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    Schmierstoff der Weltwirtschaft  13654  0 Kommentare "Peak Everything" – Wie Corona das Ende des Ölzeitalters einläutet

    Die Corona-Pandemie hat den Ölmarkt in schwere Turbulenzen gestürzt. Vor allem in den USA wurde in den letzten Jahren stark in Fracking investiert - ein Geschäft, das mittlerweile hochgradig unprofitabel geworden ist. Di

    Billige, im Überfluss vorhandene Energie ist der Schmierstoff der Weltwirtschaft. Nach 100 Jahren kontinuierlich steigender Förderung geht das Ölzeitalter unwiderruflich seinem Ende entgegen – auch wenn es aktuell keine Anzeichen dafür gibt. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie dürfte die weltweite Nachfrage von fast 100 Millionen auf unter 80 Millionen Barrel pro Tag kollabiert sein; der Preis ist damit auf ein Niveau abgestürzt, auf dem nur noch wenige Ölförderer Geld verdienen. Investitionen werden gestrichen, amerikanische Frackingunternehmen stehen vor der Pleite – „ideale“ Voraussetzungen für die nächste Ölkrise, wenn sich die Nachfrage normalisiert.

    Wir sind nahe dem „Peak“, dem Scheitelpunkt, nach dem es bei der Rohölgewinnung immer schneller abwärts geht. Erneuerbare Energien sind bisher nicht in der Lage, diesen Verlust auszugleichen. Das scheinbar selbstverständliche Gesetz ewigen Wachstums ist deshalb infrage gestellt – und damit das auf einem Kapitalkreislauf basierende Finanzsystem. Ohne zunehmenden Energieverbrauch kein Wachstum. Einige Autoren sprechen wegen der Übernutzung der natürlichen Ressourcen unserer Erde sogar von „Peak Everything“, denn auf Übernutzung folgt zwangsläufig ein schmerzlicher Rückgang.

    Energie als Grundlage jeder Zivilisation

    Im Buch „Smog über Attika“ des Historikers Karl-Wilhelm Weeber werden am Beispiel der Antike einige der heutigen Probleme beleuchtet: „Siegesgewiss blicken sie auf den Zusammenbruch der Natur“, wird in dem 1990 erschienenen Bändchen der römische Naturforscher Plinius zitiert. „Was für ein Ende soll die Ausbeutung der Erde in all den künftigen Jahrhunderten noch finden?“ In aller Ausführlichkeit schildert der Autor die durch Abholzung entstandene Verkarstung der einst dicht bewaldeten griechischen Inseln. Holz war damals die energetische Grundlage jeder Zivilisation. Römer und Phönizier machten dann das, was über 1000 Jahre später auch die europäischen Kolonialmächte, die USA und neuerdings auch China taten: Sie verlagerten die Ausbeutung natürlicher Ressourcen in ferne Länder, im Fall von China vor allem nach Afrika.

    Fortschritt und Wachstum: von Holz zu Kohle und Erdöl

    Jeremy Rifkin beschreibt in „Die H2- Revolution“ (2002), wie das Weltreich der Römer auf Kosten aller anderen Länder der damals bekannten Welt lebte: „Die Entropiebilanz ist verheerend. Verfügbare Energie aus dem Mittelmeerraum, Nordafrika und weiten Bereichen Kontinentaleuropas hatte sich die römische Maschinerie einverleibt. Gerodete Wälder, erodierte Böden und eine verarmte, von Krankheiten gezeichnete Bevölkerung prägten in allen Landesteilen das Bild. Europa erholte sich erst sechs Jahrhunderte später.“

    Es sollte zwei Jahrtausende dauern, bis die fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas das Holz als Energielieferanten ersetzten. Energie spielt seit jeher eine entscheidende Rolle beim Aufstieg und Untergang von Zivilisationen; zahlreiche Anthropologen und Historiker halten sie für den wichtigsten Faktor überhaupt.

    Jeremy Rifkin: „Kohle lässt sich leichter als Öl abbauen, Erdöl lässt sich leichter als Erdgas abbauen und nutzen. Ebendieser Übergang von leicht gewinnbaren Energien zu schwer erschließbaren und abbaubaren Energieträgern zwingt Staaten zu komplizierteren, hierarchischen und zentralistischen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Institutionen. Immerhin gibt es einen Ausgleich für all die Mühen: Je schwerer sich eine Energiequelle nutzen lässt, desto konzentrierter liegt die Energie vor, desto höher der Wirkungsgrad ihrer Nutzung. Steht die neue Ressource erst einmal zur Verfügung, vervielfacht sie den Energiefluss durch die Gesellschaft. In Kohle steckt mehr Energie als in Holz, Öl enthält konzentriertere Energie als Kohle und Erdgas ist energiereicher als Erdöl.“

    Donald Trump als römischer Kaiser

    Der Untergang der griechischen Zivilisation und des römischen Imperiums wird von deutschen Bildungsbürgern meist mit moralisch-geistigem Verfall begründet. Autoren wie Jared Diamond und Joseph Tainter führen den Zusammenbruch auf Energiekrisen zurück. Alle Hochkulturen in der Geschichte tendieren dazu, ihre Ansprüche an den Lebensstandard bei Übernutzung der natürlichen Ressourcen immer weiter nach oben zu schrauben – bis zum unvermeidbaren Zusammenbruch. Das römische Imperium wurde im Laufe der Jahrhunderte zu einem Musterbeispiel an Ineffizienz: Das italienische Kernland konnte sich selbst nicht mehr ernähren, der Aufwand zum Erhalt des riesigen Imperiums überstieg längst den Ertrag. Die Folge waren ökonomische Krisen und ein Währungsverfall. Liest man das Rom-Kapitel in Tainters Meisterwerk „The Collapse of Complex Societies“ (leider nie ins Deutsche übersetzt), wird man ständig an die heutigen USA erinnert. Donald Trump wäre in diesem Vergleich ein römischer Kaiser im dritten oder vierten Jahrhundert, der das im Niedergang befindliche Imperium noch einmal „groß machen“ will. Das Ende ist aus den Geschichtsbüchern bekannt.

    Konventionelle Ölförderung geht seit 2008 zurück

    Am Anfang des 21. Jahrhunderts erschienen einige Bücher zum Thema „Peak Oil“. Das Konzept, dass die Ölförderung der klassischen Normalverteilungskurve folgt, beruht auf einem 1956 veröffentlichten Aufsatz des Shell-Geologen Marion King Hubbert, in dem dieser das Fördermaximum und den anschließenden Niedergang der Ölproduktion der USA – wie man mittlerweile weiß – präzise vorhergesagt hat.

    Anhand bisheriger Fördermengen und deren Wachstum errechnete King Hubbert, dass der Produktionshöhepunkt der USA zwischen 1965 und 1970 erreicht sein würde. Zum Zeitpunkt seiner Prognose befand sich die amerikanische Erdölförderung auf Rekordniveau, und die meisten Experten hatten nur Spott für den Autor und seine These übrig. Zu ihrer Überraschung behielt Hubbert recht: Die konventionelle US-Förderung erreichte 1970 mit 9,64 Millionen Barrel pro Tag ihr Maximum und nahm danach ständig ab. Basierend auf Hubberts mathematischen Modellen berechneten die Geologen Colin J. Campbell und Jean H. Laherrère den Scheitelpunkt der weltweiten konventionellen Ölförderung. Auch die beiden Gründer der Association for the Study of Peak Oil (ASPO) sollten recht behalten. Peak Oil im globalen Maßstab wurde zwischen 2006 und 2008 erreicht.

    US-Fracking rettet die Weltwirtschaft

    Im Jahr 2018 wurden weltweit 94,6 Millionen Barrel pro Tag gefördert – ein Plus im Vergleich zu 2008. Ermöglicht wurde dieser Anstieg nur durch die Erfolge bei der Ausbeutung unkonventioneller Ölvorkommen wie Ölschiefer in den USA (mittels Fracking; +8,5 Millionen Barrel) und Ölsand in Kanada (+2,0 Millionen Barrel). Das zusätzlich geförderte Öl aus Nordamerika rettete die Weltwirtschaft; die Wirtschaftsleistung korreliert trotz des zunehmenden Dienstleistungssektors immer noch stark mit dem Energieverbrauch. Smart-Investor-Gastautor Urs Marti (Ausgabe 4/2020, S. 60) meint dazu: „Rohöl ist die Basis sämtlicher Kunststoffe und des gesamten Transports von Personen und Gütern. Stickstoffdünger besteht zu 70 Prozent aus Naturgas.“

    Aktuell deckt Rohöl ein Drittel des globalen Energiebedarfs. Trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien soll der Verbrauch von 96,9 Millionen im Jahr 2019 auf 105,4 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2030 weiter steigen, so eine Annahme der Internationalen Energieagentur IEA (siehe Chart: drei Szenarien). Die Vertreter von Peak Oil werden bei diesem Wachstumsszenario als notorische Schwarzseher und Spinner verteufelt – was möglicherweise etwas voreilig ist.

    Energieerntefaktor sinkt seit Jahren

    Bei der Debatte wird leider zu oft der Energieerntefaktor (Energy Return on Energy Invested; EROI) ausgeblendet: Um Energie zu gewinnen, muss Energie aufgewendet werden – für Bohrtürme, für Exploration, für die Bezahlung der Arbeiter (menschliche Arbeit ist letztlich auch nichts anderes als Energieeinsatz). Vor 100 Jahren lebte man in geradezu paradiesischen Zuständen: Um das oberflächennah vorhandene Öl zu gewinnen, wurde nur die Erde leicht angekratzt – die US-Ölindustrie erreichte in den 1930er-Jahren einen sagenhaften EROI von 100 zu eins (100 Barrel gefördert, nur ein Barrel investiert).

    Für die Verarbeitung der kanadischen Ölsande zu synthetischem Rohöl (Syncrude) wurden in den letzten 20 Jahren mit Milliardenaufwand riesige Fabriken errichtet. Diese werden mit (zurzeit) billigem Erdgas befeuert. Auch die gigantischen Bagger, mit denen das Material abgebaut wird, brauchen Energie. Trotzdem ist dieses Geschäft auf gewisse Weise profitabel: Sind die Anlagen zur Gewinnung von Syncrude erst einmal gebaut und bezahlt, betragen die laufenden Kosten nur etwa 15 US-Dollar pro Barrel (z.B. bei Canadian Natural Resources; IK) und es kann 40 Jahre ohne weitere Investitionen produziert werden.



    Fracking in den USA weist mit fünf zu eins einen der schlechtesten EROIs überhaupt auf: Es werden Unmengen von Diesel verbraucht, um mehr als 2000 Meter tiefe Löcher zu bohren und Wasser, Sand sowie Chemikalien herbeizutransportieren und hinabzupumpen. Darüber hinaus geht nach eineinhalb Jahren bei jedem Bohrloch die Förderrate drastisch zurück. Steve St. Angelo zeigte in seinem traditionellerweise frackingkritischen SRSrocco Report, dass beim Fracking zunehmend mehr Schmutzwasser als Öl gefördert wird. Die Gewinnung von Biosprit aus Mais liegt mit einer Energieausbeute von 1,2 bis 1,5 zu eins auf dem vorletzten Platz; die rote Laterne hat die Gewinnung von Biodiesel. Am besten schneiden Strom aus Wasserkraft, Kohle und die konventionelle Ölförderung ab (siehe Abb. 3).

    Fracking ist nicht profitabel

    Im November 2019 erreichte die Ölförderung der USA mit 12,86 Millionen Barrel pro Tag ein neues Allzeithoch; 8,6 Millionen Barrel pro Tag davon war Frackingöl. Der schlechte EROI schlägt selbstverständlich auf die Ökonomie dieser Art der Ölgewinnung durch. Urs Marti: „Bei ehrlicher Rechnung wurde in diesem Bereich noch nie Geld verdient. Auch diese Blase wurde allein durch billiges Geld genährt. Die Unternehmen haben riesige Schulden.“ Eine im März 2020 veröffentlichte Studie des Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) fand heraus: Nordamerikanische Frackingunternehmen generierten 2019 bei der Öl- und Gasförderung zusammen negative freie Cashflows von 2,1 Milliarden US-Dollar, in den letzten zehn Jahren 189 Milliarden US-Dollar. Entgegen der Propaganda von Staat und Finanzmedien war Fracking immer ein Verlustgeschäft. Der von Russland und Saudi-Arabien angezettelte jüngste Ölpreiskrieg sollte diese Branche in die Pleite treiben – sofern die US-Regierung nicht auf die Idee kommt, sie massiv mit Steuergeldern zu subventionieren.

    Die Aktien amerikanischer Frackingunternehmen waren denn auch in den letzten fünf Jahren die größten Geldvernichter. Der Kurs von Whiting Petroleum, einem führenden Ölförderer in der ältesten „Frackingregion“, nämlich Bakken (welche Teile der Nord-USA und Südkanadas umfasst), verlor von 150 auf 0,67 US-Dollar. Das Unternehmen stellte Anfang April nach Chapter 11 des amerikanischen Konkursrechts Antrag auf Gläubigerschutz. Nicht viel besser erging es den beiden Marktführern: Der Aktienkurs von Chesapeake Energy lag vor fünf Jahren bei 15 US-Dollar, wohingegen er heute bei 0,17 US-Dollar notiert. Continental Resources konnte sich noch relativ gut halten, büßte in den fünf Jahren aber auch mehr als 80 Prozent an Kurswert ein.

    Saudi-Arabien dreht den Ölhahn auf

    Die Saudis drohten, im Preiskrieg mit Russland und den USA den Ölhahn voll aufzudrehen. Man darf gespannt sein, wo ihre Förderobergrenze liegt. Die staatliche Ölgesellschaft Saudi Aramco musste, nach Jahrzehnten der Geheimniskrämerei, im Zusammenhang mit dem geplanten Börsengang Zahlen veröffentlichen – und gestand, dass die Förderung von Ghawar, dem größten Ölfeld der Welt, statt bei vermuteten 5 nur noch bei 3,8 Millionen Barrel täglich liegt. Der Förderrückgang von Ghawar ist ein Alarmzeichen. Entdeckt im Jahr 1948, liefert Ghawar bis zu 50 Prozent des saudischen Öls. Es ist repräsentativ für einige der 100 bis 200 Ölfelder, die aufgrund ihrer Größe „Giants“ genannt werden. Die meisten von ihnen sind alt. Sie machen nur 1 Prozent der Ölfelder weltweit aus, stehen aber für 60 Prozent der konventionellen Rohölförderung. In den letzten Jahrzehnten konnten neu entdeckte kleinere Ölvorkommen den Rückgang der „Giganten“ nicht kompensieren.

    Norwegens Ölförderung ist seit 2000 um 30 Prozent geschrumpft

    Die Nordsee ist keine Ausnahme: Nach Angaben des KonKraft Reports schrumpfte die Ölförderung Norwegens seit 2000 um 30 Prozent. Industrie, Politik und Umweltschützer diskutieren derzeit, ob in Nordnorwegen neue Vorkommen erschlossen werden. Der KonKraft Report räumt ein: Selbst wenn diese Vorhaben in dem ökologisch sensiblen Gebiet realisiert werden, können sie den Rückgang anderer norwegischer Ölfelder nicht ausgleichen.

    Diskussion über das Ende des Wachstums

    Als Anfang der 1970er-Jahre das Buch von den ökologisch bedingten „Grenzen des Wachstums“ erschien, reagierten viele Menschen besorgt; sie engagierten sich, wollten ihr Leben ändern, obwohl sich die Prognosen als durchweg viel zu alarmistisch bzw. schlicht falsch erwiesen haben. In den Folgejahren geschah, was selbst mit seriösen Projektionen geschieht, die einen Zeithorizont von mehreren Jahrzehnten haben – sie geraten in Vergessenheit. In der Zwischenzeit war nichts wirklich Schlimmes passiert, vielleicht einmal abgesehen von der Reaktorkatastrophe im damals noch sowjetischen Tschernobyl im Jahr 1986 – ein zugegebenermaßen plakatives, aber nicht ganz untypisches Beispiel für die ökologischen Segnungen des Sozialismus. Im Jahr 2004 erschien, herausgegeben von Donella Meadows, Jørgen Randers und Dennis Meadows, das 30-Jahre-Update von „Grenzen des Wachstums“, das in seinen Modellen und Szenarien präziser war – ein Buch, das über einen Insiderkreis hinaus aber kaum Beachtung fand.

    Mit dem „Earth Overshoot Day“, auf den sowohl das Bundesumweltamt als auch die Tagesschau im Jahr 2019 aufmerksam machten, wurde die alte Botschaft des „Club of Rome“ wiederbelebt: Demnach wäre letztes Jahr das von unserem Planeten zur Verfügung gestellte jährliche Ressourcenbudget bereits am 29. Juli aufgebraucht gewesen. Die Menschheit hätte bis dahin also so viel verbraucht, wie die Erde im ganzen Jahr erneuern kann.

    Die Lobbyorganisation Global Footprint Network berechnet den „Earth Overshoot Day“ übrigens mithilfe eines ökologischen Fußabdrucks. Damit sollen der weltweite Ressourcenverbrauch und die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt abgeschätzt werden. Unabhängig von der konkreten Berechnungsweise krankt die Diskussion allerdings daran, dass sie meist ausschließlich ökologisch, nicht aber ökonomisch geführt wird – dabei wäre Letzteres dringend geboten.

    Von Peak Everything zur „Everything Bubble“

    Nun liegt der auf den britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus (1766 bis 1834) zurückgehenden Argumentation, wonach es in einem begrenzten System wie der Erde kein unendliches Wachstum geben kann, eine fast intuitiv zwingende Logik zugrunde, die sogar Kinder überzeugt. Doch scheint die Fixierung auf bloße Wachstumsraten auszublenden, dass Fortschritt in Form von Innovationen vor allem qualitativ stattfindet. Das malthussche „Mehr“ ist dabei lediglich ein Abfallprodukt jenes innovativen „Anders“, wie es durch das unsichtbare und ergebnisoffene Zusammenwirken von Ideen und Taten ebenso nur in einer Marktwirtschaft entstehen kann, die Ökonomenkollege Adam Smith (1723 bis 1790) bereits vorgedacht hatte.

    In der Studie „In Gold we Trust“ (Ausgabe 2017) diskutieren die Autoren Ronald Stöferle und Marek Valek über den Währungsverfall und die „Everything Bubble“. Chris Martenson von Peak Prosperity drehte als Gastredner der Internationalen Edelmetall- & Rohstoffmesse (2017) in München die Diskussion ein Stück weiter, indem er die „Everything Bubble“ mit den „Grenzen des Wachstums“ verband (Smart Investor 12/2017). Martenson kam auf die richtige Fährte: Es ist das exponentielle Schuldenwachstum, das ein exponentielles Wirtschaftswachstum erfordert, um die Schuldenpyramide nicht kollabieren zu lassen – und dieses Schuldenwachstum ist so eben nur in einem Fiatgeldsystem möglich. Mit der marktwirtschaftlichen Koordinierung von Angebot und Nachfrage hat das überhaupt nichts zu tun. Aber dieses Wachstum, neben dem exorbitanten Bevölkerungswachstum, das Malthus‘ Thesen bereits aufs Eindrucksvollste widerlegt, benötigt Jahr für Jahr mehr natürliche Ressourcen in Form von Energie, Wasser, Land und Nahrungsmitteln.

    Der eigentliche Begriff „Peak Everything“ wurde bereits im Jahr 2007 vom amerikanischen Autor Richard Heinberg geprägt, der Bücher wie „The Party’s Over“ (zu Deutsch: „Öl-Ende“) und „The End of Growth“ geschrieben hat. Tenor: Wenn überall die nötigen Ressourcen schrumpfen, ist auch überall der Scheitelpunkt erreicht.

    Von Peak Everything zu „Peak Capitalism“?

    Die Berliner Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf, die unter anderem im wissenschaftlichen Beirat der globalisierungs- und kapitalismuskritischen NGO „attac“ sitzt, griff das Thema im Jahr 2013 in einem Arbeitspapier unter dem Titel „Peak Everything – Peak Capitalism?“ auf.

    In dem 48-seitigen Text werden vielfältige gesellschaftliche Umbruchs- und Krisenphänomene angesprochen. Den Wachstumszwang verortet sie dabei wie selbstverständlich im „Kapitalismus“: Dass dieser unglückselige Zwang tatsächlich in den von den Staaten mit höchsten Privilegien und lokalen Monopolen ausgestatteten Fiatgeldsystemen lokalisiert sein könnte, kommt Mahnkopf wie auch anderen Kapitalismuskritikern aber ganz generell nicht in den Sinn.

    Hinsichtlich der Zustandsbeschreibung, wonach unsere Volkswirtschaften in weiten Bereichen zu Zombieökonomien verkommen sind, herrscht interessanterweise sogar eine gewisse Übereinstimmung zwischen Vertretern der Österreichischen Schule auf der einen sowie allen Spielarten von Globalisierungs-, Kapitalismuskritikern und (Neo-)Marxisten auf der anderen Seite. Bei der Frage allerdings, wie es so weit kommen konnte, gehen die Analysen und Ansichten dann weit auseinander – mit entsprechenden Konsequenzen für mögliche Lösungsansätze. Exzessive, künstlich am Leben erhaltene Schuldner-Gläubiger-Beziehungen sind ebenso wenig Marktoder Kapitalismusphänomene wie ein von den Notenbanken in den Nullbereich gedrücktes Zinsniveau.

    Auch der überbordende Lobbyismus und die Subventions(miss)wirtschaft sind nicht dem Marktbereich zuzurechnen. In einer Marktwirtschaft bewährt sich ein erfolgreiches Unternehmen in seinen Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern und Lieferanten, nicht aber in den Hinterzimmern der Politik. Wie groß die Verwirrung bzw. ideologische Verblendung ist, zeigte die Eröffnung des EZB-Towers in Frankfurt im Jahre 2015: Dort kam es zu schweren Ausschreitungen kapitalismusfeindlicher Kräfte, die ausgerechnet gegen eine staatliche Institution wie die Notenbank demonstrierten. Solange sich diese Institution aber gegen die dem Markt inhärente „Kraft der kreativen Zerstörung“ stemmt, ist sie selbst marktfeindlich und hauptverantwortlich für den sinnlosen Erhalt jener überlebter Zombiestrukturen, in denen Ressourcen verschwendet werden.

    Kapitalismuskritikerin Birgit Mahnkopf verweist in ihrer Arbeit übrigens auch auf Jared Diamond und Joseph Tainter (siehe oben). Der Kapitalismus behielt seit seinem Entstehen seine dynamische Fähigkeit zur Selbstreproduktion, weil es ihm immer wieder gelang, biophysikalisch reiches „Neuland“ zu öffnen und zu plündern, schreibt sie. So zutreffend die dynamische Fähigkeit zur Selbstreproduktion marktwirtschaftlicher Systeme ist, dürfte der Rest der Aussage lediglich einer ideologischen Denkblockade geschuldet sein. Das biophysikalische Neuland entspricht lediglich jenen „tief hängenden Früchten“, die naturgemäß zuerst geerntet werden, besonders wenn Unternehmen und Staaten an einem Strang ziehen (siehe oben). Tatsächlich ist der Kapitalismus längst virtuell geworden, und da es dort nichts zu „plündern“ gibt, hat er diese virtuellen Welten überhaupt erst erschaffen.

    Fazit

    Der Kapitalismus wurde schon oft totgesagt und wird vorzugsweise dort pseudointellektuell bekämpft, wo man fest auf den Errungenschaften und dem Wohlstand einer marktbasierten Wirtschaftsweise steht. In den vielen Ländern, die unter dem Staatsdirigismus litten und leiden, ist Kritik am Markt auffallend rar – mit Ausnahme der dortigen Machthaber. Dennoch ist der Kapitalismus gefährdet: zum einen dort, wo der Wettbewerb ausgeschaltet wird oder Großunternehmen Politik und Gesetzgeber in ihrem Sinne korrumpieren; zum anderen dort, wo ein staatsmonopolistisches Fiatgeldsystem genutzt wird, die Menschen um die Früchte ihrer Leistung zu bringen und auf der Basis eines lediglich angemaßten Wissens und gegen die Marktkräfte Gott zu spielen.

    Dass heute, und zwar aufgrund jener Innovationen, die der Markt hervorgebracht hat, rund acht Milliarden Menschen – die freilich überwiegend sozialistisch angehaucht sind – die Erde bevölkern, wird das Thema Peak Everything sicher wachhalten. Thomas Malthus müsste angesichts seiner eklatanten Fehlprognosen schon seit mehr als 150 Jahren im Grabe rotieren – ein Schicksal, das seine Wiedergänger vom „Club of Rome“ wohl teilen werden.

    Autoren: Rainer Kromarek, Ralph Malisch, Smart Investor

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    Verfasst vonJulian Schick
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