Strategie
Anlagenotstand in der Niedrigzins-Welt: Was bleibt jetzt noch für Zinsjäger übrig?
Für Anleger, die bislang auf als sicher geltende Staatsanleihen wie Bunds oder Treasuries setzten, stellt sich die Frage, welche Anleihen-Investments in der Niedrigzinsphase eigentlich noch Sinn machen. Führende Anlage-Experten geben Antworten.
In den USA und in der Eurozone werden die Zinsen voraussichtlich noch lange niedrig bleiben. Schon im September erwarten Morgan Stanley-Analysten die nächste Zinssenkung in den USA. Ben Carlson, Director of Institutional Asset Management at Ritholtz Wealth Management, wagt sogar die kühne These, dass die USA in den nächsten zehn Jahren in den "Negative Interest Club" aufgenommen werden. Vor diesem Hintergrund fragen sich konservativ anlegende Anleiheinvestoren, welche Strategie doch noch zu einer erfreulichen Rendite führen könnte. Die wallstreet:online-Redaktion hat führende Anlage-Experten um Antworten gebeten.
Ulf Krauss, stellv. Abteilungsdirektor Rentenmarktstrategie der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) weist daraufhin, dass im Niedrigzinsumfeld ein Umdenken nötig wird: "Die Implikationen für den konservativen deutschen Anleger sind weitreichend. Angesicht überwiegend negativer Anleiherenditen lassen sich mit einer Buy-and-hold-Strategie kaum noch Erträge erwirtschaften. Zufriedenstellende Renditen erzielt man nur durch die Inkaufnahme eines höheren Risikos. Ob die Chance-Risiko-Relation dabei noch im grünen Bereich liegt, kann eher von einem Portfoliomanager eingeschätzt werden".
Auch Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, empfiehlt Anleihe-Investoren, sich mit mehr Risiko anzufreunden: "Um hingegen als Buy-and-hold-Anleiheinvestor auf attraktive Renditen zu kommen, muss man im Fall der Euro-Anlage tatsächlich höhere Ausfallrisiken in Kauf nehmen, sei es durch niedrige Bonitäten im Unternehmensanleihebereich oder Sovereign Risks im Staatsanleihebereich, Stichwort Italien. Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Ausfallraten von Anleihen auch aufgrund der expansiven Geldpolitik extrem niedrig sind".
Christoph Rieger, Leiter Zins- und Creditresearch der Commerzbank, weist auf die einzelnen Faktoren hin, die Anleihe-Investoren bei ihrer Risikoanpassung beachten sollten: "Man muss zwischen Credit-Risiken, Durations-, Liquiditäts- sowie Währungsrisiken abwägen". Rieger sieht vor allem Chancen bei langlaufenden US-Staatsanleihen: "Für langfristig orientierte Investoren ist das lange Ende der US-Kurve interessant. Ohne FX-Absicherung könnte man durch den Renditevorsprung in 30-jährigen US Treasuries gegen Bunds etwa eine Dollar-Abwertung auf über zwei gegen dem Euro verkraften".
Auch zehnjährige US-Staatsanleihen böten laut Markus Peters, Senior Investment Strategist Fixed Income bei AllianceBernstein, noch Chancen: "Aufgrund der weiterhin positiven Nominalverzinsung von rund 1,7 Prozent haben zehnjährige US-Staatsanleihen noch den Spielraum, in risikoaversen Marktphasen aufzuwerten, d.h. die Anleihepreise steigen durch die Nachfrage nach sicheren Häfen, woraufhin die laufende Rendite sinkt."
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Trotz Negativ-Renditen gebe es laut Ulrich Stephan Chancen, mit Anleihen Geld zu verdienen: "Der deutsche Staatsanleihemarkt notiert dank Kursgewinnen seit Jahresbeginn mit knapp sieben Prozent im Plus. Das bedeutet aus meiner Sicht, dass man sowohl in positiven als auch in negativen Renditeumfeldern mit Anleihen Geld verdienen kann."
Einen auf den ersten Blick ungewöhnlichen Tipp für Anleihe-Investoren gibt Maximilian Kunkel, Chefanlagestratege für der schweizerischen Großbank UBS: "Anleger können verstärkt auch auf Grüne Anleihen als Alternative zu traditionellen Investment-Grade-Anleihen setzen. Während sich einzelne grüne Anleihen meist so entwickeln wie eine ansonsten identische herkömmliche Anleihe, hat der Markt für grüne Anleihen ein konservativeres Sektor- und Risikoprofil. Dies dürfte gerade bei möglichen steigenden Kreditrisikoprämien zu einer besseren Kursentwicklung führen".
Fazit: Kapitalmarktexperten raten konservativen Bond-Anlegern dazu, ihre Risikobereitschaft zu überdenken. Es wird wohl auf lange Sicht bei niedrigen Zinsen bleiben. "Für Anleiheinvestoren sind das keine guten Nachrichten. Sie müssen in Zukunft ein höheres Risiko in Kauf nehmen, wenn sie weiterhin Renditen wie in der Vergangenheit erwirtschaften möchten. Vor dem Hintergrund, dass auch in Zukunft sehr viel Sparkapital einer nur geringen Investitionsnachfrage von Unternehmen herjagt, können auch in Zukunft keine hohen Zinsen erwartet werden", meint Markus Demary, Senior Economist für Geldpolitik und Finanzmarktökonomik beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).
Autor: Christoph Morisse