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     983  0 Kommentare Vermögensverwalter Stefan Wallrich: Leerverkäufe – Fluch oder Segen?

    Mit den jüngsten Spekulationen gegen Wirecard steht der Leerverkauf von Wertpapieren wieder verstärkt in der Diskussion. Vermögensverwalter Stefan Wallrich von Wallrich Wolf Asset Management hält ein Verbot jedoch für falsch.


    Technisch betrachtet handelt es sich bei Leerverkäufen um einen relativ einfachen Vorgang. Ein Anleger leiht sich gegen eine Gebühr bei einem Counterpart - meist über seine Bank oder seinen Broker - Aktien eines bestimmten Unternehmens und verkauft diese über die offiziellen Börsen oder sogenannte Dark Pools, also bank- oder börseninterne Handelsplattformen, die nicht den Regeln der europäischen Börsenaufsicht unterliegen, weiter. Dies geschieht in der Hoffnung beziehungsweise Erwartung, dass der Kurs der besagten Wertpapiere fällt, und eine spätere Eindeckung zu günstigeren Preisen möglich ist. Gelingt dies, ist die Spekulation aufgegangen.

    Neben diesen gedeckten sind auch ungedeckte Leerverkäufe möglich. In diesem Fall hat sich der Investor noch nicht einmal die Papiere geliehen. Im Extremfall könnten negativ gestimmte Anleger damit eine große Menge an Aktien auf den Markt werfen und mangels hinreichender Aufnahmebereitschaft des Marktes den Preis dadurch nach unten drücken. Dabei macht sich der Verkäufer den Umstand zunutze, dass ihm zur Lieferung der Aktien eine gewisse Frist eingeräumt wird.
    An den deutschen Wertpapierbörsen sind dies beispielsweise zwei Tage, auf nicht regulierten Handelsplattformen sind aber auch längere Zeiträume möglich. Zumindest hierzulande finden größere Leerverkäufe übrigens keineswegs im Verborgenen statt. So müssen alle Nettoleerverkaufspositionen, die mehr als 0,5 Prozent des ausstehenden Aktienvolumens eines Unternehmens ausmachen, im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.

    Kein Unterschied zwischen Long- und Shortpositionen
    Vollkommen legitime Motive für Leerverkäufe können unter anderem schlechte Unternehmensmeldungen, eine aufkommende Abwärtsdynamik bei einzelnen Aktien oder dem Gesamtmarkt oder auch einfach die Einschätzung sein, dass die Aktienkurse dem tatsächlichen angemessenen Bewertungsniveau nach oben enteilt sind. Hier lohnt sich die intensive Auseinandersetzung mit Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen, aus denen sich oft schon vor der offiziellen Bekanntgabe durch das Management eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation einer Aktiengesellschaft ablesen lässt.
    Bei all diesen Punkten bieten Leerverkäufe eine sinnvolle Möglichkeit, bestimmte Kapitalmarkterwartungen in positive Renditen umzusetzen. So gesehen sind beide Positionen (Long und Short) unter ökonomischen Aspekten identisch zu beurteilen und sie tragen in gleichem Maße zur Findung des bestmöglichen Preises bei. Dabei ist das Shortgehen insofern besonders reizvoll, als Abwärtsbewegungen oft deutlich schneller und ausgeprägter verlaufen als Aufwärtstrends.
    Erhebliche Unterschiede bestehen allerdings hinsichtlich des Risikos. Während Anleger bei klassischen Aktienpositionen maximal ihren Einsatz verlieren können, ist das Verlustrisiko bei Leerverkäufen theoretisch unbegrenzt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Verleiher der Papiere diese in der Regel jederzeit zurückfordern kann. Der Zeitpunkt der (erzwungenen) Eindeckung liegt damit nicht unbedingt in den Händen des Leerverkäufers. Dabei entfällt diese Verpflichtung auch für den Fall nicht, dass der Börsenhandel mit den jeweiligen Titeln ausgesetzt wird. Zu Zwangseindeckungen durch die vermittelnde Bank oder den Broker wird es zudem kommen, wenn die hinterlegte Sicherheitsleistung (Margin) nicht mehr ausreicht.

    Extremfall VW-Aktie
    Welche Konsequenzen das im Extremfall haben kann, wurde 2008 bei der VW-Aktie deutlich. Am 26. Oktober meldete Porsche, den Anteil an Volkswagen von 35 Prozent auf 42,6 Prozent der Stammaktien erhöht zu haben. Außerdem hatte sich der Sportwagenbauer weitere 31,5 Prozent über Optionen gesichert. 20 Prozent der Anteile lagen ohnehin beim Land Niedersachsen, womit nur noch relativ wenige Stücke frei handelbar waren. Der Markt wurde völlig überrascht, Leerverkäufer wurden auf dem falschen Fuß erwischt und mussten sich um jeden Preis eindecken. Es kam zu einem sogenannten Short Squeeze und Volkswagen-Stämme stiegen in nur zwei Börsentagen von zuvor 210 Euro im Maximum auf 990 Euro an. Kurzzeitig war der Wolfsburger Autokonzern damit das teuerste Unternehmen der Welt und verschiedene Hedgefonds, wie auch Adolf Meckel, damals unter anderem Besitzer von Ratiopharm, dem Pharmahändler Phoenix und Heidelberg Cement, verloren jeweils über eine Milliarde Euro.
    Zum Schutz von Privatanlegern wurden im Herbst 2017 von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) allerdings Regularien eingeführt, die den Verlust bei Leerverkäufen auf das jeweilige Kontovermögen (Margin plus frei verfügbares Kapital) begrenzen. Eine darüberhinausgehende Haftung mit dem gesamten weiteren Privatvermögen besteht seither nicht mehr. Für professionelle Anleger gilt dies selbstverständlich nicht.
    Wie sind Leerverkäufe zu beurteilen?
    Wie stark Leerverkäufe den Markt beeinflussen, ist unter Experten umstritten. Für viele Marktbeobachter gelten sie als "Brandbeschleuniger" bei fallenden Aktienpreisen einzelner Unternehmen sowie bei abstürzenden Märkten. So ist es durchaus möglich, durch aggressive Leerverkäufe die Kurse unter wichtige Widerstandsmarken zu drücken und dadurch weitere Verkäufe auszulösen. Unterstützt wird dies - insbesondere bezogen auf einzelne Werte - nicht selten mit der Veröffentlichung negativer Studien und Äußerungen in der Öffentlichkeit, bisweilen sogar kombiniert mit Falschmeldungen und aggressiven Anschuldigungen, wie der Fall Wirecard zeigt.

    Wirtschaftskrimi Wirecard
    Verdächtige Transaktionen, Scheinumsätze, gefälschte Konten und Verträge, sowie Geldwäsche und andere Verstöße gegen Singapurer Recht. Die Vorwürfe in der Financial Times, mit denen sich der Dax-Konzern Wirecard Ende Januar konfrontiert sah, waren heftig. Entsprechend stark rauschte der Aktienkurs (siehe Chart) nach unten.

    Quelle: Wallrich Wolf Asset Management

    Das Dementi des Vorstands, der den Bericht als "falsch, ungenau, irreführend und diffamierend" zurückgewiesen hat, sorgte im Tagesverlauf zwar für eine zwischenzeitliche Erholung, zwei weitere zum Teil äußerst detaillierte Artikel der Financial Times zu den angeblichen Vorgängen in Asien schickten den Wert jedoch erneut auf Talfahrt, so dass nach acht Börsentagen Verluste von über 40 Prozent zu Buche standen.
    Inzwischen ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft, allerdings nicht gegen den Dax-Aufsteiger, sondern zum einen gegen unbekannt und zum anderen gegen den Journalisten, der die belastenden Berichte verfasst hat. Der Vorwurf lautet auf Marktmanipulation. Zumindest ein Short Seller soll auch schon vor der Veröffentlichung von den Berichten gewusst haben. Außerdem hätten die ermittelnden Beamten "ernst zu nehmende Informationen von Wirecard erhalten, dass eine neue Shortattacke geplant gewesen sei und dass mit viel Geld versucht wird, die Medienberichterstattung zu beeinflussen."

    Gleichzeitig soll dem Unternehmen angeboten worden sein, gegen Zahlung einer entsprechenden Summe, die Berichterstattung zu verhindern. Dies war auch einer der Gründe dafür, dass die Bafin am 18. Februar erstmals überhaupt ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für Aktien einer einzelnen Gesellschaft ausgesprochen hat. Anleger mussten ungedeckte Positionen eindecken, was zu einem leichten Short Squeeze und damit verbunden steigenden Kursen führte.
    Inzwischen hat die von Wirecard mit einer unabhängigen Untersuchung beauftragte Kanzlei Rajah & Tann Singapore zwar einige kleinere Unregelmäßigkeiten festgestellt, Hinweise auf Scheinumsätze mit verschobenen Geldern ("round-tripping") oder gar Korruption hätten die Prüfer aber nicht gefunden. Der Kapitalmarkt zeigte sich bei einem Kursplus von 25 Prozent erleichtert. Abgeschlossen ist das Thema Wirecard damit aber noch lange nicht. Es bleibt weiterhin spannend – und es stellt sich die Frage, wie mit Leerverkäufen umzugehen ist.
    So sind sind sicherlich die nationalen Aufsichtsbehörden und letztendlich auch die Staatsanwaltschaft und Gerichte gefragt, inwiefern tatsächlich gegen Gesetze verstoßen wurde. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise Straftaten wie Marktmanipulation und Frontrunning. Und sollte es tatsächlich einmal zu massiven Verwerfungen mit ernsthafter Gefahren für die Finanzmärkte und damit möglicherweise auch die Realwirtschaft kommen, bleiben immer noch zeitlich begrenzte und/oder partielle Einschränkungen von Leerverkäufen durch die Bafin. So geschehen etwa im Rahmen der Finanzkrise 2008, als die Aufsicht das Eingehen bzw. Aufstocken von Netto-Leerverkaufspositionen bei verschiedenen deutschen Finanztiteln zunächst für rund drei Monate und anschließend für weitere drei Monate untersagt hat.
    Ein generelles Verbot von Leerverkäufen für Aktien sollte es aus unserer Sicht jedoch nicht geben, da dies ein direkter Eingriff in die Freiheiten und die Funktionalität der Aktienmärkte wäre. Die Preisfindungsfunktion der Bösen wäre beeinträchtigt und die Liquidität würde zurückgehen. Dies hätte wiederum einen Anstieg der Transaktionskosten zur Folge.

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