Interview
Gabor Steingart: "Gewitter der Finanzwelt gehören zum Kapitalismus..."
...wie die Fliege zur Kuh" - Neue Weltwirtschaftskrise? Gewinnwarnung für Deutschland? Was ist da los? Die wallstreet:online-Redaktion fragte Gabor Steingart, den Kopf hinter "Steingarts Morning Briefing" nach seiner Einschätzung der Lage.
Herr Steingart, Ihre scharfen Analysen sind bei Lesern und Schreibern der Wirtschaftspresse sehr geschätzt. Schauen wir nach vorne: Dieses Jahr war kein Dax-Jahr. Auf was müssen sich die deutschen Top-Unternehmen im nächsten Jahr einstellen?
Es wird nicht zwingend besser. Die deutschen Unternehmen haben schwer zu kämpfen. Die Bayer AG mit hausgemachten Problemen der Übernahme. Die Energiekonzerne mit den Folgen der überhasteten Energiewende. Die Autoindustrie muss aufpassen, dass sie die Abfahrt in Richtung Elektromobilität nicht verpasst. Und die Banken sind ohnehin nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Dresdner Bank ist verschwunden. Die Commerzbank teilverstaatlicht. Die Deutsche Bank kommt aus dem Absteigen gar nicht mehr heraus. Für mich Indizien einer Gewinnwarnung.
Die Beratungsgesellschaft EY ist recht
zuversichtlich. Angesichts der zum Teil ungünstigen Rahmenbedingungen stünden die meisten Unternehmen immer noch bemerkenswert gut da, meint Mathieu Meyer von EY. Jetzt in den Dax
investieren?
Würde ich nicht empfehlen. Es sei denn, die Beratungsgesellschaft EY steht als Auffanggesellschaft für Anlegerverluste bereit.
Oft lesen wir mit einer Mischung aus Staunen und einer Art Besorgnis die Berichte über Innovationen der großen, internationalen Technologiefirmen, ein Beispiel ist Tesla. Haben wir den Schuss nicht gehört? Ist noch Zeit, um aufzuholen?
Deutschland hat das Industriezeitalter mit seinen Firmen dominieren können. Siemens , Krupp, Thyssen,
aber auch BASF, Bayer und die deutsche Automobilindustrie waren die Ikonen ihrer Zeit. Im Digitalzeitalter hat Deutschland keine einzige bedeutsame Unternehmung mit Ausnahme von SAP und keine einzige Schlüsseltechnologie hervorgebracht. Das neue Rom steht in Shanghai und im Silicon
Valley.
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Der Titel
eines Ihrer Bücher heißt "Kopf hoch, Deutschland!". Inwiefern passt der noch?
Wir haben einen sehr wandlungsfähigen und innovationsfreudigen Mittelstand. Die Familienunternehmen schlagen sich auch in dieser neuen Welt beeindruckend. Diese Perlen finden wir eher im MDax.
Einer der Gründe, weshalb dieser schon seit längerem besser performed als der Dax.
An welchen Stellen muss die deutsche Politik jetzt ansetzen, um Wirtschaft und Gesellschaft Ertrag und Wohlstand in den nächsten Jahren zu sichern und auszubauen?
Deutschland muss wieder an sich glauben und in die wichtigste Ressource dieses Landes investieren. Das Gold unserer Zeit sitzt auf der Rückbank unserer Autos. Das bedeutet: Bildung und Forschung sind die Schlüsselfaktoren für den Aufholprozess, den die Politik zu leisten hat. Beim Thema der wirtschaftlichen Zukunftsgewinnung waren die Merkel-Jahre weitgehend verlorene Jahre. Zu ihren Gunsten muss man sagen: weltweit war eine Menge los. Sie hat dafür gesorgt, dass wir ruhig schlafen konnten.
Schauen wir uns das Big Picture an. Handelskonflikt, Italien, Brexit, jetzt auch noch Frankreich und ein bisschen Türkei usw. Wir Journalisten schreiben
tagesaktuell über relevante Krisenherde, die die Kurse beeinflussen. Was übersehen wir Ihrer Meinung nach zu oft?
Das sich neben der Hügellandschaft unserer Probleme das Gebirge einer neuen Weltmacht erhebt. China verändert die Wertschöpfungsprozesse, die Machtstrukturen und damit auch die Rahmenbedingungen für unser Tun und Treiben in Europa.
Sie gelten nicht als notorischer Krisenprophet. Inwiefern ist aber die Gefahr einer neuen Finanzkrise aktuell?
Die Gewitter der Finanzwelt gehören zum Kapitalismus wie die Fliege zur Kuh. Wir können sie in ihrer Wirkung auf Arbeitsplätze und Wohlstand des Einzelnen dämpfen, aber verhindern können wir sie nicht.
Zum Schluss: Auf welche Projekte mit der Marke "Gabor
Steingart" darauf oder dahinter können wir uns freuen?
Lassen Sie sich überraschen. Die neue Zeit bietet uns Journalisten
ungeahnte Möglichkeiten, die Menschen direkt und unmittelbar zu erreichen. Von diesen Möglichkeiten werden viele, und darunter auch ich, Gebrauch machen. Wer sein Schicksal nicht an die
Papierdruckmaschine kettet, der betritt das Zeitalter der publizistischen Chancen.
Noch eine kurze Frage: Was ist ihr bestes weihnachtliches Investment in diesem Jahr?
Zeit zum Nachdenken und zum Schreiben. Spätestens im Frühjahr möchte ich mit einem Buch auf dem Markt sein, dass ich mir und dem Pinguin Verlag versprochen
habe: Deutschland. Eine Gewinnwarnung.
Herr Steingart, vielen Dank für das Gespräch.
Gabor Steingart wirkte in seinem früheren Arbeitsleben in Führungspositionen beim "Handelsblatt" und beim "Spiegel".