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    Markt-Phänomene  11018  0 Kommentare Underperformance des Value-Effekts: Geht es jetzt schon bald wieder rauf?

    Top-Smart Investor-Analyst Marko Gränitz kommt nach der Bewertung von aktuellen Studien zum Beispiel von Ben Carlson zu einem überraschenden Fazit. Demnach könnte es sich gerade jetzt für ambitioniere Anleger lohnen, Value-Aktien ins Visier zu nehmen. Eine Reihe geldwerter Erkenntnisse für Aktienfreunde aus der Spezies Selbstentscheider:

    Für die Beobachtung, dass Value-Aktien historisch gesehen höhere Renditen erbracht haben als Growth-Aktien, bestehen zwei grundsätzliche Erklärungsansätze. Der erste, risikobasierte Ansatz besagt, dass die Value-Prämie eine Kompensation dafür darstellt, dass in riskantere Wertpapiere investiert wird. Das würde bedeuten, dass Aktien mit hohem Buchwert-Marktwert-Verhältnis aus fundamentaler Sicht riskanter sind, weil sie beispielsweise ein höheres Pleiterisiko aufweisen. Der zweite Ansatz basiert dagegen auf Fehlpreisungen: Demnach wirken sich die Emotionen der Marktteilnehmer auf deren Anlageentscheidungen aus und verzerren die Kurse. So könnten bei Value-Aktien beispielsweise deutlich niedrigere Wachstumsaussichten eingepreist werden, sodass diese für eine gewisse Zeit unterbewertet sind oder „außer Mode“ geraten.

    Allerdings hat Value in der vergangenen Dekade massiv enttäuscht. Im Januar 2020 erschien dazu die Studie „Reports of Value’s Death May Be Greatly Exaggerated“ von Rob Arnott, Campbell Harvey, Vitali Kalesnik und Juhani Linnainmaa. Wie der Titel des Papers schon vermuten lässt, gehen die Forscher nicht davon aus, dass der Value-Effekt ausgedient hat. Sie weisen darauf hin, dass Value Investing mindestens bis in die 1930er-Jahre zurückreicht, über lange Zeit funktionierte und auf einer soliden ökonomischen Erklärung fußt. Interessant sind die in der Studie untersuchten Gründe, die dazu beigetragen haben könnten, dass Value so deutlich underperformte.

    Dazu zählen strukturelle Marktveränderungen wie die niedrigen Zinsen und der Bedeutungsgewinn von Private Equity gegenüber börsennotierten Unternehmen. Auch wäre denkbar, dass es sich bei Value um einen sogenannten Crowded Trade handelt, in dem zu viele Marktteilnehmer unterwegs sind. All diesen Ansätzen messen die Forscher jedoch keinen nennenswerten Erklärungsgehalt bei.

    Der „Haken“ beim Buchwert

    Interessant wird es beim Thema immaterieller Vermögenswerte (intangible Assets), die etwa in der Forschung und Entwicklung, bei Markenwerten und für Human Resources bestehen. Sie spielen in der heutigen Wirtschaft eine immer größere Rolle, bleiben aber in klassischen Berechnungen der Buchwerte außen vor.

    Zwar hat sich das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) früher als Value-Maßstab bewährt – jedoch ist es in der heutigen Zeit aufgrund der fehlenden Berücksichtigung intangibler Assets weniger gut geeignet. In vielzähligen Studien wird deshalb zur Evaluierung des Value-Effekts das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) favorisiert. Zusätzlich besteht beim Value-Effekt das Problem, dass sich bei den Renditen je nach Anwendung des KCV, des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) oder des KBV deutliche Abweichungen ergeben können.

    Überhaupt lässt sich grundsätzlich argumentieren, dass die Definition von Value allein durch solche Kennzahlen viel zu eng ist und ein wirkliches Value-Investment weitere, auch qualitative Kriterien umfasst. Dem ist durchaus zuzustimmen – jedoch gestaltet es sich im Anschluss mangels entsprechender historischer Daten sehr schwierig, umfangreiche und verlässliche Rückrechnungen durchzuführen.

    In der Studie berechnen die Forscher einen alternativen Buchwert, in dem die intangiblen beziehungsweise immateriellen Assets speziell berücksichtigt werden. Die darauf basierende Aktienauswahl ergibt im Zeitablauf vor allem ab den 1990er-Jahren eine deutliche Abweichung zum klassischen Value-Effekt (Abbildung 3). Allerdings ist auch in der „verbesserten“ Version eine deutliche Schwächephase des Value-Effekts zu erkennen.

    Das Hauptproblem: fehlende Mean Reversion

    Eine umfassendere Erklärung der Value-Schwäche finden die Autoren an anderer Stelle: Aus den Untersuchungen geht hervor, dass der deutliche Bewertungsanstieg von Growth-Aktien der größte Treiber der relativen Underperformance von Value war. Dies hatte zur Folge, dass die relativen Value-Bewertungen in die untersten 3 Prozent ihrer historischen Verteilung fielen – mit Stand vom Juli 2019; zu Beginn des Jahres 2020 war dies noch extremer.

    Etwas anders sehen das jedoch Baruch Lev und Anup Srivastava in ihrer Studie „Explaining the Recent Failure of Value Investing“, die mit Blick auf die Zukunft des Value-Effekts auch weniger optimistisch ist. Auf Basis umfangreicher Analysen schlussfolgern die Autoren, dass Value Investing schon seit fast 30 Jahren schlecht performt und das Platzen der Internetblase nur eine zwischenzeitliche Wiederbelebung nach sich zog.

    Demnach wurden einerseits Value- und vor allem Growth-Aktien aufgrund der nicht-berücksichtigten intangiblen Assets falsch identifiziert. Andererseits haben fundamentale wirtschaftliche Veränderungen dazu geführt, dass sich der Austausch von Value- und Growth-Aktien, also die klassische Mean Reversion, gegenüber früheren Zeiträumen signifikant verlangsamt und die Value-Renditen damit ausgebremst hat.

    Die Value-Falle

    Dies zeigt sich daran, dass einzelne Aktien in den letzten zwölf Jahren im Vergleich zu früheren Phasen für eine um rund 30 Prozent längere Zeit im Bereich niedriger oder hoher Bewertungen verweilten, also langsamer zwischen diesen Regimes wechseln. Die Autoren führen das auf die Finanzkrise zurück, in deren Folge Value-Firmengegenüber Wachstumsunternehmen strukturell benachteiligt waren, sodass keine nachhaltige Rückkehr zur Profitabilität erfolgte. Ganz anders dagegen die Situation bei Growth-Werten, deren Geschäftsmodelle vorwiegend auf skalierbaren immateriellen Vermögenswerten aufbauen und die sich dauerhaft als profitable Wachstumswerte etablieren konnten, statt der schöpferischen Zerstörung zum Opfer zu fallen.



    Die Autoren schreiben, dass sich manche Unternehmen in einer regelrechten „Value-Falle“ befinden und es mangels Innovationen und Investitionen nicht schaffen, sich daraus zu befreien. Schlechte Chancen haben etwa Firmen mit einem niedrigen Anteil immaterieller Vermögenswerte, geringen Investitionen, geringem Umsatzwachstum, geringer Schuldenaufnahme und hoher Marktkapitalisierung.

    Die Studie „Fundamentals of Value vs. Growth Investing and an Explanation for the Value Trap“ von Stephen Penman und Francesco Reggiani beschreibt die Value-Falle so: Für ein gegebenes KGV bedeutet ein niedrigeres (eigentlich „besseres“) KBV, dass eine geringere Wahrscheinlichkeit besteht, dass die eingepreisten Wachstumserwartungen tatsächlich erfüllt werden – obwohl die Bewertung also günstig aussieht, kauft man sich in Wahrheit ein höheres Risiko, (wieder) enttäuscht zu werden. Und anders als früher wurde dieses Risiko, das eingangs schon als Quelle für frühere Value-Prämien beschrieben wurde, eben nicht mehr belohnt.



    Eine gute Erklärung dafür, warum das so ist, liefert Chris Meredith im Paper „Value Is Dead, Long Live Value“. Demnach durchlief Value auf Basis von KBV und KGV von 1926 bis 1941 eine vergleichbare Schwächeperiode. Die Parallele der damaligen und heutigen Zeit sind die jeweils stattfindenden technologischen Revolutionen, die zu einer dauerhaften Abnahme des Finanzkapitals in den alten, überwiegend Value-lastigen Industrien führten. Das könnte ebenfalls erklären, warum der beschriebene Mean-Reversion-Effekt in der letzten Dekade so schwach ausfiel.

    Anscheinend kommt zusätzlich noch ein ganz allgemeiner Effekt zum Tragen: Der US-Analyst Ben Carlson wies nämlich kürzlich daraufhin, dass ein grober historischer Zusammenhang mit der Inflationsrate besteht. Demnach laufen Growth-Aktien besser, wenn Inflation und Zinsen niedrig sind, da dann die (teils weit) in der Zukunft liegenden Wachstumserwartungen bis zu deren Eintreten weniger stark erodieren beziehungsweise auf heute bezogen weniger stark abgezinst werden. Value-Aktien haben dagegen schon heute bestehende, solide Cashflows, was ihnen bei höheren Inflationsraten und Zinsen einen strukturellen Vorteil gegenüber den Wachstumswerten verleiht (Abbildung 4).

    Fazit

    Das schlechte Abschneiden von Value lässt sich vor allem durch die fehlende Mean Reversion von Value- und Growth-Aktien erklären, die in früheren Phasen attraktive Value-Renditen ermöglichte. Fraglich ist dabei, ob dies eine permanente Veränderung dessen ist, wie sich Investoren verhalten und wie die Märkte Risikoverhalten belohnen. Die Autoren der eingangs zitierten Studie („Reports of Value’s Death May Be Greatly Exaggerated“) gehen jedenfalls nicht davon aus, dass die letzten zwölf Jahre unterdurchschnittlicher Value-Renditen den neuen Normalzustand darstellen.

    Demnach bestehen für die kommende Dekade aufgrund der zuletzt hohen Bewertungslücke durchaus gute Voraussetzungen für eine deutliche Overperformance. Vielleicht braucht es dafür nur einen Trigger, wie etwa den Beginn eines (relativen) Bärenmarkts bei Growth-Aktien. Oder es ist am Ende „ganz einfach“ so, dass Value dann wieder ins Laufen kommt, wenn die Inflationsraten und Zinsen anziehen. Angesichts der aktuellen Liquiditäts- und Konjunkturprogramme ist nicht auszuschließen, dass uns eine solche Wendung, an die niemand mehr so recht glauben mag, vielleicht gerade deshalb bevorsteht.

    Autor: Dr. Marko Gränitz

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    Dieser Artikel aus der Smart Investor-Ausgabe 07/20 bezieht sich auf Daten, die bis zum 19.06.2020 erfasst wurden.





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    Verfasst vonNicolas Ebert
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