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     357  0 Kommentare Finanzvertrieb: Provisionsverbot mit Nebenwirkungen

    Um ein generelles Provisionsverbot ist der deutsche Finanzvertrieb bisher herumgekommen. Doch im Hintergrund bleibt das Thema stets präsent. Was ein solches Verbot auslösen kann, lässt sich in Nachbarländern beobachten. Zum Beispiel in Großbritannien.Die Gretchenfrage trägt die Nummer 50. Und sie kommt, ganz im Kontrast zur Sprengkraft, die ihr innewohnt, recht umständlich daher: "Halten Sie es für sinnvoll, ein völliges Verbot von Anreizen einzuführen, um den Zugang zu unabhängiger Anlageberatung zu verbessern?" Kein Vertun, da ist es wieder: das Thema "Provisionsverbot".
    Die Frage kommt von der Europäischen Kommission. Sie ist Bestandteil eines 94 Fragen starken Katalogs, den Interessenvertreter der europäischen Finanzbranche Anfang des Jahres erhalten haben. Die Kommission will herausfinden, was die Richtlinie Mifid II seit ihrem Start 2018 bewirkt hat und welche Regeln überarbeitet werden sollten.
    Ein generelles Provisionsverbot bei Finanzdienstleistungen, gültig für alle EU-Mitgliedsstaaten, gibt es aktuell nicht. Bislang entscheiden die Länder für sich selbst, wie sich ihr nationaler Finanzvertrieb vergüten lassen darf. Der europäische Gesetzgeber fordert lediglich, dass die Bezahlung der Berater dem Interesse der Kunden nicht zuwiderlaufen darf. Außerdem sollen die Kunden erfahren, von wem genau und wie viel Geld ihr Berater empfängt.
    In Deutschland dürfen sich Berater in einem abgesteckten Rahmen weiter mit Provisionen vergüten lassen. Einzig bei der Dienstleistung Vermögensverwaltung und in der Honorar-Anlageberatung ist das nicht erlaubt. Andere Länder sehen die Sache enger. Großbritannien etwa hat vor sieben Jahren ein Provisionsverbot eingeführt. Jemand, der den Übergang in die neue Welt vor Ort miterlebt hat, ist Gerd Kommer. Der Honorar-Finanzanlagenberater wohnte und arbeitete damals in London.
    Der Wandel sei für ihn als Privatkunden einer Bank deutlich spürbar gewesen, berichtet Kommer. Vor dem Stichtag habe sich die kontoführende Bank regelmäßig bei ihm gemeldet und Kredit- und Anlagevorschläge unterbreitet. Das habe am 31. Dezember 2012 schlagartig aufgehört. An diesem Tag trat mit dem RDR ("Retail Distribution Review") das Provisionsverbot in Kraft. Um Kommers Beobachtung mit einer Zahl der britischen Finanzaufsicht FCA zu unterfüttern: Die Zahl der Berater in Banken und Bausparkassen brach zwischen 2012 und 2014 um mehr als 50 Prozent ein.

    Der RDR verlangt, dass Berater ihre Vergütung direkt und transparent mit den Kunden vereinbaren müssen. Auch die Anforderungen an die Qualifikation von Beratern sind strenger geworden. Von einem generellen Provisionsverbot in Großbritannien zu sprechen, ist allerdings nicht ganz richtig. Denn das Verbot bezieht sich lediglich auf den Bereich Vorsorge, also auf Fonds und kapitalbildende Versicherungen.
    In anderen Gefilden des Finanzmarkts dürfen sich Berater weiter vom Produktanbieter bezahlen lassen. Seit 2013 ist der Anteil provisionsbasierter Vergütung im Bereich Finanzanlagen in der Tat deutlich zurückgegangen. Anders sieht es zum Beispiel bei der Baufinanzierung aus. Hier erleben Provisionen sogar eine Renaissance (siehe Grafik unten). Dasselbe Phänomen beobachtet die FCA auch bei nicht investmentbasierten Versicherungsprodukten.

    Was haben Kritiker an provisionsbasierter Beratung eigentlich auszusetzen? Wenn Berater Geld für die Vermittlung eines Produkts zum Beispiel von einer Fondsgesellschaft erhalten, würden sie ihren Kunden tendenziell zu solchen Fonds raten, bei deren Verkauf für sie selbst am meisten herausspringt, lautet die Befürchtung. Berater stünden dann nicht mehr im Lager der Kunden, sondern verfolgten eigene Interessen.
    Gerd Kommer teilt diese Kritik: "Interessenkonflikte sind die Pest der Finanzbranche." In seiner Münchner Firma Gerd Kommer Invest ist Kommer mit einer Lizenz nach Paragraf 34h (h wie "Honorar") Gewerbeordnung unterwegs. Diese Zulassung klammert den Empfang von Provisionen von vornherein aus. Sie lässt auch keine Mischformen von Vergütung zu – etwa honorarbasierte Beratervergütung für größere Anlagesummen und Provisionen für das kleine Geld.
    Womit auch schon das Dilemma umrissen ist, in dem Großbritannien seit Einführung des Provisionsverbots steckt: Wenn Finanzberater kein Geld mehr von Banken oder Fondsgesellschaften annehmen dürfen, wer soll sie dann bezahlen? Berater können ihren Kunden die Beratungsleistung zwar per Honorar in Rechnung stellen. Sie können auch einen Teil des verwalteten Vermögens, üblicherweise zwischen 0,5 und 1,5 Prozent, für sich einbehalten. Beides ist aber nur praktikabel, wenn es um eine größere anzulegende Geldsumme geht, 100.000 Euro gelten allgemein als Minimum.
    Davor Horvat, Chef der Beratungsfirma Honorarfinanz, ist als Honorar-Anlageberater tätig. Für ihn gelten dieselben Vergütungsregeln wie für 34h-Berater Gerd Kommer, nur hat er eine Lizenz nach deutschem Kreditwesengesetz. "Wer nur 10.000 Euro anlegen möchte, tut sich eventuell schwer, erstmal 1.800 Euro Mindesthonorar für ein individuelles Anlagekonzept zu zahlen", rechnet Horvat vor.
    Es lässt sich nicht vom Tisch weisen: Honorarberatung richtet sich an vergleichsweise vermögende Kunden. In einer Beratungswelt, die von Honoraren und Service-Gebühren lebt, kann sich kein Kleinanleger mehr individuell beraten lassen. In Großbritannien nennt man das den "Advice Gap".
    Eine Lücke bei der Beratung muss allerdings noch lange keine Lücke bei der Vorsorge bedeuten. So hatte man in Großbritannien bereits einige Jahre Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. "Ein großer Teil des Geldes, das private Haushalte früher mit Hilfe von Beratern angelegt haben, wird heute über digitale Plattformen investiert", sagt Philip Kalus.
    Der Gründer des Research- und Beratungsunternehmens Accelerando Associates verfolgt die Entwicklung des europäischen Anlagemarkts sehr aufmerksam. Auch mit der Wirkung des Provisionsverbots in Großbritannien und den Niederlanden hat er sich beschäftigt.
    Das Geld britischer Privatkunden fließe weniger in traditionelle Robo-Advisor als vielmehr in standardisierte Vermögensverwaltungen, beobachtet Kalus. Auch die betriebliche Altersvorsorge spiele eine viel größere Rolle als hierzulande. Und noch eines zeichne die Situation auf der Insel aus: "In Großbritannien herrscht im Gegensatz zu Deutschland eine ausgeprägte Aktien- und Fondskultur." Viele Verbraucher beschäftigten sich mit ihren Finanzen. Im Vergleich dazu sei die Investmentbegeisterung in Deutschland nur "rudimentär ausgeprägt", findet Kalus. Auch das dürfte die Folgen der britischen Beratungslücke abfedern.
    Was hat das Provisionsverbot noch bewirkt? Wie schon erwähnt, haben sich mit Inkrafttreten des RDR viele Banken aus dem Finanzvertrieb an Privatkunden zurückgezogen. Allerdings haben britische Banken nach Kalus‘ Beobachtung schon traditionell einen geringeren Anteil am Privatkunden-Anlagegeschäft.

    Das Gros hat sich der freie Finanzvertrieb einverleibt. Viele Berater hatten sich auch bereits anlässlich früherer Regulierungsmaßnahmen vom Markt zurückgezogen. Insgesamt schlug der RDR 2013 kaum mehr als eine Delle in den britischen Beratermarkt (siehe Grafik).
    Ein Provisionsverbot hat jedoch auch für die Anbieter von Finanzprodukten Folgen. Immerhin können Banken und Fondsgesellschaften den externen Vertrieb dann nicht mehr mit einem finanziellen Bonbon davon überzeugen, ihre Produkte zu berücksichtigen. Die Fonds müssen schon besonders gut sein – oder besonders billig. In Großbritannien lieferten sich Fondsanbieter mittlerweile einen harten Preiskampf, nicht zu vergleichen mit der im Kontrast dazu zaghaften Konkurrenz in Deutschland, berichtet Kalus.
    Ein Blick auf die Produktwelt zeigt: Das Provisionsverbot hat offenbar auch kostengünstigen ETFs und anderen Indexfonds in Großbritannien zur Blüte verholfen. Hierzulande beginnen die Passiv-Produkte gerade erst, aus dem Schatten aktiv gemanagter Fonds herauszutreten. Aktive Fonds wiederum sind in Deutschland nur in einigen Fällen auch als Clean-Share-Anteile erhältlich.

    Clean Shares sind Anteilsklassen, die keine Vertriebsprovision enthalten. In Großbritannien sind sie mittlerweile Standard. Wer als Berater in Deutschland auf provisionsbasierte Vergütung ganz verzichten möchte, leitet die enthaltene Provision dann einfach an seine Kunden weiter.
    Ein weiterer Effekt des Provisionsverbots und des Gerangels um einen Platz am Markt für die eigenen Produkte: Banken und große Fondsgesellschaften bemühen sich zunehmend darum, den Fondsvertrieb selbst in die Hand zu nehmen. Recht forsch geht dabei Vanguard vor. Der US-Spezialist für ETFs und Indexfonds betreibt in seinem Heimatland die digitalen Plattformen "Vanguard Digital Advisor" und "Vanguard Personal Advisor". Beim Personal Advisor ist menschlicher Rat inbegriffen.
    Die Vanguard-Plattformen verwalten in den USA rund 148 Milliarden Dollar, ausschließlich in Vanguard-Fonds angelegt. In Großbritannien gibt es ebenfalls eine Fondsplattform für Privatkunden, die vergleichsweise günstige Gebühren abruft. Und auch Deutschland ist gerüchtehalber schon im Visier: Vanguard arbeite an einem eigenen Robo-Advisor für den hiesigen Markt, machten Insider-Berichte in diesem Sommer die Runde. Bestätigen wollte man das bei Vanguard Deutschland allerdings nicht.
    Ein Provisionsverbot ist in Deutschland derzeit kaum ein Thema, auch wenn Verbraucherschützer wie der Verbraucherzentrale Bundesverband VZBV nicht müde werden, es zu fordern. Für weite Teile des deutschen Finanzvertriebs ist es dagegen ein rotes Tuch. Und auch von anderer Seite gibt es Widerstand: "Vor allem die Produktindustrie hat ein Interesse an Provisionen", glaubt Honorar-Anlageberater Horvat.

    Der deutsche Fondsverband BVI jedenfalls lehnt ein Provisionsverbot unmissverständlich ab. Der Verband vertritt die Interessen der hiesigen Fondsgesellschaften. Seinen Standpunkt hat er in den Mifid-Fragebogen der EU-Kommission geschrieben.
    Ein scheeler Blick gilt dabei den Wettbewerbern aus dem Versicherungskosmos. Immerhin bieten viele Versicherer ebenfalls Geldanlagevehikel an, sie sind den Fondsgesellschaften in mancher Hinsicht artverwandt. Trotzdem sind sie komplett anders reguliert.
    Beim BVI befürchtet man: Ein Provisionsverbot bei Finanzanlagen würde in Deutschland zum einen eine Beratungslücke aufreißen und zum anderen den Wettbewerb zugunsten von Versicherungsunternehmen verzerren. Denn Vermittler könnten anstelle von Fonds dann auch einfach Fondspolicen vermitteln. Bei diesen Fonds im Versicherungsmantel ist von einem Provisionsverbot bislang keine Rede. Lediglich ein Provisionsdeckel bei Lebensversicherungen ist im Gespräch. Ein entsprechender Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums liegt seit März 2019 in der Schublade. Zunächst darf die Finanzbranche jedenfalls auf die Ergebnisse aus Brüssel gespannt sein. Die EU-Kommission will die überarbeitete Fassung der Mifid II und damit auch ihre neue Sicht auf das Provisionsverbot bis spätestens September 2020 vorlegen.

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