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    "Düstere Zukunft eingepreist"  59718  0 Kommentare Rohstoff-Experte Marti: "Nach dem Preis- droht ein Angebotsschock mit einer stark anziehenden Inflation"

    Urs Marti, Rohstoffspezialist und Direktor bei der Schweizer SIA Funds AG, zeichnet im Interview mit unseren Smart Investor-Kollegen ein deprimierendes Bild der Folgen der Corona-Krise auf die Weltwirtschaft.

    Smart Investor: Herr Marti, wie steht es in Zeiten des globalen Corona-Shutdowns um die Rohstoffindustrie?

    Marti: Nun, wenn ich in den Bildschirm schaue, dann steht es schlecht. Allerdings
    ist die Rohstoffindustrie nicht irgendeine Branche, sondern die Basis unseres gesamten Lebens – Energie, Nahrungsmittel, Produkte. Aktuell wird das Wirtschaftsleben an vielen Orten des Planeten per Knopfdruck gestoppt. Bei den Rohstoffen sehen wir da nur die Folgewirkung, weil vieles zum Stillstand gekommen ist.

    Nun rächt sich, dass unser optimiertes und hochgehebeltes Wirtschaftssystem praktisch keine „Puffer“ hat. Selbst scheinbar solide Unternehmen können in diesem Szenario schnell in eine existenzbedrohende Schieflage geraten. Oder sehen Sie sich die Staatsfinanzen an: Die Defizite werden explodieren. In vielen Ländern ist die Mehrwertsteuer die Haupteinnahmequelle. Es ist für mich schwer, nachzuvollziehen, warum es aus der Wirtschaft keine kritischen Stimmen zu den drastischen Maßnahmen gibt, zumal von dort regelmäßig großer Einfluss auf die Politik ausgeübt wird.

    Smart Investor: Wie interpretieren Sie diese Schockstarre der Wirtschaft?

    Marti: Es wird ja schon länger gefordert, dass der Staat einen Schritt weiter gehen müsse, weil die Möglichkeiten der Geldpolitik erschöpft sind und entsprechend deren Rolle vermehrt von der Fiskalpolitik übernommen werden soll. Mit dieser Krise dürften nun alle noch existierenden Widerstände gebrochen werden. Analog zur Aufblähung der Notenbankbilanzen durch das Quantitative Easing werden auch die kommenden Fiskaldefizite nicht temporärer Natur sein, sondern das neue „Normal“.

    Die sinkenden Zinsen und die Asset-Price-Inflation hatten den Gutsituierten geholfen. Diese Effekte sind nun aber erschöpft. Dagegen schaffen staatliche Investitionen in Infrastruktur, Verteidigung, Sozialleistungen, Umweltschutz etc. Arbeitsplätze sowie Nachfrage nach Konsum- und Kapitalgütern.



    Smart Investor: Nun sind wir keine Freunde einer solchen „New-Deal-Politik“, aber angenommen, es ginge in diese Richtung – was würde das für die Rohstoffunternehmen bedeuten?

    Marti: Ich denke, dass der Spuk zu Beginn des Sommers wohl weltweit abflauen wird. Vor dem Hintergrund der fiskalischen und monetären Maßnahmen wird sich dann die Nachfrage langsam normalisieren. Dazu kommt, dass die bilanzielle Situation der Rohstoffunternehmen heute besser ist als noch 2015. Das ist wichtig, weil der Kapitalmarkt für lange Zeit verstopft bleiben wird und die Unternehmen von den eigenen Cashflows leben müssen.

    Smart Investor: Kommen wir einmal zu den Rohstoffen. Was sind die Auswirkungen der Krise?

    Marti: Die Krise wird das Vertrauen in unsere Währungen markant schwächen. Insbesondere die großen Handelsbilanzüberschuss-/Devisenreserveländer (China, Indien, Russland etc.) werden verstärkt versuchen, noch weiter in Gold zu diversifizieren. Unabhängig davon wird seit Jahren viel zu wenig im Rohstoffbereich investiert, was die Verfügbarkeit vieler Rohstoffe in den kommenden zehn Jahren einschränken wird. Ausnahmen gibt es lediglich bei einigen Batteriemetallen. Aber die weltweiten Verkäufe von Elektrofahrzeugen wuchsen schon letztes Jahr nur noch um 2%. Ein Boom sieht anders aus. Man mag es mögen oder nicht, unsere Welt läuft nun einmal auf Kohlenstoff; 70% der Stromproduktion basiert darauf. Rohöl ist die Basis sämtlicher Kunststoffe und des gesamten Transports von Gütern und Personen. Stickstoffdünger besteht zu 70% aus Naturgas.

    Smart Investor: Dennoch gibt es einen klaren politischen Willen zur Abkehr von Öl und Kohle.

    Marti: Deutschland ist nicht gleichbedeutend mit der Welt. Es ist halt schlichtweg utopisch. Die Ölindustrie ist nun einmal die größte Branche der Welt, auf die ca. 5% des globalen Bruttosozialprodukts und etwa 1.000 Mrd. USD an jährlichen Kapitalinvestitionen entfallen. Ohne diese Investitionen würde sich der Bergbau, zu dem technisch auch die Ölförderung gehört, um jährlich 3% bis 5% der jeweils vorhandenen Produktion erschöpfen. Noch immer sind 85% der weltweiten Ölproduktion konventionell – aber die wächst schon seit Jahren nicht mehr. Aufgrund der seit 2011 gefallenen Investitionen dürfte diese Produktion in der Zukunft sogar sinken.

    Smart Investor: Dafür wuchs die US-Schieferölproduktion, also das durch Fracking gewonnene „Shale Oil“, umso stärker!

    Marti: Richtig, der Anteil beläuft sich auf 9% der Weltproduktion. Allerdings erschöpft sich hier die Förderung aus technischen Gründen sogar mit einer atemberaubenden Rate von ca. 30% pro Jahr. Faktisch muss die US-Schieferölindustrie also alle drei Jahre ihre Assets ersetzen. Damit gehören die Investitionen eigentlich zu den operativen Kosten. Bei ehrlicher Rechnung wurde in diesem Bereich noch nie Geld verdient. Auch diese Blase wurde allein durch billiges Geld genährt. Die Unternehmen haben riesige Schulden. Zuletzt hatten wir übrigens vor vier Jahren einen vergleichbaren Preiseinbruch, und da bekommt immer zuerst der marginale Produzent ein Problem.



    Smart Investor: Also die US-Schieferölindustrie?

    Marti: Sehen Sie, Russland und Saudi-Arabien haben die mit Abstand tiefsten Produktionskosten für konventionelles Onshore-Öl. Daher gibt es zwischen beiden auch einen Gleichklang der Interessen, in dieser Situation den marginalen Produzenten USA nachhaltig zu schwächen. Der Quotenstreit beider Länder wirkt inszeniert. Es genügte dann die bloße Ankündigung einer Fördermengenerhöhung um 20% durch Saudi-Arabien, um den Markt auf Talfahrt zu schicken. Dabei gerät die langfristige Perspektive aus dem Fokus: Tatsächlich wird die Weltproduktion nämlich künftig Jahr für Jahr um 3% bis 4% sinken. Sollte sich die Weltwirtschaft normalisieren, wird dem aktuellen Preisschock ein Angebotsschock mit Engpässen und einer stark anziehenden Inflation folgen.

    Smart Investor: Ist die Situation bei Metallen wie Kupfer vergleichbar?

    Marti: Auch für Kupfer ist die Weltkonjunktur entscheidend, das Szenario ist dem Ölszenario also gar nicht unähnlich. Das weltweit umsatzstärkste Produkt des klassischen Bergbaus ist übrigens Kohle, die nicht an einer Börse gehandelt wird. Das umsatzstärkste Produkt der Minenindustrie ist Eisenerz – ebenfalls nicht börsennotiert. Die Preise hier halten sich überdies erstaunlich stabil. Eigentlich könnte man annehmen, dass die Preise dieser Ausgangsprodukte für die Stahlproduktion zusammenbrechen, aber dies ist zumindest bis jetzt noch nicht der Fall. Und obwohl die großen Minengesellschaften hier aktuell große Cashflows erwirtschaften, sind die Aktienkurse kollabiert. Auch hier wird also erst einmal eine düstere Zukunft eingepreist.

    Smart Investor: Immerhin gibt es im Bergbau keine „Shale-Blase“. Sollte das nicht die Preisentwicklung unterstützen?

    Marti: Richtig, Metalle sind derzeit vergleichsweise knappere und damit wertvollere Produkte. Die Produktion ist auf wenige Länder bzw. Anbieter konzentriert. 60% des Nickels kommen von zwei Unternehmen: Vale und Norilsk. Nur wenige bieten wie Glencore und Teck Resources Zinkkonzentrat an. Die Platingruppenmetalle kommen salopp gesagt sogar nur aus zwei Orten – Russland (Norilsk) und dem Bushveld-Komplex in Rustenburg.

    Da bei etlichen Metallen seit 2015 weniger produziert als konsumiert wird, sind die Lagerbestände teils deutlich geschrumpft: von 90 Tagesbedarfen auf 15 bei Nickel, von 30 auf zehn Tage bei Kupfer und von 50 auf drei bei Zink. Eventuell wird der realwirtschaftliche Einfluss von Corona in einigen bedeutenden Weltregionen letztlich doch nicht so groß sein. Derzeit scheint Indien kaum betroffen, oder aber man weiß es einfach nicht besser. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem der drei großen Bauxitproduzenten in Australien.

    Über 60% der globalen Produktionskapazität für Aluminium befinden sich in China, und die Verschiffung von Bauxit scheint bislang nicht betroffen zu sein. China ist riesengroß, und die Bilder aus Wuhan sind wahrscheinlich nicht repräsentativ für das ganze Land bzw. für Asien. Aber auch genau andersherum kann man Befürchtungen haben: Was würde passieren, falls Australien seine Wirtschaft unter Quarantäne stellt? Dann hätten wir bald Engpässe in der Stahl-, Aluminium und Kohleproduktion inkl. aller Folgewirkungen wie beispielsweise Black-outs. Die Auswirkungen dieser Krise werden uns noch länger beschäftigen, als heute allgemein angenommen wird.

    Smart Investor: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

    Die Fragen stellte Ralf Flierl, Smart Investor

    Kurzvita von Urs Marti (Titelfoto):
    Er wurde in Zürich geboren. Bis 2003 arbeitete er u.a. für die UBS und die CSFB, danach verantwortete er bei Zulauf Asset Management einen Rohstofffonds. Nach 2008 führte er das Management dieses Fonds als Partner einer Assetmanagementfirma weiter. Während dieses Zeitraums managte er auch einen Uranfonds. 2012 gründete er ein Unternehmen, das direkt in Rohstoffe und den Agrarsektor investiert. Marti verantwortet den Long Term Investment Fund Natural Resources (WKN: A0ML6C) mit einem Fokus auf Öl-, Industriemetall- und Agrarunternehmen.

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    (Dieser Artikel aus der Smart Investor-Ausgabe 04/20 bezieht sich auf Daten, die bis zum 20.03.2020 erfasst wurden.)



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    Verfasst vonNicolas Ebert
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