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     493  0 Kommentare Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau: Geldpolitik in der Zwickmühle

    Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft mit allen Mitteln für eine Inflation knapp unter 2 Prozent. Da die Inflation aber hartnäckig deutlich unter diesem Zielwert bleibt, stellt sich die Frage, ob das Ziel oder die von der EZB eingesetzten Mitteln geändert werden sollten. Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft mit allen Mitteln für eine Inflation nahe 2 Prozent. Doch trotz extrem expansiver Geldpolitik mit Null- und Negativzinsen (Abbildung 1) sowie jahrelangen Anleihekäufen verharrt die Inflation hartnäckig deutlich unter dem Zielwert von mittelfristig "unter, aber nahe 2 Prozent". Wenn die Inflation in den letzten Jahren den Zielwert überhaupt einmal erreichte oder überstieg, lag es vor allem am temporär gestiegenen Ölpreis. Da die Waffen der EZB ihr Ziel seit Jahren konsequent verfehlen, ist zu überlegen, wie die Waffen verbessert werden können. Oder müsste gar das Ziel so verschoben werden, damit die Zentralbank es besser treffen kann? 




    Warum hat die EZB kein Inflationsziel von null Prozent?
    Warum ist für die EZB das Preisniveau bei einer Inflationsrate von "unter, aber nahe zwei Prozent" stabil, und nicht – wie es naheliegend wäre – bei einer Teuerungsrate von null Prozent? Der Grund dafür ist, dass die EZB einen Sicherheitsabstand braucht, damit das Preisniveau nicht fällt.
    Bei Deflation, also fallenden Preisen auf breiter Front, besteht die Gefahr, dass die Verbraucher einen größeren Teil ihres Konsums in die Zukunft verschieben, um von den dann günstigeren Preisen zu profitieren. Die daraus resultierende Nachfrageschwäche kann zu weiter fallenden Preisen und im ungünstigsten Fall zu einer deflationären Abwärtsspirale führen. Es ist zwar umstritten, ob die befürchtete Kaufzurückhaltung in der Praxis tatsächlich eine große Rolle spielt, aber da Zentralbanken die Deflation mehr fürchten als die Inflation, ist schon die Möglichkeit einer Deflation in jedem Fall ernst zu nehmen.



    Die Deflation bringt zudem ein handfestes Problem mit sich: Sinken die Preise, werden Schulden real aufgewertet. Es fällt dann den Schuldnern – ob Privatpersonen, Unternehmen oder Staaten – schwerer, ihre Schulden zurückzuzahlen. Überschuldungen drohen, die wiederum gesamtwirtschaftliche Abwärtsspiralen auslösen können. Zentralbanken streben auch deshalb leicht positive Inflationsraten an. Moderat steigende Preise wirken wie ein Schmiermittel für die Wirtschaft.
    Zudem muss die Geldpolitik unvermeidbaren Ungenauigkeiten bei der Inflationsmessung vorbeugen. Wenn die Statistikämter die tatsächliche Inflation mit dem von ihnen verwendeten Warenkorb nicht präzise erfassen, könnten die tatsächlichen Preise bereits im deflationären Bereich liegen, obwohl die offiziell ermittelte Inflationsrate noch Preisstabilität signalisiert. Um dies zu verhindern, hat die EZB mit ihrem leicht positiven Inflationsziel einen Sicherheitsabstand zur Null-Linie eingebaut.
    Schließlich ist eine Inflationsrate von null Prozent als Zielwert für die EZB ungeeignet, weil sich das Inflationsziel auf den Durchschnitt der Eurozone bezieht. Eine durchschnittliche Inflationsrate von null Prozent impliziert aber, dass in einigen Euro-Teilnehmerländern die Preise steigen, während sie in anderen Ländern sinken.Bei einem Zielwert von null Prozent wären also immer einige Länder der Gefahr einer sich verfestigenden Deflation ausgesetzt. 
    Ist das EZB-Inflationsziel zu hoch?
    Aus den genannten Gründen ist weitgehend unstrittig, dass Zentralbanken ein positives Inflationsziel haben müssen. Gleichwohl ist damit noch nicht gesagt, wie hoch genau das Inflationsziel liegen sollte. Das EZB-Ziel von "unter, aber nahe zwei Prozent" ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Die Inflationsrate in der Eurozone, aber auch in anderen Ländern, verharrt trotz äußerst expansiver Geldpolitik hartnäckig auf niedrigem Niveau. Möglicherweise gibt es also strukturelle Gründe, die höhere Inflationsraten verhindern und die sich dem Zugriff der Zentralbanken weitgehend entziehen. Seit langem gelten die Globalisierung und damit die Integration von Niedriglohnländern in die Produktion als preissenkender Faktor.
    Zudem begrenzt die gesunkene Verhandlungsmacht der Gewerkschaften auch bei guter Konjunktur die lohninduzierte Inflationsgefahr.
    Zwei weitere Faktoren sind nennenswert: Die Digitalisierung und die Demographie. Die Digitalisierung hat die Wettbewerbsintensität in der Wirtschaft erhöht und übt damit Druck auf die Preise aus. Zudem kann die Sorge von Arbeitnehmern, bei zu hohen Lohnforderungen durch Roboter oder Computer ersetzt zu werden, zu moderateren Lohnansprüchen führen. Lohn-Preis-Spiralen, wie sie aus früheren Zeiten bekannt sind, werden dadurch gegebenenfalls im Keim erstickt.
    Insbesondere die Demographie hat einen hohen Erklärungswert: In alternden Gesellschaften ist die Konsumfreude gedämpft, weil das Bedürfnis nach Vorsorgesparen hoch ist. Wer seinen Lebensstandard im Ruhestand halten möchte, ist auf private Vorsorge angewiesen. Der Versuch der Zentralbanken, Sparen weniger attraktiv zu machen und den Konsum mit niedrigen Zinsen anzukurbeln, kann also ins Leere laufen. Denn oft ist es in einer alternden Gesellschaft ja eine bewusste Entscheidung, heute weniger zu konsumieren, um einen Kapitalstock für den Ruhestand aufzubauen. Niedrige oder Nullzinsen können dann sogar kontraproduktiv sein, weil aufgrund des ausbleibenden Zinseszinseffekts noch mehr gespart werden muss, um auf die angestrebte Sparsumme für den Ruhestand zu kommen.
    Für den Sparer bieten sich Investitionen in Sachwerte wie zum Beispiel Immobilien an, um für das Alter vorzusorgen. Wenn also eine expansive Geldpolitik aus den genannten demographischen Gründen nicht zu mehr Konsum, sondern zu mehr Sachwert-Investments führt, steigen eben nicht die Verbraucherpreise wie von der Zentralbank gewünscht, sondern die Vermögenspreise (Immobilien, Aktien) – genau das war in den letzten Jahren in Deutschland und in Europa zu beobachten.
    Wenn nun strukturelle Gründe dafür sorgen, dass die Inflationsrate im Kern eher bei 1,0 bis 1,5 Prozent liegt und die EZB mit ihrem Instrumentarium kaum Aussichten hat, ihren Zielwert von knapp zwei Prozent zu erreichen, wäre es dann nicht sinnvoll, das Inflationsziel entsprechend zu senken? Auch damit würden die oben genannten Kriterien erfüllt, mit denen ein Abgleiten in die Deflation verhindert werden sollen. Als Vorteil käme hinzu: Für die EZB entfiele der Druck, mit allen Mitteln für höhere Inflationsraten kämpfen zu müssen. Allerdings würde sich die Zentralbank damit ein Glaubwürdigkeitsproblem einhandeln.
    Der erste EZB-Präsident Wim Duisenberg sagte einst, man ändere die Spielregeln nicht in der Mitte des Spieles.4 Selbst wenn die EZB zu der Einschätzung käme, ein niedrigeres Inflationsziel von beispielsweise 1,5 Prozent sei künftig sinnvoll, wäre es der Öffentlichkeit nicht glaubwürdig zu vermitteln, nachdem die EZB jahrelang mit mäßigem Erfolg versucht hat, die Inflationsrate wieder Richtung zwei Prozent zu treiben. Der Verdacht des Scheiterns und der willkürlichen Zielanpassung wäre nicht zu vermeiden.
    Strategiewechsel der EZB? Inflationssteuerung versus Preisniveausteuerung
    Der finnische Notenbank-Präsident Olli Rehn, der auch als potentieller Nachfolger von EZB-Präsident Mario Draghi gehandelt wird, hat kürzlich eine andere geldpolitische Strategie für die EZB ins Spiel gebracht, um die Inflationserwartungen der Verbraucher und Marktakteure nach oben zu bewegen. Bei höheren Inflationserwartungen könnten die Verbraucher aus Sorge vor einem bevorstehenden Preisanstieg ihren Konsum vorziehen. Damit könnte es zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung kommen: Wegen höherer Inflationserwartungen steigen die Konsumausgaben, wodurch wiederum die Preise steigen. 
    Tatsächlich haben sich die Inflationserwartungen bei rund eineinhalb Prozent eingependelt. Im Durchschnitt (Median) erwarten die von Bloomberg befragten Analysten für die Eurozone Inflationsraten von 1,4 Prozent (2019), 1,5 Prozent (2020) und 1,7 Prozent (2021). Darüber hinaus liegen die längerfristigen Markterwartungen sogar noch niedriger.
    Die EZB könnte nun einfach ihr Inflationsziel anheben – zum Beispiel auf drei Prozent – und damit signalisieren, dass die Preise künftig stärker steigen sollen. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass ein solcher Schritt erfolgreich wäre. Wie oben erläutert erreicht die EZB schon das Ziel von knapp zwei Prozent nicht – trotz größter Anstrengungen und trotz des regelmäßigen Hinweises, sie verfüge über die nötigen Instrumente, um die Inflation auf das von ihnen gewünschte Niveau zu heben. Warum aber sollte jemand einen schnelleren Anstieg des Preisniveaus erwarten, nur weil die Zentralbank das Inflationsziel, an dem sie sich bereits die Zähne ausbeißt, noch weiter hochschraubt?
    Eine Alternative dazu – worauf Olli Rehn Bezug nimmt – wäre ein geldpolitischer Strategiewechsel, weg von der Inflationssteuerung hin zur Preisniveausteuerung. Bisher versucht die EZB bei einem Unterschreiten oder Überschreiten des Zielwerts lediglich, die Inflation wieder in Richtung des Zielwerts zurückzubewegen (Inflationssteuerung). Sobald dies gelungen ist, ist die Zentralbank wieder im Plan, auch wenn die Preise zuvor über einen längeren Zeitraum zu langsam oder zu schnell gestiegen sind. Die zwischenzeitliche Zielabweichung wird im Nachhinein nicht korrigiert. Sobald es der EZB also gelingt, die Inflationsrate wieder in die Nähe von zwei Prozent zu bringen und dort zu stabilisieren, würden die zu niedrigen Inflationsraten der letzten Jahre zu den Akten gelegt.



    Anders wäre das Vorgehen bei der Preisniveausteuerung. Hierbei müssten die über Jahre zu geringen Inflationsraten dadurch ausgeglichen werden, dass die Inflation über einen gewissen Zeitraum über dem Zielwert liegen, bis die Preise sich wieder dem eigentlich angestrebten Niveau angepasst haben. Durch das Inflationsziel von knapp zwei Prozent pro Jahr wäre also ein Pfad für das Preisniveau vorgezeichnet, auf das die Zentralbank die Preise nach Zielverfehlungen immer wieder zurückführen müsste.
    Die Abbildungen 3 und 4 verdeutlichen den Unterschied. Bei der gegenwärtigen EZB-Strategie der Inflationssteuerung (Abbildung 3) reicht es bei einer überschießenden Inflationsrate in Periode 2 aus, die Inflationsrate in Periode 3 wieder auf den Zielwert zu drücken. Dass sich das Preisniveau durch den Anstieg in Periode 3 stärker als gewünscht nach oben verschoben hat und damit die höheren Preise auch in den nachfolgenden Perioden dauerhaft nachwirken, kann die EZB ignorieren.
    Würde die EZB hingegen zur Preisniveausteuerung übergehen (Abbildung 4), müsste sie den Anstieg der Preise über das Inflationsziel in Periode 2 dadurch ausgleichen, dass sie die Inflationsrate in Periode 3 vorübergehend unter den eigentlich beabsichtigten Zielwert drückt. Somit wäre das Preisniveau am Ende des Betrachtungszeitraums wie gewünscht um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr gestiegen. Dagegen lässt die Inflationssteuerung den temporär stärkeren Preisanstieg zu, wodurch das Preisniveau am Ende des Betrachtungszeitraums höher liegt als ursprünglich angestrebt.
    Für die aktuelle Geldpolitik der EZB würde dies konkret bedeuten: Die in den letzten Jahren zu niedrigen Inflationsraten wären dadurch auszugleichen, dass die Inflation für eine gewisse Zeit über zwei Prozent steigen müsste. Die EZB würde den höheren Preisanstieg bewusst laufen lassen, bis das Preisniveau wieder auf den Pfad zurückgekehrt ist, der durch eine Zielinflation von knapp zwei Prozent vorgezeichnet wurde. Die expansive Geldpolitik der EZB würde in diesem Fall noch deutlich länger fortgesetzt werden müssen als bisher allgemein erwartet wird. 
    Die Strategie der Preisniveausteuerung hätte den Vorteil, dass die Inflationserwartungen steigen würden. Nach der langen Phase zu schwach steigender Preise müsste die EZB noch lange an der äußerst expansiven Geldpolitik festhalten, um auf das eigentlich deutlich höher angestrebte Preisniveau zu gelangen. Allerdings bleibt ein ähnliches Problem wie bei der oben diskutierten Erhöhung des Inflationsziels auf beispielsweise drei Prozent: Wenn schon das Ziel von zwei Prozent trotz größter Anstrengungen nicht erreicht wird, dann wird der Hinweis auf perspektivisch noch höhere Inflationsraten nur bedingt glaubwürdig sein.
    Grundsätzlich ist zu bedenken, dass die Preisniveausteuerung zu mehr Volatilität bei den Inflationsraten und womöglich auch zu stärkeren konjunkturellen Schwankungen führen würde. Zudem weist die Bundesbank auf das Problem hin, dass das Konzept bisher lediglich in Schweden in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt wurde. Somit gibt es kaum praktische Erfahrungen, ob das angestrebte Ziel erreicht wird und wie die Nebenwirkungen einzuschätzen sind.
    Fazit
    Für die EZB wird es weiter ein harter Kampf bleiben, die Inflationsrate dauerhaft auf den Zielwert von "unter, aber nahe 2 Prozent" zu heben. Die Zielinflation deshalb zu senken – was sich ökonomisch durchaus begründen ließe –, ist keine überzeugende Option, weil die EZB damit ihre eigene Glaubwürdigkeit beschädigen würde. Und der Versuch, die Inflationserwartungen nach oben zu treiben – sei es durch eine höhere Zielinflation oder durch die geldpolitische Strategie der Preisniveausteuerung – dürfte scheitern.
    Die EZB wird deshalb wohl ihren Weg in den gewohnten Bahnen fortsetzen und könnte lediglich mit ihrer Kommunikation dazu beitragen, dass die zu niedrigen Inflationsraten von den Marktakteuren und der Öffentlichkeit nicht als Makel empfunden werden. Damit würde sie den auf ihr lastenden Handlungsdruck reduzieren.

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