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    Wechsel, aber kein Neuanfang?  6983  6 Kommentare Berechtigtes Lagarde-Grillen vor Amtsübernahme? Targobank-Chefvolkswirt ordnet Lage im EZB-Turm ein

    Die EZB ist der wichtigste Klebstoff für Europa und die Positionierung der Euro-Zone gegenüber den Supermächten USA und China. Der Targobank-Chefvolkswirt, Otmar Lang, meint: "Man darf gespannt sein, wie Draghis Amtszeit historisch bewertet wird (...). Klar ist auf jeden Fall, dass er den Handlungsspielraum seiner Nachfolgerin maximal eng gestaltet hat." Die wallstreet:online-Redaktion wollte von Otmar Lang mehr über die möglichen Auswirkungen der EZB-Stabübergabe auf die Finanzmärkte und Anleger wissen.

    Vor Mario Draghis Abtritt, der am kommenden Montag zelebriert wird, hatten sich die EZB-Ratsmitglieder zuletzt "in nie dagewesener Deutlichkeit gegen die jüngsten Entscheidungen, insbesondere das neue Anleihekaufprogramm" zu Wort gemeldet, so Otmar Lang. Laut seiner Beobachtung kam die Kritik vor allem aus Ländern, die "gemeinsam 60 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung und rund 52 Prozent der Bevölkerung hinter sich vereinen" und somit lautet sein Ausblick auf die Amtszeit der neuen EZB-Chefin: "Trotz ihrer ausgewiesenen Fähigkeit zur Moderation wird auch Christine Lagarde diesen eisigen Wind zu spüren bekommen." Laut Otmar Lang liege Lagarde "mit Draghi geldpolitisch auf einer Wellenlänge und wird sich daher schwer tun, die Wogen zu glätten."

    Leitzinsen bei minus vier bis minus fünf Prozent?

    Die Autoren Friedrich & Weik vertreten die These, dass die EZB die Leitzinsen nochmals deutlich senken könnten: "Im Zins- und Währungskorsett der EZB werden wir in der Eurozone nie wieder steigende Zinsen erleben. Ganz im Gegenteil, wir prognostizieren Minuszinsen." Und weiter heißt es: "In der Vergangenheit mussten die Zentralbanken die Zinsen um etwa 400 bis 500 Basispunkte (4 bis 5 Prozent) senken, um die Rezession zu stoppen. Negativzinsen im Rahmen von minus 4 bis minus 5 Prozent sind lediglich im Rahmen von massiven Bargeldzahlungs- und Bargeldabhebungsbeschränkungen möglich. Selbst Parallelwährungen und Negativzinsen auf Bargeld sind möglich."

    Ein anderes Szenario macht Otmar Lang auf, denn er sagte, dass unter der Voraussetzung einer Entspannung im Handelskrieg USA-China und beim Brexit sowie einer anziehenden Investitionsbereitschaft bei niedrigen Zinsen und attraktiven Rohstoffpreisen "die Notenbanker spätestens im nächsten Frühjahr wieder einvernehmlich über Zinserhöhungen sprechen" könnten.

    Otmar Lang sagte exklusiv gegenüber der wallstreet:online-Redaktion: "Der Spielraum von negativen Zinsen nach unten ist sehr begrenzt. Der Grund ist einfach: Privaten Anlegern bieten sich bei negativen Renditen schnell viele bessere Investitionsmöglichkeiten."

    Sachwerte - der Schlüssel zum Anlageerfolg?

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    Friedrich & Weik führen über die zukünftige EZB-Politik aus: "Auch ein Goldverbot ist keinesfalls abwegig. Ferner werden wir Kapitalverkehrsbeschränkungen erleben, welche sich heute noch keiner vorstellen kann." Daher meinen die beiden Marktbeobachter, dass Anleger in Sachwerte statt Papierwerte investieren sollten.

    Der Chefvolkswirt der Targobank, Otmar Lang, sagte gegenüber wallstreet:online: "Grundsätzlich gilt: Bargeld im Tresor ist totes Kapital, ähnlich wie ein Investment in Gold. Das heißt aber nicht, dass im Rahmen einer Asset-Allokation der Erwerb von Gold oder das Halten von Bargeld komplett falsch ist. Gerade Gold halten wir als eine Investment of last Resort für sinnvoll. Aber eben nur in Maßen und auch nur als eine Variante, ein Vermögen zu diversifizieren. Der Erwerb von Immobilien ist eine andere und sehr produktive Möglichkeit sein Vermögen zu streuen. Anders als bei Gold darf hier von einer stetigen, positiven Rendite ausgegangen werden, wobei die Ertragserwartung allerdings nicht zu hoch gesteckt werden sollten."

    Wie geht es an den Märkten und bei den Finanzen der EU-Länder weiter?

    Otmar Lang sagte gegenüber wallstreet:online: "Generell sollten ein weites Spektrum von Realinvestitionen in Zukunft immer stärker in Betracht gezogen werden. Wir sind der Überzeugung, dass die Globalisierung, die hohe Vernetzung der Weltwirtschaft und der weiterhin rasante technische Fortschrittes auf der einen Seite und der Demographie-Aspekt auf der anderen, einem signifikanten Anstieg der Renditen noch lange im Weg stehen wird." 

    Über die Zinsentwicklung äußerste Lang: "Für die niedrigen Zinsen ist im besonderen Maß auch das aktuelle Umfeld verantwortlich. Es ist also nicht Draghi, der im Alleingang der Eurozone ein Niedrigzinsumfeld übergestülpt hat. Er hat die Entwicklung zu fallenden Zinsen allerdings maximal zu nutzen gewusst, auch um einen Kollaps des Euros zu verhindern. Da die öffentliche Verschuldung in einigen Euro-Ländern aber trotz Niedrigzinspolitik im Euroraum insgesamt eher weiter steigt, und bei höheren Zinsen bei gleichzeitig mäßigen Wirtschaftswachstum ein Vertrauenskrise in den Euro jederzeit möglich wäre, wird Frau Lagarde die Draghi-Linie konsequent weiter verfolgen. Doch viel Spielraum nach unten haben die Zinsen nicht mehr."

    Die fast letzten Worte von Mario Draghi

    Dirk Steffen, Leiter Kapitalmarktstrategie bei der Deutschen Bank, meint über die Ära-Draghi: "Seine Bilanz kann sich sehen lassen, auch wenn sicher nicht alles auf die Geldpolitik der EZB zurückgeht: kein Zusammenbruch der Eurozone (Draghi 2012: 'Whatever it takes!'), elf Millionen neue Jobs seit 2013 und eine durchschnittliche Inflation von 1,2 Prozent."

    Steffen meint: "Während die erreichte Preisstabilität in Deutschland positiv gewertet wird, überwiegt für viele Ökonomen das 'verfehlte' Inflationsziel von zwei Prozent. Die extrem niedrigen Leitzinsen und das Anleiheankaufprogramm könnten zudem die Risiken für das Finanzsystem erhöht haben."

    Und Folker Hellmeyer, Chefanalyst bei Solvecon, konstatiert: "Mario Draghi verabschiedete sich mit den Worten: 'Das ist Teil unseres Vermächtnisses: Niemals aufgeben!'." Ferner soll Draghi über seine Nachfolgerin gesagt haben: "O-Ton: Sie weiß sehr gut, was zu tun ist." Spannend ist dabei Hellmeyers persönlicher Rückblick:

    "Aus den eigenen Erfahrungen im Dunstkreis des Zentralbanksektors in der Krisenzeit darf ich dazu sagen, dass dieses Statement den Kern trifft. Der persönliche Einsatz, der seinerzeit gefahren wurde, war mehr als nur bemerkenswert. Es wurde ob der Anfechtungen aus London und New York nicht aufgegeben. Die bei einem Scheitern der Eurozone erfolgte Unterordnung unter dritte Länder (primär USA), die ihre strukturellen Hausaufgaben (u.a. Haushalte) nicht gemacht haben, hätte für die dann gegebene Kleinstaaterei Kontinentaleuropas, aber insbesondere für Deutschland (60% der Exporte gehen in die EU) keine gute Zukunft gebracht. Wir stünden nicht ansatzweise da, wo wir derzeit stehen, weder in der Konjunkturlage noch in der Prosperität und der politischen Stabilität (bei aller aktuell fraglos gegebenen, aber überschaubaren Instabilität)."

    Für Hellmeyer ist die EZB-Ausrichtung in den ersten Monaten unter Lagarde klar: "Es bleibt erst einmal bei dem aktuellen Negativzinsniveau und den verfügten Anleihekäufen. Aktionistische Umschwünge in Richtung einer konservativeren Ausrichtung sind nahezu ausgeschlossen."

    Autor: Dr. Carsten Schmidt, Redakteur wallstreet:online.




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