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    Marktkommentar  200  0 Kommentare Bruno Cavalier (Oddo BHF): Gift und Gegenmittel

    Mittlerweile ist bei den geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen in Summe eine kritische Masse von beeindruckender Dimension erreicht.

    02.04.2020 - Virus ist ein Begriff aus dem Lateinischen und bedeutet Gift ... und in der Tat beobachten wir eine „Vergiftung“ der globalen Konjunktur.

    In den vergangenen rund drei Wochen wurden in den europäischen Ländern und den USA entweder landesweit oder zumindest großflächig Ausgangsbeschränkungen bzw. -sperren verhängt, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen und die Krankenhauskapazitäten zu schonen. Reise- und sonstige Aktivitäten werden auf das absolut notwendige Maß beschränkt – wir erleben also ein Herunterfahren der gesamten Wirtschaft bzw. großer Teile davon.

    Erste Einschätzungen geben schon einen Vorgeschmack auf die mit dieser Politik verbundenen Kosten – und die sind beträchtlich. Nach ersten Schätzungen des IWF, der OECD und der Statistikämter in Frankreich und Deutschland haben unsere Volkswirtschaften heute 25 bis 35 % gegenüber dem Niveau vor dem Schock eingebüßt. Noch nie zuvor hat es eine derart massive Verwerfung in so kurzer Zeit gegeben! Mit jeder weiteren Woche der Ausgangsbeschränkungen verringert sich das BIP um mindestens einen halben Prozentpunkt. In Europa und den USA wird – als optimistischste Annahme – von einer mindestens sechswöchigen Ausgangssperre ausgegangen. Sollte die Epidemie in diesem Zeitraum ihren Höhepunkt erreichen, kann eine Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen ins Auge gefasst werden, aber auch dies wird einige Wochen dauern. Eine Rückkehr zur Normalität ist wohl frühestens zum Sommerbeginn vorstellbar. Ausgehend von diesen Annahmen würde dieser Schock in den Industrieländern rund 5-7 Punkte an BIP-Wachstum kosten. Dies sind durchaus vertretbare Hypothesen. Die Alternative wären länger andauernde Ausgangsbeschränkungen und eine langwierigere Rückkehr zu einem normalen Leben. In dem Fall könnten sich die Kosten verdoppeln. 

    Eine tiefe Rezession ist unausweichlich. In gewisser Weise ist sie jedoch auch Teil der Therapie für die Gesundheitskrise. Unbedingt zu vermeiden ist jedoch, dass ein vorübergehender Schock zu dauerhaften Schäden führt. Die einzig sinnvollen Maßnahmen sind, Einkommensverluste der privaten Haushalte auszugleichen, die Produktionskapazitäten aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass es weder der Realwirtschaft noch den Banken oder den Märkten an Liquidität fehlt. Dies ist leichter gesagt als getan. Die Wirtschaftspolitik hat hier anfangs vielleicht zu unschlüssig reagiert. Mittlerweile jedoch ist bei den geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen in Summe eine kritische Masse von beeindruckender Dimension erreicht. 

    Kurzfristig geht es weniger darum, die Nachfrage anzukurbeln (dies macht kaum Sinn, solange das Angebot begrenzt ist). Vielmehr gilt es, den Verlust an Produktionspotenzial so weit wie möglich zu begrenzen. Deshalb zielen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen in den meisten Ländern darauf ab, Kurzarbeit zu fördern, um betriebsbedingte Kündigungen abzuwenden, die Unternehmen auf der Kostenseite (Steuern, Mieten, Kredite) zu entlasten, um Insolvenzen entgegenzuwirken, und vor allem eine Kreditklemme zu vermeiden. Die Bereitstellung von Liquidität in ausreichender Menge wird in dieser Rezession den Unterschied ausmachen. Mittlerweile besteht kein Zweifel, dass diese schwerwiegend sein wird. Dies ist aber noch lange kein Grund, uns damit abzufinden, dass es auch eine lange Rezession sein wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht am Gegenmittel sparen und es schnell verabreichen. Dies ist eine der Lehren aus der Finanzkrise von 2008. Es hilft nichts, über imaginäre Gefahren zu spekulieren (zum Beispiel das Inflationsrisiko durch die Ausweitung der Zentralbankbilanzen). 

    Besser ist, sich in der wirtschaftspolitischen Reaktion nicht von dem Risiko ökonomischer Fehlanreize („Moral Hazard“) ausbremsen zu lassen. Es mag zwar Einzelfälle geben, in denen die öffentlichen Hilfen zu Unrecht in Anspruch genommen werden, aber das ist derzeit nicht das zentrale Problem. Der Coronavirus-Schock wird Europa auf eine harte Probe stellen und die Wunden der Staatsschuldenkrise von 2010-2015 wieder aufreißen. Damals hatten einige „tugendhafte“ Länder die Krise der „laxen“ Länder mit Schadenfreude verfolgt und darin die Strafe für deren Exzesse betrachtet. Nun sind wieder ähnliche Aussagen zu hören. Dieses Mal aber ist der Schock äußeren Ursprungs und fordert von allen Ländern Tribut. 

    Im Prinzip ist es sinnvoll, die Unterstützungs-maßnahmen in der Coronavirus-Krise (die gleichermaßen berühmten wie umstrittenen "Coronabonds") gemeinsam zu finanzieren und – selbstredend – auch die Ausgaben gemeinsam zu steuern. Zugegebenermaßen sind die politischen Hürden hierfür hoch und schwer zu überwinden. Kurzfristig ist keine Zersplitterung der Eurozone zu befürchten, da die EZB dafür sorgt, dass sich alle Länder zu sehr günstigen Bedingungen finanzieren können. Langfristig sieht dies schon anders aus, und alles ist denkbar. Es besteht die Gefahr, dass diese Krise die europafeindliche Stimmung weiter schürt. Großbritannien und sein Brexit sind ein warnendes Beispiel dafür, dass am Ende eine Scheidung anstehen kann.




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