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    Wo bleibt die Zinswende?

    Viele von Euch werden sich noch an mein „Match“ mit Daniel Bernecker aus dem vergangenen Herbst erinnern. Darin ging es um unsere unterschiedlichen Auffassungen zum Zustand unseres Geld- und Finanzsystems im Allgemeinen und um die von Daniel Bernecker damals verkündete “Zinswende“ nach oben. (Zum letzten Ballwechsel dieses Matches geht es hier.)

    Vor Kurzem hat mich eine Bemerkung Berneckers in seinem „Actien-Blatt“ zu einer kurzen E-Mail an ihn veranlasst, aus der sich ein neuerlicher Ballwechsel ergab. Mit seinem Einverständnis darf ich diesen hier dokumentieren:

    Von: Brichta
    Datum: 16. März 2020 um 17:08:51 MEZ
    An: Daniel Bernecker
    Betreff: Ihre Bemerkung

    Hallo Herr Bernecker,

    mit einem Schmunzeln habe ich diese Sätze von Ihnen gelesen:

    „Die Notenbanken werden also sofort neue Liquidität für Repo-Geschäfte zur Verfügung stellen, den Banken Kredite anbieten und auch im Markt vor allem Anleihen kaufen, wobei ich auch Aktienkäufe für wahrscheinlich halte. Das zu kritisieren wäre nun falsch, auch wenn es ganz viele Grundsätze verletzen würde.“

    Das erinnert mich sehr an meine Argumentation in unserer Diskussion im vergangenen Herbst. Willkommen in der Gegenwart

    Ganz herzlicher Gruß und bleiben Sie gesund!
    Raimund Brichta

    Von: Daniel Bernecker
    Datum: 17. März 2020 um 08:50:28 MEZ
    An: Brichta
    Betreff: Ihre Bemerkung

    Guten Morgen Herr Brichta,

    Die Zinswende vollzieht sich gerade vor Ihren Augen. Schauen sie sich mal die Renditen der europäischen Staatsanleihen inkl. Deutschland an. Alle lieferten den perfekten „Double Top“. Madame Lagardère hat genau da letzte Woche versagt wo Sie meinten daß die Notenbanken immer den Markt stabilisieren könnten. Die 10 jährigen Spekulation auf fallende Zinsen ist jedenfalls ausgelaufen. Die Notenbanken werden die Anleihemärkte zwar liquide halten, wobei selbst der Fed nur mühsam gelingt, aber nicht mehr die Kurse bzw. die Renditen bestimmen. Der Wechsel der Führungsrolle von monetären Impulsen hin zu fiskalischen bedeuten deutlich steigende Zinsen am langen Ende. Bei den schwachen Bonitäten ist das schon angekommen. Nun über trägt sich dies auf die stärkeren. Anleihemärkte sind erst träge dann aber im Trend ganz konsequent.

    Gruß
    Daniel Bernecker

    Von: Brichta
    Datum: 17. März 2020 um 17:50:06 MEZ
    An: Daniel Bernecker
    Betreff: Aw: Ihre Bemerkung

    Hallo Herr Bernecker,

    Ich hätte wetten können, dass Sie in Ihrer Antwort sinngemäß schreiben, dass alles so läuft, wie Sie schon im Herbst vorhergesagt haben

    Dabei hatte ich in meiner Mail an Sie gar nicht auf die aktuelle Zinsentwicklung angespielt. Ich bezog mich lediglich auf meine langfristige Prognose vom Herbst, der Sie sich mit Ihrem von mir zitierten Kommentar nun anzuschließen scheinen: Ich meine die Prognose, dass die Notenbankbilanzsummen im Trend der nächsten Jahre weiter stark wachsen werden und dass sukzessive auch weitere Geldkanonen dazu kommen werden. Als eine dieser Kanonen nannte ich damals den Kauf von Aktien-ETFs durch westliche Notenbanken nach japanischen Vorbild, den nun auch Sie ankündigen und im Vorhinein „rechtfertigen“ nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel.

    Ich brauche diese Maßnahmen nicht zu rechtfertigen, weil sie von Vornherein langfristig absehbar waren und ich mich einer Wertung komplett enthalte. Es wird ganz einfach kommen, was kommen muss.

    Bestätigt wird derzeit auch meine Analyse vom Herbst, dass das Finanzsystem nur noch durch Stützungen der Notenbanken am Leben gehalten werden kann. Das Aufblähen der Notenbankbilanzsummen ist ein wesentliches Element dieser Medizin. Ohne dieses Aufblähen – oder gar mit einer versuchten Rückführung der Bilanzsumme á la Yellen/Powell im Jahr 2018 (damals „Normalisierung“ genannt ) – würden die Notenbanken dem System jene Stützpfeiler entziehen, die es mittlerweile braucht.

    Über die ZINSEN wollten wir ja eigentlich erst nach einem Jahr wieder diskutieren. Wir wollten den Märkten Zeit geben, sich zu entwickeln. Aber da Sie das Thema nun – nach nicht einmal einem halben Jahr – wieder ansprechen, gehe ich auch darauf gerne ein:

    Die US-Renditen als der für mich maßgebliche Indikator haben sich seit unserer Diskussion in etwa halbiert, sind also um 50% gefallen. (Gerade Sie legten am Ende unserer Diskussion ja großen Wert auf diese RELATIVE Betrachtung.) Das heißt, sie müssen jetzt um 100% steigen, um überhaupt erst wieder den Wert zu erreichen, den sie zur Zeit unserer Diskussion hatten. Und das, obwohl Sie im Herbst schon von einer „Wende nach oben“ sprachen – vom damaligen Niveau ausgesehen!

    Passiert ist inzwischen dagegen Folgendes: Auch die US-Renditen haben sich dem allgemeinen Zinstrend nach unten angepasst. Und ja, bevor Sie es jetzt wieder schreiben: Die Renditen können sich von diesem Zinscrash nun auch wieder mal kräftig nach oben erholen. Das ist eine vollkommen normale Marktreaktion, die sogar erwartbar ist.

    Aber zuerst müssen sich die Zinsen – relativ gesehen – VERDOPPELN, um überhaupt erst wieder die Ausgangslage Ihres Zinswendeszenarios vom Herbst zu erreichen. Eine solche Verdoppelung ist durchaus machbar, aber danach hätten wir – wie gesagt – erst wieder unser Ausgangsniveau vom Herbst erreicht. Das wäre erst wieder „Gleichstand“ – von einer „Wende“ (vom damaligen Niveau aus gesehen) könnte man dann immer noch nicht sprechen.

    In Deutschland ist die Situation ähnlich, wenn auch aufgrund der anderen Ausgangslage differenzierter zu betrachten: Die 10-Jahresrendite für Bundesanleihen fiel von etwa minus 0,2 Prozent im Herbst auf minus 0,8 Prozent im jüngsten Crash. Das war – relativ betrachtet – sogar ein Rückgang um 300% (!) (verglichen mit 50% in den USA), wobei ich weiß, dass die relative Betrachtung im Bereich von Minuszinsen problematisch ist. Sie zeigt aber auch hier die Dramatik der Entwicklung.

    Inzwischen hat sich die Rendite hierzulande zwar wieder auf minus 0,4 Prozent erholt, aber auch damit liegt sie noch unter unserem damaligen Ausgangsniveau von minus 0,2 Prozent.

    Und in beiden Fällen gilt (D und USA): Die Renditetiefs im jüngsten Crash lagen UNTER den Tiefs vom vergangenen September, die Sie damals als „Wendepunkte“ interpretiert hatten. Als Kenner von Charts wissen Sie vermutlich, was niedrigere Tiefs bedeuten: Sie bestätigen einen Abwärtstrend, statt ihn zu beenden. Sie sind auf keinen Fall ein Signal für eine Zinswende.

    Wie gesagt: Ich wollte das Zinsthema jetzt noch gar nicht wieder aufs Tapet bringen. Aber mit Ihrer Antwort haben Sie mir eine Steilvorlage geliefert, die ich schnell im Tor unterbringen musste

    Aber trösten Sie sich: Das Spiel geht weiter, und vielleicht schießen Sie demnächst das nächste Tor …

    Herzlicher Gruß
    Raimund Brichta


    Weiterlesen auf: https://wahre-werte-depot.de/wo-bleibt-die-zinswende/


    Raimund Brichta
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    Raimund Brichta moderiert im Nachrichtensender n-tv seit Anfang der 90er-Jahre die TELE-BÖRSE, die älteste und populärste TV-Börsensendung Deutschlands. Außerdem ist der Diplom-Volkswirt als freier Wirtschafts- und Finanzjournalist tätig. Er hat sich nicht nur als Moderator und Börsenreporter, sondern auch als Gastredner und Autor einen Namen gemacht. Sein Fachbuch "Die Wahrheit über Geld"* (www.diewahrheituebergeld.de) ist im Börsenbuchverlag erschienen. Er ist redaktioneller Leiter der Anlegerseite wahre-werte-depot.de sowie Autor, Moderator und Co-Produzent einer erfolgreichen Video-Edition für Privatanleger. Brichta ist Träger des State-Street-Preises für Finanzjournalisten des Jahres 2008.
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    Verfasst von Raimund Brichta
    Wo bleibt die Zinswende? Viele von Euch werden sich noch an mein „Match“ mit Daniel Bernecker aus dem vergangenen Herbst erinnern. Darin ging es um unsere unterschiedlichen Auffassungen zum Zustand unseres Geld- und Finanzsystems im Allgemeinen und um die von Daniel …