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    Alles nach Plan  7807 Türkei senkt Leitzins drastisch: Chance für Schwellenland-Investments?

    Heute trafen sich die türkischen Notenbanker und haben den Zins für einwöchiges Notenbankgeld erneut gesenkt: um 325 Basispunkte - von 19,75 auf 16,5 Prozent. Es ist die zweite Zinsentscheidung unter dem neuen Notenbank-Chef Murat Uysal. Zuvor hatte Erdogan erheblichen Druck ausgeübt: „Ich habe eine Allergie gegen Zinsen“, soll der türkische Präsident laut Medienberichten gesagt haben.

    Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin bei der Helaba, ordnete die jüngsten Tendenzen in Türkei exklusiv für die wallstreet:online-Leser ein: „Die türkische Wirtschaft erholt sich allmählich von dem Währungsschock im August 2018 und dem darauffolgenden schweren Wachstumseinbruch. Jüngste Zahlen des Statistikinstituts der Türkei zeigen, dass die Wirtschaft in Q2 2019 um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft ist. Dieser Rückgang ist ausschließlich auf das zweite Quartal 2018 zurückzuführen. Im Vergleich zum Vorquartal wuchs die Wirtschaft in Q1 und Q2 2019 um 1,6 Prozent bzw. 1,3 Prozent. Auf Jahressicht könnte somit eine Rezession vermieden und sogar ein leicht positives Wirtschaftswachstum erreicht werden“. Für Traud steht fest: „Wichtigster Wachstumstreiber sind die Exporte, vor allem Dienstleistungen (Tourismus). Zwischen Januar und Juli 2019 besuchten circa 25 Millionen Touristen das Land, der höchste jemals gemessene Wert.“

    Über die Inflation und Zinsentwicklung in der Türkei sagte Traud: „Der Rückgang der Inflation um vier Prozentpunkte auf 15,7 Prozent im zweiten Quartal 2019 hat die Zentralbank dazu bewogen, ihren Leitzins („One-week repo auction rate“) um 425 Basispunkte auf 19,75 Prozent zu senken. Mit 15 Prozent fiel die Inflation im August auf ein 15-Monatstief. Dies könnte der Zentralbank das notwendige Argument für eine weitere Leitzinsreduzierung in der Größenordnung von zwei-drei Prozentpunkten geben.“ Und weiter führt die Helaba-Chefvolkswirtin aus: „Dazu kommt, dass die Währung aufgrund der besseren Wirtschaftsdaten seit Anfang Mai aufgewertet hat und selbst von den jüngsten Verwerfungen in Argentinien relativ unbeeindruckt blieb. Für Unsicherheit sorgen immer wieder die Kommentare des türkischen Staatspräsidenten. Er erwartet auf absehbare Zeit Zinsen im einstelligen Bereich.“

    Helaba-Chefvolkswirtin bleibt trotzdem skeptisch

    Trauds Ausblick für die Türkei lautet: „Selbst unter dem von Erdogan neu installierten Zentralbankgouverneur Uysal ist vorerst kein einstelliger Leitzins zu erwarten. Eine zu aggressive Rückführung des hohen Leitzinses könnte die rückläufige Inflationstendenz abbremsen und die Glaubwürdigkeit der Zentralbank gefährden. Das Inflationsziel von fünf Prozent ist im Moment immer noch weit entfernt.“

    Grant Webster, Portfolio Manager im Fixed Income Team bei Investec AM, sieht noch keine einstelligen Zinsen. Webster sagte gegenüber der wallstreet:online-Redaktion: „Die türkische Währung und die Renditen sind nach wie vor hoch, obwohl der Markt bereits einen möglichen Zinssenkungszyklus der türkischen Zentralbank eingepreist hat. Damit lokale Anleihen zu einer echten Investitionsmöglichkeit werden, müssen Regierung und Zentralbank das Vertrauen der Anleger und der eigenen inländischen Einlagengeber wiederherstellen. Auch wenn die Inflation sinkt, führt die Volatilität der Währung und die politische Unsicherheit dazu, dass die inländischen Haushalte in der Türkei vorsichtig sind, ihre Ersparnisse in Lira zu halten. Stattdessen besteht eine starke Tendenz, ihre Ersparnisse in Dollar zu halten.“

    Webster wirft ein weiteres Thema für Anleger in die Runde: „Um diese Tendenz zur Dollarisierung einzudämmen und umzukehren, muss die Zentralbank die Zinsen relativ hoch und deutlich über der Inflation halten. Das ist eine Strategie, die in jüngster Zeit sowohl in Russland als auch in der Ukraine erfolgreich war, wo beide Länder nun die Früchte ihrer glaubwürdigen geldpolitischen Rahmenbedingungen ernten.“

    Über Erdogans Plan, den Leitzins in den einstelligen Bereich zu drücken, sagte Webster: „Wir (glauben) nicht, dass es klug ist, die Zinsen bis in den einstelligen Bereich zu senken, wie von der Regierung angekündigt. Die Dollar-Einlagenzinsen in der Türkei liegen bei rund 3% und die Inflationserwartungen für ein Jahr bei rund zwölf Prozent. Wir gehen daher davon aus, dass die Behörden eine weitere Dollarisierung riskieren werden, wenn sie die Zinsen von derzeit 19,75 Prozent auf deutlich unter 15 Prozent senken.“ Webster abschließend: „Einstellige Zinsen sind in naher Zukunft jedoch unwahrscheinlich.“

    Weitere Klippen für Anleger

    Paul Smillie, Financials Credit Analyst bei Columbia Threadneedle Investments, sagte exklusiv gegenüber wallstreet:online über die Lira: „Die Türkische Lira hat sich von der Phase erhöhter Volatilität Mitte 2018 und im Mai dieses Jahres erholt. Sie bietet aber nach wie vor Anlass zur Sorge, ebenso wie die lokale Wirtschaft.“ Ein Risiko sieht Smilie bei den Banken: „Historisch betrachtet, waren türkische Banken sehr profitabel. Nun allerdings stellen sie eine Quelle der Volatilität dar – angesichts der Herausforderungen, die sich aus dem unsicheren Makroausblick und dem politischen Hintergrund ergeben.“
     
    Laut Dmitri Barinov, Fondsmanager bei Union Investment, müssen sich Anleger bei Türkei-Investments darüber im Klaren sein, dass sie vor allem die hohe Volatilität aushalten müssen: „Um die Reputation der Türkei ist es unter anderem aufgrund der regelmäßigen Angriffe von Präsident Recep Tayyip Erdogan z. B. auf die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht gut bestellt. Auf der anderen Seite hat sich jedoch die wirtschaftliche Lage in den vergangenen Monaten stabilisiert. Das ist eine interessante Konstellation, in der je nach Marktlage die eine oder andere Seite die Überhand gewinnt. Wir bewerten das Verhältnis von erwarteter Rendite zum Risiko (Rendite-Risiko-Profil) bei türkischen Staatsanleihen durchaus als attraktiv, warnen aber auch vor erhöhter Volatilität angesichts der geopolitischen Risiken“, erklärte Barinov gegenüber wallstreet:online.





    wallstreetONLINE Redaktion
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