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     8409  0 Kommentare Deutschland mit mehr Staatsschulden als Italien?

    Um Italiens Schulden gab es viel Streit mit der EU-Kommission. Rom wollte entgegen den Vereinbarungen neue Schulden in Höhe von 2,4% statt der vorgesehenen 0,8% des BIP (Wirtschaftskraft) machen. Man einigte sich auf 2,04%. Damit war die 3%ige Maastricht-Regelung für die jährliche Neuverschuldung Italien mühelos unterboten. Beim Kriterium Gesamtverschuldung bleibt Italien aber statt mit zulässigen 60% mit 130% hoffnungslos überschuldet. Das Pikante bei der Rechnung: Bei der Gesamtverschuldung werden nur die expliziten (direkten) Staatsschulden berücksichtigt, nicht aber die impliziten (indirekten), wie z.B. Staatsgarantien. Zusammen ergeben sie die anzusetzende Gesamtverschuldung. Wären implizite Schulden mitgezählt, hätte Deutschland nach der Stiftung Marktwirtschaft schon lange mehr Staatsschulden als Italien https://www.stiftung-marktwirtschaft.de/inhalte/presse-und-aktuelles/p ...). Ob es Sinn macht, die impliziten Schulden als Indikator bei der Gesamtverschuldung zu nehmen, bleibt strittig. Früher oder später könnten einige Länder (Griechenland, Italien?) sie fordern.

    Explizite und implizite Schulden gab es schon immer und nicht nur auf Staatsebene 

    Die Unterscheidung zwischen expliziten und impliziten Schulden ist im Wirtschaftsleben weit verbreitet. Ein Privatmann, der einen Kredit beantragt muss Angaben sowohl über seine Verbindlichkeiten (Kredite) als auch über abgegebene Garantien (z.B. Mietgarantien, Bürgschaften) - also impliziten Schulden - machen. Beim Unternehmen wie Siemens sind die als Fremdkapital bekannten Schuldenarten (Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Kredite, eigene Anleihen) der Bilanz direkt ablesbar. Hinzu kommen noch die Eventualverbindlichkeiten (implizite Schulden). Der Konzern hatte 2018 ein Eigenkapital von 48 Mrd. €, ein Fremdkapital von 90 Mrd. € und außerbilanzielle Eventualverbindlichkeiten von 3 Mrd. €. https://www.siemens.com/investor/ pool/de/ investor_relations/ Siemens_GB2018.pdf. Auch die Banken müssen ihre Eventualverbindlichkeiten so wie die Risikoaktiva mit Eigenkapital unterlegen. Die durch „faule“ ABS (hervorgerufene Bankenkrise war nicht zuletzt ein Problem der Verschleierung impliziter Schulden. Die Institute gaben kurzfristige Garantien für die als ABS-Käufer fungierenden SIV-Töchter (SIV =Structured Investment Vehicles) ab, die in der Bilanz nicht sichtbar waren und umgingen somit die Eigenkapitalrichtlinien. http://www.bpb.de/politik/wirtschaft/finanzmaerkte/135463/ursachen-der ...

    Explizite und implizite Staatsschulden in Deutschland

    Bei den Staatsschulden gibt es viele Analogien zu den vorgenannten Beispielen. So könnten in Deutschland zu den expliziten Staatsschulden von 1,96 Bill. € per Ende 2017 https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsverschuldu ng Deutschlands, - oder knapp 70% des BIP - die aus früheren Haushaltsdefiziten des Bundes, der Länder und der Gemeinden resultierenden, impliziten Schulden (nach H.-W. Sinn Schattenverschuldung) dazugerechnet werden. Den unten genannten Kategorien ist gemeinsam, dass sie nicht mit Rückstellungen unterlegt sind:

        1. Eventualverbindlichkeiten - Garantien im Zusammenhang mit der Banken- und Euro-Rettung
        2. Rentenzahlungen für Bedienstete des Öffentlichen Dienstes. Hinzukommen die Belastungen aus der Kranken- und Pflegeversicherung. Für alle Kategorien gibt es auch keine Rückstellungen.
        3. Extrahaushalte - Haftungen für Staatsbetriebe auf allen Ebenen, Beteiligungen sowie für juristische Personen des Öffentlichen Rechts (Universitäten) 

    Schätzungen der Gesamtverschuldung eines Staates zählt zum beliebten „Forschungsgebiet“ für Analysten verschiedener Couleurs. Die Ergebnisse für Deutschland reichen in der Spitze bis 8,1 Bill. € oder 260% des BIP. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/verdeckte-staatsschulden-die-reformplaene-der-groko-kosten-bis-zu-5-1-billionen-euro/22709244.html?ticket=ST-318319-IGXxvJ Sw1MBMqEtfpqRi-ap1.

    Die Analyse von der Stiftung Marktwirtschaft liefert erstaunliche Ergebnisse

    Der Ausweis einer negativen staatlichen Gesamtschuld (Überschuss) der unbedeutenden Länder - wie bei Griechenland mit -105% - resultiert aus „geschönten“ Prognosen der zukünftigen Rentenausgaben, die als sog. politisches Reporting der EU-Kommission vorgelegt werden. Am Schreibtisch lassen häufig günstige Ergebnisse „produziert“. Dennoch sind die Angaben für die großen Ländern, die seriös berichten, sehr aufschlussreich. So fällt auf, dass Deutschland bei der Gesamtverschuldung mit 170% des 2018er BIP deutlich schlechter dasteht als Italien mit 122% (2017: 146% zu 130%). Auch das gute Abschneiden Frankreichs und das katastrophale Luxemburgs irritieren. Andererseits wechselt die Reihenfolge von Jahr zu Jahr zum Teil deutlich, was Gesamtaussagen erschwert. Dennoch wird für die EU insgesamt ein Trend in Richtung langsamen Schuldenabbau attestiert. 

    Die Rechnung des Instituts https://www.stiftung-marktwirtschaft.de/inhalte/startseite/ ist leider nicht komplett. Die Nichtberücksichtigung der Garantien in der impliziten Schuld wird Fragen auf. Zwischen einem Ausweis von 260% (oben) und einem von 170% (Stiftung Marktwirtschaft) liegen Welten! 

    Warum die Verwendung der expliziten Staatsschuld (noch) problematisch wäre

    Aus den Ausführungen ist zu bezweifeln, dass es sinnvoll wäre, überstürzt die implizite Schuldendefinition als Indikator für die „wahre Staatsverschuldung“ heranzuziehen. Es würde sich bei der Definition ein Fass ohne Boden auftun (was kommt herein, was nicht?), die einzelnen Module hätten unterschiedliche Eintrittswahrscheinlichkeiten (Garantien werden selten gezogen), Staaten könnten absichtlich durch geschönte demographische Prognosen (siehe Griechenland) das Ergebnis manipulieren, die Kapitalmärkte und Rating-Agenturen würden ein solches definitorisches Konstrukt nicht akzeptieren und last but not least anders als im Falle der ABS entsteht durch die Unkenntnis der impliziten Schuld heute keine akute Täuschungsgefahr für die Politik, wie damals bei den Banken.
    Dennoch muss die EU langfristig eine Lösung finden, wie die Staatsschulden korrekt zu erfassen sind. Ohne diese Einigung werden wir niemals erfahren, ob Deutschland mehr Schulden als Italien hat oder nicht. 





    Dr. Viktor Heese
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    Dr. Viktor Heese ist promovierter Volkswirt und war bis 2010 dreißig Jahre bei verschiedenen Großbanken im Wertpapierresearch tätig. Heese spezialisierte sich auf Versicherungs- und Bankaktien sowie Kapitalmarktanalyse. 2010-2013 leitete er das Deutsch-Russische-Zentrum- für Wirtschaftsforschung und deutsches MBA in Moskau. Seit 2014 ist er als Fachbuchautor und Publizist freiberuflich tätig und bietet Fachseminare zu Börsen- und Bankthemen an. Er ist Herausgeber des Anleihen-Börsenbriefes „Der Zinsdetektiv“
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    Verfasst von Dr. Viktor Heese
    Deutschland mit mehr Staatsschulden als Italien? Um Italiens Schulden gab es viel Streit mit der EU-Kommission. Rom wollte entgegen den Vereinbarungen neue Schulden in Höhe von 2,4% statt der vorgesehenen 0,8% des BIP (Wirtschaftskraft) machen. Man einigte sich auf 2,04%. Damit war die 3%ige …

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