik-Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): "Die Türkei braucht also wieder einmal Europa und Deutschland, und so kommt Erdogan Ende September nach Berlin. Führte das nicht weiter, müsste die Türkei die Folterwerkzeuge gescheiterter Wirtschafts- und Finanzpolitik aus der Truhe holen: im Namen der nationalen Sicherheit also Geld drucken, Kapitalverkehrskontrollen einführen, einen Zwangsumtausch von Devisen anordnen – also tun, was beispielsweise Venezuela tut, nur dass die Türkei kein Öl hat. Noch ist es nicht so weit. Die türkische Führung sollte aber rasch aus ihren politischen und wirtschaftlichen Fehlern Konsequenzen ziehen".
Für Erdoğan sei freundliche Diplomatie eine große Chance, meint Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute und Professor an der Universität Witten/Herdecke: "Auch im Ausland muss Erdogan eine Charmeoffensive starten, um Devisenzuflüsse in sein Land zu mobilisieren. Hier kommt die EU ins Spiel. Könnte man denn nicht die Finanzhilfe für die künftige EU-Mitgliedschaft des Landes und die Kredite der Europäischen Investitionsbank aufstocken? Und wie wäre es mit einem finanziellen Ausbau des Flüchtlingsabkommens? Erdogan wird von seinem Besuch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel Unterstützung für seine Wünsche erhoffen. Machen wir uns nach den Beschimpfungen nun auf eine Charmeoffensive gefasst", blickt Mayer in der "FAZ" voraus.
Die Signale von offizieller Seite, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier aussendet, deuten darauf hin, dass Deutschland der Türkei helfen könnte. Vor dem Hintergrund seiner Reise in die Türkei im Oktober sagte er der "Bild am Sonntag" ("BamS"), die "Spiegel online" zitiert: "Ich vertrete die Interessen von über 7.000 deutschen Unternehmen, die in der Türkei tätig sind. Wir wollen, dass die Türkei ein stabiles und demokratisches Land ist. Gute Wirtschaftsbeziehungen tragen dazu bei". Es gehe darum, die Wirtschaftsbeziehungen mit einem Land von 80 Millionen Einwohnern, das Mitglied der Nato ist, wieder voranzubringen, meinte der deutsche Wirtschaftsminister. "Die Türkei steht in Europa für Sicherheit und Verlässlichkeit, wir arbeiten mit Ankara in Sachen Migration hervorragend zusammen. Die Wahlen in der Türkei sind vorbei, wir haben jetzt die Chance, zur Sachlichkeit zurückzukehren". Die türkischen Partner wüssten, "dass wir beim Schutz deutscher Staatsbürger keine Kompromisse machen", so Altmaier.
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