checkAd

    ROUNDUP 4/ Griechenland-Rettung  582  0 Kommentare EU feiert - die Griechen weniger

    ATHEN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Es war ein bittersüßer Abschied: Nach acht Krisenjahren verlässt Griechenland endlich den Euro-Rettungsschirm, und in Brüssel überwogen am Montag Freude und Stolz. "Ihr habt es geschafft", twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk und gratulierte dem griechischen Volk. Vielen Griechen war indes nicht zum Feiern zumute, und auch Ministerpräsident Alexis Tsipras hielt sich zunächst zurück. Rechte wie linke Kritiker sind ohnehin überzeugt: Gerettet ist das hoch verschuldete Euroland noch lange nicht.

    Acht Jahre, drei Kreditprogramme mit insgesamt 289 Milliarden Euro und immer wieder neue Spar- und Reformprogramme auf Druck der EU-Partner und des Internationalen Währungsfonds: Der Abschluss der scheinbar endlosen Rettungsbemühungen markiert in jedem Fall einen tiefen Einschnitt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bemühte das Bild des "neuen Kapitels", Finanzkommissar Pierre Moscovici sprach von einem "symbolischen Schlussstrich unter eine existenzielle Krise des Euro-Währungsgebiets". Beide lobten die Anstrengungen der Griechen und versprachen Beistand und Freundschaft.

    Der Athener Buchhalter Nikos Wroussis sah die Sache nüchterner. "Für mich und meinen Kunden ändert sich nichts", sagte der Prokurist der Deutschen Presse-Agentur, der kleinere Unternehmen in Arbeitervierteln im Westen Athens betreut. Er verweist zum Beispiel auf anhaltende Kapitalverkehrskontrollen. Die Griechen dürfen bei einer Ausreise höchstens 3000 Euro mitnehmen und auch nur begrenzt Gelder elektronisch ins Ausland überweisen. Auch die "Hyperbesteuerung" stört Wroussis: Für jede 100 Euro die ein Händler, ein Rechtsanwalt, ein Arzt kassiere, müssten 72 Euro als Steuern, Rentenbeiträge und Krankenkasse gezahlt werden.

    Änderungen sind nicht absehbar - dafür bleibt der griechischen Regierung auch nach Ende des Hilfsprogramms kaum Spielraum. Für die billigen Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm ESM und künftige Schuldenerleichterungen musste sie harte Auflagen akzeptieren. Der Staat muss so viel Geld sparen, dass er bis 2022 jährlich Primärüberschüsse von 3,5 Prozent erreicht - gemeint sind Haushaltsüberschüsse ohne Berücksichtigung von Zins und Tilgung für Kredite. Bis 2060 soll Jahr für Jahr 2,2 Prozent Primärüberschuss bleiben. Wroussis nennt dies eine "ökonomische Zwangsjacke".

    Die Gläubiger wollen mit strikten Kontrollen verhindern, dass Griechenland die während der Rettungsaktion erzwungene Reformpolitik aufgibt. Schon in der Woche ab dem 10. September sollen wieder Experten der Kreditgeber nach Athen reisen und dann regelmäßig im Rhythmus von drei Monaten.

    Zugesagt, aber noch nicht umgesetzt, sind zum Beispiel weitere Rentenkürzungen. EU-Kommissar Moscovici wurde am Montag gefragt, ob die denn - bei entsprechenden Haushaltsspielräumen - zu umgehen wären. Das könne er nicht kommentieren, sagte der Franzose, machte dann aber doch eine klare Ansage: "Gemachte Zusagen müssen respektiert werden." Immerhin würden nun keine neuen Vorgaben mehr gemacht. "Griechenland ist jetzt ein normales Land", sagte Moscovici.

    Alles andere als normal - und wirtschaftlich gesund - ist jedoch der gigantische Schuldenberg des Landes von rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Mit Spannung wird erwartet, ob und wie sich Griechenland nun wieder an den Finanzmärkten Geld leihen kann. Zeitdruck besteht nicht: Das Land verlässt den Rettungsschirm mit Rücklagen von rund 24 Milliarden Euro und könnte sich notfalls knapp zwei Jahre lang selbst finanzieren.

    Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron lobte den Mut und die Würde der Griechen. "Frankreich bleibt an seiner Seite, damit wir gemeinsam mit unseren Partnern die Zukunft der Europäischen Union aufbauen können", schrieb Macron via Twitter. Sein sozialistischer Amtsvorgänger François Hollande hatte sich gegen einen "Grexit", also einen Austritt des Landes aus der Eurozone eingesetzt, und war in der Griechenland-Krise auch auf Distanz zum harten Kurs in Berlin gegangen.

    Eurogruppen-Chef Mario Centeno gab sich zuversichtlich, dass Griechenland tatsächlich finanziell auf eigenen Beinen stehen kann. Ganz anders die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Sie kritisierte Centenos Einschätzung als "Fake News" und meinte: "Griechenland ist nicht gerettet."

    Linke Kritiker sind sich da mit Weidel völlig einig, darunter der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis, der 2015 ebenso spektakulär wie vergeblich zum Aufstand gegen die Vorgaben der Gläubiger blies. Der Staat sei noch immer pleite, die privaten Leute seien ärmer geworden, Firmen gingen noch immer bankrott und das Bruttosozialprodukt sei um 25 Prozent gesunken, kritisierte er in der "Bild"-Zeitung.

    Tatsächlich ächzen viele Griechen unter den täglichen Folgen der Sparprogramme und spüren nichts von der Stabilisierung, die sich in den Statistiken spiegelt: Haushaltsüberschüsse, Wachstum, sinkende Arbeitslosigkeit. Diese liegt eben trotzdem noch bei 19,7 Prozent. Viele Bürger haben seit 2010 rund ein Viertel ihres Einkommens verloren. Gut 400 000 Menschen sind ausgewandert, darunter Tausende Ärzte und Ingenieure.

    Andererseits: Der Tourismus boomt, und nicht alle haben den Mut verloren. "Unsere Mentalität bleibt so wie sie war: Optimismus und gute Laune trotz aller Schwierigkeiten", sagte Giannis Kapasakalis, Direktor einer der größten Reiseagenturen auf der Touristeninsel Kos./tt/DP/jsl

    --- Von Takis Tsafos und Verena Schmitt-Roschmann, dpa ---





    dpa-AFX
    0 Follower
    Autor folgen
    Mehr anzeigen
    Die Nachrichtenagentur dpa-AFX zählt zu den führenden Anbietern von Finanz- und Wirtschaftsnachrichten in deutscher und englischer Sprache. Gestützt auf ein internationales Agentur-Netzwerk berichtet dpa-AFX unabhängig, zuverlässig und schnell von allen wichtigen Finanzstandorten der Welt.

    Die Nutzung der Inhalte in Form eines RSS-Feeds ist ausschließlich für private und nicht kommerzielle Internetangebote zulässig. Eine dauerhafte Archivierung der dpa-AFX-Nachrichten auf diesen Seiten ist nicht zulässig. Alle Rechte bleiben vorbehalten. (dpa-AFX)
    Mehr anzeigen
    Verfasst von dpa-AFX
    ROUNDUP 4/ Griechenland-Rettung EU feiert - die Griechen weniger Es war ein bittersüßer Abschied: Nach acht Krisenjahren verlässt Griechenland endlich den Euro-Rettungsschirm, und in Brüssel überwogen am Montag Freude und Stolz. "Ihr habt es geschafft", twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk und gratulierte …

    Schreibe Deinen Kommentar

    Disclaimer