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     703  0 Kommentare Deutschlands Autobauer: Von unrealistischen Versprechen getrieben

    E-Mobilität, Konjunktursorgen, schärfere CO2-Grenzwerte: Fährt die deutsche Automobilbranche der Zukunft hinterher? Eine Analyse von den Kapitalmarktstrategen Martin Lück und Felix Hermann von BlackRock.Deutschland und Autos. Das gehört einfach zusammen. Kaum eine andere Branche hat eine derart hohe Bedeutung für das Wohl und Wehe einer Volkswirtschaft wie die deutsche Automobilindustrie. Fast eine Million Menschen arbeiten direkt oder indirekt in diesem Wirtschaftszweig. Im Verhältnis zur Zahl der insgesamt Beschäftigten sind das so viele wie in kaum einem anderen Land.
    Direkt in der Automobilbranche Beschäftigte (in 1.000):



    Deutsche Autobauer in der Krise: Wie konnte es so weit kommen?
    Bei der Analyse der Krise der deutschen Autoindustrie sind wir sowohl auf externe als auch hausgemachte Ursachen gestoßen. Zu ersteren gehören etwa Veränderungen im regulatorischen Umfeld, beispielsweise ambitionierte CO2-Vorgaben im Rahmen internationaler Klimaabsprachen. Außerdem sind drohende Handelsrestriktionen exogene Faktoren für deutsche Autohersteller. Beide verändern deren Aktionsspielraum der Unternehmen.
    Strengere Klimaschutzvorgaben
    Ende 2015 wurde bei der Pariser Klimakonferenz für die Europäische Union (EU) eine Rückführung der Treibhausgasemission um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Stand der Jahre 1990 bis 2050 vereinbart. Obwohl diese Vorgabe für deutsche Autos – bis zum Jahr 2020 eine Reduktion der Emission von Treibhausgasen um 10 Prozent gegenüber 1990 – nicht sehr ambitioniert erscheint, dürfte sie nach unserer Einschätzung weit verfehlt werden. So sind 2017 und 2018 die durchschnittlichen CO2-Emissionen wieder angestiegen, wie die nachfolgende Grafik zeigt.
    Durchschnittliche CO₂-Emissionen neu zugelassener Pkw in Deutschland (in g/km):



    Lange galt in Deutschland das Mantra des CO2-freundlichen Dieselmotors. So wurde die Industrie durch staatliche Steuersubventionen der Dieselkraftstoffe dazu verleitet, vor allem in die Entwicklung von Dieselaggregaten zu investieren. Die Erforschung alternativer Technologien wurde dabei vernachlässigt. Doch obwohl ein Diesel-Pkw pro Liter verbrannten Kraftstoffs um 24 Prozent mehr CO2 produziert als ein Fahrzeug mit Benzinmotor, wird Diesel bis heute steuerlich massiv subventioniert.
    Angesichts des schleppenden Fortschritts haben die EU-Staaten im Dezember 2018 eine drastische Verschärfung der Abgasgrenzwerte beschlossen. In den Jahren 2021 bis 2030 müssen Hersteller nun die CO2-Emissionen ihrer Neuwagenflotte um 37,5 Prozent senken. Trotz Übergangsfristen sorgt das neue EU-Ziel offenbar für erheblichen Mehraufwand bei den Herstellern. So erhöhte die Volkswagen AG den bis 2030 geplanten Anteil ihrer Elektro-Flotte auf 40 Prozent und kündigte Investitionen in E-Mobilität in Höhe von 30 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren an.

    Drohende Beschränkung von Autoexporten
    Die deutsche Automobilindustrie ist seit Jahren eine der erfolgreichsten Exportbranchen und damit ein Gewinner des dramatisch gewachsenen Welthandels. Doch die Drohung der US-Regierung, europäische Autoexporte in die Vereinigten Staaten mit Strafzöllen in Höhe von 25 Prozent zu belegen, hat sich zu einer erheblichen Gefahr für den Sektor entwickelt. So stehen Pkw-Exporte in die USA für gut 2 Prozent der Gesamtexporte und für rund 22 Prozent der Lieferungen in die Vereinigten Staaten.
    Würden die Zölle tatsächlich eingeführt, ergäbe sich eine deutliche Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Fahrzeuge im US-Markt. Als Konsequenz würden vermutlich weiterer Produktionsteile in die USA verlagert werden. Das wiederum wäre mit erheblichen Investitionen verbunden. Und zwar genau zu einer Zeit, in der auch die Umstellung auf klimafreundliche Antriebe die Branche vor erhebliche Kosten stellt.
    Autoexporte bestimmen über Wohl und Wehe des deutschen Außenhandels:



    Auch der drohende Ausstieg Großbritanniens aus der EU stellt ein Risiko für deutsche Autobauer dar. 2018 lieferten hiesige Hersteller Fahrzeuge im Wert von rund 22,5 Milliarden Euro über den Ärmelkanal. Das entspricht gut einem Fünftel der dorthin gelieferten Waren. Sollte es zu einem harten Breit kommen und der Handelsstreit zwischen der EU und den USA weiter eskalieren, würden mit diesen beiden Partnerländern rund 21 Prozent der deutschen Autoexporte erheblich unter Druck geraten.
    Dieselskandal und Feinstaubdebatte
    Im September 2015 wurde bekannt, dass Dieselfahrzeuge der Marke Volkswagen (VW) in den USA mit illegaler Steuerungssoftware ausgestattet worden waren, um bei Abgasprüfungen niedrige Werte vorzutäuschen. Seitdem hat die Dieselkrise zu mehreren Managementwechseln im VW-Konzern sowie diversen Konzernmarken geführt. Millionen Fahrzeuge wurden zum Software-Update zurückgerufen. All das hat seinen Preis: Im Februar 2019 taxierte die Konzernleitung die bisher im Rahmen des Dieselskandals angefallenen Gesamtkosten für VW auf rund 28 Milliarden Euro.
    Im Wechselspiel mit dem Betrugsskandal um Dieselabgase hat sich eine Diskussion um deren Gesundheitsschädlichkeit entwickelt. Vor diesem Hintergrund beschloss die EU einen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft in Städten im Jahresmittel und nur 18-mal pro Jahr Belastungen von bis zu 200 Mikrogramm für jeweils eine Stunde.
    Im Februar 2018 machte das Bundesverwaltungsgericht im Fall von Verfehlung der Grenzwerte den Weg für Fahrverbote in Innenstädten frei. Daraufhin haben mehrere Großstädte Einschränkungen für bestimmte Dieselfahrzeuge angekündigt. In Hamburg existiert bereits ein Fahrverbot für bestimmte Straßen. Im Zuge dessen brach der Absatz von Diesel-Pkw ein. 2018 wurden 227.000 Dieselfahrzeuge weniger zugelassen als 2017. Innerhalb nur eines Jahres sank ihr Anteil von 38,8 auf 32,3 Prozent.

    Elektromobilität, autonomes Fahren und Carsharing
    Die größten Herausforderungen, denen sich die deutsche Automobilindustrie bezüglich "Mobilität im Wandel" gegenübersieht, sind unseres Erachtens Elektrofahrzeuge, autonomes Fahren und Carsharing.
    Positiv für deutsche Hersteller dürfte sich die Tatsache auswirken, dass in allen drei beschriebenen Feldern die Umstellung eher langsam verlaufen wird. Das gibt den Konzernen Zeit, sich zu positionieren. Für den zäh verlaufenden Strukturwandel sind jeweils ganz spezifische Nachteile und Startschwierigkeiten verantwortlich.
    So könnte bei Elektrofahrzeugen die bis dato dünne Ladeinfrastruktur von 17.400 Punkten in Deutschland verhindern, dass trotz Subventionierung die angestrebte Zahl von einer Million zugelassenen Elektrofahrzeugen bis Ende 2022 erreicht wird. Vor allem die geringe Anzahl an Schnellladepunkten –  bundesweit derzeit rund 2.100 – beschränkt die Reichweite der Stromautos. Doch genau dieser Punkt ist für rund zwei Drittel der Autofahrer der kritische Faktor beim eventuellen Kauf eines Elektroautos.
    Ein möglicherweise schwerer wiegendes Argument ist unserer Meinung nach die Effizienz der Akkus in Elektroautos. So sind große und damit schwere Batterien nötig, um Elektroautos die von den Verbrauchern geforderte Reichweite von mehr als 300 Kilometern zu verschaffen. Derartige Batterien passen jedoch nur in große Fahrzeuge.
    Noch gravierender als die Batteriegröße erachten wir das bisherige Konzept von Autos, die sowohl in der Stadt als auch über große Distanzen genutzt werden und damit einen großen Vorteil individueller Mobilität bieten. Mit E-Autos nach dem gegenwärtigem Stand der Technik ist diese Zielvorstellung möglicherweise zum Scheitern verurteilt.
    Autonomes Fahren setzt sich in Deutschland langsam durch
    Die Frage, inwieweit autonomes Fahren das Geschäftsmodell deutscher Autohersteller beeinträchtigt, hängt vor allem von der Sicherheit der Fahrroboter ab. Inzwischen ist die Vision vom komplett selbstständig fahrenden Auto realistischeren Versionen gewichen.
    Betrachtet man die übliche Klassifizierung autonomen Fahrens in fünf Stufen mit dem völlig selbstständigen Auto auf Stufe fünf, befinden sich handelsübliche Fahrzeuge auf Level eins und zwei, also auf der Stufe fortgeschrittener Fahrassistenzsysteme. Einige Hersteller ringen mit Level drei, bei dem Fahrzeuge temporär die Kontrolle übernehmen. Schon hierfür ist aber die sensorische Überwachung des Fahrers unabdingbar, an den das Kommando zur Not zurückgegeben werden muss. Allerdings ist der technologische Aufwand für Sensoren, Kameras und Prozessoren immens. So belaufen sich die geschätzten Kosten pro Fahrzeug nach derzeitigem Stand auf rund 50.000 Euro. Aktuell gibt es in Deutschland noch keine gültige Zulassung für Stufe drei.
    Vermutlich setzen sich selbstfahrende Fahrzeuge erst durch, wenn ihre Unfallwahrscheinlichkeit statistisch geringer ist als bei menschengelenkten Autos. Bis dahin dürften allerdings noch einige Jahre vergehen. Das würde der deutschen Automobilindustrie jedoch Zeit verschaffen, sich anzupassen.

    Carsharing-Branche steht vor Herausforderungen
    Nach einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) wird die Zahl der Carsharing-Nutzer in Deutschland bis zum Jahr 2021 auf zwei Millionen anwachsen. Besonders interessant für Kunden ist ein Angebot nach dem Freefloating-Konzept ohne feste Standorte. Dabei werden die Fahrzeuge dort übernommen, wo der Vornutzer sie abgestellt hat. Doch gerade dieses Format stellt die Anbieter vor logistische Herausforderungen.
    Werden Autos in weniger frequentierten Gebieten abgestellt, erhöhen sich die durchschnittlichen Standzeiten. Rabatte für Wagen, die bereits länger ungenutzt stehen, gehen ebenso zulasten der Profitabilität wie Mitarbeiter, die Autos aus Randzonen zu den Hotspots zurückbringen. Erst autonom fahrende Sharing-Autos werden helfen. Doch gerade in den Städten wird völlig selbstständiges Fahren auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Deshalb halten wir die Bedrohung deutscher Automobilhersteller durch Carsharing mittelfristig für überschaubar.
    Carsharing ist in Deutschland langsam auf dem Vormarsch:



    Fazit: Carsharing und autonomes Fahren sind keine Gefahr für Autobauer
    Die Veränderungen der individuellen Mobilität betreffen deutsche Autohersteller in unterschiedlichem Ausmaß. Bei der Entwicklung autonom fahrender Autos sind sie aufgrund staatlicher Förderprogramme im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Die aktuell verfügbaren selbstfahrenden Autos sind jedoch noch nicht praxistauglich.
    Auch im Bereich des Carsharing arbeiten Deutschlands Autobauer zusammen, zum Beispiel BMWs DriveNow und Daimlers Car2Go. Eine Bedrohung des Geschäftsmodells, gerade der Premiumhersteller, können wir aufgrund der eingeschränkten Ausbaufähigkeit des Carssharing-Angebots vorerst nicht erkennen.
    Dramatischer erscheint uns hingegen die Herausforderung des staatlich erwünschten Wandels von Diesel- und Benzinfahrzeugen zu E-Fahrzeugen in kurzer Zeit. Autobauer könnten dadurch im Inland Marktanteile verlieren und verstärkt vom Export abhängig sein.

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