Was wusste eigentlich Tobias Bosler?
Wirecard: Hartnäckiger Investor und Journalisten witterten früh Betrug – über Casinos im Blumenladen
Hätte der Wirecard-Skandal schon vor Jahren aufgedeckt werden können? Dass es beim einstigen Wunderkind der deutschen Tech-Branche Ungereimtheiten gab – und möglicherweise sogar Geldwäsche und Bilanzmanipulation – diese Hinweise häuften sich schon früh bei Investoren, Journalisten und Geschäftspartnern. Nachdem das Aschheimer Kartenhaus zusammengefallen ist, kommen diese Vorwürfe jetzt erneut ans Licht der Öffentlichkeit.
Zu den wenigen, die Wirecard schon früh auf die Schliche kamen, gehört der Investor Tobias Bosler. „Er hat Euch gewarnt“ schreibt das Fachmagazin Capital in einem Porträt über Bosler, der als Shortseller auch schon früher Bilanzskandale aufdeckte, beispielsweise bei MLP und beim Flugzeugzulieferer Thielert.
Im Falle von Wirecard stellte Bosler im Jahr 2010 Strafanzeige wegen Geldwäsche gegen den Zahlungsdienstleister. Dabei stützte er sich unter anderem auf Unterlagen des Kreditkartenunternehmens Mastercard. Wirecard, so der Vorwurf, habe möglicherweise Glücksspielumsätze illegal abgerechnet.
Bosler lernte einen Wirecard-Mitarbeiter kennen, der ihm das System erklärte. Wirecard gründet selbst kleine Onlineshops wie Blumenläden oder Reisebüros. Die verbotenen Zahlungen von Online-Casinos werden über diese unverdächtigen Firmen abgerechnet. In einem geleakten Dokument, das Bosler in die Hände fällt (und das unter anderem auch im Forum von wallstreet:online kursierte), droht Mastercard den Deutschen daraufhin eine Vertragsstrafe an.
Doch anstatt Ermittlungen gegen Wirecard aufzunehmen, steht Bosler selbst im Visier der Ermittler. Der Vorwurf: Kursmanipulation. Bosler bekennt sich in 47 Fällen schuldig, nicht aber im Fall von Wirecard – der Vorwurf, der die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte. 2010 wird er wegen nicht ausreichender Risikohinweise in seinen Börsenbriefen verurteilt, zahlt 127.000 Euro Strafe und kommt in Untersuchungshaft. Gleichzeitig stellt das Gericht klar: Bosler hat keine Unwahrheiten über Aktien verbreitet.
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Nicht immer versteckten sich die Warnsignale in geheimen Unterlagen. Wie ein Capital-Artikel deutlich macht, gab es bereits im Jahr 2008 eine öffentliche Ad-Hoc Meldung, die Fragen aufwirft. Damals wies die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) auf Ungereimtheiten im Konzernabschluss hin. Da hatte Wirecard ein Unternehmen namens „Wire Card Technologies AG“ übernommen, ohne Angaben zum Kaufpreis, zu den Vermögenswerten oder Schulden der zugekauften Firma zu machen.
In den Jahren darauf kommen ähnliche „Ungenauigkeiten“ in den Bilanzen hinzu. Für langjährige Beobachter ist der Kollaps von Wirecard daher nicht überraschend. Für die meisten geschädigten Privatanleger allerdings umso mehr. Ob Wirtschaftsprüfer und Behörden früher hätten Alarm schlagen müssen und inwieweit Aktionäre entschädigt werden, das prüfen derzeit auch Anwälte und Aktionärsschützer (mehr dazu hier).
Autor: Julian Schick, wallstreet:online Zentralredaktion