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     1632  6 Kommentare Die Münchhausen-Nummer

    Wenn mir jemand zum Anfang dieses Jahres gesagt hätte, was bisher so alles passiert ist, hätte ich wahrscheinlich nur gelacht.

     

    Eine Pandemie, bei der alle Geschäfte schließen und die Menschen zu Hause bleiben müssen, völlig undenkbar.

     

    Und dann nach den Kurseinbrüchen von 40 Prozent im Dax ein Wiederanstieg, so dass bald alle Vermögenseinbußen in meinem Depot wieder komplett ausgebügelt sind? Noch undenkbarer.

     

    Dann aber auch meine beiden Lieblingsphilosophen, Arthur Schopenhauer und Immanuel Kant, mit denen ich mich wirklich ausführlich beschäftigt habe. Beide sind sie jetzt verfemt, der eine, weil er negativ über Frauen geschrieben hat, und der andere, weil er eine Rassentheorie entworfen hat.

     

    Jetzt wird sich also niemand mehr in diesem Land mit Kants und Schopenhauers Theorien befassen. Und die Kinder in der Schule werden nichts mehr von ihnen lernen. Was allerdings nicht ändert, weil das ja schon vorher niemand mehr getan hat.

     

    Was ich über diese Fälle denke? Ich denke, dass man jetzt schleunigst Alexander Fleming, den Erfinder des Penicillins, vor Gericht stellen müsste. Denn hätte er das Penicillin nicht erst 1928 erfunden, sondern bereits 1914, hätte es im Ersten Weltkrieg Millionen Tote weniger gegeben.

     

    Und ich denke, wenn ich nicht wüsste, dass es keine Geschichtsgesetze geben würden, würde ich sagen, dass in den Ländern des westlichen Welt die Bildung und die Aktienkurse negativ miteinander korreliert sind.

     

    Die Aktien werden also langfristig weiter steigen. Doch was ist da derzeit an den Märkten los? Man kann die Unsicherheit und den Widerstreit der Meinungen ja fast mit Händen greifen. Die einen schauen darauf, wie die staatlichen Hilfsprogramme der Börse helfen, und die anderen schauen darauf, wie die staatlichen Hilfsprogramme der Wirtschaft nicht helfen.

     

    Wir haben es mit einem Sitzkrieg zu tun, einem Drôle de guerre. Die einen haben ihr Pulver in fetten Salven verschossen und die anderen besitzen überhaupt kein Pulver. Was wird dabei herauskommen? Wo soll man seine Chips platzieren in dem großen Casino?

     

    Als ich jetzt die Bilder aus China gesehen habe, wie man Peking abriegelt, habe ich gedacht, meine Güte, die Diktaturen haben es wirklich einfach als wir. Doch gibt es da überhaupt noch einen Unterschied? Wir Europäer können zwar wieder reisen, aber doch nicht mit Kopf. Doch so ganz kopflos ist es auch nicht schön. Denn da gehen ja nicht nur die Restaurants pleite.

     

    Im Grunde genommen finde ich es aber gut, dass unsere Staaten und auch unsere Notenbanken letztlich die freie Marktwirtschaft gekippt haben. Ich glaube, dass auch viele Crashgurus und Kritiker dieser Haltung diesen Punkt falsch einschätzen.

     

    Hätten wir heute eine Goldwährung und oder ein durch strenge Reglementierungen emittiertes Geld, wären wir jetzt alle pleite und bettelarm. Ich fände es daher sogar richtig, wenn die Notenbanken im Krisenfall tatsächlich selbst Aktien kaufen würden.

     

    Denn nur so gelingt die Münchhausen-Nummer. Und anders geht es nicht. Das ist zwar vielleicht Wahnsinn, doch lieber wahnsinnig als wirtschaftlich tot.

     

     

    berndniquet@t-online.de

     


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Die Münchhausen-Nummer Eine neue Moral überall