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    Brexit  332  0 Kommentare Mays Ritt auf der Rasierklinge

    LONDON/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Der Brexit kommt nicht wie angekündigt am 29. März - diese Annahme scheint trotz des Chaos in London weiter realistisch. Aber wie lange wird der britische EU-Austritt aufgeschoben? Alles offen. Ursprünglich sollte das britische Unterhaus noch vor der Entscheidung beim EU-Gipfel am Donnerstag ein Signal geben. Doch danach sah es am Montagnachmittag nicht mehr aus. So wird Premierministerin Theresa May wohl mit leeren Händen nach Brüssel reisen. Das bringt auch die EU immer mehr in die Bredouille.

    Was ist denn eigentlich der Stand?

    Das britische Unterhaus hatte vorige Woche drei wegweisende Entscheidungen getroffen: Es stimmte gegen den mit der Europäischen Union ausgehandelten Austrittsvertrag, aber auch gegen einen Austritt ohne Vertrag und äußerte schließlich den Wunsch, den Brexit aufzuschieben. Einen solchen Antrag müssten die übrigen 27 EU-Länder allerdings einstimmig billigen.

    May hatte ursprünglich die Hoffnung, dass das Unterhaus vorher doch noch für ihren Brexit-Deal mit der EU stimmt. In dem Fall wollte sie einen kurzen Aufschub bis zum 30. Juni für die nötige Gesetzgebung beantragen. Gibt es keinen Vertrag und auch keinen Plan, wäre aus Mays Sicht eine viel längere Frist nötig. Dann müsste Großbritannien an der für den 23. bis 26. Mai geplanten Europawahl teilnehmen.

    Wie steht die EU dazu?

    Die übrigen 27 EU-Staaten analysieren die Lage ähnlich wie May. Ein kurzer Aufschub bei weitgehend klaren Verhältnissen wäre unproblematisch. Bei einer längeren Verschiebung müssten die Briten auch aus EU-Sicht aber Europaabgeordnete wählen lassen. Dagegen rebellieren führende Europapolitiker, darunter der Fraktionschef und Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Ihr Argument: Es sei niemandem zu vermitteln, dass ein entfremdetes Mitglied kurz vor dem Austritt noch einmal über die Richtung und das Spitzenpersonal der EU mitbestimmen dürfte. Kanzleramtsminister Helge Braun argumentierte am Montag bei "Bild", eine Teilnahme an der Europawahl wäre wohl "für die Briten selber komisch".

    Wie wird die EU entscheiden?

    Etliche EU-Staaten teilen die Bedenken und verlangen Klarheit aus London. Doch bleibt letztlich wenig Handhabe. Bewilligt die EU keine Verlängerung, droht doch noch ein harter Bruch in zehn Tagen. Dies will nach Angaben von Diplomaten niemand verantworten, schon gar nicht mitten im Europa-Wahlkampf. Ähnlich riskant wäre es, auf einer kurzen Frist zu beharren, solange keine Lösung in Sicht ist. Es spricht also einiges für einen längeren Aufschub.

    Noch sind die EU-Beratungen aber im Fluss, am Dienstag treffen sich die 27 zum Ministerrat. Man wolle jetzt nicht spekulieren, sagte eine EU-Diplomatin am Montag. Es werde "eine politische Entscheidung" der EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel. Ist das dann das letzte Wort? Die EU-Diplomatin weckte daran Zweifel, als sie sagte: "Wir müssen unser gesamtes Verfahren eine Stunde vor Mitternacht abgeschlossen haben." Gemeint war eine Stunde vor Ablauf der bisherigen Austrittsfrist am 29. März, 24.00 Uhr Brüsseler Zeit.

    Welche Strategie verfolgt May?

    Die Premierministerin versuchte zuletzt, irgendwie doch noch die Stimmen für ihren Brexit-Deal mit der EU zusammenzubekommen. Intensiv verhandelt wurde am Wochenende mit der nordirisch-protestantischen DUP, die Mays Minderheitsregierung stützt. Vorige Woche gehörten die zehn Abgeordneten zu den Nein-Sagern. Mays Hoffnung war, sie umzustimmen und so auch Kritiker in der eigenen Konservativen Partei für den Deal zu gewinnen. Zusätzlich bräuchte sie für eine Mehrheit wohl zwischen 20 und 30 Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei. Mitten in die Mehrheitssuche platzte dann am Montagnachmittag die Nachricht, Parlamentspräsident John Bercow lehne eine dritte Abstimmung über eine unveränderte Vorlage ab.

    Und nun?

    Nach Bercows Ansage sähe das bei einer variierten Fassung wohl anders aus. Der Brexit-Hardliner und ehemalige britische Außenminister Boris Johnson spekulierte am Montag, beim EU-Gipfel gebe es ja noch eine Chance auf "eine echte Änderung" des Brexit-Vertrags. Die Idee: Die EU kommt Großbritannien noch einmal bei der umstrittenen Klausel für eine offene irische Grenze entgegen und macht das Abkommen damit in London mehrheitsfähig. Die EU schließt das jedoch bisher aus. Mays Taktik ging eher dahin, maximalen Druck auf die Brexit-Hardliner aufzubauen mit der Drohkulisse einer langen Verzögerung oder gar Absage des Brexits. Wie es nun für die politisch schwer angeschlagene Premierministerin weitergeht, ist unklar. Politiker in der EU verlangen immer lauter einen parteiübergreifenden Konsens in London.

    Was bedeutet das Brexit-Wirrwarr für ausländische Firmen?

    Die Unsicherheit für zahlreiche Unternehmen ist groß - auch für die 2500 deutschen Firmen, die in Großbritannien tätig sind. "Für die Unternehmen wäre es wichtig, dass die Verschiebung des Brexits länger als drei Monate ist. Sie brauchen Planungssicherheit", betonte der Hauptgeschäftsführer der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer, Ulrich Hoppe. Die politische Situation sei verfahren. "Das ist alles Gift für künftige Investitionen", sagte Hoppe der Deutschen Presse-Agentur. Dafür brauche man einen "viel längeren, sauberen Rahmen", in dem man sich bewegen könne. "Großartige Neuinvestitionen sind eine ganze Zeit lang auf Halde gelegt."/vsr/DP/nas





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