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    Dr. Christian Nordholtz  5495 Widerrufsjoker führt viele Verbraucher in die Irre

    Kostenlos Autofahren sei ein Kinderspiel, so oder so ähnlich geisterten einige Fälle in der Presse herum, denn angeblich seien die Widerrufsbelehrungen in den Kreditverträgen fehler­haft, was dazu führe, dass Verbraucher diese auch Jahre nach Vertrags­schluss noch widerrufen könnten. Um Verbrauchern einen Überblick über die aktuelle Sachlage zu verschaffen, hat wallstreet:online mit Dr. Christian Nordholtz von der Kanzlei Göhmann Rechtsanwälte Notare gesprochen.

    Herr Nordholtz, Anwälte werben deutschlandweit damit, dass Autofahrer ihre Kreditverträge widerrufen könnten und damit kostenlos Autofahren dürfen. Was hat es damit auf sich?

    Bei diesen Fällen geht es darum, dass die Banken in den gesetzlich vorgeschriebenen Widerrufsbelehrungen angeblich Fehler gemacht hätten. Folglich habe die Widerrufsfrist nie angefangen zu laufen, Kunden könnten auch nachträglich widerrufen und wären damit quasi umsonst Auto gefahren.

    In der öffentlichen Darstellung wird aber häufig ausgeblendet, dass betroffene Banken mehr als 90 Prozent der Gerichtsverfahren gewinnen. Diesbezüglich gibt es viele lokale Gerichtsentscheidungen. Nach unserem Kenntnisstand wurde noch kein obergerichtliches Urteil rechtskräftig durch einen Kläger gewonnen. Das heißt, die Erfolgsaussichten für Kunden sind äußerst gering. Nichtsdestotrotz werben zahlreiche Verbraucheranwälte um Mandanten, denn sie bekommen ihre Gebühren auch bei Misserfolg bezahlt und für größere Verbraucheranwaltskanzleien ist der Aufwand für die Erstellung einer Klage bei massenweiser Schriftsatzerstellung anhand von Mustern gering.

    Können bei den restlichen 10 Prozent der Fälle die Kläger kostenlos Autofahren?

    Nein, das stimmt nicht. Denn selbst in den Urteilen, die zugunsten der Kläger ausgegangen sind, wurde der Kunde bisher fast immer zur Zahlung einer so genannten Nutzungsentschädigung beziehungsweise eines Wertersatzes verurteilt. Das ist neben einer Pauschale für die gefahrenen Kilometer auch ein Ersatz für den sogenannten Erstzulassungsschaden. Wir alle wissen, dass ein Auto schon an Wert verliert, wenn es den Hof des Händlers verlässt. Das heißt, dass der Kläger den Vertrag lediglich vorzeitig ablösen kann, ohne eine Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen. Diese ist aber ohnehin bereits zum Schutz der Verbraucher gesetzlich begrenzt. Gleichzeitig hat er aber Aufwand für seinen Anwalt, Fahrt- und Gerichtskosten sowie die Zeit, die er aufbringen muss. Es existieren Fälle, da wäre der Kunde trotz gewonnenen Urteils günstiger gefahren, wenn er den Kredit frühzeitig abgelöst und das Fahrzeug gebraucht verkauft hätte. Die Chance, dass also das angeblich kostenlose Autofahren wirklich funktioniert, liegt bei deutlich unter einem Prozent.

    Warum wird das Thema so groß gespielt?

    Aus Sicht vieler Verbraucheranwälte ist dies natürlich eine lukrative Einnahmequelle. Mit jedem zusätzlichen Fall und jedem Gerichtsverfahren lässt sich Geld verdienen - egal, wie hoch die Chance für den Kläger ist, einen monetären Vorteil zu generieren. Deshalb investieren die Kanzleien sehr viel in Werbung und Marketing, was die Medien aufmerksam werden lässt.

    Gibt es einen Zusammenhang mit den Dieselklagen?

    Nein, denn das ist ein völlig losgelöstes Thema. Die Anwälte werben zwar auch um Dieselkunden mit dem Hinweis, ihr Fahrzeug schnell und einfach loszuwerden. Die Motorisierung des Fahrzeugs hat mit dem Widerruf eines Kreditvertrags jedoch nichts zu tun.

    Haben denn die Banken, die immer wieder in diesem Zusammenhang genannt werden, doch keine Fehler gemacht?

    Nach meinem Kenntnisstand nutzen all diese Unternehmen das vom Gesetzgeber vergebene Muster und aktualisieren dies ständig. Dass diese Vertragsgrundlage ausreicht, sehen - wie gesagt - sehr viele Gerichte genauso und weisen die meisten Klagen ab. Ganz unabhängig davon werden die Voraussetzungen für die Widerrufbarkeit von Verbraucherkreditverträgen und die Rechtsfolgen in juristischen Fachkreisen kontrovers diskutiert und sind rechtlich umstritten. Die zugrunde liegenden Rechtsfragen sind nicht hinreichend gesetzlich geregelt und bedürfen der höchstrichterlichen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof. Diese Klärung dürfte noch Jahre in Anspruch nehmen und ist derzeit Gegenstand von Musterfeststellungsklagen.

    Was halten Sie persönlich von den Widerrufsverfahren?

    Wichtig ist, sich an dieser Stelle noch einmal vor Augen zu führen, warum es eigentlich die Widerrufsmöglichkeit von Verträgen gibt. Grundsätzlich sollen Kunden innerhalb eines eng begrenzten Zeitraums von 14 Tagen die Möglichkeit haben, von einem Vertrag zurückzutreten, wenn sie diesen voreilig abgeschlossen, die eigene Leistungsfähigkeit überschätzt oder die Konditionen der verschiedenen Anbieter nicht verglichen haben. Das wird natürlich mit den heutigen Widerrufsklagen ad absurdum geführt. Denn diese setzen ja viel später an – teilweise sogar erst, wenn der Vertrag schon abgerechnet ist. Solche Klagen bauen auch auf formale Detailrügen auf, die aus meiner persönlichen Sicht weder beim Kauf noch während der Vertragsnutzung eines Fahrzeuges relevant sind. Meines Erachtens zeigt sich hier eine von manchen Verbraucheranwälten entfachte "Geiz-ist-Geil-Mentalität": Es zählt der vielfach umworbene "schnelle Cent im Portemonnaie" und nicht die tatsächliche Unzufriedenheit mit dem Kreditvertrag.

    Könnte man schon von einer Klageindustrie sprechen?

    In gewisser Weise ja. Mehrere Verbraucheranwälte raten ihren Kunden zu einer Klage, trotz im jeweiligen Fall geringer Erfolgsaussichten, um die eigenen Einnahmen zu steigern. Die Werbung von Verbraucheranwälten, ein Kreditkunde müsse nur widerrufen, um sein Fahrzeug mehrere Jahre "umsonst" gefahren zu haben, halte ich persönlich für unseriös. Die tatsächlichen Erfolgsaussichten werden dem Mandanten teilweise bewusst oder aus Unkenntnis nicht mitgeteilt. Das entspricht nicht meinem Rechtempfinden. Außerdem kann der Widerrufsjoker auch volkswirtschaftlich problematisch werden. Aus meiner Sicht sollte der Gesetzgeber handeln. Derzeit profitiert meines Erachtens vor allem die Anwaltschaft von dem Werben um einen sogenannten "Widerrufsjoker". 

    Vielen Dank für das Interview!

    Dr. Christian Nordholtz, M.Jur. (Oxford), Partner und Rechtsanwalt der Sozietät Göhmann Rechtsanwälte Notare in Hannover für die beiden Bereich Complex Litigation und M&A/Transaktionen




    wallstreetONLINE Redaktion
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