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     597  0 Kommentare Deloitte-Chefökonom Alexander Börsch: Diese Folgen hat der Brexit für die deutsche Wirtschaft

    Im Jahr 2016 haben sich die Briten in einem Referendum mehrheitlich für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel ziehen sich zwar noch hin, doch die deutsche Wirtschaft bekommt die Folgen bereits zu spüren.Der Brexit befindet sich in seiner dritten Verlängerung. Und obwohl er noch nicht vollzogen ist und es kaum zu prognostizieren ist, wann es tatsächlich soweit sein wird, hatten alleine die Verhandlungen und die daraus resultierende Unsicherheit schon sehr einschneidende wirtschaftliche Effekte. Dies gilt nicht nur für das Vereinigte Königreich selbst, sondern auch unmittelbar für die deutsch-englischen Wirtschaftsbeziehungen.
    Die nun schon dreieinhalbjährige Geschichte des Brexit seit dem Referendum wurde von der Furcht vor einem harten Brexit bestimmt. Das harte Brexit-Szenario ist mal mehr, mal weniger wahrscheinlich gewesen, aber immer möglich. Die Fixierung darauf, wie der Brexit am Ende aussehen wird, hat allerdings die aktuellen Auswirkungen der Unsicherheiten überdeckt.
    Diese Auswirkungen entspringen zum einen der Unsicherheit über die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen, die vor allem Investitionsentscheidungen beeinflusst. Zum anderen sind dafür konkret die Wechselkursschwankungen verantwortlich; aus europäischer Sicht liegt der Pfundkurs um rund 15 Prozent niedriger als zur Zeit des Referendums.
    Ein neues Brexit-Briefing von Deloitte zeigt, dass die Brexit-Effekte bereits jetzt vor allem beim Handel erheblich sind. Die Direktinvestitionen wurden dagegen weniger beeinflusst. Starke Effekte gibt es dafür auf einer ganz anderen Ebene: Die Zahl der Einbürgerungen von UK-Bürgern in Deutschland ist sprunghaft gestiegen. Seit dem Referendum haben sich circa 17.000 britische Bürger einbürgern lassen. In den 15 Jahren davor waren es zusammen etwas weniger als 5.000.
    Handel im Sinkflug
    Das Vereinigte Königreich, als zweitgrößtes Land in Europa und fünftgrößte Volkswirtschaft weltweit, war immer ein wichtiger Handelspartner für Deutschland. Die gegenseitigen Exporte haben sich fast lehrbuchmäßig ergänzt. Deutschlands hauptsächliche Exportartikel nach UK sind Autos und Maschinen, umgekehrt kommen vor allem Finanz- und Unternehmensdienstleistungen aus dem Vereinigten Königreich in die Bundesrepublik.
    Diese Arbeitsteilung gerät durch den Brexit-Prozess allerdings unter Druck. Der deutsche Handel mit dem Vereinigten Königreich ist, entgegen dem allgemeinen Trend, seit dem Referendum im Jahr 2016 um 7 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig ist der Handel mit den zehn wichtigsten Handelspartnern um 13 Prozent gestiegen. Der Handel mit Polen, China, Italien ist gar um jeweils 22 Prozent gestiegen. Eine Folge ist, dass der UK nicht mehr auf Platz drei der wichtigsten Handelspartner Deutschlands steht, sondern auf Platz fünf abgerutscht ist.
    Besonders betroffen von diesem Trend sind die Auto- und die Pharmaindustrie sowie Bundesländer, in denen diese Industrien stark vertreten sind. Die Exporte der Autoindustrie nach UK sind um fast ein Viertel eingebrochen. Zum Vergleich: Dieser Rückgang entspricht den jährlichen Autoexporten nach Japan. In der Pharmaindustrie schlägt das mit einem Rückgang von 41 Prozent zu Buche. Bei einer Betrachtung der Bundesländer zeigt sich, dass Bayern und Baden-Württemberg als Sitz vieler Export-Unternehmen am meisten unter dem Rückgang leiden.
    Unter den Chancen des Brexit für den Standort Deutschland wurden in Umfragen immer wieder Verlagerungen nach Deutschland beziehungsweise Direktinvestitionen aus dem UK genannt. Im letzten Brexit Survey von Deloitte erwartete beispielsweise jedes zweite Unternehmen (49 Prozent), dass der Standort Deutschland durch Verlagerungen aus dem UK nach Deutschland profitieren könnte.
    Dieser Effekt zeigt sich bisher noch nicht. Die Direktinvestitionen aus dem UK sind zwar gestiegen, aber ungefähr im Trend der Direktinvestitionen anderer Ländern. UK-Investitionen verzeichnen seit dem Referendum im Jahr 2016 zwar einen Anstieg von 14 Prozent, etwas mehr als der Durchschnitt, aber der Anstieg ist geringer als bei Direktinvestitionen aus den USA und China. Auch sind die Direktinvestitionen aus dem UK in den drei Jahren davor ungefähr mit der gleichen Rate gestiegen.
    Die große Welle der Verlagerungen ist also noch nicht sichtbar. Allerdings betrifft dies nur Investitionen von Firmen mit Sitz im Vereinigten Königreich. Insgesamt sind die Direktinvestitionen nach Deutschland besonders im Finanzsektor stark gestiegen. Dies kann darauf hindeuten, dass sich vor allem Firmen, die nicht ursprünglich aus dem UK kommen, verlagern. US-Banken, die ihre Dependancen und Operationen von London nach Frankfurt verlagern, sind ein Beispiel hierfür.
    Brexit-Abkommen: Nicht die letzte Deadline
    Auch wenn viele Menschen verständlicherweise hoffen, dass mit dem möglichen Zustandekommen des Austrittsvertrages der Brexit nach der nächsten Deadline Geschichte ist – es wird so nicht kommen. Wenn der Austrittsvertrag im britischen Parlament verabschiedet werden sollte, steht damit erstmal nur die ursprünglich zweijährige Übergangsphase fest, in der sich nichts ändert. Während der Übergangsphase sollen dann die künftigen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen verhandelt werden. Insofern steht der Hauptteil der Brexit-Verhandlungen erst noch bevor.
    Allerdings ist die Zeit mehr als knapp. Das 2017 ratifizierte Handelsabkommen mit Kanada wurde sieben Jahre lang verhandelt. Die Übergangsfrist nach dem Brexit ist jedoch sehr viel kürzer. Durch die Verschiebungen des Austritts ist sie zusammengeschmolzen und läuft schon Ende nächsten Jahres aus. Die Übergangsphase kann verlängert werden, aber dies muss Mitte 2020 beantragt werden. Ob sich dafür Mehrheiten finden, ist nach den Erfahrungen dieses Jahres zumindest fraglich.
    Deswegen ist auch ein harter Brexit immer noch nicht vom Tisch, selbst wenn das Austrittsabkommen im britischen Parlament verabschiedet wird. Er ist auch nächstes Jahr möglich. Unternehmen müssen sich nach wie vor mit allen Brexit-Szenarien und strategischen Optionen beschäftigen, um angemessen reagieren zu können.

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