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     542  0 Kommentare Baki Irmak im Gespräch: „Wirecard hat die Bafin um den Finger gewickelt“

    Der Bilanzskandal des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard entwickelt sich zu einem Debakel für den Standort Deutschland. Baki Irmak, Mitgründer des Aktienfonds The Digital Leaders, über Hauptschuldige, Konsequenzen für die Kontrollorgane und bessere Investment-Alternativen.
    Wie kann es bei einem deutschen Vorzeige-Unternehmen wie Wirecard unbemerkt zu einem gigantischen Bilanzloch kommen?
    Baki Irmak: Offensichtlich war es nie ein Vorzeigeunternehmen. Aktuell werden immer mehr schockierende Details bekannt, und man kommt aus dem Staunen gar nicht heraus.  Wirecard war ein bisschen Anbieter für virtuelle Kontos, ein wenig Issuer aber vor allem ein langweiliger Zahlungsabwickler und Aquirer. Verkauft hat man das aber als eine große deutsche Fintech-Story im Payment-Markt. Offensichtlich hat man die großen Kundennamen für die Show gebraucht, die Margen kamen aber eher aus Geschäften mit problematischen Kunden oder mit Kunden aus der Porno- und Glücksspielindustrie.


    Wer hätte Licht ins Dunkel bringen können?
    Irmak: Es gab echte Umsätze in beträchtlicher Höhe und zahlreiche Kunden. Investoren hatten Grund zu zweifeln, aber keine Chance, Wirecard zu überführen. Investigative Journalisten hatten immerhin Whistleblower. Der Wirtschaftsprüfer hätte aber die Treuhandkonten prüfen müssen. 1,9 Milliarden Euro bei einem Treuhänder in Philippinen? Klingt absurd. Aber vor allem hatte Wirecard das große Glück, dass in Deutschland sich keine Aufsichtsbehörde zuständig für das Unternehmen hielt. 
    Wie ist die Leistung der Bafin und die Anzeige der Behörde gegen die Redakteure der Financial Times einzuschätzen?
    Irmak: Die Bafin kann sich nicht mit dem Hinweis herausreden, dass man kein Mandat für die Prüfung der Wirecard AG besaß, weil man sie in Abstimmung mit der Bundesbank und Europäischer Zentralbank als Technologiekonzern eingestuft hatte. Dann war eben die Einstufung falsch. Nutzen Banken etwa keine Technologie für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs? Das beispiellose Verbot eines Leerverkaufs bei einem Einzelunternehmen ist meiner Einschätzung nach überhaupt nicht zu rechtfertigen. Leerverkaufsverbote sind unsinnig. Der Bafin-Chef argumentiert gegen die akademische Evidenz. Dann hat die Bafin auch noch ohne konkreten Verdacht zwei Journalisten angezeigt. Statt all die Anleger und sonstigen Opfer zu schützen, hat sich die Bafin von Wirecard um den Finger wickeln lassen.
    Was muss sich im deutschen Kontrollsystem ändern?
    Irmak: Offensichtlich einiges. Neben klaren Zuständigkeiten wäre viel gewonnen, wenn man Whistleblower schützt, ernst nimmt und viel stärker incentiviert, so wie es der Dodd-Frank-Act in den USA regelt. Dort werden Whistleblower direkt beteiligt an der Höhe der Strafen. Wir loben heute völlig zurecht die Financial Times. Wir müssen uns aber auch bei den Whistleblowern bedanken.
    Der Bilanzskandal eines Dax-Unternehmens schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Mit welchen Folgen?
    Irmak: Das hängt auch davon ab, welche Lehren man daraus zieht. Ob man jetzt zum Beispiel noch mehr reguliert oder richtig reguliert. Die wertvollsten Unternehmen in den USA sind jung; Facebook, Amazon, Alphabet & Co sind mit dem Internet und der Digitalisierung entstanden. Viele Dax-Unternehmen sind schon im 19. Jahrhundert gegründet worden. Neben der Größe des Heimatmarktes USA ist sicher die innovationsfreundliche Regulierung dort ein Grund für diesen Erfolg. Der Wirecard-Skandal sollte jetzt nicht dazu führen, Digitalunternehmen stärker zu bürokratisieren.


    Sie haben bereits seit 2018 mehrfach vor Wirecard gewarnt. Wann erfolgte beim Digital Leaders Fund (ISIN: DE000A2H7N24) die Entscheidung, Wirecard als Fondsinvestment auszuschließen?
    Irmak: Wirecard war nie ein ernsthafter Kaufkandidat für den Digital Leaders Fund. Allerdings wurden wir immer wieder von Investoren auf den Wert angesprochen. Ein Fonds mit Fokus auf digital führende Unternehmen und keine Wirecard? Am 24. September ist dann die Wirecard-Aktie in den Dax eingezogen. Am 21. September hatten wir im Rahmen einer Artikel-Reihe zu Payment-Unternehmen unseren ersten von drei Beiträgen zu Wirecard geschrieben. Titel des Artikels: "Wirecard-Aktie: Der Zweifel ist Dein bester Freund". Damals notierte die Aktie bei über 170 Euro. Wir haben von einem Kauf abgeraten. 


    Gab es eine bestimmte Entwicklung, die dazu führte, oder war es die Summe der Risiken?
    Irmak: Fehlende Transparenz, bedenklicher Zahlungsströme im Kontext mancher Übernahmen, insbesondere die Übernahme der Great Indian Retail Group. Vor allem konnten wir nicht verstehen, warum eine Wirecard auf EBITDA-Margen von über 27 Prozent kommt und die sogar auf 33 Prozent steigert. Payment Processing ist ein Skalengeschäft, das Aquiring ein margenarmes Business, im Issuing hatte Wirecard eine irrelevante Größe, dennoch hatte man eine höhere Marge als eine Paypal, die eine Macht im margenstarken B2C-Business ist. In dem Artikel schreiben wir auch, dass Wirecard mit dem Einzug in den Dax einem Stresstest in Sachen Transparenz unterzogen wird und dass Anleger zu sorglos sind bei der Aktie.
    Gab es auch konkrete Warnungen?
    Irmak: Wir haben mit Payment-Profis gesprochen und mit Personen, die das Unternehmen begleitet haben. Die Zweifel am Erfolg waren groß, so konkret konnte aber keiner sagen, was nicht stimmte.  Wir haben sogar die Videobotschaft von Markus Braun an seine Mitarbeiter vom 22. März 2019 an einen Psychologen zur Bewertung zugeschickt. Aber auch ohne viel eigenes Research gab es Gründe, vorsichtig zu sein. Man musste ja nur Zeitung lesen, beziehungsweise die Financial Times. Aber auch in Deutschland gab es mit Melanie Bergermann, Heinz-Roger Dohms, Christian Kirchner, Meike Schreiber und Tim Bartz einige Journalisten, die kritisch und kenntnisreich berichtet haben. Und im Unterschied zu Analysten und zu uns Investoren haben Journalisten einen großen Vorteil. Sie sind die Anlaufstelle für Whistleblower. 
    Einige Fondsmanager geben der Bafin die Hauptschuld. Hat nicht zuvorderst das Risikomanagement der Fondslenker versagt?  
    Irmak: Die Hauptschuld trägt ganz klar eine kriminelle Bande aus Wirecard-Managern und deren Gehilfen. Aber es ist schon faszinierend, wie viele Kontrollinstanzen versagt haben, darunter Regulierer, der Wirtschaftsprüfer, Ratingagenturen, führende Analystenhäuser, die Börse, professionelle Investoren und auch Teile der Medien. Wie kann das sein? Mich erinnert das an die Phänomene "Social Proof" und "Verweis auf höhere Autoritäten", die der Psychologe Robert Caldini in seinem Buch "Die Psychologie des Überzeugens" beschreibt: Eine Situation, in der sich alle auf die anderen verlassen und den höheren Autoritäten nacheifern. Und das ist falsch, keiner kann sicher mit dem Verweis auf andere sich seiner Verantwortung entziehen, auch die Fondsmanager nicht. Wirecard ist kein Raubüberfall, sondern eher Nigeria-Connection. Investoren haben gutgläubig und freiwillig einem Unternehmen Geld anvertraut mit Aussicht auf traumhafte Gewinne. 
    Welche Alternativen gibt es zu Wirecard, wenn man in moderne Zahlungssysteme beziehungsweise in deutsche Technologieschmieden investieren will?
    Irmak: Der Digital Leaders Fund investiert global. Wir sind zum Beispiel in Mastercard und Square investiert, darüber hinaus mit Tencent und Alibaba auch bei Wechat Pay und Ant Financial. In deutsche Technologieunternehmen sind wir bisher nicht investiert.

    Über den Interviewten: Baki Irmak war viele Jahre in leitender Funktion für den Deutsche-Bank-Konzern und die DWS tätig, zuletzt als globaler Leiter des Digitalgeschäfts für die Deutsche Asset & Wealth Management. Im März 2018 legte er zusammen mit Stefan Waldhauser den Aktienfonds The Digital Leaders (ISIN: DE000A2H7N24) über die Service-KVG Universal-Investment auf.

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    Baki Irmak im Gespräch: „Wirecard hat die Bafin um den Finger gewickelt“ Der Bilanzskandal des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard entwickelt sich zu einem Debakel für den Standort Deutschland. Baki Irmak, Mitgründer des Aktienfonds The Digital Leaders, über Hauptschuldige, Konsequenzen für die Kontrollorgane und bessere Investment-Alternativen.