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    Gilt Leipzig (immer noch) als das neue Berlin? Zwei gehypte Städte im wirtschaftlichen und sozialen Vergleich

    Es ist inzwischen ein alter Hut, dem wir heute auf die Spur gehen. Wer hat in den letzten Jahren noch nichts davon gehört, dass Leipzig als das neue Berlin gilt? „Hypezig“ wäre noch nicht dem Mainstream verfallen, noch nicht von Gentrifizierung zermürbt und einfach das bessere Berlin. Niedrige Mietpreise, eine kreativ-hippe Szene und ein junges Stadtbild tun ihr Übriges. Doch ist der Hype um Leipzig, der nun schon etwa ein Jahrzehnt andauert (immer noch) gerechtfertigt oder längst überholt?

    Warum wird Leipzig überhaupt mit Berlin verglichen?

    Berlin war mal hip, cool, anders und übersät von Kreativen. Innovative, junge Start-Ups gründeten sich in einst schäbigen, inzwischen szenigen, Bezirken. Doch mit der steigenden Beliebtheit der Hauptstadt, gegenüber anderer deutscher Metropolen, wurden zunehmend auch wohlhabendere Geschäftsleute angelockt, die in der Stadt Fuß fassten. Berlin zieht immer mehr Menschen an, die das Andere suchen, aber nicht mehr selbst anders sind. Mit der breiten Masse kam der kreative Mainstream und von dem wähnt sich die Stadt Leipzig noch weit entfernt. Die Messestadt als historisches Zentrum des Buchhandels und Buchdrucks blickt auf eine umfassende Kulturgeschichte zurück, die bis ins Jetzt ihre Spuren hinterlassen hat. Hier gäbe es noch neue und experimentelle Ideen, Platz für individuelle Kreativräume, junge Menschen statt Immobilienhaie und ein grünes Stadtbild, statt Bebauung wohin man blickt, sind sich die Leipziger*innen sicher.

    Beide Städte blicken auf eine bewegte Historie zurück und wurden einst unterschätzt. Beide Städte dürfen stolz behaupten, dass sie dem Begriff „Kult“ gerecht werden. Doch was unterscheidet Leipzig und Berlin nun genau voneinander und wie ist die aktuelle Entwicklung dort? Ist Leipzig das neue Berlin und wächst tatsächlich doppelt so schnell?

    Berlin und Leipzig im Faktencheck

    Das ungleiche Doppel in Zahlen beschrieben.

     

    Berlin

    Einwohnerzahl: > 3.700.000

    Bevölkerungsdichte: > 4.100 Einwohner pro Quadratkilometer

    Fläche: ca. 892 qkm

    Mietpreis/qm: 13,83 € (Quellen)

    Arbeitslosenquote (2019): 7,7 %

    Studierende: 52 pro 1000 Einwohner (Quelle)

     

    Leipzig

    Einwohnerzahl: > 600.000

    Bevölkerungsdichte: > 1.950 Einwohner pro Quadratkilometer (Quellen)

    Fläche: ca. 298 qkm

    Mietpreis/qm: 7,73 € (Quellen)

    Arbeitslosenquote (2019): 6,3 %

    Studierende: 65 pro 1000 Einwohner (Quellen)

     

    Lebensqualität und Freizeitgestaltung

    An Lebensqualität muss man definitiv nicht einbüßen, sollte man sich dazu entschließen, ein Leben in Berlin gegen das in Leipzig einzutauschen. Wo das Auge hinblickt findet man Sport, Natur, Kunst und Kultur. Leipzig gilt als Kultstadt. Noch dazu groß genug, um etwas zu erleben, aber überschaubar genug, um nicht zu anonym zu sein. Hier gibt es noch die Industrie-Hinterhöfe mit Künstler*innen-Ateliers, die alternativen Bars und Cafés und natürlich die Buchmesse oder das berühmte Wave-Gotik-Treffen. Doch als Top-Argument für ihre Stadt nennen die Leipziger*innen die vielen Parks, durch die man mit dem Rad durchfährt - fernab vom Straßenlärm. Tatsächlich nehmen sich Berlin und Leipzig aber kaum etwas in Bezug auf die in der Stadt verteilten Grünflächen. Berlin bietet, auf die Gesamtfläche gesehen, sogar etwas mehr Grün als Leipzig - kaum zu glauben, oder? Bei den Grünflächen pro Kopf hat Leipzig jedoch die Nase vorn und zählt zu den Top 10 der Großstädte in Deutschland. Als eine der beliebtesten deutschen Studienstädte hat sich Leipzig auch sein eigenes, ganz besonders alternatives Nachtleben aufgebaut. Das Leben in der Stadt ist generell sehr studentisch geprägt und immer noch überschaubar, während Berlin von seiner Vielschichtigkeit, Größe und Multikulturalität gezeichnet ist - vervollständigt durch eine Prise Modernität, Tourismus und Mainstream.

    Bevölkerungszuwachs und Wohnungsbau

    Leipzig verzeichnete im letzten Jahrzehnt einen enormen Bevölkerungszuwachs - manche Quellen sagen sogar den höchsten Zuwachs in Deutschland. Dazu tragen insbesondere die etwa 40.000 Studierenden der Stadt bei. Klagten Immobilienfirmen zuvor noch über Leerstand, werden sie heutzutage von den klagenden Einheimischen abgelöst, die der Gentrifizierung und den damit verbundenen Mieterhöhungen ins Auge blicken. Der Leerstand hat sich innerhalb weniger Jahre stark reduziert. Leipzig lockt vor allen Dingen junge Leute an, die sich keine Großstadtmieten leisten, aber dennoch in einer pulsierenden Szene-Stadt leben wollen. Leipzig zählt zu einer der jüngsten Städte Deutschlands und das Durchschnittsalter sinkt bereits seit einiger Zeit. Trotzdem sind auch in Leipzig teure, luxussanierte Wohnungen bereits ein Thema und der Wohnungsmarkt wird zunehmend angespannter. Viele Investor*innen weichen von Berlin auf das nur eine Zugstunde Fahrtzeit entfernte Leipzig aus.

    In Berlin ist der Bevölkerungszuwachs dagegen lange nicht mehr so stark wie noch vor einem Jahrzehnt. Im Jahr 2019 wurden hier so viele Wohnungen fertiggestellt wie noch nie zuvor, allerdings bei einem gleichzeitig stattfindenden Zuwanderungseinbruch, was eine leicht entspanntere Lage im Vergleich zu den Vorjahren zur Folge hatte. Dieser Zuwanderungsrückgang hält, vermutlich auch aufgrund der Corona-Pandemie, auch im Jahr 2020 noch etwas an. Für ab dem Jahr 2025 wird sogar vorausgesagt, dass fast ausschließlich die Ost-Bezirke weiteren Zuwachs bekommen werden. Der Berliner Mietendeckel führt jedoch zur Zeit dazu, dass ein Rückgang an Bauinvestitionen und Baugenehmigungen zu verzeichnen ist, wodurch der Wohnungsmangel auch in Zukunft vorhanden sein wird und nicht weiter abgebaut werden kann.

    Wirtschaft und Arbeit

    Der wohl größte Unterschied zwischen Leipzig und Berlin liegt in der Wirtschaftsstruktur. Carolyn Wißing vom Projekt Ein und Leipzig sagte vor einigen Jahren im Interview mit Deutschlandfunk Nova beispielsweise, dass Leipzig sicher nicht enden wird wie Berlin: “Erstens ist Leipzig keine Metropole. Außerdem sind die wirtschaftlichen Strukturen auch nicht so, dass die Leute langfristig hierbleiben." Die Zahl der Arbeitslosen sank von 2003 bis 2017 um mehr als die Hälfte, was ein unglaublicher Erfolg ist. Doch obwohl die Arbeitslosenquote in Leipzig in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, zieht es noch immer viele Bewohner*innen aus Leipzig weg, wenn sie nach ihren jungen, wilden Jahren in das Berufsleben starten. Denn das Karriere-machen gestaltet sich schwierig in Leipzig. Zwar haben sich einige große Arbeitgebende, wie das BMW Group Werk, DHL, Amazon und die Lufthansa hier einen Standort aufgebaut und auch die Uniklinik und der Flughafen beschäftigen viele Arbeitnehmer*innen der Region, doch hängt die Leipziger Start-Up-Kultur immer noch den Großstädten hinterher. Außerdem macht sich die Lage im Osten Deutschlands anhand des niedrigen Lohnes deutlich bemerkbar. Nichtsdestotrotz besetzt Leipzig einen wirtschaftlich wichtigen Standort in der Metropolregion Mitteldeutschland und wird deshalb vermutlich auch in Zukunft weitere Big Player anziehen, die die Wirtschaft vor Ort stärken.

    Berlin dagegen führt, trotz einer ebenfalls recht hohen Arbeitslosenquote, als Start-Up-Hauptstadt seit Jahren die Statistiken an und verbucht jährlich mehrere hundert Neugründungen. Globalisierung und Digitalisierung sind hier nicht nur schicke Buzz-Words, sondern gehören unabdinglich zur Berliner Wirtschaftsstruktur dazu. Dennoch hinkt Berlin im internationalen Vergleich, beispielsweise mit dem amerikanischen Aushängeschild des Silicon Valley, erheblich zurück.

    Infrastruktur

    Leipzig ist, die Infrastruktur betreffend, für seine Stadtgröße gut aufgestellt. Mehrere Autobahnen und ein internationaler Flughafen (Leipzig/Halle) sowie ein sehr gut ausgebauter Einkaufsbahnhof bieten beste Anbindungen aus und nach Leipzig. Innerhalb Leipzigs ist das S-Bahn-Netz im letzten Jahrzehnt ausgebaut worden, auch die Bus- und Straßenbahnlinien bringen Leipzigs Einwohner*innen von A nach B.

    Berlin ist aufgrund seiner Größe und als Landeshauptstadt direkt mit zwei Flughäfen ausgestattet - Berlin-Tegel und Berlin-Schönefeld. Am neuen Flughafen Berlin Brandenburg wird derzeit noch gebaut. Das sehr gut ausgebaute S-, U-, Bus- und Straßenbahnnetz sorgt für ein zügiges Vorankommen innerhalb Berlins.

    Ist Leipzig nun das neue Berlin?

    Als andere Städte, die mit dem einst gehypten Berlin konkurrieren könnten werden Sofia, Regensburg, Budapest, Bielefeld, Warschau und viele weitere genannt. Sogar Hamburg ist dabei.

    Wahrscheinlich wird Berlin aber doch immer das einzige Berlin und weiterhin für Zuzügler*innen attraktiv bleiben - nur eben für andere als noch vor einigen Jahren.

    Leipzig wird vermutlich weiterhin unaufhörlich wachsen, aber gleichzeitig versuchen, seinen unfertigen Industrie-Charme und seine wilde Jugendlichkeit zu bewahren. Die Stadt befindet sich derzeit auf dem Weg zur mitteldeutschen Metropole, die es gar nicht sein will und kämpft gegen die Schattenseiten an, die dieser Stempel mit sich bringt, ohne dabei die positiven Aspekte zu verlieren zu wollen.




    Martin Brosy
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    Martin Brosy ist Tradingcoach und Mitbegründer der Trading Ausbildung www.trademy.de. Großen Einfluss auf sein ökonomisches Weltbild haben die Publikationen von Karl-Heinz Paqué und Joseph Schumpeter. Als Börsianer inspirieren ihn die Ansätze von Buffett, Burry, Livermore und Lynch.
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    Verfasst von Martin Brosy
    Gilt Leipzig (immer noch) als das neue Berlin? Zwei gehypte Städte im wirtschaftlichen und sozialen Vergleich Es ist inzwischen ein alter Hut, dem wir heute auf die Spur gehen. Wer hat in den letzten Jahren noch nichts davon gehört, dass Leipzig als das neue Berlin gilt? „Hypezig“ wäre noch nicht dem Mainstream verfallen, noch nicht von Gentrifizierung zermürbt und einfach das bessere Berlin. Niedrige Mietpreise, eine kreativ-hippe Szene und ein junges Stadtbild tun ihr Übriges. Doch ist der Hype um Leipzig, der nun schon etwa ein Jahrzehnt andauert (immer noch) gerechtfertigt oder längst überholt?

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